Grünes Gold - Helmut Ginzinger - E-Book

Grünes Gold E-Book

Helmut Ginzinger

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Beschreibung

Vinzenz Graflinger ist eigentlich IT-Experte, hat aber einen Nebenjob, der ihm deutlich mehr Nervenkitzel einbringt: Er arbeitet als Privatdetektiv und hat schon so manchen Fall in seiner Heimat, der Holledau, gelöst. Doch der neue Auftrag erweist sich als knifflig: Der Wissenschaftler Martin Treikert vom nahen Hopfenforschungsinstitut glaubt, bespitzelt zu werden, und bittet Vinzenz um Beschattung seines Umfelds. Treikerts Forschungsprojekt »Hopfen gegen Krebs« findet internationale Beachtung, der Erfolg des Projekts ist allerdings nicht in jedermanns Sinn. Kurze Zeit später ist der Wissenschaftler tot - den Sturz von der zwölf Meter hohen Hopfendarre hat er nicht überlebt. Aber war es wirklich ein Unfall, wie die Polizei vorschnell annimmt? Vinzenz ermittelt eigenständig und schwebt bald selbst in größter Gefahr … Ein spannender »Holledau-Krimi«!

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Helmut Ginzinger, 1961 in Mainburg, im Herzen der Hallertau, geboren, ist gelernter Wirtschaftsinformatiker und hat sein Master-Studium mit Fachrichtung Managementinformationssysteme und Informationstechnologie in Zürich erfolgreich abgeschlossen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist er bei internationalen Unternehmen als IT-Manager tätig. Trotz der daraus resultierenden unzähligen Aufenthalte in den Metropolen dieser Welt ist er immer Holledauer mit Leib und Seele geblieben. Heimatverbunden und weltoffen eben. Helmut Ginzinger lebt in Mainburg, ist verheiratet und hat drei Kinder.

Helmut Ginzinger

Grünes Gold

Ein Holledau-Krimi

Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter: www.buchmedia.de

September 2014 © 2014 Buch&media GmbH, München Herstellung: Kay Fretwurst, Freienbrink ISBN print 978-3-95780-014-5 ISBN ePub 978-3-95780-020-6 ISBN Pdf 978-3-95780-021-3 Printed in Germany

Inhalt

Kapitel 1 Mir geht’s ned guad

Kapitel 2 Die Holledau

Kapitel 3 Mein Typ ist gefragt

Kapitel 4 Blondie

Kapitel 5 Mister Unbekannt

Kapitel 6 Reine Routine

Kapitel 7 Augenscanner und Bretterzaun!

Kapitel 8 So eine Sauerei!

Kapitel 9 Ein (fast) typischer Freitag

Kapitel 10 Knallrot

Kapitel 11 Wenn das Landratsamt ruft

Kapitel 12 Kein Hindernis

Kapitel 13 Alles klar, Herr Kommissar?

Kapitel 14 E-Mail für Dich

Kapitel 15 Quarantäne

Kapitel 16 Win-win-Situation

Kapitel 17 The show must go on!

Kapitel 18 Donnerstag, Stoandl-Tag

Kapitel 19 Google, XING und sonst noch was

Kapitel 20 Wer bietet mehr?

Kapitel 21 Schluss mit lustig!

Das Holledauer Liad

Kapitel 1Mir geht’s ned guad

Vinzenz«, haucht eine Stimme.

Ich strecke mich ... oh Mann, geht’s mir guad!

Oder etwa doch nicht? Wenn ich versuch, meinen Kopf ein wenig zu heben, wird mir gleich ganz anders. Irgendwas hat mir letzte Nacht wohl nicht so gut getan. Irgendwie fühl ich mich aber auch ganz entspannt, eben so wie nach einer guten Nacht.

Vielleicht sollte ich doch mal die Augen öffnen. Könnte ja sein, dass ich noch träum und jetzt diese wenigen Sekunden vor dem Aufwachen erlebe, an die man sich später erinnern kann und von denen man glaubt, sie hätten eine halbe Ewigkeit gedauert. Mir ist das jetzt total wurstegal, ich riskiere es und mach die Augen vorsichtig auf.

Ein schönes Zimmer hab ich. Während ich mir meine Umgebung blicktechnisch erschließe, kommen mir allerdings leichte Zweifel, ob das überhaupt mein Schlafzimmer ist. Eigentlich nicht, es sei denn, ich hätte es die letzten Tage total umgebaut und wüsste das nicht mehr. In dem Doppelbett liegt sich’s bequem, aber so einen Bettüberzug mit vom Dunkelgrünen bis ins Blassgrüne übergehenden Querstreifen hab ich nun wirklich nicht. Überhaupt ist alles in einem leichten Grünton gehalten, die Vorhänge, die Stehlampe, selbst die Zimmerwände sind bis zur halben Höhe in einem beruhigenden Grün gestrichen. Der Teppich ist nicht grün, der ist blau, passt aber irgendwie ganz gut zum dunklen Holz der Möbel.

Ja Herrschaftszeiten, wo bin ich da bloß gelandet?

Mein Kopf macht sich immer unangenehmer bemerkbar und lässt die Vermutung zu, dass der gestrige Abend einen feuchtfröhlichen Verlauf genommen hat. Ist ja auch kein Wunder, wenn die Hotelbar partout nicht schließen will. Na klar, ich bin nicht zu Hause, ich bin in einem Hotel, und das ist logischerweise nicht mein eigenes Zimmer, sondern ein Hotelzimmer. Eine gewisse Erleichterung macht sich in mir breit.

Mein Oberstübchen nimmt widerwillig seine Arbeit auf und startet einen Sortiervorgang, um Licht ins vernebelte Bewusstsein zu bringen.

Langsam dämmert’s, ich bin doch gestern auf eine zweitägige Produktvorstellung zu Monstersoft gefahren und befinde mich wohl in meinem Hotelzimmer in München. Ein Blick auf die Uhr, es ist gerade mal acht Uhr morgens. Im selben Moment meldet sich mein Magen mit einem untrüglichen Hungergefühl, was die Vermutung zulässt, dass die Uhrzeit korrekt ist und mein Körper gerne ein Frühstück zu sich nehmen würde. Beim zweiten Blick auf die Uhr macht sich in mir etwas Verwunderung breit, weil die Uhr auf dem Nachttisch gar nicht meine Uhr ist. Klar, ich würde niemals so eine rote Uhr tragen.

Die Jeans am Boden und das daneben liegende Hemd kann ich eindeutig als Teil meiner Garderobe identifizieren. Auch das Sakko entspricht meiner Moderichtung, und die braunen Lederschuhe unterm Tisch sind, soweit ich das von hier aus beurteilen kann, meine. Der Grund für diese etwas unordentliche Aufbewahrung erschließt sich mir derzeit noch nicht, was mich allerdings nicht besonders erstaunt.

Hab ich vielleicht gestern gar einen Granatenrausch mit aufs Zimmer gebracht? Wenn sich mein Gehirn doch nur etwas mehr anstrengen und dafür der ganze Kopf weniger wehtun würde. Der Versuch aufzustehen gelingt mir - fast. Ein Fuß hängt schon aus dem Bett, der zweite folgt bedächtig.

Endlich an der Bettkante sitzend merke ich, dass ich grad gar nichts anhab. Ein kurzer prüfender Blick und ich stelle fest: Bist noch immer gut beieinander, Vinzenz, das muss ich schon sagen. Fast kein Gramm zu viel auf den Rippen und der Rest kann sich auch sehen lassen. Wieso hab ich eigentlich keinen Schlafanzug an, hab mir doch den blau gestreiften eingepackt.

Neben dem Bett, auf einem Koffer, seh ich was liegen und erkenn sofort - nicht meine Unterhosn. Was da vor mir liegt, ist weiß, mit rosa Blümchen bedruckt und hat feine Spitzen. Könnt mich nicht erinnern, so ein Teil je getragen zu haben. Bei näherer Betrachtung des kleinen Nichts wird zudem klar: nicht meine Größe! Ein heißes Stoffteil, ohne Zweifel. Diese Erkenntnisse lassen die Vermutung zu, dass der dazugehörige Inhalt wohl am ehesten zu einem weiblichen Wesen passen würde.

»Vinzenz, bist du schon wach? Ich bin gleich fertig im Bad!«

Da war sie wieder, die Stimme, die meinen Namen haucht! Es war also kein Traum. Während meine Gedanken um die Stimme kreisen, geht die Badezimmertür auf, und ich kann mir grad noch die Bettdecke über meinen Nabel ziehen.

Sie steht vor mir und strahlt mich an.

Mit einem Schlag bin ich putzmunter. Mein Gehirn beginnt mit Hochdruck zu arbeiten, um Fakten und Bilder zu sammeln, damit ich annähernd herausbekomme, was da letzte Nacht gelaufen ist.

Logisch! Gestern nach der Schulung und dem anschließenden Abendessen sind alle Teilnehmer und die Dozentin noch auf einen Drink in die Hotelbar gegangen. Nach und nach waren die anderen Gäste verschwunden, bis nur noch wir beide am Tresen saßen. Katrin, die Dozentin, und ich. Wir haben uns glänzend unterhalten, getrunken, gelacht und sogar getanzt, wenn ich mich recht erinnere. Es muss schon ziemlich spät gewesen sein, als wir aufs Zimmer sind. Und dann, dann, … Jetzt lässt sowohl die Geschwindigkeit meines Erinnerungsvermögens als auch dessen Exaktheit nach. Was war dann?

Sie steht vor mir, fertig gestylt, schwarze Lackschuhe mit halb hohen Absätzen, enger bordeauxfarbener Rock, der über den Knien beginnt, weiße Spitzenbluse leicht geöffnet, blonde schulterlange Haare und ein Lächeln wie aus Tausendundeiner Nacht. Bitte nicht aufwachen, denk ich mir, aber ich bin ja schon wach.

»Hallo Vinzenz, ich seh schon, du hast was gefunden, das ich noch brauchen kann, darf ich mal?«

Sie kommt an mein Bett, beugt sich zu mir herunter, küsst mich und nimmt das heiße Teil. Sie setzt sich neben mich und streift ihre Schuhe von den Füßen. Sie schlüpft in das heiße Teil, steht auf, und sodann verschwinden die rosa Blümchen und die feinen Spitzen unter ihrem Rock. Bisher hab ich so was nur im Fernsehen gesehen, live ist das hundertmal besser.

»Magst mir noch meine Uhr geben? Ich muss jetzt nach unten in den Besprechungsraum, noch etwas vorbereiten für die Präsentation heute. Wenn du Lust hast, können wir uns nachher noch sehen«, sagt sie mit einem Lächeln und verschwindet.

Ja spinn ich denn? Ein paar Details zur letzten Nacht fehlen mir zwar noch, aber das Gesamtbild wird immer klarer. Nicht schlecht! Während des Duschens schließen sich dann noch die restlichen Erinnerungslücken, was mich zugegebenermaßen in eine exzellente Stimmung für den weiteren Tag versetzt.

Nach dieser äußerst interessanten Aufwachphase brauch ich erst mal einen extra starken Kaffee und ein eiweißreiches Frühstück. Das saublöde Kopfweh lässt auch langsam nach.

Der Produktschulung lausche ich mit so tiefer Aufmerksamkeit, wie ich es wohl selten vorher bei einem Vortrag getan habe. Sehr informativ und äußerst anregend, vor allem die Dozentin.

Am Ende der Veranstaltung applaudieren alle Teilnehmer schön brav und es beginnt das allgemeine Verabschieden. Als alle anderen gegangen sind, bleibt uns noch etwas Zeit.

»Weißt, Vinzenz, ich bin in den nächsten Wochen zwar viel unterwegs, aber es gibt auch immer wieder Tage, an denen ich ganz normal im Münchner Büro arbeite. Würde mich freuen, wenn wir uns mal verabreden könnten.«

»Das lässt sich bestimmt einrichten, Katrin. Du meldest dich einfach, wenn du da bist.«

Dann gibt’s noch einen Abschiedskuss, filmreif sag ich dir, so richtig was für Genießer.

Auf der Heimfahrt stört mich nicht mal dieser vermaledeite Stau auf der Autobahn zwischen Allershausen und Pfaffenhofen. Wie ich beim Dreieck Holledau nach Regensburg abbieg, merk ich, dass ich von den letzten sechzig Minuten Stop-and-go eigentlich gar nichts mitbekommen habe.

Zwei Kilometer vor der Ausfahrt Mainburg werd ich unsanft aus meinen Gedanken gerissen, weil’s da bei schönstem Sonnenschein plötzlich noch heller wird. Jetzt haben die Kerle mich schon wieder geblitzt. Haben die nichts anderes zu tun, als anständigen Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen? Da darf man doch einhundertzwanzig fahren und ich war bestimmt nicht viel schneller dran, also keinesfalls um so viel schneller, als dass es der Rede wert wäre.

Kapitel 2Die Holledau

Die Holledau beginnt dort, wo die gescheiten Leut aufhören und die Spitzbuben anfangen.«

Mit diesem Satz wurde vor allem im 17. und 18. Jahrhundert oft die Mentalität der Holledauer beschrieben. Dickköpfigkeit, Geiz und Rauflust wurden den Holledauern unterstellt. Rechthaberisch seien sie, und das Pferdestehlen sei eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Nicht selten endete die Karriere eines Pferdediebes am Galgen, ein ziemlich riskantes Hobby also.

Heute ist das natürlich nicht mehr so. Die Holledauer, oder auch die Hallertauer (des kannst jetzt grad sagen, wie du willst), sind traditionsbewusst und heimatverbunden, aber auch aufgeschlossen, fortschrittlich und modern - die meisten jedenfalls.

Die Hallertau ist das größte zusammenhängende Hopfenanbaugebiet der Welt und ein wunderschöner Flecken Erde. Ganz klar gibt’s bei uns neben dem Hopfenanbau noch andere Landwirtschaft, gestandene Handwerksbetriebe, einen gesunden Mittelstand und erfolgreiche Hightech-Unternehmen.

In Mainburg, dem »Herzen der Hallertau«, hab ich meinen Computerladen und bin ganz nebenbei als Privatdetektiv unterwegs. Da ich über viele Jahre bei amerikanischen IT-Unternehmen tätig war, sprech ich natürlich zwei Fremdsprachen. Englisch sowieso und wenn’s unbedingt sein muss astreines Hochdeutsch.

»Jetzt erzähl schon, wie war’s die letzten beiden Tage in München auf der Produktschulung? Hast was G’scheites g’lernt, Chef?«, fragt mich die Lena als Erstes, nachdem ich am Donnerstagmorgen in den Laden komm.

»Ach Lena, du kannst dir’s doch denken. Da erzählen sie dir den ganzen Tag, wie gut und toll das neue Programm ist, und dann stellst beim ersten Ausprobieren fest, dass noch allerhand Bugs drin sind, also Fehler ohne Ende. Natürlich haben wir jede Menge Kaffee getrunken und uns zwischendurch über die allgemein schlechte Lage in unserer Branche beschwert. Das übliche Gejammer halt. Bei Monstersoft gibt’s logischerweise keine Probleme, weil’s wieder ein paar Milliarden mehr Gewinn gemacht haben. Ist ja auch keine Kunst, wenn wir des Zeug verkaufen und beim Kunden unseren Kopf für deren Mist hinhalten.«

»Und wie waren die Teilnehmer so? Und der Dozent?«

»Es waren überwiegend kleine Computerdandler wie wir eingeladen, ein paar hab ich gekannt. Der Riegel aus Wolnzach und der Bremser aus Pfaffenhofen waren auch dabei. Insgesamt waren’s vielleicht fünfundzwanzig und dazu natürlich noch jede Menge Anzugträger von Monstersoft. Die sind in den Pausen auf uns losgelassen worden, damit’s mal Praxiserfahrung sammeln.«

»Und wie war der Dozent? Jetzt lass dir doch ned alles aus der Nase ziehn, geh Herrschaftszeiten!«

»Der Dozent war eine Sie und hat sich recht gut ausgekannt. Eine äußerst kompetente Frau, wirklich.«

»Oha, wenn du des so sagst, war’s bestimmt nicht nur kompetent, sondern auch recht hübsch.«

»Na ja, schiach war’s ned. Aber jetzt genug gefaselt. Sag mir lieber, was heut auf dem Programm steht. Sind neue Bestellungen hereingekommen? Hat der Liachtl die PCs für die Hauptschule schon fertig konfiguriert, damit wir die Kisten ausliefern können? Sind alle Rechnungen geschrieben? Stimmen die Zahlungseingänge? Müssen Mahnungen verschickt werden?«

»Jaja, ist alles am Laufen. Du sollst dich mal bei der Franzi melden.«

Akkurat jetzt soll ich mich bei der Franzi melden, des passt mir grad gar nicht in den Kram. Hab ich doch den Kopf voller anderer Gedanken, und das merkt die Franzi sofort, wenn ich ihr nicht uneingeschränkt meine Aufmerksamkeit schenke.

Zurzeit sind wir ja nicht zusammen, das heißt, wir sind schon seit fast sechs Monaten nicht zusammen, also so richtig, mein ich. Vorher waren wir für längere Zeit zusammen, aber sie hat mir »gekündigt«. Beziehungskisten sind halt oft nicht so einfach. Soll sie doch machen, was sie will.

»Ich fahr jetzt erst mal raus zum Wolkenstein und geb unser Angebot ab«, sag ich zu Lena. »Danach muss ich zum Bauamt, was regeln wegen dem Laden.«

Die Franzi kann warten.

Die Firma Wolkenstein ist eines der größten Unternehmen in der Holledau. Die stellen Kugelhähne und Industrieventile in allen Größen und für tausend verschiedene Zwecke her. Ich als Computerheini wüsste heute noch nicht, was ein Kugelhahn ist, hätten die nicht vor ein paar Jahren einen Tag der offenen Tür mit Freibier und Weißwurstfrühschoppen gehabt. Ohne Freibier wäre ich gar nicht hingegangen, aber dann wollt ich doch sehen, wie ein paar von meinen Spezln schon seit Jahrzehnten dort ihre Zeit totschlagen.

Ach ja, der Kugelhahn, das ist nicht etwa so ein vollgefressener Giggerl von unserem Nachbarn, der kurz vor seiner Verwertung steht. Den Kugelhahn kannst du dir in seiner einfachsten Form in etwa so vorstellen wie einen Wasserhahn, nur dass beim Zudrehen keine flache Ventildichtung, sondern eben eine Kugel den Weg des Wassers, des Gases oder von was auch immer nach außen versperrt. Damit aber beim Aufdrehen das Zeugs durchfließen kann, hat die Kugel ein Loch in der Mitte durch. Die Kugel hält im Gegensatz zu anderen Verschlüssen viel mehr Druck aus, ist viel dichter und geht auch nicht so leicht kaputt, sagen die. Der Werksleiter hat uns bei der Präsentation - die mussten wir vor dem Freibier über uns ergehen lassen - gesagt, dass einem da eher die Zuleitung um die Ohren fliegt, als dass der Kugelhahn seinen Geist aufgibt und einen Tropfen durchlässt. Heute gibt’s die Kugeldinger natürlich in allen Farben und computergesteuert, perfekt. Nach einer Stunde gab’s dann endlich die Weißwürste und das Freibier.

Die an der Pforte beim Wolkenstein kennen mich schon, da kann ich quasi Tag und Nacht rein, weil ich einen Geschäftspartnerausweis hab.

Wolkenstein kauft nicht regelmäßig bei mir, aber wenn mal wieder so ein Computerteil abgestürzt ist, rufen die bei uns an. Weil wir denen einen schönen Wartungsvertrag verkauft haben, tanzen dann bei Problemen entweder der Liachtl oder ich innerhalb von drei Stunden an, um das Ganze wieder ans Laufen zu bringen.

Heut ist mal eben nichts kaputt, sondern ich will mein Angebot über vierzig neue PCs inklusive Software und Wartungsvertrag abgeben. Bevor ich das allerdings mach, geh ich noch kurz in die Produktion, um mit dem Schorsch zu sprechen. Der steht an so einer riesigen Presse mit ein paar Tonnen Gewicht. Der Schorsch selbst ist etwas zierlicher, er hat höchstens hundertzwanzig Kilo.

Jedes Mal, wenn die Presse nach unten fährt, fliegen dir fast die Eier aus der Hose. Der Schorsch ist das gewohnt. Der macht den Job schon seit zwanzig Jahren und hat wohl extra Muskeln, damit er da nichts verliert.

»Heut um sieben beim Stoandl!«, schrei ich ihn an und er nickt. Normal unterhalten kannst dich da nicht bei dem Lärm, und außerdem hat der Schorsch eine »Micky Maus« auf, also einen Gehörschutzkopfhörer. Ich nehm an, er liest mir von den Lippen ab.

Heut ist Donnerstag, und das bedeutet, wie jeden Donnerstag, Gesellschaftsabend und Schafkopfen beim Stoandl. Mit Stoandl ist nicht etwa ein kleiner Stein gemeint, sondern eine der letzten verbliebenen privaten Brauereien in der Hallertau, der Steinbräu.

Nachdem nun dieser wichtige Termin klar ist, treff ich mich mit dem IT-Fuzzi, ich mein, dem EDV-Leiter vom Wolkenstein, und der wiederum nimmt mich gleich mit zum Einkaufschef.

Wenn man irgendwann jemanden endlos jammern hören will, dann muss man einfach einen Einkaufschef treffen. Er hat doch erst vor zwei Jahren zwanzig neue PCs gekauft und die anderen Computer sind auch erst fünf Jahre alt. Tja, die fünf Jahre alten Kisten kann er getrost entsorgen, da läuft weder die neue Office- Software noch die neue SAP-Oberfläche drauf. Da schläfst du ein, bis die neuen Programme ausgeführt werden. Kurzum, es bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als neue Computer anzuschaffen.

Beim Anblick vom Gesamtpreis, inklusive telefonischem und Vor-Ort-Support für drei Jahre, bleibt ihm fast die Luft weg. Armer Kerl, dabei bin ich ja eh schon an meiner untersten Preisschmerzgrenze angelangt.

»Das geht ja überhaupt nicht! Da haben wir schon viel bessere Angebote«, gibt er mir zu verstehen.

Obwohl ich weiß, dass das wahrscheinlich überhaupt nicht stimmt, verspreche ich ihm, noch mal neu zu kalkulieren. Das übliche Spiel halt. Seine ehrwürdige Daseinsberechtigung als Einkaufschef besteht darin, noch einige Prozent Nachlass herauszuholen, die ich natürlich vorher draufgeschlagen habe. Für Anfang nächster Woche sage ich ihm ein optimiertes Angebot zu.

Nach dem Meeting brauch ich dringend was zum Essen, und weil die Wolkenstein-Kantine gar nicht so schlecht ist, begebe ich mich direkt dorthin. Eine Kantine hat nicht nur den Vorteil, dass du dich für ein paar Euro satt essen kannst, sie ist in vielen Betrieben die Kommunikationszentrale schlechthin. Dort erfährst du mehr über gewisse Interna als am Besprechungstisch.

Die Geschäftsleitung plant organisatorische Änderungen und die Prozesse sollen optimiert werden, heißt es, welch eine Überraschung! Den üblichen Tratsch gibt’s natürlich auch. Einer der Abteilungsleiter war wohl während der Überstunden etwas enger mit seiner Sekretärin beschäftigt. Harter Job!

Das Einzige, was mich bei dem Getratsche aufbaut, ist das Schimpfen der Bürohexen über die langsamen PCs und darüber, dass sie den EDVlern schon Feuer unterm Arsch machen würden, damit neue Computer herkommen. Gut so, meine Damen, der Bedarf ist geweckt!

EDV ist übrigens die Abkürzung für »Ende der Vernunft« und nicht wie vielfach angenommen das Kürzel für »Elektronische Datenverarbeitung«.

Ein kleiner Spaziergang nach dem reichlichen Essen tut gut und überbrückt die Mittagsmüdigkeit.

Am frühen Nachmittag mach ich mich auf den Weg zur Stadtverwaltung. Um halb drei stehen die Chancen gut, dass die vom Bauamt nun auch schon aus ihrer Mittagsruhe erwacht sind und ich eine Audienz bekomme.

»Servus, Norbert, nun schau dir diese Verbrecher vom Landratsamt an, die wollen mir doch glatt meinen Laden zusperren, obwohl ich überhaupt nichts gemacht habe.« Ich halt ihm das Schreiben vom Landratsamt unter die Nase, das ich vor vier Wochen bekommen habe.

»Zeig den Schrieb mal her, Vinzenz, was wollen die denn von dir?« Der Norbert liest sich das Schreiben aufmerksam durch. »Ah so, die mahnen zum dritten Mal an, dass du beim Notausgang in deinem Laden ein vorschriftsmäßiges Geländer anbringen musst, damit sich bei einem Notfall keiner die Haxen bricht, wenn er da raus muss.«

»Dass ich ned lach! Wer außer mir, der Lena und dem Liachtl sollte denn da raus oder rein wollen? Ein anderer hat bei unserem Notausgang gar nichts zu suchen. Wenn ein Unberechtigter da rumturnt, macht’s nix, wenn er sich was bricht. Und weißt du eigentlich, was so was wieder kostet? Da muss ich mindestens zehn PCs verkaufen, bis ich das wieder reingeholt hab.«

»Weißt was, Vinzenz, ich schreib jetzt dem Kollegen im Landratsamt, dass du bei mir vorstellig geworden bist und dass du alsbald das Geländer anbringen lassen wirst, sagen wir innerhalb der nächsten vier Wochen, okay?«

Seit Neuestem gibt’s zu Notausgängen sogar eine EU-Verord-nung und die soll angeblich auch für mich gelten, meint der Norbert.

»Na meinetwegen, aber in Ordnung ist so was nicht. Da würde mich schon interessieren, ob zum Beispiel ein Marcello auf Sizilien, der vielleicht auch einen Computerladen hat, ob der auch so schikaniert wird. Der würde sich einen Dreck drum kümmern, ach, was sag ich, der würde erst gar kein Schreiben vom Amt bekommen! Aber mit uns können sie es ja machen, die im Landratsamt. Nichts für ungut, Norbert, aber das muss doch echt mal gesagt werden.«

Mir ist schon klar, dass der Norbert auch nicht viel gegen die EU ausrichten kann, ist halt vielleicht doch ein Sklave, ein »servus«, wie der Lateiner sagte.

»Servus, Norbert«, sag ich noch und schließ die Tür hinter mir.

Abends um dreiviertel sieben brech ich auf zum Stoandl. Die Brauerei-Gaststub’n ist nur zehn Minuten zu Fuß von mir entfernt und deswegen hab ich auch keine Bedenken, ab und zu ein oder zwei Halbe Bier mehr zu genießen.

Am Gesellschaftsabend sind im Gegensatz zu den anderen Wochentagen immer ein paar Leute mehr beim Bräu, und der Stammtisch ist schon ziemlich voll. Solange es geht, werden Stühle dazugestellt, und nur im äußersten Notfall wird vor dem Schafkopfen ein zweiter Tisch aufgemacht. Ich quetsch mich also noch dazu, und wie so oft in der letzten Zeit wird lebhaft über den Euro und die EU diskutiert.

Es gibt weiß Gott genug zu schimpfen über die EU, und der einzige Vorteil scheint zu sein, dass wir beim Urlaub im Zillertal oder in Rimini in Euro zahlen können und nicht immer in Schilling umrechnen oder die dicken Bündel Lire rumschleppen müssen.

Nach einer Stunde »Informationsaustausch« setzen wir uns an einen Nebentisch zum Schafkopfen.

Meistens spielen wir so bis um zwölf, kann aber durchaus auch mal eins oder zwei werden. Das hängt ganz davon ab, wie groß unser Durst ist und wie lange der Bräu gewillt ist, uns mit seinem Gerstensaft zu versorgen.

Unser Bräu, der Brauereibesitzer Anderl Stein, der macht am Donnerstag immer selbst den Ausschank und so gibt’s mit Arbeitszeitregelung und Gewerkschaften eher keine Probleme.

Zu späterer Stunde, wenn ein Teil der aufgenommenen Flüssigkeit seinen natürlichen Ausgang sucht, kommt der Anderl beim Schafkopfen öfter als Ersatzspieler zum Einsatz. Einen Ersatzspieler brauchst, damit, wenn mal einer aufs Klo muss, die anderen nicht unnötig warten müssen und gleich weiterspielen können.

Freilich gibt’s für den Ersatzspieler noch einige treffende bayerische Bezeichnungen, aber das würde jetzt zu weit führen.

Wie’s halb zwei wird und die Konzentration etwas nachlässt, spielen wir noch eine Runde und hören dann auf. Der Anderl ist eh schon am Tisch eingeschlafen, und wir wecken ihn, damit wir bezahlen können.

Fahren braucht glücklicherweise keiner von uns, und so geht jeder mehr oder minder geradewegs heimwärts.

Zu Hause sehe ich, dass zwei Anrufe auf meinem Handy eingegangen sind, was mich allerdings heut nicht mehr besonders beeindruckt. Der eine Anruf ist von der Franzi, das wird angezeigt, weil ich ihre Telefonnummer bei meinen Kontakten eingespeichert hab. Die andere Nummer ist mir unbekannt, der wird sich schon wieder melden.

Mir ist das heut auch wurstegal, ich geh jetzt ins Bett und hoff, dass ich morgen fit bin. Zum Schluss hätt ich fast eine Halbe Bier zu viel getrunken. Könnt’ leicht sein, dass ich morgen ein paar Startschwierigkeiten hab.

Kapitel 3Mein Typ ist gefragt

Der Raum, in dem ich mich bewege, ist vertraut und zugleich befremdend. Unwohlsein macht sich breit und der Versuch, die Augen vollständig zu öffnen, scheitert. Ich kann mich nicht wehren, kann nicht zurück. Durch den kleinen Sehschlitz erscheint alles verschwommen und ich gehe wie auf einem schmalen Steg ohne Halt und ohne Orientierung. Es ist beklemmend heiß. Plötzlich ein Knacken hinter mir in der Dunkelheit, ich erschreck zu Tode. Ich will weglaufen. Eine unsichtbare Kraft hindert mich jedoch daran und ich komme nicht von der Stelle. Der Boden beginnt zu schwingen und ich verliere das Gleichgewicht. Keine Chance mehr, das war’s, mein Gott, tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf. Jetzt geht’s dahin, ich kipp nach vornüber und falle. Ich stürze, endlos, immer tiefer. Mir wird schwarz vor den Augen. Dann bin ich weg. Stille um mich herum. Wer sind die beiden? Ein Mann liegt blutverschmiert auf dem Boden, und eine Frau schwebt leichenblass in einem weißen großen Raum.

Verdammt noch mal, was war das denn? Schweißgebadet wache ich auf und zittere am ganzen Körper. Mein Herz rast wie eine Nähmaschine. Ich hechle wie nach einem Tausendmetersprint. Eine gewisse Erleichterung macht sich erst breit, als ich feststelle, dass um mich herum alles an seinem gewohnten Platz ist. Ich sitze in meinem weichen Bett. Die Schlafzimmermöbel stehen genau dort, wo sie immer standen. Mein Atem wird langsam wieder ruhiger. Von Albträumen bin ich normalerweise nicht geplagt, das war allerdings einer vom Feinsten. So was möchtest du nicht wirklich erleben.

Wie schon gestern Abend vermutet, braucht’s heut Morgen etwas mehr Zeit, bis ich so richtig auf Normaldrehzahl komme. Albtraum oder nicht, ich muss mal mit dem Anderl sprechen, dass er mir nach jeder zweiten Halbe Bier ein Spezi oder ein Wasser bringt, zwecks Abwechslung und so. Eigentlich möcht ich heute gar nicht aufstehen, aber überwinde mich schließlich doch. Auf dem Weg in den Laden schau ich beim Hubert, unserem Bäcker, vorbei und gönn mir einen Kaffee und eine Butterbrezen.

»Na Vinzenz, du alter Bazi, wie geht’s dir heut Morgen? Ich bin letzte Nacht grad in die Backstuben, wie du vom Stoandl hoam bist; hast dich wahrscheinlich auf den Weg konzentrieren müssen und mich nicht gesehen, oder?«

»Hast’s gut, du alter Brezensalzer, dass du heut nicht meinen Schädel spürst«, sag ich ihm und frag nach einem Aspirin.

Im Stehen genieß ich die Butterbrezen und den Kaffee samt Aspirin. Kurze Zeit drauf bin ich auch schon wieder weg. Mir ist heut noch nicht so recht nach umfangreicher Konversation.

Im Büro fängt das Aspirin endlich zu wirken an und ich leb langsam wieder auf. Die Lena sitzt an ihrem Schreibtisch und macht den allgemeinen Bürokram.

Freitags ist es normalerweise etwas ruhiger im Laden und falls während des Tages beim Wolkenstein nicht gerade das ganze EDV-System abraucht, bleibt es das auch.

»Lena, kannst du bitte das Angebot für den Wolkenstein anpassen? Wir geben denen noch mal drei Prozent, dann ist Schluss. Schick es bitte heute noch weg, damit sie es am Montag auf dem Schreibtisch haben.«

»Geht klar, Chef - und die Franzi hat grad vorhin wieder angerufen, du sollst dich endlich bei ihr melden.«

»Das mach ich schon noch.« Dass die immer so hetzen muss!

Für ein Gespräch mit der Franzi muss ich mir Zeit nehmen, das kann sich mitunter in die Länge ziehen. Also verzieh ich mich in mein Büro, mach es mir gemütlich und rufe sie an. Ausnahmsweise ist sie recht kurz angebunden, will mich aber unbedingt noch heut am späten Nachmittag treffen, am besten in Landshut. Sie hätt einen Auftrag für mich.

Na wenn’s sein muss, fahr ich halt los und verbinde das Ganze mit einer kleinen Shoppingtour. Ab August findest du in den Läden bereits die neue Herbst- und Winterkollektion. Die beste Zeit also, um die aktuellen Modetrends zu checken und mit dem ein oder anderen Teil die Garderobe zu aktualisieren.

Meine Klamotten muss ich mir selber und alleine kaufen. Als zeitweiliger Profisingle hab ich da überhaupt keine andere Wahl.

Manche Männer in verheiratetem Zustand machen sich die Sache mit der Mode und Einkauferei ziemlich einfach. Die warten, bis ihre Ehefrau die alten Klamotten, die sie täglich tragen, nicht mehr sehen kann und ihnen dann schon ein paar Hosen, Hemden und Schuhe zum Aussuchen mit nach Hause bringen wird.

Noch besser, wenn sie nur eine Hose, ein Hemd und ein Paar Schuhe mitbringt, da muss er nicht lange rumprobieren und weiß von vorneherein, dass es der Gattin gefällt.

Bei mir läuft so was nicht, auch nicht, wenn ich in einer Beziehung bin oder irgendwann wieder sein sollte.

Selber Einkaufen - macht den Mann stark und unabhängig!

Ich bin mir auch meist ziemlich sicher, dass ich trendmäßig richtig liege und die Farben und Formen der Teile, die ich auswähle, zu mir passen.

Und sollte ich wirklich mal kleine Zweifel hegen, wende ich zur finalen Bestätigung meiner Einkaufsleistung einen Trick an. Natürlich frag ich nicht die Verkäuferin, ob mir das neue Outfit steht. Die würde es aus Umsatzgründen keinesfalls wagen, mir was Negatives zu bescheinigen. Ich suche mir meine »Jury« gezielt aus. Möglichst eine Frau in ungefähr meinem Alter oder etwas jünger, die eventuell auch in mein Beuteschema passen würde. Auf eine höfliche Frage, ob dir die gerade ausgesuchten Klamotten stehen oder nicht, sagt sie dir viel eher ihre wahre Meinung als die Verkäuferin.

Sie hat keine Umsatzzahlen im Kopf und wird auch keinesfalls denken, dass du sie anbaggern willst. Sie denkt jetzt nur an eins, ans Einkaufen und dass sie für sich oder ihre Herde Klamotten mit nach Hause bringt. Sie ist im Kaufrausch und somit völlig bagger-resistent.

Gegen fünf Uhr Nachmittag treff ich mich in der Altstadt vorm Café Vienna mit Franzi. Weil so schönes Wetter ist, sitzen wir im Freien. Als ich mit ein bisschen Smalltalk starten will, unterbricht sie mich gleich.

Das macht sie mit Absicht. Wahrscheinlich ist sie sauer, weil ich nicht sofort auf Pfiff zurückgerufen hab. Obendrein spielt sie gleich einen weiteren Trumpf aus. Sie trägt ein kurzes enges Businesskleid, ärmellos und mit einem kleinen feinen Ausschnitt. Meine Aufmerksamkeit gehört ihr.

»Also Vinzenz«, legt sie ohne Umschweife los. »Ich hab einen Auftrag für dich, allerdings auf Erfolgsbasis.«

»Soll ich dir einen PC oder Laptop aussuchen und verkaufen?«, unterbreche ich sie zugegebenermaßen etwas süffisant. Mir fehlt noch immer das »Vorspiel«.

»Nein, du Hirsch, eine unserer Mandantinnen will sich von ihrem nutzlosen Taugenichts scheiden lassen und braucht ein paar Beweise, dass er nicht ganz der vorbildliche Ehemann ist, als der er sich verkauft. Sie wird ihn so oder so in die Wüste schicken, finden wir allerdings kleine nette Details heraus, wird die Trennung für meine Mandantin entscheidend billiger. Du hast bis Sonntagabend Zeit.«

»Jetzt sag mal, Franzi, das ist doch nicht wirklich euer Stil, solche Methoden anzuwenden. Ehemänner ausspionieren und dann abservieren lassen.«

»Da hast du recht, Vinzenz, nicht unser Stil, aber deiner, und die zusätzlichen Euro kannst du bestimmt gebrauchen oder hat sich an deiner finanziellen Lage grundlegend was geändert? Nimmst du nun den Auftrag an? Die Mandantin, Frau Kerner, zahlt tausend Euro für brauchbare Fotos. Sie fliegt morgen Vormittag nach Hamburg zu einem Botanik-Kongress und ist Sonntagabend wieder zurück. Vermutlich wird ihr Ehemann am Wochenende was unternehmen, so lange hast du Zeit. Hier ist ein Foto von ihrem Mann, Adresse steht hinten drauf. Der Flug von Frau Kerner geht um zehn Uhr von München. Vermutlich bringt sie ihr Mann dorthin und ab da bist du dran.«

»Das ist alles schön und gut, Franzi, aber wenn ich am Wochenende halb Bayern abfahren soll, brauch ich Spesen im Voraus, dreihundert Euro mindestens.«

»Spesen gibt’s nicht. Du kriegst zweihundert Euro jetzt gleich und die achthundert, wenn du die Fotos lieferst, klar?«

»Liebe Franzi, du kannst manchmal so charmant sein; also her mit den zweihundert Euro. Gibt’s sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«

»Nein, du darfst mich aber jetzt zum Pizzaessen einladen, ich hab mich vorher schon ein wenig frisch gemacht«, sagt sie mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen. »Das ist dir doch bestimmt aufgefallen, oder? Du hast dich ja auch herausgeputzt. Dein neues Hemd passt übrigens hervorragend zu deinem neuen Haarschnitt. Warst du heute beim Friseur?«

Diese Frau bringt mich noch um den Verstand, sie kennt mich besser als ich mich selbst. Ich hab mich natürlich auch etwas aufgebrezelt, soll sie doch sehen, dass mir unsere letzte Trennung nix ausgemacht hat.

Wir gehen durch die Altstadt hinauf zum Italiener am Hofberg. Hier gibt’s die beste Pizza und die besten Pastagerichte, dazu meinen Lieblingsbardolino. Ich bin ja sonst schon eher ein Biertrinker, aber heute passt ein Rotwein besser zu dieser nicht so alltäglichen Situation. Wir sitzen ums Eck an einem Zweiertisch und unterhalten uns prächtig. Sie erzählt mir einen Haufen Zeugs von ihren jüngsten Fällen und dass bei ihr in der Kanzlei das Geschäft noch mehr brummt. Hauptsächlich, seit das neue Scheidungsrecht in Kraft ist und seitdem immer mehr Bundesländer CDs mit Daten von Steuersündern aufkaufen.

Mich freut natürlich, dass sie gut zu tun hat, und es scheint fast so, als hätte sie in den letzten Monaten gar keine Zeit gehabt, sich mit einem anderen Kerl zu beschäftigen. Dass sie sich jetzt sogar dafür interessiert, was ich so in der Zwischenzeit gemacht habe, bestätigt meine Theorie.

Nicht zu glauben, dass akkurat in dem Augenblick das verdammte Handy läutet. Weil mir das nun überhaupt nicht passt, schalt ich es einfach auf stumm.

»Willst du nicht rangehen, es könnte doch was Wichtiges sein?«, sagt sie und schaut mich fragend an.

»Franzi, das ist mir jetzt grad mal wurstegal. Wenn wir uns schon nach längerer Zeit wieder mal so gut unterhalten, setz ich da schon Prioritäten.«

Dass ich damit richtig punkte, ist doch klar. Perfekt! Nach einem weiteren kleinen Glas Rotwein meint sie, dass es dann aber doch langsam Zeit ist zu gehen. Wir spazieren durch die Altstadt zu ihrem Auto an der Isar, und wie schon im Lokal berühren sich unsere Hände und Ellbogen ab und zu. Nicht unangenehm und einen kleinen Kuss am Auto gibt’s auch noch.

»Auf jeden Fall brauch ich am Montag früh die Bilder per EMail, sonst gibt’s keinen weiteren Cent!«, sagt sie am Schluss noch mal sehr offiziell, bevor sie einsteigt, lächelt und abrauscht.

Auf dem Rückweg nach Mainburg hab ich genügend Zeit, um über einiges nachzudenken, über mich und die Franzi und so. Und außerdem hab ich wieder mal kein freies Wochenende.

Es ist kurz vor Mitternacht, als ich am Mainburger Ortsschild vorbei Richtung Innenstadt fahre. Ich hätt’s mir doch denken können. Von Weitem sieht man sie schon, die blaue Leuchtreklame unserer »Freunde und Helfer«.

Nahe den Hopfenhallen haben sie sich postiert, um mal wieder den ein oder anderen Promillesünder zu erwischen. Vor mir haben sie gerade einen aussteigen lassen. Arme Sau, denk ich mir noch, hast hoffentlich nicht zu tief ins Glas geschaut.

Sekunden später tritt einer der grün gekleideten Herren an meinen Wagen heran. Bevor ich das Fenster richtig öffnen kann, schallt mir diese irgendwie nicht ganz freundliche Stimme entgegen.

»Guten Abend, Verkehrskontrolle, Fahrzeugschein und Führerschein, bitte!«

Naja, ich kann’s fast verstehen, dass der nicht so gut drauf ist, wenn einer noch um Mitternacht arbeiten muss. Hätt sich halt einen anderen Job suchen sollen, wenn ihm das keinen Spaß macht. Obwohl, manchmal hat es fast den Anschein, dass da schon einer Spaß dran hat, andere zu nachtschlafender Zeit in gewisse Aufregung zu versetzen. Bei mir hat er das jedenfalls jetzt geschafft.

Dass der mich mit seiner Taschenlampe auch noch blendet, macht die Situation nicht besser. Zum Glück hab ich die Papiere immer griffbereit im Handschuhfach. Nur: An dem Platz, an dem sie zu neunzig Prozent der Zeit zwischen Fahrzeugkauf und -verkauf verstaut werden, sind sie leider nicht. Der Typ wird schon etwas ungeduldig, und mir fällt nach kurzem Grübeln ein, dass die Papiere in meiner Aktentasche im Kofferraum sind. Hab ich doch neulich auf einer Dienstreise meinen Führerschein gebraucht, weil ich mir einen Leihwagen genommen hab, logisch.

»Kann ich vielleicht schnell aussteigen? Das Zeugs ist im Kofferraum.« Ich frag vorsichtshalber, damit der am Fenster ein wenig Zeit hat zu überlegen. Als ich unlängst bei einer Polizeikontrolle ausgestiegen bin, ohne den netten Beamten vorher zu fragen, hätten die mich beinahe erschossen. Nun gut, das ist jetzt etwas übertrieben. Aber ich hab ihm halt meine Fahrertür an das Schienbein gehauen, und sogleich waren ein paar seiner Kollegen da und haben mich ganz schön zur Sau gemacht. Dass die mich dabei sofort auf den Boden geworfen und mir Handschellen angelegt haben, war noch das wenigste.

Also, der Kommissar-Anwärter geht vorsichtig einen Schritt zurück, ich steig aus, geh zum Kofferraum und öffne ihn langsam. Das kennt man ja vom Fernsehen, da kommt dann meistens eine Leiche zum Vorschein oder zumindest ein Entführungsopfer, das jämmerlich winselt.

Nix da, bei mir liegt da nur mein Aktenkoffer und drin sind Gott sei Dank der Fahrzeugschein und der Lappen.

»Verbandskasten, Warndreieck?«, tönt die Stimme des Feldwebels oder wie der Dienstgrad bei der Polizei heißt. Ich heb die Bodenmatte im Kofferraum hoch und beides liegt, wie ich erleichtert feststelle, einträchtig neben dem Reserverad. Der Hauptwachtmeister sieht sich nun meinen Führerschein erneut ganz prüfend an.

»Herr Graflinger, wo kommen Sie denn gerade her?«

Als ob den das was anginge, ich frag ihn ja auch nicht, wo er vor seinem Dienst war. Als aufrechter Bürger will ich aber mal nicht so sein und gebe gerne Auskunft.

»Aus Landshut.«

Dann kommt die Frage, die natürlich kommen musste.

»Herr Graflinger, haben wir denn was getrunken?«

Wie ich diese Frage hasse! Das weiß dieser Dorfgendarm doch, dass einer, der gegen Mitternacht nach Hause unterwegs ist, zu fünfundneunzig Prozent was getrunken hat. Eine Limo oder ein Spezi vielleicht, ein Wasser oder sonst noch was.

Weil ich allerdings ein korrekter Mensch bin und genau auf die Frage eingehe, antworte ich mit einem entschiedenen »Nein«.

Meine Antwort auf seine Frage ist völlig wahrheitsgetreu, denn wir haben nichts getrunken. Ich hab vielleicht was getrunken, er vielleicht auch. Wir haben allerdings nichts getrunken. Zudem hab ich ja wirklich nur zwei kleine Gläser Rotwein genossen und bevor ich ihn damit stresse, bleib ich lieber gleich bei dem Nein.

Der Herr Polizist schaut mich daraufhin erneut prüfend an und verzichtet nun auf das obligatorische »Hauchen Sie mich mal an«. Das muss dem Polizisten doch auch unangenehm sein, sich ins Gesicht hauchen zu lassen, von einem Fremden. Einfach eklig, würde ich sagen.

Mit einem entspannten »Kommen S’ gut heim, Herr Graflinger « lässt er mich schließlich wieder einsteigen und ich rausche ab.

Gute Nacht!

Kapitel 4Blondie

Das frühe Aufstehen am Samstag ist, wie auch wochentags, eher nicht meine Stärke, aber heute muss es wohl sein. Das Geschäft mit den Computern läuft einigermaßen, ist aber nicht immer so unbandig spannend. Deshalb bin ich quasi im Nebenjob privater Ermittler.

Den Laden betreib ich schon einige Jahre und man hat so sein Auskommen. Auf circa hundert Quadratmetern biete ich PCs, Monitore, Laptops, Drucker und Software an, was halt so dazugehört. Lena und der Liachtl helfen mir dabei. Wir sind ein super Team. Ein unschlagbares Trio.

Die Lena arbeitet auf 450-Euro-Basis und ist mir beim Verkauf im Laden eine gute Unterstützung. Sie ist voll motiviert, bekommt sie doch neben den paar Euro auch einige »Freistunden« von ihren Kids. Der Liachtl ist Freiberufler und macht IT-Projekte bei verschiedenen Firmen. Was der schon alles für Programme geschrieben hat, das glaubst du nicht. Vor dem ist kein Computer oder Netzwerk sicher. Ein Hacker erster Güte! Gemeinsam sind wir schon des Öfteren auf Internetspurensuche gegangen und auf tiefste Abgründe gestoßen.

Dass ich als Privatdetektiv arbeite, hat sich vor Jahren ergeben, so richtig Werbung mach ich dafür nicht. Obwohl, Visitenkarten hab ich mir schon drucken lassen und da steht in Fett drauf:

Vinzenz Graflinger IT-Experte und Privatdetektivwww.vinzenz-graflinger.de

Der ganze Pipapo mit Anschrift, Handynummer und E-Mail-Adresse steht natürlich auch noch drauf, eh klar.

Wurstegal, irgendwie muss ja Geld reinkommen und dabei helfen mir vor allem Mundpropaganda und die Franzi eben. Wobei wir nun wieder beim Thema wären, bei meinem Auftrag fürs Wochenende.