Hamburg-Krimi - Mörderisches Golfspiel - Jürgen R. Tiedtke - E-Book

Hamburg-Krimi - Mörderisches Golfspiel E-Book

Jürgen R. Tiedtke

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Beschreibung

Hamburg - der sechzehnjährige Ben ist Mitglied einer Skater-Gang. Nach einem Sturz wird er vom Krankenhausarzt Dr. Lack behandelt. Diese Begegnung lenkt Bens Leben in neue Bahnen. Um sich etwas Geld zu verdienen, arbeitet er als Caddie auf dem Golfplatz und wird dort Zeuge eines Mordes. Die Ermittlungen der Kripo Hamburg führen die Kommissare Bella Böhm und Uwe Rottmann bis nach Kiel. Dieses Buch glänzt mit Hamburger Lokalkolorit, erzählt vom Erwachsenwerden und dem Ringen um Anerkennung der Jugendlichen in der Welt der Erwachsenen, von sexueller Orientierung, erster Liebe, perfiden Gedanken eines Mörders und aufwendigen Ermittlungen der Hamburger Kripo. Das Einzigartige an diesem Roman sind die verschiedenen Blickwinkel der Protagonisten, die der Autor seinen Lesern gewährt. Er entführt sie nicht nur in die Welt Hamburgs und Kiels sondern auch in die Gedankenwelt der Charaktere. Ein Kriminalroman, der durch seine ruhige Art glänzt und mit subtil wachsender Spannung die Leser in seinen Bann zieht.

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Seitenzahl: 418

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Der Autor

Jürgen R. Tiedtke veröffentlichte während seiner beruflichen Tätigkeit zahlreiche wirtschaftswissenschaftliche und kaufmännischen Werke sowie Prüfungsvorbereitungsbücher für kaufmännische Berufsschulen, Fachoberschulen und Akademien. Als Besonderheit und ins Russische übersetzt: 1992, Investition und Finanzierung (Wolfgang Harmgardt und Jürgen Tiedtke, Management Intensivtraining). Außerdem betreute er als Mitherausgeber (über viele Jahre) die Zeitschrift Industriekaufmann/Industriekaufleute des Dr. Gabler Verlags, Wiesbaden.

Seit 2000 tritt der Autor als Schreiber von Kurzgeschichten, Fabeln, Legenden und Erzählungen in Erscheinung, insbesondere im Himmelstürmer Verlag Hamburg, Konkursbuchverlag Frankfurt am Main sowie im Novum pro Verlag.

2003 erschienen der Roman: Abseits, Amor schießt quer, Verlag: MeinBuch, Hamburg, 2010, das Kinderbuch, Anna, bleib cool, Verlag B&Z Leddin: der Roman: Liebeshunger oder der Stachel des Rochens, 2019, BoD: Zerreißproben und Gratwanderungen 2019, BoD. Als E-Bücher werden zur Zurzeit die Romane Liebeshunger, Zerreißproben und Abseits angeboten.

Personen*

Mitglieder der Skatergang:

Ben Meder(16), Niels Großkopf (17), Ayhan Özil (15), Louis,

Radloff (15), Max Siehnknecht (16), Alexander Albrecht (16),

Gangboss: Paul Schnoor (18), Bens Freund.

Sonstige involvierte Personen

Hans Meder (14), Bens Bruder,

Leon (14) , Hans‘ Klassenkamerad,

Manuela Meier, Klassenkameradin von Paul Schnoor,

Astrid Sturm (16), Schülerin derselben Schule,

Sonja Wohlgemut, Klassenkameradin von Ben, Niels, Ayhan,

Lea Senftenberg, Klassenkameradin von Ben,

Friedel und Karl Meder, Bens Eltern,

Ulrich Watzke, Niels Vater, Oberstufenkoordinator,

Doktor Fred Lack, Hamburger Arzt, Golfer,

Sophia Lack, Tochter von Fred Lack, 15 Jahre,

Doktor Harald Wienkraut, Kieler Arzt, Golfer,

Else Lack, Mutter von Doktor Lack,

Solveig Lack, Schwester von Dr. Lack,

Beobachter,

Thomas Kern, Kangoo-Besitzer, Student, Kiel,

Emre Yesil, ein in Kiel lebender Türke,

Prostituierte, Zuhälter, ein Trödler, Sonstige.

Kriminalkommissariate Hamburg und Kiel

Bella Böhm (BB), Kriminalhauptkommissarin, Hamburg,

Nina, ihre Tochter,

Leon Faber, BBs Dezernatsleiter,

Uwe Rottmann, Kriminalkommissar, BB’s Mitarbeiter,

Theresa Heinichen, neue Kollegin im Ermittler-Team,

Gisela Czerne, Uwe Rottmanns bewährte Kollegin,

Horst Benningsen, Kriminalkommissar, Kiel,

Örtliche Polizei.

*In den Überschriften (der einzelnen Kapitel) sind die Erzähler namentlich aufgeführt

Inhalt

Prolog

1. Kapitel

Grün gegen Grau,, Fairway gegen Asphalt

2. Kapitel

Ein tödlicher Schuss

3. Kapitel

Mördersuche

Epilog

MIT DER WAHRHEIT HAT NOCH KEINER DIE WELT ERO-BERT.

Jüdisches Sprichwort

Hamburg Krimi

Mörderisches Golfspiel

Prolog

Sie sprangen über Mülleimer, Bänke und Treppen, rutschten Geländer herunter und glitten über scharfe Mauerkanten, die die Eingänge der alten Patrizierhäuser zierten.

Ben und seine Kumpel fuhren voll auf Skaten ab.

Heute war wieder so ein Tag. Er und seine Freunde, das war super!

Eine verschworene Gemeinschaft, eine Gang.

Kein anderer Sport ist so aufregend, anregend und vielseitig.

Fußball, Handball, Hockey verfügen nur über eine begrenzte Fläche und 2 schmale Tore.

Skispringen (von der Schanze) zwingt in enge Spuren. Es erlaubt nur ein Ziel.

Schwimmen verläuft in schmalen, kurzen Bahnen, beinahe mit Körperberührung zum Nachbarn.

Tennis beschränkt sich auf Schlag und Sprung im abgezirkelten Feld.

Golf ist elitär. Außerdem ist man oft einsam.

Nein, Skaten heißt, mit Freunden zusammen fliegen.

Skaten ist global, macht frei und kennt keine Grenzen.

Übermütig kam er nach Haus. Niemand war da. Ein Glücksfall. Er sprintete die Treppen hinauf, öffnete die Badezimmertür mit unverhohlener Kraft, riss sich die Kleider vom Leib und sprang unter die Dusche.

Was fühlen seine Freunde, wenn sie von scharfen Kurven redeten? Wie reagierten ihre Körper, wenn sie in ihren Träumen die Haut von Gina Lisa Lohfink, streichelten? Oder die von Kim Kardashian? Ben drehte die Dusche auf.

Das erfrischende Wasser rann seinen Körper herunter.

Der Dreiklang von Feuchtigkeit, Gel und Haut entführte seine Phantasie in die Welt seiner Kumpel.

Da ist sie: Diese steile Sexbestie.

Paul hatte ein knallhartes Foto kreisen lassen, als sie sich einen Augenblick ausruhten.

Mir nichts dir nichts erregte er sich.

Was für Megatitten hatte dieses Vollweib? Implantate, Silikon? Dazu die endlosen Beine, die am Knackarsch endeten. War es das, was Paul und Konsorten anmachte? So ganz konnte Ben sich das nicht vorstellen, wenn man sich die Brüste derartig vergrößern lässt. Überdimensionierte Formen hat er immer verabscheut.

Als das Mordsweib sich schon wieder verflüchtigen wollte, blökte er ihr durch den Wasserstrahl hindurch zu: „Bleiben, bleiben!“

Das klappte nicht.

Wahrscheinlich war der junge Mann nicht konzentriert genug. So zerstoben die Träume. Eins war ihm in diesem Augenblick klar geworden: Sex muss great sein. Aber mit wem? Diese Frage konnte er noch nicht beantworten.

1. KapitalGrün gegen Grau –– Fairway* gegen Asphalt

Ansichten - Ben

Sonnabend, 30. Mai

Zum Haare ausraufen, dachte ich. Immer, wenn ich noch schlafen wollte, stand der Alte in der Tür.

„Aufstehen!", blökte er. „Der Garten ruft!" Was sollte dieser Scheiß? Irgendwie hatte er wohl ein schlechtes Gewissen. Er war nämlich zum Rasenmähen nicht in der Lage. Der Bauch störte sehr. Ben sah ihn vor sich. Seiner Meinung nach konnte er den Rasenmäher unter sich gar nicht sehen. Wie mich diese Gartenarbeit ankotzt. Keiner meiner Freunde mag sie, zumal sie meist zu unpassenden Zeiten eingefordert wird. Und heute am Sonnabendmorgen? Wer aalt sich nicht gern im Bett so richtig rum?

Nichts von alledem.

Im Sommer war mein Vater auf der Matte, jedes zweite Wochenende, um mir die Tage zu verleiden. Alle vierzehn Tage ließ er uns ab fünf Uhr morgens allein und machte sich auf den Weg zum Angeln. Wir Jungen waren zwar froh darüber, aber was trieb er wirklich? Hatte er eine Freundin?

*Fairway : Areal, auf dem Golfer ihre Bälle schlagen

Ich bin nett und gehorsam. Ich wusste, dass sich meine Eltern krumm für mich legen mussten. Sie wollten, dass wir beide, mein Bruder Hans und ich, das Abi machen. Das war cool, denn beide Elternteile haben nur die Hauptschule. Noch habe ich zwei Jahre vor mir. Mein Bruder vier. Mann, manchmal möchte ich jetzt schon alles hinwerfen.

War ja nicht schlimm von wegen mangelnder Bildung meiner Erzeuger. Mein Vater hat es trotzdem zu was gebracht. Er kontrolliert Leute an Maschinen. Pünktlich sein und so. Außerdem war er verantwortlich, dass die Dinger an– und abgestellt werden. Vorarbeiter, glaube ich, war er. Dass ist doch auch schon ein Leitungsposten wie Onkel Erwins bei der Feuerwehr. Aber viel Geld brachte er nicht mit nach Haus. Meine Mutter sagte immer, sie käme gerade damit aus. Verbrauchte er es heimlich? Wo?

Rasen mähen! Ich hätte nur Büsche gepflanzt. Aber die beiden wollten Blumen und Beete und zentimeterlanges Gras. Ich glaubte, die hatten nur daran gedacht, wie sie für uns Ostereier verstecken könnten. Beim Suchen hatten sie mehr als mein Bruder und ich gekreischt. Längst vorbei. Damals war mein Vater noch leidlich, aber heute?

Zweimal im Monat sollte der Rasenmäher herhalten. Eine Maschine, wie aus dem Museum. Ein Monstrum, irgendwo hatte mein Vater es vom Sperrmüll geholt. Es quietschte, hakte und ratterte. Nicht mit einem Elektromotor und schon gar nicht mit Benzin zu vergleichen.

Nein, Handarbeit. Was gab der Alte immer von sich? Hände Arbeit mache stark.

Dass ich nicht lache!

Schon wieder dröhnte seine Stimme durch das Treppenhaus:

„He, Ben, hast du Dreck in den Ohren?" Auch das noch!

Statt dass er abhaute!

Ich sprang aus dem Bett, wie von einer Tarantel gestochen, riss meine Zimmertür auf und stand im Türrahmen, vergaß, dass ich weder einen Schlafanzug anhatte noch ‘ne Unterhose. Sofort schämte ich mich, denn mein Vater hatte mich seit meiner Kindheit nicht mehr nackend gesehen. Vielleicht staunt er oder ist er geradezu neidisch?

Ich hampelte verlegen von einem Fuß auf den anderen.

Er glotzte mir voll in die Pupillen, und dann wanderten seine Augen meinen Körper entlang. Hätte ich ja auch gemacht, wäre er mir so gegenübergetreten.

Konnte er sich aber nicht umdrehen? Das wäre okay!

„Nimm dich zusammen, das ist wohl jetzt nicht der richtige Augenblick!", laberte er und griente ordinär.

Er hatte vielleicht an seine Jugend gedacht. Welchem Jungen passiert das nicht? Paul hatte schon oft genug davon geredet.

Plötzlich fühlte ich, dass er doch noch menschliche Züge hatte. Das machte ihn persönlich und mir sympathisch. Endlich. Darauf wartete ich seit Jahren.

Mir kam in den Sinn, dass er nur deshalb so abweisend war, weil ich ihm irgendwie Konkurrenz machte. Aber wem gegenüber? Außerdem war ich sechzehn. Wen reizt dieses Alter schon?

„Das ist nun mal so!", sagte ich kleinlaut.

„Mir bekannt!", kotzte er aus. „Kein Grund zu faulenzen!“

Dass er immer nur fordert…

„Jugendliche haben den Eltern immer beigestanden, schon die alten Römer haben ihre Kinder beschäftigt!“

„Ja, viele Jungen dienten befreundeten Männern!“

„Wo hast du diesen Unsinn denn her?“

Ich verschwand lieber im Bad, schaltete das Radio unüberhörbar ein und fummelte am Sender herum. Manchmal rauschte es, des Öfteren zischte es, dann gab‘s verzerrte Töne von sich, alles in einer Lautstärke, die andere nerven müsste, und es dauerte, bis ich endlich einen Sender hatte, der mir Spaß machte. Popp und Rock bis zum Gehtnichtmehr. Plötzlich ertönte Pink. Ich kann sie aus tausend Sängerinnen 'raushören, außerdem war sie neulich im Fernsehen, Mensch, war die fetzig in aufgerissenen Jeans und mit einem idiotischen Irokesenschnitt, total abgefahren. Pink lässt sich auch mit Alicia Moore anreden. Voll ′aufgebitscht′ röhrte sie ihre Verehrer dusslig, und jetzt mich - ich mag sie sehr - während mein Vater die Treppe herunterstiefelte.

Er hatte erreicht, was er wollte, aber er wird gleich nach oben schreien, dass ich das Jaulen abstellen sollte, weil die Musik nicht zum Aushalten wäre.

So ist die Generation vor uns. Nichts sollen wir dürfen. Aber ich ließ mir gar nichts sagen.

Dann fiel mir ein, dass ich um zehn Uhr in der Bäckerei am Ludwigsplatz sein musste, die er deshalb angesprochen hatte: Brötchen am Wochenende verkaufen bis vierzehn Uhr. Da mein Vater mich wohl in allen Tönen lobte, und mich der Boss der Backstube bei meiner Vorstellung mochte, bekam ich den Job. Also war nichts mit Mähen! Jedenfalls jetzt nicht. Gut, dass mir das rechtzeitig eingefallen war.

Ich schaltete die Kiste aus. Dann rief ich im Singsang hinunter: „Rasenmähen kannst du dir abschminken!"

Meine Stimme hatte unbewusst einen triumphierenden Ton angeschlagen, was meinen Vater wütend machen musste. Das wusste ich, als ich den Satz ausgestoßen hatte.

Ich schob pampig hinterher: „Mein neuer Boss lässt nicht mit sich spaßen!" Ich konnte mich wieder nicht gegen meine unverschämte Aggression wehren.

Mir war im gleichen Augenblick klar, dass er meine Abneigung heraushören musste. Aber was soll‘s! War er denn anders?

„Ich hatte gesagt, dass der Rasen jetzt gemäht wird!", befahl er polternd.

„Nei…n!", erwiderte ich, wobei ich 'nein' ganz lang zog. Das musste ihn noch wütender machen. Genau das wollte ich bewirken.

Schon seit langem stieß mich seine Überheblichkeit ab. Außerdem widerte mich an, wie er uns herumkommandiert.

Sagt man nicht, dass sich Männer zu Hause austoben, wenn sie sonst nichts zu melden haben? Hier schrie er ständig rum. Auch meine Mutter war vor diesen Attacken nicht sicher. Hans schon gar nicht. Nur kuschte der noch zu viel. Aber er war auch erst vierzehn.

Sein Job musste wohl doch mies sein. Vielleicht war er nur Handlanger und redete sich den schön.

„Nein, das tue ich nicht", wiederholte ich trotzig. „Willst du, dass dein Sohn beim Bäcker stinkt?"

Ich hielt einen Augenblick die Luft an. Dann hauchte ich nach unten: „Und auf wen fällt so was zurück?"

Das saß!

„Komm du mir nach Haus!", plärrte er ins Treppenhaus zurück.

Jetzt hatte ich ihn! Er war nicht nur sauer, er war geladen. In diesem Zustand war er immer unberechenbar, aber leicht in die Enge zu treiben. Ich sah sein verzerrtes Gesicht. Es war rot angelaufen.

Er war wehrlos, denn er stand unten an der Treppe, ich dagegen oben. Wenn es darauf ankam, konnte ich über den Balkon fliehen, was ich des Öfteren schon getan habe. Das kannte er schon von mir. Ich war immer schneller auf dem Boden als er draußen. Er war zu behäbig. Hundert Kilo oder so bei einer Größe von 175 cm sind hinderlich. Ich war größer als er, und das fand ich geil. Wenn man groß ist, lässt sich Vieles leichter regeln. Ich glaubte auch, dass mein Vater echt Angst vor mir hatte. Das einzige, was ich ihm gegenüber empfand, war so etwas wie Dankbarkeit, weil er mich zur Schule gehen ließ. Das war aber auch alles.

Ich kriegte mit, wie er ins Schlafzimmer eilte. „Dieser Bengel", maulte er meiner Mutter vor, „wird auch noch frech. Solange er seine Beine unter meinem Tisch setzt, bestimme ich, was er zu tun hat!"

Wieso unter seinem? Wenn schon: unserem!

Ich merkte, dass ich immer noch nackend war. Immerhin hatte ich mich abgeregt. Ich band mir ein Handtuch um die Hüfte, ging auf den Flur, um mitzuhören, was da abging. Meistens dauerte der Streit noch ein paar Minuten. Höchst spannend!

„Aber Karl, du selbst hast ihm die Arbeit besorgt", piepste meine Mutter. „Hast du das vergessen?"

Ich hörte sie, weil der Alte ins Schlafzimmer gestürmt war, ohne die Tür zuzumachen.

„Nein, hab ich nicht!", gab er unwillig, aber etwas leiser von sich, noch sauer, wie es schien, und ich stellte mir sein Gesicht vor: heruntergezogene Lippen, auf der Stirn die Querfalten, die bei ihm, wenn er wütend ist, förmlich aus dem Gesicht kriechen.

„Er hat noch eine halbe Stunde Zeit. Das reicht für dieses kleine Rasenstück!", schmetterte er ihr entgegen, so dass ich zusammenzuckte.

Ein Stinktier!

„Kommt nicht in Frage! Er frühstückt, wie ‘s sich gehört!", entgegnete meine Mutter. „In der Bäckerei hat er dafür keine Zeit. Und damit Schluss der Diskussion!"

Nanu, was war denn in sie gefahren? So habe ich meine Mutter noch nie erlebt. Beginnt sie, sich zu wehren?

Neulich war gerade so eine Type im 2. Programm. Ein absoluter Feger! Hieß Alice... Nachnamen? Fehlanzeige! Vergessen... ist auch egal. Sie hatte gesagt, dass sich Frauen gegen Widerstände behaupten sollten. Gegen Politiker, Machos, Männer, Diebe, Kinder, Verwandte und was weiß ich. Gerade auch Zuhause leiden viele Frauen unter ihrem Mann, der es vielleicht noch von seinen Eltern gewohnt war, dass das Sagen der Herr im Haus hatte. Auch bei uns bekommt er immer das erste Stück Fleisch und darf sich bei Tisch als erster den Teller auffüllen.

Mein Vater war ein Macho, durch und durch. Hat sich meine Mutter darauf besonnen? Wäre cool.

Darauf wird der Schlüssel ihres Zimmers umgedreht. Wegschließen? Da läuft was…

Es wurde augenblicklich mucks Mäuschen still. Doch plötzlich….

Was machten sie dort? Ich schlich mich noch ein paar Stufen nach unten. Solche Gelegenheit hatte ich noch nie. Ich habe die beiden noch nie intim gehört. Hoffentlich klappt es diesmal, dachte ich.

Ich selbst habe auch noch nie Sex gehabt. Ich weiß nur aus Pornos, die wir uns in der Gang reingezogen haben, wie‘s geht. Aber im Grunde weiß man auch damit nichts.

Mir war, als ob beide um das Bett rannten, nein tobten! Friede, Freude, Eierkuchen, kam mir in den Sinn…

Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Ich nahm ein zärtliches „greif mich doch!" wahr.

Jetzt absolute Stille!

„Karl!", gab meine Mutter von sich. Sie gackerte wie die Mädchen in unserer Klasse.

Ich hörte gleichmäßige Bewegungen.

Es folgte eine Weile nichts.

Plötzlich undefinierbare Geräusche. Dann war Ruhe.

Ich sprang die Treppen hinauf! Bloß nichts anmerken lassen.

Noch nicht im ersten Stock angekommen, öffnete mein Vater die Schlafzimmertür. Wahrscheinlich wollte er ins Bad. Als er mich wahrnahm, stutzte er, wurde schamrot und grunzte:

„Bist du noch immer hier?"

„Wie du siehst!" Ihm musste bewusst geworden sein, dass ich alles angehört hatte.

Übrigens das erste Mal, dass ich mitbekam, wie die beiden…

Während er die Dusche aufsuchte, eilte ich in mein Zimmer zurück, zog mich an und dackelte nach unten in die Küche. Meine Mutter, das wusste ich, wird mir heute kein Frühstück machen, denn ihr wird das Ganze äußerst unangenehm sein. Davon war ich überzeugt.

Ich schüttete mir Kaba in einen Becher und hielt ihn unter den Wasserhahn. Heißes Wasser drauf und umrühren! Das war ’s.

Bloß hier nicht noch länger bleiben. Sonst setzt sich der Alte doch noch mal bei meiner Mutter durch und ruft in der Bäckerei an, dass ich ein paar Minuten zu spät kommen würde. Oder vielleicht zwei Stunden, seine Berechnung für das Rasenmähen und Graseinharkens. Ihm ist alles zuzutrauen. Er hält sich ja für was Besonderes…

Eins war mir klar. Mein Daddy würde mich jetzt am liebsten herumscheuchen, weil ich ihn ertappt habe, und das verkraftet er nicht so schnell. Vielleicht würde er sogar auf den Gedanken kommen, dass schwere Gartenarbeit das Miterlebte aus dem Gedächtnis vertreibt. Es muss schon für ihn peinlich genug gewesen sein, seinen Sohn oben an der Treppe nackend zu sehen, und heute hatte er ihn sogar richtig erwischt. Er war sehr prüde. Ich das Gegenteil. Nur bei den Ellies nicht!

Ich erreichte meine Arbeitsstelle zu früh, aber der Chef war froh, als er mich sah. Ein Mädchen war ausgefallen und der Laden voller Leute. Ich band mir eine blaue Schürze um, meine Nachbarin hat eine gelbe und der Chef so eine wie ich.

Gepflegt!

Mein Boss sagte, dass man gute Geschäfte macht, wenn man ansprechend gekleidet und höflich ist. Er hielt viel von Äußerlichkeiten!

Viele junge Frauen, so hatte ich das Gefühl, wollten von mir bedient werden. Warum bloß?

Ich sah zwar nicht schlecht aus, war nicht zu übersehen und schlank, aber sonst? Ja, ich hatte Haare! Total super! Das mögen viele. Auch in meiner Klasse! Wer hat schon eine gekräuselte Mähne, und dann blond? Zusätzlich hatte ich vorn eine Strähne gegelt, und die reckte sich nach oben. Stand wie eine eins. Wie beim jungen Justin Bieber. Sah ätzend aus, fand ich.

Mir wäre lieber, kämen jetzt scharfe Mädchen zu mir– zwei, drei Jahre älter. Vielleicht klappt ‘s dann mit mir und ihnen. Ewig das von den anderen nur Anhören- und nicht Mitquatschen können, ist ja auch nicht das Wahre.

Jedenfalls bildete sich bei mir hinter dem Schutzglas auf der anderen Seite eine Schlange. Einige Jungen auch. Natürlich werden diese von mir genauso gut behandelt wie Mädchen…

„Du hast mir zehn Euro zu viel herausgegeben", sagte eine Kundin und blinzelte mich an. Das Blut schoss mir in den Kopf. Zuerst wollte ich ihr gehörig die Meinung blasen: du zu sagen. Aber ich kriegte nur unterwürfig heraus: „Entschuldigen Sie, habe nicht aufgepasst!" Und dann ergänzte ich: „Nett von Ihnen!"

Sie reichte den Schein, den sie zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand geklemmt hatte - und ich sah ihre grünen Fingernägel - über den Tresen, was mich durcheinander brachte, grinste mich mit ihren knallroten Lippen voll an, schnippte mit dem linken Zeigefinger und Daumen in der Luft herum, was ich nicht deuten konnte, und ich werde noch verlegen. Mensch, Ben, dachte ich, die mag dich! Es war das erste Mal, dass mich eine Frau so anstarrte.

Jetzt erst blickte ich sie richtig an: Hübsch, Supertitten, geile kurze blonde Haare…, da rief jemand ärgerlich: „Geht’s endlich weiter?"

„Ja, bitte, was darf ‘s sein?", wandte ich mich an den Kunden, und als er bestellte, hatte die Frau bereits den Laden verlassen.

Ich dachte sekundenlang an meine Kumpel aus der Klasse. Sie waren anders als ich. Die machten ganz schön mit Mädchen rum. Manche trieben es sogar in nicht benutzten Schulräumen, wenn wir Pause haben.

Ich hatte noch keine Gelegenheit. Meine Mutter meinte immer, das kommt früh genug! Oder hatte ich etwa Angst? War ich vielleicht auch anders gepolt?

Hoffentlich nicht.

Angemacht haben mich Mädchenmöpse schon. Beweist das nicht, dass ich in Ordnung bin? Mensch Ben, man ist auch in Ordnung, wenn man anders ist.

Eine Ältere allerdings ist doch was anderes als unsere Babyluder, kam mir in den Sinn und gleich sah ich im Unterbewusstsein Helene Fischer. Scharfes Weib.

„Vier Mohn, zwei Kieler, fünf Korn!", aus mein Traum!

Krass müde kam ich spät nachmittags Zuhause an. Mein alter Herr - mein Gott, mir kommen bei diesem Ausdruck die Tränen - war mit dem Fahrrad unterwegs. Wo der wohl immer hingondelt? Jedenfalls hatte er neulich sein uraltes Vehikel auf Vordermann gebracht, neue Kette eingespannt, die Felgen poliert, die Speichen abgespritzt. Außerdem die meisten Teile blau angestrichen. Offensichtlich hatte die Farbe nicht ganz gereicht. Wir stören ihn bei solchen Arbeiten nicht. Er erledigt sie hinter in der Garage. Würden wir ihn mal aufsuchen, werden wir gleich eingespannt. Das vermeide ich natürlich.

Mal sehen, wann ihm diese Farbe zuwider ist. Ich finde, dass mein Alter ziemlich wechselhaft ist.

Meine Mutter machte das Abendbrot. Sie fragt ihn nie etwas. Warum eigentlich nicht?

Keine Fragen, keine Reden, sagte sie einmal, das sei ihre Devise bei dem Mann. Na, ja..

Den Rasen habe ich in einer Dreiviertelstunde picobello gemäht. Ich wollte meinem Vater keine Gelegenheit geben, mich runterzuputzen. Er hat gelächelt, als er wieder auf unserem Grundstück landete. Wahrscheinlich hat er meine Aktivität auf seine Autorität zurückgeführt. Nichts als Verblendung. Ich sagte nichts.

Bunkerschläge - Beobachter

Sonntag, 31. Mai

Der Mann stand in mitten von zerzausten Wachholderbüschen, die ihm sicheren Schutz boten, dennoch einen Sehschlitz offen ließen. Hinter den Nadeln fühlte er sich unbeobachtet. Er selbst hatte den Bunker (Sandkuhle) voll im Visier.

Dieser lag in der Nähe des angrenzenden Wäldchens, das nicht mehr zum Platzareal des Golf-Clubs gehört, und durch das er gekommen war. Gut getarnt durch Tannen und Büsche hatte er diese Stelle erreicht, nicht ohne den Zaun am Boden zu zerschneiden und sich durch das kleine Loch zu robben. Das Rad ließ er stehen und kettete es an den Drahtschlaufen fest. Er drehte sich noch einmal zu einem Stahlesel hin und befand, dass die blaue Farbe in der Sonne grell leuchtete. Im Nu war ein neuer Plan im Kopf: Schwarz anmalen!

Als nächstes klopfte er Erde und Zweige von seiner farblosen Windjacke und der dunkelblauen Cordhose ab.

Kleidungsstücke, die unauffällig wirken, meinte er.

Man konnte nie wissen.

Außerdem war seine Frau neugierig. Auch sie sollte nicht erfahren, wohin ihn seine Gedanken ziehen und seine Füße führen.

Dann schlich er gebückt, durch kleine Ginstersträucher abgeschirmt, zu einer Anhöhe, die oberhalb des Golf-Bunkers lag. zwanzig bis dreißig Meter Entfernung. Er schaute durch ein Fernglas, das er von seinem Vater geerbt hatte. Es vergrößerte erstaunlich, so dass er beinahe die Gesichtsfalten des Golfers erkennen konnte, hätte dieser welche gehabt. Aber dazu war er noch zu jung. Dafür kannst du, meinte er zu sich selbst, die Augenbrauen sehen und beinahe die Wimpern, was allerdings übertrieben war.

Der Spieler nahm jeweils einen Schläger in die rechte und linke Hand.

Warum das? , dachte er.

Dann bewegte er diese leicht auf und ab, und dem Beobachter schien, als prüfte er deren Gewicht. Gibt es denn Unterschiede?

Der Golfer war groß, schlank mit viel zu langen Armen, wie es ihm schien. Seine Kleidung mutete ihn verrückt an - ein Mann über fünfundzwanzig Jahren - dunkelrote Hosen, ein grün - blau gestreiftes Polohemd und über den Bügel der Karre hatte er seine gelbe Windjacke geworfen.

Papageien, ging‘ s durch seinen Kopf, sehen besser aus!

Er staunte über die vielen Schläger, die mit ihrer Schlagfläche aus der hochgestellten Golftasche - eher einem Beutel ähnlich - lugten, doch hatte er keine Ahnung, warum nicht nur einer genügte, und der endlich ausgewählte unten verdickt war, und wie man mit einem solchen Ding umgeht. Neben ihm ein Junge, der hektisch im Beutel wühlte, der auf einem Trolley vertäut war.

Davon hatte der Mann aber noch nie gehört. Wie sollte er auch, stand er bisher noch niemals auf einem Golfplatz. Er wusste nur, dass man einen Mitläufer als Caddie bezeichnet.

Seine Ahnung über Golf war gleich null.

Trotzdem hatte er sich eine Meinung gebildet: Golf ist elitär, für Reiche. Daher kam dieser Sport für ihn nie in Frage.

Nie!

Eigentlich hasste er ihn.

Geschürt wurde seine Meinung in der SPD-Gruppe, in der er bis vor kurzem war. Und außerdem sah er oft genug Sportwagen und Riesenschlitten im Golfclub vorfahren. Da konnte er überhaupt nicht mithalten.

Gar nichts konnte er mit seinem Job und seinem billigen Renault.

Immer wieder hatte er in der Zeitung gelesen, aber auch von irgendwelchen Leuten gehört, dass Ende des vergangenen Jahrhunderts Golf beinahe wie ein Volkssport geworden sei, denn die Eintrittsgebühren wären fast überall gestrichen. Nur in den ganz exklusiven Clubs nicht. Das war ein Irrtum. Er hatte im Lokalblatt eine Anzeige über den Golfclub gelesen, daneben einen Bericht studiert. Erstens kostet das Spielen selbst Geld, zweitens muss die Ausrüstung bezahlt werden und schließlich muss man bis zur Platzreife Unterrichtsstunden nehmen. Dass die nicht billig sind, weiß jedes Kind. Nein, die von der Presse lügen und die Leute, die mich überzeugen wollen, haben keine Ahnung. Golf ist für den kleinen Mann zu teuer und letztlich unerschwinglich. Meine Kinder werden kein Golf lernen.

Seine Abneigung gegen Golf hatte mehrere Ursachen. Dies war ein Grund. Damals, als er jung war, wollte er gern Tennis spielen. Aber wo? Er hoffte, im Club An der Alster aufgenommen zu werden. Doch ihm fehlten zwei Bürgen und seine Eltern hatten weder einen Titel, noch waren sie wohlhabend. Aufnahme abgelehnt.

In seinem Bewusstsein geisterte herum, dass einem richtigen Golfer abgeht, was im Handball oder Fußball gang und gäbe ist: das Zusammenspiel - nein, man ist nur auf sich selbst gestellt, und niemand breitet seine schützenden Hände aus, gibt kleine Tipps, nicht einmal in der heikelsten Phase, nämlich im Bunker.

In seiner Jugend gehörte er dem Hamburger Fußballclub S. C. Teutonia an, bolzte in der dritten Jugend und versenkte manches Mal den Ball im Kasten. Immer war er auf Flanken angewiesen, auf ein treffendes Zuspiel oder darauf, dass Mitspieler den Raum für ihn freimachten.

Golfspieler sind Einzelkämpfer, daher Egoisten, was so viel bedeutet, wie nur an sich denken. Das macht sie eingebildet. Hätte er seine Wehrmachtszeit in Bosnien vergleichbar so verbracht, er lebte nicht mehr.

Immer mehr steigerte er sich in seine abstrusen Ideen.

Kameraden sind alles. Die ziehen den Mitstreiter aus dem Dreck, die streicheln ihn, wenn er etwas verbockt hat und tragen jeden aus dem Schussfeld, wenn man verletzt wird, schoss es ihm durchs Hirn. Er war ein guter Soldat.

Auch beim Handball sind die Spieler für den anderen da! Natürlich auf einer anderen Ebene als im Krieg.

Seinen Sohn, dachte er, würde er nur im normalen Verein anmelden, und dann könnte er in einem Team seinen Mann stehen, meinetwegen Hockey - obwohl seine Frau diese Sportart absolut ablehnte.

„Zu viele Fouls mit dem Stock!", meinte sie. Nun gut, kann ja auch Basketball sein.

Golf? Nein!

Golf ist asozial. Eigentlich verstand er das Wort nicht genau. Aber er hatte davon gehört und fand, dass es passte.

Ballspiele sind sozial.

Die Erfinder von Ballspielen mussten Leute sein, die mit anderen zusammen lebten. Die gemeinsames Handeln mochten. Wer Golf entwickelt hat, konnte nur ein Eigenbrötler mit einem Schuss Sauerstofffanatismus sein. Und alle Fanatiker sind krank.

Der Mann gab sich einen Ruck, ausgelöst durch einen krächzenden Ton aus der Sandkuhle. Er schüttelte seine Arme, drehte seinen Kopf nach rechts und links, klopfte auf seine Schenkel und kreiselte mit seinen Fingerkuppen auf seinen Wangen herum.

Fort mit den geistigen Klimmzügen über das Golfspiel! Es würde genug Zeit zur Verfügung stehen, wenn der Plan erst einmal steht.

Der Spieler hatte sich etwas breitbeinig aufgestellt. Seine Füße schurrten auf der Sandoberfläche und sackten dadurch ein winziges Stück ein.

Da... er holte mit dem in beiden Händen ruhenden Schläger nach rechts weit über den Kopf aus. Er stand wie angewurzelt, die linke Schmalseite des Körpers in Ballrichtung, die Knie etwas gebeugt. Dann eine Körperdrehung - was muss die Wirbelsäule aushalten - und schon nahm er wahr, dass das Schlägerblatt in den Sand fuhr und den kleinen Ball förmlich herausschnitt.

Was für ein anormaler körperlicher Einsatz! Wie natürlich ist dagegen der Wurf eines Handballers aufs Tor.

Sand wirbelte in die Höhe.

Das Gesicht des Spielers war auf den Boden gerichtet, als der Schläger den Ball berührte, eine Haltung, die sich der Mann einprägte. Für sein Vorhaben war jede Kopfstellung des Golfers in den einzelnen Schlagphasen von höchster Wichtigkeit. Denn nur wer die Bewegung eines Spielers präzise beschreiben kann, wird auf der Siegerstraße sein.

Es wäre noch besser, würde er selbst Golf lernen, um Schlagfehler bei anderen im Entstehen zu diagnostizieren und um scheinbar nur Sekunden stillstehende Posen aus der Bewegung der Schläger und des Körpers nachvollziehen zu können. Auf Deutsch heißt das, dass es gut wäre, würde er ein Golfinsider werden. Dann würde sein Projekt auf alle Fälle gelingen.

Der Beobachter fand seine Gedanken hervorragend, war sich aber im Klaren darüber, dass er sie verwerfen wird. Golf war kein Spiel für ihn. Außerdem fehlte das Geld hinten und vorn. Also musste er die Spieler auf dem Platz studieren. Vielleicht sogar Aufnahmen machen und ein bisschen in Golfbüchern herumschnüffeln.

Ja, das wäre sinnvoll.

Der Mann oben schaute noch einmal durchs Fernglas. Er sah einen weiteren Golfer weit vor der Sandkuhle, sein Caddie stand zehn Meter von ihm entfernt. Der Beobachter nahm wahr, wie sich der Golfer in Position stellte und den Golfball wegschlug. Die durch den Schlag getroffene Kugel sauste über die Sandkuhle hinweg. Dann gewann der Ball an Höhe und senkte sich nach circa zweihundert Metern.

„Super Schlag!", rief der Junge begeistert.

Der Golfer winkte ab, was wohl bedeutete, dass er nicht gut gewesen sein wird. Dann machten sich die beiden auf den Weg, dem Ball hinterher, nachdem der Caddie den Schläger wieder im Beutel versenkt hatte.

Vorweg der Spieler, fünf Meter dahinter der Begleiter mit der Karre.

Verrückt, wie viele von diesen Eisen im Golfsack steckten?

Eisen? Er hatte keine Ahnung. Es hätte auch Holz sein können. Aber die Schlagfläche muss Metall sein!

Warum tausend Schläger?

Was das wohl sollte?

Wahrscheinlich hatte der Kerl zu viel Geld und kaufte sich ständig neue. Spielte er Golf, sinnierte er, dann brauchte er nur einen!

Immer noch keine Konversation zwischen den beiden auf dem Rasen.

Genau das war es, was den Beobachter wütend machte.

Das Golfpaar war inzwischen schon mehr als hundert Meter vom Bunker entfernt und hatte kein Wort miteinander gewechselt. Ein gutes Fernglas offenbart Wahrheiten, sagte er sich und schmunzelte. Dann setzte er es ab. Es hing an einer Schnur um den Hals; so hatte er die Hände für seinen Fotoapparat frei. Er hatte an alles gedacht.

Ein Blick nach links zur Seite genügte, die Umrisse neuer Spieler, gerade hinter einem Busch verschwindend, auszumachen. Es waren zwei, die offensichtlich zusammengehörten. Merkwürdig, dachte er, immer war er davon ausgegangen, dass man Golf allein spielt. Ist auch egal.

Plötzlich entspannten sich seine Gesichtszüge und seine körperliche Haltung wurde locker. Ursache war ein Geistesblitz!

Seine Lippen deuteten ein verklärtes Schmunzeln an.

Ja, das war es!

Nun wusste er und konnte es wirksam begründen, warum er Golf ablehnen musste.

Der Caddie war ein Sklave.

Immer zu Diensten des Herren. Wie früher im Mittelalter. Und später im neunzehnten Jahrhundert. Das hatte man ihnen bei Schulungen der Partei ständig um die Ohren gehauen.

Abhängigkeit ohne Rechte.

Immer waren es Arbeiter, die bluten mussten. Der kleine Mann!

Der Beobachter selbst war Sozialist, weit links, aber kein Kommunist, nein, er war Demokrat, jetzt parteilos. Die verlangten immer mehr Mitgliedsbeitrag. Und aufgestellt für einen Listenplatz hatte man ihn nie. Was sollte er dann da?

Golf ist ein Spiel für Ausbeuter!

Daher sein Hass, der sich durch seine neue Erkenntnis vergrößerte und jetzt schon im Bewusstsein zu brennen begann.

Er schaute noch einmal durch sein Fernglas.

Das darf nicht wahr sein!

Der Vorsitzende seiner früheren Ortsgruppe, zu der er sich immer noch hingezogen fühlte, und ein zweiter Spieler! Die beiden hatten keinen Caddie. Das wäre ja noch schöner gewesen!

Der von der Partei stand aufrecht im Sand. Er deponierte seine Golftasche auf den Rand der Rasenfläche zur Kuhle, dann suchte er nach einem geeigneten Schläger. Genau wie der Vorgänger. Alles wiederholte sich.

Jetzt die Kamera zücken, sagte sich der Mann. Wenn der Golfer zum Schlag ausholt, wollte er Bilder schießen. Er legte sein Fernglas ab und zog seinen Fotoapparat aus der Seitentasche seiner Windjacke. Mehrere Bilder, dachte er, damit er die Bewegungen ungestört studieren konnte. Und auf die Kopfhaltung achten, ermahnte er sich.

„Ein Sozialist spielt Golf", schnaubte er erregt. Und das war nicht leise! Die da unten werden das zwar nicht mitbekommen, meinte er, aber es stimmte.

„Verrat an der Sache!", nuschelte er im Selbstgespräch mit sich.

Und genau das bestärkte ihn, sein Unternehmen in die Tat umsetzen.

Der Spieler drehte sich nach allen Seiten um. Er hatte wohl ein Geräusch von oben wahrgenommen. Dann schüttelte er seinen Kopf, bückte sich und legte den Ball zurecht.

Währenddessen gaben die Gedanken des Mannes keine Ruhe.

Noch hatte er genügend Zeit, um jeden Schritt minutiös festzulegen. Er war eben doch mehr als nur ein einfacher Mitarbeiter. Alle Leute, mit denen er zusammentraf oder –arbeitete, selbst seine Frau, haben ihn bisher verkannt. Er konnte viel mehr. Das hätte er allen beweisen können, wenn man ihn am Computer gefordert hätte. Aber niemand interessierte sich für sein Wissen und Können.

Dann knipste er mindestens zwanzig Bilder. Zwölf vom Vorsitzenden, acht vom Mitspieler.

Danach vergewisserte er sich nach allen Seiten, ob man ihn beim Rückzug entdecken könnte.

Die beiden hatten längst den Bunker verlassen.

Skateboarding – Ben

Freitag, 5. Juni

„Ich gehe noch ‘raus, Mama!", rief ich in die Küche, in der meine Mutter das Abendbrot zubereitete. Während ich eine warme Mahlzeit nach der Schule bekam, kochte sie abends für meinen Vater extra. Ihm passte die Kantine in der Firma nicht: „Dampfessen", nörgelte er.

„Wohin?", nuschelte meine Mutter mit vollem Mund durch die offen stehende Küchentür, wohl gerade etwas probierend.

„Wohin, wohin! Rechenschaft von morgens bis abends!"

„Du hast sie wohl nicht alle!"…, rief sie mir zu. „Ich fragte ...wo... hin? War das nicht deutlich genug?"

„Skaten", ich wartete eine Sekunde und schob nach: „mit ein paar Freunden!"

„Skaten? Mit diesem verfluchten Brett?"

„Board, nennt man es!"

„Ich verbiete dir den Ton, Ben, hörst du?"

„Was für ‘n Ton?"

„Wenn das dein Vater wüsste! Reiz‘ mich nicht noch mehr!", kreischte sie.

„Wie lange?"

„Weiß nicht! Wenn alle dabei bleiben, rast die Zeit!"

„ Wer alle? Etwa auch dieser Punker in Leder?"

„Ja, auch der!"

Ich machte die Augen zu... und schon sah ich mich über den Asphalt rollen!

„Man fühlt gar nicht mehr, dass man auf der Straße ist. Das ist wie Fliegen!", träumte ich laut.

„Wie bitte? Was ist das für ein Quatsch?"

„Ja, so ist es! Genauso! Alles zieht ′ruckizucki′ vorbei, und man glaubt, dass sich alles bewegt."

„Ben, die Straße ist kein Spielplatz!"

„Die ganze Stadt ist ein Spielplatz!", antwortete ich überlegen, und meine Mutter geriet in Wut.

Dieser verfluchte Bengel, musste sie gedacht haben, denn sie zog ihre Augenbrauen hoch, drückte ihre beiden Arme in die Hüfte, und stellte sich breitbeinig hin. „Jetzt schlägt‘ s aber dreizehn. Dein Vater hätte dir schon… eh... eine verpasst!"

„Wo ist er eigentlich?"

Sie zog die Schultern hoch. Sie wusste es nicht.

„Er ist mit dem Auto unterwegs."

Sie hatte sich wieder etwas beruhigt. Sie musste wohl gemerkt haben, dass sie mir ins Garn gegangen war. Ich sollte ihr sagen, wohin ich ging, und was der Alte machte, konnte sie nicht erklären.

„In einer Stunde bist du wieder hier!", gab sie jetzt großzügig von sich. „Es ist doch viel zu warm draußen!"

„Du hast wirklich keine Ahnung, Mama", sagte ich versöhnlicher. „Wenn wir mit dem Board durch die Gegend flitzen, fegt uns ein geiler Wind um die Ohren. Der kühlt ziemlich!"

„Aha! Dann erkälte dich nicht!"

Skaten war für mich Entspannung, total cool. Keine Begrenzungen, keine Vorschriften. Skaten macht frei. Und es schweißt zusammen. Man erlebt die Welt aus einer anderen Perspektive als normale Fußgänger oder Radfahrer, als Autofahrer oder Businsassen. Skaten ist ein fetziger Sport für Minderheiten. Und ich zählte dazu! Davon wussten meine Eltern nichts.

Ich verließ das Haus, mein Holz unterm Arm. Es war ein gutes Board, Alexander Albrecht, ein Mitschüler, der wegen seines Rückens augenblicklich nicht mehr laufen durfte, hatte es mir für ‘n Fünfziger verkauft. Das Ding hatte Urethanrollen, Präzisionskugellager und Lenkgummis. Super! Ich lernte im Handumdrehen einige Tricks. Aber war weit entfernt vom Können eines Tony Hawk, meinem Vorbild. Auch Paul hatte Skaten voll drauf.

Wir trafen uns gleich am Hauptspot, nicht weit entfernt hinter Aldi.

Ich hatte mir vorgenommen, mit Slides zu beginnen. Bisher konnte ich nur Ollies sicher stehen.

Inzwischen waren fünf Leute angekommen, ich war der Sechste, die Gang war fast vollzählig. Wir waren sieben.

Skater unter sich. Keine dummen Fragen, kein Gerede, fachsimpeln und Hilfestellung in Anspruch nehmen. Paul war spitze. Der Beste von uns. Er war achtzehn. An den musste man sich halten, wenn man nicht weiter konnte.

Erst übte jeder für sich.

Ausgangspunkt aller Tricks ist der Ollie, und den beherrschte ich. Voraussetzung ist immer wieder die totale Konzentration. Irgendwie fehlte sie mir heute. Vielleicht, weil mein Vater heute Morgen so doofe Bemerkungen machte? Oder weil die beiden in meiner Anwesenheit…, ohne Rücksicht auf mich zu nehmen? Ich konnte es nicht sagen. Die Bank, auf die ich immer sprang, war nicht sehr hoch. Wie Bänke eben sind. Ich war tatsächlich vor dem Absprung in die Knie gegangen, mit dem vorderen Fuß kickte ich das Brett nach unten, so dass es sich aufrichten konnte. Mein vorderer Fuß führte das Holz mit der Außenseite des Schuhs, wie ich es gelernt hatte. Paul sagte hinterher, es habe alles voll krass ausgesehen. Und doch! Ich zog die Beine nicht genug an, was man tun muss, um hoch zu springen. Ich flog gegen den Rand der Bank und stürzte. Schrie auf! Da lag ich, und alle um mich herum.

„Mann, Ben! Der vordere Fuß hat dein Brett nicht mitgenommen! Jedenfalls nicht genügend!"

„Was ist?", fragte Paul.

„Weiß nicht, sieh mal, das Bein wird da unten so dick!"

„Wo?"

„Am Knöchel!"

„Schmerzt es?"

„Es brennt wie Feuer!", gab ich wimmernd von mir.

„Scheiß, ich ruf den Notarzt!", sagte Paul resignierend.

„Du lebst, Mann, keine Angst!"

Wenig später war der Notarzt da. Ich wurde in einen Krankenwagen gehoben und ab ging die Post ins Maria Hilf Krankenhaus. Der Dienst habende Doktor nahm mich in Empfang.

„Dr. Lack…. Erst röntgen wir. Wie ist ‘s passiert?"

„Beim Skaten!"

„Das haben wir des Öfteren!", mischte sich eine fünfzigjährige Schwester ein. „Man sollte dir das Brett über den Kopf ziehen!", sagte sie bissig. „Das ist kein Sport, das ist ‘ne Krankheit! Dauernd werden hier Jungen eingeliefert!"

„So, na, hoffentlich ist es kein komplizierter Bruch", gab der Arzt von sich.

„Skaten Sie auch?", fragte ich und hoffte. Was erhoffte ich eigentlich? ... Dass er auch skatete?

„Ab zum Röntgen. Wir sehen uns gleich wieder!" Dann lächelte er mich an. Er hatte Verständnis für Skater.

Der Figur und dem Auftreten nach könnte er einer sein.

Während mich die nörgelige Schwester hin zum Röntgen schob, rief er hinterher: „Telefonnummer der Eltern!" Ich rief zurück: „45 45 66 89…Meder, ich heiße Ben!"

Meine Schmerzen hatten mir kurz einen Streich gespielt. Jetzt setzten sie wieder ein. Das tat verflucht weh!

Besuch – Ben

Sonnabend, 6. Juni

Meine Freunde waren ziemlich laut. Offensichtlich hatte sie die Oberschwester noch nicht gemaßregelt. Dann stürmten sie ins Zimmer, indem ich allein lag.

„Das ist ja ätzend hier!", gab Paul von sich.

„Aber der Arzt Donnerstagabend war absolut top!“, sagte Niels.

Ich verstand nichts.

„Mensch, wir sind gleich losgegurkt, als der Krankenwagen nach deinem Unfall mit dir abfuhr. Wollten dir doch Beistand leisten!", grölte Max dazwischen. „Wir waren auch bald im Krankenhaus.“

„Einen Batzen leiser, bitte, sonst fliegt ihr alle ‘raus, die Alte hat Elefantenlauscher", bemerkte ich in meinem Krankenzimmer - und meine Skater-Freunde schütteten sich vor Lachen aus, wahrscheinlich hatte jeder die Pickelkuh noch von Donnerstagabend vor Augen.

„Ben, Du musst wissen, es hatte nur eine Stunde gedauert, nachdem ihr im Notarztwagen losfuhrt, dass wir am Krankenhaus landeten.“

„Genau 64 Minuten später standen wir nämlich am Tresen unten", fuhr Max mit gesenkter Stimme fort.

Mega, dachte ich. Wir konnten nämlich auch anders, wenn wir mussten, aber wir wollten das nur selten.

„Da war so ‘n Drachen von Krankenschwester, die uns anmeckerte: ′Ihr seid hier nicht in der Disco, haltet mal die Klappe′, zischte sie uns in die Visage... Die stank voll nach Sakrotan, und dann bat sie einen Doktor, uns an die Luft zu setzen. ′Solche wie ihr′, meinte sie ′haben nichts bei Schwerkranken zu suchen!′

„Und was passierte darauf?, fragte ich.“

Louis rülpste direkt am Bett des Freundes.

„Dein Benimm ist Giga", gab ich von mir. „Du bist im öffentlichen Gebäude, wo man seinen Schwanz nicht raushängt", und dabei grinste ich meinen Freund an.

Paul zog mir ohne Warnung die Bettdecke weg, um sich das Bein anzusehen.

„Vorsichtig, du brichst mir noch mal die Knochen!"

Dann fiel mir wieder ein, dass jemand der Gruppe vom Arzt gesprochen hatte, als sie alle im Eingang des Krankenhauses Donnerstaghabend gestanden hatten.

„Was war abends mit dem Doktor?", fragte ich neugierig.

„Der hat uns nicht rausgeschmissen. Im Gegenteil, der herrschte die Alte an: 'Sind Sie nie jung gewesen?', und wütend antwortete sie: 'Wie Sie, nur nicht so lärmig und schon gar nicht in solchen Lumpen! ′

„Hat sie Lumpen gesagt?"

„Dass die Eltern diese Bubis so ‘rumlaufen lassen! Sehen Sie sich deren Köpfe an! Frisuren, die schreien zum Himmel!“, wandte sie sich an den Doktor. Der aber griente sie an.

„Vielleicht hat sie ans Bumsen gedacht!", meinte Ayhan.

„Du denkst auch nur ans Bett!", sagte ich scheinbar entrüstet. Ich mochte den Türken, und seinen Kosenamen durften nur wir gebrauchen.

„Wir waren voll artig", gab Paul seinen Senf dazu. „Und dann sagte der Doktor: 'Kommt Sonnabendnachmittag wieder, und wenn ihr jetzt das Haus verlasst, bitte keine Wheelies.' Der hatte Ahnung, super!"

Irgendwie fand ich das fucking.

Ein Arzt und Skater. Woher sollte er sonst unsere Tricks kennen?

„Jetzt sind wir hier!“

„Ist ja auch schon Sonnabend.“

„Was ist mit deinem Fuß", wollte Ayhan wissen.

„Bruch, und ein Stück Knochen ist abgesplittert. Der ist genagelt. Skaten fällt für mindestens vier Wochen aus!"

„Ohne Dich skaten? Mist!"

„In einer Woche bin ich vielleicht draußen."

„Und dann?"

„Trockenübungen. Ich lass euch doch nicht im Stich!"

„Wow!", ließ Paul freudig verlauten. „Das ist‘ ‘n Wort!"

Dann klopfte es. Jemand machte vorsichtig die Tür auf und steckte den Kopf durch die Türspalte.

„Wir gehen jetzt!", sagte Paul, wirbelte vor meiner Mutter herum, die er nicht kannte, gab mir die Hand und die anderen folgten. Dieser Angeber, aber durchaus okay.

Ein prima Crew sind wir, ging es mir durch den Kopf. Einer für alle, alle für einen.

Bevor ich was sagen konnte, flüsterte mir Louis ins Ohr: "Wer ist denn die abgeeierte Kuh?"

Ich stellte sie ihnen vor. „Meine Mutter!", sagte ich laut und enttäuscht, und alle Jungen waren betreten, denn ich hatte sie informiert, dass sie Skaten ablehnte und uns auch. Louis verzog seine vorlaute Schnauze. Abgeeiert war meine Mutter nämlich nicht. Nun Louis ist noch nicht soweit, Frauen sind ihm ziemlich Wurst.

Meine Freunde zogen mich später dennoch mit ihr auf. Der Eindruck, den sie bei ihnen hinterlassen hat, war total uncool, obwohl sie hübsch anzusehen war und sich auch gut kleidete. Außerdem war sie weder dick noch unförmig. Mein Onkel nannte sie vollschlank. Meinte er damit, dass sie noch reizvoll war?

Darauf verschwanden sie.

„Wieso die hier? Das ist doch kein Kindergarten!", ließ meine Mutter ab.

Beschissen, nur Motzen, wie zu Haus. Statt dass sie nett ist. „Sie sind meine Freunde!", antwortete ich patzig.

Soll sie doch fühlen, wie ich über die Sechs denke. Ist doch egal, was sie von sich gibt. Sie würde sie immer ablehnen, nur weil die auffällig aussehen. Ich doch aber auch.

„Dein Vater hat gesagt, dass mit dem Rollern ein für alle Mal Schluss ist."

„Du meinst Skaten!"

Meine Mutter schluckte. Ich sah es ihr an. „Ich soll das Ding mitnehmen."

„Das verwahrt Ayhan! Ein Türke!“…

„Auch das noch!"

„Er heißt aber nicht Mohammed.“

„Das wäre ja noch schöner!“

„Das Brett bekommt er nicht!", wütete ich los. Nach einer Weile sagte ich: „Willst du nicht wissen, wie es mir ergangen ist?"

Schon wieder wurde die Tür geöffnet. Dr. Lack kam zur Visite, im Gefolge einige Studenten. Er blickte sich um und hatte wohl die Situation sofort erfasst.

„Sind Sie die Mutter?"

„Ja, das bin ich!"

„Ich muss Sie bitten, auf den Flur zu gehen!"

„Wie bitte? Diese verfluchten Bengel dürfen hier Unfug machen, und ich werde rausgeschmissen? Ich kann als Mutter doch wohl hier bleiben?"

„Nein, können Sie nicht! Auch unsere jugendlichen Kranken haben eine Intimsphäre. Bitte warten Sie draußen, dort beantworte ich alle Fragen!"

Meine Mutter wurde böse. Das hätte sie wohl nicht geglaubt. Aber ich fand es gut. Denn wenn der Arzt das Bein abtastete, musste ich das Nachthemd hochziehen. Das kannte ich schon von gestern. Und meiner Mutter möchte ich nicht gern zeigen, was sich darunter verbirgt, auch wenn ich eine Unterhose anhabe.

Vorm Arzt hatte ich keine Scheu. Im Übrigen wird er längst alles entdeckt haben, ging es mir durch den Kopf. Schließlich war er bei der Operation dabei, ... und ist man da nicht ganz nackend, damit das Zeug nicht stört?

Meine Eltern lehnten Ausländer ab. Kategorisch. Die nehmen uns Arbeitsplätze, und außerdem passen sie sich nicht an, meinten sie.

So ein Unsinn. Ayhan war in Deutschland geboren, sprach deutsch wie wir und außerdem türkisch. Ein cooler Kerl. Fuzzi nennen ihn seine türkischen Freunde, weil er kleiner als ich war. Aber alles andere war riesig. Beschnitten war er auch. Sieht komisch aus.

Ein Freund - Ayhan

Sonntag, 7. Juni

Ich verstand mich mit Ben. Mann, er ist ‘ne echte Type.

Meine Eltern mochten ihn auch. Aber richtig einladen durfte ich ihn nicht, weil sie kaum Deutsch konnten. Sie hatten sich im normalen Leben zwar angepasst und sie akzeptierten meine Freundschaft mit ihm, aber blieben doch irgendwie Moslems. Trotzdem:

Ich bin Deutscher.

Total!

Manchmal sagte ich mir: Immer die Türkenscheiße. Sich abseits halten! Wer hier lebt, soll ‘reingehören.

Sie gingen immer beten. Hoffentlich meinetwegen. Moscheen und so… sind für mich Schrott, und ich muss auch nicht mit. Auch Kirchen. Ich war noch nie in einer.

Meine Ellies sagten, dass jeder zu seinem Glauben kommen muss. Da konnten sie lange warten.

Ich fand den Islam nicht schlecht. Meine Mutter trug keinen Tschador. Ich meinte Schleier. Darüber war ich froh. Was hätten auch die anderen gesagt, Paul und unsere Leute.

Heute ging‘s zu Ben. Er sollte wissen, dass jemand Bock auf ihn hatte. Mitgenommen hatte ich vier Marsriegel. Die aß er gern. Ohne ihn ist Skaten doof. Niels meinte das auch. Ben machte nämlich immer Witze und war Spitze. Ollies stand er von uns am besten. Allerdings auch Paul.

Wenig Menschen unterwegs. Alle wohl beim Knien oder bei unseren Predigern. Mein Vater hatte den Kalifen von Köln gehasst. „Der macht uns nur Probleme!", hat er uns in der Familie wissen lassen, wenn mal alle zusammen waren.

Das Krankenhaus war nicht allzu weit von uns entfernt. Als ich vorn im Eingang ankam, motzte mich gleich so‘ n Pfleger an, dass ich leise sein sollte.

„Ihr Türken macht nur Putz!"

Wichser! Ich sagte nichts.

Das Zimmer kannte ich. Der Flur war leer. Keine Schwester. Ob Ben sich freut? Ich klopfte gar nicht erst, sondern stürmte gleich ‘rein. Ben schlief. Ein Glück, dass er allein war. Ich schlich mich an sein Bett.

Plötzlich hatte ich eine Idee. Das kannst du doch nicht machen! Ayhan, kotzte mein Hirn aus. Leise, versteht sich.

Warum nicht?

Ich setzte mich auf die Bettkante. Ben hatte seine Augen noch immer nicht geöffnet. Ob er schon wach war? Jedenfalls ließ er sich meine Berührungen gefallen. Ich fuhr mit der flachen Hand über sein Gesicht, ganz behutsam. Schläft er? Schläft er nicht? Sollte ich ihn nicht wecken? Ich mochte Ben.

In der Türkei ist eine Freundschaft auch anders als in Deutschland. Fast jeder Mann hat einen richtigen Freund, mit dem er oft zusammen ist. Man raucht, man spielt, mein trinkt Pfefferminztee oder Espresso, und man diskutiert. Vaters bester Kumpel heißt Moam. Komischer Name, die beiden hocken oft zusammen und diskutieren bis die Fetzen fliegen. Aber sie beleidigen sich nicht. Das finde ich in unserer Kultur einfach besser. Akzeptanz wird groß geschrieben. So etwas soll sogar im Koran zum Ausdruck kommen. Ich müsste den Iman fragen, aber mit dem hatte ich bisher keinen Kontakt.

Ich zog leicht an seiner Nase, um ihn behutsam zu wecken, doch rutschte ich einfach ab. Plötzlich lag meine Hand auf seiner Brust. Auch nicht schlimm…Aber das müsste er endlich merken. Meine Hände zuckten wie von selbst zurück.

Immer noch bewegte sich Ben nicht. Mensch, der muss doch wach sein, dieser Blödmann. Sonst ließ er sich eigentlich von mir viel gefallen. Das beruht auf Gegenseitigkeit, meinte er mal. Das beruhigte mich. Wir in der Gang gehören am engsten zusammen. Das weiß jeder und man akzeptiert stillschweigend. Geredet wird nicht. Aufhören! Ayhan, zischte ich mir zu. An der Tür rührte sich etwas. Mindestens zwei Leute standen davor. Dann öffnete sie sich in Zeitlupe. Was sollte das? Im gleichen Augenblick öffnete Ben seine Augen. Na siehst du Alter, hattest doch nicht geschlafen du mieser Versteller. Nur um mich zu ärgern? Oder steckte dahinter ein bestimmter anderer Zweck? Die Tür wurde wieder zugezogen. Merkwürdiges Krankenhaus.

„Ayhan, wir sind hier nicht bei euch in der Wohnung.“

„Meinst du, das weiß ich nicht?“

„Du hast es beinahe vergessen!“

Ich blickte in Bens Gesicht. Ich sah, wie er blinzelte, und sein Lächeln warf mich um. Er genoss meine Anwesenheit. Ich grinste zurück.

Plötzlich draußen Frauenstimmen. Ich warf mich auf die Erde. Und wie gut! Schon waren zwei Schwestern mitten im Zimmer, ohne Rücksicht darauf, dass er vielleicht schläft.

„Was machst du denn da unten?"

„Ihm ist was ‘runter gefallen!"

Ich kam hoch und Ben und ich quatschten drauf los.

„Junger Mann!", plärrte die eine. „Wir haben vormittags keine Besuchszeit!"

„Ich dachte"… „Wie sind Sie hier herein gekommen?"

Ich sagte nichts, stand vom Bett auf.

Ich drehte mich zu ihm hin. Wieder grinste er, dieses Arschloch, hätte doch was sagen können.

„Super!", sagte er. Das tat mir gut. „Was ist super?“, wollte die eine Helferin wissen. Ich zeigte die Marsriegel.

Und übergab sie meinem Freund.

„Kommst du noch mal wieder?"

„So wie heute?", fragte ich ihn hinterhältig.

„Was denn sonst?"

„Bitte gehen Sie jetzt. Wir wechseln die Bettwäsche und dann gibt‘ s Mittag."

Ich verließ das Zimmer.

Entlassung - Ben

Sonnabend/Sonntag, 13./14. Juni

„Wie geht ‘s", fragte mich Dr. Lack fast eine Woche später. „Gut, bis auf schlechte Aussichten draußen!"

„Geht vorbei. Nur Skaten für die nächsten vier Wochen bleibt gestrichen. Danach nur auf ebenen Straßen. Sonst bricht der genagelte Splitter wieder weg. Klar? Morgen wirst du entlassen!" „Ja", sagte ich und hatte das Gefühl, dass ich lieber noch hier geblieben wäre. Dr. Lack war ein fetziger Typ. Dass sich ein Arzt Strähnen ins Haar färbt, absolut spitze!

Dann fragte er, ob ich noch einen sportlichen Nebenjob brauchte ohne Belastungen, nur mit Geduld und Ausdauer.

„Gutes Geld gibt‘s auch!" „Ich verkaufe sonnabends schon Brötchen!"

„Vormittags?“

„Ja!“