Grenzenlos emotional - Martine Hoffmann - E-Book

Grenzenlos emotional E-Book

Martine Hoffmann

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Beschreibung

Rettungslos verliebt, fürchterlich einsam, rasend wütend oder alles zusammen – dieser Ratgeber nimmt Sie mit in den psychologischen Backstage-Bereich und erklärt, wie Gefühle unser Denken und Handeln beeinflussen und welche Strategien bei der Emotionsregulation, insbesondere bei Borderline-Erkrankungen, funktionieren. Die Lesenden erfahren, wie unser psychologisches Nervenkostüm entsteht und welche Fallstricke in bestimmten Bindungsstilen und Beziehungsmustern liegen. Zahlreiche praktische Tipps helfen beim sicheren Umgang mit den eigenen Gefühlen.

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Wenn Emotionen zur Sackgasse werden

»Manchmal fühle ich mich innerlich komplett leer oder habe das Gefühl, ich würde nie glücklich werden können. Gelegentlich ist es aber auch ein Gefühl, als ob alles zu viel sei und ich zu viele Emotionen in mir hätte.«

Martine Hoffmann, Gilles Michaux

Grenzenlos emotional

Von impulsiv bis Borderline

BALANCE ratgeber

Martine Hoffmann, Gilles Michaux

Grenzenlos emotional

Von impulsiv bis Borderline

1. Auflage 2018

ISBN-Print: 978-3-86739-164-1

ISBN-PDF: 978-3-86739-915-9

ISBN-ePub: 978-3-86739-916-6

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

BALANCE buch + medien verlag im Internet:www.balance-verlag.de

© BALANCE buch + medien verlag, Köln 2018

Der BALANCE buch + medien verlag ist ein Imprint der Psychiatrie Verlag GmbH, Köln.

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf ohne Zustimmung des Verlags vervielfältigt, digitalisiert oder verbreitet werden.

Lektorat: Sandra Kieser, Köln

Umschlaggestaltung: GRAFIKSCHMITZ, Köln unter Verwendung eines Bildes von time./photocase.de

Typografiekonzeption: Iga Bielejec, Nierstein

Illustrationen: Tim Piotrowski, Köln; Claus Ast, Nierstein

Satz: Psychiatrie Verlag, Köln

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Zum Geleit

Einstieg

Expedition in den psychologischen Backstagebereich

Emotionale Wesenszüge: jenseits von diagnostischen Schubladen und Kategorisierungen

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung: Unbekanntes Wesen oder bekanntes Unwesen?

Störungen der Emotionsregulation bei Borderline

Schieflage im Emotionschaos: Twilight Zone Borderline

»Alice im Borderland« oder die ver-rückte innere Welt

Wie wird eine Borderline-Persönlichkeitsstörung festgestellt?

Emotionsregulation aus entwicklungspsychobiologischer Sicht

Im Anfang war die Emotion: Gefühlsturbulenzen und deren Natur

Sicherer Stress und die F-Wörter der Affektregulation

»Friendly fire« und andere emotionsgeladene Irrlichter

Emotionaler Höhenflug und Tiefenrausch: die Fallstricke der Bindung

Die helle und die dunkle Seite des empfindsamen Ichs: Zwischen Selbstsuche und Selbstaufgabe

Ich denke, also bin ich Ich: Identität und Kognition aus entwicklungspsychologischer Sicht

Wer bin ich, wen will ich und wenn ja, wie viele? Identität und Integrität

Wirklichkeitswahn und Wahnwirklichkeiten: Scheinbar ist nichts, wie es scheint

Warum sich emotional instabile Menschen unbeabsichtigt ins soziale Abseits manövrieren

SOS-Gefühlstsunami: das Borderline-Empathie-Paradox

Im Nimmerland der Beziehungsmuster

»Folie à deux« oder geteilte Ver(liebt)rücktheit

Das Selbst im Spiegel des anderen

Ein Drahtseilakt ohne Netz und Boden

Das Aus nach dem Liebesrausch?

Wege zu einer stabil(isierend)en Emotionsregulation

Von der gefühlsstabilen Seitenlage bis zum affektiven Aderlass: Auswege aus dem Gefühlsstress

Sag, was du auf dem Herzen hast: die hohe Kunst gefühlvoller Kommunikation

»Just relax«: Tipps und Tricks im Umgang mit explosiven Gefühlen

Aufkratzende Gedanken gehen lassen

Die Flucht vom Todesstern: Selbstverletzung als Schutzfaktor oder Sprungbrett zum Suizid?

Einblicke in einen Therapieplan fürs Eingemachte

Tanz auf dem Vulkan: ein Schnellkurs für Angehörige, Partnerinnen und Partner

Auf den Punkt gebracht: Mythen und Fakten zu Borderline

Faktische und frühzeitige Vorboten erkennen und richtig (be)handeln

Auf ein Wort zum Schluss

Literatur

Über die Autoren

Zum Geleit

Jeder weiß, was Gefühle sind und was passieren kann, wenn diese anfangen, aus dem Ruder zu laufen, bei sich selbst und bei anderen. Aber was sind eigentlich Emotionen, und wie unterscheiden sich diese von Affekten, Stimmungen, und in welchem Verhältnis stehen diese zu Gedanken oder Kognitionen? Was passiert im Körper abhängig von der Stimmungslage? Was kann man machen, um unerwünschte Gefühle wieder auf ein Normalmaß herunterzuregulieren? Ist man schon krank, wenn man ab und zu mal ausflippt, oder wo genau verläuft die Grenze zum Pathologischen? Gibt es Menschen, die aufgrund ihrer biologischen Voraussetzungen, ihres Temperaments und ihrer Erziehung besondere Schwierigkeiten haben, ihren Gefühlshaushalt zu regulieren? Was sind eigentlich Persönlichkeitsstörungen und vor allem, was ist eine Borderlinestörung? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Wie kommuniziert man erfolgreich und manövriert auch sicher durch die Untiefen eines schwierigen, emotional aufgeladenen Gesprächs?

Antworten auf all diese Fragen finden Sie in diesem rundum verständlich und sehr unterhaltsam geschriebenen Ratgeber, der sich an Betroffene, deren Angehörige und Freunde und auch an Fachleute wendet. Den beiden promovierten Psychologinnen bzw. Psychotherapeuten Martine Hoffmann und Gilles Michaux ist es gelungen, einen Ratgeber zum Thema »Emotionale Instabilität« vorzulegen, der bei aller Anschaulichkeit und sehr guter Lesbarkeit nie oberflächlich oder vordergründig ist, sondern auch schwierige Zusammenhänge auf der Grundlage der neuesten wissenschaftlichen Grundlagen darstellt. Dabei kann man diesen Band auch als eine Einführung in die Psychologie verstehen, die so zentrale Bereiche des menschlichen Erlebens wie Kommunikation, Gefühle, Ausdrucksverhalten, Entwicklung, Wahrnehmung, Liebe, Verlieben, Kommunikationsregeln und Entspannung in höchst anschaulicher Weise beschreibt. Ich wünsche dem Buch eine breite Leserschaft unter all den Menschen, die aus privaten oder beruflichen Gründen, aus gegenwärtigem oder vergangenem Anlass Antworten auf die Frage suchen, warum (manche) Menschen so denken, fühlen und sich verhalten, wie sie dies tun.

Prof. Dr. Claus Vögele, Lehrstuhl für klinische und Gesundheitspsychologie, Universität Luxemburg

Einstieg

Mood spelled backwards means doom.

Sowohl in der Ausübung unseres Therapeutenberufes als auch im Privaten, haben wir die Erfahrung gemacht, dass Probleme aufgrund von emotionaler Instabilität häufiger sind als allgemein angenommen und dass Betroffene meist falsch diagnostiziert, häufig fehltherapiert und missverstanden werden. Dagegen wollten wir etwas tun und darum halten Sie diesen Ratgeber in Ihren Händen.

Wir beide sind im Bereich der psychologischen Prävention tätig. Prävention leitet sich vom lateinischen »praevenire« ab, was »zuvorkommen« oder »verhüten« bedeutet. Es geht uns nicht um die Vermeidung des Auftretens oder Entstehens dieser Art von Problemen (die sogenannte primäre Prävention) –, was bei frühen, in der Kindheit entstehenden (Persönlichkeits-)Störungen kaum machbar wäre –, sondern um die sogenannte sekundäre Prävention, d.h. die bessere Erkennung und Behandlung von bereits bestehenden Störungen, sowie um tertiäre Prävention. Hier geht es darum, Rückfälle nach erfolgreicher Therapie zu vermeiden oder die Umsetzung der in der Therapie erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu unterstützen. Sinn dieses Buches ist es demnach, Betroffene, Angehörige und auch Fachleute für die tief greifenden Gefühlsstörungen zu sensibilisieren und ihnen aufzuzeigen, was nach neuestem Erkenntnisstand die bestmögliche Versorgung darstellt. Der Ratgeber soll sowohl »Insidern« ein neues Verständnis ihrer Gefühlstumulte als auch ihrem Umfeld und ihren (medizinischen und psychologischen) Beratern und Behandelnden einen neuen Blick auf die emotionale Instabilität vermitteln.

Dabei gibt es bereits eine Vielzahl an Ratgebern zu dem Thema. Doch bevor Sie das Büchlein ins Regal zurückstellen, bitten wir Sie, einen Atemzug innezuhalten. Sie sind ja schon dabei. Blättern Sie weiter, werden Sie schnell merken: Dieser Ratgeber ist anders. Wie ein Reiseführer leitet er Sie als Lesende durch die Seelenlandschaft menschlicher Gefühlswahrnehmung zu den verschiedenen Ebenen der geistigen Informationsverarbeitung und veranschaulicht anhand zahlreicher Beispiele und Bilder, wie man vom gefühlsbetonten Wahrnehmen und Fühlen zum gefühlvollen Denken und Handeln kommt.

Ein hingebungs- und gefühlvoller Liebhaber, eine leidenschaftliche und hemmungslose Tanzpartnerin, einen empfind- und einfühlsamen Lebenspartner, was wünscht man sich mehr? Doch vielen unter uns sind Gefühle ein Graus, es ist, als ob sie von ihren Emotionen von innen verzehrt werden. Gefühle und deren Wechselbäder sind für sie eine regelrechte Qual, oftmals ohne dass sie sich bewusst sind, dass ungünstige Verhaltensweisen wie Essanfälle oder sich aufzuritzen darauf zurückgehen, dass sie Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Emotionen haben. Diesen Menschen wollen wir auf dem mühseligen Weg durch die wüste Gefühlsleere und das Auf und Ab der Gemütslagen beiseitestehen, mögliche Stolpersteine aus dem Weg räumen und Wegmarken aufstellen, wenn jemand aus der emotionalen Bahn geworfen wird.

Wir erklären, was Emotionen überhaupt sind, wie sie entstehen und wie sie im Chaos enden können. Das Buch zeigt aber auch Pfade auf, die aus emotionalen Sackgassen herausführen, und gibt erste Hilfe zur Selbsthilfe. Es ist dabei nicht nur für die Betroffenen selbst geeignet, um sie auf der gefühlsgeladenen Berg- und Talfahrt zu begleiten, sondern richtet sich auch an deren Beifahrer und Beifahrerinnen, sprich Freunde und Angehörige, indem es ein besseres Verständnis der emotionalen Überschwänglichkeit und Empfehlungen zu einem optimaleren Miteinander gibt.

An dieser Stelle möchten wir uns bei allen bedanken, die diesen Weg mit uns gegangen sind, dem BALANCE buch und medien verlag, insbesondere unserer Lektorin Sandra Kieser für ihre angenehme professionelle Art, den Betroffenen, die wir über unsere Arbeit kennenlernen durften und die uns unter den Pseudonymen »Frauke« und »Manne« ihre Sicht der Dinge mit auf den Weg gaben, Stéphanie Magar für ihre Unterstützung bei der Falldokumentation und zu guter Letzt unseren Partnerinnen für das wohlwollende Zulassen von zeitlichen Freiräumen zum Schreiben.

Expedition in den psychologischen Backstagebereich

Um menschliches Erleben und Verhalten beschreiben, erklären und verändern zu können, ist es zunächst erforderlich, ein allgemeines Verständnis für die Grundlagen des psychischen Funktionierens zu entwickeln. Mit anderen Worten, es geht darum zu verstehen, wie Menschen psychisch »ticken« und warum sie das so und nicht anders tun. Dabei soll – aus unterschiedlichen fachlichen Blickwinkeln – auch beleuchtet werden, was es bedeutet, »auszuticken«. Welche Mechanismen sind daran maßgeblich beteiligt und (wie) kann man diese wieder »auf Spur« bringen?

Hierfür ist ein Blick hinter die Kulissen, d.h. jenseits der phänomenologischen Beschreibungsebene, erforderlich. Wir laden Sie also ein auf eine Expedition in den psychologischen Backstagebereich.

Emotionale Wesenszüge: jenseits von diagnostischen Schubladen und Kategorisierungen

Alle Menschen sind zugleich einzig-artig und eigen-artig. Jeder und jede hat seine ganz eigene individuelle Art und Weise, sich mit sich selbst und seiner Umwelt auseinanderzusetzen. Dazu gehört, wie man sich selbst, seine Mitmenschen und die Welt wahrnimmt und die Dinge, die einem passieren, erklärt und bewertet. Aber auch, welche Stimmungen, Werte, Überzeugungen und Gepflogenheiten im eigenen Leben vordergründig sind und wie man mit diesen umgeht. So ist die eine beispielsweise eine Frohnatur, ist kontaktfreudig, zugewandt und offen im Umgang mit anderen Menschen. Der andere dagegen ist eher eigenbrötlerisch, schüchtern und verschlossen und lebt mehr in seiner inneren Welt. Ein anderes Beispiel: Manche Menschen können allem, was ihnen im Leben widerfährt, etwas Positives abgewinnen. Sie haben einen unerschütterlichen Optimismus, lassen sich nicht unterkriegen und gehen immer gestärkt aus Krisen hervor. Andere dagegen sehen in allem nur das Negative oder Gefährliche, trauen sich nichts zu, sind ängstlich und schon mit Kleinigkeiten überfordert. Dies führt zu Beschreibungen von Personen als extravertiert, abenteuerlustig, offen, verschlossen, ängstlich, etc.

Diese für einen Menschen typische Konstellation von Eigenschaften, seine unverwechselbare Art, wahrzunehmen, zu denken, zu fühlen, zu empfinden und Beziehungen zu gestalten, machen seine Persönlichkeit aus. Die Persönlichkeit ermöglicht es dem Menschen, sich auf der einen Seite kontinuierlich und vorhersagbar zu definieren, und auf der anderen Seite garantiert sie eine gewisse Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an neue Situationen und Veränderungen der Umwelt. Nach heutiger Auffassung stellt die Persönlichkeitsentwicklung und -reifung einen über das gesamte Leben andauernden Prozess dar, der durch das Zusammenspiel von biogenetischen Voraussetzungen, psychosozialen Faktoren und Umwelteinflüssen geprägt wird.

Dann gibt es auch noch den Begriff »Persönlichkeitsstörung«. Da die Persönlichkeit so fest mit der eigenen Identität verbunden ist, mag der Begriff Persönlichkeitsstörung suggerieren, dass etwas fundamental mit der eigenen Person nicht in Ordnung sei. Wichtig ist aber: Eine Persönlichkeitsstörung ist keine Störung der »Gesamtperson« oder Be-Wertung des Charakters, sondern im Kern eine Beziehungsstörung (SACHSE 2014). Die Persönlichkeit eines Menschen ist ein tief greifendes und dennoch flexibles Muster des Erlebens und Verhaltens. Leidet jemand unter einer Persönlichkeits-»störung«, so fehlt der Person in gewisser Weise diese Flexibilität. Dazu kommt, dass manche Menschen bestimmte Persönlichkeitszüge oder -eigenschaften aufweisen, die verstärkt dazu führen, dass sie immer wieder mit ihrer Umwelt in Konflikt geraten.

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung: Unbekanntes Wesen oder bekanntes Unwesen?

Die Borderlinestörung nimmt innerhalb der Persönlichkeitsstörungen eine Sonderstellung ein. Als sogenannte hybride (gemischte) Persönlichkeitsstörung wird eine deutlich stärkere biologische Komponente angenommen, als dies bei anderen Persönlichkeitsstörungen der Fall ist.

Historisch betrachtet handelt es sich um eine Störung mit langer kontroverser Vergangenheit. Kaum ein anderes Störungsbild hat vergleichsweise so viele Theorien und Erklärungsversuche, aber auch Mythen und Geschichten produziert, wie Borderline. Das Störungsbild an sich ist keineswegs eine Erscheinung der Neuzeit. Bereits im 17. Jahrhundert schrieb der englische Arzt Thomas Sydenham über Patientinnen und Patienten, die durch ihre extreme Launenhaftigkeit auffielen, die »ohne jedes Maß jene liebten, die sie alsbald ohne jeden Grund hassten«. Ebenso beschrieb er Symptome wie Wutausbrüche, Angst und Schmerz, unter denen die Betroffenen litten.

Der Begriff »borderland«, zu Deutsch »Grenzgebiet«, und die abgeleitete psychiatrische Bezeichnung »borderland insanity« sind mittlerweile schon über 130 Jahre alt. Die Verkürzung »Borderline« ist dagegen relativ jung und hat ihre Wurzeln in der Psychoanalyse und in der Psychopathologie. Namensgeber war der Psychoanalytiker Adolf Stern, der in den 1930er-Jahren ein Krankheitsbild beschrieb, das weder der Gruppe der Neurosen noch der Psychosen eindeutig zugeordnet werden konnte, sondern auf einer Grenzlinie (engl. borderline) angesiedelt sei.

Zur gleichen Zeit bezeichneten die beiden Psychiater Paul HOCH und Philip POLATIN (1949) Patientinnen und Patienten mit einer Reihe formaler und inhaltlicher Denkstörungen als »borderline cases« und entwickelten das Konzept der pseudoneurotischen Schizophrenie. KNIGHT (1953) schließlich führte den Begriff »Borderlinestörung« ein, woraufhin eine Vielzahl von Publikationen zu dem Thema folgten, die jedoch anstelle von konzeptueller Klarheit eine zunehmende begriffliche und inhaltliche Verwirrung herbeiführten.

In der Folgezeit waren es insbesondere die Arbeiten von Otto F. Kernberg, die die Entwicklung der Borderlinekonzeption vorantrieben. Kernberg fasste Borderline als Persönlichkeitsstörung, bettete diese in ein weitergefasstes Konzept der Borderline-Persönlichkeitsorganisation ein und unternahm den Versuch, einzelne Persönlichkeitsstörungen innerhalb dieser Organisationsform zu verorten und miteinander in Beziehung zu setzen.

Im Jahr 1980 fand die Borderline-Persönlichkeitsstörung schließlich Eingang in das Diagnostische Statistische Manual (DSM) der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft. Ausschlaggebend für diese Entwicklung war die von GUNDERSON und SINGER (1975) publizierte Übersichtsarbeit, die erstmals konkrete Charakteristiken zur Beschreibung der Borderlinestörung herausstellte. In mehreren Überarbeitungen wurden die von Gunderson präzisierten, fünf typischen Merkmale der Borderlinestörung weiter ausdekliniert und auf neun erweitert. Hervorzuheben sind dabei das von Kernberg postulierte Merkmal der »instabilen Identität« und die letzte Erweiterung des Kriteriums eines »stressabhängigen Realitätsverlustes«, das dazu führte, die Borderlinestörung in früheren psychiatrischen Beschreibungen in den Grenzbereich zur Schizophrenie zu verorten.

Obschon Borderline heute zu den am meisten erforschten Persönlichkeitsstörungen zählt, wird sie – nicht zuletzt aufgrund der Komplexität und Heterogenität ihrer Erscheinungsform – weiterhin kontrovers diskutiert. Um das Chaos der teils unscharfen und synonym verwendeten Begrifflichkeit zu überblicken, wird in Fachkreisen zwischen der Borderline-Persönlichkeit, dem Borderline-Syndrom und dem Borderline-Zustand unterschieden.

Borderline-Persönlichkeit bezeichnet gleichbleibende Strukturmerkmale einer Person, die aber nicht notwendigerweise zu den Störungen und Problemen führen muss, die wir in diesem Buch ins Visier nehmen. Borderline-Syndrom steht für die typischen Symptome, die häufig gemeinsam auftreten, und Borderline-Zustand für kürzere zeitliche Verlaufsperioden der jeweiligen Symptomatik.

Bleibt festzuhalten:

Menschen mit Persönlichkeitsstörungen haben eine vergleichsweise andere Sicht der Welt und einen anderen Umgang mit ihr, als die meisten anderen Menschen. Daraus resultieren Verhaltensmuster, die das persönliche Leid in vielen Lebensbereichen (z.B. zwischenmenschlich, beruflich, gesetzlich) immer wieder neu hervorrufen und aufrechterhalten. Wichtig aber ist zu betonen, dass diese Verhaltensmuster nicht etwa angeboren sind, sondern »erlernt« wurden und somit auch immer eine Veränderung, im Sinne eines »Neu-Lernens«, möglich ist.

Borderline ist weder eine Verlegenheitsdiagnose noch eine Modeerscheinung, sondern ein eigenständiges, wenngleich hochkomplexes Störungsbild.

Störungen der Emotionsregulation bei Borderline

Schieflage im Emotionschaos: Twilight Zone Borderline

Kaum jemand kann von sich behaupten, immer vollkommen emotional ausgeglichen zu sein. Stimmungswechsel sind normale Vorgänge, die jeder Mensch in unterschiedlicher Ausprägung am eigenen Leibe erfährt. Kaum jemand hatte noch nie einen schlechten Tag, wir alle wissen, wie dünnhäutig, reizbar oder verletzbar man sich dann fühlt. Wie schnell man etwas in den falschen Hals kriegt und »aus der Haut fährt« oder am liebsten »abtauchen« und sich unter der Bettdecke verkriechen möchte. An solchen Tagen nimmt man sich selbst und seine Umwelt anders wahr, man reagiert sensibler und deutet die Dinge anders als sonst. So wird zum Beispiel die allmorgendliche Begrüßung des Arbeitskollegen plötzlich als heuchlerisch empfunden, der Blick des Chefs als Ausdruck von Misstrauen interpretiert oder die kurzfristige Absage der besten Freundin zum Mittagessen als Desinteresse an der eigenen Person bewertet. Entsprechend »impulsiv« mag dann die Reaktion ausfallen. Die Gefühle bestimmen alles – Erleben und Verhalten. Man sagt schnell verletzende oder tut unüberlegte Dinge. In der Regel findet man jedoch relativ schnell wieder zu seinem inneren Gleichgewicht zurück. Im Nachhinein erscheint das eigene Verhalten einem dann meist situationsunangemessen, übertrieben oder peinlich.

Während derartige Zustände für die meisten Menschen eher die Ausnahme sind, sind sie für Menschen mit Borderline an der Tagesordnung. Ihnen fehlt das, was die Psychologin Marsha Linehan eine schützende »emotionale Haut« nennt, die dem Erleben und Verhalten einen Rahmen gibt und ausufernde Affekte »im Zaum« hält: Diese »emotionale Haut« hilft zu erkennen, dass man zwar wütend ist, aber auch wieder zugewandt sein kann, dass man verunsichert ist, aber auch wieder Vertrauen fassen kann. Kurzum, dass man komplexe und teilweise gegensätzliche Gefühle und ein Sowohl-als-auch im Leben zulassen kann. Psychologen oder Therapeutinnen nennen dies Ambivalenztoleranz.

Fehlt dieser emotionale Katalysator, so können bereits schwache Reize, seien es bestimmte Situationen von außen – eine geäußerte Kritik, ein falscher Blick – oder aber die eigenen belastenden Gedanken ausreichen, um einen regelrechten Gefühls-Tsunami auszulösen, unter dessen Flutwelle nichts mehr Bestand hat: Das Selbstbild, die persönlichen Ziele, Werte, Überzeugungen – sogar die eigenen Vorlieben – können sich schlagartig verändern. Aber damit nicht genug: Die Gefühlswelle flutet auch die Wahrnehmung und Beurteilung anderer Menschen. Mal ist der Arbeitskollege, die Chefin oder die Freundin nahezu »perfekt«, mal sind sie nur noch kalt, gemein, abweisend oder hinterhältig. Menschen mit Borderline oszillieren zwischen extremen Gefühls- und Erlebensweisen, zwischen einer radikalen Dualität, die die bunte Vielfalt und die Komplexität des Seins zur Schwarz-Weiß-Dichotomie reduziert. Mit anderen Worten: Ihnen fehlt die Gewissheit, dass in ein und demselben Menschen – sie selbst eingeschlossen – gleichermaßen gute und weniger gute Anteile existieren und erst die Gesamtheit dieser Anteile die ganze Person ausmacht.

Es ist verständlich, dass die emotionalen Wechselbäder, das schlagartige »Switchen« zwischen extremen Erlebens- und Verhaltensweisen sowie die unzureichende Fähigkeit zur Selbstberuhigung Zündstoff für Beziehungskonflikte und unvorhersehbares – mitunter sogar rücksichtsloses – Verhalten sind. Solange jedoch keine Auslöser für das impulsive Verhalten wirksam werden, können emotional instabile Menschen sehr intelligent, einfühlsam, kreativ und beruflich brillant sein. Nichts an ihrer Erscheinung und an ihren Äußerungen muss auf eine Störung schließen lassen. Gleichzeitig kann das Störungsbild sehr unterschiedliche Erscheinungsformen und Ausprägungsgrade haben. Den »typischen Borderliner« gibt es ebenso wenig wie den typischen Asthmatiker!

Hier mag sich vielleicht die Frage aufdrängen, wie sich Borderline zu Asthma verhält? Auf den ersten Blick überhaupt nicht. Asthma ist eine chronische Atemwegserkrankung und Borderline zählt zu den Persönlichkeitsstörungen. Im übertragenen Sinne jedoch kann die emotionale Instabilität als psychologisches Pendant zur instabilen Lungenfunktion des Asthmatikers gesehen werden. Betroffene von Borderline riskieren, psychisch an ihren Gefühlen zu »ersticken«, Asthmatiker physiologisch an Sauerstoffmangel. Bei beiden gibt es Zeiten mit wenigen und Zeiten mit massiven Beschwerden. Für beide existieren Behandlungsmethoden, die es ermöglichen, die Symptome »in den Griff« zu bekommen. Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Borderline und Asthma sind gewissermaßen gleich verschieden und verschieden gleich. Wem dieser Vergleich zu ver-rückt erscheint, mag ihn einfach ignorieren.

Einige Menschen mit Borderline, vor allem diejenigen, die sich in therapeutische Behandlung begeben, verfügen über ein erstaunliches störungsspezifisches Wissen. Außerhalb von Phasen extremer Reizüberflutung sind sie in der Lage, sehr genau zu erkennen und zu benennen, wenn belastende Gedanken sich verselbstständigen oder negative Spannungszustände sich in ihnen ausbreiten. Wird jedoch eine bestimmte Reizschwelle überschritten, verlieren sie sprichwörtlich den Boden unter den Füßen und damit die Selbstkontrolle.

Für Außenstehende ist dieser schlagartige Wesenswandel eines Menschen, der sich kurz zuvor noch ganz rational verhalten hat, nicht (be-)greifbar. Für die Betroffenen beginnt eine emotionale Achterbahnfahrt auf unbestimmte Zeit. Ungewollt werden die Außenstehenden zu Mitreisenden. Und anders als in der Achterbahn, wissen alle Fahrgäste nicht, wann, wo und wie die Fahrt enden wird.

»Alice im Borderland« oder die ver-rückte innere Welt

Alice: »Aber ich möchte nicht unter Verrückte kommen.«

Grinsekatze: »Oh, das kannst du wohl kaum verhindern. Wir sind hier nämlich alle verrückt. Ich bin verrückt. Du bist verrückt.«

Alice: »Woher willst du wissen, dass ich verrückt bin?«

Grinsekatze: »Wenn du es nicht wärest, dann wärest du nicht hier.«

(Carroll Lewis, »Alice im Wunderland«)

Obschon emotional instabile Menschen in unterschiedlichen Lebenskontexten einwandfrei zurechtkommen können, ist ihre innere Welt zwielichtig. Sie leben am selben Ort, aber in einer anderen Erlebenswirklichkeit wie Menschen ohne Borderline. Welche Wirklichkeitssicht nun die »realere« oder weniger ver-rückte ist, liegt im Auge des Betrachters. Denn letztendlich ist das, was man allgemein als Wirklichkeit bezeichnet, eigentlich ein »Hirngespinst«, eine mentale Konstruktion, ein kreatives Produkt unseres Geistes. Es gibt somit keine absolute Wirklichkeit, sondern lediglich unterschiedliche Wahrnehmungen und Sichtweisen der Wirklichkeit. Diese wird wiederum durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, auf die an anderer Stelle im Buch noch ausführlich eingegangen wird (ab S. 90). Als gesichert kann jedoch gelten: Das Verhalten von Menschen mit Borderline einseitig aus der Optik des »normalen«, sprich mehrheitlich geteilten Realitätsverständnisses zu betrachten, wird der Komplexität und Vielschichtigkeit dieses Phänomens nicht gerecht. Damit der Spagat gelingt, ist ein wechselseitiges Welt- und Wirklichkeitsverständnis erforderlich.

Wenn wir im Buch von »ver-rückt« in Bezug auf menschliche Erlebens- und Verhaltenswelten sprechen, so ist dies nicht gleichzusetzen mit pathologisch oder krank. Wir wählen diese Bezeichnung ganz gezielt, um Abstand zu nehmen von Kategorien wie »gesund«, »krank« oder »pathologisch«. Vielmehr gehen wir von einem Kontinuum aus, auf dem sich unterschiedliche Ausprägungen von Mustern des psychologischen Funktionierens verorten lassen. Da wir uns folglich alle nur graduell in unseren psychischen Erlebens- und Verhaltensmustern unterscheiden, sind wir alle mehr oder weniger »ver-rückt«. Vor diesem Hintergrund weisen auch emotional instabile Menschen im Wesentlichen extreme Ausprägungen normalen psychischen Funktionierens auf (vgl. SACHSE 2014). Tatsächlich entstehen dabei oftmals Verhaltensweisen, die unzweckmäßig, unangepasst oder geradezu absurd erscheinen und folglich zu problematischem Verhalten führen. Von daher ist es umso wichtiger, die »Psycho-Logik« hinter den Verhaltensweisen von emotional instabilen Menschen näher zu beleuchten. Versteht man erst einmal die zugrunde liegenden Wirkmechanismen und deren Zusammenhänge, dann verlieren die dysfunktionalen, d.h. eher schädigenden Reaktionsmuster viel von ihrer augenscheinlichen »Ver-rücktheit« und eröffnen neuen (Be)Handlungs- und Verhaltensspielraum. Jetzt aber mal Butter bei die Fische …

Wie wird eine Borderline-Persönlichkeitsstörung festgestellt?

Eine Ärztin oder ein Psychologe kann nicht einfach »aus dem Bauch heraus« Diagnosen erteilen. Um eine Diagnose stellen zu können, muss geprüft werden, ob bestimmte vorgefasste Kriterien (Erscheinungen) erfüllt sind oder nicht. Die beiden wichtigsten Klassifikationssysteme sind das Diagnostische Statistische Manual (DSM; mittlerweile in der fünften überarbeiteten Fassung) der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft und das »Internationale Klassifikationssystem der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme« (ICD; in der zehnten Fassung) der Weltgesundheitsorganisation.

Der Sinn dieser Systeme liegt darin, dass man sich auf eine Definition von Krankheiten geeinigt hat. Gäbe es sie nicht, würde sich jeder Psychiater, jede Psychologin alleine ausdenken, wer an Borderline erkrankt ist und wer nicht – ja, wie Borderline auszusehen hat. Insbesondere international vergleichbare Forschung zu den Krankheiten wird erst durch diese Systeme möglich.

Im ICD-10 wird die Borderlinestörung als eine Unterform der Emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung gefasst. Zwei Erscheinungsformen dieser Persönlichkeitsstörung werden dort näher beschrieben. Bei beiden gelten Impulsivität und mangelnde Selbstkontrolle als Leitsymptome.

Der impulsive Typ, auch reizbare oder explosible Persönlichkeitsstörung genannt, ist vor allem durch Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation und Impulskontrolle geprägt. Häufig kommt es zu Ausbrüchen von gewalttätigem und bedrohlichem Verhalten, das sich gegen Mitmenschen richtet, insbesondere, wenn impulsive Handlungen von anderen kritisiert oder behindert werden.

Beim Borderline-Typ sind neben Problemen bei der Gefühlsregulation auch noch Schwierigkeiten mit dem Selbstbild (Identität), dem Denken und dem Beziehungsverhalten zu verzeichnen. Dieser Typ entspricht weitestgehend der Definition der Borderlinestörung, wie sie auch im DSM-5 beschrieben wird. Der impulsive Typ findet im DSM-5 keine Berücksichtigung.

Im Folgenden werden die diagnostischen Kriterien für beide Typen der Emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung beschrieben und anhand von Beispielen »mit Leben« gefüllt.

Der impulsive Typ  weist nach ICD mindestens drei der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen auf:

1.Deutliche Tendenz, unerwartet oder ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln

Erläuterung: Mangelnde Impulskontrolle kann sich in vielerlei Verhaltensweisen ausdrücken, vor allem bei zwischenmenschlichen Beziehungen oder in der Sexualität, im Zusammenhang mit Entscheidungen, mit Substanzmissbrauch oder im Straßenverkehr. Oft sind Emotionen wie Ärger, Feindseligkeit oder Wut mit im Spiel. Grundsätzlich unterscheidet man drei Erscheinungsformen der Impulsivität: Die motorische Impulsivität beschreibt die Tendenz, zu handeln, ohne nachzudenken oder ohne mögliche Konsequenzen abzuwägen. Kognitive Impulsivität meint ein hohes Tempo beim Denken und schnelle Entscheidungen. Die nichtplanende Impulsivität schließlich kommt in Schwierigkeiten mit zukunftsorientierter Problemlösung und beim Planen zum Ausdruck (BARRATT 1993).

FRAUKE »Ich mache keine halben Sachen. Wenn, dann richtig! Das ist mit allem so. Wenn ich Motorrad fahre, dann geht’s ab. Ich berausche mich an der Geschwindigkeit, alles andere ist mir dann egal. Genauso ist es mit dem Geldausgeben: Wenn ich frustriert bin, dann gehe ich shoppen. Mein Kontostand interessiert mich nicht. Ich kaufe dann alles, was mir gefällt, auch wenn ich es bereits im Schrank habe oder die Größe nicht passt.«

2.Deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen. Vor allem dann, wenn impulsive Handlungen getadelt oder unterbunden werden

Erläuterung: Impulsive Menschen haben Schwierigkeiten damit, aufkeimende Impulse oder Affektregungen zurückzuhalten oder zu unterdrücken. Versuche führen meist zu einem unberechenbaren Wechsel zwischen angespanntem Zurückhalten und plötzlichen Affekt- und Verhaltensdurchbrüchen (vgl. HERPERTZ, SASS 2002). Ist eine kritische Schwelle überschritten, gibt es »kein Zurück« mehr. Versuche, an die Verstandesebene zu appellieren oder auch sanktionierend einzuwirken, sind meistens zwecklos und tragen schlimmstenfalls dazu bei, die impulsive Reaktion zu verstärken.

MANNE »Ich bin schon öfter mit dem Gesetz in Konflikt geraten, aber ich bezeichne mich nicht als Schläger. Ich habe früh gelernt, auf mich allein gestellt zu sein. Ich war ein Draufgänger und habe viel Scheiße gebaut, als ich jünger war. Heute bin ich gemäßigter, aber ich weiß, dass ich diese andere Seite auch in mir habe. Wenn mir jemand blöd kommt, dann brennen bei mir alle Sicherungen durch. Ich denke dann nicht, sondern ich agiere. Wer sich einmischt oder sich mir in den Weg stellt, wird mit verdroschen.«

3.Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt mit Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven Verhaltens

Erläuterung: Vielleicht die auffälligste der Gefühlsstörungen ist das häufige Erleben von heftiger und oft unangemessener Wut bzw. Schwierigkeiten, diese Wut zu kontrollieren. Dabei kann es zu Provokationen, extremem Sarkasmus, anhaltender Verbitterung oder verbalen Ausbrüchen kommen. Dies begünstigt die Entstehung von Konflikten, Ärgerausbrüchen und oftmals auch fremdschädigenden Verhaltensweisen, über heftige Streitereien mit Beschimpfungen bis hin zu körperlichen Auseinandersetzungen. Die Wut bricht häufig dann aus, wenn eine nahestehende Person als vernachlässigend, verweigernd, nicht fürsorglich oder zurückweisend erlebt wird.

FRAUKE »Wenn ich wütend bin, dann schreie ich und sage gemeine und verletzende Dinge. Manchmal verliere ich auch völlig die Kontrolle, bin wie weggetreten und tue Dinge, die gegen meine eigenen Werte und Moralvorstellungen gehen. Woher diese Wut kommt, weiß ich nicht so genau. Ganz sicher aber bricht sie aus, wenn Erwartungen an mich herangetragen werden, die ich nicht erfüllen kann oder wenn zu viele Vorwürfe und Beschuldigungen von außen kommen. Wenn mich beispielsweise abends um fünf jemand anruft und mich fragt, ob ich um neun mit ins Kino gehe, dann kann ich diese Frage nicht mit Sicherheit beantworten. Meine Gefühlsschwankungen sind derart unvorhersehbar, dass ich nicht lange im Voraus planen kann. Macht man mir jedoch Druck oder – so wie letztens – wirft mir jemand vor, den anderen den Abend verderben zu wollen, dann flippe ich völlig aus.«

4. Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden

Erläuterung: Impulsive Menschen haben oft erhebliche motivationale Probleme und Defizite in der Fähigkeit zum Belohnungsaufschub. Ihr Verhalten ist primär auf unmittelbare Befriedigung ausgerichtet, Frustrationen und Belohnungsaufschub können sie dagegen nur schwer ertragen und führen schnell zu Langweile und dazu, dass sie das Interesse an den Dingen verlieren. Auch mangelnde Zukunftsorientierung und fehlende Lebensplanung können Probleme einer impulsiven Persönlichkeit darstellen. Diese Eigenschaften erschweren wiederum den Aufbau einer stabilen Selbstidentität und stabiler Beziehungen.

MANNE