Grüne Apotheke - Dr. Jörg Grünwald - E-Book

Grüne Apotheke E-Book

Dr. Jörg Grünwald

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Beschreibung

"Gegen (fast) jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen" - man muss nur wissen welches. Doch dabei hilft nun das moderne Standardwerk zur Kräuterheilkunde, in dem neben traditionellen Heiltees auch wirksame pflanzliche Präparate empfohlen werden. Die Grüne Apotheke bietet einen Überblick über die Geschichte der Kräuterheilkunde und die Entwicklung der modernen, wissenschaftlich fundierten Phytotherapie, ein umfassendes Beschwerdenkapitel und über 100 ausführliche Heilkräutersteckbriefe. In dem nach Körperbereichen gegliederten Beschwerdenkapitel findet der Leser für jede Beschwerde mehrere wirksame Heilkräuter. Empfehlungen, Warnhinweise sowie Übersichtstabellen mit Bewertungen am Ende jedes Bereiches machen die Auswahl aber ganz einfach. Dieses Standardwerk ist ein Muss für alle, die pflanzliche Heilmittel synthetischen vorziehen, aber auch Wert auf wissenschaftliche Wirksamkeits- und Sicherheitsnachweise legen.

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Seitenzahl: 613

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»Alle Wiesen und Matten, alle Berge und Hügel sind Apotheken.«

(Paracelsus)

Vorwort

Mit der Grünen Apotheke haben Sie ein Standardwerk der modernen Phytotherapie in den Händen – ein umfangreiches und reich bebildertes Nachschlagewerk über Heilpflanzen und pflanzliche Arzneimittel.

Im ersten Teil des Buches erfahren Sie viel Wissenswertes über die lange Tradition der Phytotherapie, beginnend mit ihren Wurzeln bis hin zu den rechtlichen Ansprüchen, denen ein pflanzliches Präparat heute genügen muss, um auf den Markt und damit in Ihre Hausapotheke zu gelangen.

Das Herzstück der Grünen Apotheke ist das Beschwerdenkapitel. Auf 136 Seiten informieren wir Sie über die gängigsten Beschwerdebilder und die möglichen Wege der Selbstmedikation. In alphabetischer Reihenfolge finden Sie sämtliche Heilpflanzen, die Ihnen jetzt helfen, einschließlich einer tabellarischen Auswahlhilfe.

Weitere wichtige Informationen über die einzelnen Pflanzen erhalten Sie in dem folgenden Kapitel: In Form von umfangreichen Steckbriefen lernen Sie die Heilpflanzen von allen Seiten kennen. Insgesamt dürfen Sie sich auf einen Schatz von über 100 Pflanzensteckbriefen freuen.

In einem so breit angelegten Buch über Heilpflanzen darf die praktische Anwendung nicht zu kurz kommen. Wir zeigen Ihnen, wie man Heiltees zubereitet, was Sie wissen müssen, um einen Wickel oder eine Kompresse richtig anzulegen, und wie Sie sich eine Heilsalbe selbst zubereiten können.

Wir möchten Ihnen mit der Grünen Apotheke ein Buch an die Hand geben, das Ihnen bei der Auswahl der geeigneten Heilpflanzen und ihren jeweiligen Zubereitungen hilft. Und wir wollen Sie in Ihrem Wunsch nach natürlichen Heilweisen unterstützen, Sie dazu ermutigen, sich mit den Pflanzen auseinander zu setzen und sie zu Ihren ständigen Begleitern werden zu lassen.

Berlin im Juni 2004

Dr. Jörg Grünwald

Christof Jänicke

Die Heilkraft der Pflanzen

Die Phytotherapie hat eine lange Tradition und sehr viele Gesichter. Begeben Sie sich auf den langen Weg durch die wechselvolle Geschichte der Heilpflanzenkunde über verschiedene Schulen bis hin zur modernen – wissenschaftlich begründeten – Phytotherapie.

Geschichte der Pflanzenheilkunde

Die moderne Phytotherapie basiert auf einem Wissens- und Erfahrungsschatz, dessen Wurzeln viele tausend Jahre zurückliegen. Die Kunde von der Heilkraft der Pflanzen ist so alt wie die Menschheit. Von den Hochkulturen Ägyptens ging das alte medizinische Wissen an die Griechen und Römer über. Durch die Aufzeichnungen islamischer Gelehrter und die europäischen Klostergärten des Mittelalters wurde dieses Wissen bis in die heutige Zeit weitergetragen.

Die Anwendung von Heilpflanzen hat in allen medizinischen Traditionen einen hohen Stellenwert. Bis vor knapp 200 Jahren waren die Heilmittel der Natur die einzigen Medikamente, die der Menschheit zur Verfügung standen. Wirkungen und Gebrauch wurden daher sorgfältig studiert, dokumentiert und weiterentwickelt.

Arzneipflanzen sowie auch alle anderen Heilmittel und die Vorstellungen von den Ursachen der einzelnen Krankheiten waren immer auch in die allgemeinen spirituellen und philosophischen Anschauungen und Rituale der jeweiligen Zeit und Kultur eingegliedert.

In den Religionen der Antike war zumeist einer der vielen Götter für die Ausstattung der Menschheit mit Arznei verantwortlich. Nach dem christlichen Glauben des Mittelalters galt Gottvater als der sämtlicher Heilmittel, diese wiederum waren einzelnen Heiligen gewidmet. Mit der Säkularisierung und dem technikorientierten Weltbild des industriellen Zeitalters schließlich bildeten sich auch in der Medizin zunehmend mechanistische Vorstellungen von Ursache und Wirkung heraus.

In der heutigen Zeit haben wir in den Industrieländern der westlichen Welt die erfreuliche Situation, neben der vorherrschenden Schulmedizin aus einer Reihe alternativer und komplementärer Heilweisen auswählen zu können. Impulse gehen dabei nicht nur von Elementen fremder Kultursysteme aus, sondern vermehrt auch von der Wiederentdeckung des alten, fast vergessenen Wissens aus unserer eigenen europäischen Vergangenheit.

IN DER FRÜHZEIT

Wir dürfen heute davon ausgehen, dass die Menschen Pflanzen schon immer auch zu Heilzwecken genutzt haben. Für die ersten medizinischen Anwendungen, das Auflegen von Blättern und das Kauen von Früchten oder Wurzeln, dürften unsere Vorfahren wohl ihren Instinkten gefolgt sein. Ein vergleichbares Verhalten kann man auch bei Tieren beobachten: Instinktiv bevorzugen sie Pflanzen, die ihnen helfen, und meiden solche, die ihnen schaden. Mit der Entwicklung der Zivilisation wuchs der Erfahrungsschatz der empirischen Heilkunde. Als der Mensch sich selbst reflektierend gegenübertrat, begann er auch, nach den Ursachen von Krankheiten und nach der Wirkung von Heilmitteln zu fragen. In der frühzeitlichen Epoche des Geister- und Dämonenglaubens sah man feindliche Kräfte am Werk, die zu bannen es ausgewählter Heilkundiger mit magischer Praxis bedurfte. Eine Generation von Medizinmännern gab ihr Wissen mündlich an die nächste weiter. Bis zur Entwicklung der ersten Schriftsprachen hinterließ die Menschheit also nur sehr wenige Informationen über Umfang und Art ihres heilkundlichen Wissens.

INDIEN

Seit Jahrtausenden folgt die traditionelle Medizin Indiens dem ganzheitlichen Konzept des Ayurveda, des »vollen Lebens«. Nach der religiösen Auffassung der Inder erhielten die Menschen die Regeln des Ayurveda von den Göttern übermittelt. Festgehalten wurden sie vor über 3000 Jahren in den »vier grundlegenden Büchern der Wissenschaft«, den so genannten Veden. Überliefert wurden sie allerdings nur in zwei Schriften jüngeren Datums: in der »Sammlung von Caraka« und in der »Sammlung von Sushruta«, die beide aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten stammen. In den historischen Quellen werden insgesamt rund 3000 verschiedene Pflanzen aufgeführt, die für medizinische Zwecke eingesetzt wurden.

CHINA

Die chinesische Medizin hat eine sehr lange Tradition und besteht aus gegensätzlichen, einander ergänzenden Einzelrichtungen. Hier liegt auch der Ursprung der Akupunktur und der Akupressur.

•Entsprechungssystematische Medizin

Dieses Medizinsystem, das eng mit den Ideen des Konfuzianismus verknüpft ist, entstand ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. und entwickelte sich zur offiziellen Medizin des Hofes. Es ist eine Mischung aus exakter Naturbeobachtung und theoretischen Konzepten. Zu Letzteren zählt die Einteilung des menschlichen Körpers in fünf Organe sowie in Yin- und Yang-Prinzipen, wie sie noch heute in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) Gültigkeit haben.

Ihre Blütezeit erlebte die Schule der entsprechungssystematischen Medizin während der Sung-Dynastie (960 – 1279 n. Chr.), als am Hof eine eigenständige Medizinalbehörde gegründet wurde, einschließlich medizinischen Verlags und Ärzteschule. Im weiteren Verlauf der Geschichte zersplitterte das Medizinsystem in zahlreiche, untereinander zerstrittene Schulen.

•Chinesische Drogenkunde

Die Drogenkunde Chinas entwickelte sich in wesentlichen Zügen und über einen langen Zeitraum hinweg unabhängig von den theoretischen Überlegungen des entsprechungssystematischen Medizinsystems. Sie steht eher in der Tradition des Daoismus, der unter anderem die Einheit des Menschen mit der Natur propagiert.

Der Legende nach geht sie auf den Herrscher Shen Nong zurück, der um 200 v. Chr. lebte. Dieser untersuchte den medizinischen Nutzen mehrerer hundert Kräuter, von denen er viele an sich selbst testete. Seine Erkenntnisse hielt er im Buch »Ben Lao« fest, einem Kompendium aus 365 Drogen. Es enthält Angaben zu deren therapeutischen Eigenschaften sowie zu Verarbeitung und Dosierung. Zu einem großen Teil handelt es sich dabei um Kräuter, Rinden und Wurzeln, die auch heute in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) verwendet werden, z. B. Ephedra, Rhabarber, Ginseng und Zimtrinde. Die Drogen wurden nach drei Giftigkeitsklassen sowie nach sieben Kategorien gegenseitiger Beeinflussung unterschieden. Offenbar wurden damals schon Kombinationen verschiedener, sich ergänzender Heilpflanzen eingesetzt.

Die Ansammlung empirischen Wissens, mit der das Werk des Shen Nong auch heute noch beeindruckt, ist charakteristisch für die gesamte chinesische Heilkunde. Umfangreiche Rezeptesammlungen blieben auch aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten erhalten. Erst ab dem 12. Jahrhundert versuchte man, die empirische Drogenkunde mit bestehenden medizinischen Theorien zu verknüpfen und Mechanismen für die Wirkung von Arzneien zu formulieren.

•Babylon

Aus Mesopotamien, der Wiege unserer Zivilisation, stammen die ältesten Aufzeichnungen zur pharmazeutischen Praxis. Das Gesellschaftssystem kannte zum einen Ärzte, die gleichzeitig Priester waren und neben Arzneimitteln zur Heilung religiöse Formeln und psychosomatische Methoden anwendeten. Zum anderen gab es auch weltliche Heilkundige, die Heilmittel auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Systems einsetzten. Lehmtafeln aus der Zeit um 2600 v. Chr. enthalten medizinische Texte zu verschiedenen Krankheiten. Diese beschreiben die Symptome und nennen geeignete Arzneien und Gebete. Aus diesen Quellen wissen wir unter anderem von der damaligen arzneilichen Verwendung von Zypressenöl, Myrrhe, Süßholz und Schlafmohn.

•Ägypten

Die alten Ägypter glaubten, ihr medizinisches Wissen käme vom Gott der Ärzte: von Thot. Auch Imhotep, einem real existierenden Universalgenie aus der Zeit des Pyramidenbaus, wurde in späteren Jahrhunderten eine Verehrung als Gott der Medizin zuteil. Quellen über die altägyptischen Heilweisen sind zum einen die historischen Kommentare von antiken Autoren wie Homer, Herodot oder Plinius, zum anderen Hieroglyphentexte aus der altägyptischen Zeit selber.

Nach den damaligen wissenschaftlichen und religiösen Vorstellungen von den menschlichen Körperfunktionen galt das Herz bereits als Zentrum des Systems. Man begriff es als den Ort, wo die Leben spendenden Kräfte empfangen und über ein Netz von Kanälen weitergeleitet wurden. Krankheiten wurden durch Dämonen bzw. böse Einflüsse hervorgerufen, und die medizinische Behandlung musste von Priestern durchgeführt werden, die eine elitäre Klasse innerhalb der Gesellschaft bildeten und ihr Wissen und dessen Weitergabe eifersüchtig hüteten. Die einzelnen Heiler waren bereits stark auf bestimmte Organsysteme spezialisiert, ähnlich unserem heutigen Facharztsystem. Die Behandlungsmethoden waren standardisiert, und das Gesundheitswesen wurde insgesamt vom Staat überwacht, der unter besonderen Umständen, etwa in Kriegszeiten, auch für die Kosten aufkam.

Schon die Hieroglyphentexte beschrieben die medizinische Verwendung der Pflanzen.

•Die medizinischen Papyri

Papyrusrollen aus dem Jahre 2400 v. Chr. zeugen davon, dass die Ägypter schon sehr früh Spezialärzte kannten. Unter den erhaltenen medizinischen Papyri sollen hier vor allem zwei sehr umfangreiche Exemplare erwähnt werden: der »Ebers-Papyrus« und der »Smith-Papyrus«. Diese mehrere Meter langen Schriftrollen stammen aus der Zeit um 1600 v. Chr. und wurden Ende des 19. Jahrhunderts in Luxor entdeckt.

Große Teile der medizinischen Papyri sind der Diagnose und Therapie konkreter Krankheiten gewidmet. Aus diesen Quellen wissen wir, dass die Menschen damals schon von Rheuma, grauem Star und verschiedenen Infektionskrankheiten gequält wurden. Der »Ebers-Papyrus« beschreibt im Detail die Zubereitung und Anwendung mineralischer und pflanzlicher Ausgangsstoffe. Er enthält eine Sammlung von 800 Rezepten für Abkochungen, Pillen und Lotionen sowie zu Mischungen zum Gurgeln, Schnupfen, Inhalieren und Räuchern. Unter den 700 verwendeten Drogen finden wir auch solche, deren Anwendungsgebiet sich bis in die heutige Zeit gehalten hat, z. B. Rizinus als Abführmittel und Mohn oder Opium als Schmerz- und Betäubungsmittel.

Mit dem Niedergang der altägyptischen Kultur gingen zwar viele Behandlungsweisen und Rezepte verloren, die einzelnen Heilpflanzen aber wurden durch die antiken Autoren überliefert und in die Medizinsysteme von Hebräern, Arabern, Persern und Griechen integriert.

GRIECHENLAND

Über die frühe griechische Medizin wissen wir wenig. Vieles wurde aus ägyptischen Quellen weiterentwickelt. Selbst der kultisch verehrte Imhotep wurde von den Griechen als Gott Asklepios übernommen. Auch der Einfluss der Gelehrten spielte eine Rolle: Die Vorstellung des 6. Jahrhunderts v. Chr., dass Gesundheit durch einen ständigen Ausgleich der Kräfte entstehe, geht beispielsweise auf den Philosophen Pythagoras zurück.

Die Schule des Hippokrates (siehe Kasten >) entwickelte daraus hundert Jahre später die Vier-Elemente-Lehre, welche die abendländische Medizin bis in die Neuzeit wesentlich prägte.

Wenn auch in den ägyptischen Papyri bereits von Heilpflanzen die Rede ist, so darf doch die »Geschichte der Pflanzen« (»Historia plantarum«) des Theophrastos von Eresos (ca. 372 – 322 v. Chr.) als das erste erhaltene geschlossene Werk über Pflanzen gelten (siehe > f.). Auch Theophrasts Lehrer, Aristoteles (384 – 322 v. Chr.), hatte bereits botanische Studien verfasst, von denen der größte Teil jedoch verloren ging.

Pharmakon

Der griechische Begriff »Pharmakon« konnte innerhalb der griechischen Weltanschauung verschiedene Bedeutungen annehmen: Zaubertrank, Gift oder Heilmittel. Die Römer dagegen unterschieden zwischen Gift (Venenum oder Virus) einerseits und Heilmittel (Medicamentum) andererseits. Im Mittelalter wurde die Giftwirkung des »Pharmakon« geleugnet, denn die Heilmittel stammten, nach damaliger Auffassung, von Gott, dem man die Erschaffung von Giftstoffen nicht zutrauen mochte. Erst im 16. Jahrhundert kehrte der Arzt Paracelsus zur Auffassung der griechischen Antike zurück: »Alle Dinge sind Gift und nit ohn’ Gift, allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.«

Der Stab des Äskulap mit der Schlange symbolisiert den Doppelcharakter von Arznei und Gift.

•Die Lehre der vier Elemente

Aus der antiken Philosophie stammt die Einteilung der Welt in die vier Elemente Erde, Feuer, Luft und Wasser. Ebenso glaubte man, dass der menschliche Körper aus vier Elementen – Säften – bestehe. Das waren Blut (sanguis), Schleim (phlegma), schwarze Galle (melancholes) und gelbe Galle (choles). Nach der antiken Elementenlehre, die über zwei Jahrtausende das Denksystem des Abendlandes prägte, herrschte in jedem Menschen eines dieser Elemente vor und bestimmte über dessen Temperament. Waren die Körpersäfte im Ungleichgewicht, so wurde der Mensch krank. Jede Krankheit durchlief drei Stadien: die Roheit (apepsie), die Kochung (pepsie) und die Ausscheidung (crisis). Zur Behandlung jeder Krankheit war die Harmonisierung der inneren Kräfte nötig. Dafür mussten Heilpflanzen mit entsprechenden Qualitäten und Wirksamkeiten ausgewählt werden. Die Qualitäten der einzelnen Pflanzen wurden mit den Begriffen kalt, warm, feucht und trocken umschrieben, ihre Wirksamkeit war in drei bis vier Graden abgestuft. Diagnose und Therapie der krankheitsverursachenden Gleichgewichtsstörungen setzten viel Wissen und vor allem praktische Erfahrung voraus, was die Zahl der fähigen Heilkundigen verständlicherweise sehr stark begrenzte.

Bedeutende Fortschritte in der systematischen Naturforschung erreichte Theophrastos von Eresos (siehe >). Er wird auch der Vater der Botanik genannt. Theophrastos entwickelte die Fertigkeit, den Charakter einer Pflanze durch Anbau zu verändern. Er züchtete beispielsweise aus einer wilden Vorläuferpflanze die noch heute geläufige Pfefferminze. In seinem Hauptwerk »Geschichte der Pflanzen« behandelte er auch die medizinischen Wirkungen der einzelnen Pflanzen und stellte damit die Pharmakologie auf eine rationale Grundlage.

Hippokrates

Hippokrates (ca. 460 – 375 v. Chr.) stammte aus einer Familie, die zu ihren Vorfahren den Heilgott Asklepios zählte und ihre Kinder traditionsgemäß für den Ärzteberuf ausbildete. Auf seinen Reisen durch Griechenland und Kleinasien erweiterte Hippokrates seine Heilkenntnisse, bis er auf seine Heimatinsel Kos zurückkehrte und dort in seiner eigenen Schule Medizin lehrte. Er löste die althergebrachte Bindung der Medizin an die Götter und ihre magischen Kräfte und ersetzte sie durch eine wissenschaftliche Denkweise und systematische ärztliche Beobachtungen. Seine Behandlungsmethode war ganzheitlich orientiert und sah außer pflanzlichen Arzneien auch Diäten und andere Umstellungen der Lebensweise vor. Viele der ihm zugeschriebenen Schriften stammen allerdings nicht von ihm selbst, sondern von seinen Schülern, darunter auch der berühmte »Hippokratische Eid«, den ein Arzt auch heute noch am Ende seiner Ausbildung ablegen muss.

•Rom

So wie die griechische Medizin die ägyptische fortführte, so wurde die römische Medizin wesentlich durch die griechische geprägt. Viele einflussreiche Personen waren entweder selber Griechen oder hatten in Griechenland ihre Ausbildung erhalten. Umfassende Arbeiten auf dem gesamten Gebiet der Naturforschung fasste Plinius der Ältere (23 – 79 n. Chr.) in der Enzyklopädie »Historia naturalis« zusammen, einem mehrbändigen Werk, das auch zahlreiche Hinweise zur medizinischen Verwendung von Pflanzen enthält.

Eine stärker heilkundliche Perspektive weist die etwa zur gleichen Zeit erschienene »Materia medica« des Pedanios Dioskurides (40 – 90 n. Chr.) auf, eines Griechen, der unter dem römischen Kaiser Nero als Militärarzt diente. Sein Werk umfasst Abbildungen, Beschreibungen und Hinweise zum Gebrauch von rund 600 Pflanzen und blieb bis in die frühe Neuzeit ein medizinisches Standardwerk. Im Orient wird es in arabischer Übersetzung auch heute noch verwendet.

Als Grieche in Rom wirkte auch der nach Hippokrates bedeutendste Arzt der Antike, Claudius Galenus (ca. 130 – 200 n. Chr.), der sowohl die hippokratische Vier-Elemente-Lehre als auch die Arbeiten des Dioskurides weiterführte. Galenus hinterließ extrem komplexe Rezepturen mit zum Teil Dutzenden von Inhaltsstoffen. Seine Methoden zur Mischung, Extraktion und Verfeinerung von Drogen, die zu Arzneimitteln von reproduzierbarer Qualität führten, beherrschten die westliche Medizin über 1500 Jahre lang. Noch heute sprechen wir von der »galenischen« Formulierung, wenn wir die Zubereitungsform eines Medikamentes meinen.

Der Zerfall des römischen Weltreiches, Konflikte zwischen Römern und Christen sowie die Unruhen zur Zeit der Völkerwanderung führten dazu, dass große Teile des medizinischen Wissens verloren gingen. Bewahrt wurden die seit der griechischen Antike überlieferten Traditionen zum einen in den europäischen Klöstern und zum anderen in den Kulturen des Orients.

Der Theriak

Seit Anbeginn der Heilkunde sind die Menschen auf der Suche nach der »einen« Medizin, die alle Krankheiten heilen kann, auch »Panazea« genannt – nach der Tochter des Heilgottes Asklepios, Panakeia. Mithridates, König von Pontus (ca. 100 v. Chr.), schuf das erste derartige Allheilmittel, das legendäre »Mithridatum«. Die Formel behielt ihren Ruf über 1000 Jahre und wurde der Vorläufer von Mischungen, die später unter dem Namen »Theriak« kursierten. Hauptbestandteile waren Opium und Schlangenfleisch, daneben 50 bis 100 weitere Zutaten, die einmal jährlich unter öffentlicher Aufsicht in den Stadtapotheken gemischt wurden, um Verfälschungen zu vermeiden. Noch im Deutschen Arzneibuch von 1882 war ein Theriakrezept mit zwölf Bestandteilen (ohne Vipernfleisch) enthalten.

•Araber und Perser

Die Araber übernahmen viel von dem griechisch-römischen Wissen und erweiterten es mit eigenen Zubereitungen und Pflanzen persischen, indischen und chinesischen Ursprungs. Beschrieben sind unter anderem Kampfer, Senna, Muskat, Rhabarber, Sandelholz, Tamarinde und Moschus.

Die arabische Kultur trennte die Berufe von Arzt und Apotheker. In Bagdad entstanden im 8. Jahrhundert die ersten privaten Apotheken. Die Verfügbarkeit von Zucker aus Zuckerrohr zu erschwinglichen Preisen brachte neue Formen von Medizin wie Sirup, Konfekt oder Konserve hervor. Auch erlangten die arabischen Pharmazeuten quasi eine Monopolstellung bei der Destillation von ätherischen Ölen, Wasserdampfgemischen und alkoholischen Geisten.

Als die Araber nach Spanien und Südfrankreich vordrangen, brachten sie neue Formen pharmazeutischen Wissens mit, die schnell aufgegriffen und in die lokale Heilkunde integriert wurden.

Avicenna

Der Gelehrte, dessen Name richtig Ibn Sina lautete, lebte von 980 bis 1037 in Persien als Pharmazeut, Arzt, Dichter, Philosoph und Diplomat. Großen wissenschaftlichen Ruhm erlangte Avicenna als Verfasser von über 200 Büchern und Abhandlungen. Sein medizinisches Hauptwerk »Canon Medicinae« liefert eine Zusammenfassung der gesamten griechisch-arabischen Medizin. 1170 in Toledo ins Lateinische übersetzt, blieb es bis ins 17. Jahrhundert hinein Grundlage auch der westlichen Pharmazie.

In den Klostergärten wurden hauptsächlich einheimische Pflanzen kultiviert.

•Die Klosterheilkunde

Die Epoche der Klostermedizin umfasst die Zeit vom 8. bis 12. Jahrhundert, als die Klöster bei der medizinischen Versorgung Europas eine führende Position einnahmen.

•Das Kloster als Spital und Apotheke

Um 527 gründete Benedikt von Nursia das erste Kloster auf dem Montecassino in Süditalien. In seinen umfangreichen Richtlinien zum klösterlichen Leben heißt es in Kapitel 37: »Die Sorge für die Kranken steht vor und über allen Pflichten.« Nach Benedikts Bestimmungen sollte jedes Kloster für die Pflege der Kranken einen eigenen Diener und einen besonderen Raum bereitstellen. Daraus entwickelten sich die Institutionen des Mönchsarztes und Klosterapothekers sowie des Infirmariums bzw. des Klosterspitals. Von Anfang an war diese Fürsorge nicht nur für die Ordensangehörigen gedacht, sondern für alle Kranken und Bedürftigen, die im Kloster um Hilfe baten.

Ab dem 7. Jahrhundert wurde gewohnheitsmäßig in den Klöstern Englands, Irlands, Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz medizinisches Wissen gelehrt.

•Die Klosterapotheke

Die Ausgangsstoffe der Klosterapotheke stammten hauptsächlich aus dem Pflanzenreich. Aus Kostengründen wurden in erster Linie die Heilkräuter in den Feldern und Wäldern der Umgebung gesammelt, dann in klostereigenen Kräutergärten kultiviert. Neben den kultivierten einheimischen Pflanzen enthielten die Kräutergärten der Klöster auch fremdländische Arten, die Pilger oder Mönche von ihren zahlreichen Reisen mitbrachten. Exotische Pflanzen waren damals sehr teuer.

•Das »Capitulare de villis«

Von großer Bedeutung für den Ausbau der Klostergärten war die Hofgüterverordnung Karls des Großen (768 – 814), das »Capitulare de villis vel curtis imperialibus«, erlassen 812 in Aachen. Die Verordnung schreibt detailliert die Bewirtschaftung der kaiserlichen Höfe, Pfalzen und Klöster vor. Ein Benediktinerabt aus der Normandie erstellte im kaiserlichen Auftrag eine Liste mit 73 Nutzpflanzen und 16 Bäumen, die von jedem Landgut kultiviert werden sollten.

Wörtlich steht dort geschrieben: »Wir wollen, dass man in den Gärten alle diese Kräuter halte: Lilien, Rosen, Bockshornklee, Salbe, Raute, Eberraute, Gurken, Kürbisse, Melonen, Schminkbohnen, Kümmel, Rosmarin, Meerzwiebel, Schwertlilie … und viele andere mehr. An Bäumen sollen sie haben: Apfel-, Birn- und Pflaumenbäume verschiedener Art, Ebereschen, Mispeln, Kastanien, Pfirsiche, Quitten, Haselnüsse, Mandel- und Maulbeerbäume, Lorbeer- und Feigenbäume, Nuss- und Kirschbäume verschiedener Art. Diese Früchte sollen in trockenen Kellern aufbewahrt werden.«

Viele Bauerngärten gehen auf diese Liste zurück, die je nach klimatischer Situation entsprechend abgewandelt wurde.

Karlsgarten aktuell

Seitwenigen Jahren kann wieder ein historischer Garten gemäß der alten Vorschriftbesichtigtwerden. Der FreundeskreisBotanischer Garten Aachen e. V. hateinensolchen Garten mitden Pflanzen und Bäumen des»Capitulare de villis« in Aachenneu angelegt.

•Frühe medizinische Schriften

Marcus Aurelius Cassiodorus (490 – 585), Benedikts Nachfolger sowie Kanzler des ostgotischen Königs Theoderich und dessen Nachfolger in Ravenna, unternahm einen ersten Versuch zur Systematisierung des pharmazeutischen und medizinischen Wissens der westlichen Welt. In seinen Statuten empfiehlt er das Studium der antiken Autoren Hippokrates, Dioskurides, Galen und Caelius Aurelianus.

Insbesondere die »Materia medica« des Dioskurides wurde immer wieder abgeschrieben, ergänzt und umstrukturiert.

Neben den antiken Quellen waren verschiedene anonyme Texte und Traktate aus dem 4. bis 6. Jahrhundert für die Klostermedizin von entscheidender Bedeutung.

Um 795 erschien das »Lorscher Arzneibuch«, eine karolingische Handschrift aus dem Kloster Lorsch bei Worms. Dieses älteste deutsche Kompendium der Arzneitherapie bietet einen Querschnitt durch die mittelalterliche Pharmazie. Sein Hauptteil bildet eine umfangreiche Sammlung von Rezepten. Deren Bestandteile sind heute allerdings oft nur mit Mühe nachvollziehbar, da die zeitgenössischen Pflanzennamen meist von den heute üblichen Bezeichnungen abweichen.

Im 9. Jahrhundert kompilierte der Abt und Dichter Walahfrid Strabo aus St. Gallen (geboren 808) den »Hortulus«, ein Lehrgedicht, das neben der Beschreibung des Gartenbaus und 24 einzelner Pflanzenarten auch Hinweise auf diverse medizinische Anwendungen enthält.

Aus dem Kloster auf der Insel Reichenau im Bodensee stammt der »St. Gallener Klosterplan« aus dem Jahre 830, so genannt nach seinem heutigen Aufbewahrungsort. Dieser architektonische Plan des idealen Klosters sieht neben Arzthaus und Spital auch einen Heilpflanzengarten vor und enthält detaillierte Vermerke über die anzubauenden Arten. Es sind die gleichen Pflanzen, die auch im »Hortulus« erwähnt werden.

Über längere Zeit entstanden keine größeren neuen Werke, bis im 11. Jahrhundert der Mönch Odo Magdunensis das Lehrgedicht »De viribus herbarum« verfasste, in dem er die medizinische Anwendung von knapp 60 Pflanzen beschreibt. Eine zweite, erweiterte Fassung wurde fälschlicherweise dem antiken Autor Aemilius Macer aus Verona zuschrieben und stieg unter dem Namen »Macer floridus« (was in etwa »wieder belebter Macer« bedeuten sollte) zum meistverbreiteten Kräuterbuch des Mittelalters auf, vor allem im deutschsprachigen Raum, wo es für den Schulunterricht in Latein benutzt wurde und in nahezu jeder zweiten Bibliothek zu finden war.

Klosterbibliotheken bewahrten das alte medizinische Wissen und führten es fort.

Blickpunkt Klosterheilkunde

In jüngster Zeit hat sich die Klostermedizin zu einem eigenständigen Forschungsgebiet entwickelt. Am Institut für Geschichte der Medizin an der Universität Würzburg entstand die Forschergruppe Klostermedizin. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, den Gebrauch einzelner Heilpflanzen im Kontext des jeweiligen Zeitalters zu analysieren. Diese Arbeit führt möglicherweise zur Wiederentdeckung von Heilpflanzen oder Anwendungsgebieten, die im Laufe der Zeit in Vergessenheit gerieten. Zurzeit erstellen die Wissenschaftler historische Pflanzenporträts sowie eine Datenbank aller Pflanzen, die in den alten Kräuterbüchern genannt und beschrieben werden.

•Die kirchlichen Aspekte

Die Klostermedizin erwarb sich unbestritten große Verdienste um die Heilkunde, indem sie das alte Wissen der Antike bis in die heutige Zeit überlieferte und ergänzte. Auf der anderen Seite aber selektierten die gelehrten Kleriker auch das Wissen, verschlossen es vor der Laienwelt und versahen es mit einem religiösen Überbau. Materialistische Vorstellungen der Antike wurden abgelöst von der christlichen Überzeugung, dass Gott den Menschen die Heilmittel zur Verfügung gestellt habe. Diese Verknüpfung ging so weit, dass man die Weigerung eines Kranken, eine Medizin einzunehmen, als Sünde ansah und sogar dem Selbstmord gleichstellte.

Im Zuge des christlichen Missionierungseifers wurde das Wissen der Volksmedizin entweder christianisiert, z. B. indem man traditionelle Heilpflanzen mit christlichen Namen versah wie »Johanniskraut« oder »Mariendistel«, oder aber es wurde im Zeichen von Inquisition und Hexenverfolgung unerbittlich und nachhaltig bekämpft.

Die Unterdrückung der Volksheilkunde fachte den Aberglauben erst recht an, denn was nur hinter vorgehaltener Hand weitergegeben werden konnte, wurde ohne Kontrolle verfälscht und beliebig ausgeschmückt. Überdies waren die missionarischen Bemühungen insofern ohne Erfolg, als sich der missliebige heidnische Volksglaube ohne Probleme durch die praktisch wesensgleichen, aber erlaubten kirchlichen Praktiken der Heiligenverehrung, des Reliquienkults und des Wunderglaubens ersetzen ließ.

Das Konzil von Clermont im Jahr 1130 verbot dem Klerus, ärztlich tätig zu sein, konnte sich damit aber zunächst nur schwer durchsetzen. Erst mit dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit gaben die Klöster die umfassende medizinische Versorgung allmählich auf. Ein endgültiges Aus kam für viele Klöster in Deutschland wie im übrigen Nordeuropa durch die Reformation.

Hildegard von Bingen

Die wohl berühmteste Heilkundige des Mittelalters wurde 1098 als jüngstes von zehn Kindern des Burggrafen von Bökelheim geboren und starb im Jahr 1179 hochbetagt als Äbtissin vom Rupertsberg. Neben anderen Werken verfasste Hildegard von Bingen zwei Bücher: »Physica« und »Causae et curae«. Die »Physica« stellt eine neunbändige Abhandlung der Heilmittel dar, von denen zwei Bände der Pflanzenheilkunde gewidmet sind: den Kräutern und den Bäumen. Erstmals verwendete sie neben den lateinischen auch die volkstümlichen Namen. Damit und mit der Berücksichtigung etlicher vorher nicht beschriebener Pflanzen gelang ihr teilweise eine Verknüpfung von Klostermedizin und traditioneller Volksheilkunde. Auch in ihrem medizinischen Grundlagenwerk »Causae et curae« geht sie über die herrschende Lehrmeinung der Humoralpathologie hinaus und entwickelt eigenständige Vorstellungen von der Körperlichkeit des Menschen, einschließlich der Sexualität – für das Mittelalter einmalig.

•Akademische Medizin im Mittelalter

Ausgangspunkt der akademischen Medizin war natürlich die Klosterheilkunde. Eine entscheidende Rolle dabei spielte das Kloster Montecassino, das in Salerno ein Spital für erkrankte Mitbrüder unterhielt.

Im 11. Jahrhundert trat der Drogen- und Gewürzhändler Constantin aus Nordafrika in den Orden ein. Er verfügte über medizinische Kenntnisse und übersetzte viele Texte aus dem Griechischen und Arabischen ins Lateinische. Zudem schuf er eine eigene Arzneimittellehre, das »Liber graduum«, welches Steckbriefe von 209 Pflanzen und Mineralien enthielt.

Die Schule von Salerno entwickelte sich zur ersten medizinischen Universität, in der nicht mehr Kleriker, sondern vorwiegend Laien wirkten. Allmählich wurde das Monopol der Klöster im medizinischen Bereich aufgelöst. Es folgte die Zeit der akademischen Medizin, die an den neu gegründeten weltlichen Universitäten gelehrt wurde. Die bedeutendsten Schulen waren jene in Montpellier in Südfrankreich und in Padua in Norditalien. Außer den akademischen Medizinern, die auch Physici genannt wurden, gab es Wundärzte, die ihre Kenntnisse nicht durch ein Studium, sondern als Lehrlinge bei einem Meister erwarben.

Im Gefolge der Übersetzungstätigkeit Constantins entstand eine neue systematische Literatur. Zentrales Werk der Pflanzenheilkunde wurde Mitte des 12. Jahrhunderts das »Circa instans«. In seinen 270 detaillierten Pflanzenmonographien wird außer der Pflanze auch die Droge (siehe:?»Was sind pflanzliche Arzneimittel?«, > ff.) beschrieben – unter Angabe von Qualitätsmerkmalen und möglichen Verfälschungen. Die Schrift enthielt sowohl Aufzählung der Primärqualitäten und Wirkungen als auch Hinweise zu konkreten Anwendungen. Wobei auch mögliche Kombinationen und eventuelle Ersatzmittel genannt wurden.

Das »Circa instans« fand sehr rasche Verbreitung in Europa. Gemeinsam mit dem »Aggregator«, einem Standardwerk aus dem maurischen Raum, das 1290 ins Lateinische übertragen wurde, bildete es die Grundlage für die riesigen Kompilationen (Sammlungen) des Spätmittelalters. Diese wurden im 13. und 14. Jahrhundert von den so genannten Enzyklopädisten zusammengestellt, Mitgliedern des Dominikanerordens, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, das gesamte Wissen der Zeit enzyklopädisch verfügbar zu machen. Die Enzyklopädien waren universell, enthielten aber auch große Abschnitte zu den einzelnen Heilpflanzen. Ab dem 14. / 15. Jahrhundert wurden auch spezielle Kräuterbücher und Drogenkunden mit ähnlichem Vollständigkeitsanspruch und mit über 600 Kapiteln herausgegeben, darunter die »Leipziger Drogenkunde«, die neben anderen Texten die einzige vollständige deutsche Übersetzung des »Circa instans« enthält. Der Beginn des Buchdrucks im 15. Jahrhundert ermöglichte in der Folgezeit das Erscheinen zahlreicher Pflanzenbücher. Erwähnenswert ist der »Gart der Gesundheit« aus dem Jahr 1485. Dieser erste, mit Holzschnitten illustrierte Druck eines Kräuterbuches in deutscher Sprache ging aus der deutschen Prosaversion des »Macer floridus« von 1200 hervor. Obwohl inhaltlich fehlerhaft, erwies sich das Werk als besonders erfolgreich und wurde nicht nur mehrfach aufgelegt, sondern bildete auch den Kern zahlreicher späterer Kräuterbücher, die bis ins frühe 19. Jahrhundert erschienen.

In den neu gegründeten Universitäten wurden Laien zu Medizinern ausgebildet.

•Medizinische Theorie

Während die ersten Schriften der Klostermedizin aus der karolingischen Zeit vor allem auf den Werken des Plinius und dessen Weiterentwicklungen basierten, rückte ab dem 11. Jahrhundert die Vier-Säfte-Lehre (Humoralpathologie) in den Mittelpunkt, die Galen seinerzeit aus den Lehren der hippokratischen Zeit erarbeitet hatte. Da allerdings nur wenige das ausgefeilte System verstanden, wurde die galenische Medizin im Mittelalter auf eine Art und Weise dogmatisch angewendet, die Fortschritte oder andersartige Erkenntnisse verhinderte.

Das änderte sich erst mit der Pestepidemie von 1348. Sie bedeutete einen Wendepunkt im medizinischen Denken der damaligen Zeit. Der Grund: Zu ihrer Bewältigung erwiesen sich die gängigen medizinischen Lehren als völlig nutzlos. Der Tod eines Drittels der europäischen Bevölkerung ließ das Vertrauen in die galenische Medizin mehr und mehr schwinden. Zu den Kritikern des herrschenden Weltbildes gehörte auch Paracelsus (siehe >), der selber so unterschiedlichen Systemen anhing wie Signaturenlehre, Astrologie und Chemie.

•Die Signaturenlehre

Die Signaturenlehre kann auf astrologische Theorien oder auch auf religiöse Überzeugungen zurückgeführt werden. Durch den Einfluss der Sterne oder Gottes erhält eine Pflanze in ihrer Struktur einen Hinweis auf ihre arzneiliche Wirkung. Dies kann sich in ihrer Form, Farbe, Textur oder durch andere äußere Kennzeichen bemerkbar machen. »Die Natur zeichnet jegliches Gewächs, so von ihr ausgeht, zu dem dazu es gut ist«, schrieb Paracelsus. Demnach wären rote Wurzeln dazu in der Lage, Blutungen zu stillen. Ein treffendes Beispiel dafür ist die Blutwurz, auch Tormentill genannt. Weitere Beispiele von Heilpflanzen, bei denen diese Lehre zutrifft, sind Weide und Pappel, deren Zweige im Wind zittern und gegen Fieber und Schüttelfrost wirken, oder das Johanniskraut, dessen Blätter ein Lochmuster aufweisen und bei Hautkrankheiten sowie zur Wundheilung gebraucht werden. Ein anderes Beispiel ist der Ginseng, dessen Wurzelform an eine menschliche Gestalt erinnert und der auch tatsächlich als Tonikum zur allgemeinen Stärkung verwendet wird.

Paracelsus

Geboren im Jahre 1493 als Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim, studierte Paracelsus Medizin in Italien und eignete sich ein umfangreiches Wissen an. Als junger Professor in Basel beging er das Sakrileg, erstmalig Vorlesungen nicht auf Latein, sondern in der Sprache des einfachen Volkes zu halten. Er verfasste das bis dato umfangreichste medizinische Werk in deutscher Sprache, in dem er die unterschiedlichsten Gedankengänge vereinigte. Einerseits orientierte er sich an alten germanischen Sitten wie der Beobachtung der Mondphasen, andererseits begriff er Lebensvorgänge im Wesentlichen als chemische Prozesse und sah auch die Heilung von Krankheiten als Aufgabe der Chemie an. Als Heilmittel verwendete er unter anderem Gifte wie Schwefel, Blei, Antimon oder Quecksilber. Aus Pflanzen und Heilwässern versuchte er mittels chemischer Verfahren ein wirksames Prinzip zu isolieren. Damit war er allerdings nicht nur den Gedanken, sondern vor allem den labortechnischen Möglichkeiten seiner Zeit gar zu weit voraus. Er starb 1541.

DIE ZEIT DES BAROCK

Das 16. Jahrhundert erlebte eine Renaissance der Pflanzenheilkunde, gekennzeichnet durch die Publikation diverser großer Kräuterbücher nach Art des »Gart der Gesundheit«. Wichtige deutschsprachige Autoren waren Otto Brunfels, Hieronymus Bock, Leonhart Fuchs, Adam Lonitzer und Jacob Theodor, genannt Tabernaemontanus. Deren Werke waren sowohl für Laien als auch für Ärzte geschrieben worden und zum Teil mit detaillierten Holzschnitten bebildert. Mehr und mehr trat das exakte Wissen um die verschiedenen Arten und Varietäten des Pflanzenreichs in den Vordergrund. Bereits der Kartäusermönch und spätere Arzt Otto Brunfels hatte die Pflanzen erstmalig nicht alphabetisch, sondern nach ihren botanischen Familien geordnet. Aber erst im 18. Jahrhundert sollte der schwedische Botaniker Carl von Linné die heute geläufige Systematik des Pflanzenreiches nach spezifischen Merkmalen ihrer Fortpflanzungsorgane ausformulieren (siehe: »Was sind pflanzliche Arzneimittel?«, >).

Der zunehmende Handel mit Heilkräutern und Drogen sowie die Uneinigkeit und Verwirrung hinsichtlich ihrer Qualität und Verarbeitung erforderte die Einführung einheitlicher Standards, so dass Ärzte und Apotheker Rezepturen gleich bleibenden Charakters und Stärkegrads gewährleisten konnten. In Florenz brachte die Zusammenarbeit von Apothekergilde und medizinischer Gesellschaft 1498 das »Nuovo Receptario« hervor, die erste Pharmacopoeia mit offiziellem Status, an die sich innerhalb der florentinischen Jurisdiktion alle Apotheker zu halten hatten. Rund 50 Jahre später griff das Prinzip auch auf andere Regionen über.

Ab dem Barock kehrte auch ein Teil der Klostermedizin bzw. -pharmazie zurück. Die Gegenreformation führte zu einer Neugründung zahlreicher Klöster. Viele von ihnen richteten eine Apotheke ein, die auch die Umgebung mit Arzneimitteln versorgte. In den Nonnenklöstern erhielten die Frauen die gleiche Ausbildung und Approbation wie die männlichen Apotheker. Die Klostermedizin des Barock unterschied sich allerdings in wesentlichen Punkten von der des Mittelalters: Das Klosterleben verlief weniger isoliert und weltabgewandt. Der Auftrag der medizinischen Rundumversorgung der ganzen Bevölkerung war naturgemäß nicht mehr gegeben, da sich hierfür längst das weltliche Ärztewesen etabliert hatte. Auch traten die Mönche kaum noch als Gelehrte oder Autoren medizinischer oder naturwissenschaftlicher Werke in Erscheinung.

Ihren zweiten großen Zusammenbruch erlebte die Klosterheilkunde in Deutschland mit der gewaltsamen Auflösung vieler Klöster im Zuge der Säkularisierung der Kirchengüter in den Jahren 1803 bis 1806.

Die Kräuterbücher des Barock waren mit detailgetreuen Holzschnitten bebildert.

KOLONIALZEIT

Mit der Kolonisation Amerikas wurden im 17. und 18. Jahrhundert alte Heilmittel der indianischen Völker auch in Europa bekannt, unter anderem waren das Pflanzen, die gegen Malaria und Skorbut halfen. Starken Zuspruch fand insbesondere die Sarsaparille: Zur Behandlung von Syphilis erwies sie sich als wirksamer und vor allem weitaus ungefährlicher als das damalige Standardmittel Quecksilber, das leider trotzdem weiter in Gebrauch blieb. Das gilt auch für die Praxis des Aderlasses, der das vorzeitige Ableben George Washingtons aufgrund einer einfachen Erkältung verschuldet haben soll.

In Nordamerika tat sich in der Pflanzenheilkunde vor allem die Gemeinschaft der Quäker hervor. Nach ihren allgemeinen Lebensprinzipien lebten sie weitgehend selbstgenügsam, so dass sie ein vitales Interesse an Landwirtschaft und Gartenbau hatten, aus dem sie eine regelrechte Heilkräuterindustrie entwickelten. Ihr bekanntester Kräutergarten, der »Physics Garden« im Staat New York, umfasste im Jahr 1850 rund 20 Hektar. Insgesamt sammelten und kultivierten sie 248 Pflanzenarten. Die meisten davon waren einheimisch, einige wurden aber auch aus Europa mitgeführt. Weltweit exportierten die Quäker Tonnen von getrockneten Drogen und Extrakten, bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihr Gewerbe aufgrund des schwindenden Interesses an natürlichen Heilmitteln zum Erliegen kam.

Der deutsche Arzt Samuel Hahnemann (1755 – 1843) ist der Vater der Homöopathie.

INDUSTRIELLES ZEITALTER

Das frühe 19. Jahrhundert brachte das bis heute bestehende Heilsystem der Homöopathie hervor. Ihr Begründer Samuel Hahnemann (siehe Kasten >) wandte sich strikt gegen die verbreiteten Praktiken wie Aderlass, Schröpfen, Räucherungen oder Klistiere. Er betrachtete Krankheit als einen energetischen Vorgang, der nur durch energetische Behandlungen geheilt werden konnte. Für die Herstellung seiner Heilmittel entwickelte er strenge Vorschriften.

Der maßgebliche Trend der Zeit ging jedoch in eine andere Richtung: Ab der Barockzeit hatte man sich zunehmend um eine Differenzierung der Wirkungen und um Aufklärung der Wirkprinzipien bemüht. Dem Versuch, die chemische Zusammensetzung der pflanzlichen Wirkstoffe zu erkennen, waren erst mit der Entwicklung der organischen Chemie erste Erfolge beschieden. Im frühen 19. Jahrhundert gelang dem deutschen Apotheker Friedrich Wilhelm Adam Sertürner die Isolierung des Morphins als Wirkprinzip des Opiums. Damit entdeckte er zugleich die neue Stoffklasse der Alkaloide. Es folgten Pierre-Joseph Pelletier und Joseph-Bienaimé Caventou mit Strychnin aus der Brechnuss und Chinin aus der Chinarinde – ein Durchbruch bei der Bekämpfung der Malaria.

Einige Apotheker erkannten das medizinische wie auch das geschäftliche Potenzial, begannen die Reinsubstanzen in größerem Maßstab zu produzieren und läuteten damit das Zeitalter der pharmazeutischen Industrie ein. So entstanden die heute noch existierenden Firmen Riedel und Merck sowie das pharmazeutische Labor von Ernst Schering.

Die isolierten Substanzen boten den Vorteil gleich bleibender Qualität, exakter Dosierbarkeit und steter Verfügbarkeit. Erst die Arbeit mit Einzelstoffen mit definierter Struktur erlaubte detaillierte pharmakologische Untersuchungen, aus denen sich Wirkmechanismen und biochemische Zusammenhänge ableiten ließen. Mit der synthetischen Modifikation natürlicher Strukturen ließen sich wichtige pharmakologische Eigenschaften verbessern wie Verträglichkeit, Resorbierbarkeit oder Stabilität.

Mit der Zeit stellte man fest, dass ein einzelner Wirkstoff oft nicht ausreicht, sondern dass man mehrere Wirkstoffe miteinander kombinieren muss. Dazu bemerkte der Berner Pharmakologe Emil Bürgi (1872 – 1947): »Zwei oder mehr Arzneien, die den gleichen Endeffekt auslösen, addieren sich in ihren Wirkungen, wenn sie dieselben, und potenzieren sich, wenn sie verschiedene pharmakologische Angriffspunkte haben.«

Diese Feststellung bestätigte die sehr viel ältere Auffassung, dass Ganzdrogen manchmal erfolgreicher sind als isolierte Wirkstoffe.

Mit dem Aufkommen der Einzelwirkstoffe war das Interesse im 19. Jahrhundert fast nur noch auf die sehr stark wirksamen Arzneipflanzen wie Alkaloid- oder Herzglykosiddrogen gerichtet. Es bestand die Hoffnung, aus ihnen potente Wirkstoffe isolieren zu können. Neu aufkommende »naturheilkundliche Vereine« wandten sich entschieden von der Behandlung mit jeglichen Arzneimitteln ab. Dass die mild wirkenden traditionellen Heilpflanzen nicht in Vergessenheit gerieten, ist nicht zuletzt dem Wirken von Sebastian Kneipp zu verdanken.

MODERNE PHYTOTHERAPIE

Innerhalb der pharmazeutischen Industrie entwickelte sich eine eigene Sparte für pflanzliche Arzneimittel. Ihre wissenschaftliche Erforschung und klinische Anwendung unterscheidet sich prinzipiell nicht von denen der synthetischen Wirkstoffe. Der Begriff Phytotherapie grenzt diese modernen pflanzlichen Arzneimittel ab von jenen anderer Medizinsysteme wie der Homöopathie oder der anthroposophischen Medizin, die zwar auch pflanzliche Ausgangsstoffe verwenden, aber grundsätzlich anderen Überlegungen folgen als die naturwissenschaftliche Schulmedizin.

Sebastian Kneipp

Der Namensgeber der Kneipp-Therapie, Sebastian Kneipp, lebte von 1821 bis 1897. Er stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Finanzielle Förderung ermöglichte ihm eine Schulbildung und ein Studium, nach dessen Abschluss er im Dienst der Kirche tätig war. Bekannt wurde er vor allem wegen seiner Wasserkuren. Tatsächlich aber entwickelte Kneipp ganzheitliche Vorstellungen von Naturheilverfahren, Lebensführung und Ernährung, bei denen er auch den Einsatz mild wirkender Heilpflanzen einbezog.

Heilpflanzen in verschiedenen Medizinsystemen

In Deutschland stellt die moderne Phytotherapie heute die führende therapeutische Richtung bei der medizinischen Verwendung von Pflanzen dar. Aber auch alternative Heilmethoden, die anderen Denkansätzen folgen oder aus anderen Kulturen stammen, erfreuen sich wachsender Beliebtheit.

Arzneipflanzen spielen in etlichen Therapiesystemen eine wichtige Rolle. Diese unterscheiden sich zum Teil sehr stark in ihren theoretischen Grundlagen, ihrem therapeutischen Gesamtkonzept sowie in der Zubereitungsform und in der Qualität der Heilmittel. Auch die öffentliche Anerkennung dieser verschiedenen Schulen und ihre rechtliche Stellung innerhalb unseres gesetzlich geregelten Gesundheitssystems variieren mitunter erheblich.

PHYTOTHERAPIE

Die moderne Phytotherapie ist ein Zweig innerhalb der Schulmedizin. Sie basiert auf der Verwendung von Wirkstoffen, die aus Pflanzen stammen. Dies können Zubereitungen aus ganzen Pflanzen oder aus Pflanzenteilen sein. Einige Vertreter zählen auch aus Pflanzen isolierte Wirkstoffe dazu.

Innerhalb der Phytotherapie wird zwischen »rationalen« und »traditionellen« Arzneimitteln unterschieden. Diese Unterscheidung spiegelt sich auch im gesetzlichen Rahmen wider: Traditionelle Phytotherapeutika werden nicht für schwere Erkrankungen zugelassen und verfügen über keinen wissenschaftlichen Wirkungsnachweis. Die Arzneimittel der rationalen Phytotherapie dagegen werden nach den gleichen Richtlinien untersucht, dokumentiert und überwacht wie synthetische Medikamente, mit nur einigen Erleichterungen und Besonderheiten bei der Zulassung (siehe: »Arzneimittelrecht und Phytotherapie«, > ff.).

Diagnose und Therapiekonzept sind bei der Phytotherapie die gleichen wie in der übrigen naturwissenschaftlich begründeten Medizin. Beschwerden, körperliche Gesamtuntersuchung und gegebenenfalls weitere Parameter wie etwa Blutwerte geben Hinweise auf die vorliegende Erkrankung. Arzneimittel dienen zum einen dazu, die zu Grunde liegende Ursache zu beseitigen, sofern das möglich ist, zum anderen sollen sie die Symptome lindern. Die Auswahl des Arzneimittels basiert auf der Vorstellung, dass der enthaltene Wirkstoff durch biochemische Wechselwirkungen auf zellulärer Ebene in die physiologischen Vorgänge des Körpers eingreift. Wichtige Prinzipien der rationalen Phytotherapie sind die allgemeine Übertragbarkeit, die Reproduzierbarkeit und eine Beziehung zwischen verabreichter Dosis und erzielter Wirkung.

Phytopharmaka werden vom Gesetzgeber nach den gleichen Prinzipien behandelt wie synthetische Arzneimittel. Sie müssen sowohl eine nachgewiesene pharmakologische Wirkung als auch eine klinische Wirksamkeit haben. Ihre Anwendungssicherheit muss durch toxikologische Daten untermauert sein. Gleichzeitig zählt die Phytotherapie im Arzneimittelgesetz zu den besonderen Therapierichtungen. Dies bedeutet, dass die Zulassungsanträge für ein neues Medikament von einer eigenen Abteilung innerhalb der Arzneimittelbehörde bearbeitet werden, deren Mitarbeiter besondere Kenntnisse in Phytotherapie aufweisen sollten. Auch muss bei Wirkstoffen mit langjähriger und belegter Anwendungspraxis nicht jeder Hersteller sämtliche Nachweise neu erbringen, sondern er kann sich auf Angaben berufen, die in der wissenschaftlichen Literatur bereits hinreichend dokumentiert sind.

Gesundheitsreform 2004

Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen seit der Gesundheitsreform 2004 nur noch die Kosten für verschreibungspflichtige Arzneimittel, unabhängig davon, ob es sich um synthetische oder pflanzliche Wirkstoffe handelt. Allerdings sind nur sehr wenige pflanzliche Präparate rezeptpflichtig. Zu ihnen zählen Zubereitungen aus Colchicin, einem Inhaltsstoff der Herbstzeitlosen, der gegen Gicht wirkt.

Ausnahmen von dieser Erstattungsregel sind Präparate aus Ginkgoblättern gegen Demenz, Johanniskraut gegen Depressionen, Mistelkraut zur begleitenden Krebstherapie und Flohsamenschalen zur Behandlung der Darmkrankheit Morbus Crohn.

Kinder bis zum Alter von 12 Jahren sind von dieser Regelung ausgenommen. Ihnen kann der Arzt nach wie vor alle Arzneimittel, also auch pflanzliche, auf erstattungsfähigem Rezept verordnen.

HOMÖOPATHIE

Die Homöopathie blickt auf eine rund zweihundertjährige Geschichte zurück. Entwickelt wurde sie von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann. Der Begriff leitet sich vom griechischen »homoion pathos« ab und bedeutet »ähnliches Leiden«.

Wichtigster Grundsatz der homöopathischen Lehre ist die Simile-Regel: »similia similibus curentur.« Das bedeutet, Ähnliches kann durch Ähnliches geheilt werden. Man geht in der Homöopathie davon aus, dass jedes wirksame Arzneimittel beim gesunden Menschen in höherer Dosierung ein typisches Arzneimittelbild, das heißt ein Muster von Symptomen erzeugt. Eine Krankheit mit den gleichen bzw. sehr ähnlichen Symptomen kann mit den entsprechenden Mitteln geheilt werden. Beispiel: Bienengift. Es ruft auf der Haut Quaddeln hervor. Bei krankhafter Quaddelbildung ist Bienengift in homöopathischer Zubereitung folglich das Heilmittel der ersten Wahl.

Der Nachweis des Wirkmechanismus ist bei dieser Methode sehr schwierig. Eine Erklärung der Homöopathie auf der Grundlage rein mechanistisch-kausalistischen Denkens ist schon deswegen kaum möglich, weil die Lehre für sich selbst in Anspruch nimmt, außerhalb der Gesetzmäßigkeiten dieses Denkens zu stehen. Tatsächlich äußerte Hahnemann die Überzeugung, dass physikalisch-chemische Gesetze in reiner Form nur für unorganische Materie gelten, während der lebende Organismus seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten folge. Die Wirkung der Homöopathie wurde öfter als unspezifische Reiztherapie unter Ausnutzung der natürlichen Heilungsprozesse charakterisiert. Daher ist eine Heilung nur möglich, solange der Organismus die Fähigkeit zur Reaktion auf einen äußeren Reiz besitzt.

Samuel Hahnemann

1755 in Meißen geboren, studierte Hahnemann Medizin in Leipzig, Wien und Erlangen und war an verschiedenen Orten als Arzt, Pharmazeut und Übersetzer wissenschaftlicher Werke tätig. Die Übersetzung eines englischen Medizinbuches stieß ihn auf einen Wirkmechanismus der Chinarinde gegen Malaria, den er bezweifelte. Bei Selbstversuchen stellte er fest, dass die Chinarinde einen krankhaften Zustand auslöst, der dem Wechselfieber der Malaria ähnelt. Auf diese Beobachtung geht letztlich die Entwicklung des Gedankengebäudes der Homöopathie zurück. Weitere Versuche und Veröffentlichungen folgten. Im Jahr 1810 erschien sein Hauptwerk »Organon der Heilkunst«. Die neue Lehre fand schnell viele Anhänger, erfuhr aber auch starke Anfeindungen und Repressionen von Seiten des Establishments. Abgesehen von der Homöopathie betonte Samuel Hahnemann die Wichtigkeit der Ernährung und der Hygiene und war ein Vorreiter der Desinfizierung. So bekämpfte er die Cholera-Epidemie im Jahre 1830 wirksam mit hohen Dosen Kampfer. Hahnemann starb 1843 in Paris.

Zur Behandlung einer Krankheit wird ein Arzneimittel gewählt, das im Körper – in hoher Dosierung – ähnliche Symptome hervorrufen würde. Dabei geht man davon aus, dass es in niedriger Dosierung eine Abwehrreaktion im Organismus auslöst, die aufgrund des Ähnlichkeitsprinzips gegen die zu heilende Krankheit wirkt.

Bei richtiger Anwendung durch einen geschulten und erfahrenen Homöopathen löst die homöopathische Therapie keine unerwünschten Nebenwirkungen aus, da sie nicht direkt in die physiologischen Vorgänge des Organismus eingreift.

Die exakte Erfassung der Symptome ist für die homöopathische Therapie von größter Wichtigkeit. Von ihrer Genauigkeit hängt die Auswahl des richtigen Arzneimittels ab. Der Homöopath stellt Fragen nach den Umständen, welche die betreffenden Symptome verschlimmern oder verbessern. Dazu zählen Temperatur, Aktivitätslevel, Nahrungsaufnahme oder seelische Empfindungen, um nur einige zu nennen.

Die Homöopathie behandelt keine Krankheiten, sondern kranke Menschen. Im Mittelpunkt steht das Individuum.

Eine logische Folge der Simile-Regel ist die Arzneimittelprüfung am gesunden Menschen. Samuel Hahnemann selbst hat an sich, seiner Familie und an seinen Mitarbeitern rund 100 Substanzen geprüft. Aus diesen umfangreichen Prüfungen wurden die Arzneimittelbilder abgeleitet.

Als Basistherapeutika werden Konstitutionsmittel eingesetzt. Das sind vielseitige Mittel mit einem großen Wirkungskreis, die danach ausgewählt werden, ob sie zum Typ des Kranken passen.

Meistens werden in der Homöopathie sehr viel geringere Mengen an Wirkstoffen eingesetzt als in der Schulmedizin. Der Homöopath versucht stets, die biologisch wirksamste Minimaldosis zu finden.

Zur Herstellung homöopathischer Arzneimittel werden Verfahren angewendet, die noch auf Hahnemann selbst zurückgehen. Diese sind im Homöopathischen Arzneibuch (HAB), einem Teil des Deutschen Arzneibuches, verbindlich festgelegt. Grundsubstanzen sind Pflanzen, tierische Produkte und Mineralien. Die Extraktion des standardisierten Ausgangsmaterials liefert die Urtinktur. Diese wird durch Schütteln oder Verreiben mit Trägersubstanzen wie Alkohol, Wasser oder Milchzucker verdünnt. Durch diesen Prozess wird die Wirkung potenziert, also verstärkt. Potenziert wird in Hunderterschritten (C-Potenzen) oder in Zehnerschritten (D-Potenzen), was heute in Deutschland üblicher ist. Die Potenz D 1 entspricht also einer Verdünnung im Verhältnis 1 : 10, D 2 im Verhältnis 1 : 100 (und ist damit gleich stark wie C 1). Die geringere Potenz wird immer als Ausgangssubstanz für den nächsten Schritt benutzt, es dürfen dabei keine Schritte übersprungen werden. Die Homöopathen fassen das Potenzierungsverfahren nicht nur als reines Verdünnen auf. Vielmehr gehen sie davon aus, dass durch das Schütteln oder Verreiben bedeutsame Zustandsänderungen der Materie hervorgerufen werden, die einen Einfluss auf die Wirkung des Mittels haben.

Ab Potenzen von D 24 ist im Arzneimittel kein Molekül des Ausgangsstoffes mehr vorhanden. Dass derartige Mittel dennoch von Homöopathen eingesetzt werden, ist für einen großen Teil der Skepsis verantwortlich, die der Homöopathie entgegengebracht wird. Am häufigsten werden niedrige und mittlere Potenzen von D 1 bis D 12 eingesetzt.

Kügelchen auf Lactose-Basis sind eine verbreitete homöopathische Arzneiform.

Rechtliche Stellung

Die Homöopathie zählt in Deutschland zu den vom Gesetzgeber anerkannten besonderen Therapierichtungen. Für die Zulassung homöopathischer Arzneimittel gelten eigene Bestimmungen. Die gesetzlichen Krankenkassen kommen allerdings weder für die Medikamente (mit Ausnahme von Kindern bis 12 Jahren) noch für die Diagnosegespräche beim Homöopathen auf.

ANTHROPOSOPHISCHE MEDIZIN

Die anthroposophische Medizin Rudolf Steiners (siehe Kasten >) versteht sich als Ergänzung zur naturwissenschaftlich begründeten Schulmedizin. Sie stützt sich im Wesentlichen auf die Selbstheilungskräfte des Organismus. Neben Heilpflanzen werden auch Metalle eingesetzt.

Ihre Grundlage ist die anthroposophische Lehre vom Wesen des Menschen, das sich aus vier Qualitäten zusammensetzt: dem physischen Körper, der Lebenskraft, der Seele und dem Geist. An einer Krankheit und ihrer Heilung sind, nach Auffassung der Anthroposophen, alle diese Qualitäten beteiligt, wobei zwischen zwei Hauptgruppen medizinischer Störungen unterschieden wird: entzündliche und degenerative Erkrankungen. Der anthroposophische Arzt erstellt zunächst die schulmedizinische Diagnose. Dabei geht er nach den üblichen Untersuchungsmethoden wie Kontrolle der Blutwerte und Sichtung der Röntgenbefunde vor. Zudem bemüht er sich, die Grundlage der Krankheit auf lebendiger, seelischer oder geistiger Ebene festzustellen. Die Therapie wird nach dem Gesamtbild ausgewählt.

Rudolf Steiner

Rudolf Steiner wurde 1861 in Kraljevica im ehemaligen Jugoslawien geboren. Er studierte Naturwissenschaften, Mathematik, Literatur und Philosophie und promovierte mit einer philosophischen Arbeit. Steiner arbeitete erst in der theosophischen, dann in der anthroposophischen Gesellschaft mit und gehörte geheimen Freimaurerlogen an. Nach der Neugründung der »Allgemeinen anthroposophischen Gesellschaft« 1923 / 24 wurde er deren Vorsitzender. Er verfasste über 250 Bücher zu sämtlichen Lebensbereichen. Ab 1920 entwickelte er gemeinsam mit der Ärztin Ita Wegman die anthroposophische Medizin. Steiner starb 1925.

Nach der steinerschen Lehre sind Mensch und Pflanze in drei Funktionsbereiche untergliedert, die im umgekehrten Verhältnis zueinander stehen: Sinnes- und Nervenbereich des Menschen entsprechen den Wurzeln der Pflanze, Gliedmaßen-Stoffwechsel-System den Blüten und Früchten, rhythmisches System, sprich Atmung und Blutkreislauf, den Blättern.

Als Heilmittel kommen Pflanzen in Frage, bei denen diese drei Bereiche im Ungleichgewicht stehen. Dadurch sollen entsprechende Disharmonien, die sich beim Menschen als Krankheit äußern, ausgeglichen werden. Dazu berücksichtigt man vier stoffliche Zustände: warm, luftig, wässrig und fest. Auch sie sind bei den Pflanzen unterschiedlich stark ausgeprägt. Einige Pflanzenfamilien gelten aufgrund ihrer stofflichen Ausprägung als besonders gute Heilpflanzen, z. B. die Lippenblütler (Labiaten) als so genannte Wärmeträger oder die als luftförmig angesehenen Doldenblütler (Umbelliferen), die Absonderungen abbauen, Harn und Schweiß treiben und Gasstauungen sowie Verkrampfungen lösen sollen.

Eine wichtige Rolle bei der Auswahl der richtigen Heilpflanze spielen auch ihre Beziehung zu den Jahreszeiten und Mondphasen, Farb- und Formelemente, Eigenschaften des Standortes und Erntebedingungen sowie, im Falle der Mistel, ihr Verhältnis zu den verschiedenen Wirtsbäumen.

Das Herstellungsverfahren von anthroposophischen Heilmitteln ist von großer Bedeutung. Die Anhänger dieser Lehre gründeten zu diesem Zweck sogar spezielle pharmazeutische Unternehmen. Das anthroposophische Weltbild besagt, dass die Qualität einer Substanz durch ihren Entstehungsprozess wesentlich bestimmt wird. Natürliche Stoffe sind daher anders zu bewerten als ihre synthetischen Analoga, selbst bei identischer chemischer Struktur. Mensch und Natur haben einen gemeinsamen geistigen Ursprung, von dem sie sich im Laufe der Evolution entfernt haben. Im Zuge des Herstellungsverfahrens muss diese geistige Verbindung zwischen Natur und Mensch wieder hergestellt werden. Erst dadurch wird der Naturstoff zu einem wahren Heilmittel für den Menschen.

Um die Heilkräfte einer bestimmten Pflanze »aufzuschließen«, werden verschiedene Wärmeanwendungen genutzt. Diese Prozesse sind je nach der Art des Ausgangsmaterials abgestuft und reichen vom kalten Auszug bis zur Verkohlung.

Rudolf Steiner (1861 – 1925) ist der Begründer deranthroposophischen Medizin.

Rechtliche Stellung

Die anthroposophische Medizin zählt zu den im deutschen Arzneimittelrecht anerkannten besonderen Therapierichtungen.

BACHBLÜTENTHERAPIE

Die Bachblütentherapie geht auf den englischen Arzt und Homöopathen Dr. Edward Bach zurück, der von 1886 bis 1936 lebte.

Bach beschäftigte sich zunächst mit der klassischen Homöopathie. Dabei interessierte ihn vor allem die psychische Verfassung seiner Patienten. Aus seinen zahlreichen Beobachtungen zog er den Schluss, dass in erster Linie nicht die körperlichen Symptome einer Krankheit behandelt werden müssen, sondern vielmehr der Gemütszustand des Patienten, der der Krankheit zu Grunde liegt. Nach Bachs Auffassung können Krankheiten nur entstehen, wenn das seelische Gleichgewicht des Menschen gestört ist. Ist dies der Fall, verliert der Mensch die Kraft, sich gegen schädliche Einflüsse von außen zur Wehr zu setzen. Krank machende Keime haben dann ein leichtes Spiel.

Auf der Suche nach möglichst naturbelassenen Heilkräften, die einen positiven Einfluss auf die Gemütsverfassung des Menschen nehmen, fand Bach 37 verschiedene krautige Blütenpflanzen und Bäume (plus Quellwasser), die das seelische Befinden in ein harmonisches Gleichgewicht bringen und dadurch dem Körper eine höhere Widerstandskraft verleihen sollten. Bachs Methode zielt darauf ab, vorübergehende negative Gemütszustände auch langfristig positiv zu beeinflussen.

Die einzelnen Blüten entsprechen verschiedenen Gemütszuständen wie Unsicherheit bei der Entscheidungsfindung, Hoffnungslosigkeit und Angstgefühle sowie Neid, Wut und unkontrollierte Aggressionen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Verwendet werden Auszüge aus den Blüten. Die gewonnenen Blütenessenzen werden in erster Linie innerlich angewendet. Es gibt aber auch eine äußerliche Anwendung. Die Blüten können entweder einzeln oder in Kombination eingenommen werden. Die Aufbereitung der Ausgangsmaterialien läuft ähnlich ab wie in der Homöopathie. Der Vorteil der Bachblütentherapie: Sie zählt zu den sanften Heilverfahren und ist zur Behandlung von Kindern gut geeignet.

Bis heute konnte naturwissenschaftlich und medizinisch nicht erklärt werden, wie die Veränderungen des Gemütszustandes durch die Einnahme von Bachblüten zu Stande kommen. Selbst mit Hilfe modernster technischer Untersuchungsmethoden lassen sich keine Wirkstoffe in den Blütenessenzen nachweisen. Zudem ist es nicht möglich, Veränderungen im menschlichen Stoffwechsel nach der Einnahme festzustellen. Es wird vermutet, dass die Wirkung, ähnlich wie bei der Homöopathie, im feinstofflichen Bereich liegt. Das erklärt wohl die große Skepsis gegenüber dieser Therapieform.

Dass es sich dabei um kein Placebo handelt, zeigt die erfolgreiche Behandlung von kleinen Kindern, Tieren und Pflanzen.

Rechtliche Stellung

Die Bachblütentherapie ist in Deutschland nicht offiziell anerkannt, sie zählt zu den Heilweisen der Alternativmedizin.

KNEIPPTHERAPIE (PHYTOBALNEOLOGIE)

Sebastian Kneipp (siehe Kasten >) machte den Zusatz von pflanzlichen Auszügen zu warmen Bädern vor rund 100 Jahren populär. Die Phytobalneologie ist eines von insgesamt fünf Prinzipien der Kneipptherapie. Sie vereinigt Elemente der physikalischen Medizin mit jenen der Phytotherapie und kann auf eine lange Tradition innerhalb der Volksmedizin zurückblicken.

Kräuterbäder wirken zum einen durch die physikalischen Reize des warmen oder kalten Wassers und zum anderen durch die zugesetzten pflanzlichen Inhaltsstoffe.

Durch kalte Bäder ziehen sich die Blutgefäße der Haut zusammen, durch warme werden sie geweitet. Letzteres bewirkt in der Folge einen Abfall des Blutdrucks und eine Steigerung der Herzfrequenz. Ab Temperaturen von 38 °C wird die lokale Durchblutung stark angeregt, die Haut rötet sich.

Pflanzliche Badezusätze enthalten Wirkstoffe, die über die Haut oder über die Atemwege aufgenommen werden und eine systemische Wirkung entfalten. Die Durchführung von Heilbädern hat sich vor allem bei bestimmten Anwendungsgebieten bewährt, darunter Hautkrankheiten, rheumatische Beschwerden, Erkältungen sowie nervöse Unruhe oder Einschlafstörungen.

Bei Dermatosen (Hautkrankheiten) mit trockener Haut können rückfettende Ölbäder Erleichterung bringen, die Temperatur sollte dabei 36 °C nicht überschreiten. Bewährt haben sich Nachtkerzen- und Sojaöl bei endogenem Ekzem, Extrakte aus Gerbstoffdrogen wie Eichenrinde, Haferstroh oder Kleie bei juckenden und nässenden Ekzemen, Kamillenöl bzw. -extrakt, Schafgarben- oder Schachtelhalmextrakt bei entzündlichen Prozessen und Menthol oder Thymian bei juckender Haut.

Rheumabäder können einen entzündlichen Schub verstärken. Sie sind daher in erster Linie bei chronischen Beschwerden außerhalb eines Schubes zu empfehlen. Einige Pflanzen, die für ein Rheumabad geeignet sind, fördern die Durchblutung, andere enthalten Salicylsäure und wirken daher schmerzlindernd. Häufig verwendete Wirkstoffe sind Eukalyptusöl, Heublumenöl oder -extrakt, Koniferenöl, Menthol und Wacholderöl.

Rechtliche Stellung

Die Phytobalneologie kann als spezielle Form der Phytotherapie oder der physikalischen Medizin aufgefasst werden. Der Zulassungsstatus der medizinischen Badezusätze variiert je nach Wirkstoffgehalt und wissenschaftlicher Dokumentation.

Beim Kräuterbad wirkt die Wärme des Wassers ebenso wohltuend wie die pflanzlichen Zusätze.

Auch Erkältungsbäder fördern die Durchblutung, insbesondere in den Schleimhäuten der Atemwege, wodurch die lokale Immunabwehr gestärkt wird. Menthol wirkt besonders befreiend bei verstopfter Nase, Thymianöl regt die Bronchialsekretion an. Außerdem können Eukalyptusöl, Kampfer und verschiedene Koniferenöle verwendet werden.

Für beruhigende Bäder haben sich Baldrianöl und -extrakt, Hopfenextrakt sowie Citronell- und Lavendelöl bewährt, wobei Letzteres auch anregend wirken kann.

AROMATHERAPIE

Aromatische Pflanzen waren Bestandteil der Heilkunde der meisten Kulturen. Überliefert sind entsprechende Angaben aus den alten Gesellschaften Chinas, Indiens, Tibets, Australiens und Neuseelands, Amerikas, Ägyptens, Roms und des Mittleren Ostens. Die Essenzen wurden traditionell inhaliert, äußerlich aufgetragen oder eingenommen. Erst vor kurzem wurde die Aromatherapie von der Pflanzenheilkunde abgetrennt. Der Begriff ist erst seit dem Zweiten Weltkrieg gebräuchlich.

Aromatherapie beinhaltet die therapeutische Anwendung ätherischer Öle, die durch Wasserdampfdestillation aus Pflanzen gewonnen werden. Verwendet werden Duftstoffe in geringer Dosierung, die regulierend auf den körperlichen Stoffwechsel einwirken sowie das seelische Befinden harmonisieren sollen. Duftstoffe wirken generell auf zwei Wegen: Zum einen führt die Stimulation des Geruchssinns, neben anderen Effekten, zu einer reflektorischen Beeinflussung verschiedener Körperfunktionen. Zum anderen gelangen die Bestandteile des ätherischen Öls über die Atemwege in den Blutstrom und üben im Körper pharmakologische Wirkungen aus. Die im Rahmen der Aromatherapie aufgenommenen Mengen sind allerdings sehr gering und nicht mit einer phytotherapeutischen Inhalation zu vergleichen.

Die Art der Wirkung, z. B. beruhigend oder anregend, beruht sowohl auf den pharmakologischen Eigenschaften der aufgenommenen Inhaltsstoffe als auch auf den psychologischen Effekten, die der jeweilige Duft beim Anwender auslöst. Die Reaktion kann somit individuell sehr unterschiedlich ausfallen, je nach den persönlichen Vorlieben oder Aversionen.

Rechtliche Stellung

Die Aromatherapie ist in Deutschland nicht offiziell anerkannt, sie zählt zu den Heilweisen der Alternativmedizin.

AYURVEDA (INDISCHE MEDIZIN)

Ayurveda bedeutet so viel wie die Wissenschaft (veda) vom langen Leben (ayur) und ist ein Lebenskonzept, das auf die philosophischen Ideen des Brahmanismus zurückgeht. Ayurveda ist aber auch ein vollständiges Medizinsystem, dessen Grundzüge vor rund 3000 Jahren entwickelt wurden. Noch heute lassen sich zwei Drittel der indischen Bevölkerung nach der ayurvedischen Medizin behandeln. Im Westen wurde die Lehre seit den sechziger Jahren vor allem durch den Guru Maharishi Mahesh Yogi bekannt.

Die Einheit des Lebens besteht nach der ayurvedischen Lehre aus Körper, Sinneswahrnehmungen, Geist und Seele. Der menschliche Körper gilt als Mikrokosmos, der die Eigenschaften des Makrokosmos, sprich des Universums, widerspiegelt. So gesehen besteht er aus den fünf Elementen Erde, Feuer, Wasser, Luft und Raum. Diese Elemente verbinden sich in den verschiedenen Strukturen und Funktionen des Körpers in variierenden Anteilen. Sie sind charakterisiert durch die drei Grundprinzipien Vata (Himmel und Luft), Pitta (Feuer und Erde) und Kapha (Erde und Wasser). Dabei gilt Vata als bestimmend für Bewegung und biologische Aktivität. Es wird mit Muskeltätigkeit, Herz-Kreislauf-System, Atmung und Ausscheidung in Verbindung gebracht. Pitta ist verantwortlich für die Bildung von Körperwärme und ganz allgemein für den Stoffwechsel zuständig. Kapha bestimmt die stofflichen Eigenschaften der Organe.

Nach ayurvedischer Lehre entstehen Krankheiten durch ein Ungleichgewicht der drei Grundprinzipien, welches Strukturen und Funktionen des Körpers schädigt. Die Behandlung zielt darauf ab, das Gleichgewicht wieder herzustellen, indem ein Zuwenig bestimmter Elemente zugeführt oder ein Zuviel beseitigt wird. Ein Zuviel muss durch mehr oder weniger drastische Maßnahmen aus dem Körper entfernt werden wie z. B. Erbrechen-Lassen, Abführen, Schwitzkuren oder Aderlass. Bei einem Zuwenig können Arzneimittel eingesetzt werden.

Die ayurvedischen Arzneimittel sind üblicherweise Kombinationen aus zahlreichen Bestandteilen, wobei die Grundsubstanzen in erster Linie pflanzlichen Ursprungs sind. In historischen Quellen werden insgesamt um die 3000 verschiedene Pflanzenarten erwähnt, von denen heute noch rund 1000 genutzt werden. Wie der Mensch, so sind auch die Pflanzen aus den fünf Elementen sowie nach den drei Grundprinzipien aufgebaut. Mit ihren jeweiligen Eigenschaften sollen sie die Störungen in der Zusammensetzung des menschlichen Körpers ausgleichen.

Rezeptur und Herstellungsverfahren ayurvedischer Arzneimittel sind komplex und durch Vorschriften geregelt. Verwendet werden Säfte oder Pulver, wässrige Extrakte, ölige Auszüge und Fermentationsprodukte. Die Produktion erfolgt durch Ärzte oder Kliniken sowie durch darauf spezialisierte indische Firmen. Innerhalb Indiens ist die Herstellung von ayurvedischen Arzneimitteln gesetzlich geregelt.

Rechtliche Stellung

In Deutschland müssen ayurvedische Heilmittel wie andere pflanzliche Arzneimittel nach den Kriterien der naturwissenschaftlichen Medizin zugelassen werden. Etliche Produkte werden als Nahrungsmittel oder auch als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. In diesen Fällen ist der Wirkstoffgehalt allerdings sehr gering.

System der fünf Wandlungsphasen

TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN (TCM)

Die Traditionelle Chinesische Medizin ist ein Medizinsystem der heutigen Volksrepublik China. Es besteht offiziell neben der westlichen Medizin und baut auf den Konzepten der Medizin der systematischen Entsprechungen auf – der historischen Medizin des chinesischen Hofes (siehe > f.).

Die Konzepte der Traditionellen Chinesischen Medizin haben ihren Ursprung in der chinesischen Philosophie. Die drei wichtigsten Prinzipien sind Yin und Yang, die fünf Wandlungsphasen und Qi.

Yin und Yang sind zwei Aspekte eines Ganzen, wobei Yang als aktives oder funktionell-dynamisches Prinzip aufgefasst werden kann und Yin als passives oder materiell-statisches. Beide Prinzipien können nur gemeinsam existieren, die Stärkung des einen bedeutet eine Schwächung des anderen, und sie können sich unter bestimmten Umständen ineinander umwandeln. Das System der fünf Wandlungsphasen versucht, die Welt durch die Beziehung der fünf Elemente Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall zu beschreiben. In der TCM sind diesen Elementen die fünf »Funktionskreise« oder die fünf »klassischen inneren Organe« zugeordnet: Niere (Wasser), Leber (Holz), Herz (Feuer), Milz (Erde) und Lunge (Metall). Die einzelnen Organe sind über Leitungsbahnen miteinander verbunden und können einander beeinflussen, allerdings nur über bestimmte, feststehende Beziehungen.

Das Qi ist ein vielschichtiges Konzept, mit dem verschiedenartigste Körpervorgänge beschrieben werden. Seine zentrale Funktion ist ständige Aktivität und Dynamik. Die Blockade des Qi ist eine wichtige Krankheitsursache.

Die einzelnen Konzepte bestehen in der chinesischen Heilkunde nebeneinander. Sie werden nicht als absolute Theorien aufgefasst, sondern als Schemata, die die Einordnung von Krankheiten und deren jeweiligen Symptomen erleichtern.

Das Grundmuster einer Erkrankung wird durch eine Vielzahl von Ursachen bestimmt. Diese können äußerlich oder innerlich sein. Sie können aber auch durch eine falsche Lebensführung hervorgerufen werden. Dabei unterscheidet man zwischen Wesen und Äußerung einer Krankheit, erkennbar als Haupt- und Nebensyndrom. Zu den Heilmaßnahmen gehören »äußere Therapien« wie die Akupunktur, »innere Therapien« – damit ist die Anwendung von Arzneimitteln gemeint – sowie »unspezifische Heilmaßnahmen« wie Diätetik, Massage oder auch Bäderanwendungen.

Die Rezeptur der Arzneimittel wird nach der exakten Diagnose individuell zusammengestellt und im Idealfall täglich neu auf die Entwicklung der Krankheit abgestimmt. Dafür ist es wichtig, dass der Therapeut genau weiß, wie sich die einzelnen Drogen innerhalb einer Mischung gegenseitig beeinflussen. Frisch hergestellte Abkochungen sind die bei weitem wichtigste Anwendungsform der Traditionellen Chinesischen Medizin. Es gibt dafür eine Reihe von Vorschriften, die z. B. Vorabkochungen bestimmter Drogen oder Separatabkochungen beinhalten.

Die pflanzlichen Drogen werden nach fünf Arzneimitteleigenschaften unterteilt. Zu den Primärqualitäten zählen die fünf Geschmacksrichtungen (sauer, bitter, süß, scharf und salzig), die vier Temperaturausstrahlungen (heiß, warm, kühl und kalt) und die Stufe der Toxizität. Sekundärqualitäten sind die vier Wirkrichtungen (steigen, fallen, schweben und sinken) und der Bezug zu den Funktionskreisen, also zu den »klassischen Organen«.

Die Arzneimitteleigenschaften und die Anwendungsvorschriften sind in den Arzneibüchern der TCM festgehalten.

Rechtliche Stellung

In Deutschland zählt die TCM zu den alternativen Heilweisen. Die Arzneimittel werden auf dem üblichen Weg mit naturwissenschaftlichen Wirkungsnachweisen zugelassen.

KAMPO-MEDIZIN (JAPAN)

Die Kampo-Medizin stammt ursprünglich aus China, wird aber heute in Japan praktiziert, wo sie im 8. Jahrhundert n. Chr. eingeführt wurde. Sie stellt die gesamte physische Konstitution des Patienten in den Mittelpunkt. Dabei sind sowohl subjektive Symptome wichtig als auch äußere Umstände und Empfindungen, die scheinbar nichts mit der Krankheit zu tun haben. Innerhalb dieses Systems kann die gleiche Rezeptur zwei Patienten verordnet werden, die zwar verschiedene Krankheiten, aber eine ähnliche physische Konstitution aufweisen. Ziel der Behandlung sind die Stärkung des physischen Zustands, die Verbesserung der körpereigenen Abwehrkräfte und die Wiederherstellung des natürlichen Gleichgewichts innerhalb des gesamten Stoffwechsels.

Pflanzliche Arzneimittel sind nicht das einzige, aber ein wichtiges Therapiekonzept der Kampo-Medizin. Daneben werden auch tierische und mineralische Substanzen eingesetzt sowie physikalische Methoden wie Massage und Akupunktur. Die traditionelle »Koho-Form« des Kampo kannte 175 verschiedene Heilmittel, die in zwei alten medizinischen Schriftensammlungen niedergelegt sind. Im heutigen Japan sind 210 Kampo-Rezepte vom Gesundheitsministerium als wirksam anerkannt. Diese Rezepte bestehen in der Regel aus drei bis acht Bestandteilen und werden nach Standardanweisungen hergestellt. Die wichtigste traditionelle Zubereitungsform ist die Abkochung. Dabei müssen die rohen Drogen erst einen Tag lang im kalten Wasser ziehen, dann werden sie langsam bei geringer Hitze eingekocht. Heutzutage sind die meisten Rezepturen in Japan aber auch als Fertigpräparate in Form von Granula erhältlich.

Rechtliche Stellung

In Deutschland hat die Kampo-Medizinkeine besondere Stellung. Die Rezepturen müssen je nach Wirkstoffgehalt als Phytopharmaka oder Nahrungsergänzungsmittel zugelassen oder ausden frischen Drogen zubereitetwerden.

Arzneimittelrecht und Phytotherapie

Auch pflanzliche Medikamente müssen nach dem geltenden Arzneimittelgesetz zugelassen werden. In diesem Punkt unterscheiden sie sich nicht von den Medikamenten mit chemisch-synthetischen Wirkstoffen. Die Zulassungspflicht von Arzneimitteln in Deutschland kann nicht auf eine lange Tradition zurückblicken, sie geht auf das Arzneimittelgesetz aus dem Jahr 1976 zurück.

ARZNEIMITTEL IN DEUTSCHLAND

•Kurzer historischer Rückblick auf die Arzneimittelzulassung