Gott suchen in der Krise -  - E-Book

Gott suchen in der Krise E-Book

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Beschreibung

Was bedeutet die Pandemie für Christen? Gott hat uns ein Leben in Fülle verheißen. Aber was ist mit der Corona-Pandemie? Wir wissen, dass Gott gut ist – aber wir wissen auch, dass vieles um und von ihm ein Geheimnis bleibt, das zu ertragen ist. Corona ist Anlass und Spiegel, grundsätzlich darüber nachzudenken, ob und wie der Glaube trägt. Wer Gott ist – und auf welche Weise er verlässlich ist. Namhafte Autorinnen und Autoren berichten ehrlich, wie sie mit solchen Glaubensfragen umgehen und wie ihre Beziehung zu Gott in Krisenzeiten belastbar und offen bleibt.

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ULRICH EGGERS (HRSG.)

Gott      suchen

in der Krise

GLAUBE UND CORONA

SCM ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-22991-2 (E-Book)

ISBN 978-3-417-26943-7 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

© 2020 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected]

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Witten/Holzgerlingen.

Weiter wurden verwendet:

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus

in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen. (NLB)

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, vollständig durchgesehene und überarbeitete

Ausgabe © 2016 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart. (EÜ)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. (LUT)

Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung, Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft.

Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten. (NGÜ)

Zürcher Bibel © 2007 Verlag der Zürcher Bibel beim Theologischen Verlag Zürich. (ZB)

Lektoriert von Tabea Tacke

Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.grafikbuero-sonnhueter.de

Titelbild: Bradley Dunn / unsplash.com

Satz: Lieverkus.Media, www.lieverkus.de

Inhalt

Über den Herausgeber

Vorwort zum Buch

Persönliche Erfahrungen

Über das große C von Ulrich Eggers

Was wirklich zählt von Stephan Holthaus

Einen anderen Glauben finden? von Ingolf Ellßel

Hoffnungslieder aus meiner Küche von Christoph Zehendner

Krise hoch drei von Claudia Filker

Sorge du! von Hanspeter Wolfsberger

Die Krise bringt uns ans Licht von Ulrike Bittner

Im Gegenwind segeln

Aus der Tiefe in die Weite von Peter Höhn

Getröstet von Birgit Schilling

Auf der Suche nach dem kleinen Sinn von Thorsten Dietz

Das Virus, die Haft, die Pest von Jürgen Werth

Gott Gott sein lassen von Astrid Eichler

In der Realität angekommen von Nicola Vollkommer

Wo ist Gott in der Krise?

Nicht im Homeoffice von Michael Herbst

Die Geige auf der Schultoilette von Ulrich Wendel

Der Schrei des Raben von Martin Schleske

Ein Wachrütteln Gottes? von Peter Strauch

Aber Gottes Wort ist nicht gebunden von Ulrich Parzany

Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe! von Bernhard Meuser

Orientierung bekommen von Ansgar Hörsting

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Über den Herausgeber

ULRICH EGGERSist Verleger und Geschäftsführer der SCM Verlagsgruppe und 1. Vorsitzender von Willow Creek Deutschland. Er ist verheiratet mit Christel, hat vier erwachsene Kinder und lebt in Cuxhaven.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Vorwort zum Buch

Ich bin betroffen

»Ihr Test ist positiv, Herr Eggers!« höre ich die Dame vom Gesundheitsamt sagen – und habe es nach rund einer Woche Quarantäne und Symptomen in Hals und Lunge schon geahnt (mehr dazu in meinem Beitrag …).

Corona – das große starke Wort, das große C, das so viel Emotionen freisetzt. Und Bilder: Notkrankenhäuser in China, vermummte Gestalten, die sich um wie Aussätzige behandelte Kranke scharen. Sargtransporte in Italien, hilflose Körper unter Sauerstoffbeatmung, tägliche Todeszahlen in den Medien. Was wird mit mir? Mit meiner Frau, meiner Familie, den Enkeln – da sind Leute, die mich brauchen. Da ist doch noch so viel Zukunft, auf die ich mich freue! Und nun das große unbekannte Fragezeichen. C – wie Corona. K – wie Krise. S – wie Sterben?

K – wie Krise. Wie kann man in einer Krise glauben? Hilft mir mein Glaube jetzt? Wo ist Gott in dem Ganzen? Redet er, antwortet er, hört er mich? Ist er weiter gut? Sieht er mich und uns? Wer und wie ist Gott mitten in solch einer Krise? Wie kann ich ihn suchen – und finden? Ist Gott Stütze und Kraft in einer Lebens-Krise – oder schweigt er?

Und dabei ist klar, dass Corona ja gar nicht die Krise für Leben und Glauben ist, als die sie uns jetzt nahekommt. In Wirklichkeit ist die Krise ständig präsent. Ist Krankheit, Leid, Schmerz und Verlust immer da. Ist der Tod immer mitten im Leben da. Nur eben nicht hier – so nah bei mir und uns im reichen Westen. So präsent, dass es jeden von uns so schnell, so leise und schleichend treffen könnte.

Ich denke an meinen Pastoren-Kollegen Werner, der schon viele Monate mit Leukämie im Krankenhaus liegt. Ich denke an die Ebola-Epidemien in Afrika. Tod und Leid sind immer präsent! Sind immer böse, brutal, schrecklich. Aber das war weit weg. Ich konnte so tun, als ginge es mich nicht groß etwas an. Ja, ich kann beten, vielleicht auch betroffen hinsehen, hier oder da helfen. Aber vor allem kann ich still und heimlich unendlich froh sein, dass das alles so weit weg ist. Und mich nicht betrifft. Glauben angesichts einer Krise? Wie gut, dass wir Leid und Fragen meist verdrängen können.

Jetzt sind wir alle in Gefahr. Denn die Corona-Pandemie ist uns ganz nah. Wird uns länger erhalten bleiben und eine Grund-Verunsicherung in unser Leben tragen, weil niemand mehr nach Corona so tun kann, als säßen wir auf einer Wohlstands-Insel der Seligen, auf der Leid und Gefahr immer nur andere trifft.

Fromme Sprüche – oder belastbar?

Corona zeigt uns, dass der Tod mitten im Leben ist. Und dass ich besser hinschaue und lernen muss, bewusster angesichts des Todes zu leben. Und zu glauben. Und mit Gott in Beziehung zu sein. Der mir das Leben gab, dem ich mich verdanke – und der Herr über Leben und Tod ist. Memento mori – die Erinnerung, dass ich sterben werde. Den Tod einüben durch die kleinen Tode. Und das macht etwas mit meinem Glauben. Das ist eine Grund-Verunsicherung, mit der ich klarkommen muss. So viele gute Verheißungen in der Bibel. So viel Gutes und Liebes, das ich Gott unterstelle. Und so viel hässlicher Tod und so viel Krise – wenn ich nur genau hinsehen will.

Corona lässt uns genau hinsehen. Macht wieder zur Tatsache, was immer Tatsache war: Dass wir leben müssen angesichts des Todes. Uns freuen und genießen dürfen – dicht neben dem Leid. Dass wir mitten darin glauben wollen, können, dürfen. Mit Gott, dem Herren über Leben und Tod leben. Aber wie genau?

Für dieses Buch haben wir 20 bekannte Christinnen und Christen gefragt, wie sie Glaube, Tod und Leben zusammenbekommen. Wie sie glauben angesichts der Verunsicherung durch eine Krise wie Corona. Die ja nur für all die real vorhandenen Krisen und Verunsicherungen unseres Glaubens quer durch alle Zeiten steht. Corona ist Anlass, grundsätzlich darüber nachzudenken, ob und wie der Glaube trägt. Wer Gott ist – und auf welche Weise er verlässlich ist. Gerade in Krisen brauchen wir eine warme, belastbare, offene Beziehung zu ihm. Und er hat versprochen, dass er sich finden lässt, wenn wir ihn suchen – wie aber kann das gehen? Welche Erfahrungen haben da andere gemacht? Was ist frommer Spruch – was belastbare Lebenserfahrung? Wie kann ich glauben in einer Krise? Und wie mag diese Krise wohl aus dem Blickwinkel Gottes aussehen – redet er durch sie, vermittelt Corona uns allen eine Botschaft?

Die Autorinnen und Autoren dieses Buches haben durch ihre Glaubens- und Lebenskompetenz Standfestigkeit und Resilienz im Glauben erworben. Sie sind keine Corona- oder Krisen-Spezialisten, sondern Menschen, die ihre Lebens- und Glaubenserfahrung teilen und so Wege, Ideen und Einsichten anbieten, die uns Zuversicht und Hoffnung geben können.

Ulrich Eggers, 19. April 2020

Persönliche Erfahrungen

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Über das große C

Von Ulrich Eggers

Plötzlicher Abbruch bei Willow

Die Szenen sind wie eingebrannt: Der schwierige Auftakt vom Willow-Creek-Kongress – erstmals ohne Bill Hybels. Große Spannung bei mir, aber die Eröffnung gelingt. Erleichterung – und die Kongress-übliche Action, VIP-Empfang, Pressekonferenz, Interviews, Absprachen. Mitten in der sechsten Einheit kommt Ben Lechner vom Management-Team nach vorne in unseren Veranstalter-Block und fordert uns mit ernstem Blick auf, mitzukommen. Wir marschieren durch die Menge nach hinten, sehen fragende Blicke.

Im zweiten Stock des Verwaltungsgebäudes der Messe erfahren wir, was los ist: Einer unserer Sprecher, mit dem wir uns vor dem Start getroffen hatten, liegt mit hohem Fieber im Krankenhaus. Gerade war das positive Testergebnis da: Corona! Gemeinsam mit gut 20 anderen Leitungsleuten und Referenten, die mit beim Vortreffen waren, sitzen wir in einem Quarantäne-Raum. Und müssen jetzt nicht nur rasch entscheiden, ob der Kongress abgebrochen wird, sondern müssen auch sofort nach Hause in Quarantäne. Es ist schwer, aber klar: Wir brechen ab.

Die Bilder aus diesem Raum sitzen tief: Schweigen, Schock, Trauer, Fragen, Witze, Entsetzen, Tränen, Gebetsrunden. Ein langer Blick zwischen mir und meiner Frau Christel, in dem alles gesagt ist … Das kleine Mädchen auf dem Flur, das hilflos weint und vergeblich getröstet wird. Hektische Entscheidungsrunden, Presse-Statements vorbereiten, welche Argumente zählen, mit wem darf ich gerade noch reden? Völlig konsterniert bereitet sich Jörg Ahlbrecht, der Willow-Producer, auf die Absage von der Bühne vor – er ist der einzige Leitende, der »unberührt« blieb und noch in den Saal darf. Dann der Strom der Besucher, die ruhig das Gelände verlassen. Schließlich dürfen auch wir gehen – unsere örtlichen Gesundheitsämter werden parallel informiert. Wir entscheiden uns, unseren Freund und Sprecher Gordon MacDonald mit nach Haus zu nehmen – er darf nicht zurück in die USA und kann ad hoc nirgendwo betreut werden.

Dann die lange Fahrt durch die Nacht, der Anruf einer unserer Töchter, die in Bremen bei der Übertragung den Abbruch mitbekommen hatte – und die sorgenvollen Blicke ihrer Gruppe. Wir trösten, geben eine erste Einkaufsliste durch, freuen uns über Liebe und Zusammenhalt. Kommen schließlich weit nach Mitternacht in das stille Haus. Lahmgelegt.

Zwischen Mut und Endzeitstimmung

Die folgenden 13 Tage aber sind nicht still, sondern voller Stress! Organisation rund um den Kongress-Abbruch und die SCM-Verlagsarbeit – eine Video-Sitzung jagt die nächste. Ständig Entscheidungen, Telefonate, Apps und Mails. Und Gordon im Haus, der die ganze Aufregung mit seinen 80 Jahren nicht so leicht wegsteckt, schwer hört (aus Sorge um die Batterien deaktiviert er gleich am Anfang sein Hörgerät, was uns unendlich Nerven kostet und erst am Ende der Zeit klar wird). Tägliche Selbstbeobachtung, Temperatur und Symptome eintragen in Listen des Gesundheitsamtes. Ich organisiere eine tägliche Mail an die Quarantäne-Leute, um einander zu ermutigen. Dann Halskratzen, erstes Fieber, Druck in der Brust – mit meiner angeschlagenen Lunge gehöre ich zur Risikogruppe, wir wissen das.

Schon bald merke ich, dass ich nur wenige Stunden arbeiten kann, dann geht es mir schlechter. Ständig horche ich in mich hinein: Bin ich positiv? Oder ist es nur der Stress draußen und im Haus? Gordons Tunnelblick und verklausulierte Fragen, die Sorge um Frau und Familie in den USA. Wir schwanken zwischen Mut und Endzeitstimmung, sind stark für Gordon und werden leise miteinander. Schließlich der Test bei mir und das positive Ergebnis – ich höre es abends und nutze die Nacht, um alles vorzubereiten: Info an Familie, Freunde, Firma, Willow-Mitstreiter, Quarantäne-Gruppe für den Morgen vorbereiten, vorsichtige Andeutungen an Gordons Familie – und am nächsten Morgen Gordon selbst: Nun ist eingetreten, was wir vor seiner Entscheidung für unser Haus bedacht hatten: »Wenn wir positiv getestet werden, bist du bei uns im Gefängnis, Gordon!«

Er trägt es mit Fassung – und wir ziehen uns noch mehr voneinander zurück. Schutzmasken, die meine Frau rechtzeitig besorgt hat, aufgeteilte Bereiche im Haus, wir schleichen mit Abstand aneinander vorbei. Gordon und Christel werden negativ getestet, meine Symptome bleiben mit viel Inhalieren und Ruhe beherrschbar wie meine übliche Winter-Bronchitis. Das Schlimmste ist die Psyche, die Vorstellungen und Ängste. Aber Christel bekommt Fieber: Ist es der Versorgungs-Stress wegen Gordon? Mit Stefan Bieber vom Willow-Büro reorganisieren wir Gordons Rückflug. Das Gesundheitsamt zeigt viel Verständnis und stellt rasch Bescheinigungen aus für etwaige Grenz-Probleme. Nervöse Stimmung im Haus: Schafft er es noch zurück, bevor die USA dichtmachen? Müssen wir ihn weitere Wochen in unserem angeschlagenen Zustand versorgen?

Die Macht der Bilder

Genau am letzten Tag vor der Schließung der US-Flughäfen schafft er es. Eine Last fällt ab, wir sind wieder frei für uns. Aber jetzt geht es meiner Frau immer schlechter, hohes Fieber – trotz mittlerweile zweimal negativem Test. Und immer wieder verfolgen uns die Bilder in den Medien, die Särge, das Leid auf den Krankenstationen, die Ohnmacht. Das Corona-Wort hat Macht, produziert Bilder. Die Infektion verläuft in Wellen. Man denkt, es geht wieder besser, aber dann wird es deutlich schlechter – und man kassiert alles positive Denken und die leichten Worte von gestern schnell wieder ein. Sorge und Angst übernehmen erneut – wo genau wird das enden? Haben wir wirklich diesesCorona, das wir da in der Tagesschau sehen? Was macht dieses große unheimliche C mit uns?

Als mich das Gesundheitsamt schließlich wieder gesundschreibt und ich endlich wieder das Haus verlassen darf, muss ich meine Frau Christel ins Krankenhaus bringen – der dritte Test und ein Lungen-CT bringen Gewissheit: Doch positiv, wohl schon länger. Und deswegen dazu jetzt eine virale Lungenentzündung, die man nur begleitend behandeln kann. Sie bekommt ein Malaria-Mittel zum Unterdrücken der Viren und Antibiotika – und erneut zieht die Angst ein bei uns. Was soll ich ohne sie? Ich lebe mein Leben so sehr zusammen mit ihr, bin so bezogen auf sie – was tue ich hier allein im Haus?

Gute Worte von Familie und Freunden sind da. Und wir beten und beten und beten. Täglich kann ich am Krankenhaus etwas abgeben, aber hinein komme ich nicht, Quarantäne-Station. Wie gut, dass es Facetime gibt! Schließlich entdecke ich ihr Fenster und winke ihr einige Male von draußen zu. Meine Tagesstimmung schwankt im Takt ihres Ergehens auf und ab. Und – danke, Gott! Nach acht Tagen kann sie das Krankenhaus verlassen. Wir sind wieder beieinander. Angeschlagen, noch geschwächt. Und nachdenklich – dem allen nach-denkend. Es wird dauern, ehe wir das alles verarbeitet haben. Und Corona gibt mir eine Erinnerung mit – ich kann nicht mehr riechen und wenig schmecken. Aber wir sind dankbar. Unendlich froh über jeden neuen Tag, den wir gemeinsam haben. Zeit ist kostbar …

Was hilft in der Krise?

Man wird hellhörig in Krisensituationen. Man hört und liest so viel gut Gemeintes. Und spürt heraus, was davon unter der Last eigener Erfahrung gesagt wird und was nur an-empfindend, in guter Absicht – aber ohne tieferes Verstehen. Manch frommen Spruch empfinde ich als aufgesetzt und billig. Weit weg von der realen Not. Bei manch zitiertem Bibelvers riecht man den pädagogischen Impetus – was aber nützt es mir, wenn ich höre, dass Gott uns keinen Geist der Furcht gegeben hat (vgl. 2. Timotheus 1,7) – ich aber gerade mitten in Angst und Sorge lebe?

So war das schon damals, als unsere erste Tochter starb. Ja, alles kann uns zum Besten dienen, was uns passiert (vgl. Römer 8,28), aber deswegen ist noch lange nicht alles gut! Seit diesem Sterben ist mir klar, wie ambivalent viele Verheißungen der Bibel verstanden werden können – und wie oberflächlich oft über die Liebe Gottes und unser Leben gesprochen wird.

Ja, Gott schützt, trägt, hält uns – und ich bin unendlich dankbar für all das, was es in meinem und unserem Leben Gutes gibt. Aber manches Gute ist durch das Schwere hindurch gewachsen. Denn nein, Gott schützt uns eben nicht vor allem Bösen – aber er trägt und hält uns darin. Und nein, nicht alles Böse endet gut. Ja, »alle Eure Sorge werft auf ihn« (1. Petrus 5,7; LUT) – nur stimmt eben nicht, dass (wie gerade in einem Corona-Ermutigungstext gelesen) »… er sich um alles kümmert«. Nein, das tut er nicht – zumindest nicht in jenem oberflächlichen Trost-Sinn, wie dieses Wort wohl verstanden werden sollte. Leben und Glaube sind komplizierter, ambivalenter, geheimnisvoller als wir es gerne hätten. Gott und mein Glaube sind keine Anti-Schmerz- und Leid-Versicherung, das Gebet kein Verhinderungsautomat für alles Ungute. Wenn Sturm kommt – stürmt es auch bei Christen.

Und genau das blenden wir so gerne aus. Denn darin begegnen wir der Unverfügbarkeit Gottes und der Ambivalenz von Leben und Tod. Der uns das Leben gab – kann es auch wieder nehmen. Kann zulassen oder wegschauen, wenn Leben bedroht ist – oder genommen wird. Warum Gott das zulässt, ist eine der bohrenden Fragen des Glaubens. Die Quelle immerwährender Zweifel. Eine fest eingebaute Ohnmacht vor dem Geheimnis Gottes – oder, ehrlicher: vor unserem Nichtverstehen Gottes. Wir können an ihn glauben, wir können ihn suchen, uns an ihn halten, den Glauben an ihn nicht aufgeben – aber wir können ihn nicht verstehen, in den Griff bekommen, unsere Ohnmacht in unangefochtene Fraglosigkeit verwandeln.

Kämpfen in der Krise

Und das macht Glaube anspruchsvoll – gerade in Krisen. Denn es ist ja gerade das Wesen der Krise, dass wir sie eben nicht im Griff haben. Sondern dass sie uns im Griff hat. Sie definiert sich geradezu durch unsere Ohnmacht und Einsicht, dass wir – jetzt gerade oder auch generell und letztlich – hilflos sind gegenüber den großen Zumutungen von Leid, Schmerz, Sterben und Tod. Dass Gott etwas zulässt, das wie ein Felsblock in unser Leben ragt, an dem wir nicht vorbeikommen. Der schmerzt und wund reibt und unverrückbar ist für uns.

Kein Leben ohne Krisen-Erfahrung. Kein Glaube – ohne dass wir den Kampf aufnehmen, auch in Krisen zu glauben. Denn es ist ein Kampf. Weil dieser allmächtige Gott doch all das mit einem Fingerschnipsen wegnehmen könnte, was er da gerade in meinem – oder im Leben eines geliebten Menschen – zulässt … es aber nicht tut! Und das als guter Vater und als unendliche Liebe, wie die Bibel sein Wesen beschreibt. Zu dem ich »Papa« sagen darf und mich kindlich vertrauend flüchten soll. Der mich kennt und geschaffen hat und bejaht. Der aber trotz all seiner Liebe, Güte und Allmacht ganz offensichtlich zulässt, dass mir oder anderen dies oder das passiert. Wie soll ich da glauben? Wie soll ich da mein Vertrauen bewahren? Wer ist dieser geheimnisvolle, unverständliche, liebende Gott, wenn es so wehtut und lebensgefährlich wird?

Glaube in der Krise ist ein Kampf. Ein Kampf, ob auch jetzt, wo der Himmel dunkel ist und meine Angst und Verzweiflung groß – stimmt und wirksam bleiben soll, wozu ich mich entschlossen habe: Ich will glauben! Denn das ist meine Einsicht: Ich muss und will den Kampf aufnehmen! Ich will festhalten an dem, der mir das Leben gegeben hat. Ich lasse ihn nicht los, auch wenn ich ihn gerade nicht verstehe. Ich halte die Hand fest, die mich doch gerade zu schlagen scheint. Ich habe mich entschieden dafür – und habe es in guten Tagen eingeübt, was jetzt in schlechten Tagen gelten soll: Gott ist Gott. Und ich bin sein Kind. Und er ist meine Zuflucht, auch wenn ich ihn gerade nicht verstehe.

Dennoch-Glaube

Ich bin froh, dass die Bibel neben unzähligen schönen Verheißungen eben auch die Tiefpunkte des Lebens schon mitdenkt: »Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat« heißt es in Hebräer 10,35 (LUT). Warum steht solch ein Vers in der Bibel? Eben weil wir durch die Wirklichkeit und Härte des Lebens immer wieder dieser Versuchung begegnen, unser Vertrauen wegzuwerfen. Weil unser Vertrauen so sehr von dem Guten und Schönen lebt – und das Finstere ausblenden will.

Aber der Kampf um meinen Glauben – um bleibendes Vertrauen – ist unser Überlebensmittel! »Dennoch bleibe ich stets bei dir; denn du hältst mich an deiner rechten Hand«, sagt Psalm 73,23 (LUT). Dennoch? Ja, weil es unter unseren Dächern auch schon vor und jenseits von Corona immer wieder Leid und Schmerz und Zerbruch und Verzweiflung gibt, mit denen wir leben müssen. Gott ist mittendrin – aber nicht die Versicherung dagegen! Er lässt oder mutet zu – und ich werde gerade dann nicht weglaufen, sondern mich an ihm festklammern. Das ist es, was ich will! Das ist Kern meines Glaubens.

Das ist es, wozu ich auch in dieser Corona-Krise Zuflucht genommen habe: Mich festzuhalten an ihm! Meine Sorge, Angst und meine Bitten auf ihn zu werfen – ich habe nichts Besseres! Und ich habe es wieder erlebt: Mein größtes C ist nicht Corona, sondern Christus, zu dem ich fliehe und zu dem ich bete. Christus hält – auch in meiner Sorge, Angst und Not. Ich habe es eingeübt. Und erlebe die Gnade, dass es gelingt. Er hält mich.

Wichtige Zutaten …

Aber natürlich, Glaube in der Krise lebt auch von guter Einsicht und bewährten Verhaltensweisen. All das trägt zum Durchkämpfen von Krisen-Situationen bei:

Die Segel reffen im Sturm – eine Krise bewusst annehmen und sich nicht überlasten mit Nebenthemen.

Bewusst Tag für Tag leben – und sich nicht von den Sorgen morgen und übermorgen und in der Langfrist-Perspektive Kraft nehmen lassen.

Den Tagen Rhythmus geben – sich einen Plan machen und ihn einhalten, Lasten und Freuden einteilen – Ruhn und Tun, Bogen und Verlauf achten.

Die Situation umarmen – und nicht verdrängen oder nicht wahrhaben wollen. Was ist jetzt dran? Was gilt? Im Annehmen liegt Frieden und Kraft und Fokus. Für und gegen das Richtige kämpfen lernen.

Sich Gutes tun – Dankbarkeit und Vorfreude sind für mich die großen Glücks-Tugenden des Lebens. Wofür kann ich jetzt Danke sagen, worauf kann ich mich heute freuen? Weiser Medienkonsum: Was baut mich auf, was zieht mich runter? Was ernährt Seele und Geist? Information ist gut und wichtig – Über-Konsum von schlechten Nachrichten verzerrt meine Wahrnehmung. Ich muss nicht das Leid der gesamten Welt bewältigen.

Den Glauben ernähren – aussprechen, was ist. Denn Beten bedeutet das Ausschütten meines Herzens vor Gott und ist konstantes Gespräch. Gutes lesen, Bibelverse, Liedtexte. Meine Glaubens-Hymnen hören oder singen, die mich trösten und aufbauen.

Familie und Freunde – sind meine Beziehungen so in Ordnung und bereinigt, dass Freundschaft und Familie jetzt stärken?

Bereit sein für eine Krise – das Wesen der Krise ist die Überraschung. Bin ich vorbereitet – in meinen Beziehungen, mit Kindern und Freunden, mit meinem Besitz, mit dem, was zu ordnen ist nach mir? Bereitsein entlastet und fokussiert für den Kampf.

… und keine Formel

All das und vieles andere, von dem man in diesem Buch lesen wird, hilft – jede/r muss seinen Weg darin suchen. Zentral war für mich, dass ich mich an Jesus festhalten konnte. Mein großes C – war Christus. Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist – egal, welche Beziehungsebene zur Dreieinigkeit die vertrauteste für Sie ist. Mein Halt war, dass sich das Gewollte und Erlernte in der Krise bewährt hat. Glauben wollen, Gott meine Not sagen, im Gespräch bleiben, meinen Tag zu ihm hin leben – und von ihm her. Mich ausliefern, hinhalten, festhalten.

In einer ähnlichen Krise und großer Angst habe ich mal im Schlaf einen Bibelvers geträumt oder unbewusst wahrgenommen, der mich zum Wesentlichen gerufen und an das erinnert hat, was ich leben will. Ich empfinde darin Gottes Aufruf, Mahnung und Zuspruch – und er fasst zusammen, was mir wichtig ist: »Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, wir sind des Herrn.« (Römer 14,8; LUT) Darum geht es!

Allerdings, nein, Augenblick – das ist keine Formel! Kein frommer Spruch. Das ist ein Leben in Beziehung, voll Auf und Ab und Kampf und Wüstenstrecken und sonnig-grüner Wiese. Das habe ich nicht sicher in der Tasche, sondern es will gelebt, ausgesprochen, gewagt, getan werden. »Danke, Jesus!« Das ist die Summe meines Glaubens. Das große C hält.

Ulrich Eggers

ist Verleger und Geschäftsführer der SCM-Verlagsgruppe und 1. Vorsitzender von Willow Creek Deutschland. Er ist verheiratet mit Christel, hat vier erwachsene Kinder und lebt in Cuxhaven.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Was wirklich zählt

Von Stephan Holthaus

Bergamo – der Name wird mir mein Leben lang im Gedächtnis bleiben. Diese norditalienische Stadt, vor der Corona-Krise den meisten höchstens durch die dortige Fußballmannschaft bekannt, wurde nun zum Inbegriff von allem Schrecklichen, was danach jedes Land unbedingt vermeiden wollte. Nirgends sonst gab es dermaßen viele Infizierte, nirgendwo sonst in Europa so viele Tote. Die Krankenhäuser waren völlig überlastet, die Kranken lagen in den Gängen. Ärzte und Pflegepersonal arbeiteten Tag und Nacht. Es fehlte an Beatmungsgeräten. Die Mediziner mussten entscheiden, wer behandelt wird und wer nicht, weil nicht genug Intensivbetten vorhanden waren – für jeden Arzt der Super-GAU. Öffentliche Beerdigungen fanden nicht mehr statt, weil zu viele zu schnell starben. Unfassbar die Bilder im Fernsehen, als die Armee die Toten auf Lastwagen zu anderen Friedhöfen abtransportierte, weil die Kapazität der Leichenhäuser nicht mehr ausreichte. An einem Tag, dem 15. März 2020, erschienen in der dortigen Tageszeitung L’Eco di Bergamo sage und schreibe fast 160 Todesanzeigen – 160!

Bergamo machte selbst den letzten Leugnern deutlich: Corona ist da, und brandgefährlich. Andere Großstädte stehen als Synonyme für die weltweite Bedrohung – seien es Wuhan oder New York City. Ja, sogar New York, die Stadt, die niemals schläft. Ein kleines, unsichtbares Virus wird zu einer der größten Bedrohungen der Menschheit. Kein Impfstoff vorhanden. Die Menschen sind ihm fast schutzlos ausgeliefert.

Und plötzlich steht unsere so unruhige, pulsierende Welt still. Lockdown überall. Die Uhr ist einfach über Nacht stehen geblieben. »Rien ne va plus« – nichts geht mehr. Einkaufshäuser und Schulen werden geschlossen, ganze Wirtschaftszweige kommen zum Erliegen. Lieferketten funktionieren nicht mehr, Auftragsbücher bleiben leer. Millionen werden arbeitslos oder gehen in Kurzarbeit. Von heute auf morgen stehen Unternehmen vor dem Aus. Besuche in Alten- und Pflegeheimen werden verboten. Gottesdienste finden nur noch online statt. Hochzeiten ohne Publikum, Beerdigungen nur im kleinsten Kreis, leere Fußballstadien, verwaiste Fußgängerzonen, Menschen mit Mund- und Nasenschutz, lange Schlangen vor den Bäckereien und Apotheken. Jeder geht auf Distanz. Und das weltweit, in jedem Land.

Corona macht mich sehr nachdenklich. Das Virus lehrt uns so vieles:

Corona zeigt uns – unser Leben ist unglaublich fragil und begrenzt. Es ist eine eigentümliche, kränkende Erfahrung in einer Zeit, in der doch alles unbegrenzt scheint. Unbegrenzt reisen. Unbegrenztes Wachstum. Unbegrenzte Möglichkeiten. Online sind wir weltweit unterwegs, immer mobil, alles steht uns offen. Und plötzlich sind wir eingesperrt, isoliert, können nur begrenzt eingreifen. Ohnmächtig stehen wir daneben, der Stift ist uns aus der Hand genommen. Wir können nur noch reagieren, nicht mehr agieren.

Corona ist eine bittere, aber heilvolle Botschaft an uns Menschen: Wir sind begrenzt. Wir haben nicht alles in der Hand. Corona macht demütig, zeigt unsere Abhängigkeit. Wir sind nur Geschöpfe, nicht Schöpfer, immer die vorletzte Instanz, nie die letzte. Eine harte Erfahrung, aber vielleicht auch heilsam. Sie rückt uns in die rechte Dimension, hebt uns herunter vom Sockel, führt uns zurück auf den Boden der Tatsachen. Wir sind Abhängige, Ohnmächtige.

Corona zeigt uns auch: In der Krise denken viele zuerst an sich. Hamsterkäufe offenbaren etwas sehr Grundsätzliches. Sie zeigen, was tief in uns steckt. In der Not ist jeder sich selbst der Nächste. Man macht die Schotten dicht, dreht die Augen nach innen, macht zu. Auch die Staaten schotten sich ab. Jeder will die Gesichtsmasken zuerst für sich haben. Rangeleien um Toilettenpapier, so kurios sie erscheinen, lassen tief blicken.

Das Virus legt eben auch manche dunkle Seite in uns offen. Wir sind nicht so gut, wie wir dachten. Corona erinnert an ein anderes Virus, das in uns allen steckt: das Virus der Sünde, der Selbstsucht. Corona zeigt: Wir sind alle erlösungsbedürftig.