12,99 €
Schnell geschossen, sauber getroffen … Manchmal muss es einfach zackig gehen: Pit »Struller« Struhlmann und Christian Jensen vom Düsseldorfer Dezernat für Todesermittlungen verstehen es, üblen Schurken und gemeinen Gaunern auch auf der kurzen Strecke das Handwerk zu legen. Doch auch ohne die Ermittler aus den Kult-Romanen der Krimi-Cops geraten in diesen schrägen Storys die Verbrecher in Bedrängnis: In einer Sauna in Bönen wird's brandheiß, wir begegnen dem Chamäleon von Fröndenberg, und ein italienischer Tifoso wird nach dem Spiel seiner Squadra Azzurra ganz übel von den Beinen gegrätscht. Gelegentlich reicht dann für den Abschlussbericht einer Mordermittlung auch ein Reim – mit gerade einmal 26 Wörtern. Bürokratie kann so poetisch sein … zumindest bei den vier waschechten Düsseldorfer Polizisten, den Krimi-Cops.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 263
Veröffentlichungsjahr: 2025
Die Krimi-Cops
Vom Autoren-Team bisher bei KBV erschienen:
Stückwerk
Teufelshaken
Umgelegt
Bluthunde
Knock Out
Goldrausch
Böse Falle
Zahltag
Die Krimi-Cops sind:
Ingo »Inge« Hoffmann, Jahrgang 1978, aus Neuss, Carsten »Rösbert« Rösler, Jahrgang 1977, aus Düsseldorf, Martin Niedergesähs, Jahrgang 1977, aus Herongen an der niederländischen Grenze und Klaus »Stickel« Stickelbroeck, Jahrgang 1963, aus Kerken am Niederrhein.
In ihren Büchern verarbeiten sie nach Feierabend mal komische, mal härtere Einsätze der zurückliegenden Schicht.
www.krimi-cops.de
Die Krimi-Cops
Kriminalstorys
Originalausgabe
© 2025 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH
Am Markt 7 · DE-54576 Hillesheim · Tel. +49 65 93 - 998 96-0
[email protected] · www.kbv-verlag.de
Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an unsere Herstellung: [email protected] · Tel. +49 65 93 - 998 96-0
Umschlaggestaltung: Ralf Kramp
Lektorat: Doris Oetting, Minden
Druck: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-95441-739-1 (Taschenbuch)
ISBN 978-3-95441-750-6 (eBook)
STRULLER UND LINUS
EIN AUSGESPROCHEN HAARIGER FALL
SILVESTERKRACHER
KURZ, KNAPP, ALLES DRIN
HEISS. HEISSER. BÖNEN!
SILVESTER-COUNTDOWN
DAS APARTMENT DER HÖLLE
HOT & SPICY
NEHMT ABSCHIED, BRÜDER!
STRULLERS WEIHNACHTSFEINER SCHREIBTISCH
DIE SIZILIANISCHE METHODE
SILVESTER-KRAWUMMS
COP TILL YOU DROP! KÖNNTE VON ROD STEWART SEIN
DRAUSSEN NUR KÄNNCHEN
SILVESTERKARPFEN
DAS CHAMÄLEON VON FRÖNDENBERG
STURM AM WINDIGEN ECK (EIN KURZKRIMI MIT 666 KRIMINELLTEUFLISCHEN WORTEN)
SILVESTERPUNSCH
DER MERCURIUS-MANN
ITALIENISCHER TOD
SILVESTERKIRSCHE
ABGELAUFEN
SCHLUSSAKT MIT LINUS
Struller kletterte zufrieden die drei Marmorstufen zur Wache der Polizeiinspektion Ost auf der Wilhelm-Raabe-Straße hoch. In einem der dortigen Schreibräume würden die Kollegen Kotten und Altschloss bereits warten, die für ihn den Hauptverdächtigen eines gemeinen Tötungsdeliktes zur nahe gelegenen Polizeiwache transportiert hatten. Besagter Marcel Schneider war nicht die allerhellste Kerze auf der Torte, sondern doof wie ein Zehnkilosack Trockenbeton. In der anstehenden Vernehmung würde es für Struller lediglich gelten, ein paar Fetzen ureigenes Täterwissen aus dem Honk herauszukitzeln. Das sollte machbar sein und würde bedeuten, dass der blöde Schneider in den nächsten fünfzehn Jahren gesiebte Luft zu atmen bekam.
Sehr erbaulich.
Beschwingt glitt er durch eine Drehtür ins Foyer der Polizeistation. Im Vorraum der Polizeiwache schoben zwei uniformierte Kolleginnen eine hackendudeldichte Frau mit wilden blonden Haaren durch den Vorraum, die dauernd schrie:
»Fortuna! Fortuna!«
Ein Mann im Nebenraum rief: »Mir platzt der Arsch!«
Dann stand da noch ein Kollege in Uniform am Tresen. Struller überdachte kurz den Alkoholkonsum seiner letzten drei Wochen und schüttelte den Kopf. Nee, keine Halluzination, das war real. Der Kollege vorm Tresen streichelte ein pechschwarzes Kaninchen, das er auf dem Arm trug.
»Was soll das denn?«
»Das ist Linus.«
»Linus?«
»Süß, nicht?«, fragte der Kollege mit ganz viel Liebe in der Stimme.
Struller schnappte nach Luft.
Der Kollege beugte sich nach vorn, guckte hastig nach links und rechts und wisperte: »Meine Freundin macht gerade ihr Abi. Die kann sich im Moment nicht um Linus kümmern. Und wenn keiner auf ihn aufpasst, dann büxt der kleine Schlingel immer schwuppdiwupp aus und knabbert mir die Boxenkabel durch. Da hab ich den heute mit zum Dienst genommen und zeig dem Kleinen mal die Wache.«
»Bitte?«
»Was, Linus, spannend ist das hier, oder?«
Struller ging wortlos weiter. Das war alles nicht mehr seine Polizei. Da bringt der ein Kaninchen mit auf die Wache! Du machst aus Mett halt keine Marzipantorte.
Drei Zimmer weiter drückten Kotten und Altschloss Struller die Festnahmeanzeige vom aktuellen Verdächtigen in die Finger. Der glatzköpfige Schneider sah aus, als habe der liebe Gott beim Basteln einen ganz, ganz schlechten Tag gehabt.
»Wenn wir den nicht eingebuchtet kriegen, dann weiß ich es auch nicht«, erklärte Kotten und kratzte sich dabei mit einem Lineal am Rücken.
Schmirgel. Schmirgel.
Ein unangenehmes Geräusch.
Schneider saß in Handschellen auf einer Art Friseurstuhl und beobachtete Struller mit gelangweilter Miene. »Ich sage nichts. Muss ich auch nicht. Ich bin zwar noch nicht vorschriftsmäßig belehrt worden, aber ich kenne meine Rechte.«
»Ach?«
»Ich brauche nichts zu sagen. Und das tue ich auch nicht! Ohne Anwalt schon mal gar nicht.«
»Für nix war das aber ein strammer Vortrag.«
»Ich sage nur, ihr seid total auf dem Holzweg.«
»So geheimnisvoll mögen wir es am liebsten«, raunte Struller, krempelte die Hemdsärmel hoch, lockerte seine braune Häkelkrawatte und fing an, Schneider zu bearbeiten.
In der folgenden halben Stunde blieb das bereits Gesagte aber alles, was Schneider von sich gab. Nur einmal geriet Schneider ins Stocken, nämlich als der Kollege vom Tresen auf allen vieren in ihren Schreibraum gekrochen kam.
»Linus? Linus?«
Struller runzelte fragend seine Stirn.
Der Kollege blickte hoch und erklärte. »Linus ist weg. Ausgebüxt!«
Struller spürte Blutdruck. »Ich bin mitten in einer Vernehmung!«
»Oh. Sorry.«
Der Uniformierte trat den Rückzug an. Kriechend.
Schneider lachte.
»Das Lachen wird dir noch vergehen, du Luftpumpe!«
Aber auch nach zwei weiteren verschwitzten Stunden blieb Schneider bei ein paar miesen Witzen, wichtigtuerischen Andeutungen und dem ewig wiederholten Spruch, dass er seine Rechte kenne. Struller zog Kotten und Altschloss wieder hinzu und bat diese, Schneider ins Zentrale Polizeigewahrsam am Fürstenwall zu bringen. Eine Bitte, der beide sehr gerne nachkamen.
Der spartanisch-übersichtliche Charme einer Gewahrsamszelle würde dem haarlosen Verdächtigen guttun und ihm die Zunge lockern, Struller war da zuversichtlich. Er hämmerte noch einen kurzen Vermerk in die Tastatur, packte sich den viel zu unbequemen Bürostuhl und brachte ihn zurück ins Nebenzimmer.
»Huch!«
Unterm Stuhl quiekte es. Ganz hell. Und ganz kurz. Struller hatte Linus gefunden.
»Ach herrje!«
Er tippte das kleine, schwarze Knäuel mit der Fußspitze an. Aber das Tierchen hatte ausgequiekt. Genickbruch. Mann, Mann, Mann. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Struller wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte sich um. Im Regal vor sich entdeckte er einen braunen Briefumschlag.
»DIN-A3 … Müsste gehen.«
Mit spitzen Fingern pfiückte er das schwarze Kaninchen vom Boden und schob es in den Briefumschlag. Den Verschluss leckte er an und drückte ihn zu. Mit dem Umschlag unterm Arm ging er zurück in den Vorraum.
Ein Kollege tröstete gerade das Herrchen von Linus. »Carsten, der taucht schon wieder auf. Wo soll der denn hin? Und raus ist er nicht. Der kommt ja nicht durch die Drehtür.«
»Au, Mann. Corinna macht mich fertig, wenn ich ohne Linus nach Hause komme.«
Struller huschte durch die besagte Drehtür nach draußen und sprang in seinen Wagen.
Richtig, er hatte Wichtigeres zu tun, als sich um das tote Kaninchen und irgendwelche Befindlichkeiten zu kümmern. Er fuhr los und schielte an der nächsten roten Ampel nach rechts auf den Beifahrersitz, auf dem der ausgebeulte Briefumschlag lag.
Anderseits hatte er selbst vor vielen Jahren mal ein Meerschweinchen gehabt. Schwarz, braun und weiß.
Honka. Honka hatte er es getauft.
Ein ganz liebes Tierchen. Ein treuer, braver Gefährte.
Er hatte gleich so ein ungutes Gefühl gehabt, damals, an dem Tag, an dem dieser Skinhead mit seinem widerlichen Rottweiler in die Nachbarwohnung eingezogen war. Und dann dieser Nachmittag, Ende August, im gemeinsamen Garten.
Armer Honka!
Seit dieser Stunde, also schon im zarten Alter von vielleicht sechs oder sieben Jahren, hatte Struller Neonazis nicht ausstehen können. Mit den Jahren und ein bisschen Staatsbürgerkunde hatte sich das natürlich gefestigt. Aber den Grundstein hatten Honka und ein räudiger Rottweiler gelegt. Das hatte ihn damals mitgenommen! Und hatte der Kollege nicht gesagt, dass seine Corinna mitten im Abi-Stress ist?
»Mist!«
Er fuhr rechts ab und gab Gas. Oberrather Straße, rechts ab, die Kanzlerstraße ganz nach hinten durch.
»Hier ist doch … Aha.«
Er schnappte sich den Briefumschlag, warf die Tür hinter sich zu und betrat eiligen Schrittes das Düsseldorfer Tierheim. Der Dame hinterm Tresen zeigte er den Dienstausweis und erklärte sein Problem.
»Natürlich haben wir Kaninchen«, sagte die vollbusige Dame mit osteuropäischem Akzent. »Aber ich fürchte, ja, sehen Sie hier im Stall, das sind unsere Lieben.«
»Aha.«
»Aber da ist leider kein schwarzes dabei.«
»Och.«
»Und Männchen haben wir zurzeit überhaupt keine.«
Struller beugte sich über den kleinen Maschendrahtzaun. »Ich nehme das weiße da.«
»Sind Sie sicher?«
Struller strich sich durchs Haar und deutete auf ein kleines Tier, das müde in einer Stallecke hockte. »Todsicher.«
»Todsicher?«
»Wird es gut haben, das Tier! Wie teuer? Okay. Aber nicht einpacken! Kleiner Scherz.«
Die Dame lachte nicht.
Struller zahlte. »Ähm, aber den kann ich hierlassen, oder?«
Schnell drückte er der Dame den ausgebeulten, braunen Briefumschlag in die Hand und verließ fiuchtartig das Tierheim. Das weiße Tier setzte er behutsam neben sich im Fußraum des Beifahrersitzes ab.
»Vorsicht jetzt beim Gasgeben und beim Bremsen, Pit.«
Ein weiteres Kaninchen würde er im Tierheim nicht mehr bekommen. Aber er brauchte nicht weit zu fahren, parkte, hob das Tier aus dem Fußraum, klemmte es unter den Arm und warf die Fahrzeugtür hinter sich in den Rahmen.
»Struller, alter Verbrecherjäger! Was willst du denn hier? Ich habe dir doch erst letzte Woche die Matte gekürzt?«, fragte Strullers sonnenbankgebräunter Stammfriseur.
»Haare färben.«
»Ach?«
Struller hielt ihm das weiße Kaninchen entgegen. »Schwarz!«
* * *
Eine halbe Stunde später war Struller wieder vor der Polizeiwache. Die beiden Kolleginnen und die volltrunkene Blondine, die vorhin noch alles zusammengebrüllt hatte, durchsuchten gemeinsam das Gesträuch direkt vor dem Polizeigebäude.
»Linus?«
»Wo bist du?«
»Liiiiiiinus?«
Offensichtlich gingen die Kollegen nunmehr doch davon aus, dass der kleine Kabel durchbeißende Linus die Drehtür betätigen konnte.
»Linus?«
»Liiiiiiinus?«
Struller schnappte sich die ausgebeulte Sporttasche vom Beifahrersitz, die sein Friseur ihm geliehen hatte, und stieg aus. Schnell und möglichst unauffällig huschte Struller am Suchtrupp vorbei nach drinnen in die Station. Im Schreibraum angekommen, warf er einen hastigen Blick in die Runde.
»Wenn rauskommt, dass ich so ein Gefühlsdussel bin, dann Prost Mahlzeit«, fiüsterte Struller, ernsthaft um seinen hart erarbeiteten Ruf besorgt.
Die Luft war rein, hastig öffnete er die Sporttasche.
»Mach's gut, Sportsfreund!«
Jensen strich sich durchs einen Tick zu lange Haar. Er war jetzt doch ein wenig aufgeregt. Polizeipräsidium Düsseldorf, Praktikum beim Dezernat für Todesermittlungen, sein erster Tag. Gleich würde er seinen Ausbilder kennenlernen, spannend.
Er stieg die breiten, ausgetretenen Marmorstufen des beeindruckenden Treppenhauses hoch. Dritte Etage, Zimmer 1321. Auf einem vergilbten Namensschild stand Struhlmann. Das Büro lag direkt gegenüber der Herrentoilette. Wie nett. Kurze Wege.
»Kann ich helfen?«, sprach ihn ein Mann an, dessen braun-grün-gelb gestreifter Pullunder sich über eine bemerkenswerte Trommel spannte. Drei abgegriffene Ordner klemmten unter seiner linken Achsel. Er trug eine dick gerahmte, schwarze Brille und sah aus wie einer aus den alten Krimis. Schwarz-weiß, mit Erik Ode.
»Alles gut. Ich möchte zum Kollegen Struhlmann. Ich bin sein neuer Praktikant.«
Der Mann stutzte überrascht. »Ich wusste gar nicht, dass Struller wieder ausbilden darf.«
»Äh …«
»Na dann, viel Spaß!«, gluckste der Typ mit einem schiefen Grinsen und schlich davon.
Aha, dachte Jensen. Dieser Struhlmann wurde von seinen Kollegen Struller genannt. Da machte es ja auch Sinn, dass er das Büro gleich gegenüber der Toilette hatte. Jensen holte noch einmal tief Luft und klopfte an. Und noch mal. Und noch mal, stärker.
Er drückte die Klinke runter. Hui, war gar nicht abgeschlossen. Schwungvoll öffnete sich die Tür, und genauso schwungvoll stürzte Jensen ins Büro.
Das Büro war gar nicht leer. Der Mann, der vor ihm am Schreibtisch gerade in sein belegtes Brötchen biss, musste Struhlmann alias Struller sein.
»Guten Morgen«, grüßte Jensen.
Struller zuckte zusammen, hielt inne und sah ihn mit großen Augen an. Ein langes Stück Kochschinken hing ihm aus dem Mund. Verzweifelt versuchte er nun, es abzubeißen. Dabei verdrehte er die Augen, saugte dann die Scheibe nach innen und schluckte sie schließlich in einem Stück herunter. Butter klebte an seiner Lippe.
»Mann, kannst du nicht anklopfen?«
»Ich habe geklopft.«
»Wenn keiner herein ruft, ist keiner da«, erklärte Struller.
Jensen fand, dass das genau genommen nicht ganz richtig war, aber er wollte nicht widersprechen. »Mein Name ist Jensen. Ich bin der neue Praktikant und sollte mich heute bei Ihnen zum Dienst melden.«
»Blonde Haare? Blaue Augen? Jensen? Bist du Schwede?«
Jensen schüttelte verdutzt den Kopf.
»Is ja auch egal. Ich heiße Pit, alle nennen mich Struller. Wir duzen uns. Aber erst wird zu Ende gegessen, dann praktiziert.«
Er biss ins Brötchen ohne Belag und nippte am Kaffee. Das gab Jensen die Gelegenheit, seinen Tutor zu mustern. Struller mochte Mitte vierzig sein, er war schlank und hatte dunkle, kräftige Haare, allerdings ohne Frisur im engeren Sinn. Zur Jeans trug er ein hellblaues Sommerhemd. Und dazu, Hammer, eine Krawatte. Eine gehäkelte Krawatte. Dunkelbraun. Sensationell! Mit so einem Stück hätte er vergangenen Samstag auf der Achtzigerjahre-Party im Stahlwerk mit Sicherheit einen erheblichen Achtungserfolg eingefahren. Vor seinem Kollegen auf dem Schreibtisch lag eine orangefarbene Schachtel Ernte 23. Endlich lernte er mal jemanden kennen, der diese Marke tatsächlich raucht. Und noch lebt.
»Der Kaffee ist aus der Kantine und schmeckt grauenhaft«, erklärte Struller. »Sag ich dir gleich, damit hast du heute schon was gelernt.«
Im Büro stand die Treibhausluft wie dicke Brühe, was kein Wunder war, denn eine alte Eisenheizung mit dicken gelben Rippen bullerte auf Hochtouren.
Jensen wischte sich ein vorwitziges Schweißperlchen von der Stirn. »Es ist sehr warm hier.«
»Die Heizung ist kaputt. Die läuft immer. Außer im Winter, wenn es friert. Dann tut sie es gar nicht.«
Struller stand auf und deutete auf einen wuchtigen, leeren Holzschreibtisch. »Das ist dein Platz. Guck dich ein bisschen um, fass nichts an. Ich bin kurz pinkeln.«
Zack, war sein Tutor weg. Jensen ließ sich schwungvoll in einen abgewetzten Drehstuhl mit ausgefranster Armlehne fallen. Das heißt, die linke Armlehne war ausgefranst, die rechte fehlte komplett. Er lehnte sich nach hinten und stellte fest, dass die Rückenlehne wohl nur Deko war, denn er fiel krachend hintenüber zu Boden.
»Verdammt«, fiuchte Jensen und rappelte sich wieder in die Senkrechte.
Es dauerte dann geschlagene zwanzig Minuten, bis Struller wieder ins Büro zurückkehrte.
»Das nenne ich Ausdauer, Kollege, Respekt. Mit der Prostata alles in Ordnung?«
»Ich bin völlig gesund, mein vorlauter Sportsfreund, aber das trifft hier im Bau nicht auf alle zu.«
»Sorry, war nicht böse gemeint«, stammelte Jensen mit rot werdender Birne, denn ihm war Struhlmanns Spitzname eingefallen.
Vielleicht war der Kollege ja wirklich krank, dann war das natürlich megapeinlich jetzt.
Struller beugte sich tief über Jensens Schreibtisch und wisperte mit ernster Stimme: »Pass auf, ich erklär es dir. Hier im Haus, vielleicht sogar hier bei uns aufm Flur, gibt es einen Kranken, einen Abartigen, der überall, wo er geht und steht, seine Schamhaare hinterlässt. Wo der seine pechschwarzen Kräusele alles liegen lässt, ist mir persönlich eigentlich egal. Aber der lädt die regelmäßig auch hier ab, gegenüber, auf meiner Toilette. Auf meinem Pissoir!«
Struller schien ehrlich erbost.
Jensen blinzelte irritiert.
»Versteh mich nicht falsch. Es kommt ja durchaus vor, dass sich ein Schamhaar aus der Buxe verdünnisiert und dann auf dem Rand des Pissoirs landet, völlig normal beim Abschlagen. Hier aber gibt es ein krankes Hirn, der legt seine Haare regelmäßig und absichtlich oben auf die Keramik.«
»Oben auf den Rand?«
»Genau, das Schwein!«
»Das ist aber eklig!«
»Ja. Das passiert nicht zufällig. Oder kannst du mir erklären, wie ein Schamhaar oben auf den Rand der Keramik kommt, da, wo normale Menschen abspülen? Klettern kann das Haar ja hoffentlich nicht. Jeden verdammten Tag liegt da wieder so ein schwarzes Haar.«
Jensen schluckte.
Struller fuhr fort. »Deshalb gehe ich regelmäßig auf die Toilette. Ich muss gar nicht. Ich grenze den Täterkreis ein. Ich will wissen, wer dieses Ferkel ist. Und dann werde ich ihn beschimpfen, outen, bloßstellen und dafür sorgen, dass die Sau entlassen wird. Mindestens.«
»Verständlich«, fiüsterte Jensen.
Struller machte eine kleine Pause. »Oder ihn rasieren!«
Jensen lachte. »Okay, und ich dachte, du leidest unter Altersinkontinenz.«
»Nix da«, lächelte jetzt auch Struller. »Alles intakt und jederzeit einsatzklar. Aber du, ich meine, als Praktikant, der du mir ja doch die meiste Zeit nur auf den Sack gehen wirst, um mal im Bild zu bleiben, du könntest doch mal zeigen, ob du das Zeug zur richtigen Spürnase hast, und für mich rausfinden, wer das Ferkel ist.«
»Äh …«
Struller war von seiner Idee sichtlich begeistert. »Das ist doch mal die richtige Aufgabe für einen neuen Praktikanten.«
»Das ist echt fies.«
»Hallo? Das ist hier das Dezernat für Todesermittlungen. Das ist hier sehr oft sehr fies. Ich habe eine Fotomappe mit Highlights. Ein Best of Fies. Richtig, richtig fies. Muss ich dir später unbedingt mal zeigen. Aber erst kannst du zeigen, was du draufhast.«
Jensen wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Schamhaare auf der Herrentoilette? So hatte er sich das Praktikum bei der Mordkommission nicht vorgestellt.
Struller entnahm seinem Schulterholster die Dienstwaffe und legte sie in die Schreibtischschublade. »Und außerdem ist für heute Feierabend. Ich hab im letzten Monat an drei Tagen länger gearbeitet, ich muss Überstunden abfeiern. Wir sehen uns morgen früh hier im Büro in alter Frische. Ein gesundes Zeitmanagement ist auch sehr wichtig.«
»Ja«, knirschte Jensen. »Da habe ich heute ja schon wieder was gelernt.«
Aber als Struller sich beim Verlassen des Büros eine Kippe aus der orangefarbenen Schachtel schlug, hatte Jensen tatsächlich schon eine grobe Idee, wie er dem Toilettenübeltäter noch heute auf die fiesen Finger klopfen könnte.
* * *
Unten im Foyer angekommen, steuerte Jensen die Kantine an. Appetit hatte er keinen, aber Lust auf einen Becher Kaffee, auch wenn Struller ihm eigentlich vom Kantinenkaffee abgeraten hatte. Im Speiseraum waren nur wenige Plätze besetzt. Kolleginnen und Kollegen hockten vor orangefarbenen Tabletts und genossen das Tagesgericht. Flüsternd wurde der neuste Bürotratsch ausgetauscht.
Ein wirklicher Lichtblick saß an der Kasse. Lange blonde Haare und große blaue Augen, die ihn fragend anstrahlten.
»Einen Becher Kaffee zum Mitnehmen, bitte«, orderte Jensen.
»Nur Kaffee? Sonst kann ich nichts für dich tun?«
»Ähm, ne, danke.«
Die Kassiererin legte den Kopf schräg und kniff die Augen zusammen. »Du bist neu hier.«
»Stimmt.«
»So was sehe ich sofort, da habe ich ein Auge für.«
»Ich habe heute meinen ersten Tag, ich bin Praktikant.«
»Ah, herzlich willkommen«, hauchte die Verkäuferin, und es hörte sich an wie: Juhu, Frischfleisch!
»Danke«, antwortete Jensen.
»Dann sehen wir uns demnächst ja öfter. Ich bin die Katharina. Alle nennen mich Speedy. Der Kaffee macht eins fuffzig. Du siehst aus wie dieser Sänger von Oasis. Ich stehe auf Oasis. Und Sänger im Allgemeinen. Also, unter anderem. Keine Zeitung? Eine Zeitschrift? Ohne ein halbes Dutzend Zeitschriften kriegst du hier im Bau vor lauter Langeweile den Tag nicht rum, wirst du sehen. Wir haben auch den Kicker.«
»Ich hab schon Feierabend«, sagte Jensen, dem dann allerdings der wahrscheinlich zeitraubende Schamhaarfall einfiel. »Ich denke allerdings, dass mein Ausbilder mich auf Trab halten wird.«
»Wer ist es denn?«, fragte Speedy, die offensichtlich wirklich sehr gut informiert sein wollte.
»Kriminalhauptkommissar Struhlmann.«
Speedy nickte. »Struller? Den kenn ich. Er kommt knurrig rüber, aber ich komm mit ihm klar. Andere nicht so. Mach dir ein eigenes Bild. Das war es? Nur Kaffee, sonst nichts? Okay, eins fuffzig. Haste das passend?«
Jensen zückte sein Portemonnaie und drückte ihr zwei Münzen in die Hand. Grellrot lackierte Fingernägel. Achtzehn Ringe, schätzte Jensen. »Den Kicker nehme ich morgen.«
»Du lernst schnell«, lächelte Speedy. »Vielversprechend. Wenn du was wissen möchtest, melde dich. Ich kenne hier alles und jeden.«
»Da komm ich drauf zurück.«
»Ich kann es kaum erwarten«, grinste Speedy und blinzelte ihm zu.
Als Jensen das Polizeipräsidium verließ, fand er, dass sein erster Tag gar nicht so schlecht gewesen war. Selbst der Kaffee schmeckte ordentlich. Er griff hochmotiviert zum Handy, von wegen Feierabend. Es gab heute noch viel zu erledigen. Schnell tippte er eine Nummer in die Tastatur.
Der Teilnehmer meldete sich. »Dimitri Theossos. Ich verleihe alles. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin es, Jensen.«
»Malaka, du Knallkopf, was willst du?«
Jensen lächelte ins Handy hinein. »Ich möchte bei dir etwas leihen.«
* * *
Hmmm. Jensen räkelte sich wohlig. Grellrote Fingernägel furchten über seinen Rücken. Eine zweite Hand glitt fiach und zärtlich über seine Haut. Jensen spürte mehrere Ringe.
»Hallo, mein süßer Praktikant, bist du wieder wach?«
Jensen brummte eine Bejahung.
»Machen wir weiter, wo wir aufgehört haben?«, fragte Speedy.
Jensen stimmte brummend zu.
»Du musst ja auch noch viel lernen, mein Schatz«, behauptete Speedy und fügte lasziv hinzu: »Ich liebe … Frischfieisch.«
»Aha«, dachte Jensen erfreut.
»Frrrrrischfilllleisch!«
Jensen runzelte die Stirn.
Speedys Tonfall changierte ins Raubtierhafte. »Frrrrrischfilllleisch!«
Jensen riss seine Augen auf.
»Frrrrrischfilllleisch!«
Jensen fuhr herum. Erschreckt. Gänsehaut. Sein Bett! Aber keine Speedy. Dafür lärmte auf dem Nachttisch sein Mobiltelefon. Daneben leuchtete der Wecker. Mittwoch. Neun Uhr durch.
»Scheiße«, entfuhr es Jensen, verpennt.
Er riss das Handy ans Gesicht. »Christian Jensen. Hallo?«
Es war Struller. »Mahlzeit, Jensen. Wir haben doch gestern über gesundes Zeitmanagement gesprochen.«
»Verdammt, sorry, ich …«
»Hast du ein Auto?«
»Ja.«
»Einen Volvo?«
»Nein, einen Ford Mustang.«
»Reicht auch. Fahr auf dem Weg hierher ins Büro auf der Mintropstraße 119 vorbei und hole dort ein etwas größeres Foto ab. Die wissen dort Bescheid. Halt dich grob an die Verkehrsregeln, aber beeil dich.«
* * *
Eine knappe Stunde später wich Jensen im Foyer des Polizeipräsidiums einem torkelnden Halbbesoffenen aus, der – gerade aus dem Polizeigewahrsam entlassen – auf dem direkten Weg zum nächstgelegenen Büdchen war, um nachzufüllen. Fast wäre ihm das Plakat aus den Fingern geglitten. Ein etwas größeres Foto? Er hielt ein großes Stück Pappe in seinen Händen. DIN-A0. Entgegenkommende Kolleginnen und Kollegen musterten ihn amüsiert bis skeptisch, denn das Plakat zeigte die vier Mitglieder einer marokkanischen Heavy Metal Band. Mit nacktem Oberkörper. Eingeölt. Es wirkte befremdlich. Das Plakat war aber wohl das wichtige Beweisstück in einer anhängigen Mordsache.
Irgendwie schaffte Jensen es unfallfrei bis in die dritte Etage. Er stockte. Der Mann, der zusammen mit Struller im Büro 1321 auf ihn wartete, war Kriminaldirektor Brenner. Strullers Vorgesetzter. Hager, groß, dunkles Haar, schwarzer Anzug, schütterer Vollbart. Was wollte der denn? Und warum guckte der so ernst? So finster? Weil er einmal zu spät gekommen war? Und warum hatte dieser Brenner seine Sporttasche auf dem Arm?
»Guten Morgen zusammen.«
»Guten Morgen, Jensen. Ein Familienfoto?«, fragte Struller gemein grinsend und deutete mit ausdrucksloser Miene aufs Plakat.
»Äh …«
Struller wandte sich an Brenner und erklärte: »Das Beweisstück in einem Mordfall.«
Brenner schüttelte seinen Kopf. »Wie dem auch sei. Herr Jensen, kommen wir gleich zur Sache. Dem Kollegen Rademacher ist heute Vormittag aufgefallen, dass …?«
»Das ist das erste Mal, dass dem Rademacher irgendetwas aufgefallen ist«, knurrte Struller dazwischen.
»Dass das hier auf dem Schreibtisch stand«, fuhr Brenner fort. »Was ist das?«
Er hob Jensens Sporttasche leicht an.
»Eine Sporttasche, Herr Kriminaldirektor.«
Struller verdrehte die Augen. Herr Kriminaldirektor? Penner-Brenner nannten den hier alle. Aus vielen Gründen.
»Das sehe ich selbst! Der Verschluss der Sporttasche ist mit einem Schloss verschlossen. Warum?«
»Damit in meiner Abwesenheit keiner in die Tasche reinguckt.«
»Das ist mir natürlich auch klar, Jensen, aber was ist das für ein Loch hier vorne?«
Ein manikürter Zeigefingernagel deutete auf eine kreisrunde, mit einer Schere ausgeschnittene Öffnung am vorderen Ende der Tasche.
Jensen schluckte schwer. »Ein Loch. Nur ein Loch.«
»Aha. Nur ein Loch! Sie haben es hier nicht mit einem blöden Penner zu tun, Jensen!«
Eben doch, dachte Struller.
Brenner drehte die Tasche herum. »Wenn man hier schräg reinguckt, sieht man das Objektiv einer Kamera. Einer dort versteckten Kamera! Was filmen Sie hier in meinem Kommissariat mit versteckter Kamera?«
Jensen nahm die Tasche mit einer schnellen Handbewegung an sich und stellte sie auf Strullers Schreibtisch ab. »Darf ich? Danke. Ganz einfach! Hier in meinem Portemonnaie ist der Schlüssel. So, ich schließe die Tasche auf.«
Jensen entnahm der Sporttasche eine kleine Filmkamera, setzte die Tasche auf dem Boden ab und schob sie mit dem Fuß unter Strullers Schreibtisch.
»Dies ist eine kleine Kamera, die, das haben Sie ganz richtig vermutet, Herr Kriminaldirektor, auch als versteckte Kamera eingesetzt werden kann. Ich bin, das können Sie nicht wissen, leidenschaftlicher Vogelkundler. Ein altes, aber in jüngerer Zeit sehr vernachlässigtes Hobby. Um in einem Wald bei Wachtendonk, der einer entfernten Verwandten mütterlicherseits gehört, das in wenigen Tagen bevorstehende Schlüpfen dreier niederrheinischer Waldschleiereulen filmen zu können, habe ich mir diese kleine, aber sehr teure Kamera von einem Freund geliehen, der als freier Mitarbeiter für den WDR arbeitet und mit dem ich zusammen das Abitur gemacht habe. Diese Kamera ist, wie ich schon sagte, sehr teuer, und deshalb habe ich sie erstens in dieser unansehnlichen, alten Sporttasche versteckt, weil ich sie nicht offen, für jedermann sichtbar, an einem Baum befestigen möchte. Zweitens ist sie so zumindest ein bisschen wettergeschützt, auch wenn mein Freund sie als äußerst wetterunempfindlich beschrieben hat. Aber ich gehe mit anderer Leute Eigentum immer sehr sorgsam um.«
Struller hörte zu. Mit hochgezogenen Augenbrauen und fest zusammengekniffenen Lippen.
»Ähm …«, machte Brenner.
»Ich bitte höfiichst um Entschuldigung, sollte die Tasche mit Kamera zu welch auch immer gearteten Irritationen geführt haben«, sagte Jensen und ließ die Ladeklappe für die Filmkassette aufschnappen. »Sehen Sie, es ist noch nicht mal ein Film eingelegt. Die besonders lichtempfindlichen Filme für den Fall, dass die süßen drei nachts schlüpfen, bekomme ich von meinem Kumpel erst heute Abend.«
Jensen hielt dem verdutzten Penner-Brenner die leere, aufgeklappte Lade unter die Nase.
»Tja, dann … bin ich ja froh, dass alles … also … seine Richtigkeit hat, äh, Herr Jensen.«
Penner-Brenners Blick fand Struller, der seine Achseln hochzog. »Ich habe Ihnen ja gesagt, dass es eine vernünftige Erklärung für die Kamera in der Sporttasche mit dem Loch geben wird.«
»Ja, äh, gut. Dann will ich auch nicht weiter stören …«, murmelte Penner-Brenner mit kurzem Blick auf das Poster. »Bei der Arbeit.«
Der Kriminaldirektor zog die Tür hinter sich zu, Jensen pfiff sich erleichtert Luft über die Nase.
Struller schnalzte mit der Zunge. »Und jetzt Klartext, mein skandinavischer Freund. Was filmst du hier in meinem Büro mit versteckter Kamera?«
»Die Geschichte war doch gut?«
»Für Penner-Brenner, den Garnichtserkenner, hat sie gereicht, ja. Also? Was ist das für eine Kamera?«
»Die hab ich tatsächlich von einem Bekannten. Der arbeitet zwar nicht beim WDR, aber kann solche Geräte kurzfristig besorgen und verleiht sie. Fast ganz legal«, fügte Jensen noch hinzu, der froh war, dass Brenner die abgeschliffene Stelle nicht aufgefallen war, an der sich früher eine Gerätenummer befunden hatte.
»Aber du filmst damit keine Vögelchen.«
»Ich könnte mir kaum etwas Langweiligeres vorstellen. Als du heute ins Büro gekommen bist, hast du doch vorher wie immer das Pissoir kontrolliert.«
»Ja, und das haarige Ferkel hat wieder zugeschlagen.«
»Und die Tür stand schon offen?«
»Ja.«
»Wo stand meine Sporttasche?«
»Auf deinem Schreibtisch«, antwortete Struller und knurrte. »Ähm, ich hatte eigentlich dir eine Frage gestellt.«
Jensen tippte auf die Kamera. »Super! Ich habe die Sporttasche noch gestern spät abends auf meinem Schreibtisch abgestellt und sie so ausgerichtet, dass sie bei offen gelassener Bürotür filmt, wer die Herrentoilette aufsucht.«
Struller schlug sich interessiert eine Ernte aus der Schachtel.
»Ich habe kontrolliert, dass die Keramik sauber ist, und vor dem Verlassen des Büros die Kamera eingeschaltet. Wenn du sagst, dass jetzt ein lustiges Schamhärchen oben auf dem Becken klebt, wissen wir zumindest, wer alles auf der Toilette gewesen ist, und können den Täterkreis einschränken«, triumphierte Jensen.
»Schamhärchen sind nie lustig, Sportsfreund. Vielleicht hättest du aber vorher eine Filmkassette einlegen sollen«, gab Struller zu bedenken und nahm einen tiefen Lungenzug.
Jensen legte die Kamera ab, bückte sich, zog die Sporttasche unterm Schreibtisch hervor, langte hinein und brachte grinsend ein zweites, baugleiches Modell ans Tageslicht. »Ich habe mir gleich zwei Kameras besorgt. Falls das passiert, was jetzt passiert ist. Und hier ist eine Kassette drin. Alter Pfuschzetteltrick! Das ist ein Bewegungsding, das nur aufnimmt, wenn sich vor der Linse was tut. Der Akku läuft über vierundzwanzig Stunden.«
Struller sog den letzten Rest Nikotin aus der Zigarette und zerquetschte die Kippe im Ascher.
Jensen tippte seinem Partner an die Schulter. »Ich mach jetzt was mit dem Laptop und präsentiere dir in weniger als einer Stunde einen ultimativen Verdächtigenkreis.«
»Ich bin gespannt«, knurrte Struller mit einem Blick, scharf wie das Messer einer Guillotine.
»Die Idee mit der versteckten Kamera war gut, oder?«, versuchte Jensen ein Kompliment abzustauben.
»Du musst aufpassen«, kodderte Struller. »Die Gerätenummer ist rausgefeilt. Jeder nicht vollkommen vertrottelte Polizist sieht das sofort.«
* * *
Struller hatte sich mit dem Plakat der marokkanischen Musiker zu den Kollegen des Erkennungsdienstes begeben. Deren Chef, Faserspuren-Harald, hatte umfangreich erklärt, dass er ausschließlich auf Country- und Westernmusik abfährt. Struller drohte ihm Schläge an, woraufhin der Spurenchef mithilfe einer neuen Gesichtserkennungssoftware ermitteln konnte, dass der Schlagzeuger der Heavy-Metal-Band geschminkt und eigentlich Posaunist des Fanfarencorps Rot-Weiß Lierenfeld e. V. ist. Weil diese Information die Ermittlungen erheblich vorantrieb, war Struller bester Stimmung, als er eine Stunde später wieder in sein Büro zurückkehrte.
Jensen mochte die Stimmung nicht trüben. Im Gegenteil. »Du kommst gerade rechtzeitig, ich habe ein kleines, schmutziges Filmchen zusammengeschnitten.«
»Zeig!«, jauchzte Struller und glitt hastig an Jensens Seite, der den PC schon gestartet hatte.
»Okay. Sekunde null«, kommentierte Jensen salbungsvoll. »Ich habe mich vom ordnungsgemäßen Zustand der Keramik überzeugt, die Toilette ist sauber.«
Struller verdrehte die Augen. Auf dem Bildschirm fiimmerte es wild, dann erschien eine Person mit Schrubber und Eimer.
»Die Putze«, knurrte Struller.
Schnitt.
Die Reinigungskraft im blauen Kittel mit beigefarbenem Kopftuch kam wieder aus der Toilette raus.
Schnitt.
Ein junger Mann.
»Der Niedergeräter! Die Sau!«, schrie Struller.
»Langsam, Pit, wir …«
»Der Niedergeräter arbeitet bei der Schutzpolizei, unten in der Wache Bilk. Das ist gar kein richtiger Polizist. Martin Niedergeräter, ein Sportler. Fußballer! Linksfuß! Immer verdächtig. Der hat auf meiner Toilette nichts zu suchen!«
Schnitt.
Der Kollege verließ den Toilettenbereich.
Schnitt.
Ein tropfenförmiger Kollege im tannengrünen Sommerhemd schob sich in die Herrentoilette.
»Bertie Spurtmann. Dem ist wirklich alles zuzutrauen, alles! Der arbeitet in einer Abteilung beim Erkennungsdienst. Das ist der, der die Fahndungsfotos, die Verbrecherbilder, trennt. Die drei Schwarz-weiß-Bilder mit Vorgangsnummer: ganzer Typ, Kopf von vorne, Kopf von der Seite. Mit der Schere macht der das. Eigenhändig. Schnipp, schnipp. Seit vierzehn Jahren. Da muss man ja wahnsinnig werden!«
Struller leckte sich blutrünstig über die Lippen.
Schnitt.
Kollege Spurtmann erschien, sich die Hände sorgsam am Hemd abstreifend.
»Ha«, jubelte Struller, ganz aus dem Häuschen. »Hat sich noch nicht mal die Hände ordentlich abgetrocknet, das Ferkel! Das ist unser Mann, sag ich dir, das isser!«
Schnitt.
Struller schlug sich auf die Schenkel. »Verdammt, der Penner-Brenner!«
Kriminaldirektor Brenner glitt, sich den Bart nachdenklich kraulend, in den Toilettenbereich.
»Was macht der auf meiner Toilette?«, erboste sich Struller. »Der hat bei sich im Flur eine eigene Schüssel. Fremdscheißer, oder was?«
Schnitt.
Kriminaldirektor Brenner ging nach rechts, stockte, drehte sich, ging kopfschüttelnd nach links und verschwand.
Jensen drückte die Stopptaste. »Das war es, Pit.«
Struller legte seine Hand auf Jensens Schulter. »Das hast du sehr gut gemacht! Da lernt ihr auf der Polizeischule ja doch was Brauchbares, ausgezeichnet. Ich geh auf Nummer sicher und bringe alle drei um.«
»Ähm …«
Struller marschierte zurück hinter seinen Schreibtisch, klopfte eine Ernte aus der Schachtel und gab der Zichte Feuer. »Andererseits, wo die perverse Schamhaar-Wutz ja jetzt schon im Fahndungsnetz zappelt, sollten wir die Schlinge zuziehen, um dem Burschen ein für alle Mal das Handwerk zu legen. Wir sollten ihn identifizieren und dann menschlich-persönlich erledigen!«
Jensen packte seinen Kram weg. »Den Rest schaffst du auch ohne mich.«
Struller piekste mit der Fluppe in seine Richtung. »Moment, mein Sportsfreund, du bringst die Sache zu Ende! Niedergeräter, Bertie Spurtmann oder Penner-Brenner, wer ist der Schmutzfink? Ich habe keine Zeit, weil ich mir in Lierenfeld einen Fanfarencorps vorknöpfen muss.«
»Aber wie soll ich …?«, setzte Jensen zum Protest an.
»Lass dir was einfallen! Du scheinst ein kluges Köpfchen zu sein. Mach noch mal was mit der versteckten Kamera, was mit illegalen Drogen, mit Gewalt oder mit was auch immer! Zur Belohnung spendiere ich im Füchschen auf der Ratinger ein eiskaltes Zehnerfässchen.«
Jensen sträubte sich. »Ich glaube nicht, dass in meinem Lehrplan steht, dass ich mich auf Herrentoiletten rumtreiben soll.«
Struller zog zufrieden am Glimmstängel. »Die echten Lehrpläne, die schreibt das Leben.«
* * *