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Wenn Reality-TV ein bisschen zu real wird ...
Das Dörfchen Lochdubh kennt kaum jemand im Rest des Landes. Jedenfalls, bis die bekannte Fernsehreporterin Crystal French in ihrem schicken Wagen ins Dorf rast. Hamish Macbeth drückt ihr prompt einen Strafzettel aufs Auge. Empört macht Crystal dem Police Constable mit einem Fernsehbericht über die Polizeiarbeit in den Highlands das Leben zur Hölle. Als sie auch noch alte Skandale für ihre neue und sehr erfolgreiche Show aufrollt, steht für Hamish fest: Die Frau muss man aufhalten! Dann tut es jemand. Und Crystal ist mausetot. Um herauszufinden, wer die neugierige Reporterin auf dem Gewissen hat, muss der lakonische Polizist Wege beschreiten, die er sich nie hätte vorstellen können ...
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Seitenzahl: 303
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Über das Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Über das Buch
Das Dörfchen Lochdubh kennt kaum jemand im Rest des Landes. Jedenfalls, bis die bekannte Fernsehreporterin Crystal French in ihrem schicken Wagen ins Dorf rast. Hamish Macbeth drückt ihr prompt einen Strafzettel aufs Auge. Empört macht Crystal dem Police Constable mit einem Fernsehbericht über die Polizeiarbeit in den Highlands das Leben zur Hölle. Als sie auch noch alte Skandale für ihre neue und sehr erfolgreiche Show aufrollt, steht für Hamish fest: Die Frau muss man aufhalten! Dann tut es jemand. Und Crystal ist mausetot. Um herauszufinden, wer die neugierige Reporterin auf dem Gewissen hat, muss der lakonische Polizist Wege beschreiten, die er sich nie hätte vorstellen können …
Über die Autorin
M. C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um die englische Detektivin Agatha Raisin und den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth feierte sie große Erfolge in über 17 Ländern. Sie verstarb im Dezember 2019 im Alter von 83 Jahren.
M. C. BEATON
Hamish Macbeth
Hamish gerät ins Schwitzen
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:Copyright © 2002 by Marion ChesneyPublished by Arrangement with M.C. BEATON LIMITEDTitel der englischen Originalausgabe:»Death of a Celebrity«
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
M.C. BEATON® and HAMISH MACBETH® are registered trademarks of M.C. Beaton Limited
Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2024 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Textredaktion: Dorothee Cabras, GrevenbroichUmschlaggestaltung: Kirstin Osenau und Guter Punkt, MünchenEinband-/Umschlagmotiv: © iStock/Getty Images Plus: Hajdarowicz | Vudhikul Ocharoen | Carol Gray | Renphoto | dule12; © Adobe Images: FotoRequesteBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-6128-4
luebbe.delesejury.de
Für Benjamin Wiggin von Honington Hall, Warwickshire,in Liebe
Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus,Durch eigne Schuld nur sind wir Schwächlinge.
WILLIAM SHAKESPEARE
Hamish Macbeth mochte keine Veränderung, so ungern er es sich auch eingestand. Immerhin hielt er sich gern für einen fortschrittlichen, modernen Mann.
Doch die Zeitschleife, in der sich das Dorf Lochdubh im Nordwesten von Schottland befand, war ihm sehr recht. Als Dorfpolizist kannte er jeden Bewohner. Er genoss es, durch den Ort zu schlendern oder in den heidebewachsenen Hügeln und Bergen herumzufahren und hier und da auf eine Tasse Tee und ein wenig Plaudern anzuhalten.
Man gelangte nur über eine gewundene Landstraße nach Lochdubh, das am Fuße zweier riesiger Berge an einem langen Meeresarm lag und dank der Atlantikwinde launenhaften Wetterumschwüngen ausgesetzt war. Abgesehen von wenigen Touristen während der Sommermonate waren Auswärtige hier rar.
Die Tage verliefen ungefähr so wie seit hundert Jahren, auch wenn die Schafpreise wie Steine gefallen waren, was die Kleinbauern schmerzlich zu spüren bekamen. Aus dem fernen Glasgow und Edinburgh schlugen autoritäre Stimmen vor, dass die Leute zusätzlich auf andere Erzeugnisse setzen sollten, nur war der Boden hier hart und steinig und kaum für etwas anderes als Schafzucht geeignet.
Deshalb empfand Hamish das Eindringen einer Zeitungsredaktion in seine Welt als beunruhigend. Der Besitzer und Herausgeber Sam Wills hatte eine alte viktorianische Pension am Wasser übernommen und mithilfe von Subventionen der Highlands and Islands Commission eine Wochenzeitung namens Highland Times ins Leben gerufen.
Die hatte schlagartig Erfolg gehabt und war auf eine Auflage von annähernd tausend Exemplaren gewachsen – was in den sehr dünn besiedelten Highlands unbedingt als Erfolg zu werten war. Diesen hatte die Zeitung nicht ihren Nachrichtenbeiträgen zu verdanken, sondern den Klatschkolumnen, den Rezepten und ganz besonders den Horoskopen.
Die wurden von Elspeth Grant verfasst und waren verblüffend detailliert. Erschrockene Highlander lasen dort beispielsweise, dass sie um genau acht Uhr am Montagmorgen unter Rückenschmerzen leiden würden; und da Rückenschmerzen allenthalben der Lieblingsvorwand waren, nicht zur Arbeit zu gehen, sagten die Leute, dass die Vorhersagen ungemein verlässlich seien.
Hamishs anfänglicher Widerwille verblasste dennoch, obgleich er Astrologie für einen riesengroßen Humbug hielt. Die Redaktion, die irgendwie wöchentlich sechs Seiten im Tabloidformat zustande brachte, bestand aus lediglich drei Personen: Sam, Elspeth und einem alten, dauerbetrunkenen Reporter.
Allerdings ahnte Hamish nicht, dass bald die größere Medienwelt in seine ruhige Welt einbrechen sollte.
Drüben in Strathbane steckte der Fernsehsender Strathbane Television in Schwierigkeiten. Er hatte sich halbwegs über Wasser gehalten, indem er hauptsächlich Wiederholungen alter amerikanischer Sitcoms zeigte und wenige billig produzierte Lokalserien. Ihnen war kürzlich angedroht worden, die Lizenz zu verlieren, sollten sie nicht innovativer werden.
Entsprechend angespannt war die Atmosphäre im Besprechungsraum. Trotz der Rauchen-verboten-Schilder stand die Luft vor Zigarettenqualm.
»Was wir brauchen«, sagte der Feature-Chef Rory MacBain, »ist ein Programm, das richtig zur Sache geht.« Hinter und etwas oberhalb von ihm lief auf einem Bildschirm eine Wiederholung von Mr. Ed. »Leute kommen in die Highlands, aber sie bleiben nicht. Warum?«
»Ganz einfach«, antwortete der Geschäftsführer Callum Bissett. »Das Wetter ist mies, und es ist verdammt hart, sich hier seinen Unterhalt zu verdienen.«
Während mehrere Stimmen anhoben, um sich zu beklagen und zu erklären, lehnte Rory sich auf seinem Stuhl zurück und erinnerte sich an einen interessanten Abend mit einer Produktionsassistentin der BBC in Edinburgh. Er hatte sie bei der jährlichen Fernsehpreisverleihung auf dem Edinburgh-Festival kennengelernt, und ihn hatte fasziniert, dass eine so zukunftsorientierte und noch dazu umwerfende Frau nur Produktionsassistentin war. Noch erstaunlicher war, dass sie sogar mit ihm geschlafen hatte. Er hatte ihr versprochen, an sie zu denken, sollte sich mal eine große Chance auftun.
Jetzt lehnte er sich vor und übertönte das Stimmgewirr: »Ich habe eine Idee!«
Alle sahen ihn hoffnungsvoll an.
»Unser größter Reinfall ist Countryside«, sagte er in ruhigem Ton.
Felicity Pearson, die diese Sendung produzierte, stieß ein empörtes Quieken aus.
»Die Einschaltquoten sind lausig, Felicity«, fuhr Rory brutal fort. »Erstens ist das auf Gälisch. Zweitens hast du da eine Menge schräge alte Käuze, die predigend an einem Schreibtisch hocken. Wir sollten eine neue Serie starten – nennen wir sie … sagen wir, Highland Life – und sie von jemand Modernes und Glamouröses moderieren lassen. Fangen wir damit an, dem Mythos vom armen Kleinbauern den Garaus zu machen.«
»Die sind aber arm«, widersprach Felicity. »Die Schafpreise sind im Keller!«
Rory fuhr fort, als hätte sie nichts gesagt: »Auch wenn die Leute ungern in den Highlands leben, mögen sie Sendungen über die Gegend. Mit einer schillernden Moderation und saftigen, witzigen Texten können wir die Zuschauer ködern.« Je mehr Rory sich an die bezaubernde blonde Produktionsassistentin erinnerte – wie hieß sie noch gleich? Crystal French, das war es! –, desto überzeugender wurde er.
Hinterher zog er sich in sein Büro zurück und durchsuchte seine Unterlagen, bis er Crystals Edinburgher Telefonnummer fand.
Nach dem Telefonat legte Crystal auf. Ihr Herz klopfte wie verrückt. Dies war ihre große Chance, und sie würde das Beste aus ihr machen. Noch dazu wäre sie froh, weg aus Edinburgh zu kommen und mehr zu sein als eine kleine Produktionsassistentin. In ihrem gegenwärtigen Job arbeitete sie absurd viel und musste sich trotzdem den Launen eines jeden Moderators beugen.
Wer hätte gedacht, dass sich ein One-Night-Stand mit dem fetten kleinen Mann derart auszahlen würde? Und da hatte sie eben angenommen, dass eine Frau sich doch nicht nach oben schlafen konnte! Ihr war nicht bewusst gewesen, dass sie bisher nicht vorangekommen war, weil sie in dem Ruf stand, ebendas zu versuchen. Heutzutage saßen eine Menge Frauen in den oberen Etagen der Fernsehsender, die es mit viel Arbeit und Verstand nach oben geschafft hatten und wenig gnädig auf ihre Geschlechtsgenossinnen herabsahen, die es immer noch mit den alten Methoden versuchten. Wenn also ihr Name bei Beförderungsbesprechungen aufkam, gab es immer eine Frau, die dafür sorgte, dass sie nicht in Betracht kam.
Als Rory sie am Bahnhof von Strathbane abholte, war er aufs Neue hingerissen von ihrem Aussehen. Ihr langes blondes Haar umfloss Crystals Schultern, und sie trug ein Kostüm mit einem kurzen Rock, der ihre fantastischen Beine zur Geltung brachte. Ihre Augen waren groß und grün, beinahe hypnotisch.
Crystal küsste ihn innig. Sie hatte nicht vor, wieder mit ihm ins Bett zu gehen. Er hatte seinen Zweck erfüllt und war nur Feature-Leiter. Falls nötig, würde sie einen seiner Vorgesetzten verführen.
Hamish Macbeth sah nicht viel fern. Aber er las Zeitung – und merkte auf, als er erfuhr, dass eine neue Serie namens Highland Life auf Sendung gehen und mit einer Folge über Dorfläden in den Highlands starten wollte. Er beschloss, sie sich anzusehen, denn er stellte sich vor, dass es dort nette Interviews gäbe.
Die erste Folge sollte um zweiundzwanzig Uhr gesendet werden. Hamish aß zu Abend, fütterte seinen Hund Lugs und machte es sich vor dem Fernseher gemütlich, als an die Küchentür geklopft wurde. Er öffnete und fand sich zu seinem Unglück den Currie-Schwestern gegenüber. Es regnete, und die beiden Schwestern, die Zwillinge waren, standen mit identischen Plastikhauben über den Haaren, identischen Brillen und identischen Regenmänteln vor der Tür.
»Unser Fernseher funktioniert nicht«, sagte Nessie und drängte sich an ihm vorbei. Jessie folgte ihr, nahm ihre Regenhaube ab und schüttelte sie in der Küche aus, sodass einiges Wasser auf den Boden tropfte.
»Ich wollte gerade ins Bett«, flunkerte Hamish, doch die beiden hängten unbeirrt ihre Mäntel auf und trotteten in sein Wohnzimmer.
Seufzend folgte Hamish ihnen. Die Currie-Schwestern waren unverheiratete Damen mittleren Alters, die faktisch in dieser Gemeinde regierten.
»Wir sind hier, um die neue Sendung zu sehen. Die neue Sendung zu sehen«, erklärte Jessie. Sie hatte die verwirrende Angewohnheit, alles doppelt zu sagen. »Haben Sie keine Fernbedienung? Keine Fernbedienung?«
»Nein, denn ich brauche Bewegung«, antwortete Hamish verärgert.
»Eine Tasse Tee wäre prima«, bemerkte Nessie.
»Ich hole in der Werbepause Tee«, konterte Hamish.
»Psst!«, schalt Nessie. »Es fängt an.«
Die Moderatorin ging eine Dorfstraße entlang.
»Das ist Braikie«, zischte Nessie, die das nahe gelegene Dorf als Erste erkannte.
Crystal Frenchs wohltönende Stimme war zu hören: »Alle bejammern das Aussterben der Dorfläden. Was sich aber jeder fragen muss, ist, würden Sie in solch einem Laden einkaufen? Oder fahren Sie auch in den nächstgrößeren Ort oder zum Supermarkt? Falls ja, was versäumen Sie?«
»Das ist der Laden von der alten Mrs. Maggie Harrison, in den sie da geht, in den sie da geht«, kommentierte Jessie. »Oh, guck dir Mrs. Harrisons Gesicht an! Das kann nicht eingeübt sein, nicht eingeübt sein. Sie ist ganz schön baff. Baff.«
»Wir kommen von Strathbane Television«, erklärte Crystal, »und wir wollen uns nur mal Ihr Angebot ansehen.« Sie nahm einen Einkaufskorb auf.
»Dieser Rock bedeckt ja kaum ihren Hintern!«, rief Nessie entsetzt aus.
»Was haben wir hier?« Crystal hielt eine Dose Bohnen in die Kamera. »Warum sind so viele dieser Dosen verbeult?«, fragte sie und zwinkerte in die Kamera. »Ich glaube, hier gibt es keine einzige Konservendose, die nicht angestoßen ist.«
»Weil sie die billiger kriegt«, murmelte Nessie. »Aber sie verkauft sie auch billig. Das ist in Ordnung. Wie soll die Arme denn sonst mit den Supermärkten mithalten?«
»Und dies hier?« Eine Kekspackung. »Hier ist das Verfallsdatum schon abgelaufen.«
So machte Crystal immer weiter, anscheinend ohne mitzubekommen, dass Mrs. Harrison bereits zitterte und weinte.
Hamish war ungemein erleichtert, als die schreckliche Frau aufhörte, die Ladenbesitzerin zu quälen. Leider stellte sich heraus, dass sie zu Jock Kennedys Geschäft in Drim weitergezogen war, und Jock ließ sich ihre herablassenden Bemerkungen nicht gefallen.
»Raus hier, und zwar ein bisschen plötzlich, Sie fiese Kuh!«, schrie er. Ähnlich setzte es sich fort, von einem Laden zum anderen.
»Wie Sie also sehen«, fasste Crystal French vor einem prächtigen Hintergrund von Bergen und Heide zusammen, »sterben die Dorfläden aus, weil sie unmöglich Waren zu den gleichen Preisen anbieten können wie die Supermärkte. Und warum sollte man um sie trauern? Ich würde sagen, um dieses schlechte Angebot ist es nicht schade.«
Die Currie-Schwestern saßen zunächst wie benommen da.
»Na, was für eine Frechheit! Was für eine Frechheit!«, sagte Jessie schließlich.
»Ein Gutes hat es«, merkte ihre Schwester an. »Es wird so viele Beschwerden geben, dass sie die Sendung wieder aus dem Programm nehmen.«
Insgeheim dachte Hamish, dass die Fernsehsendung genau die Reaktion bekommen würde, auf die ihre Macher es abgesehen hatten. Wütende Zuschauer würden nächste Woche wieder vor dem TV-Gerät sitzen, um zu sehen, wie gemein die Beiträge noch wurden, und die Einschaltquoten würden in die Höhe schnellen. Es hatte nur wenig Werbung gegeben, aber auch die würde mehr werden.
Er schaltete aus und brachte die Currie-Schwestern zur Tür. Die beiden waren viel zu aufgebracht, um zu bemerken, dass er ihnen keinen Tee serviert hatte.
Angespornt von Mrs. Harrisons öffentlicher Erniedrigung strömten Zuschauer und Einheimische in der folgenden Woche in ihren Laden, um dort einzukaufen und der Frau ihr Mitgefühl auszudrücken. Zeitungsreporter interviewten sie. Elspeth schrieb eine vernichtende Kritik der Sendung und einen schmeichelhaften Artikel über Mrs. Harrison und deren Laden.
Die Highlands formierten sich hinter ihrem Underdog und vergaßen, dass Mrs. Harrison einige ziemlich furchtbare Waren anbot und ihr Spitzname vor ihrem Fernsehauftritt »Salmonellen-Maggie« gewesen war. Obwohl Elspeth einen weiteren Artikel schrieb, in dem sie die Leute aufforderte, die nächste Folge nicht anzusehen, weil nur niedrige Einschaltquoten dafür sorgen könnten, dass sie eingestellt wurde, schalteten alle in Lochdubh, Hamish Macbeth inbegriffen, die nächste Folge von Highland Life wieder ein. Diese Folge hieß »Der Mythos vom armen Kleinbauern«.
Das erste Interview führte Crystal French mit »The Laird«. Barry McSween war kein echter Gutsherr, sondern hatte sich den Spitznamen verdient, indem er mehrere kleine Bauernhöfe bewirtschaftete. De facto hatte er also einen recht großen Hof. Doch der Verfall der Schafspreise hatte ihn arg getroffen und seine Stimmung entsprechend gesenkt. Schafe zu schlachten war teuer, denn die Regierungsbestimmungen verlangten, dass die Wirbelsäule vollständig entfernt wurde, was die Kosten enorm in die Höhe trieb.
In der Hoffnung, dass es bald besser werden würde, hatte Barry sich einen nigelnagelneuen Volvo gekauft, und die Kamera fokussierte auf das neue Nummernschild und den funkelnden Lack, bevor sie auf Barrys rotes rundes Gesicht schwenkte.
Anfangs schmeichelte Crystal ihm und fragte mitfühlend, wie schlimm es stehe und wie Barry sich halten könne. Wie eine Menge Leute hatte auch er insgeheim davon geträumt, im Fernsehen zu sein. Er lud die Moderatorin in sein Haus ein, das er in besseren Zeiten ausgebaut hatte.
Die Kamera filmte die teuren Wohnzimmermöbel und danach die große, lichtdurchflutete Küche, in der es alle erdenklichen arbeitserleichternden Geräte gab. Munter prahlte Barry mit seinem Besitz, während Crystal ihn lächelnd anspornte. Entzückt strahlte Barry und erzählte, dass er eine schöne Stimme habe, ob er etwas singen solle?
Crystal bejahte.
Hamish betete, dass der ahnungslose Barry ein schottisches Lied zum Besten geben würde, doch er sang furchtbar nasal I Did It My Way, und die Kamera fing Crystals hübsches Gesicht ein, auf dem ein spöttisches Lachen zu sehen war.
Als Barry fertig war und sich mit einem selbstzufriedenen Grinsen auf seinem Ledersofa zurücklehnte, setzte Crystal zum Todesstoß an. Sie sagte, gerade im Süden würden die Menschen viel von den armen Kleinbauern hören und sich gar nicht bewusst sein, dass jemand wie Barry so viel Land besaß und in solchem Luxus lebte.
Zu spät wurde »The Laird« klar, in welche Richtung sich das Interview bewegte. Er schimpfte, dass er kaum über die Runden komme, doch Crystal machte erbarmungslos weiter. Am Ende warf Barry sie aus dem Haus. Leider fuhr ausgerechnet in diesem Moment Barrys Frau in ihrem Jaguar vor. Barry hatte ihr befohlen, sich vom Haus fernzuhalten, weil er die Show ganz für sich haben wollte. Bei dem Wagen handelte es sich um ein altes Modell, das Barry günstig bekommen hatte. Aber seine Frau pflegte den Jaguar sehr gut, und er sah extrem edel aus.
Hätte Crystal es dabei belassen, wären die Reaktionen auf ihre Sendung vielleicht weniger harsch ausgefallen, denn Barry war nicht beliebt. Doch dann nahm sie sich einen anderen Bauern vor, Johnny Liddesdale, einen stillen Mann. Er hatte sein Haus über Jahre nach und nach selbst vergrößert. Die Möbel hatte er ebenfalls selbst gebaut.
Johnny stammelte und errötete, als Crystal ihn wie einen Idioten aussehen ließ, noch dazu einen verlogenen. Wie konnte er behaupten, arm zu sein, wenn er solch ein hübsches Zuhause hatte?
Hamish ertrug es nicht mehr und schaltete den Fernseher aus.
Eine halbe Stunde später klopfte jemand an die Küchentür. Die Einheimischen benutzten so gut wie nie die Vordertür der Polizeiwache. Er öffnete und erkannte Elspeth Grant.
»Kommen Sie rein«, sagte Hamish. »Was führt Sie her? Kündigen die Sterne irgendwas an?«
»Tatsächlich tun sie das«, antwortete sie ruhig. Es war Frühherbst, und die Abende wurden bereits frostig. Sie trug einen Fischerhut aus Tweed und einen Männeranorak. In der Küche nahm sie den Hut ab und hängte den Anorak über eine Stuhllehne.
Elspeth hatte dichtes, krauses braunes Haar und einen blassen Teint. Ihre Augen indes waren auffallend: groß und hellgrau, beinahe silbern. Manchmal waren sie wie klares Bachwasser, manchmal wie Quarz, und Emotionen wie Gedanken spiegelten sich in ihnen wie Wolken, die an einem Sommertag über die Berge zogen. Ihre sanfte Stimme hatte den typisch melodischen Highland-Klang.
Hamish mochte sie nicht. Er hielt ihre astrologischen Prophezeiungen für eine gerissene Veralberung der Leser. »Kaffee?«, fragte er dennoch.
»Gerne.«
»Der ist nicht koffeinfrei«, fügte er hinzu.
»Ist in Ordnung. Haben Sie gedacht, das macht mir etwas aus?«
»Ja, und ich vermute außerdem, dass Sie wahrscheinlich Vegetarierin sind.«
Sie stützte das spitze Kinn in die Hände und betrachtete ihn. »Warum?«
»Ach, wegen der Astrologie und so.« Er befüllte zwei Becher mit dem heißen Wasser aus dem Kessel, der immer auf dem Herd stand.
»Anscheinend sind Sie ein sehr konventioneller Mann.«
Hamish gab ihr einen Kaffeebecher und setzte sich ihr gegenüber hin. »Sind Sie um diese Zeit vorbeigekommen, um mich über meinen Charakter aufzuklären?«
»Nein. Haben Sie die Sendung gesehen?«, fragte sie.
»Die mit Crystal French?«
»Ja, die.«
»Was ist damit?«, wollte er wissen.
»Jemand wird sie umbringen«, antwortete Elspeth ruhig.
»Was?! Herrgott, Frau! Ihr abscheuliches Programm wird eine Staffel lang laufen. Dann wird es noch eine weitere geben, aber bis dahin wird es nichts Neues mehr sein, und entweder verschwindet diese Crystal French dann von der Bildfläche, oder sie geht nach London.«
Elspeth schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ich denke, sie wird ermordet werden.«
»Sehen Sie das in den Sternen?«, spöttelte Hamish.
»Könnte man so sagen. Es ist etwas an ihr. Sie bettelt förmlich darum, umgebracht zu werden.«
Hamish runzelte die Stirn. »Und wer wird das tun?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Tja, wenn ich das wüsste, könnte ich es vielleicht verhindern.«
»Ich fürchte, in der Welt des Fernsehens gedeihen und grünen die Gottlosen wie ein Lorbeerbaum«, erwiderte Hamish.
»Sie zitieren die Bibel, Hamish Macbeth? Sie?«
»Warum nicht? Ich bin kein Heide. Also, Sie kommen spätabends her, um mir zu erzählen, dass Sie ein Gefühl haben?« Wenn Hamish aufgebracht war, wurde sein Highland-Akzent prononcierter, und dann rollte er die Rs besonders stark. »Und dennoch scheinen Sie eine vernünftige Frau zu sein. Ich traue Ihnen nicht. Ich denke, dass Sie hergekommen sind, um sich auf meine Kosten zu amüsieren.«
Und obwohl Elspeth keine Miene verzog, hatte Hamish seinerseits das Gefühl, die Privatperson Elspeth nähme ihn nicht ernst.
Sie trank ihren Kaffee, setzte ihren Hut wieder auf und warf sich den Anorak über die Schultern. »Sagen Sie später nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.«
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und blickte zu ihr auf. »Und was soll ich mit dieser Warnung anfangen? Meine Vorgesetzten anrufen und sagen, ich hätte das Gefühl, Crystal Frenchs Leben sei in Gefahr?«
»Sie könnten behaupten, dass Sie anonyme Anrufe von Leuten bekommen haben, die gedroht haben, sie zu ermorden.«
»Oh, ich denke, solche Anrufe gehen schon bei Strathbane Television ein.«
Sie winkte ab. »Tja, ich hab’s versucht.«
Und dann war sie fort. Sie ging so schnell und leise, dass es Hamish vorkam, als wäre sie eben noch da gewesen und im nächsten Augenblick verschwunden. Die Tür hatte sie offen gelassen.
Er versuchte, die Geschichte aus seinem Kopf zu verbannen, war jedoch wider Willen beunruhigt.
Rory MacBain suhlte sich in Crystals Erfolg. Die ersten beiden Folgen sollten im überregionalen Fernsehen laufen, gefolgt von weiteren. Die Telefonzentrale wurde von wütenden Anrufen geflutet. Der Postsack quoll über von Drohbriefen. Und das war Erfolg. Reaktion war Erfolg. Rory war enttäuscht, dass Crystal ihn immer wieder zurückwies, aber das Lob, das er für seine Idee bekam, machte jede Enttäuschung wett.
Für die nächste Folge würde es mehr Geld geben, sehr viel mehr. Diese war ad hoc entstanden, innerhalb nicht einmal einer Woche. Am Montag wurde das Thema entschieden. Hinter den Spitzengardinen sollte ein Exposé darüber sein, was wirklich in den Highland-Dörfern vor sich ging. Produktionsassistentinnen gingen alte Zeitungen durch und gruben Skandale aus, von denen die Leute gehofft hatten, sie wären längst vergessen.
Crystal hatte wenig zu tun, weil alles für sie recherchiert und ihr Skript von anderen geschrieben wurde, auch wenn sie gern in letzter Minute noch ihre eigenen Kommentare ergänzte. Nun beschloss sie, aus Strathbane herauszufahren und ein wenig durch die Dörfer zu gondeln. Ihr Weg sollte den von Hamish Macbeth kreuzen, und das an exakt dem Tag, an dem er glaubte, seine Welt würde untergehen.
Den Morgen zuvor hatte er sein Horoskop gelesen, das für das Sternzeichen Waage, und dort hatte Elspeth geschrieben:
Am Montag erhalten Sie eine Nachricht, die Ihnen das Herz bricht. Aber bedenken Sie, Schmerz ist Leben. Dies ist nicht das Ende. Es ist der Beginn eines neuen Kapitels.
»Blödsinn«, murmelte Hamish. Er drehte eine Runde mit Lugs, fütterte ihn und wollte sich eben aufbruchbereit machen, als das Telefon klingelte.
Es war Mrs. Wellington, die Pfarrersfrau. »Ich nehme nicht an, dass Sie es wissen«, sagte sie. »Lesen Sie die Times?«
»Nein«, antwortete Hamish.
»Dachte ich mir. Es stand vor vier Tagen in der Gesellschaftskolumne und ist schon im ganzen Dorf herum. Ich habe gesagt, dass jemand es Hamish erzählen muss, aber dann wurde mir klar, dass es mal wieder ich selbst sein muss.«
»Mir was erzählen?«, fragte Hamish geduldig.
»Priscilla Halburton-Smythe heiratet … Sind Sie noch da?«, hakte sie schließlich nach.
»Ja.«
»Es stand in der Gesellschaftsspalte«, fuhr Mrs. Wellington fort. »Sie heiratet einen Peter Partridge.«
»Danke«, sagte Hamish matt.
Er legte auf und starrte blind auf seinen Schreibtisch. Lugs legte winselnd eine große Pfote auf Hamishs Knie. Priscilla Halburton-Smythe, Tochter des Colonels, dem das Tommel Castle Hotel gehörte, war einst seine große Liebe gewesen. Sie hatten sich sogar einmal verlobt. Sie hätte es ihm erzählen können. Er sagte sich, dass er seit Langem über sie hinweg war, dennoch empfand er Trauer und Verlust.
Ihm fiel sein Horoskop wieder ein, und plötzlich wurde er wütend. Elspeth musste den Tratsch gehört haben, denn sie bekam alles mit. Und irgendwie hatte sie herausgefunden, wann er Geburtstag hatte. Sicher war das alles für sie äußerst amüsant.
Er streichelte Lugs’ Kopf. »Bleib.« Er würde wie üblich seine Dienstrunde machen. Arbeiten wie immer. Das Leben ging weiter.
Als er in den Land Rover der Polizei steigen wollte, wendete weiter unten am Hafen ein hellgrüner BMW und raste die Küstenstraße entlang, deutlich schneller als erlaubt. Hamish sprang in den Wagen, schaltete Blaulicht und Sirene ein und hielt das Blitzgerät, das zum Glück auf dem Beifahrersitz lag, mit einer Hand aus dem Fenster und auf das fliehende Auto gerichtet, während er hinterherfuhr.
An der Buckelbrücke, die aus Lochdubh hinausführte, stoppte der BMW abrupt. Hamish hielt hinter ihm an und stieg aus. Er ging zu dem Wagen, bückte sich und schaute in das Fahrzeug, aus dem ihm Crystal French entgegenblickte.
Denn in den Sternen steht geschrieben, weiß GottKlarer als in Glas für den, der es zu lesen verstehe,der Tod eines jeden Menschen.
GEOFFREY CHAUCER
Hamish verurteilte es von jeher aufs Schärfste, wenn Polizisten ihre Launen an der Zivilbevölkerung ausließen. Folglich hätten die Chancen gut gestanden, dass er Crystal mit einer strengen Verwarnung davonkommen ließ – wären da ihre ersten, sehr arroganten Worte nicht gewesen: »Wissen Sie nicht, wer ich bin?«
»Sie sind eine Autofahrerin, die eben mit gefährlich überhöhtem Tempo gefahren ist. Die Papiere bitte.«
»Hören Sie, die habe ich nicht bei mir …«, antwortete sie.
»Legen Sie sie innerhalb einer Woche auf der nächsten Polizeiwache vor – Fahrzeugschein, Zulassung und Versicherung. Den Führerschein bitte.«
»Ich bin Crystal French«, gab sie mit empörter Miene zurück.
»Danke für die Information. Den Führerschein bitte.«
Sie kramte in einer großen Lederhandtasche und hielt ihm das Gewünschte hin. »Sollten Sie nicht Verbrecher fangen, anstatt gesetzestreue Bürger zu belästigen?«
»Die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu überschreiten ist ein Verstoß gegen das Gesetz.« Er sah sich ihren Führerschein an und gab ihn zurück. »Steigen Sie bitte aus dem Wagen.«
»Warum?«
»Ich will einen Atemalkoholtest machen«, erklärte er.
»Seien Sie nicht albern.« Crystal schaltete den Motor ein.
»Falls Sie keinem Test zustimmen, müssen Sie mir zur Praxis von Dr. Brodie folgen, damit er Ihnen eine Blutprobe abnimmt.«
Crystal warf die Fahrertür so schwungvoll auf, dass Hamish einen Satz rückwärts machen musste, um sie nicht gegen die Beine zu bekommen. Sie funkelte ihn wütend an und fauchte: »Dann machen Sie schon.«
Er ging zurück zum Land Rover und sah auf das Blitzgerät. Dann kehrte er zu Crystal zurück. »Sie haben sich schon sechs Punkte wegen überhöhter Geschwindigkeit eingehandelt«, sagte er. »Die Kamera zeigt, dass Sie in einer Dreißiger-Zone fünfundsechzig gefahren sind.«
Crystal starrte ihn unglücklich an. Sie wusste, dass sie wahrscheinlich ein Fahrverbot für drei Jahre bekommen würde. Also änderte sie die Taktik und lächelte ihn an. »Hören Sie, Officer … Wie heißen Sie?«
»Hamish Macbeth.«
»Ich bin mir sicher, dass uns etwas Netteres einfällt, als hier herumzustehen und zu streiten.« Sie benetzte ihre Lippen und legte ihm eine Hand auf den Arm.
Hamish wischte die Finger weg wie lästige Insekten. »Sie werden bald benachrichtigt, wann Sie vor Gericht zu erscheinen haben«, entgegnete er ruhig.
Crystal wurde zusehends nervös. Der BMW war neu, und sie liebte es, darin herumzufahren. Sie griff in den Wagen und holte ihre Handtasche heraus. Die öffnete sie, nahm ihr Portemonnaie hervor und blätterte durch die Scheine. »Als Dorf-Bobby können Sie nicht viel verdienen«, erwiderte sie süßlich lächelnd.
»Trotzdem bin ich nicht bestechlich, und sollten Sie keine weitere Anklage wollen, rate ich Ihnen, Ihre Geldbörse wieder einzustecken.«
Nun verlor Crystal die Fassung. »Ich habe nicht versucht, Sie zu bestechen, Sie Dorftrottel!«
Auch mit Hamishs Beherrschung war es vorbei. »Bloß weil Sie eine Fernsehberühmtheit sind, die herumläuft und Leuten das Leben zur Hölle macht, dürfen Sie nicht die Dorfbewohner von Lochdubh gefährden, indem Sie rücksichtslos Auto fahren.« Frauen, zum Teufel mit ihnen!, dachte Hamish eingedenk Priscillas bevorstehender Hochzeit und wurde lauter. »Verschwinden Sie verdammt noch mal von hier!«
»Was ist los?«, hörte er eine kühle Stimme in seinem Rücken.
Hamish drehte sich um. Da stand Elspeth Grant. Sie trug ein zerschlissenes T-Shirt unter einer ausgeleierten Strickjacke, eine Cordhose und Turnschuhe. »Ich bin von der Highland Times«, erklärte sie Crystal. »Sie sind die berühmte Crystal French. Du meine Güte, in natura sind Sie genauso schön wie im Fernsehen.«
Hamish musterte die beiden angewidert. »Wir sehen uns vor Gericht«, sagte er zu Crystal. Er stieg in den Land Rover und kehrte zur Wache zurück, wo er seinen Bericht in den Computer tippte und an Strathbane schickte.
Dann widerstand er dem Impuls, zum Tommel Castle Hotel zu fahren und mehr über Priscilla in Erfahrung zu bringen. Es war vorbei.
Stattdessen legte er Lugs die Leine an und machte sich auf den Weg zu Angela Brodie, der Frau des Arztes.
»Kommen Sie rein«, sagte Angela, deren schmales Gesicht vor Freude aufleuchtete. »Lugs tut meinen Katzen doch nichts, oder?«
»Nein, dazu ist er zu faul«, antwortete Hamish, und tatsächlich tapste Lugs in die Küche, ignorierte die Katzen und legte sich in eine Ecke, wo er die Augen schloss. Seine komisch großen Ohren waren ausgebreitet wie Flügel.
»Was gibt es Neues?«, fragte Angela. Sie war die Einzige, mit der Hamish über Priscilla redete.
»Mrs. Wellington hat mich angerufen, um mir von Priscillas Verlobung zu erzählen.«
»Das hätte ich Ihnen sagen sollen«, gab Angela reumütig zurück. »Es war schon im ganzen Dorf herum. Aber dann habe ich gehört, wie Mrs. Wellington zu Elspeth Grant gesagt hat, sie würde es Ihnen in wenigen Tagen erzählen, falls es sonst keiner tut, und Elspeth hat gefragt, wann Sie Geburtstag haben.«
»Ich dachte mir schon, dass das der Grund für mein Horoskop war«, murmelte Hamish.
»Und wie fühlen Sie sich? Erschüttert?«
»Ich war verletzt und traurig. Jetzt weiß ich es nicht mehr so genau. Priscilla hätte es mir schon selbst erzählen können. Jedenfalls habe ich danach bei dieser schrecklichen Crystal French die Beherrschung verloren.« Er erzählte Angela von Crystals Geschwindigkeitsübertretung.
»Ich wette, man wird Sie bitten, die Anzeige zu vergessen«, bemerkte sie.
»Warum?«
»Callum Bissett ist Freimaurer. Er ist der Geschäftsführer von Strathbane Television.«
»Und?«
Sie wiegte den Kopf. »Na ja, Peter Daviot ist auch Freimaurer.«
»Jetzt hören Sie aber auf, Angela! Das würden die doch nicht wagen.«
»Sie könnten es versuchen.«
Und am Nachmittag erhielt Hamish einen Anruf von Superintendent Peter Daviot. »Ich wünschte, Sie hätten sie einfach weiterfahren lassen«, sagte Daviot. »Eben hatte ich Callum Bissett am Telefon, der mich gebeten hat, die Sache fallen zu lassen. Sie haben sie geblitzt?«
»Ja, Sir.«
Daviot seufzte. »Ach, nun, dann müssen Sie es durchziehen. Aber das ist übel, ganz übel.«
»Es ist ein klarer Fall von Geschwindigkeitsübertretung in einer geschlossenen Ortschaft.«
»Nein, es ist mehr als das«, widersprach Daviot. »Crystal French soll eine Folge über die Polizeiarbeit in den Highlands machen, mitsamt einem Interview mit Ihnen.«
»Dem muss ich nicht zustimmen.«
»Oh doch, müssen Sie«, erwiderte Peter Daviot streng. »Und das ist ein Befehl. Wir müssen zeigen, dass wir nichts zu verbergen haben.«
»Na schön«, lenkte Hamish widerwillig ein. Er war schon zweimal vom Sergeant zum Constable degradiert worden und wusste, dass Crystals Produktionsassistentinnen alles ausgraben würden, was sie gegen ihn finden konnten.
»Das Interview soll nächsten Montagnachmittag um zwei Uhr sein«, erklärte Peter Daviot.
»Muss ich?«
»Muss ich was?«
»Ich meine, muss ich mich interviewen lassen, Sir?«
»Ja«, kam es knapp von Daviot zurück.
»Wissen Sie, dass sie versucht hat, mich zu verführen, und, als das nicht zog, mich bestechen wollte?«
»Gibt es dafür irgendwelche Zeugen?«
»Nein«, antwortete Hamish.
»Na, da haben Sie es. Machen Sie es einfach.«
Nachdem Daviot aufgelegt hatte, starrte Hamish das Telefon an. Vielleicht hatte Elspeth etwas mitbekommen. Wie lange hatte sie dort gestanden? Er nahm den Hörer wieder auf, wählte die Nummer der Highland Times und bat, Elspeth Grant zu sprechen. Doch Sam Wills informierte ihn, dass sie in Braikie war, um von den Highland Games zu berichten.
Hamish setzte Lugs in den Land Rover und fuhr nach Braikie. Dort sollte er heute Nachmittag ohnehin Dienst haben.
Die Highland Games von Braikie waren keine große Sache. Nicht so wie die in Drumnadrochit oder Balmoral. Aber das spätsommerliche Wetter hielt sich, und sanftes Sonnenlicht beschien die Veranstaltungen und das Nebenprogramm.
Hamish hatte angenommen, dass es leicht wäre, Elspeth hier zu finden. Vage hatte er vermutet, dass sie an einem der Stände Weissagungen anbot. Dann erinnerte er sich, dass Sam gesagt hatte, sie würde von den Spielen berichten. Er ging zum Pressezelt. Dort erkannte er ein paar Lokalreporter, die an einem der wackligen Tische Bier tranken.
»Hat jemand Elspeth Grant gesehen?«, fragte er.
»Die ist gerade weg«, antwortete einer der Reporter. »Zum Baumwerfen.«
Hamish begab sich zum Hauptplatz, auf dem der Wettbewerb im Baumwerfen bereits in vollem Gange war. Ein bulliger Mann stolperte herum und versuchte, ein riesiges Baumstück von sich zu schleudern.
»Er hätte es nicht probieren sollen«, sagte ein Zuschauer abfällig.
Hamish blickte sich in der Menge um. Es gab keinen gesonderten Pressebereich, aber er wusste, dass sie sich normalerweise zusammenscharten, um ihre Notizen zu vergleichen. Er sah eine Fernsehkamera und ging in die Richtung. Zuerst erkannte er Elspeth gar nicht, weil sie eine fleckige Baseballkappe trug, unter die sie ihr Haar gestopft hatte. Aber als sie sich umschaute, bemerkte er ihre auffälligen Augen.
Sie lächelte ihm zu, und er rief: »Auf ein Wort.«
Elspeth kam zu ihm.
»Wie lange haben Sie da gestanden, als ich mit Crystal French gesprochen habe?«, fragte Hamish.
»Keine Minute.«
Hamish war enttäuscht. »Also haben Sie nicht gesehen, wie sie mich bestechen wollte?«
»Nein, doch ich kann das aussagen, falls es hilft.«
»Sie werden nicht für mich lügen!«, entgegnete er.
Sie zuckte mit den Schultern. »Das Angebot steht. Vielleicht brauchen Sie es noch.«
»Übrigens war das ein gemeiner Streich, den Sie mir da gespielt haben«, bemerkte Hamish.
»Was?«
»Ihr Horoskop«, antwortete Hamish verärgert. »Sie hatten meinen Geburtstag herausgefunden, von Priscillas Verlobung erfahren und dass Mrs. Wellington es mir erzählen wollte, und dann haben Sie diesen Quatsch von ›Schmerz ist Leben‹ geschrieben.«
Sie blickte ihn ruhig an. »Wieso sollte ich das tun? Das Waage-Horoskop ist nicht nur für Sie.«
»Sie wissen, dass ich Waage bin. Das haben Sie herausbekommen, weil Sie Angela Brodie nach meinem Geburtstag gefragt haben.«
»Ist das alles?« Elspeth wandte sie sich wieder den Spielen zu. »Ich muss hierüber schreiben. Faszinierend zu sehen, wie Männer mit Baumstämmen werfen.«
»Halten Sie sich ja fern von mir!«, befahl Hamish ihr wütend.
Sie drehte sich zu ihm um. »Sie sind zu mir gekommen, nicht ich zu Ihnen.«
Hamish stapfte davon wie ein empörter Kater.
Als er sich offiziell im Polizei-Caravan zum Dienst gemeldet hatte und das Festgelände abwanderte, ertappte er sich dabei, wie er über den Fall »Crystal« grübelte. Er hatte den Beweis auf Kamera. Sicher bestand kein Grund zur Sorge. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass er einen Fehler gemacht hatte, weil er wütend gewesen war.
Drei Tage verstrichen, und er entspannte sich allmählich. Er hatte seine Hühner zur Nacht eingesperrt und näherte sich der Küchentür, da kam Elspeth Grant auf ihn zu. Zu seiner Überraschung war sie in einem eleganten Kostüm und hohen Schuhen. »Haben Sie eben einen Bankmanager besucht?«, fragte er.
»Ich war unten bei Strathbane Television, für einen Beitrag über Crystal French.«
»Mich wundert, dass sie Sie empfangen hat, nachdem Sie ihre Sendung in der Zeitung verrissen haben.«
»Das hatte sie nicht gelesen … zum Glück«, erwiderte Elspeth.
»Tja, ich will jetzt zu Abend essen, und ich habe Ihnen das mit dem Horoskop noch nicht verziehen. Also gehen Sie wieder.«
»Was für ein reizbarer Mann Sie sind!«, bemerkte sie. »Ich bin hergekommen, um Ihnen von dieser Anzeige wegen Geschwindigkeitsübertretung zu erzählen.«
»Was ist mit der?«
Elspeth schmunzelte. »Wie wäre es, wenn Sie mich reinbitten?«
Hamish zögerte. Doch dieses nagende Gefühl in seinem Hinterkopf war noch da. »Meinetwegen. Kommen Sie.«
Sie folgte ihm in die Küche. Hamish holte die Whisky-Flasche nebst zwei Gläsern aus dem Küchenschrank und stellte alles auf den Tisch. »Möchten Sie einen Schluck?«
»Einen kleinen, ja, aber ohne Wasser. Pur.«
Er schenkte ein, und sie setzten sich. »Also, was gibt es?«, fragte er.
»Crystal hat einen ganz scharfen Hund von Anwalt, der Sie vor Gericht in Stücke reißen wird.«
Hamish zuckte mit den Schultern. »Was soll er denn ausrichten können? Die Frau ist gerast, und ich habe sie geblitzt.«
Elspeth nickte. »Das ist das Problem. Das Blitzgerät.«
»Was soll mit dem sein?«
»Sind Sie einhändig gefahren und haben das Gerät mit der anderen Hand aus dem Fenster gehalten, wobei Sie sich über den Beifahrersitz lehnen mussten?«, erkundigte sie sich.
»Ja, na und?«
»Sie lesen nicht so viel Zeitung wie ich, Hamish. Es sind schon Leute verhaftet worden, weil sie eine Hand vom Lenkrad genommen haben, um ein Mobiltelefon zu benutzen. Eine Frau wurde sogar mal angeklagt, weil sie ihre Puderdose hervorgeholt und sich die Nase gepudert hatte, während sie an einer roten Ampel wartete. Verstehen Sie jetzt, was er sagen wird? Sie sollten als eine Gefahr für die Öffentlichkeit angeklagt werden, nicht Crystal.«
»Aber das ist doch bekloppt!«, begehrte Hamish auf.
Elspeth seufzte. »Ja. Trotzdem wird das ihre Taktik sein. Und um der Richterschaft ein bisschen einzuheizen, hat Crystal angekündigt, eine Folge über schottische Sheriff Courts zu machen. Ihnen dürfte bekannt sein, dass der Sheriff von Strathbane ein Hasenfuß ist.«
»Verdammt.« Hamish trank einen Schluck Whisky. »Moment mal. Sie kommt nächsten Montag her, und ich habe Weisung, ihr ein Interview zu geben. Sie dürfte mich nicht treffen, wenn wir vor Gericht gehen.«