Guns and Devils 7-9 - Natasha Doyle - E-Book

Guns and Devils 7-9 E-Book

Natasha Doyle

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Beschreibung

Dieser Sammelband beinhaltet die Bände sieben bis neun der Guns and Devils Reihe. TRAILERGIRL1 Als ich sechzehn war, begegnete ich meinem Traumprinzen. Gut, er war kein Prinz, sondern Polizist, zwölf Jahre älter als ich und absolut unerreichbar. Das hat meiner Verliebtheit aber keinen Abbruch getan. Heute ist Detective Wade Thomson immer noch der Hauptdarsteller meiner erotischen Fantasien. Das mit der Verliebtheit hat sich natürlich inzwischen gegeben. Außerdem ist er jetzt noch viel unerreichbarer als damals und ich bin nicht mehr die Bluebell Kinsey, die ich mit sechzehn war. Natürlich nicht. Es ist viel passiert und Menschen verändern sich. Genau wie Traumprinzen. Dummerweise macht die Realität diesen hier aber noch sehr viel interessanter. Ich bin weit davon entfernt, eine Prinzessin zu sein und das muss man, um am Ende den Prinzen zu heiraten. Aber ich will den Mann ja nicht heiraten, ich würde nur gern überprüfen, ob der Sex mit ihm so ist, wie ich es mir, verdammte sieben Jahre lang, vorgestellt habe. Ich werde mich schon nicht in den Kerl verlieben. Werde ich nicht. Ehrlich. TRAILERGIRL2 Ich lebe bei Lance. Ist es wirklich das, was ich verdiene? Zumindest ist es das, was ich bekommen habe. Oder richtiger, was ich selbst gewählt habe. Aber Wade wollte mich ja nicht. Besser für ihn. Ich würde ihm sowieso nur schaden. Wenigstens wohne ich nicht mehr in Eden, habe einen Job, den ich wirklich gerne mag und eigenes Geld. Ich kann mir also Unabhängigkeit vorgaukeln. So lange wenigstes bis ich genauer darüber nachdenke. Weshalb ich wenig denke und so tue, als wäre mir alles egal. Aber wie lange kann man die Augen davor verschließen, dass Mädchen entführt und gequält werden und man selbst etwas dagegen tun könnte? Nicht allzu lange, so viel kann ich schon mal sagen. Anders ausgedrückt, genau die Zeitspanne, in der man sich vormachen kann, nicht in einen bestimmten Detective verliebt zu sein. Vor allem, wenn sich herausstellt, dass der sehr wohl noch an einem interessiert ist. FASHIONGIRL Es gibt eine Menge Gründe meine Vergangenheit aufzuarbeiten. Zum Beispiel das unweigerliche Ende meiner Modelkarriere, um nur einen zu nennen. Ich hätte das allerdings gern aus eigenem Antrieb getan, ohne dass mich jemand, den ich bis eben nicht einmal kannte, dazu zwingt. Seine Gründe erklärt mir derjenige nicht, dafür aber die Mittel, die er in der Hand hält, um mich zu „überzeugen“ ihn zu heiraten. Wofür ich erst ein paar Dinge abschließen muss. Ich habe vier Wochen

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Trailergirl 1
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
Trailergirl 2
Was bisher geschah…
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
EPILOG
Fashiongirl
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
EPILOG
IMPRESSUM

Alle in diesem Roman vorkommenden Personen, geschilderten Schauplätze, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden.

Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen oder Ereignissen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

 

 

Covergestaltung: Tom Jay - bookcover4everyone

Copyright-Angabe für das Titelbild Sammelband: (c) stetsik / Depositphotos.com

Copyright-Angabe für das Titelbild Trailergirl: (c) MaciejBledowski / Depositphotos.com

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Trailergirl 1

 

von

Natasha Doyle

KAPITEL 1

 

Er ist es. Natürlich. Die Stimme würde ich unter allen Umständen wiedererkennen. Noch ist er im Flur, aber gleich wird er hereinkommen. Unser Wiedersehen hatte ich mir etwas anders vorgestellt. Obwohl ich davon ausgehe, dass er sich nicht an mich erinnert.

Warum auch? Ich war damals eine unscheinbare Sechzehnjährige und er ein außergewöhnlich attraktiver Mann Ende zwanzig. Ernsthaft, selbstsicher und in offizieller Mission unterwegs. Ich hatte nichts vorzuweisen, was seine Aufmerksamkeit erregt hätte.

Keine Brüste, keine Hüften und einen schrecklichen Haarschnitt. Außerdem lebte ich zu dem Zeitpunkt noch im Trailerpark am Rande von Georgetown. Ja, diese schöne Stadt hat ihre hässlichen Seiten, über die in keinem Prospekt oder Statement der Stadtväter und Politiker je geredet wird.

Was das betrifft, benehmen sie sich wie Kinder. Wenn ich mir die Augen zuhalte und nicht darüber rede, gibt es so etwas wie ein Elendsviertel nicht. Und auch keine Mitbürger, um die man sich kümmern müsste. Besonders um die Kinder.

Das ist lange her. Mehr als die tatsächlichen sieben Jahre. Jetzt bin ich dreiundzwanzig, habe einen eindrucksvolleren Körper und werde in wenigen Sekunden meinem Traummann gegenüberstehen. Ich ziehe eine Grimasse und sehe an mir herunter. Seine Aufmerksamkeit ist mir sicher: Ich sehe aus, als hätte ich in Blut gebadet. Vor mir auf dem Boden liegt mein Bruder. Tot. Meine Schuld. Zum Beweis liegt das Messer mit meinen Fingerabdrücken neben ihm.

Nein, ich bin keine eiskalte Mörderin. Das hier war Notwehr und ich bin froh, dass er endlich nicht mehr da ist. Es wäre nur besser, wenn nicht ich diejenige gewesen wäre, die seinem Leben ein Ende gesetzt hat. Feinde hatte er genug. Die Chancen standen also gut.

Die Stimmen kommen näher. Ich lehne immer noch an der Wand, schon um Halt zu haben. Ich glaube, ein Teil meiner Ruhe kommt vom Schock. Ein anderer ist Erleichterung. Ich habe Rhett gehasst. Er hat mir auch jeden Grund dazu gegeben.

Die angelehnte Tür wird aufgeschoben und der Sergeant, Gerry Irgendwas, lässt seinen Chef mit folgenden Worten ein:

„Der Schauplatz des Verbrechens. Opfer und Täterin sind hier drin.“

Wade Thomson, Detective oder vielleicht auch schon befördert worden, betritt den Raum und sieht sich kurz mit diesem, ihm eigenen, aufmerksamen Blick um, der sofort jedes Detail registriert und abspeichert.

Womöglich sieht er sogar noch besser aus als damals. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn über die Jahre nicht glorifiziert habe. Nope, er ist umwerfend.

Beinahe hätte ich über die Absurdität meiner Gedanken gelacht. Das würde aus mir eine mordende Verrückte machen und ich unterdrücke es schnell. Ein merkwürdiger Laut entkommt meiner Kehle und nun richtet sich sein Blick auf mich. Blaugraue Augen, umkränzt von wunderschönen, langen, dunklen Wimpern.

Vielleicht ist er ja verheiratet oder hat zumindest eine Freundin. Möglicherweise sogar Kinder. Daran habe ich in all den Jahren nie gedacht. Dass er vergeben sein könnte. Mein Gehirn hat sich interessante Geschichten zusammenfantasiert, von einem Mann, der auf mich wartet. Sieben Jahre sind viel Zeit, um sich die schönsten Szenarien eines Wiedersehens auszumalen.

Die aktuelle Version war nicht dabei.

„Sie haben sie mit der Leiche und der Tatwaffe allein gelassen?“, knurrt mein Detective seinen Sergeant an.

Der zuckt lediglich mit den Schultern. „Was hätte sie tun können? Der Mann ist schon tot.“

„Sich selbst verletzen eventuell?“ Thomson ist wütend. „Kümmern Sie sich darum.“ Er wedelt mit der Hand in Richtung Rhett.

Ich habe den Namen immer für eine gerechte Strafe gehalten. Sein zweiter Name ist Butler. Ernsthaft. Meine bekloppte Mutter liebte „Vom Winde verweht“. Ich kann von Glück sagen, dass ich nicht Scarlett heiße. Obwohl mein Name jetzt auch nicht das ist, was ich mir ausgesucht hätte. Ich heiße Bluebell, kurz Blue.

Mein Traummann macht einen leichten Bogen um meinen Bruder und steht nun direkt vor mir.

„Ich bin Detective Wade Thomson und mit diesem Fall betraut. Wie geht es Ihnen?“

Er hat diese Stimme, die eine Frau dazu bringt, alles für ihn tun zu wollen. Das wäre eine gute Gelegenheit, als zartes weibliches Wesen an seine Brust zu sinken und mich trösten zu lassen.

Dagegen sprechen allerdings zwei Dinge:

Erstens, ich bin zwar keine Riesin, aber auch keine ein Meter fünfzig kleine, 47-Kilo-Frau. Eine, der man die Hilflosigkeit unter allen Bedingungen abnimmt. Männer zumindest, Frauen erkennen, dass es meist nur eine Masche ist, die bei den Schwanzdenkern erstaunlich gut funktioniert. Bis zu einer derartig guten Technik habe ich es nie gebracht. Wozu auch?

Ich bin Durchschnitt in so ziemlich jeder Hinsicht. Kein Hungerhaken und kein Pin-up-Girl, sondern irgendetwas dazwischen.

Zweitens, ich bin voller Blut, selbst meine Haare und vermutlich auch mein Gesicht. Ich würde ihn vollkommen einsauen. Erinnerungswürdig? Auf jeden Fall. Ist nur nicht der Eindruck, den ich gern bei ihm hinterlassen würde.

Wade wartet immer noch auf eine Antwort. „Ganz okay“, nuschle ich.

Neben uns taucht eine uniformierte Frau auf. „Soll ich sie jetzt mitnehmen?“, erkundigt sie sich vorsichtig.

„Tut mir leid“, murmelt er, nur für meine Ohren hörbar. Laut sagt er: „Tun Sie Ihre Pflicht Sergeant.“

Die Frau weist mich an, mich umzudrehen, holt meine Arme auf den Rücken und legt mir Handschellen an.

„Ich verhafte Sie wegen des Verdachts des Mordes an Rhett Kinsey. Sie haben das Recht …“ Ab da höre ich nicht mehr zu. Ist sowieso immer das Gleiche.

Woher ich das weiß?

Ist nicht meine erste Verhaftung, nur die erste wegen Mordes.

***

WADE

Bluebell Kinsey, 23 Jahre alt. Vorstrafen wegen kleinerer Delikte – Diebstahl, Trunkenheit in der Öffentlichkeit, eine Schlägerei. Sie war nie im Gefängnis gewesen. Es gab jedes Mal Sozialstunden und wahrscheinlich ein paar wenig hilfreiche Ratschläge.

Unter all dem Blut hatte Wade die junge Frau nicht erkannt, aber der Name und ihr Foto hatten ihn letztendlich darauf gebracht. Sie hatten sich schon einmal getroffen. Die Bedingungen waren denen von heute ähnlich. Allerdings war die Sechzehnjährige Zeugin in einem Beziehungsstreit mit tödlichem Ausgang gewesen. Dem ihrer Eltern. Die Vormundschaft hatte man damals dem fünfundzwanzigjährigen Bruder überlassen. Rhett Kinsey, das Opfer des aktuellen Falls.

Wade suchte im Computer nach dem Namen und fand auch prompt eine Akte. Die war weitaus eindrucksvoller als die der Schwester. Wiederholte Schlägereien, Erpressung, Drogenhandel, Hehlerei. Bei allen Delikten war er mit einem blauen Auge davongekommen – erstaunlich angesichts der Vorwürfe.

Nur einmal hatte Rhett einsitzen müssen. Tätlicher Angriff mit Todesfolge. Da er einer von mehreren Tätern gewesen war, hatte er nur drei Monate bekommen. Was überraschend wenig war. Das erregte Wades Aufmerksamkeit. Er würde sich mit den Umständen der Verhaftung und der Verurteilung bei Gelegenheit genauer beschäftigen.

Kinsey war vor vier Wochen entlassen worden.

Wie war das Verhältnis zwischen den Geschwistern gewesen?

Wade suchte herum, fand aber keine hilfreichen Informationen. Er verließ sein Büro und ging zu dem einzigen weiblichen Sergeant, den das Revier besaß und dem zuverlässigsten – Bonnie Rhome.

„Bonnie beschaffen Sie mir alles, was Sie über die Verdächtige und das Opfer finden können. Fragen Sie bitte auch bei den Jugendämtern an. Rhett war eine Zeit lang der Vormund des Mädchens.“

„Der jungen Frau“, korrigierte sie ihn automatisch.

Sergeant Rhome kämpfte für Emanzipation und gegen jegliche Art von Sexismus. Eine Feministin wie sie im Buche stand. Das lief bei ihr ganz automatisch ab. Hatte sie das Gefühl, dass eine Frau irgendwie ungerecht behandelt wurde, reagierte sie sofort. Wade war sich nicht bewusst, was genau er in ihren Augen falsch gemacht hatte, als er Miss Kinsey als Mädchen bezeichnete. Sie war offensichtlich sehr jung.

Für ihn war ein weibliches Wesen erst dann eine Frau, wenn seine männlichen Sinne sie als solche registrierten – als mögliche Beute. DAS würde er selbstverständlich in Gegenwart von Rhome nie laut sagen.

„Wann verhören Sie sie?“, erkundigte sich Rhome und bemühte sich darum, dass es beiläufig klang. Wade kannte sie zu gut, um darauf hereinzufallen.

„Demnächst. Möchten Sie dabei sein?“ Die Antwort bestand in einem Strahlen und einem heftigen Nicken.

„Dann treffen wir uns in zehn Minuten vor der Tür.“

 

KAPITEL 2

 

Seit mindestens zwei Stunden sitze ich in diesem kahlen Zimmer und warte. Darauf, dass mich endlich jemand befragt. Was machen die alle?

Freundlicherweise hat man mir die Handschellen abgenommen. Dieser weibliche Sergeant war sowieso überraschend nett. Sie scheint so eine Art Vorzeigeemanze zu sein. Auf dem ganzen Weg zum Revier hat sie mir einen Vortrag gehalten. Es ging um Sexismus und darum, dass wir Frauen zusammenhalten und uns wehren müssen. Angesichts der Umstände wusste ich wirklich nicht, was ich dazu sagen sollte.

Bevor sie ging, grummelte sie noch: „Sie sind eine Frau, verdammt nochmal.“ Bis dahin hatte ich gedacht, das wäre offensichtlich. Man lernt eben nie aus.

Nach ungefähr einer Stunde habe ich den Kopf auf die Tischplatte gelegt und versucht zu schlafen. Es hätte fast funktioniert. Dann habe ich den Streit mit Rhett noch einmal durchlebt und das hat mich mehr als wach gemacht.

Die Tür öffnet sich und herein kommen drei Personen. Thomson, der Emanzensergeant und ein schmieriger Kerl mit Halbglatze und sorgfältig darüber drapierten Haaren, die alle von der linken Seite stammen. Wieso sagt diesen Typen keiner, wie bescheuert das aussieht? Allen voran ihr Spiegel.

Ich bin schlecht drauf. Nicht einmal Wade Thomsons attraktiver Anblick kann daran was ändern. Mir geht es offensichtlich wirklich beschissen. Wie auch nicht? Ich bin hier, weil ich unter Mordverdacht stehe und kein Ende, das mir einfällt, ein Happy End ist.

„Das ist Charles Claw, Ihr Anwalt“, stellt der Detective den Scheinkämmer vor.

„Sie meinen meinen Pflichtverteidiger, der wahrscheinlich hier ist, weil er bei Stein, Schere, Papier verloren hat?“ Thomson unterdrückt ein Grinsen und Sergeant Rhome kichert leise.

Claw sieht mich mit offenem Mund und aufgerissenen Augen an. Scheiße, das sollte ein Scherz sein. Haben die das echt ausgeknobelt?

Der Anwalt räuspert sich und setzt sich auf den Stuhl neben mich. Uns gegenüber nehmen die Polizisten Platz.

Rhome reicht mir eine Flasche Wasser, die ich sofort öffne. Sie hat mich auch duschen lassen und mir andere Klamotten gegeben. Vermutlich ihre eigenen. Sie ist ein Stück kleiner als ich, dafür aber erheblich muskulöser. Was bedeutet, dass die Jogginghose zehn Zentimeter zu kurz ist und das Shirt an den Schultern zu breit.

Wer beklagt sich? Wenigstens sehe ich nicht mehr aus, als hätte ich ein Massaker veranstaltet. So war es nämlich nicht. Aber deswegen sind wir ja alle hier.

Sie, weil sie die Geschichte hören wollen und ich, weil ich sie erzählen muss. Thomson schaltet irgendeine Aufnahmetechnik ein, sagt die Uhrzeit und die Namen aller Anwesenden und das Verhör beginnt.

„Miss Kinsey, ich würde gern Ihre Version der Ereignisse hören, die zum Tod von Ihrem Bruder, Rhett Kinsey, geführt haben.“

Schöne Stimme, fast könnte ich vergessen, warum ich hier bin. Selbst wenn er so sachlich ist wie jetzt, ist es pure Erotik, die da von seinen Stimmbändern tropft.

Nicht ablenken lassen.

Einen Moment brauche ich, um mich zu sammeln und einen weiteren, um zu überlegen, an welchem Punkt ich beginne. Rhetts Sorge war immer, ich könnte zu viel erzählen. Immerhin wohnten wir zusammen, da bekommt man einiges mit, das nicht für einen bestimmt ist. Was ja nicht mehr sein Problem ist. Das Arschloch ist jetzt hoffentlich in der Hölle und wird von den größten und fiesesten Dämonen gefoltert.

Das Konzept der Hölle hat mir schon immer gefallen. Mit dem Himmel konnte ich nie viel anfangen. Keiner aus meiner Verwandtschaft macht den Eindruck, als würde er da jemals landen. Als wir klein waren, mussten wir regelmäßig in die Kirche. Was an sich schon ein Witz ist, wenn man an meine Familie denkt. Der größere ist, dass unsere elende Siedlung den Namen „Eden“ trägt.

Irgendwo ist auch noch ein verbeultes Schild, auf dem dich ein euphorisches, „Welcome to Eden“ begrüßt. Ich glaube, da sind auch noch glücklich grinsende Kinder und ein Hund drauf. Bist du daran vorbei, stehst du auf einer Art Müllhalde, auf der Menschen wohnen. Trash, wohin man sieht – menschlicher und tatsächlicher.

Keiner der Anwesenden drängt mich, aber der Kasper von Anwalt wird langsam unruhig und sieht auf die Uhr. Time is money. Schon klar. Da ich aber sowieso keins habe, wird ihm das nicht viel nutzen.

„Rhett wurde mein Vormund als meine Eltern … gestorben sind.“ Sich gegenseitig totgeschlagen haben, wäre die treffendere Aussage. Der eine war besoffen, die andere vollkommen zugedröhnt. „Da war ich sechzehn. Bei ihm zu leben war nicht besser. Das einzig Gute, was ich über ihn sagen kann, ist, dass er mich nicht verhungern ließ. Rhett war kein Typ, der mit einem diskutiert hat. Er war eher von der körperlichen Sorte, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Wade nickt. Was die anderen machen, weiß ich nicht. Ich sehe ausschließlich ihn an. Seine Meinung ist mir wichtig. Er ist einer der seltenen Menschen, die tatsächlich versuchen, für Gerechtigkeit zu sorgen, und dich nicht gleich abstempeln, weil du in einem verrotteten Wohnwagen geboren wurdest. Falls er sich in den letzten Jahren nicht sehr verändert hat.

„Zum Anfang habe ich alles gemacht, was er wollte. Vorwiegend war ich Kurier. Damit meine ich, dass ich Nachrichten überbracht habe. Er misstraute jeder Art von Technik. Später habe ich Geld oder Drogen transportiert. Mädchen sind unverdächtiger. Besonders, wenn sie ein hübsches Kleid anhaben.“

Als mein Körper anfing, wie der einer Frau auszusehen, waren Kleider immer noch ziemlich hilfreich, wenn auch aus anderen Gründen. Männer sind leicht zu manipulieren.

Das war eines der ersten Dinge, die ich bei Rhett gelernt habe. Das Zweite war: Männer wollen nur deinen Körper. Sie wollen nicht mit dir reden oder was über dich wissen. Es geht nur um Sex. Ich habe mich einmal verliebt. Mein größter Fehler. Ich wurde benutzt und fallengelassen. Nun ja, ist lange her und der Typ war es auch nicht wert. Das habe ich hinterher herausgefunden. Also hat er mir wahrscheinlich sogar einen Gefallen getan.

„Bis ich achtzehn wurde, hatte ich keine Wahl. Rhett war mein Vormund und hat bestimmt, wo es langgeht. Ich wollte nicht auf der Straße landen.“ Vielleicht wäre das besser gewesen. „Ich mache Musik, das hat über das Schlimmste hinweggeholfen. Egal. Sie wollen wissen, was heute passiert ist und nicht wie ich aufgewachsen bin.“

Mein Mund ist trocken und ich greife nach dem Wasser, um einen langen Schluck zu nehmen.

„Rhetts Bosse haben Probleme mit einer Ratte. Sie sind überzeugt, dass es Rhett war, der sie verraten hat. Er brauchte einen Ersatzmann oder besser eine Ersatzfrau, um seinen Arsch zu retten. Wir haben uns darüber gestritten. Ich habe mich geweigert, seinen Sündenbock zu spielen. Die Leute, mit denen er zu tun hat, sind alles andere als zimperlich und zwischen meinem Bruder und mir gab es keine Liebe.

Ich schulde ihm nichts. Schon gar nicht mein Leben. Als ich gehen wollte, hat er mich aufgehalten. Mit einem Messer. Mit DEM Messer. Wir haben gekämpft. Genau kann ich mich nicht daran erinnern. Nur daran, dass ich plötzlich auf dem Boden kniete, er vor mir stand und ich das Messer in der Hand hatte. Ich habe blind zugestochen und irgendeine verdammte Ader in seinem Oberschenkel erwischt.

Rhett hat wie verrückt geblutet und ich habe versucht, das Blut zu stoppen. Aber das ging nicht. Ich habe nicht daran gedacht, einen Arzt zu rufen, sondern wie bescheuert meine Hände auf die Wunde gedrückt. Es hat einfach nicht aufgehört. Nach ein paar Minuten ist er stumm zusammengesackt und hat sich nicht mehr gerührt. Das Nächste, was ich weiß, ist, dass Ihre Leute aufgetaucht sind.“

Irgendwer muss die Bullen gerufen haben, als wir noch kämpften und uns anschrien. Sonst sind die nicht so schnell. Wir wohnen nicht mehr in Eden, aber die Wohngegend ist auch nicht viel besser. Zumindest haben wir eine Dusche, die sogar warmes Wasser hat und sich in einem richtigen Bad befindet. Gegenüber dem Trailerpark eine riesige Verbesserung.

„Vielen Dank“, sagt Thomson, stellt das Aufnahmegerät ab und wendet sich an Mr. Schmierig. „Möchten Sie sich mit Ihrer Klientin besprechen, bevor wir mit der Befragung beginnen?“

„Ich denke, das wird nicht nötig sein. Für mich ist alles klar“, sagt Claw zufrieden. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf mich und sieht mich mit Herablassung und gespielter Nachsicht an.

„Tatsächlich?“, murmelt mein Detective, verzieht aber keine Miene. „Lassen Sie uns doch bitte an Ihren Erkenntnissen teilhaben, Mr. Claw.“

„Junge Dame, Sie versuchen uns gerade einzureden, dass es sich um so eine Art Unfall gehandelt hat oder auch Notwehr. Ich bitte Sie, für wie dumm halten Sie uns? Ich bin überzeugt, dass Sie und Ihr Bruder zusammengearbeitet haben. Das mit dem Streit glaube ich. Passiert bei Leuten Ihrer Sorte ständig. Ging es um Ihren Anteil? War er nicht hoch genug? Wie auch immer. Ich habe Ihre Akte gelesen. In Eden geboren und aufgewachsen und danach immer wieder verhaftet worden. Sie sind eine Kriminelle, meine Liebe. Vermutlich haben Sie ihn vorsätzlich getötet. Ich denke nicht, dass Sie unschuldig sind. Tut mir leid, aber ich werde nicht viel für Sie tun können.“

Vor lauter Entsetzen bekomme ich kein Wort raus. In Utah gibt es die Todesstrafe. Er hat nicht vor, mich zu verteidigen. Für ihn stehe ich bereits als Mörderin fest. Ernsthaft, ich erwarte nicht viel von diesem Staat im Allgemeinen und Georgetown im Besonderen, aber damit habe ich nicht gerechnet.

„Das können Sie doch nicht machen“, sage ich tonlos. „Ich habe ihn nicht ermordet. Ich bin unschuldig.“

Claw ignoriert mich, sieht wieder auf die Uhr und dann zu Thomson. „Sind wir dann hier fertig? Ich habe noch einen wichtigen Termin.“ Golf spielen mit dem Bürgermeister?

„Sie verdammtes Arschloch“, brülle ich ihn an. „Ihnen ist scheißegal, was aus mir wird.“

Er schafft es tatsächlich, beleidigt auszusehen. „Mich anzubrüllen, verbessert Ihre Situation nicht gerade.“

„Sie wollen mich in den Todestrakt schicken. Wie viel schlimmer kann meine Situation bitte werden?“ Ich brülle immer noch.

„Ich für meinen Teil bin hier fertig“, sagt er demonstrativ zu Wade und ich bin Geschichte. „Ich werde empfehlen, sie nach Draper zu verlegen.“

Draper ist das staatliche Gefängnis. Bin ich erst einmal da, kann mich so gut wie nichts retten.

„Nein, das werden Sie nicht tun, Mr. Claw“, sagt Thomson zu meiner Überraschung. „Miss Kinsey, möchten Sie einen anderen Anwalt?“ Er sieht mich eindringlich an.

Möchten? Auf jeden Fall. Aber den kann ich nicht bezahlen. Allerdings ist kein Anwalt, besser als der hier.

„Ja“, sage ich lediglich und eine Sekunde sehe ich ein zufriedenes Leuchten in Thomsons blaugrauen Augen. Wie es aussieht, kann er den Kerl nicht ausstehen.

„Sie haben es gehört. Miss Kinsey verzichtet auf eine Verteidigung durch Sie. Ich danke Ihnen für die aufgewendete Zeit.“

„Verschwendet, wollten Sie wohl sagen. Ich werde mich an höherer Stelle über Sie beschweren, Thomson. Es ist unerhört, wie Sie mit jemandem wie mir umspringen.“

„Ist notiert. Und jetzt gehen Sie.“

Wir warten, bis der Anwalt schnaubend seine Sachen zusammengesucht hat und dann mit großer Show den Raum verlässt. „Empörend“, ist das Letzte, was zu hören ist, bevor sich die Tür schließt.

Und nun?

„Kennen Sie einen guten Anwalt, Miss Kinsey?“

Klar, den Besten soweit ich weiß. Benjamin Wigley. Obwohl 'kennen' zu viel gesagt ist. Er hat sich damals um mich gekümmert, als das mit meinen Eltern passiert ist. Den kann ich mir nicht leisten. Ich kann mir gar nichts leisten. Nicht mal die beschissene Miete für die Wohnung. Ach verdammt, den Tatort, den ich sowieso nicht betreten darf. Ich denke auch nicht, dass der Vermieter mich da weiter wohnen lässt.

Vielleicht kommst du ja ins Gefängnis. Da gibt es kostenloses Essen und Duschen haben die auch. Die sorgen sogar für deine Beerdigung, nachdem sie dich vorher totgespritzt haben.

Das habe ich nicht verdient. Angst und aufkommende Panik schütteln meinen Körper. Ich kann absolut nichts dagegen machen. Um das Schütteln zu stoppen, schlinge ich die Arme um mich. Aber es hilft nicht.

„Ich will nicht sterben“, bricht es aus mir heraus. Wie hat das alles nur soweit kommen können.

Das wars dann mit dir und Thomson.

Was für ein dämlicher Gedanke. Ich fange an hysterisch zu kichern, steigere mich total hinein und beginne vor lauter Lachen zu heulen. Was für ein verficktes Drama.

Weiche Arme schlingen sich um mich und jemand drückt meinen Kopf an seine Schulter.

„Schht“, macht Sergeant Rhome und wiegt mich leicht hin und her. Wie eine Mama. Dabei ist sie gerade mal ein paar Jahre älter als ich. Es hilft tatsächlich. Nach und nach beruhige ich mich.

„Ich wollte nicht, dass er stirbt“, sage ich dumpf an ihrer Schulter.

Das ist die Wahrheit. Bei aller Wut auf Rhett, und obwohl er mir soviel Schmerz zugefügt hat, war er doch mein Bruder. Ich hatte sowieso geplant, woanders hinzugehen. Der Tod ist zu endgültig, um sich auf die Art von einem Menschen zu trennen.

„Gehts?“, fragt sie und sieht mich mitfühlend aus dunkelbraunen Augen an. Ich nicke, wische mir die Tränen ab und reiße mich zusammen. Ich hasse es, wenn ich die Fassung verliere.

Rhome setzt sich wieder. Thomson hat die ganze Szene mit unergründlichem Gesichtsausdruck verfolgt. Ganz Polizist. Und genau das bringt mich wieder in die Realität. Die, in der er mich nach einem Anwalt gefragt und mir vorher diesen Claw vom Hals geschafft hat.

„Ich kenne nur Mister Wigley, aber das ist Jahre her. Und ich glaube nicht, dass er sich für jemanden wie mich interessieren würde.“

„Sie würden sich wundern“, sagt Thomson und seine Mundwinkel zucken amüsiert.

So schnell der Ansatz eines Lächelns aufgetaucht ist, ist er auch schon wieder weg. Der Mann scheint das nicht häufig zu machen. Verständlich, wenn man einen Job macht, in dem man die ganze Zeit nur mit Verbrechen zu tun hat. Das kann einem gewaltig die Laune verderben.

Er ist härter geworden seit damals. Oder meine Sicht der Dinge hat sich geändert. Ich war immerhin ein Teenager. Wahrscheinlich trifft beides zu.

Wie alt ist er eigentlich? Soweit ich weiß, zwölf Jahre älter als ich. Also muss er fünfunddreißig oder sechsunddreißig sein. Das ist ernüchternd. Selbst wenn die Umstände besser wären, würde er sich nicht für eine Frau Anfang zwanzig interessieren. Ich seufze. Was er natürlich falsch versteht.

„Wir haben nicht vor, Sie im Stich zu lassen“, sagt er ernst. Rhome und ich sehen ihn mit demselben Gesichtsausdruck an – Erstaunen. Warum sie sich wundert, weiß ich nicht. Ich bin überrascht, weil er mich nicht einfach abschreibt.

„Was denn? Ich glaube Miss Kinsey ihre Geschichte.“ Er betrachtet seinen Sergeant mit zusammengezogenen Brauen. Beide blenden mich völlig aus.

„Ich auch“, sagt Rhome und wird wieder streng dienstlich. „Die Untersuchungsergebnisse des Tatorts und der Leiche werden uns sagen, wie es abgelaufen ist.“

„War sie schon beim Arzt und beim Fotografen?“, fragt Thomson. Rhome schüttelt den Kopf.

„Ich dachte, es ist wichtiger, dass sie uns ihren Eindruck der Vorkommnisse schildert, solange er noch frisch ist.“

„Sehr gut“, lobt er sie und die Frau strahlt. Lobe zu verteilen, scheint bei ihm genauso selten zu sein wie ein Lächeln.

Jetzt bin ich wieder dran. Thomson mustert mich, klopft sich mit dem Zeigefinger gegen die Wange und trifft dann eine Entscheidung.

„Mein Sergeant wird Sie zu den Untersuchungen begleiten, danach gehen Sie zurück in die Zelle. Ich muss mich um ein paar Sachen kümmern und dann reden wir noch einmal miteinander.“

Er will reden, nicht mich verhören. Irgendwas ist hier gerade passiert und ich habe keine Ahnung was. So läuft das normalerweise nicht. Sie quetschen dich aus – wieder und wieder. Bis sie der Meinung sind, dass es genug ist, ihnen deine Aussage gefällt oder sie wissen, dass du sie nicht ändern wirst. Ich bin schon mehrfach verhaftet worden – leider – ich weiß, wie Verhöre gehen.

Er redet leise mit Rhome, steht dann auf und lässt uns allein. Ich kann nicht anders und sehe ihm auf den Hintern. Knackig.

„Er ist ein verflucht schöner Mann, nicht wahr?“, seufzt der Sergeant leise, reißt sich aber sofort zusammen. „Hoch mit Ihnen, wir haben noch einiges vor.“

***

WADE

Er glaubte ihr tatsächlich. Wade erkannte, wenn man ihn belog. Sie hatte nicht gelogen und auch der hysterische Zusammenbruch war echt gewesen. Wade hatte sich sowieso gefragt, wie lange es dauern würde, bis sie sich nicht mehr so unbeeindruckt gab.

Nur eiskalte Killer waren ehrlich entspannt. Sie juckte nicht, was sie getan hatten, nur der Umstand, erwischt worden zu sein. Normale Menschen versuchten mit der Tat und allem anderen irgendwie klarzukommen. Zu Beginn helfen das Adrenalin und die Anstrengung des Gehirns, das Geschehene zu verarbeiten. Zum Schutz blendet es das Drama manchmal aus und der Mensch wirkt, als wäre ihm alles egal.

Wie war es vor sieben Jahren gewesen? Wade versuchte, sich an die Ereignisse von damals zu erinnern.

Er war achtundzwanzig Jahre alt und frisch in die Abteilung für Schwerverbrechen versetzt worden. Der Fall der Kinseys war sein erster auf dem Gebiet gewesen. Es war auch das erste Mal, dass er „Eden“ betreten hatte.

Wade war selten auf Außendienst gegangen, weil er sich als Kopfarbeiter gesehen hatte und glaubte, es genüge, Fälle allein durch Logik aufzuklären. Den Zahn hatte man ihm schnell gezogen.

Den Schauplatz eines Schwerverbrechens musste man sich ansehen, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Fälle von Diebstahl und Prügeleien konnte man auch am Schreibtisch lösen.

Unerwarteterweise hatte ihn die neue Aufgabe gereizt und ihm gefallen. Mehr als er angenommen hatte. Seit „seinem“ ersten Mord sah er Menschen und ihre Lebensumstände mit anderen Augen, weniger abstrakt. Mittlerweile hatte er aber auch die Schattenseiten des Jobs kennengelernt. Vor allem die Bürokratie und die Einflüsse von außen hatte er unterschätzt. Aus dem idealistischen Kämpfer für Gerechtigkeit war jemand geworden, der den Glauben an Recht und Ordnung, angesichts von zunehmender Korruption und bürokratischen Hürden, verloren hatte.

In „Eden“ lebte der Abschaum der Gesellschaft. So sahen es jedenfalls die angesehenen Bürger der Stadt. Besonders die, die eigentlich dafür sorgen sollten die Zustände in dem Trailerpark zu ändern. Wade hegte eine tiefe Abneigung gegen Politiker und Wirtschaftsbosse und hatte immer mehr Verständnis für die „Black Devils“. Selbst die Moralvorstellungen eines Oleg Ponedin standen ihm näher als die von Stuart Myer, dem Bürgermeister von Georgetown. Etwas, das er nie laut sagen würde.

Seit der Korruptionsaffäre vor ein paar Jahren, welche die Anwältin Olivia Martin - die einen der „Devils“ geheiratet hatte, jetzt Broderick hieß und deren persönliche Rechtsvertreterin war - aufgedeckt hatte, waren die Beziehungen zwischen Polizei und Georgetowner Oberschicht merklich abgekühlt. Um nicht zu sagen, teilweise zu Eis erstarrt. Kam drauf an, wie nahe sie dem Einzelnen damals gekommen waren.

Nur der hundertprozentigen Unterstützung seines Chiefs, Ian Goswig, hatte Wade es zu verdanken, dass man ihn nicht aus dem Dienst entfernt hatte. Für ein unauffälliges Abschieben in den Ruhestand war es noch ein bisschen früh und für eine unehrenhafte Entlassung fehlten die Gründe. Jedenfalls die offiziellen, belegbaren.

Inoffizielle Gründe gab es mehr als genug. Angefangen hatte alles mit Jillian, Lords Frau. Wade hatte schnell festgestellt, dass eine Zusammenarbeit mit den „Devils“ für beide Seiten von Vorteil war und auch wenn deren Rechtsauffassung häufig von der seinen abwich, überschnitt sich ihre Definition von Gerechtigkeit in vielen Punkten.

Seitdem tauschten sie Informationen, unterstützen sich gegenseitig und es gab regelmäßige Treffen mit Lord, Olivia und sogar ab und zu mit Oleg Ponedin. Nur die irische Fraktion hielt sich zurück und blieb unter sich. Was Wade sehr recht war. Die Iren waren seiner Meinung nach die, deren Wurzeln tiefer im Sumpf verankert waren als die der Russen oder der Biker. Möglicherweise redete er sich das auch nur ein, um sich selbst einen Grund zu liefern, die Verbrüderung mit Kriminellen in einem besseren Licht erscheinen zu lassen.

Zurück zu den Kinseys.

Bis Wade am Schauplatz des Mordes eintraf, hatte er sich für ziemlich abgeklärt gehalten. Es war abends gegen zehn gewesen. Der Grillplatz, auf dem sich der Mord ereignet hatte, war bereits mit flatternden Tatortbändern abgesperrt worden. Man hatte die Bewohner in ihre Wagen geschickt und lediglich zwei Polizisten, der Pathologe und die gelangweilt aussehenden Fahrer des Leichenwagens, waren noch anwesend.

Zumindest hatte er das geglaubt, bis er das blutverschmierte Mädchen gesehen hatte, das allein und unbeachtet auf dem Boden saß. Den Rücken hatte es an eine Tonne gelehnt, die Beine angezogen und das Gesicht war von langen, dunkelblonden Haaren verdeckt. Heute trug sie sie schulterlang. Den Pony hatte sie schon damals gehabt.

Wade war zu der Kleinen gegangen und hatte sich neben sie gehockt, noch bevor er sich um den Tatort oder irgendetwas anderes gekümmert hatte.

„Geht es dir gut?“, hatte er gefragt und sich sofort über die dumme Frage geärgert. Ihre Eltern waren tot, natürlich ging es ihr nicht gut. Sie hatte den Kopf gehoben und ihn angesehen. Dann hatte sie ihn ausführlich betrachtet und er war merkwürdig unsicher geworden unter ihrem intensiven Blick.

„Wer sind Sie?“

„Meine Name ist Wade Thomson. Ich untersuche den Fall.“ Seine Eloquenz hatte sich nicht verbessert. „Es tut mir leid wegen deiner Eltern“, hatte er zögernd nachgeschoben. Das Mädchen hatte gelächelt, ihm die Hand auf den Arm gelegt und ihn sanft und beruhigend gestreichelt.

„Schon gut. Sie müssen sich nicht schlecht fühlen. Irgendwann musste es so kommen.“

Das hatte ihn vollkommen umgehauen. Sie tröstete ihn. Dabei sollte es doch andersherum sein. Und sie war von den Vorfällen weder überrascht noch erschüttert. Was für ein Leben hatte sie in diesem Alter bereits hinter sich?

„Übrigens, ich heiße Bluebell. Sie können mich gerne Blue nennen. Obwohl beide Namen schrecklich sind.“

„Wie würdest du denn lieber heißen?“, hatte er spontan gefragt. Woraufhin sie wieder gelächelt hatte. Es wirkte traurig, sehnsuchtsvoll und wissend. Eine Kombination, die ihn tief berührte.

„Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Sollte ich mal, hm?“

Dann hatte man ihn weggerufen und er hatte sie erst wiedergetroffen, als er die Zeugenaussage aufnahm. Nach dem Gespräch in der Nacht hatte er Bluebell Kinsey nie wieder lächeln sehen.

Nun traf er sie nach Jahren wieder und die Situation war um einiges schlimmer als damals. Er hatte das Gefühl vor sieben Jahren nicht genug für sie getan zu haben. Vielleicht war es auch nur eine sentimentale Anwandlung. Wade hob den Hörer und wählte die Nummer von Benjamin Wigley.

 

KAPITEL 3

 

„Ihr Anwalt ist da“, sagt ein Polizist und schließt die Zelle auf.

„Welcher Anwalt?“

„Ihrer“, sagt er nur und schiebt mich dann mit Nachdruck den Gang entlang. Solange es nicht wieder dieser Claw ist.

Diesmal werde ich in einen anderen Raum gebracht, immer noch ohne Handschellen. So viel Vertrauen ist ungewöhnlich. Andererseits ist Abhauen unmöglich. Die Räume befinden sich alle im hinteren Teil des Reviers. Ich müsste an den Büros vorbei und quer durch den Großraum, um zur Tür zu kommen. Selbst wenn ich das schaffen würde, wüsste ich nicht, wo ich mich verstecken soll. Außerdem würde mich so eine Aktion definitiv schuldig aussehen lassen.

Und das bin ich nicht. Schuldig, meine ich. Ich bin auch nicht unschuldig, wie sich das Männer von Mädchen wünschen. Warum auch immer. Aber Rhett zu töten, war nicht meine Absicht. Es war ein beschissener Unfall.

Der Anwalt, der mich erwartet, ist eine Überraschung – eine positive.

„Miss Kinsey, ich freue mich, Sie zu sehen. Auch unter diesen Umständen.“ Benjamin Wigley lächelt freundlich und reicht mir die Hand. Ich ergreife sie und drücke sie fest.

„Was machen Sie hier?“ Dämlich, Blue. „Entschuldigen Sie. Natürlich bin ich glücklich, Sie zu sehen, nur… Ich kann Sie nicht bezahlen.“ Eins meiner größten Probleme, fehlendes Geld.

„Machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Das ist bereits geregelt. Nehmen Sie doch Platz.“

Ich lasse mich erschöpft auf einen der Stühle plumpsen. Mordverdacht macht müde.

Das ist bereits geregelt?

„Wie?“

„Ich verstehe nicht.“

„Wie ist das geregelt?“

„Jemand, dem ich einen Gefallen schulde, hat mich darum gebeten, Ihren Fall zu übernehmen.“

„Und wer ist der mysteriöse Jemand?“

Ich habe Familie und ich habe Freunde. Keine Ahnung, ob die schon wissen, was passiert ist. Was ich aber mit Sicherheit weiß, keiner von ihnen hat Geld oder eine enge Verbindung zu Wigley. Geschweige denn, dass der einem von ihnen einen Gefallen schulden würde.

„Spielt das eine Rolle? Ich versichere, dass alles seine Richtigkeit hat und ich Sie mit all meinem Können verteidigen werde.“ Einem geschenkten Gaul… „Erzählen Sie mir alles und lassen Sie bitte kein Detail aus.“

Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück, faltet die Hände und ist das personifizierte Zuhören. Also los.

„Ich will ehrlich sein. Dass Rhett tot ist, macht mich nicht unglücklich. Er war ein mieser Bastard, der mir mein Leben in jeder Minute zur Hölle gemacht hat. Ich wollte ihn nicht umbringen. Ich wollte ihn nicht einmal verletzen. ER war der mit dem Messer.“

Wigleys Miene ist nach wie vor freundlich und konzentriert. Ich entspanne mich merklich und rede langsamer und mit mehr Überlegung weiter.

„Die Leute, für die er arbeitet - gearbeitet hat -, verzeihen keine Fehler. Nicht den kleinsten und Rhett hat einige gemacht. Sie dachten, dass er sie verraten hätte. Zutrauen würde ich es ihm. Rhett hat immer gedacht, er wäre schlauer als alle anderen und käme mit allem durch. Es ging ihm nur ums Geld. Na ja und um Macht. Er war ein großer, sehr starker Kerl und hat alles und jeden eingeschüchtert. Rhetts Motto war: 'Jemand, dem du ein paar Zähne ausgeschlagen hast, belügt dich nicht. Du musst von Anfang an klarstellen, wer der Boss ist.' Ich war ein ausgesprochen pflegeleichter Teenager.“ Ich schneide eine Grimasse. Zumindest was Rhett betraf. Ich habe mich an anderer Stelle ausgetobt. Man muss sich nur meine Polizeiakte ansehen. „Ich habe vor einem halben Jahr beschlossen auszuziehen. Das hat meinem Bruder nicht gefallen.“

Die Untertreibung des Jahrhunderts. Rhett war vollkommen ausgerastet. Ich konnte tagelang nicht vor die Tür, weil er mich dermaßen verprügelt hatte, dass man die blauen Flecken und Schrammen nicht verstecken konnte. Danach hatte ich meine großartigen Pläne, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, auf unbekannte Zeit verschoben. Ich räuspere mich kurz und mache weiter.

„Gestern… Es ist alles irgendwie eskaliert. Sie hatten ihn gewarnt. Was bei den Typen so gut wie ein Todesurteil ist. Rhett musste ihnen einen Schuldigen präsentieren, sonst wäre er dran gewesen. Er hat mir nur wenig dazu gesagt. Den Rest habe ich mir zusammengereimt. Irgendwer hat irgendwem Stoff geklaut. Eine riesige Menge Stoff. Die muss noch irgendwo sein, denn auf dem Markt ist nichts aufgetaucht. Sagte Rhett jedenfalls.

Die Typen wollen also ihr Zeug zurückhaben und den Dieb. Kann man verstehen. Ich habe keine Ahnung, wie mein Bruder das drehen wollte. Ich weiß nicht, wer der Dieb ist und ich weiß schon gar nicht, wo die Ware ist. Ich schätze, das hätten die sehr schnell herausgefunden und ich hätte ihm so oder so nichts genutzt. Rhett war nicht der Schlaueste. Ich hab mich geweigert und auch versucht ihm klarzumachen, wie blöd sein Plan ist.

Das hat ihn sauer gemacht. Ich habe seine Panik unterschätzt. Die haben ihm echt Angst eingeflößt. So kam eins zum anderen. Wir haben uns angeschrien, dann hat er mir ein paar runtergehauen und ich habe mich gewehrt. Das ist in eine Prügelei ausgeartet, bei der der Sieger von Anfang an feststand.“

Ich bin kein Schwächling, aber Rhett war eins sechsundneunzig und ich bin über zwanzig Zentimeter kleiner. Außerdem wog er ungefähr doppelt so viel wie ich und das waren alles Muskeln.

„Irgendwann hat er das Messer gezogen und vor mir damit herumgefuchtelt. Ich habe ihn abgewehrt, was man an den Schnitten an meinen Handflächen sieht. Soll ich die Verbände abnehmen?“

Die Schnitte sind ziemlich tief. Das habe ich erst beim Duschen bemerkt. Rhome hat mir ein paar Verbände drumgewickelt. Die Frau war geschickt. Die, die ich jetzt habe, sind vom Arzt und können bald ab. Meine Wunden heilen schnell.

Wigley schüttelt den Kopf. „Ich brauche keine Beweise. Ich glaube Ihnen, das ist viel einfacher.“ Er zwinkert mir zu.

Ich stutze überrascht. Ist schon eine Weile her, dass mir jemand einfach so geglaubt hat, schon das zweite Mal in zwei Tagen und dann auch noch bei einer so wichtigen Sache. Ich schüttle die kurze Erstarrung ab und mache weiter.

„Rhett hat mich auf den Boden gezerrt und sich vor mich gestellt. Er dominierte Leute gern durch seine Größe. Er hat angedroht, mir das Gesicht zu zerschneiden und da hat irgendwas in mir Klick gemacht. Ich habe nach dem Messer gegriffen, es ihm entreißen können – was wahrscheinlich an der Überraschung lag – und einfach blind nach oben gestochen. Dabei muss ich diese verdammte Ader getroffen haben. Er machte ein komisches Geräusch und knallte vor mir auf die Knie. Er hat geflucht und immer wieder gesagt, dass ich machen soll, dass es aufhört zu bluten. Ich habe es versucht, aber es ging einfach nicht. Und dann ist er zusammengebrochen und sagte nichts mehr. Er hat sich auch nicht mehr bewegt. Ich wusste nicht, was ich machen soll. Ich kniete in seinem Blut, hatte das Messer in der Hand und die Polizei stürmte in die Wohnung. Das war alles.“

Der Anwalt sucht in seinen Papieren und fördert ein paar Blätter zutage.

„Das hier sind die Vorberichte des Pathologen und des Mediziners, der Sie untersucht hat. Beide bestätigen das, was Sie mir gerade erzählt haben.“

So schnell? Ich dachte immer, solche Berichte würden ewig brauchen. Vielleicht hat Wigley gute Verbindungen und konnte alles beschleunigen. Aber warum sollte er das tun?

Solange es mir hilft, sollte es mir egal sein.

„Ich denke, die Chancen stehen gut, dass es gar nicht erst zu einer Verhandlung kommt. Wir werden sehen, was ich tun kann. Jetzt werde ich mich erst einmal darum kümmern, dass Sie auf Kaution freikommen.“

Kaution kann ich mir genauso wenig leisten wie ihn. Das sage ich ihm auch.

„Verstehe“, sagt er nachdenklich. „Ich werde auch hier sehen, was sich tun lässt. Wo werden Sie wohnen?“

Ein weiteres Problem. Dafür gibt es allerdings eine Lösung, auch wenn sie mich nicht glücklich macht. „Ich gehe zurück nach Eden. Der Wohnwagen gehört ja jetzt mir. Die Adresse lautet: Eden, Row 6, No. 10.“

Ich war seit Jahren nicht mehr da. Keine Ahnung, wie es da aussieht und ob man überhaupt noch in dem Ding wohnen kann. Aber ich habe keine Alternativen. Wenn ich hier rauskomme, dann schlafe ich auch in einem verdammten öffentlichen Park. Hauptsache, frei.

Wir verabschieden uns voneinander und ich fühle mich schon jetzt, als hätte man mir eine Tonne Gewicht von den Schultern genommen. Wenn Benjamin Wigley sagt, dass er glaubt, eine Anklage verhindern zu können, gibt es keinen Grund daran zu zweifeln. Er kennt sich schließlich aus.

 

KAPITEL 4

 

Cami, meine beste Freundin seit Kindertagen, sitzt vor meiner Zelle, den Kopf in die Hände gestützt und schmollt. Ich lehne von innen an der Tür und sehe durch das kleine Gitterfenster.

Sie hat mir frische Sachen gebracht, wozu sie mit einem Polizisten in die Wohnung musste. Oder besser, an den Tatort und genau das ist ihr Problem. Nicht das viele Blut, sondern…

„Die hatten die Leiche weggebracht. Das verstehe ich ja, aber warum wollten sie mir keine Fotos zeigen?“

Um über solche Äußerungen nicht permanent den Kopf zu schütteln, muss man mit ihr aufgewachsen sein. Cami ist anders. In jeder Hinsicht. Sie trägt zum Beispiel nur lila Klamotten. Angeblich hat ihr mal eine Zigeunerin gesagt, dass das ihre Aurafarbe sei und Glück bringe. Da war sie sieben. Keiner hat sie je wieder davon abbringen können. Als Latina, mit dunklen Locken und blitzenden Augen, kann sie es sich leisten.

Schwarz ist die einzige Farbe, die sie akzeptiert, um mal was zu kombinieren. Eine Jacke, einen Gürtel oder Schuhe. Sogar ihre Haare sind lila. Man glaubt, nicht wie viele Abstufungen es in der Farbe gibt, bis man es mal gesehen hat. Ein Abend mit Cami und Alkohol ist lebensverändernd. Kann ich nur Leuten empfehlen, die wirklich starke Nerven haben.

Abgesehen von ihrem schrägen Kleidungsstil steht sie auf Horrorfilme. Je trashiger, desto besser. Ergibt die Handlung keinen Sinn, erklärt sie sie einem. Meist ergibt das noch weniger Sinn, ist aber sehr viel lustiger als der eigentliche Film. Ich denke, sie wäre eine super Drehbuchautorin. Kann ja noch werden. Schließlich ist sie auch erst dreiundzwanzig. Wir haben am selben Tag Geburtstag. Wenn das nicht Schicksal ist.

Ihr Haustier ist ein Präriehund namens Abraham Lincoln, den sie im Yellowstone Nationalpark geklaut hat, als er ein Baby war. Niemand hat je herausgefunden, wie sie das geschafft hat. Wir haben nicht groß nachgefragt. Alle waren froh, dass sie keinen Grizzly oder ein Bisonjunges angeschleppt hat. Bei Cami ist so ziemlich alles möglich.

Allerdings kann es sein, dass Abe unter Artenschutz steht, weswegen er regelmäßig versteckt wird, wenn es eine Razzia gibt. Und das kommt in Eden häufig vor. Der kleine Kerl ist total zahm und anhänglich und schon fünf Jahre alt. Ich hab irgendwo gelesen, dass die eventuell acht werden können. Aber sicher ist sich da keiner. Hoffen wir das Beste. Wenn er stirbt, wäre das furchtbar für Cami.

„Meinst du, du kannst mir ein paar Fotos besorgen?“ Sie ist immer noch beim Tatort.

„Echt jetzt, Camilla Jenkins. Was, verflucht nochmal, stimmt mit dir nicht?“

Sie macht eine Kaugummiblase und lässt sie knallen. Gleichzeitig zuckt sie mit den Schultern, ohne dass es albern aussieht. Ich könnte das nicht. Mal abgesehen davon, dass ich Kaugummis hasse.

„Du bist schon vier Tage hier“, sagt sie. „Warum hast du mich eigentlich nicht gleich angerufen?“

„Das ist hier drin nicht so einfach. Außerdem wärst du keine Hilfe gewesen.“

Sie weiß, dass dieser Claw mich im Todestrakt sehen wollte und hat bereits beschlossen, einen Fluch für ihn zu wirken. Auch sowas. In manchen Momenten ist sie überzeugt, dass sie eine Hexe ist. Immer dann, wenn es ihr gerade in den Kram passt.

„Stimmt. Wäre aber trotzdem nett gewesen zu erfahren, wo du bist. Erzähl mir nochmal von deinem Detective.“

Dazu muss man Folgendes wissen. Cami und ich haben keine Geheimnisse voreinander, bis auf die eine oder andere Ausnahme, von der ich weiß, dass es sie nur unnötig unglücklich macht. Keine von uns hat jemals die andere verraten. Wir stehen bedingungslos füreinander ein, egal welchen Mist die andere verzapft hat. Wir gehören einfach zusammen und das, seit wir auf der Welt sind.

Sie weiß alles über meine jahrelange Schwärmerei für Wade Thomson. Cami behauptet von sich, sie sei asexuell, verliebt sich aber ungefähr alle fünf Minuten und hat genauso schnell auch schon wieder das Interesse verloren. Langweilig wird es mit ihr nie.

„Da gibt es nichts zu erzählen. Ich bin hier wegen Mordverdacht und er leitet die Ermittlungen. Zuerst war ich voller Blut und dann hatte ich einen Nervenzusammenbruch. War nicht meine erotischste Seite. Außerdem sieht er mich nicht als Frau.“

„Hat er das gesagt?“

„Nein. Er benimmt sich so korrekt, wie es in den Dienstanweisungen steht.“

„Woher willst du das dann wissen?“

„Glaub mir, das sieht man ihm an.“

„Bedeutet das, du gibst auf?“

„Wovon redest du? Ich habe den Mann jahrelang nicht gesehen. Und du tust, als ob sich mein ganzes Leben andauernd um ihn dreht.“

Sie macht wieder eine Blase. „Ich gebe zu, dass wir schon eine Weile nicht mehr über ihn geredet haben. Trotzdem bin ich sicher, dass er deine wahre Liebe ist.“

Ich frage nicht, woher sie das so genau wissen will. Die Antwort hätte garantiert irgendwas mit Pendeln oder Karten zu tun und darüber mit Cami zu streiten, hat keinen Sinn.

Sergeant Rhome hält uns von jeder weiteren Unterhaltung ab. Sie war so nett, uns allein zu lassen. Anders ausgedrückt, sie hat sich Camis Gerede eine Weile angehört und dann beschlossen, dass es sie verrückt macht. Ihr Gesichtsausdruck sagte alles.

„Ich lass Ihnen ein wenig Privatsphäre“, klang sehr viel netter als das, was sich vermutlich in ihrem Kopf abspielte.

„Komm vorbei, sobald du draußen bist“, sagt Cami. In ihrer Stimme ist nicht der leiseste Zweifel, dass es diesen Tag geben und dass es auch nicht lange dauern wird. Ich liebe ihren Optimismus. „Bis dann, Superwoman.“

Sie bleibt nochmal bei Rhome stehen. „Sei ja nett zu ihr, Miss Polizistin“, ermahnt sie den Sergeant und hebt auch gleich noch einen warnenden Finger. Dann rauscht sie davon.

„Tut mir leid“, sage ich zu Sergeant Rhome, die etwas gequält aussieht. Sie starrt einen Moment auf die Tür, durch die Cami verschwunden ist.

„Sie ist ziemlich speziell“, erwidert sie, grinst aber. „Ich glaube, ich mag sie.“ Ich wusste, die Frau hat was drauf.

„Der Detective will noch mit Ihnen sprechen“, sagt sie ernst, um dann wieder zu grinsen. „Also nicht weglaufen.“

„Haha“, mache ich. Mein Mund verzieht sich automatisch und spiegelt ihre Mimik.

„Ich wollte nochmal nach Ihnen sehen und Sie warnen, bevor ich Feierabend mache. Der Boss hat heute nicht die beste Laune.“ Nett von ihr.

Dann bin ich wieder allein in meinem zwei mal drei Meter Raum.

***

Ich muss eingeschlafen sein, denn draußen ist es mittlerweile dunkel. Der Schlüssel klappert im Schloss und kurz darauf wird die Tür geöffnet. Halbaufgerichtet und etwas orientierungslos erwarte ich den Polizisten, der diese Woche Nachtschicht hat, Scott Riordon.

Er unterhält sich immer ein bisschen mit mir. Bisher habe ich erfahren, dass nachts zu arbeiten wirklich nicht so seins ist, seine Freundin sauer war, weil er ihr eine Waage zum Geburtstag geschenkt hat – wer macht denn auch sowas - und, dass er Eis liebt. Wir haben uns gestern ausführlich über Eissorten ausgetauscht. War lustig und hat mich von meinen dunklen Gedanken über Todestrakte und Hinrichtungen abgebracht.

Es ist aber nicht Officer Riordon, der mich besucht, sondern Wade Thomson. Ich habe ihn seit dem Verhör nicht mehr gesehen. Ist jetzt das angekündigte Reden dran?

Er sagt nicht 'Hallo' oder irgendwas Nettes zur Begrüßung, sondern: „Kommen Sie mit.“

Okay. Ich wälze mich vom Bett, ziehe meine Schuhe an und tapse dann hinter ihm her, den Gang mit den fünf Zellen entlang. Die, die ständig mit randalierenden Typen belegt ist, ist die Ausnüchterungszelle. Die anderen werden nur selten benutzt. Ich bin der einzige Dauergast.

Wir gehen um eine Ecke und biegen in den nächsten Gang ein. Kurz vorm Ende bleibt Thomson vor einer Tür stehen, stößt sie auf und winkt mich herein. Es ist ein Büro, seins vermutlich. Sieht unglaublich ordentlich aus. Alles steht an seinem Platz, nichts fliegt herum. Selbst der Schreibtisch ist aufgeräumt. Wir würden nicht sehr gut zusammenpassen. Ich gehöre eher zu der unordentlichen Sorte Mensch.

„Setzen Sie sich“, sagt der Detective und zeigt auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Er selbst nimmt dahinter Platz.

Ich betrachte ihn so unauffällig wie möglich. Er sieht müde aus. Wahrscheinlich arbeitet er nicht in Schichten, sondern ist derjenige, der immer da ist. Was gegen Frau und Familie spricht. Außer, er hat eine, der egal ist, wann und ob er nach Hause kommt. Ich würde ihm gehörig in den Arsch treten, wenn er mein Mann wäre. Wer so erschöpft aussieht, achtet nicht genug auf sich. Klar hat er einen wichtigen Job, aber Arbeit ist nicht alles. Da gibt es auch noch was, das sich Leben nennt.

Mich muss man nicht hofieren und beschenken, mich muss man nur haben wollen. Ist eine romantische Vorstellung von mir. Bisher wollte mich keiner – nicht mal meine Eltern.

„Sie müssen noch Ihre Aussage unterschreiben.“ Thomson nimmt eine Akte, holt ein Blatt Papier heraus und schiebt es samt Kugelschreiber zu mir. Ich rutsche dichter an den Tisch heran, nehme es und beginne zu lesen. Das geht schnell. Viel hatte ich ja nicht zu sagen. Ich unterschreibe und gebe das Blatt zurück.

„Das war der offizielle Teil. Kommen wir zum Inoffiziellen.“ So wie er das sagt, klingt es nicht gut. Auf seiner Stirn schiebt sich eine Falte zusammen. Auch nicht gut.

„Wigley sagte mir, dass sie vermutlich über die Geschäfte Ihres Bruders Bescheid wissen.“

Ich habe dem Anwalt nichts gesagt, außer, dass ich für Rhett gearbeitet habe und die Sache mit den verschwundenen Drogen. Moment mal, gibt es nicht sowas wie eine anwaltliche Schweigepflicht? Ich sehe Thomson finster an und warte ab, was da wohl noch so kommt.

„Gucken Sie nicht so böse. Er hat Sie nicht hintergangen. Ben und ich arbeiten schon eine Weile zusammen und reden auch privat miteinander.“

Soll mich das jetzt beruhigen? Das heißt trotzdem, dass mein Anwalt den Mund nicht halten kann.

Thomson seufzt leise. „Miss Kinsey, wir wollen Ihnen helfen. Wenn Sie daran kein Interesse haben, müssen Sie es nur sagen.“

Habe ich eine Wahl? „Was wollen Sie wissen?“

Vielleicht geht es wirklich darum, mir helfen zu wollen, vielleicht brauchen sie aber einfach nur Informationen und schicken mich trotzdem ins Gefängnis. Mein einziger Trumpf ist mein Wissen. Und ich weiß eine ganze Menge. Wenn ich darüber rede, könnte mich das aber auch umbringen. Wie gesagt, die Typen fackeln nicht lange.

Bisher bin ich nur Rhetts dumme, kleine Schwester, die ab und zu mal was liefert oder abholt. Keine große Sache. In dem Fall gelte ich gerne als dumm. Verlängert mein Leben.

„Ich brauche Namen und alles, was Sie über die Geschäfte Ihres Bruders wissen.“

„Ich kann nicht.“

Er zieht eine Augenbraue nach oben. „Können oder wollen Sie nicht? Geben Sie mir, gebe ich Ihnen. So läuft das nun mal. Wir können dem Staatsanwalt etwas anbieten und Ihre Freiheit rückt näher.“

Klingt verflucht nach Erpressung.

„Sie wollen mir damit also sagen, dass ich die Wahl habe, ob ich für Mord angeklagt werde - was mit meiner Hinrichtung endet - oder Ihnen mein Wissen gebe, um mich dann draußen umbringen zu lassen? Da kann ich mich ja kaum entscheiden.“ Er muss doch eine ungefähre Vorstellung davon haben, wie sowas läuft.

„Vertrauen Sie mir?“, fragt er plötzlich.

„Sie sind Polizist und ich eine Verbrecherin. Was glauben Sie?“

Sein Mundwinkel zuckt. „Auch, wenn ich sicher bin, die Frage ist rhetorisch gemeint, beantworte ich sie. Ich halte Sie nicht für eine Verbrecherin. Abgesehen von ein paar kleinen Delikten, die Sie nicht mal zu einer anständigen Kriminellen machen, hatten Sie in Ihrem Leben viel Pech.“ Rhett und meine Eltern als 'Pech' zu bezeichnen, ist ein bisschen untertrieben, aber na gut. „Sie sind eine starke Persönlichkeit, sonst hätten Sie an der Seite Ihres Bruders nicht so lange unbeschadet überstanden.“

Diesmal kann ich ein Schnauben nicht zurückhalten. „Sie sollten sich bei Gelegenheit mal meine Krankenakte ansehen.“ Unbeschadet, von wegen.

Er stutzt, mustert mich, nickt. „Das werde ich tun. Entschuldigen Sie, wenn es so klang, als würde ich Ihre Situation herunterspielen wollen.“

„Sparen Sie sich Ihr Mitleid und machen Sie einfach weiter.“ Wieder zuckt sein Mundwinkel. Zu einem Lächeln reicht es nicht. So lustig ist das Ganze hier ja auch nicht.

„Der Punkt ist, dass ich etwas brauche, das ich dem Staatsanwalt anbieten kann. In ein paar Monaten sind Wahlen, da will er natürlich gut aussehen.“

„Und eine verurteilte Mörderin würde Punkte geben.“ Macht oder Geld. Das ist es, was Leute antreibt. Da wird alles und jeder benutzt, wie es gerade passt.

„Sie sagen es.“

Ich muss darüber nachdenken. Die Vor- und Nachteile gründlich abwägen. Wenn das, was ich zu sagen habe, wirklich unter uns bleibt, sollte es funktionieren. Aber, was will er dann dem Staatsanwalt geben? So oder so. Er bekommt nur einen Teil meines Wissens. Ich muss mich schützen.

„Wenn ich Ihnen erzähle, was ich weiß, schwören Sie, es niemandem zu sagen?“

„Sie haben mein Wort. Mein Plan ist, Ihre Informationen zu nutzen, um einen größeren, prestigeträchtigeren Fall als Alternative zu haben, natürlich ohne dass Ihr Name auftaucht. Sodass es kein Verlust ist, wenn ein Mädchen aus Eden nicht dafür verurteilt wird, Ihren verbrecherischen Bruder getötet zu haben.“

„Sie kennen meine Informationen doch gar nicht. Vielleicht taugt nichts davon irgendetwas.“

„Oh, ich bin mir sehr sicher, dass es nicht so ist.“

Ich sehe ihm in die Augen – blaugrau, wunderschön und aufrichtig. Die Entscheidung ist gefallen. Sollten sie mich umbringen, mache ich ihn dafür verantwortlich. Haha.

„Sagen Ihnen die United Bastards etwas?“

Thomson setzt sich gerade hin, räuspert sich kurz und betet das Folgende herunter, als wäre er in der Schule.

„Ein MC, dessen Anführer – Trader – getötet wurde und der sich vor einiger Zeit aufgelöst hat. Sie hatten ihre Finger im Drogen- und Waffenhandel und, was besonders widerlich ist, waren an der Entführung und dem Verkauf von Frauen beteiligt. Gott sei Dank, haben wir den Geschäftszweig mit Stumpf und Stil ausgerottet. Ihr Hauptquartier war das Empire, eine Kneipe, die durch einen Brand vollkommen zerstört wurde.“

„A+, Thomson, setzen“, sage ich und diesmal verziehen sich seine beiden Mundwinkel nach oben. Ich schaff das schon noch. „War das Ihr Fall?“

„Ja. Ich habe die Typen gejagt und bin einfach nicht an sie herangekommen. Zu gut geschützt. Hat mich viele schlaflose Nächte gekostet. Letztendlich haben dennoch viele bekommen, was sie verdient haben. Das ist es, was zählt.“

Die Polizei hätte es ohne die „Devils“ nie geschafft. Offensichtlich ist ihm das klar und vermutlich – und das würde mich wirklich glücklich machen – hat er mit ihnen zusammengearbeitet. Das würde nämlich bedeuten, dass er keiner dieser straighten 'Wir sind das Gesetz' Bullen ist, die nicht nach links oder rechts gucken, deren Welt schwarz/weiß ist und die nie eine Grenze überschreiten. Egal wie sehr das helfen würde.

„Viele sind nicht alle. Ist es immer noch Ihr Fall?“

„Da es den Club nicht mehr gibt, nein.“

Ich sehe ihm an, dass das die offizielle Version ist. Er hält den Fall nicht für abgeschlossen. Das ist es, was mich überzeugt weiterzureden.

„Was wäre, wenn es den Club noch gäbe?“, beginne ich vorsichtig. „Wenn sie zwar keine Westen mehr tragen, sich nicht mehr MC nennen, aber immer noch da sind?“

„Dann würde ich alles daran setzen, sie diesmal endgültig zu vernichten“, sagt er sehr ernst. Vernichten? Worte, die ich einem Lord zutrauen würde, aber einem Polizisten?

„Sie? Alleine?“, erkundige ich mich skeptisch. Das kommt noch dazu. Die „Devils“ wären wenigstens viele.

Thomson hat ja keine Ahnung, wie gut vernetzt die Typen sind und wer da alles mit drinhängt. Und vor allem, womit sie das meiste Geld verdienen. Mit Stumpf und Stil ausgerottet? Träum weiter.

Der Detective lehnt sich nach vorn und spricht leiser als zuvor. „Wenn ich ehrlich zu Ihnen bin, sind Sie es dann auch zu mir?“

Er würde mir vertrauen? Fühlt sich verdammt gut an. Wieder sehe ich ihm in die Augen und versuche herauszufinden, ob es nur Gerede ist oder die Wahrheit. Ein leuchtender Pfeil über seinem Kopf, auf dem 'vertrauenswürdig' blinkt, würde helfen. Da keiner da ist, wird wohl mein Bauchgefühl reichen müssen. Und das sagt: Der Mann steht zu seinem Wort.

„Ja. Ich verspreche es.“

Er nickt zufrieden, glaubt einfach so meinem Versprechen. Weiß der Teufel, warum.

„Wir hatten damals ein Korruptionsproblem in unseren Reihen. Die Schuldigen wurden gefunden und entfernt. Man erwischt nie alle, also bin ich sehr vorsichtig mit der Wahl meiner Verbündeten. Ich greife oft zu etwas unkonventionellen Mitteln. Mein Chief hat es mir bis jetzt durchgehen lassen. Der Erfolg gab mir recht. Aber irgendwann wird es mal schiefgehen.“ Er schüttelt kurz den Kopf, als würde er einen unguten Gedanken vertreiben wollen. „Bis dahin mache ich so weiter, wie ich es für richtig halte. Was ich eigentlich meine, ist, ich kann wertvolle Hilfe besorgen, gerade außerhalb des Departements.“

„Heißen die Lord, Wigley und möglicherweise sogar Ponedin?“, necke ich ihn. Langsam macht mir die Unterhaltung richtig Spaß.

„Sie sind ein kluges Mädchen, Miss Kinsey“, sagt er väterlich anerkennend. Und schon hat sich das Wohlgefühl in Luft aufgelöst. Keine kluge Frau, nein, ein Mädchen.

Vergiss nicht, wo du hier bist und vor allem, warum.

Tja, einen kurzen Moment hatte ich es doch wirklich aus den Augen verloren.

„Dann lege ich also meine Karten auf den Tisch“, sage ich kühl, was ihn wieder zum Stirnrunzeln bringt. Mir egal. Er hat mich überzeugt, also haben wir einen Deal. Jetzt erfülle ich meinen Teil.

„Die Bastards existieren. Sie haben sich neu formiert oder besser, sie haben sich nie aufgelöst, sondern sind abgetaucht. Neuer Standort, andere Vorgehensweise. Diejenigen, die hier schon immer gelebt haben, tun das auch weiterhin. Ein anderer Teil arbeitet von weiter weg. Sie sind achtbare Mitglieder der Gesellschaft geworden.

Na ja, vielleicht nicht gerade achtbar, aber auf jeden Fall unauffällig. Sie verehren Trader wie einen Helden und halten sein Andenken in Ehren – diese Spinner. Lance Kent ist jetzt der Chef. Sie haben alle ihre Bikernamen abgelegt. Früher hieß er Dagger. Manchmal nennen sie ihn noch so. Sie haben aus ihren früheren Fehlern gelernt. Deshalb denkt jeder, sie wären heute nicht mehr kriminell. Selbst Sie scheinen davon überzeugt zu sein.“

„Was genau tun sie, Blue. Womit handeln sie?“

„Abgesehen von Drogen? Mit Mädchen.“

„Nein“, sagt er erschüttert. Habe ich deine Welt ein bisschen durcheinandergebracht, Mister? „Das kann nicht sein. Wir hatten die genauen Informationen, haben alle Lager aufgelöst. Das kann einfach nicht sein.“ Nicht?

Ich zucke mit den Achseln. „Wie Sie meinen.“

„Aber… Woher?… Wo?… Was für Mädchen sind das?“ Ich habe den Mann noch nie so bestürzt gesehen. Gegen ihn bin ich die Ruhe selbst. Verständlich. Ich habe mit dem ganzen Scheiß schon seit Jahren zu tun.

„Eigentlich ist es ganz einfach. Zu einfach, wenn man darüber nachdenkt. Lesen Sie Statistiken, Detective? Sehen Sie sich mal die Zahlen von Ausreißern an. Sie werden sich da besser auskennen als ich. Viele von denen tauchen nie wieder auf.“

Junge Mädchen sind leicht zu jedem Scheiß zu überreden, besonders wenn sie verliebt sind. Und so machen sie es. Schleichen sich in ihr Leben, gaukeln ihnen Romantik und Abenteuer vor. Manchmal zahlen sie auch einfach dem Freund oder irgendwem in der Verwandtschaft einen Haufen Geld und schon haben sie sie einkassiert. Die menschliche Gier ist ziemlich berechenbar. Die Typen sind nicht wählerisch, wenn es darum geht, ein Mädchen zu „überzeugen“. Oft kommen auch Drogen zum Einsatz oder Gewalt. Was eben am besten funktioniert.

„Was hat Ihr Bruder genau getan?“ Thomson klingt immer noch entsetzt. Ob wegen der Sache an sich oder weil die Polizei letztendlich doch versagt hat, ist nicht zu erkennen.

„Rhett war ein Idiot, aber er sah gut aus. Er war so eine Art Lockvogel. Diese dämlichen Kinder standen auf seine gefährliche Aura. Dabei war da nichts mit Aura, er war einfach scheiß gefährlich und dazu auch noch brutal.“

„Wie alt sind die Mädchen?“ Jetzt ist er ganz sachlich, total im Detective-Modus. Keine Gefühle mehr erkennbar.

„Zwischen vierzehn und neunzehn, soweit ich weiß. Alles darüber ist ihnen zu alt. Was mein Glück war. Sonst hätte Rhett mich irgendwann an sie verscherbelt.“

„Seine eigene Schwester?“ Guck nicht so entsetzt. Unsere familiären Bande waren nicht vorhanden. Nicht mehr, nachdem er meine Jungfräulichkeit beim Pokern verloren hat.

„Wie gesagt, da war keine Liebe zwischen uns.“ Er akzeptiert, dass ich nicht weiter darauf eingehen werde, und kommt zurück zu seinen Fragen.

„Wissen Sie irgendwelche Details? Namen, Orte, Uhrzeiten?“

„Nein. Ich war nur eine unbedeutende Kurierin, mit einem Bruder, der die Klappe nicht halten konnte, sobald er besoffen war.“ Eine Halbwahrheit.