H. P. Lovecrafts Necronomicon - H. P. Lovecraft - E-Book

H. P. Lovecrafts Necronomicon E-Book

H. P. Lovecraft

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Beschreibung

Es ist nicht tot, was ewig liegt, und in fremder Zeit wird selbst der Tod besiegt. Abdul Alhazred 17 unheimliche Erzählungen, inspiriert von H. P. Lovecrafts Necronomicon – das Buch, das jeden, der es liest, in den Irrsinn treibt. Es wird immer Gläubige geben, für die das Necronomicon real ist, und jene, die es für einen literarischen Scherz halten. Doch dass dieses verfluchte Buch eine finstere Macht auf unsere Welt ausübt, ist unbestreitbar. Inhalt: Das Necronomicon: Tatsachen über eine Erfindung H. P. Lovecraft: Der Hund Frank Belknap Long: Die Weltraumfresser Simon: Die Beschwörung des Wächters Jeffrey Thomas: Meine Frau, der Shoggoth Clark Ashton Smith: Die Rückkehr des Hexers Frank Festa: Mortellis Bajazzo Simon: Der dritte Name ist MARUTUKKU H. P. Lovecraft: Stadt ohne Namen Henry Kuttner: Der Schrecken von Salem Robert Bloch: Der Gott ohne Gesicht Simon: Der vierte Name ist BARASHAKUSHU Henry Hasse: Der Hüter des Buches Ramsey Campbell: Das Grauen von der Brücke Manly Wade Wellman: Das Pergament des Entsetzens Simon: Die Gräuel Robert A. W. Lowndes: Settlers Mauer H. P. Lovecraft: Das Fest Edward Lee: Die verteufelte Valenz der Elementarteilchen H. P. Lovecraft: Geschichte des Necronomicon Stephen King: »Lovecraft ist der dunkle und barocke Prinz des 20. Jahrhunderts.« Neil Gaiman: »Da ist etwas in Lovecrafts Werken, etwas in seinem Universum, dass für einen Fantasy- und Horrorautor seltsam verführerisch ist.«

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Seitenzahl: 471

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Herausgegeben von Frank Festa

Impressum

Eine Festa Originalausgabe

Copyright © dieser Ausgabe 2018 by Festa Verlag, Leipzig

Titelbild: Bob Eggleton

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-325-9

www.Festa-Verlag.de

Inhalt

Impressum

Das Necronomicon: Tatsachen über eine Erfindung

H. P. Lovecraft

Der Hund

Frank Belknap Long

Die Weltraumfresser

Simon

Die Beschwörung des Wächters

Jeffrey Thomas

Meine Frau, der Shoggoth

C. A. Smith

Die Rückkehr des Hexers

Frank Festa

Mortellis Bajazzo

Simon

Der dritte Name ist MARUTUKKU

H. P. Lovecraft

Stadt ohne Namen

Henry Kuttner

Der Schrecken von Salem

Robert Bloch

Der Gott ohne Gesicht

Simon

Der vierte Name ist BARASHAKUSHU

Henry Hasse

Der Hüter des Buches

Ramsey Campbell

Das Grauen von der Brücke

Manly Wade Wellman

Das Pergament des Entsetzens

Simon

Die Gräuel

Robert A. W. Lowndes

Settlers Mauer

H. P. Lovecraft

Das Fest

Edward Lee

Die verteufelte Valenz der Elementarteilchen

H. P. Lovecraft

Geschichte des Necronomicon

Originaltitel und Copyrightangaben

Und dennoch hast du mich einst

mit einem Buch vergiftet.

Oskar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray

Das Necronomicon: Tatsachen über eine Erfindung

Der US-amerikanische Autor H. P. Lovecraft lebte von 1890 bis 1937, und in diesem kurzen, von finanziellen Nöten geprägten Leben schrieb er einige unheimliche Erzählungen, in denen er ein ganz eigenes »Kosmisches Grauen« heraufbeschwor. Weil diese Geschichten nur in Amateurzeitungen und Groschenheften erschienen, blieb die Leserschaft begrenzt. Erst nach seinem Tod fanden seine Werke mehr und mehr Bewunderer und wurden in viele Sprachen übersetzt. Inzwischen gilt Lovecraft als der wichtigste fantastische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und sein Einfluss auf die moderne Kunst ist gewaltig.

Das Necronomicon ist neben dem Cthulhu-Mythos seine berühmteste Erfindung. Lovecraft erwähnte dieses schwarzmagische Ritualbuch in diversen Geschichten, zum ersten Mal 1922 in ›The Hound‹. Er machte aber stets nur Andeutungen zum gefährlichen Inhalt. Der Verfasser des Buches soll Abdul Alhazred gewesen sein, ein Araber, der im Wahnsinn endete.

Es dauerte nicht lange, bis das Necronomicon seinen ganz eigenen Mythos entwickelte. Einige andere Autoren erwähnten das Buch in ihren Horrorgeschichten, oft in einer Aufzählung realer Titel über Dämonologie und Hexenwerk, so als würde es tatsächlich existieren.

Lovecrafts Illusion war so gut, dass die Leser nicht akzeptieren wollten, dass es sich um eine Erfindung handelt. Sie machten sich auf die Suche nach dem »verbotenen Werk«. Natürlich kamen irgendwann clevere Geschäftemacher auf die Idee, Fälschungen des Necronomicon auf den Markt zu bringen. Aber es wäre nicht verwunderlich, wenn eines Tages ein echtes Exemplar ausgegraben wird!

Es wird immer Gläubige geben, für die das Necronomicon real ist, und jene, die es für einen literarischen Scherz halten. Doch dass dieses verfluchte Buch eine finstere Macht auf unsere Welt ausübt, ist unbestreitbar.

Es ist nicht tot, was ewig liegt,

und in fremder Zeit wird selbst der Tod besiegt.

Abdul Alhazred

H. P. Lovecraft

Der Hund

In meinen gequälten Ohren hallt unaufhörlich ein albtraumhaftes Schwirren und Flattern wider, und das altersschwache, ferne Bellen eines riesenhaften Hundes. Es ist kein Traum – und ich befürchte, es ist noch nicht einmal Wahnsinn –, denn es hat sich bereits zu vieles ereignet, als dass ich diese gnädigen Zweifel noch in Betracht ziehen könnte.

St. John ist ein zerfleischter Leichnam. Nur ich weiß, weshalb, und dieses Wissens wegen werde ich mir sehr bald eine Kugel in den Kopf schießen, da ich Angst davor habe, in derselben Weise zerfetzt zu werden. Durch dunkle, unendliche Korridore grausiger Fantasien hetzt der schwarze, gestaltlose Peiniger, der mich in den Selbstmord treibt.

Möge der Himmel uns die Narretei und Morbidität verzeihen, die uns beiden ein so ungeheuerliches Schicksal eingehandelt hat! Der Banalitäten einer prosaischen Welt müde, wo selbst die Wonnen der romantischen Träumerei und des Abenteuers schnell von einem schalen Geschmack begleitet werden, waren St. John und ich begeistert jeder ästhetischen und intellektuellen Bewegung gefolgt, die uns einen Ausweg aus unserer niederschmetternden Langeweile verhieß. Wir kannten bereits all die Rätsel der Symbolisten und die Ekstasen der Präraffaeliten, doch war jede neue Stimmung allzu rasch ausgekostet und ihre ablenkende Neuartigkeit und ihr Reiz erschöpft.

Einzig die finstere Philosophie der Dekadenzautoren vermochte uns noch zu helfen, und dies auch nur, wenn wir den Grad und die teuflische Würze unserer Beschäftigung nach und nach erhöhten. Baudelaire und Huysmans verloren schon bald ihre erregenden Reize, bis uns zu guter Letzt nur noch die direkteren Anregungen absonderlicher eigener Erfahrungen und Abenteuer blieben. Dieses fürchterliche emotionale Bedürfnis führte uns schließlich auf jenen verabscheuungswürdigen Pfad, den ich selbst in meiner derzeitigen Angst nur voller Scham und Zögern gestehe – ich rede von der scheußlichsten menschlichen Verworfenheit, von der widerwärtigen Praxis der Grabräuberei.

Ich kann weder die Einzelheiten unserer erschütternden Expeditionen enthüllen noch auch nur ansatzweise die schlimmsten der Trophäen aufzählen, die das unbeschreibliche Museum zierten, das wir in dem großen Steinhaus eingerichtet hatten, das wir beide allein und ohne Dienerschaft bewohnten. Unser Museum war ein gotteslästerlicher, unvorstellbarer Ort, an dem wir mit dem satanischen Geschmack nervenkranker Virtuosen einen Kosmos des Grauens und Verfalls arrangiert hatten, um unsere abgestumpften Sinne zu erregen. Es handelte sich um ein geheimes Zimmer, tief, tief unter der Erde, wo riesige, geflügelte Dämonen aus Basalt und Onyx aus ihren weit offenen, grinsenden Mäulern sonderbar grünes und orangefarbenes Licht ausspien und wo verborgene Luftröhren die Reihen der roten Körper aus dem Leichenhaus, die wir Hand in Hand in dichte schwarze Vorhänge gewoben hatten, in einen kaleidoskopischen Totentanz versetzten. Durch diese Röhren ließen wir zudem die Gerüche ausströmen, nach denen es unsere Gemütslagen gelüstete; mal der Duft bleicher Grablilien, ein andermal der narkotische Weihrauch erdachter Sarkophage von toten Königen des Orients, und manchmal – wie es mich bei der Erinnerung schaudert! – der fürchterliche, seelenzerfressende Gestank eines geöffneten Grabes.

An den Wänden dieses abstoßenden Raumes standen antike Mumiensärge, die sich mit herrlichen, wie lebendig aussehenden Leichen abwechselten, die von kunstfertigen Präparatoren ausgestopft und balsamiert worden waren, sowie Grabsteine von den ältesten Friedhöfen der Welt. Vereinzelte Nischen enthielten Schädel aller Formen und konservierte Köpfe in verschiedenen Stufen der Verwesung. Man fand dort die fauligen, kahlen Häupter von Edelmännern und die frischen, strahlend goldhaarigen Köpfchen jüngst begrabener Kinder.

Auch Standbilder und Gemälde fanden sich dort, allesamt mit teuflischen Motiven, einige davon von St. John und meiner Wenigkeit ausgeführt. Eine verschlossene Mappe, gebunden in gegerbte Menschenhaut, enthielt besondere unbekannte und unbeschreibliche Zeichnungen, die Gerüchten zufolge von Goya stammten, die er aber nicht zu signieren gewagt hatte. Es gab anstößige Musikinstrumente, Saiteninstrumente sowie Blasinstrumente aus Blech und Holz, auf denen St. John und ich zuweilen Dissonanzen von exquisiter Morbidität und kakodämonischer Grässlichkeit erzeugten. In mehreren verschnörkelten Ebenholzschränkchen ruhte die unglaublichste und unvorstellbarste Grabräuberbeute, die durch menschlichen Übermut und Perversität je zusammengetragen wurde. Vor allem von dieser Beute wage ich nicht zu erzählen – Gott sei Dank hatte ich den Mut, sie zu vernichten, lange bevor mir der Gedanke kam, mich selbst zu vernichten!

Die Raubzüge, auf denen wir unsere unsäglichen Schätze gesammelt hatten, waren vom künstlerischen Gesichtspunkt stets unvergessliche Abenteuer gewesen. Wir waren ja keine vulgären Grabschänder, sondern arbeiteten nur unter bestimmten Bedingungen, die an Stimmung, Landschaft, Umgebung, Wetter, Jahreszeit und Mondlicht gebunden waren. Dieser Zeitvertreib bedeutete uns die feinsinnigste Form ästhetischen Ausdrucks und wir widmeten uns den Einzelheiten sehr gewissenhaft und sachlich. Eine unpassende Stunde, ein störender Lichteffekt oder eine unbeholfene Behandlung des feuchten Erdreichs machten nahezu unausweichlich den rauschhaften Kitzel zunichte, der die Exhumierung eines unheimlichen, grinsenden Geheimnisses aus der Erde begleitete. Wir waren fieberhaft und unersättlich bei unserer Suche nach neuartigen Kulissen und anrüchigen Umständen – dabei war St. John stets der Führer, und er war es auch, der uns schließlich zu der höhnischen, verfluchten Stelle führte, die uns unser grauenhaftes und unausweichliches Verhängnis brachte.

Welch boshaftes Geschick lockte uns bloß auf jenen schrecklichen holländischen Friedhof? Ich glaube, es waren die finsteren Gerüchte und Legenden, die Erzählungen über einen, der hier vor fünf Jahrhunderten bestattet worden war, der zu Lebzeiten selbst ein Grabschänder gewesen war und der aus der Ruhestätte eines bedeutenden Mannes etwas Machtvolles geraubt hatte. Ich erinnere mich in diesen letzten Augenblicken an die Umgebung – der fahle Herbstmond über den Gräbern, der lange und furchtbare Schatten warf, die grotesken Bäume, die sich griesgrämig zum verwilderten Gras und den geborstenen Grabplatten herabneigten, die gewaltigen Scharen abnorm riesiger Fledermäuse, die zum Mond hinaufflatterten, die uralte, von Schlingpflanzen umwucherte Kirche, die mit einem kolossalen, gespenstischen Finger in den Himmel wies, die phosphoreszierenden Insekten, die in einer entlegenen Ecke unter den Eiben wie Totenlichter tanzten, die Gerüche von Moder, Vegetation und weniger klaren Ursachen, die sich schwach mit dem nächtlichen Winde mischten, der über ferne Sümpfe und Meere gestrichen war.

Doch am schlimmsten von allem war das altersschwache, tiefe Bellen eines gewaltigen Hundes, den wir nicht sehen konnten. Als wir dieses knappe Bellen hörten, erschauderten wir, denn uns fielen die Erzählungen der Landbevölkerung ein: Der, nach dem wir suchten, war vor Jahrhunderten hier an dieser Stelle aufgefunden worden, zerrissen und zerfleischt von den Krallen und Zähnen einer unbeschreiblichen Bestie.

Ich weiß noch, wie wir die Spaten in die Graberde des Grabschänders tauchten und welchen Reiz uns all dies vermittelte: der Anblick von uns selbst, das Grab, der fahle, beobachtende Mond, die erschreckenden Schatten, die bizarren Bäume, die gewaltigen Fledermäuse, die uralte Kirche, die tanzenden Totenlichter, die üblen Gerüche, der sanft klagende Nachtwind und das merkwürdige, kaum zu hörende, ortlose Bellen, von dem wir nicht einmal sicher waren, ob es tatsächlich zu vernehmen war.

Dann stießen wir auf etwas, das härter war als das feuchte Erdreich, und erblickten einen modrigen Sarg, der von mineralischen Ablagerungen des lange unangetasteten Grundes verkrustet war. Er war unglaublich hart und dick, doch so alt, dass wir ihn schließlich aufstemmten und unsere Augen an dem laben konnten, was er enthielt. Viel, erstaunlich viel war von dem Objekt erhalten geblieben, obschon doch 500 Jahre verstrichen waren. Das Gerippe war zwar stellenweise von den Kiefern des Wesens zermalmt, das den Mann getötet hatte, hielt aber mit überraschender Festigkeit zusammen, und wir ergötzten uns an dem makellosen, weißen Schädel mit den langen, kräftigen Zähnen und den augenlosen Höhlen, in denen einst ein Leichenhausfieber gleich dem unsrigen geglüht hatte.

Im Sarg lag ein Amulett mit sonderbaren, exotischen Mustern. Der Ruhende hatte es offensichtlich um den Hals getragen. Es stellte die eigenartig vereinfachte Figur eines kauernden, geflügelten Hundes oder einer Sphinx mit halb hündischem Gesicht dar. Es war in altorientalischer Manier auf exzellente Weise aus einem kleinen grünen Jadestein geschnitten. Der Gesichtsausdruck war überaus abstoßend, deutete im selben Moment Tod, Blutdurst und Boshaftigkeit an. Der untere Teil trug eine Inschrift in Schriftzeichen, die weder St. John noch ich zu deuten vermochten, und auf der Rückseite war, als wäre es das Siegel seines Schöpfers, ein grotesker, außergewöhnlicher Totenschädel eingraviert.

Sobald wir dieses Amulett erblickt hatten, wussten wir, dass es uns gehören musste, dass die uns zustehende Beute aus dem jahrhundertealten Grab allein dieser Schatz würde sein müssen. Wir wollten es besitzen, obwohl es uns sehr fremdartig vorkam – jedoch, als wir es genauer betrachteten, erkannten wir nach und nach, dass es uns nicht ganz unbekannt war. Zwar stand es in der Tat fernab von aller Kunst und Literatur, die geistig normale und ausgeglichene Leser kennen, doch wir erkannten darin das Symbol wieder, das in dem verbotenen Buch Necronomicon des verrückten Arabers Abdul Alhazred umschrieben wird: das grässliche Seelenzeichen der verbotenen, leichenfressenden Sekte im unzugänglichen Leng in Zentralasien. Nur allzu gut kannten wir die düsteren Zeilen, die der alte arabische Dämonologe niedergeschrieben hatte. Zeilen, von denen er schrieb, sie seien abgeleitet von obskuren übernatürlichen Offenbarungen der Seelen jener, die sich an den Toten vergingen und an ihnen fraßen.

Wir ergriffen das grüne Jadeobjekt, warfen einen letzten Blick auf das ausgebleichte, blinde Antlitz seines Besitzers und richteten das Grab wieder so her, wie wir es vorgefunden hatten. Als wir eilig die abscheuliche Stätte hinter uns ließen, das gestohlene Amulett in St. Johns Tasche, glaubten wir zu sehen, wie die Fledermäuse in geschlossener Formation zu der Erde hinabflogen, die wir eben erst zugeschaufelt hatten, als suchten sie dort nach irgendeiner verfluchten und unheiligen Nahrung. Doch der Herbstmond schien nur schwach und fahl, deshalb waren wir uns dessen nicht sicher.

Auch am folgenden Tag, als wir die Niederlande auf einem Schiff verließen und unserer Heimat entgegenfuhren, glaubten wir das leise, ferne Bellen eines übergroßen Hundes in der Ferne zu hören. Aber der Herbstwind klagte traurig und matt, deshalb waren wir uns dessen nicht sicher.

Keine Woche war seit unserer Rückkehr nach England verstrichen, als sonderbare Geschehnisse sich ereigneten. Wir lebten wie Einsiedler, ohne Freunde, allein und ohne Dienstpersonal in ein paar Räumen eines alten Landhauses in einem öden und verlassenen Moor und nur selten klopfte ein Besucher an unser Tor. Nun jedoch wurden wir in den Nächten von regelmäßigen tastenden Geräuschen gestört, nicht nur an den Türen, sondern auch an den Fenstern, in den oberen wie in den unteren Etagen. Einmal glaubten wir, ein großer, dunkler Körper verdunkle das Fenster der Bibliothek, als der Mond darauf schien, und ein andermal glaubten wir, in der Nähe ein schwirrendes, flatterndes Geräusch zu hören. Bei keinem dieser Geschehnisse brachte eine Nachforschung etwas zutage, und wir schrieben die Vorfälle nun allmählich unserer Einbildungskraft zu, die in unseren Ohren das greisenhafte, entfernte Bellen widerhallen ließ, das wir auf dem holländischen Friedhof zu hören vermeint hatten.

Das Jadeamulett ruhte jetzt in einer Nische unseres Museums und manchmal zündeten wir davor eine Kerze mit seltsamem Duft an. Wir lasen oft in Alhazreds Necronomicon über seine Eigenschaften und den Zusammenhang zwischen den Geisterseelen und dem Gegenstand, der es symbolisierte, und das Gelesene verstörte uns tief.

Dann kam das Grauen.

In der Nacht des 24. September hörte ich, wie jemand an der Tür meines Zimmers klopfte. Da ich davon ausging, es sei St. John, bat ich ihn herein, doch zur Antwort erklang bloß ein schrilles Gelächter. Niemand befand sich im Korridor. Als ich St. John aus dem Schlaf riss, versicherte er, von all dem nichts zu wissen, und zeigte sich ebenso besorgt wie ich. In dieser Nacht wurde uns das gebrechliche, ferne Bellen über dem Moor zu einer schrecklichen Gewissheit.

Vier Tage später, wir hielten uns gerade im verborgenen Museum auf, hörten wir ein leises, vorsichtiges Kratzen an der einzigen Tür, die zu der geheimen Treppe in der Bibliothek führte. Unser Bestürzen hatte nun doppelten Anlass, denn neben unserer Angst vor dem Unbekannten hatten wir stets Furcht davor gehabt, unsere grausige Sammlung könnte entdeckt werden. Wir löschten alle Lichter, näherten uns der Tür und stießen sie schlagartig auf. Daraufhin verspürten wir einen unerklärlichen Luftzug und hörten eine wie im Rückzug begriffene, sonderbare Mischung aus Rascheln, Kichern und deutlich hörbarem Plappern. Ob wir nun wahnsinnig waren, träumten oder bei klarem Verstand – wir versuchten das gar nicht erst einzuordnen. Nur eines war uns klar, und diese Erkenntnis löste in uns die schwärzesten Befürchtungen aus: Das scheinbar körperlose Geplapper war ohne jeden Zweifel in niederländischer Sprache geschwatzt worden.

Danach lebten wir in wachsender Angst und Faszination. Meistens klammerten wir uns an die Theorie, dass wir beide aufgrund unseres Lebens voll unnatürlichen Nervenkitzels den Verstand verloren, doch zuweilen behagte es uns, uns als die Opfer eines kriechenden und abscheulichen Verhängnisses zu dramatisieren. Bizarre Ereignisse traten nun zu häufig auf, um sie zu zählen. Unser einsames Haus war allem Anschein nach von Leben erfüllt, von der Anwesenheit eines bösartigen Wesens, dessen Art wir nicht zu bestimmen vermochten, und jede Nacht brandete jenes dämonische Gebell über das windgepeitschte Moor, immer lauter und lauter.

Am 29. Oktober entdeckten wir in der weichen Erde unter dem Fenster der Bibliothek eine Reihe von Fußspuren, die unmöglich zu beschreiben sind. Sie waren ebenso verwirrend wie die Massen der großen Fledermäuse, die das alte Landhaus in bislang ungekannter und stetig wachsender Zahl heimsuchten.

Am 18. November erreichte das Grauen einen Höhepunkt, als St. John, der nach Anbruch der Dunkelheit vom trostlosen Bahnhof aus nach Hause ging, von einer entsetzlichen, fleischfressenden Kreatur gepackt und in Stücke gerissen wurde. Seine Schreie drangen bis ins Haus, und ich kam gerade noch rechtzeitig zu dem grausigen Schauplatz, um ein Flügelschwirren zu hören und ein unbestimmbares Etwas zu sehen, das sich einer schwarzen Wolke gleich vor dem aufgehenden Mond abhob.

Mein Freund lag im Sterben. Ich sprach ihn an, doch er vermochte keine zusammenhängenden Sätze mehr zu äußern. Nur eines flüsterte er noch: »Das Amulett – dieses verdammte Ding –«

Dann lag dort nur noch eine leblose Masse zerfetzten Fleisches.

In der nächsten Mitternachtsstunde bestattete ich ihn in einem unserer verwilderten Gärten und murmelte über seinem Leichnam eines der teuflischen Rituale, die er im Leben so geliebt hatte. Kaum hatte ich den letzten dämonischen Satz gesprochen, da hörte ich von fern übers Moor das schwache Bellen eines riesigen Hundes. Der Mond schien, doch wagte ich nicht hinaufzuschauen. Und als ich im trüben Moor einen enormen, nebelartigen Schatten sah, der von einem Hügel zum andern huschte, schloss ich die Augen und warf mich bäuchlings auf den Boden. Als ich mich zitternd wieder erhob, ich weiß nicht, wie viele Stunden später, wankte ich ins Haus und flüsterte vor dem grünen Jadeamulett in seinem Schrein ein schockierendes Gebet.

Da ich mich nicht traute, alleine in dem alten Haus im Moor zu bleiben, reiste ich am nächsten Tag nach London – das Amulett nahm ich mit, nachdem ich den Rest der unheiligen Sammlung des Museums zum Teil verbrannt und vergraben hatte. Doch drei Nächte darauf hörte ich das Bellen wieder, und keine Woche war vergangen, da fühlte ich mich in der Dunkelheit in einem fort von seltsamen Augen beobachtet. Als ich eines Abends an der Victoria Embankment entlangschlenderte, weil ich dringend frische Luft benötigte, sah ich, wie ein schwarzer Umriss eine der Reflexionen der Laternen auf dem Wasser verdunkelte. Ein Wind, stärker als der übliche Nachtwind, griff nach mir, und ich wusste, dass ich das Los von St. John über kurz oder lang teilen würde.

Am nächsten Tag verpackte ich das grüne Jadeamulett sorgfältig und nahm ein Schiff in die Niederlande. Ich wusste nicht, welche Gnade mir zuteilwürde, wenn ich diesen Gegenstand seinem stummen, schlafenden Besitzer zurückgab, doch ich hatte das Gefühl, jeden auch nur ansatzweise logischen Schritt versuchen zu müssen. Was dieser Hund war und weshalb er mich verfolgte – das waren noch unklare Fragen, doch das Bellen hatte ich zum ersten Mal auf jenem uralten Friedhof vernommen, und alle darauffolgenden Ereignisse, einschließlich des letzten Flüsterns des sterbenden St. John, hatten den Fluch mit dem Diebstahl in Zusammenhang gebracht. Dementsprechend versank ich in den tiefsten Abgründen der Verzweiflung, als ich in einer Gaststätte in Rotterdam bemerkte, dass mein einziges Mittel zur Rettung von Dieben geraubt worden war.

Das Gebell war an diesem Abend laut, und am nächsten Morgen las ich von einer unbeschreiblichen Tat im anrüchigsten Viertel der Stadt. Der Pöbel war in Aufruhr, hatte sich doch ein so blutiger Mord in einem Mietshause ereignet, der selbst die schlimmsten Verbrechen in dieser Gegend verblassen ließ. In einer schäbigen Diebeshöhle war eine ganze Familie von etwas Unbekanntem in Stücke gerissen worden, das keine Spuren hinterlassen hatte, und die Menschen in der Nachbarschaft hatten die ganze Nacht hindurch einen leisen, tiefen, unaufhörlichen Laut gehört, wie von einem riesigen Hund.

So stand ich zuletzt wieder auf dem Unheil bringenden Friedhof. Der bleiche Wintermond warf scheußliche Schatten und die entlaubten Bäume neigten sich mürrisch zum vertrockneten, eisbedeckten Gras und den geborstenen Grabplatten hinab und die von Ranken umschlungene Kirche wies mit höhnischem Finger zum unfreundlichen Himmel. Der Nachtwind heulte wie toll über den gefrorenen Sümpfen und den eisigen Meeren herüber. Das Bellen klang nun sehr schwach und es verstummte vollständig, als ich mich dem alten Grab näherte, das ich einst geschändet hatte. Eine außerordentlich große Horde von Fledermäusen wurde aufgescheucht, die neugierig um das Grab herumflatterten.

Ich weiß nicht, weshalb ich dorthin ging. Vielleicht wollte ich beten oder das stille, weiße Ding, das darin lag, wie irre um Entschuldigung anflehen. Was immer auch der Grund gewesen sein mag, ich fiel über das halb gefrorene Erdreich mit einer Verzweiflung her, die teils aus mir selbst kam, teils aus einem mächtigen Willen außerhalb meiner selbst.

Die Ausgrabung war wesentlich einfacher als erwartet, obgleich ich einmal eine sonderbare Unterbrechung erlebte, als ein abgezehrter Aasgeier aus dem kalten Himmel herabstürzte und hysterisch in die Graberde hackte, bis ich ihn mit einem Schlag meines Spatens tötete. Endlich erreichte ich den modernden Sarg und entfernte den feuchten, salpetrigen Deckel. Dies ist die letzte vernünftige Handlung, die ich ausgeübt habe.

Denn in diesem uralten Sarg, umgeben von einer dichten, albtraumhaften Gefolgschaft gewaltiger, sehniger, schlafender Fledermäuse, lag das knöcherne Ding, das von meinem Freund und mir beraubt worden war. Doch es war nicht mehr sauber und reglos, so wie wir es damals gesehen hatten, sondern bedeckt mit geronnenem Blut und Fetzen von fremdem Fleisch und Haar. Aus glühenden Augenhöhlen und mit scharfen, blutverkrusteten Reißzähnen starrte es mich voll verdorbenem Hohn an, denn es wusste um mein unausweichliches Ende. Und als aus diesem grinsenden Kiefer ein tiefes, sardonisches Bellen wie von einem Hund drang und ich sah, dass es in seiner blutig schmutzigen Klaue das vermisste, verhängnisvolle Amulett aus grüner Jade hielt, da schrie ich nur noch und rannte wie ein Irrsinniger davon, und meine Schreie lösten sich bald in hysterischem Gelächter auf.

Wahnsinn reitet auf dem Sternenwind … Klauen und Zähne, die sich über Jahrhunderte an Leichen geschliffen haben … der triefende Tod inmitten eines Gelages von Fledermäusen aus den nachtschwarzen Ruinen der begrabenen Tempel des Belial … Nun, da das Bellen der toten, entfleischten Monstrosität lauter und lauter wird und das verstohlene Schwirren und Flattern der verfluchten Lederschwingen näher und näher kommt, will ich mithilfe meines Revolvers das Vergessen suchen, das meine einzige Zuflucht vor dem Unbekannten und Unfassbaren ist.

Frank Belknap Long

Die Weltraumfresser

Das Kreuz ist kein passives Hilfsmittel. Es beschützt jene, die reinen Herzens sind, und erschien häufig über unseren Sabbaten am Himmel, um Verwirrung zu stiften und die Mächte der Finsternis zu vertreiben.

– John Dee, Necronomicon

1

Das Grauen gelangte in einem undurchdringlichen Nebel nach Partridgeville.

Den ganzen Nachmittag über zogen dichte Schwaden vom Meer heran und wallten und waberten um die Farm herum, bis das Zimmer, in dem wir saßen, von Feuchtigkeit beschlagen war. Der Nebel drang spiralförmig unter der Tür hindurch und liebkoste mit seinen langen, feuchten Fingern meine Haare, bis sie tropften. Eine zähe, tauähnliche Nässe bedeckte die quadratischen Fensterscheiben. Die Luft war stickig und klamm und unvorstellbar kalt.

Ich betrachtete meinen Freund mit düsterem Blick. Er hatte dem Fenster den Rücken zugewandt und schrieb wie ein Besessener. Ein großer, schlanker Mann, leicht gebückt, mit abnorm breiten Schultern, dessen Gesicht sich im Profil eindrucksvoll darbot. Er besaß eine extrem breite Stirn, eine lange Nase und ein leicht vorstehendes Kinn – ein markantes, sinnliches Antlitz, das auf einen höchst fantasievollen Charakter hindeutete, den die Natur mittels eines skeptischen und wahrhaft überragenden Intellekts im Zaum hielt.

Mein Freund verfasste Kurzgeschichten. Er schrieb ausschließlich zu seinem eigenen Vergnügen, dem zeitgenössischen literarischen Geschmack zum Trotz, und seine Erzählungen waren ungewöhnlich. Poe hätte seine wahre Freude daran gehabt; Hawthorne hätte seine Freude daran gehabt; ebenso Ambrose Bierce oder Villiers de l’Isle-Adam.

Es handelte sich um Studien über abnorme Menschen, abnorme Bestien, abnorme Pflanzen. Er schrieb über entlegene Regionen der Fantasie und des Grauens. Die Farben, Geräusche und Gerüche, die er heraufbeschwor, sah, hörte oder roch man niemals auf der vertrauten Seite des Mondes. Er ließ seine Figuren vor beängstigenden Kulissen auftreten. Sie pirschten durch dichte und einsame Wälder, über zerklüftete Gebirge, schlichen die Treppen uralter Häuser hinab und lungerten verstohlen zwischen den morschen Pfosten verfaulender, in Dunkelheit getauchter Anlegestellen.

Eine seiner Geschichten, Das Haus des Wurms, veranlasste den jungen Studenten einer Universität im Mittleren Westen dazu, Zuflucht in einem großen, roten Backsteingebäude zu suchen, wo er vor aller Augen auf dem Boden saß und mit lautester Stimme brüllte: »Sehet, meine Liebste ist schöner als alle Lilien unter den Lilien im Liliengarten.« Eine andere, Die Schänder, brachte ihm exakt 110 entrüstete Leserbriefe ein, als sie in der Partridgeville Gazette erschien.

Während ich ihn so betrachtete, hörte er plötzlich auf zu schreiben und schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht«, verkündete er. »Ich müsste eine neue Sprache erfinden. Und doch kann ich das Wesen emotional, intuitiv erfassen, wenn man so will. Wenn ich es nur irgendwie in einem Satz beschreiben könnte – seinen seltsam kriechenden, körperlosen Geist!«

»Ist es ein neues Grauen?«

Er schüttelte den Kopf. »Für mich ist es nicht neu. Ich kenne und spüre es schon seit Jahren – ein Grauen, das alles übersteigt, was dein prosaisches Gehirn sich ausmalen könnte.«

»Vielen Dank«, entgegnete ich sarkastisch.

»Alle menschlichen Gehirne sind im Grunde prosaisch«, führte er weiter aus. »Ich wollte dich mit meiner Bemerkung nicht beleidigen. Die schattenhaften Schrecken, die hinter und über ihnen lauern, sind geheimnisvoll und schrecklich. Unsere zierlichen Gehirne – was wissen sie schon von vampirgleichen Wesenheiten, die in höheren Dimensionen als unserer eigenen auf Beute warten oder gar jenseits unseres Universums der Sterne? Manchmal glaube ich, sie hausen in unseren Köpfen, und unsere Gehirne erspüren sie, doch sobald sie ihre Tentakel ausstrecken und uns sondieren oder erkunden, überkommt uns der tobende Wahnsinn.« Er bedachte mich jetzt mit einem gleichmütigen Blick.

»Aber du kannst so einen Unsinn doch nicht allen Ernstes glauben!«, rief ich aus.

»Natürlich nicht!« Er schüttelte den Kopf und lachte. »Du weißt genau, ich bin viel zu sehr Skeptiker, um überhaupt an etwas zu glauben. Ich habe lediglich umrissen, wie ein Dichter auf das Universum reagiert. Wenn man schaurige Geschichten schreiben und ein wahrhaftiges Gefühl des Grauens erzeugen will, dann muss man an alles glauben – wirklich alles. Damit meine ich das Grauen, das jede Faser des Kosmos durchdringt, das allgegenwärtig ist. Man muss daran glauben, dass Geschöpfe in den Weiten des Weltalls existieren, die herabstoßen und sich mit einer Bösartigkeit an uns heften können, welche uns vollkommen zu zerstören vermag – unsere Körper wie auch unseren Verstand.«

»Aber diese Wesen aus dem All – wie soll man sie beschreiben, wenn man ihre Gestalt nicht kennt, oder ihre Farbe und Größe?«

»Es ist so gut wie unmöglich, sie zu beschreiben. Eben das habe ich ja versucht – und bin daran gescheitert. Eines Tages vielleicht – doch ich bezweifle, dass es sich jemals bewerkstelligen lässt. Aber ein Künstler kann zumindest umschreiben, andeuten …«

»Was andeuten?«, fragte ich ein wenig verwirrt.

»Ein Grauen andeuten, das ganz und gar unirdischen Ursprungs ist; das sich auf eine Art und Weise bemerkbar macht, für die es auf der Erde keine Entsprechung gibt.«

Ich war nach wie vor ein wenig aus der Fassung. Er lächelte mich ergeben an und führte seine Theorie weiter aus.

»Selbst den besten Geschichten um Geheimnisse und Schrecken«, sagte er, »haftet etwas Prosaisches an. Die alte Mrs. Radcliffe und ihre verborgenen Grüfte und blutenden Gespenster etwa; Maturin mit seinen allegorischen und schurkischen Helden in der Tradition von Faust und den feurigen Flammen aus dem Schlund der Hölle; Edgar Allan Poes blutüberströmte Leichen, schwarze Katzen, verräterische Herzen und verwesende Valdemars.

Oder denk an Hawthorne und seine amüsante Besessenheit von den Problemen und Schrecken, die aus den Sünden der Menschen geboren werden – als hätten die Sünden der Menschen irgendeine Bedeutung für eine kalte und bösartige Intelligenz jenseits der Sterne. Dann hätten wir noch die modernen Meister – Algernon Blackwood, der uns zu einem Fest der höchsten Götter lädt oder eine alte Frau mit Hasenscharte vorführt, die vor einem Ouija-Brett sitzt und verschmutzte Karten befingert, vielleicht auch einen absurden Nimbus von Ektoplasma, der aus einem Dummerchen von Hellseherin herausquillt.

Nicht zu vergessen Bram Stoker mit seinen Vampiren und Werwölfen, die letztlich nichts anderes als konventionelle Mythen sind, die Überbleibsel mittelalterlicher Volkslegenden. Oder Wells mit seinen pseudowissenschaftlichen Buhmännern, Fischmenschen auf dem Meeresgrund und Damen im Mond. Und natürlich die hundertundein Idioten, die unablässig Gespenstergeschichten für die Magazine herunterschreiben – welchen Beitrag haben die schon zur Literatur des Unheiligen geleistet?

Bestehen wir nicht aus Fleisch und Blut? Insofern ist es nur logisch, dass wir abgestoßen und entsetzt reagieren, wenn wir beides im Zustand von Fäulnis und Verwesung präsentiert bekommen, wenn die Würmer darin herumkriechen. Logisch, dass eine Geschichte über einen Leichnam uns Nervenkitzel beschert und mit Angst, Entsetzen und Abscheu erfüllt. Jeder Narr kann diese Emotionen in uns wecken – Poe hat es sich mit seinen Lady Ushers und zersetzenden Valdemars wirklich einfach gemacht. Er spricht lediglich einfache, natürliche, nachvollziehbare Emotionen an. Die Reaktionen seiner Leser stellen die unvermeidliche Konsequenz dar.

Sind wir nicht die Nachfahren von Barbaren? Hausten wir nicht einst, der Gnade von reißenden Bestien ausgeliefert, in dichten und gefährlichen Wäldern? Daher ist es unvermeidlich, dass wir zusammenzucken und schlottern, wenn uns in der Literatur finstere Schatten aus der menschlichen Vergangenheit begegnen. Harpyien und Vampire und Werwölfe – was sind sie anderes als übertriebene Darstellungen der großen Fledermäuse, Vögel und wilden Hunde, die unsere Vorfahren bedrängten und peinigten?

Es ist kinderleicht, mit solchen Mitteln Furcht zu erzeugen. Menschen mit Flammen am Höllentor zu erschrecken, weil sie heiß sind und die Haut versengen und verkohlen – wer kennt schließlich kein Feuer und hat nicht wahnsinnige Angst davor? Tödliche Hiebe, alles verzehrende Brände, Schatten, die uns eine Gänsehaut bescheren, weil ihre Substanz garstig in den schwarzen Tunneln unserer ererbten Erinnerungen lauert. Oh, ich habe sie so satt, die Schriftsteller, die versuchen, uns mit derlei lächerlich offensichtlichen und trivialen Spukbildern in Angst und Schrecken zu versetzen.«

Aufrichtige Entrüstung funkelte in seinen Augen.

»Nehmen wir an, es gäbe einen größeren Schrecken! Nehmen wir an, bösartige Geschöpfe aus einem anderen Universum würden versuchen, in unseren Lebensraum einzudringen! Und wenn wir sie nun nicht sehen könnten? Sie nicht fühlen könnten? Vielleicht weil ihre Farbe auf der Erde nicht bekannt ist oder sie, anders gesagt, über ein Erscheinungsbild verfügen, das frei von Farbe ist?

Angenommen, sie wiesen eine auf der Erde unbekannte Form auf? Wären vier-, fünf- oder gar sechsdimensional? Ach, nehmen wir ruhig an, sie wären hundertdimensional oder sind frei von jeder Dimension und existieren dennoch! Was könnten wir in einem solchen Fall tun?

Sie würden für uns nicht existieren? Doch, sie würden für uns existieren, sobald sie uns Schmerzen zufügen. Mag sein, dass es sich dabei nicht um Hitze oder Kälte oder jedwede andere Pein, die wir kennen, handelt. Sondern um gänzlich neue Qualen. Angenommen, sie würden diese nicht über unsere Nerven erfahrbar machen, stattdessen unsere Gehirne auf eine neue und unbekannte Art beeinflussen? Sich auf eine neue und fremde und unaussprechliche Art und Weise bemerkbar machen? Was könnten wir schon tun? Uns wären die Hände gebunden. Man kann nicht gegen etwas vorgehen, das man nicht sieht oder spürt. Man kann sich nicht gegen das Tausenddimensionale wehren. Angenommen, sie fräßen sich durch den Weltraum einen Weg zu uns!«

Jetzt sprach er mit einer emotionalen Intensität, welche die Skepsis Lügen strafte, die er noch vor wenigen Augenblicken heraufbeschworen hatte.

»Das sind die Dinge, über die ich zu schreiben versucht habe. Ich wollte diese Wesen aus einem anderen Universum, jenseits von Zeit und Raum, für meine Leser vor ihrem geistigen Auge zum Leben erwecken und spürbar machen. Ich hätte mich mit Leichtigkeit in Andeutungen oder vage Umschreibungen flüchten können – jeder Narr besitzt diese Fähigkeit –, aber mir schwebte eine umfassende Beschreibung vor. Mit Worten eine Farbe definieren, die keine ist, eine Form, die keine Form aufweist!

Ein begnadeter Mathematiker müsste sich vielleicht nicht auf solche Andeutungen beschränken. Er könnte sich seltsamen Kurven und Winkeln in einem ungestümen Wahn der Berechnung annähern und sie ansatzweise begreifen. Es wäre absurd zu behaupten, dass die Mathematik die vierte Dimension noch nicht entdeckt hat. Die gelehrten Geister haben sie häufig erblickt, sich ihr häufig genähert, sie häufig erfasst, vermochten es bislang jedoch nicht, sie anderen zu veranschaulichen. Ich kenne einen Mathematiker, der schwört, dass er einst bei einem wilden Gedankenflug am schwer zugänglichen Firmament der Differenzialrechnung die sechste Dimension zu Gesicht bekommen hat.

Bedauerlicherweise bin ich kein Mathematiker. Ich bin lediglich ein armer Tor von einem kreativen Künstler. Daher vermag ich diese Wesen aus den Tiefen des Weltalls überhaupt nicht zu erfassen.«

Jemand pochte lautstark an die Tür. Ich ging durchs Zimmer und schob den Riegel zurück. »Was wollen Sie?«, erkundigte ich mich. »Was ist los?«

»Verzeihung, dass ich Sie störe, Frank«, hörte ich eine vertraute Stimme, »aber ich muss mit jemandem reden.«

Ich erkannte das schmale, blasse Gesicht meines unmittelbaren Nachbarn und trat augenblicklich beiseite. »Kommen Sie rein«, forderte ich ihn auf. »Bitte kommen Sie rein. Howard und ich unterhalten uns gerade über Gespenster, und was wir dabei heraufbeschworen haben, ist nicht eben eine angenehme Gesellschaft. Vielleicht vermögen Sie die Stimmung etwas aufzuhellen.«

Ich bezeichnete Howards Schrecken als Gespenster, da ich meinen intellektuell eher schlichten Nachbarn nicht schockieren wollte. Henry Wells war ungeheuer groß und breit. Als er in den Raum trat, schien er einen Teil der Nacht mit hereinzubringen.

Er ließ sich auf das Sofa fallen und bedachte uns mit ängstlichen Blicken. Howard legte die Kurzgeschichte weg, die er gelesen hatte, nahm die Brille ab, putzte sie und runzelte dabei die Stirn. Er tolerierte meinen einfach gestrickten Nachbarn mehr oder weniger. Wir schwiegen rund eine Minute, dann ergriffen wir fast gleichzeitig das Wort. »Eine schreckliche Nacht!« »Grauenhaft, nicht?« »Schlimm!«

Henry Wells runzelte die Stirn. »Heute Nacht«, sagte er, »hatte ich einen – einen merkwürdigen Unfall. Ich trieb Hortense durch den Mulligan Wood …«

»Hortense?«, unterbrach ihn Howard.

»Sein Pferd«, erklärte ich ungeduldig. »Sie kamen aus Brewster zurück, nicht wahr, Henry?«

»Von Brewster, ja«, antwortete er. »Ich rollte zwischen den Bäumen dahin, hielt nach anderen Kutschen Ausschau, die möglicherweise mit zu grellen Lampen aus dem Dunkel auf mich zuhielten, und lauschte den Nebelhörnern in der Bucht. Sie heulten und pfiffen, als plötzlich etwas Nasses auf meinem Kopf landete. ›Regen‹, dachte ich. ›Hoffentlich bleiben die Vorräte trocken.‹

Ich drehte mich um und vergewisserte mich, dass Butter und Mehl sorgfältig abgedeckt waren, da schnellte etwas Weiches, wie ein Schwamm, vom Boden des Wagens empor und landete in meinem Gesicht. Ich griff danach und bekam es mit den Fingern zu fassen.

Es fühlte sich wie Gallert in meiner Hand an. Ich drückte es zusammen, da quoll Feuchtigkeit heraus und lief mir über die Handgelenke. Es war nicht so dunkel, dass ich es nicht gesehen hätte. Komisch, wie klar man Einzelheiten im Nebel erkennen kann – es ist, als würde er die Nacht heller machen. Eine Art Leuchten lag in der Luft. Keine Ahnung, vielleicht lag es auch gar nicht am Nebel.

Die Bäume zeichneten sich jedenfalls überdeutlich ab. Man sah sie völlig klar. Wie schon gesagt, ich betrachtete das seltsame Ding, und was meinen Sie, wie es aussah? Wie ein Stück rohe Leber. Oder Kalbshirn. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, doch mehr wie Kalbshirn. Es gab Rillen, und in roher Leber findet man keine Rillen. Normalerweise ist Leber so glatt wie Glas.

Für mich war es ein schrecklicher Augenblick. ›Da oben hockt jemand auf den Bäumen‹, dachte ich. Ein Tramp, ein Verrückter oder ein Narr, und er hat Leber gegessen. Mein Karren hat ihm Angst eingejagt und da hat er sie fallen lassen – ein Stück davon. Ich kann mich nicht irren. Als ich Brewster verließ, hatte ich keine Leber auf dem Wagen.

Ich schaute auf. Sie wissen ja, wie hoch die Bäume im Mulligan Wood wachsen. An klaren Tagen gelingt es einem vom Waldweg aus bei manchen nicht, die Krone zu erspähen. Und Sie wissen auch, wie verwachsen und unheimlich einige dieser Bäume wirken.

Komisch, ich habe sie immer mit alten Männern verglichen – große alte Männer, wissen Sie? Hochgewachsen und missgebildet und durch und durch böse. Mir schien immer, als hätten sie Schabernack im Sinn. Bäume, die so dicht und knorrig zusammenwachsen, haben stets etwas Beunruhigendes an sich.

Ich schaute auf.

Zuerst bemerkte ich nichts außer den hohen Bäumen, weiß und feucht vom Nebel, und darüber einen dichten, weißlichen Dunst, der die Sterne verbarg. Und dann schoss plötzlich etwas Langes und Weißes blitzschnell am Stamm eines Baumes herunter.

Es lief so flink am Baumstamm herab, dass ich es nicht genau erkennen konnte. Davon abgesehen war es so dünn, dass es ohnehin nicht viel zu sehen gab. Aber es ähnelte einem Arm. Einem langen, blassen und sehr dünnen Arm. Aber natürlich war es keiner. Wer hätte je von einem Arm gehört, der so groß wie ein Baum ist?

Ich weiß auch nicht, weshalb ich es mit einem Arm verglich, denn an sich handelte es sich um wenig mehr als eine dünne Linie – so wie ein Draht oder die Saite einer Violine. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich es wirklich gesehen habe. Vielleicht habe ich es mir nur eingebildet. Ich kann auch nicht mit Sicherheit behaupten, dass es tatsächlich so dünn wie eine Saite war. Aber es hatte eine Hand. Oder doch nicht? Wenn ich daran denke, wird mir ganz schwindelig im Kopf. Wissen Sie, es bewegte sich so schnell, dass ich es gar nicht genau erkennen konnte.

Aber es vermittelte mir den Eindruck, als würde es nach etwas suchen, das es verloren hatte. Einen Moment schien die Hand über der Straße ausgestreckt zu sein, dann löste sie sich von dem Baum und kam auf meinen Karren zu. Es sah aus, als würde eine riesige weiße Hand auf den Fingern laufen, aber mit einem langen Arm daran, der so weit in die Höhe ragte, dass er den Nebel berührte, wenn nicht gar die Sterne.

Ich schrie entsetzt auf und schlug Hortense mit dem Zügel, aber der Gaul brauchte keine gesonderte Aufforderung. Er setzte sich in Bewegung, noch ehe ich die Leber oder das Kalbshirn, oder was immer es war, auf die Straße werfen konnte. Hortense galoppierte so schnell, dass sie fast den Wagen umkippte, aber ich zog die Zügel nicht. Lieber wäre ich mit gebrochenen Rippen am Straßenrand gelandet, als mich von einer langen weißen Hand erwürgen zu lassen.

Wir hatten den Wald fast hinter uns gelassen, und ich wagte zaghaft wieder zu atmen, als mein Gehirn plötzlich kalt wurde. Ich kann nicht anders beschreiben, was geschah. Mein Gehirn wurde kalt wie Eis in meinem Kopf. Ich kann Ihnen versichern, dass ich Todesangst bekam.

Glauben Sie aber nicht, mir wäre die Fähigkeit zum klaren Denken abhandengekommen. Ich bekam alles, was um mich herum vorging, ganz deutlich mit, nur mein Gehirn war so kalt, dass ich vor Schmerzen schrie. Haben Sie jemals ein Stück Eis zwei oder drei Minuten lang in der Hand gehalten? Das brannte, richtig? Eis brennt schlimmer als Feuer. Also, mein Gehirn fühlte sich an, als hätte es stundenlang auf Eis gelegen. Ein Ofen brannte in meinem Kopf, aber es war ein kalter Ofen. Er loderte mit unerträglicher Kälte.

Vielleicht hätte ich dankbar sein sollen, dass die Schmerzen nicht lange anhielten. Nach rund zehn Minuten ließen sie nach, und zu Hause angekommen war ich davon überzeugt, dass das Erlebnis keine bleibenden Schäden hinterlassen hatte. Ich ging davon aus, dass es mir wieder uneingeschränkt gut ging, bis ich in den Spiegel sah und das Loch in meinem Kopf erblickte.«

Henry Wells beugte sich nach vorn und strich das Haar von der rechten Schläfe zurück.

»Hier ist die Wunde«, sagte er. »Was halten Sie davon?« Er klopfte mit dem Finger auf eine kleine, runde Öffnung seitlich an seinem Kopf. »Sieht wie ein Einschussloch aus«, fuhr er fort, »aber es floss kein Blut und man kann ziemlich weit hineinsehen. Es ist, als würde sie durch meinen halben Kopf gehen. Eigentlich dürfte ich gar nicht mehr am Leben sein.«

Howard war aufgestanden und musterte meinen Nachbarn mit wütendem, vorwurfsvollem Blick.

»Warum haben Sie uns belogen?«, brüllte er. »Warum haben Sie uns diese absurde Geschichte erzählt? Eine lange Hand! Sie waren betrunken, Mann. Betrunken – und doch ist Ihnen etwas gelungen, das zu bewerkstelligen ich Blut und Wasser geschwitzt habe. Hätte ich meine Leser dieses Grauen spüren, nur für einen Moment selbst erleben lassen können, dieses Grauen im Wald, das Sie beschrieben haben, dann würde ich zu den Unsterblichen gehören – ich wäre größer als Poe, bedeutender als Hawthorne. Und Sie – ein tollpatschiger, betrunkener Lügner …«

Ich sprang mit einem erbosten Ausruf auf die Füße.

»Er lügt nicht«, erklärte ich. »Auf ihn wurde geschossen – jemand hat ihm in den Kopf geschossen. Sieh dir die Verletzung an. Mein Gott, du hast kein Recht, ihn derart zu beleidigen!«

Howards Zorn verrauchte, das Feuer in seinen Augen erlosch. »Verzeih mir«, bat er. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mir wünsche, diesen höchsten aller Schrecken einzufangen und zu Papier zu bringen, und ihm ist es so mühelos gelungen. Hätte er mich vorgewarnt, dass er so etwas beschreiben würde, hätte ich mir Notizen gemacht, aber er weiß natürlich gar nicht, dass er ein Künstler ist. Eine versehentliche tour de force ist ihm da gelungen; ich bin sicher, er würde es kein zweites Mal schaffen. Es tut mir leid, dass ich so explodiert bin – ich entschuldige mich. Soll ich einen Arzt holen gehen? Das ist wirklich eine schlimme Verletzung.«

Mein Nachbar schüttelte den Kopf. »Ich will keinen Arzt«, meinte er. »Ich war schon bei einem. Ich habe keine Kugel im Kopf – dieses Loch stammt nicht von einer Kugel. Als der Arzt keine Erklärung dafür fand, lachte ich ihn aus. Ich hasse Ärzte; und ich habe nichts übrig für Narren, die mich einen Lügner nennen. Ich habe nichts übrig für Leute, die mir keinen Glauben schenken, wenn ich ihnen erzähle, dass ich ein langes weißes Ding in aller Deutlichkeit die Bäume herunterkommen sah.«

Aber Howard untersuchte die Verletzung der Entrüstung meines Nachbarn zum Trotz. »Sie stammt von etwas Rundem und Scharfem«, stellte er fest. »Es ist seltsam, aber das Fleisch wirkt nicht zerrissen. Ein Messer oder eine Kugel hätte das Fleisch zerfetzt und einen unregelmäßigen Rand hinterlassen.«

Ich nickte und bückte mich gerade, um die Wunde ebenfalls in Augenschein zu nehmen, als Wells kreischte und die Hände vor den Kopf schlug. »Ah-h-h!«, krächzte er. »Sie ist wieder da – diese grässliche, grässliche Kälte.«

Howard sah ihn an. »Erwarten Sie ja nicht, dass ich Ihnen diesen Unsinn glaube!«, rief er verächtlich aus.

Aber Wells hielt sich den Kopf und hüpfte wie im Delirium oder unter großen Qualen im Zimmer herum. »Ich ertrage es nicht!«, kreischte er. »Es friert mir das Gehirn ein. Das ist keine gewöhnliche Kälte. Nein. O Gott! Niemand hat je so etwas verspürt. Es beißt, es versengt, es zerfrisst. Es ist wie Säure.«

In dem Versuch, ihn zu beruhigen, legte ich ihm eine Hand auf die Schulter, doch er stieß mich beiseite und rannte zur Tür.

»Ich muss hier raus«, schrie er. »Das Ding braucht Platz. Mein Kopf vermag es nicht zu fassen. Es will die Nacht – die weite Nacht. Es möchte sich in der Nacht suhlen.«

Er riss die Tür auf und verschwand im Nebel. Howard wischte sich mit einem Ärmel seiner Jacke die Stirn ab und ließ sich auf den Sessel fallen.

»Verrückt«, murmelte er. »Ein tragischer Fall von manisch-depressiver Psychose. Wer hätte das geahnt? Die Geschichte, die er uns erzählt hat, war gar keine bewusste Kunst. Es handelte sich schlicht und ergreifend um ein Albtraumgespinst, das sich das Hirn eines Verrückten vorgegaukelt hat.«

»Ja«, sagte ich, »aber wie erklärst du dir das Loch in seinem Schädel?«

»Ach, das!« Howard zuckte die Schultern. »Hatte er vermutlich immer schon. Wahrscheinlich ein Geburtsfehler.«

»Unsinn«, widersprach ich. »Der Mann hatte vorher kein Loch im Kopf. Ich persönlich bin der Meinung, es wurde auf ihn geschossen. Man müsste etwas unternehmen. Er benötigt medizinische Versorgung. Ich denke, ich rufe Dr. Smith an.«

»Es wäre nutzlos, sich einzumischen«, meinte Howard. »Das Loch stammt nicht von einer Kugel. Ich gebe dir den Rat, ihn bis morgen zu vergessen. Sein Wahn mag von vorübergehender Dauer sein und abklingen; und dann würde er uns Vorwürfe machen, dass wir uns eingemischt haben. Wenn er morgen immer noch emotional verstört ist, wenn er wieder hier reinstürmt und versucht, Ärger zu machen, dann kannst du die zuständigen Behörden informieren. Hat er sich in der Vergangenheit schon einmal merkwürdig dir gegenüber benommen?«

»Nein«, überlegte ich. »Er war immer ganz normal. Ich denke aber, ich befolge deinen Rat und warte ab. Ich wünschte nur, ich könnte mir das Loch in seinem Kopf erklären.«

»Die Geschichte, die er erzählte, interessiert mich weitaus mehr«, erwiderte Howard. »Ich werde sie aufschreiben, bevor ich sie vergesse. Natürlich kann ich das Grauen nicht so plastisch schildern wie er, aber vielleicht gelingt es mir zumindest teilweise, die Natur des Fremdartigen und Beunruhigenden abzubilden.«

Er schraubte den Füllfederhalter auf und bedeckte ein Blatt Papier mit wunderlichen Sätzen.

Ich erschauerte und schloss die Tür.

Mehrere Minuten herrschte Stille, abgesehen von seiner Feder, die über den Bogen kratzte. Mehrere Minuten Schweigen – und dann fing das Schreien an. Oder war es eher ein Wimmern?

Wir hörten es durch die geschlossene Tür, hörten es über das Heulen der Nebelhörner und die Brandung der Wellen von Mulligan’s Beach hinweg. Es übertönte die Millionen nächtlicher Geräusche, die uns zuvor erschreckten und deprimierten, während wir in dem von Nebel umflorten und einsamen Haus saßen und uns unterhielten. Wir hörten es so deutlich, dass wir einen Moment lang dachten, es würde unmittelbar vor dem Haus ertönen. Wieder und wieder erscholl es – lange, gellende Schreie, in denen wir schließlich das Element der Entfernung erkannten. Langsam dämmerte uns, dass die Schreie aus großer Distanz herüberklangen, möglicherweise aus dem Mulligan Wood.

»Eine gequälte Seele«, murmelte Howard. »Eine arme, verwunschene Seele im Würgegriff des Grauens, von dem ich dir erzählt habe – dem Grauen, das ich schon seit Jahren kenne und empfinde.«

Er erhob sich unsicher. Seine Augen glänzten und er atmete schwer.

Ich packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. »Du solltest dich nicht in dieser Weise mit deinen Geschichten identifizieren«, ermahnte ich ihn. »Ein armer Kerl leidet Not. Ich weiß nicht, was passiert ist. Vielleicht ist ein Schiff gesunken. Ich ziehe mir einen Regenmantel an und gehe nachschauen, was das alles zu bedeuten hat. Es könnte sein, dass man uns braucht.«

»Es könnte sein, dass man uns braucht«, wiederholte Howard langsam. »Es könnte wahrlich sein, dass man uns braucht. Mit einem einzigen Opfer dürfte es sich kaum zufriedengeben. Stell dir nur die weite Reise durch den Raum vor, den Durst und schrecklichen Hunger, den es verspürt haben muss! Es wäre lächerlich zu glauben, dass es sich mit einem einzigen Opfer zufriedengibt!«

Dann vollzog sich eine abrupte Veränderung bei ihm. Das Licht in seinen Augen erlosch, seine Stimme bebte nicht mehr so stark.

Er zuckte zusammen.

»Verzeih mir«, sagte er. »Du musst denken, dass ich genauso verrückt bin wie der Tölpel, der vor Kurzem hier gewesen ist. Aber ich kann nicht anders, ich identifiziere mich beim Schreiben mit meinen Figuren. Ich hatte etwas sehr Böses beschrieben, und diese Schreie – na ja, das waren genau die Schreie, die ein Mensch von sich geben würde, wenn – wenn …«

»Ich verstehe«, unterbrach ich ihn, »aber wir haben jetzt keine Zeit, darüber zu diskutieren. Da draußen befindet sich ein bedauernswerter Bursche« – ich machte eine unbestimmte Geste zur Tür – »der mit dem Rücken zur Wand steht. Er kämpft gegen etwas – ich weiß nicht, worum es sich genau handelt. Aber eines steht fest: Wir müssen ihm helfen.«

»Natürlich, natürlich«, pflichtete er bei und folgte mir in die Küche.

Ohne ein weiteres Wort nahm ich einen Regenmantel vom Haken und drückte ihn meinem Freund in die Hand. Dazu eine große Gummihaube.

»Zieh das so schnell an, wie du kannst«, mahnte ich ihn zur Eile. »Der Bursche braucht dringend unsere Hilfe.«

Ich hatte mir selbst einen Regenmantel genommen und kämpfte mich in die widerspenstigen Ärmel hinein. Unmittelbar darauf stapften Howard und ich durch den Nebel.

Der Nebel glich einem Lebewesen. Mit langen Fingern schlug er uns erbarmungslos ins Gesicht. Er wallte um unsere Leiber und kroch grau und spiralförmig von unseren Köpfen zum Boden. Er wich vor uns zurück, bedrängte uns im nächsten Moment und hüllte uns ein.

Vage erkannten wir die Lichter weniger abgelegener Farmen vor uns. Hinter uns erklang das Rauschen des Meeres, zu dem die Nebelhörner mit ihren Klagelauten einen unablässigen Chor beisteuerten. Howard hatte den Kragen des Regenmantels bis über die Ohren hochgeschlagen. Nässe perlte von seiner markanten Nase ab. Eine grimmige Entschlossenheit war in seine Augen getreten, sein Mund wirkte verkniffen.

Mehrere Minuten schritten wir schweigend dahin. Erst als wir uns dem Mulligan Wood näherten, ergriff er das Wort.

»Wenn nötig«, verkündete er, »dringen wir in den Wald ein.«

Ich nickte. »Es gibt keinen Grund, weshalb wir den Wald nicht betreten sollten«, entgegnete ich. »Er ist nicht besonders groß.«

»Man käme also schnell wieder heraus?«

»Man käme gewiss sehr schnell wieder heraus. Mein Gott, hast du das gerade gehört?«

Die Schreie waren schrecklich laut geworden.

»Er leidet«, erkannte Howard. »Er leidet ganz furchtbar. Glaubst du – glaubst du, es könnte unser verrückter Freund sein?«

Er sprach damit eine Frage aus, die ich mir insgeheim schon seit geraumer Zeit stellte.

»Das wäre denkbar«, meinte ich. »Aber wir müssen eingreifen, wenn er wirklich geistesgestört ist. Ich wünschte, wir hätten einige der Nachbarn mitgebracht.«

»Warum, in Gottes Namen, hast du daran nicht früher gedacht?«, brüllte Howard mich an. »Vielleicht erfordert es ein Dutzend kräftiger Männer, ihn zu bändigen.« Er betrachtete die hohen Bäume, die vor uns aufragten; ich glaube nicht, dass er auch nur einen Gedanken an Henry Wells verschwendete.

»Das ist der Mulligan Wood«, kündigte ich an. Ich schluckte, so sehr schlug mir das Herz in der Brust. »Es ist kein großer Wald«, fügte ich idiotischerweise erneut hinzu.

»Mein Gott!« Aus dem Nebel ertönte die Stimme eines Menschen im höchsten Extremmaß der Schmerzen. »Sie fressen mein Gehirn! Mein Gott!«

In diesem Augenblick verspürte ich tödliche Angst, ich könnte ebenso verrückt werden wie der Mann im Wald. Ich packte Howard am Arm.

»Kehren wir um«, brüllte ich. »Kehren wir augenblicklich um. Wir waren Narren, überhaupt herzukommen. Hier lauert nichts als Wahnsinn und Leid, möglicherweise sogar der Tod.«

»Mag sein«, erklärte Howard, »aber wir gehen trotzdem weiter.«

Sein Gesicht unter der tropfenden Regenhaube wirkte aschfahl, seine Augen glichen schmalen blauen Schlitzen.

»Na gut«, erwiderte ich grimmig. »Gehen wir weiter.«

Langsam schritten wir unter den Bäumen dahin. Sie ragten über uns auf und der dichte Nebel verzerrte sie so sehr, dass es einem so vorkam, als würden sie sich an uns heranschleichen. Nebelschwaden hingen von ihren verwachsenen Ästen herab. Sagte ich Schwaden? Schlangen wäre treffender – zuckende Schlangen mit giftigen Zungen und garstigen Augen. Durch wallende Nebelschleier nahmen wir die schuppigen, ungeschlachten Stämme der Bäume wahr, die – jeder einzelne – den missgebildeten Leibern böser alter Männer glichen. Lediglich der kümmerliche Lichtstrahl meiner elektrischen Taschenlampe bewahrte uns vor ihren bösen Absichten.

Weiter schritten wir durch die dichten Nebelbänke, derweil die Schreie mit jeder Sekunde lauter wurden. Kurz darauf verstanden wir Bruchstücke von Sätzen und hysterisches Gebrüll, das in ein lang gezogenes Wimmern überging. »Kälter und kälter … sie fressen mein Gehirn auf. Kälter! Ah-h-h!«

Howard hielt mich am Arm fest. »Wir suchen ihn«, beschloss er. »Jetzt können wir nicht mehr umkehren.«

Als wir ihn schließlich fanden, lag er auf der Seite. Er hielt die Hände an den Kopf gepresst und hatte den Körper wie ein Klappmesser gekrümmt – die Knie waren so stark angewinkelt, dass sie fast seine Brust berührten. Er war verstummt. Wir bückten uns und schüttelten ihn, doch er gab keinen Laut von sich.

»Ist er tot?«, brachte ich krächzend hervor. Ich wollte nur noch umkehren und fliehen. Die Bäume schienen jetzt sehr nahe zu sein.

»Ich weiß nicht«, gestand Howard. »Ich weiß nicht. Ich hoffe, dass er tot ist.«

Ich sah, wie er niederkniete und die Hand unter das Hemd des armen Teufels schob. Einen Augenblick lang glich sein Gesicht einer Maske. Dann stand er hastig auf und schüttelte den Kopf.

»Er lebt«, beschied er. »Wir müssen ihm schnellstens trockene Sachen anziehen.«

Ich half meinem Freund dabei. Gemeinsam hoben wir die zusammengekrümmte Gestalt vom Boden hoch und trugen ihn zwischen den Bäumen dahin. Zweimal stolperten wir und wären um ein Haar gefallen. Dornenranken zerrissen unsere Kleidung. Die Sträucher gebärdeten sich wie gemeine kleine Hände, die unter der boshaften Ägide der hoch aufgeschossenen Gehölze nach uns griffen. Ohne Sterne, die uns leiteten, ohne ein Licht, abgesehen von der kleinen Taschenlampe, die immer trüber blitzte, erkämpften wir uns den Weg aus dem Mulligan Wood hinaus.

Das Dröhnen begann erst, als wir den Wald bereits hinter uns gelassen hatten. Anfangs hörten wir es kaum, so leise klang es, als würden gigantische Maschinen tief im Inneren der Erde brummen. Doch während wir mit unserer Last weiterstolperten, wurde es allmählich so laut, dass wir es nicht länger ignorieren konnten.

»Was ist das?«, murmelte Howard, und ich erkannte durch die Nebelschwaden, dass sein Gesicht eine grünliche Färbung angenommen hatte.

»Ich weiß es nicht«, murmelte ich. »Vermutlich etwas Grässliches. So etwas habe ich noch nie gehört. Kannst du nicht schneller gehen?«

Bisher hatten wir gegen vertraute Schrecken gekämpft, doch etwas wie das Dröhnen und Summen, das hinter uns aufbrandete, hatte ich auf Erden noch nie vernommen. Von Grauen gepackt stieß ich einen spitzen Schrei aus. »Schneller, Howard, schneller! Um Himmels willen, machen wir, dass wir hier wegkommen!«

Meine Worte waren noch nicht ganz verklungen, da ging ein jähes Zucken durch den Mann, den wir trugen, und ein Schwall kaum verständlichen Gestammels kam über die rissigen Lippen: »Ich ging zwischen den Bäumen dahin und blickte auf. Ich sah die Kronen nicht. Ich blickte auf, dann senkte ich den Blick wieder, und plötzlich landete dieses Ding auf meinen Schultern. Es bestand nur aus Beinen – langen, kriechenden Beinen. Es ging direkt in meinen Kopf. Ich wollte weg von den Bäumen, konnte es aber nicht. Ich war allein im Wald, mit diesem Ding auf meinem Rücken und in meinem Kopf.

Als ich fliehen wollte, da griffen die Bäume nach mir und brachten mich ins Straucheln. Es bohrte ein Loch, damit es hineinkam. Es will mein Gehirn. Heute hat es ein Loch gemacht, und jetzt ist es in den Schädel gekrochen und saugt und saugt und saugt. Es ist kalt wie Eis und es macht ein Geräusch wie eine große summende Fliege. Aber es ist keine Fliege. Und es ist keine Hand. Ich habe mich geirrt, als ich es eine Hand nannte. Man kann es nicht sehen. Ich hätte es weder gesehen noch gespürt, wenn es nicht durch das gebohrte Loch in mich eingedrungen wäre. Man sieht es beinahe, man spürt es beinahe, und das bedeutet, dass es sich zum Eindringen bereit macht.«

»Können Sie gehen, Wells? Können Sie aus eigener Kraft laufen?«

Howard setzte Wells ab. Ich hörte ihn abgehackt atmen, während er sich bemühte, den Regenmantel abzustreifen.

»Ich glaube, ja«, schluchzte Wells. »Aber das spielt keine Rolle mehr. Jetzt hat es mich. Lassen Sie mich liegen und retten Sie sich selbst.«

»Wir müssen fliehen!«, rief ich.

»Dies ist unsere einzige Chance«, rief Howard. »Wells, Sie folgen uns. Folgen uns, haben Sie verstanden? Die brennen Ihnen das Gehirn aus, wenn die Sie erwischen. Wir laufen jetzt los, Mann. Hören Sie? Folgen Sie uns!«

Und er verschwand im Nebel. Wells befreite sich und heftete sich wie ein Mann in Trance an unsere Fersen. Ich verspürte ein schrecklicheres Grauen als den Tod. Das Geräusch erklang jetzt beängstigend laut. Es tönte direkt in meinen Ohren, und doch konnte ich mich kurzzeitig nicht bewegen. Die Nebelwand verdichtete sich zunehmend.

»Frank wird sich verirren!« Das war die Stimme von Wells, die er zu einem verzweifelten Kreischen erhob.

»Wir kehren um!« Das kam jetzt von Howard. »Es bedeutet den Tod oder Schlimmeres, aber wir können ihn nicht zurücklassen.«

»Geht weiter!«, brüllte ich. »Die kriegen mich nicht! Bringt euch selbst in Sicherheit!«

In meinem verzweifelten Wunsch, zu verhindern, dass sie sich für mich opferten, stürmte ich blindlings vorwärts. Augenblicke später traf ich auf Howard und hielt ihn an den Armen fest.

»Was ist es?«, wollte ich von ihm wissen. »Wovor müssen wir uns fürchten?«

Das Dröhnen schien jetzt allgegenwärtig um uns herum zu existieren, wurde jedoch nicht lauter.

»Komm schnell, sonst sind wir alle verloren!«, drängte er mich panisch weiter. »Sie haben alle Barrieren durchbrochen. Das Summen ist eine Warnung. Wir sind empfänglich – wir wurden gewarnt, aber wenn es noch lauter wird, sind wir verloren. In der Nähe vom Mulligan Wood sind sie stark und hier haben sie sich auch zu erkennen gegeben. Sie experimentieren – tasten sich langsam voran. Später, wenn sie genügend gelernt haben, breiten sie sich aus. Wenn wir nur die Farm erreichen …«

»Das wird uns gelingen!«, verkündete ich, während ich mich durch den Nebel vorantastete.

»Der Himmel stehe uns bei, wenn nicht!«, stöhnte Howard.

Er hatte den Regenmantel weggeschleudert. Das durchnässte Hemd klebte ihm tragisch am schlaksigen Körper. Mit langen, ausgreifenden Schritten bewegte er sich durch die Dunkelheit. Weit vor uns hörten wir die Schreie von Henry Wells. Unablässig ertönten die Nebelhörner; unablässig kreiste und wallte der Nebel um uns herum.

Und das Dröhnen dauerte an. Es schien zunächst unvorstellbar, dass wir in der Finsternis den Rückweg zur Farm finden würden. Doch es gelang uns, und wir betraten die rettende Zuflucht mit Ausrufen tiefen Glücks.

»Schließ die Tür!«, forderte Howard.

Ich schloss die Tür.

»Ich glaube, hier sind wir sicher«, meinte er. »Sie haben die Farm noch nicht erreicht.«