Pilgern von dahoam in die Fremde - Helmut Ginzinger - E-Book

Pilgern von dahoam in die Fremde E-Book

Helmut Ginzinger

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Beschreibung

Man muss nicht gleich nach Spanien fliegen, um die körperlichen Anstrengungen und euphorisierenden Glücksmomente eines Pilgers erleben zu dürfen. Mein Buch erzählt von meinen Pilgerreisen von Regensburg in Bayern über die Schweiz und Südfrankreich bis an die Pyrenäen. Eindrucksvolle Landschaften wie der Donaudurchbruch, das Allgäu, das Emmental oder auch das Rhônetal bereichern den Weg ungemein. Dies gilt auch für die seit dem Mittelalter bedeutenden Pilgerorte am Weg wie Kloster Einsiedeln, Le Puy-en-Velay, Conques oder Saint-Jean-Pied-de-Port. Eingebettet in die Erzählung sind amüsante, aber auch spirituelle Erlebnisse. Gespräche mit Einheimischen, Herbergsbetreibern und Pilgern aus aller Welt beleben den Weg. Der Ursprung des Pilgerns und dessen Entwicklung vom Mittelalter bis in unsere Zeit findet dabei ebenso seinen Platz, wie die Legenden um Jakobus dem Älteren, nachdem der Jakobsweg benannt ist. Das Pilgern in anderen Religionen wird thematisiert und auch der Ansatz, ob Wandern, Wallfahren und Pilgern das Gleiche sind. Sagen und Geschichten aus den durchstreiften Regionen sind gleichfalls ein interessanter Bestandteil der kulturellen Reise. Die Menschen, Wege und Emotionen prägen den Inhalt des Buches. Der Weg hält viele Überraschungen bereit und er bietet dir die Möglichkeit deinen Weg zu dir selbst zu finden. Du wirst beginnen mit dem Weg zu sprechen und du wirst lauschen, was er dir zu erzählen hat – wenn du es zulässt. Bei all dem ist es völlig egal, ob du religiös bist oder nicht. Der Pilgerweg ist längst ein besonderer Weg im Leben vieler Menschen geworden, unabhängig von Glauben, Religion, Herkunft oder kulturellem und sprachlichem Hintergrund. In einem Zeitraum von neun Jahren habe ich die neun Etappen zurückgelegt, was vor allem während der Corona-Zeit nicht ganz so einfach war. Zwischen den neun Kapiteln zum Weg informieren neun weitere Kapitel von der Entstehung des Jakobswegs bis hin zu Unterkünften, Ausrüstung, Pilgerstempel und über Wissenswertes drumherum.

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EPUB
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Seitenzahl: 350

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über den Autor:

Helmut Ginzinger ist gelernter Wirtschaftsinformatiker und hat sein Master-Studium mit Fachrichtung „Managementinformationssysteme und Informationstechnologie“ in Zürich erfolgreich abgeschlossen.

Seit mehr als drei Jahrzehnten ist er bei internationalen Unternehmen als IT-Manager tätig. Trotz der daraus resultierenden unzähligen Aufenthalte in den Metropolen dieser Welt ist er immer ein heimatverbundener Bayer mit Leib und Seele geblieben.

Das Schreiben als Hobby entdeckte er vor einigen Jahren und veröffentlichte 2014 seinen Holledau Krimi „Grünes Gold“. Fast zeitgleich geschah es dann – der Pilgervirus hatte ihn gepackt und lässt ihn bis heute nicht mehr los.

Geboren 1961 in Mainburg im Herzen der Hallertau.

Hobbies: Schreiben, Fußball, Laufen, Pilgern und Golfen

Helmut Ginzinger lebt in Mainburg, ist verheiratet und hat drei Kinder.

Internet: www.helmut-ginzinger.de

Helmut Ginzinger

Pilgern von dahoam in die Fremde

2.000 Kilometer auf dem Jakobsweg

von Regensburg bis an die Pyrenäen

© 2025 Helmut Ginzinger

Website: https://helmut-ginzinger.de/

Covergrafik: Frontcover erstellt mit Unterstützung von ChatGPT

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

ISBN

 

Softcover

978-3-384-47158-1

e-Book

978-3-384-47159-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Prolog

Regensburg bis Donauwörth

Pilgern – vom Mittelalter bis heute

Donauwörth bis Bad Grönenbach

Jakobus der Ältere

Bad Grönenbach bis Rapperswil

Wandern, Wallfahren und Pilgern

Rapperswil bis Bern

Die 10 Ge(h)bote

Bern bis Genf

Pilgerführer, Bücher und Filme

Genf bis Chavanay

Ausrüstung, Pilgerpass, Pilgertagebuch etc.

Chavanay – Le Puy – Conques

Dialekte und Sprachen

Conques – Cahors – Moissac

Unterkünfte

Moissac – Condom – Saint-Jean-Pied-de-Port

Epilog

Pilgern von dahoam in die Fremde

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Vielen herzlichen Dank

meinen beiden Lektorinnen

Traudl & Annika

Eines noch kurz vorweg:

Wird in diesem Buch vom Pilger gesprochen, so bezieht sich dies immer auf die Pilgerin / den Pilger, also m/w/d also auf PilgerInnen oder Pilger*innen oder Pilger: innen oder was auch immer für eine Schreibweise sich durchzusetzen vermag.

Prolog

Der Pilger ist dann ein Pilger, wenn er den Entschluss zu dieser Reise gefasst hat - kurz- oder langfristig. Für jenen, der Haus und Habe zurücklässt, ist natürlich mehr zu ordnen und zu regeln als für den Bettelarmen. So ist es Pflicht, vor einer Pilgerfahrt bei der Familie und dem Pfarrer um Erlaubnis dafür zu bitten, sodann ein Testament zu schreiben, die gesamten Verantwortlichkeiten zu übertragen und sich mit allen zu versöhnen, mit denen Zwietracht geherrscht hatte. Der Bruch mit dem bisherigen Leben soll so konsequent wie möglich vollzogen werden.

Dies ist eine Passage aus einem mittelalterlichen Schriftstück aus dem 15. Jahrhundert von Hermann Künig von Vach. In diesem beschreibt der Servitenmönch, was ein Pilger vor seinem Aufbruch in die Fremde alles zu erledigen hatte, war es doch ungewiss, ob und wann er wieder zurückkehren würde. Gefahren für Leib und Leben musste er fürchten oder sogar den Tod. Einige der Pilger gingen im Anschluss an die Pilgerreise ins Kloster, um die erlangte Reinheit zu bewahren. Einige wurden nie mehr wieder gesehen.

Sich auf eine Pilgerreise zu begeben war also für das weitere Leben, und eventuell auch für das Ableben, eine folgenschwere Entscheidung. Aus dem Glauben heraus entstand die Motivation sich auf den Weg zu machen und an einen „heiligen“ Ort zu gehen, zu pilgern. So ist es jedenfalls überliefert.

Wagt man einen Sprung in die heutige Zeit, so sind die Beweggründe zu pilgern so vielfältig wie die Charaktere der Pilger selbst.

Aufgewachsen in einem ländlich religiösen Raum kannte ich natürlich den Begriff „Pilgern“ von Kindesbeinen an. Intensiv bewegt hatte mich das Thema aber erstmals 2012, beim Lesen des Buches „Ich bin dann mal weg.“ von Hape Kerkeling. Darin schildert er seine Erlebnisse auf dem Jakobsweg „Camino de Frances“ in Spanien.

Der Gedanke ans Pilgern ließ mich nicht mehr los und so stellte ich mir immer wieder die Fragen: Kann ich das auch? Schaffe ich das? Was braucht man alles dazu? Wieso? Weshalb? Warum? Je mehr ich mich mit dem Thema „Pilgern“ beschäftigte, desto größer wurde die Lust, es auszuprobieren.

Weil ich nicht gleich nach Spanien fliegen wollte, wie das so viele Pilger heute machen, um dort den Camino de Frances zu gehen, begann ich 2014 „von dahoam aus“. Bereits im Mittelalter pilgerten viele Menschen nach Santiago de Compostela und die konnten schließlich auch nicht an die französisch/spanische Grenze fliegen, um von dort aus dann zu Fuß zu pilgern.

Es war also geschehen, der Pilgervirus hatte mich gepackt, und er lässt mich bis heute nicht mehr los.

Das Wort „Pilgern“ stammt vom lateinischen „peregrinus“ (oder „peregrinare“) ab und bedeutet so viel wie „in der Fremde sein“.

Die Fremde, das Unbekannte und Neue zu erleben heißt für mich in eine andere Welt einzutauchen und ich lade dich ein mitzukommen auf meine Pilgerreise von dahoam in die Fremde.

Es ist überwältigend,

wie intensiv du die Heimat

und dann die Fremde erlebst,

wenn du über Wochen

zu Fuß unterwegs bist.

(Zitat von mir )

Regensburg bis Donauwörth

Wenn ich es nicht ausprobiere, werde ich nie am eigenen Leibe erfahren, was es nun auf sich hat mit dem Pilgern.

Durch Regensburg führt der Ostbayerische Jakobsweg, der von Prag her kommt. Zudem ist Regensburg unsere Bistumsstadt und deshalb lag es also auf der Hand von dort, von der Schottenkirche St. Jakob, zu starten. Es sind ja „nur“ 2.705 Kilometer bis nach Santiago de Compostela, wie ein Schild neben der Kirche verrät.

Erste Etappe von Regensburg bis Donauwörth

Einigermaßen beweglich und gut ausgerüstet sollte es kein Problem sein, sich eine Woche auf den Weg zu machen, um ins Pilgern hineinzuschnuppern. Funktionskleidung und ein hochmoderner Rucksack erleichtern das Gehen und den Transport der notwendigsten Ausrüstung. Robuste, aber nicht zu schwere Trekkingschuhe, dazu noch Teleskop-Wanderstöcke, Sonnenbrille und eine Kopfbedeckung, die vor der Sonne oder auch Kälte und Nässe von oben schützt und los geht’s.

Vorab noch ein paar Infos zu den Weglängenangaben, Höhenmetern usw. in diesem Buch. Diese Angaben können, je nachdem welche Quelle man benutzt, etwas abweichen. Ich habe bei meinen Zahlenangaben für dieses Buch immer den Mittelwert aus verschiedenen Quellen (oft auch GPS-/GPX-Tracks) und meinen persönlichen Aufzeichnungen und Erfahrungen genommen.

Für meine erste Etappe hatte ich geplant von Regensburg über Kelheim, Weltenburg, Altmannstein, Bettbrunn, Stammham, Eichstätt und Rennertshofen nach Donauwörth zu gehen. Launische 150 km in 6 Tagen, völlig unspektakulär, oder? Sagen wir es mal so, es kam alles anders als erwartet und einfach war der Beginn meiner Pilgerzeit bei Weitem nicht.

Wegweiser an der Schottenkirche

Wenn nur dieser Sch… Regen endlich aufhören würde. Seit zwei Tagen gehe ich nun bei strömendem Regen durch die Pampa und frage mich allen Ernstes: »Was hat dich denn eigentlich geritten, dass du dir sowas antust? Wie um Himmels Willen bist du nur auf diese Schnapsidee gekommen?«. Von großartigen Erlebnissen, bewegenden spirituellen Momenten, so wie sie oftim Zusammenhang mit dem Pilgern am Jakobsweg geschildert werden, keine Spur. Die atemberaubende Natur mit den kraftstrotzenden Wäldern wie dem Frauenforst und natürlich die beeindruckende Kulisse des Donaudurchbruchs können mir gestohlen bleiben … selbst wenn das noch so blumig in einer Wegbeschreibung angepriesen wird. Auch beim zeitweisen Gang am Limes entlang gleiten meine Gedanken keinesfalls in die Römerzeit ab. Es schifft in Strömen und die Römer sind mir jetzt gerade noch mal wurscht. Es ist mir auch egal, dass die besagten Römer den Wall zum Schutz vor den Barbaren, also den Germanen, die nördlich der Donau angesiedelt waren, errichtet hatten.

Aber Stopp, da sind wir ja schon mittendrin. Alles zurück auf Anfang. Was war in diesen ersten beiden Tagen geschehen?

Mittwoch, 28.05.2014, erster Pilgertag.

Ziemlich euphorisch hatte ich am ersten Tag gegen 09:30 Uhr die Schottenkirche St. Jakob in Regensburg verlassen, nachdem ich dort meinen Pilgersegen und meinen ersten Pilgerstempel im Pilgerpass erhalten hatte. Die vor mir liegenden 25 Kilometer sollten sich in etwa sechs Stunden bewältigen lassen, oder? Regensburg und auch Kelheim liegen mit ungefähr 340 Meter über dem Meeresspiegel fast auf gleicher Höhe, passt also auch. Beinahe verwunderlich mutet an, dass es am Weg durch den Bayerischen Jura um die 400 Meter rauf und wieder runter gehen soll – mal sehen.

Es hatte inzwischen zu regnen begonnen, was mir überhaupt nichts ausmachte, als ich mich durchs Jakobstor und auf der Jakobsstraße, der Jakobsmuschel folgend, auf den Weg machte. Bei so viel Jakob muss ein Pilger ja begeistert sein.

Das Symbol der Jakobsmuschel (gelbe Muschel auf blauem Grund) weist dem Pilger den Weg. Die Wege führen von den verschiedensten, über ganz Europa verteilten Startpunkten, bis nach Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens.

Die Prüfeninger Straße Richtung Westen zieht sich. Ich bin schon fast zwei Stunden unterwegs, bis ich die Donau über- und anschließend die A3 unterquere.

Blick von der Sinzinger Eisenbahnbrücke auf die Donaubrücke der A3

Unter der mächtigen Autobahnbrücke bleibe ich für ein paar Meter vom Regen geschützt und kann eine kurze Pause einlegen. Beharrlich tropft es weiter und die Bergstraße in Sinzing macht ihrem Namen alle Ehre. In den nun drei Stunden bin ich gefühlt noch nicht weit gekommen. Meine Füße und der Rest des Körpers signalisieren jedoch schon, dass der Regen und das Gewicht des zwölf Kilo schweren Rucksacks an meiner Kondition nagen. Was ich zu diesem Zeitpunkt "Gott sei Dank" noch nicht weiß – vier weitere Regenstunden Fußmarsch bergauf und bergab liegen noch vor mir. Ja sicher, hier gibt’s keine Berge, aber es sind vor allem in den Wäldern schon einige krasse Steigungen zu überwinden. In den Dörfern Bergmatting, Saxberg und Schneckenbach ist keine Seele auf der Straße. Wen wundert’s bei diesem Sauwetter. Nach einem elend langen Weg durch den Frauenforst erreiche ich schließlich doch noch Kelheim. Fix und fertig am Gasthof angekommen, muss ich mich zu allem Übel beim „Check-In“ auch noch in einer langen Schlange anstellen. Was ist denn hier los? frage ich mich. Vor einer Woche hatte ich bei meiner Planung für die erste Übernachtung einen halben Vormittag rumtelefoniert, um eine Bleibe in Kelheim zu finden, alles war voll. Die Erklärung dafür bekomme ich am Abend in der prall gefüllten Gaststube, als sich drei „Nordlichter“ zu mir an den Tisch setzen. Einer ist aus Köln, der andere aus Hannover und sie ist aus einem Städtchen im Ruhrpott, dessen Name ich mir nicht merken konnte. Die Drei und mehrere tausend andere sind für den morgen früh beginnenden Katholikentag in Regensburg angereist. Dieses Rätsel war also gelöst. Der Kölner betet vor dem Essen und hat eine Art Akkreditierung umhängen. Pfarrer scheint er jedoch keiner zu sein, da er zwischendurch von seiner Frau spricht. Na ja, könnte auch anders sein. Die beiden Männer erzählen, dass sie als Hobby ein altes Kettenkarussell wieder flott gemacht haben und es nun für einen geringen Obolus für Vereinsfeste und an Schulen verleihen. Find ich für eine super Idee! Gegen halb elf verabschiede ich mich von den Dreien und gehe zu Bett. Meine Regenhose und mein Anorak sind immer noch nicht trocken. Eine unruhige Nacht mit Schmerzen an Muskeln und Gelenken sollte mir bevorstehen.

Donnerstag, 29.05.2014, zweiter Pilgertag.

Regen am Morgen bringt Kummer und Sorgen.

Der Plan für den Tag wäre, die circa 21 Kilometer von Kelheim bis Altmannstein in etwa fünf Stunden zurückzulegen, wären da nicht die 440 Meter rauf und 390 Meter wieder runter an Höhenunterschied zu überwinden. Direkt flach an der Donau dahin zu schlendern sieht anders aus. Da ich einen etwas längeren Stopp am Kloster Weltenburg einplane, könnte es durchaus auch sechs bis sieben Stunden dauern, bis ich in Altmannstein ankommen werde. Was werden meine Füße und Beine für den heutigen Tag zulassen? Die Schmerzen sind nicht wirklich leichter geworden.

Den Fußweg von Kelheim nach Weltenburg kenne ich und dachte nicht, dass es so ein riesiger Unterschied ist, ob man die Strecke einfach so im Sonnenschein ohne jegliche Last am Rücken spaziert oder bei Dauerregen mit Zwölf-Kilo-Rucksack dahinwatet.

Kloster Weltenburg vom Felskopf aus

Um das Kloster Weltenburg mit der Benediktinerabtei zum Heiligen Georg zu erreichen, muss ich die Donau überqueren. Sinnvollerweise gibt es dazu direkt beim Kloster eine Fähre, die jedoch heute nicht in Betrieb ist. Super!!! Ich muss also weitergehen bis zur nächsten Fährmöglichkeit bei Stausacker, um über den Fluss zu gelangen. Der Lohn für die fast ein Kilometer längere Wegstrecke ist später ein deftiger Schweinsbraten im Klosterbiergarten. Erschöpft und mit Schmerzen im linken Mittelfuß und rechten Oberschenkel sitze ich bei Regen unter einem Schirm im Biergarten des Klosters und genieße meine Pilgerspeise. Eigentlich reichts mir mit Pilgern für heute und ich überlege schon im Kloster zu übernachten, aber nichts geht, ausgebucht … Katholikentag sag ich nur ….

Um halb eins breche ich dann doch wieder auf, nachdem ich in der Klosterkirche war und mir nebenan im Klostershop den Stempel in meinen Pilgerpass hab drücken lassen.

Bereits auf der kurzen Strecke zurück nach Stausacker zur Fähre über die Donau schmerzen die Beine wieder. Vorbei an Haderfleck und durch den Hienheimer Forst geht es viele Kilometer und Stunden weiter. Meine Pausen werden immer mehr und länger, obwohl es wegen des Regens kein Vergnügen ist sich einen Rastplatz zu suchen – aber ich kann nicht mehr. Trotz Funktionskleidung und Regenponcho bin ich völlig durchnässt vom Kopf bis zur Fußsohle. Ich dachte, ich hätte keine schlechte Kondition, aber die zusammen ca. 45 Kilometer von gestern und heute haben mir jegliche Kraft geraubt. Kein Wunder, ich spaziere ja auch nicht einfach durch die Gegend, sondern trage auch noch einen „tonnenschweren“ Rucksack, der mich bei jedem Schritt etwas mehr in den Boden presst. Endlich komme ich am späten Nachmittag in Altmannstein in dem Gasthof an, den ich mir für die Übernachtung ausgesucht habe. Mit einiger Überredungskunst gelingt es mir die Wirtin zu erweichen, die Heizung für das Zimmer zu aktivieren. „Ende Mai wird bei uns die Heizung abgedreht“ hatte sie bei meinem Check-In kundgetan. Nur langsam wird es wärmer im Zimmer und nach einer heißen Dusche kehren allmählich die Lebensgeister in meinen Körper zurück. Es wird schwierig werden, meine Ausrüstung und Kleidung über Nacht trocken zu bekommen. Und ja, waschen muss ich auch noch. So wie es in vielen Ratgebern für Pilger steht, habe ich nur eine Ersatzgarnitur an Unterwäsche, Socken und Hemd dabei, wegen dem Gewicht halt. Natürlich ist das alles Funktionskleidung, aber um frische Sachen nach der Dusche am Abend anzuziehen, müssen diese Kleidungsstücke am Vortag gewaschen und wieder getrocknet werden. Handwäsche im Waschbecken und rollierendes Waschen und Trocknen, sag ich nur.

Die nassen Schuhe dürfen die Nacht auf der Fensterbank, über der sich langsam erwärmenden Heizung verbringen.

In Altmannstein

Mir geht’s nicht so gut. Schmerzen an allen erdenklichen Stellen meines Körpers lassen jeden Schritt zur Qual werden. Ich bin fix und fertig und ich sehe im Moment wenig Gründe, wieso ich diese Tortur morgen fortsetzen sollte. Erbauliches spirituelles Pilgern, den Weg genießen, zu sich selbst finden und Kraft für Körper und Geist tanken – dass ich nicht lache. Wer schreibt denn so einen Schmarrn in Bücher oder ins Internet?! Mir reicht‘s, morgen fahre ich nach Hause!

Am Abend beim Essen in der Gaststube erhole ich mich nur sehr langsam von den Strapazen. Das kleine blaue Büchlein, das Details zum Ostbayerischen Jakobsweg beschreibt, liegt neben mir auf dem Tisch, ich habe aber keine Lust darin zu blättern. Am Nachbartisch, dem Stammtisch, sitzen ein paar Einheimische. Einer schaut mitleidsvoll zu mir herüber und bemerkt: »Du schaust ganz schön fertig aus!« und mit einem Blick auf das Buch meint er: »Du bist wohl so ein Pilger, oder?«.

Bin ich denn ein Pilger? Im Moment weiß ich das wirklich nicht, weil ich mich hundeelend fühle und die letzten beiden Tage eher im Regen abgesoffen bin, als in irgendwelche spirituellen Gedankenwelten aufzusteigen. Nach kurzem Zögern antworte ich dennoch mit »Ja, ich bin heute den zweiten Tag unterwegs. Gestern von Regensburg bis Kelheim und heute eben bis Altmannstein, wieso?«.

»Ich frag ja nur, weil dann bist ja heute durch den Hienheimer Forst gegangen und hast Glück gehabt, dass dich der Wolf nicht erwischt hat.« sagt er und alle am Tisch lachen.

»Der Wolf?« frage ich erstaunt. »Gibt‘s hier in der Gegend denn Wölfe?«

»Jetzt wohl gerade nicht, aber es hat früher welche gegeben, sonst würde ja die Säule mit der Eisernen Hand nicht existieren. Kennst du die Sage vom Eisernen Händl?«

»Jetzt hast du mich aber neugierig gemacht« sage ich zu ihm und obwohl die anderen Stammtischler die Sage natürlich kennen, fordern sie ihn ebenfalls auf, die Geschichte zu erzählen.

»Wie immer« sagt er, macht eine kurze Pause und treibt damit bei allen Zuhörern die Spannung noch mehr in die Höhe. »Wie immer gibt es von jeder Sage nicht nur eine Version und so ist es auch mit dieser. Ob das nun ein Mädchen war, das täglich zur Schule ging oder eine junge Näherin, wie es in einer zweiten Version heißt, ist ja auch wurscht. Auf jeden Fall war es so:

Vor langer Zeit musste ein junges Mädchen täglich ihren Weg von Haderfleck nach Hienheim gehen. Alleine und zu Fuß war sie unterwegs durch den dunklen Hienheimer Forst. Morgens hin und nachmittags wieder zurück. Eines Tages stand ihr knurrend ein Wolf gegenüber. An Flucht war nicht zu denken und so warf sie dem Raubtier ihr Butterbrot vor seine Pfoten. Der Wolf fraß das Brot und ließ das Mädchen weitergehen, ohne ihr zu folgen. Am nächsten Tag hatte ihr der Wolf wieder aufgelauert und wieder gab sie ihm ihr Brot. Das ging so einige Tage gut, bis sie eines Tages vergessen hatte, ihr Butterbrot mitzunehmen. Der Wolfversperrte ihr wieder den Weg, sie konnte ihm jedoch nichts zum Fressen geben. Der Wolf war hungrig und ungeduldig. Er umkreiste sie einmal und dann noch einmal. Wieder stellte er sich vor das Mädchen und fletschte die Zähne. Dann sprang er aufsie und fraß sie aufmit Haut und Haar. Nur ihren rechten Arm, mit dem sie ihn über Tage gefüttert hatte, ließ er übrig. Das Marterl mit der Eisernen Hand am Rand des Hienheimer Forstes erinnert noch heute an die Sage.«

An jenem Abend im Gasthof in Altmannstein unterhielt ich mich noch prächtig mit Jung und Alt am Stammtisch. Zurück im Zimmer konnte ich jedoch wegen der Schmerzen am ganzen Körper über zwei Stunden nicht einschlafen. Ich hatte nur noch einen Gedanken: Morgen beendest du den ganzen Irrsinn und fährst nach Hause. Einer gehörigen Dosis Ibuprofen war es dann wohl zu verdanken, dass ich irgendwann doch noch weggedöst bin.

Freitag, 30.05.2014, dritter Pilgertag.

Am Morgen konnte ich kaum aufstehen. Die Wirkung der Schmerztabletten hatte schon wieder nachgelassen und jede Bewegung wollte genau überlegt sein. Nur langsam quälte ich mich aus dem Bett ins Bad zur Morgentoilette. Es dauerte seine Zeit, bis ich mir anschließend meine Klamotten übergestreift hatte, um bereit fürs Frühstück zu sein. Erst jetzt fiel mir auf, dass das Prasseln der letzten Tage nicht zu hören war. Beim Öffnen der Vorhänge wurde ich vom hellen Morgensonnenschein geblendet.

Altmannstein, Blick aus dem Gasthoffenster

Die ersten Schritte aus dem Zimmer hinunter in die Gaststube zum Frühstück waren nur mit Festhalten am Treppengeländer zu bewältigen. Fast schon stolz war ich, als ich die paar Meter quer über den Flur ohne zusätzliche Hilfe meistern konnte. Ich war der einzige Gast an diesem Morgen und so fragte mich die Wirtin, ob ich mein Frühstück in der Küche einnehmen möchte. Dort sei geheizt und sie würde mir Gesellschaft leisten, musste sie doch nebenbei das Essen für den Mittagstisch vorbereiten. Der warme Kaffee tat meinem Körper gut. Zwischendurch setzte sie sich zu mir und wir unterhielten uns, wie man so schön sagt, über Gott und die Welt. Schließlich meinte sie, dass ich mir unbedingt noch die Kirche anschauen solle, bevor ich weitergehe, und sie fragte mich, wie weit ich denn heute pilgern würde.

Eine gute Frage. Was sollte ich ihr darauf antworten? Sollte ich ihr sagen, dass ich den nächsten Bus oder das nächste Taxi nehmen werde, um nach Hause zu fahren? Dass das ganze Pilgern eine Schnapsidee war und ich mich völlig übernommen habe? Sollte ich das sagen? Ich weiß nicht.

Erst jetzt fiel es mir auf: Seitdem ich in der Küche saß, mich mit meiner sympathischen Gastgeberin unterhielt und die Sonne den Raum regelrecht überflutete, waren die Gedanken ans Aufhören kurz in den Hintergrund getreten. Mein Nacken und mein Rücken schienen schier geschwollen zu sein und die Beine waren schwer, das fühlte ich sogar im Sitzen. Mein Körper hatte sich seine Meinung gebildet: „Hör auf und fahr nach Hause!“ signalisierte er mir. Irgendwie schien sich aber auch eine Stimmung in mir breit zu machen, die begann gegen die Gedanken ans Aufhören anzukämpfen.

»Ich muss mal sehen, wie es heute läuft«, antwortete ich der Hausherrin, bedankte mich für alles, bezahlte und verabschiedete mich.

Gemäß meiner ursprünglichen Planung wollte ich am dritten Tag von Altmannstein über Bettbrunn smarte 21 Kilometer bis nach Stammham pilgern. 280 Meter rauf und 190 Meter runter sollte sich der Weg „gemütlich“ schlängeln. Allein der Gedanke daran ließ mich sofort wieder in die Knie gehen und die innere Stimme des Aufhörens begann sich erneut lautstark zu melden.

Der Rucksack war noch genauso schwer wie gestern, aber wenigstens waren meine Sachen wieder trocken. Langsam machte ich mich auf zum Weg in die Kirche gegenüber dem Gasthof. Ein wohlwollender Gedankenaustausch in sakraler Umgebung konnte schließlich nicht schaden, bevor ich mich auf den Weg durch den Köschinger Forst Richtung Bettbrunn machte. Ich wollte der ganzen Unternehmung eine kleine zweite Chance geben. Aufhören kann ich immer noch, dachte ich mir.

Den Namen des Ortes Bettbrunn kannte ich bisher nur aus Erzählungen von Wallfahrern. Von Appersdorf und Elsendorf in der Hallertau, von Ingolstadt und vielen anderen bayerischen Orten aus machen sich Wallfahrer seit hunderten von Jahren jährlich auf zum Heiligen Salvator Mundi von Bettbrunn.

Der Weg von Altmannstein nach Bettbrunn gestaltet sich beinahe dramatisch für mich. Schritt für Schritt taste ich mich voran und ich muss für einen Beobachter wohl ein erbärmliches Bild abgeben; das ist mir allerdings wurscht. Sehr langsam kommt mein Bewegungsapparat wieder in Schwung, na ja, Schwung ist wohl schon mehr als übertrieben, jedoch Irgendetwas in mir will stetig weitergehen, will nicht aufhören. Nicht nur das Wetter zeigt sich von einer angenehmeren Seite, auch mein Körper scheint sich auf diese Dauerbelastung mit Gehen und schwerem Rucksack einstellen zu wollen, wenn auch widerwillig und sehr langsam.

Für die etwas mehr als zehn Kilometer von Altmannstein nach Bettbrunn brauche ich inklusive Pausen fast vier Stunden – eine halbe Ewigkeit. Zeitweise ist es eine Qual, eine Schinderei.

Wallfahrtskirche St. Salvator in Bettbrunn

In der Wallfahrtskirche in Bettbrunn lege ich meinen noch immer viel zu schweren Rucksack ab und verharre viele Minuten regungslos in einer der Kirchenbänke. Erst allmählich hebe ich den Kopf und entdecke den wunderbaren Charme dieses erhabenen Barockbaus.

Innenraum mit Hochaltar

Der Hochaltar wird begleitet von vier Seitenaltären und zusammen bestimmen sie das Innere des Gotteshauses. Unzählige, teils mehrere Meter hohe Votivkerzen links und rechts vom Hauptaltar zeugen von den seit vielen hundert Jahren stattfindenden Wallfahrten nach Bettbrunn. Farbenfrohe, mit Gold verzierte Heiligenfiguren und beeindruckende Deckengemälde bilden ein harmonisches Miteinander. Bis auf die Votivkerzen erinnert mich dieser Kirchenbau an den Mariendom der Hallertau in Lindkirchen, der mich schon ein Leben lang begleitet.

Es schlägt drei Uhr, als ich die Wallfahrtskirche wieder verlasse. Das Gasthaus gegenüber ist geschlossen, jedoch höre ich im Hinterhof jemanden reden. Obwohl sie heute nicht geöffnet haben, bietet mir die Hausherrin eine Tasse Kaffee und einen gigantischen Apfelkuchen an. Weitergehen bis Stammham kann ich auf keinen Fall mehr, ich bin fix und fertig. Wie sich herausstellt, besteht in Bettbrunn heute keinerlei Übernachtungsmöglichkeit für mich. Obwohl es mir sehr widerstrebt, bleibt mir nur eines übrig: Ich muss ein Taxi rufen, um irgendwo hinzukommen, wo ich übernachten kann. Meine Versuche mit dem Handy eine Mitfahrgelegenheit und eine Übernachtung in Stammham zu organisieren, scheitern kläglich – ich habe nur sporadisch ein Netz. Bus fährt auch keiner. Nach einiger Zeit kommt „der Herr des Hauses“ und setzt sich zu mir. Er versucht übers Haustelefon ein Taxiunternehmen in Ingolstadt zu erreichen, da geht aber nur der AB ran. Nach einiger Zeit sagt er: »Weißt was, ich ruf jetzt bei meinem Spezl in Walting an, der hat dort an Landgasthof. Ich frag, ob die noch ein Zimmer frei haben und dann fahr ich dich dort hin, wenn du willst. Dann kannst du morgen nach Eichstätt weitergehen.« Gesagt, getan! Der Wirt ist meine Rettung. Dass es über 20 Kilometer bis Walting sind und diese Fahrt meine Planung, die ganze Strecke zu Fuß zu pilgern, völlig über den Haufen wirft, ist mir bei meiner Gemütslage zu diesem Zeitpunkt wurschtegal.

Im Landgasthof in Walting bin ich dann gegen 17:00 Uhr und kann nach dem Duschen noch eine geraume Zeit den einladenden Biergarten genießen und mich etwas erholen. Wie es morgen weitergehen kann, ist mir beim anschließenden schmerzhaften Treppensteigen hoch zu meinem Zimmer noch immer ein Rätsel.

Samstag, 31.05.2014, vierter Pilgertag.

Die gute Nachricht zuerst: Die Sonne scheint und meinem Bewegungsapparat geht es ein ganz klein wenig besser. Kann auch sein, dass zu meinem vermeintlichen Wohlbefinden erneut eine gehörige Portion Voltaren in Salben- und Tablettenform beiträgt – was soll‘s.

Die schlechte Nachricht: Im blauen Büchlein zum Ostbayerischen Jakobsweg sind die geplanten Routen für heute und die nächsten Tage bis Donauwörth jeweils mit Distanzen zwischen 27 und 30 Kilometer angegeben. Von solchen Streckenlängen kann ich mich gedanklich gleich schon mal verabschieden. Vernünftig sein, aufgeben und aufhören schießt es mir durch den Kopf. Das hat doch alles keinen Sinn.

Nach dem Frühstück packe ich also meinen Rucksack und gehe los Richtung Bushaltestelle in Walting. Nach zehn Minuten warten steige ich in den Linienbus, der mich in das zehn Kilometer entfernte Eichstätt bringt. Dort kann ich ja immer noch eine Fahrgelegenheit nach Hause suchen oder schauen wies weitergehen kann.

Den Eichstätter Dom wollte ich immer schon mal besichtigen und dafür sollte heute der richtige Tag sein. Den Dom sehen kann ich und mache auch wunderschöne Fotos von außen.

Dom zu Eichstätt

Reingehen ist heute nicht drin, da an diesem Vormittag Firmung in Eichstätt ist und der Zugang nur Firmlingen und deren Angehörigen gewährt wird. Ok, das war schon mal suboptimal. Nach einem Kaffee unter strahlend blauem bayerischem Himmel entschließe ich mich weiterzugehen. Warum? Eine logische Erklärung dazu gibt es in diesem Moment nicht, außer dass ich gerade fast keine Schmerzen fühle. Vermutlich ist es den Schmerzen auch zu blöd geworden und sie verweigern jetzt ihrer Aufgabe nachzugehen und mir weh zu tun, diese Phase will ich nutzen.

Über die Altmühlbrücke führt der Weg aus der Universitätsstadt hinaus und es geht auf den ersten beiden Kilometern gleich mal fast 100 Meter bergauf und wieder bergab durch den Wald – genau das Richtige für meine nicht mehr vorhandene Kondition. Der Weg verläuft für Stunden durch einen schattigen Mischwald, der gelegentlich von warmen Sonnenstrahlen durchflutet wird. Nach dem Dörflein Ochsenfeld watschle ich weiter durch den Biesenharder Forst, bis ich nach etwa 18 Kilometern Fußmarsch und 300 Meter rauf und wieder runter in Bergen ankomme. Zwischendurch musste ich immer wieder Pausen einlegen und konnte trotz der Anstrengungen den Weg auf mich wirken lassen. In der Berger Rokoko-Wallfahrtskirche Zum Heiligen Kreuz verschnaufe ich ein paar Minuten und finde innere Ruhe. Bei der anschließenden verdienten Stärkung im Biergarten im Baringer Hof muss ich mir allerdings eingestehen, dass mein Körper für heute mehr als genug geleistet hat. Der Wirt und ein weiterer Gast setzen sich zu mir an den Tisch und wir unterhalten uns bestens. Für die paar Restkilometer bis Rennertshofen muss ich dann doch noch eine Mitfahrgelegenheit nutzen.

Das wurmt mich. Wie schon gesagt, wollte ich doch die ganze Strecke gehen, andererseits bleibt mir auf Grund meiner körperlichen Verfassung nichts anderes übrig, als einen Mix aus Gehen und Fahren für heute zu akzeptieren. Eine andere Option wäre gewesen, dass ich einfach aufhöre. Zu dieser konnte ich mich jedoch trotz aller physischen Probleme nicht durchringen, auch wenn der bleierne Rucksack bereits nach den ersten Metern schwer an meinen Schultern zog. Auf weitere Möglichkeiten komme ich zu dem Zeitpunkt nicht. Ich hätte einfach einen Ruhetag in Walting einlegen können. Möglich wäre auch gewesen, dass ich „nur“ die zehn Kilometer nach Eichstätt marschiert wäre, dort einen entspannten Nachmittag in der Altmühltal-Stadt verbracht hätte, um am nächsten Tag weiterzugehen. So weit war ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass ich mich von den empfohlenen Tagesetappen des Pilgerführer-Büchleins völlig lösen konnte und buchstäblich meinen eigenen Weg ging. Das habe ich erst im Laufe der späteren Pilgerreisen gelernt.

Auszug aus meinem Pilgertagebuch: Tag 4

Obwohl ich noch sämtliche Knochen spüre und sehr unruhig geschlafen habe, gehe ich positiv gestimmt meinen Weg. Es ist kein "Muss", es ist ein "Ich mag, ich darf", was mich antreibt. Während des Tages wird es oft sehr beschwerlich und ich muss zugeben, dass ich diese tägliche körperliche Belastung einfach nicht gewohnt bin. Trotzdem kann und will ich nicht stehen bleiben oder gar aufgeben. Sehr oft ziehen mich die physischen Anstrengungen nach unten und ich stelle mir wiederholt die Frage, nach dem WARUM. Warum machst du das? Noch während ich darüber nachdenke, ist es ein knarzender Ast oder ein anderes Geräusch am Weg, das mich ablenkt und auf völlig neue Gedanken bringt. Dadurch treten selbst arge Strapazen von einer Sekunde auf die andere in den Hintergrund. Ich denke, dies ist zumindest ein Teil von dem, was das Pilgern ausmacht. Der Weg zieht dich oft nach unten und zeigt dir deutlich deine Grenzen auf, er belohnt dich aber häufig schon in der nächsten Sekunde durch einen positiven Gedanken oder einen herrlichen Ausblick.

Sonntag, 01.06.2014, fünfter Pilgertag.

Von Rennertshofen über Neuhausen und Schweinspoint führt mich heute mein Weg bis Buchdorf. Ich fühle mich noch einen Tick besser und somit sollte es mir möglich sein, die gut 20 Kilometer bei leicht hügeliger Landschaft (nur 260 Meter rauf und 120 Meter runter) ganz zu Fuß zu meistern. Manch einer mag jetzt denken, was sind schon 20 Kilometer. Ich kann nur sagen, mit einem über 12 Kilo schweren Rucksack und nach den Strapazen und Erfahrungen der letzten Tage, sind das jede Menge.

Zum Frühstück lacht die Sonne, und mein Antrieb, mich gleich auf den Weg zu machen, ist schon erstaunlich. Als ich nach wenigen Metern an der Pfarrkirche von Rennertshofen vorbei gehe, läuten gerade die Glocken zur Sonntagsmesse und einige Gläubige huschen noch schnell in die Kirche. Kurz überlege ich, ob ich mich ihnen anschließen sollte, gehe jedoch an der Kirche vorbei. Später am Feldweg bereue ich die Entscheidung, bin aber schon zu weit weg von dem Marktflecken und möchte nicht mehr umkehren.

Auch an diesem Tag weist mir die Jakobsmuschel den Weg, sie ist aber nicht immer leicht zu entdecken. Jetzt, Anfang Juni sind die Stellen an denen die Schilder, Aufkleber oder auf Holz aufgemalten Symbole sein sollten, teilweise von Gras oder Blättern überwachsen und ich laufe daran vorbei. Nach einiger Zeit schaue ich dann doch auf mein Smartphone, um zu sehen, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin. Karte und GPS-Daten von Regensburg bis Donauwörth hatte ich mir vor meinem Start aus dem Internet heruntergeladen. Siehe da, der blaue Punkt, der meine Position anzeigt, ist fern ab vom ebenfalls blau eingezeichneten Pilgerweg auf der Karte. Na super, ich hätte doch abbiegen müssen. Also nix wie ein paar hundert Meter zurückgehen – dann sehe ich auch das gut versteckte Muschelsymbol und gehe den richtigen Weg weiter.

In Neuhausen scheinen alle Dorfbewohner an diesem Sonntag eine ausgedehnte Mittagsruhe einzulegen, es ist menschenleer. Fast menschenleer, nur drei Buben spielen neben der Dorfstraße Fußball. Als ihr Ball in meine Richtung geflogen kommt, stoppe ich ihn und spiele ihn zurück – kein Problem, trotz Rucksack. In Schweinspoint hatte ich gehofft, Mittag machen zu können, aber da finde ich leider keinen Gasthof und natürlich ist das einzige Geschäft am Ort am Sonntag geschlossen. Noch im Ort fällt mir eine „gelb-rote Farbkombination“ auf, die genau so über Jahrzehnte auf keinem Dorfplatz fehlen durfte. Heute ist sie oft verschwunden.

Mitten in Schweinspoint

An einem Wegkreuz hinter dem Ort mache ich Rast, um etwas zu trinken. Keine hundert Meter entfernt von mir sehe ich ein kleines Tier am Wegrand spielen. Kann es sein, dass es sich dabei um einen jungen Fuchs handelt?

Weiter geht es durch den Daitinger Forst bis Buchdorf. Dort komme ich im Gasthaus zu den Linden unter. Auf der Gastterrasse unterhalte ich mich prächtig mit den Wirtsleuten und drei Honoratioren des Dorfes. Zum Essen gibt’s Leberkäs mit Spiegelei und Salat – es ist ein Genuss. Unsere Gespräche gehen über Gleichstromtrassen, Windparks und über den Fliegerhorst in Neuburg an der Donau, wo sowohl einer der Gäste als auch ich einen Großteil unserer Bundeswehrzeit verbrachten. So gegen 23:00 Uhr gehe ich dann glücklich, zufrieden und müde ins Bett.

An diesem Tag hatte irgendwie alles gepasst. Ich bin viele Stunden zu Fuß unterwegs gewesen, hatte Zeit über alles Mögliche nachzudenken und habe jede Menge nette Leute getroffen. Ist das nun Pilgern? So oder ähnlich könnte ich es mir gut vorstellen. Erst jetzt fällt mir auf, dass außer mir wohl derzeit keine anderen Pilger auf der gleichen Strecke unterwegs sind, zumindest hatte ich keine getroffen. Auf der anderen Seite war ich so mit mir selbst beschäftigt, ich will mal sagen mit meinen Startschwierigkeiten, dass es vielleicht ganz okay war, dass ich für den Anfang alleine war.

Montag, 02.06.2014, sechster Pilgertag.

Es bleibt noch eine Halbtagesstrecke von Buchdorf über Kaisheim nach Donauwörth. Die zwölf Kilometer sollten kein Problem sein und ich freue mich riesig auf den sonnigen Tag. Tendenziell geht es heute wieder mehr nach unten, liegt Buchdorf auf ca. 550 Meter und Donauwörth auf etwa 410 Meter.

Nach ein paar Kilometern durch den Wald gehe ich die Hauptstraße in Richtung Kaisheim hinein. Vom ehemaligen Zisterzienserkloster, dessen erste urkundliche Erwähnung bis in das 12. Jahrhundert zurückgeht, sieht man von weitem schon die Kirche Mariä Himmelfahrt. Ich hatte mich nicht wirklich informiert, was in den Klosterräumen heutzutage untergebracht ist, und so war ich doch beim näheren Hinsehen etwas überrascht.

Ein Großteil des ehemaligen Klostergeländes ist mit hohen Mauern umgeben, was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass dahinter heute die JVA Kaisheim untergebracht ist. Was würde Lothar sagen: „Again what learned.“

Der Weg weiter nach Donauwörth führt wieder abwechslungsreich durch Wald und Flur. Gegen 13:00 Uhr sehe ich erstmals die „Skyline“ von Donauwörth. Sie ist geprägt von den Türmen des Münsters „Zu unserer Lieben Frau“ und der Klosterkirche „Heilig Kreuz“.

Li. Münster „Zu unserer Lieben Frau“ und re. Klosterkirche „Heilig Kreuz“

Ich schaue mir beide Kirchen innen an und so unterschiedlich sie sind, haben beide ihren Reiz. Bevor ich mich für meine Rückreise auf den Weg zum Bahnhof mache, nehme ich mir noch Zeit für eine Pause am Stadtplatz. Jetzt, wo ich mein Etappenziel nach vielen anstrengenden, oft quälenden Kilometern erreicht habe, fällt es mir fast schwer zu akzeptieren, dass der Weg zumindest vorerst für mich zu Ende ist.

Die Anstrengungen waren auf den letzten drei Tagen nicht weniger geworden, ich konnte aber mental und als Folge daraus auch körperlich etwas besser damit umgehen als an den ersten Tagen. Eine wirkliche Erklärung für meine stets gute Laune ab einem bestimmten Zeitpunkt habe ich nicht.

Die ersten sechs Pilgerstempel

Bin ich jetzt bereits ein Pilger? Auf jeden Fall bin ich auf der Heimfahrt mit dem Zug von Donauwörth ein wenig stolz auf meine sechs Stempel im Pilgerpass.

Ich war sehr neugierig, was mich jeden Tag, ja jede Stunde, erwarten würde. Ich war meiner Heimat noch recht nahe und doch war mir die Gegend hier völlig unbekannt. War ich also schon in der Fremde?

Werde ich mich irgendwann mal wieder auf den Weg machen? Glorreich waren vor allem die ersten drei Tage auf keinen Fall, die waren eher niederschmetternd. Wenn ich wieder einmal pilgern sollte, fliege ich dann nach Spanien? So ist es jedenfalls geplant, schließlich waren die vergangenen Tage dazu da, um ins Pilgern hineinzuschnuppern, um dann in Spanien voll loszulegen.

Was sollte ich aus dieser Pilgerreise lernen?

- Der Rucksack muss leichter werden. Zwölf Kilogramm, mit Wasser 13 oder auch mehr, das ist zu viel.

- Für die ersten zwei oder drei Tage sollte ich kürzere Streckenlängen von unter 20 Kilometer wählen. 15 jeweils an den ersten beiden Tagen würden locker reichen, um in den Pilger-Flow zu kommen. Auch sollte ich mir die Höhenprofile vorher besser anschauen. Es ist ein großer Unterschied, ob es bequem flach dahin geht oder sich hunderte Höhenmeter auftürmen.

- Meinem Körper muss ich Zeit geben sich einzugewöhnen. Eventuell sollte ich sogar nach ein paar Tagen einen Ruhetag einlegen, und auch einfach mal die Zeit genießen, ohne den Drang sich bewegen zu müssen.

Es gibt also noch jede Menge Optimierungspotential und schließlich muss ich mir auch noch eine wichtige, generelle Frage stellen: Möchte ich überhaupt nochmal pilgern und wenn ja, wo kann es weitergehen?

Das Video zu dieser Etappe „Mein Jakobsweg … pilgern von dahoam in die Fremde - I/IX - Regensburg bis Donauwörth“ findest du auf:

YouTube mit dem Link:

https://youtu.be/1_hKWK2E3gY

oder scanne den QR-Code rechts

oder auf meiner Homepage:

www.helmut-ginzinger.de/jakobsweg

Pilgern – vom Mittelalter bis heute

Nach meiner ersten Etappe war mein Wissensdurst groß und ich hatte mich natürlich weiter über das Pilgern informiert.

Als einen der ersten Pilger könnte man Abraham bezeichnen, der von Gott hinaus in die Fremde mit den Worten gesandt wurde: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde.

Auch die drei Weisen aus dem Morgenland „pilgerten“ auf Geheiß eines Engels zu einem neuen König, ohne zu wissen, wohin es ging, wie lange es dauern sollte und was sie auf dem Weg erwarten würde.

Selbst Jesus von Nazareth war in gewisser Weise ein Pilger, der vierzig Tage und vierzig Nächte in die Wüste ging (sich gewissermaßen eine Auszeit nahm), um dann seiner Bestimmung zu folgen.

Nun wird sicherlich nicht jeder Pilger von sich behaupten wollen, quasi von Gott persönlich ausgesandt worden zu sein, jedoch gibt es auch heute noch mannigfaltige Gründe, welche Pilger begeistern, einen Weg in die Fremde zu gehen.