Hamish Macbeth vergeht das Grinsen - M. C. Beaton - E-Book
SONDERANGEBOT

Hamish Macbeth vergeht das Grinsen E-Book

M.C. Beaton

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Hamish Macbeth fühlt einem Mörder auf den Zahn

In Schottland wird Sparsamkeit ebenso bewundert wie schöne Zähne. Daher haben Dr. Frederick Gilchrists günstige Preise und sein Talent, Zähne beinah schmerzfrei zu ziehen, dem Arzt eine große Patientenschar eingebracht. Vor allem die Damen rennen ihm die Tür ein. Weisere Highlander - wie Hamish Macbeth - halten sich trotzdem von seinen allzu beschäftigten Händen fern. Dann beginnt jedoch ein Zahn in Hamishs Mund unaufhörlich zu pochen, und absolute Todesqualen treiben den Dorfpolizisten in Gilchrists Praxis. Dort stolpert er allerdings über die Leiche des stadtbekannten Womanizers - und Hamish hat sofort eine Menge eifersüchtige Ehemänner als mögliche Täter im Visier ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 279

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Über das Buch

Hamish Macbeth fühlt einem Mörder auf den Zahn

In Schottland wird Sparsamkeit ebenso bewundert wie schöne Zähne. Daher haben Dr. Frederick Gilchrists günstige Preise und sein Talent, Zähne beinah schmerzfrei zu ziehen, dem Arzt eine große Patientenschar eingebracht. Vor allem die Damen rennen ihm die Tür ein. Weisere Highlander – wie Hamish Macbeth – halten sich trotzdem von seinen allzu beschäftigten Händen fern. Dann beginnt jedoch ein Zahn in Hamishs Mund unaufhörlich zu pochen, und absolute Todesqualen treiben den Dorfpolizisten in Gilchrists Praxis. Dort stolpert er allerdings über die Leiche des stadtbekannten Womanizers – und Hamish hat sofort eine Menge eifersüchtige Ehemänner als mögliche Täter im Visier …

Über die Autorin

M. C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um die englische Detektivin Agatha Raisin und den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth feierte sie große Erfolge in über 17 Ländern. Sie verstarb im Dezember 2019 im Alter von 83 Jahren.

M. C. BEATON

Hamish Macbeth vergeht das Grinsen

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:Copyright © 1997 by M.C. BeatonPublished by Arrangement with M.C. Beaton LimitedTitel der englischen Originalausgabe: »Death of a Dentist«Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2023 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Dorothee Cabras, GrevenbroichTitelillustration: © Arndt Drechsler, LeipzigUmschlaggestaltung: Kirstin OsenaueBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-2822-5

luebbe.delesejury.de

In Liebe für Jane Sybilla Crosland

Kapitel 1

Noch nie gab’s einen Philosophen,der Zahnweh ohn’ Jammer ertrug.

WILLIAM SHAKESPEARE

Es war ein kühler Herbsttag in den schottischen Highlands, als Police Constable Hamish Macbeth in der Hölle erwachte.

Seine ganze eine Kieferseite tat bestialisch weh.

Zahnschmerzen. Die Sorte Zahnschmerzen, die so schlimm war, dass sich unmöglich sagen ließ, welcher Zahn betroffen war, weil sie alle wehtaten.

Sein Zahnarzt war in Inverness, und Hamish hatte das Gefühl, dass er die weite Fahrt dorthin nicht aushalten würde. Lochdubh, das Dorf, in dem sich seine Polizeiwache befand, hatte keine Zahnarztpraxis. Die nächste war in Braikie, einer zwanzig Meilen entfernten Kleinstadt. Und der dortige Zahnarzt war Frederick Gilchrist.

Das Problem war, dass Hamish Macbeth noch alle seine Zähne besaß und sie auch behalten wollte; Mr. Gilchrist jedoch stand in dem Ruf, Zähne lieber auszureißen, als sie zu retten. Was den Einheimischen hier sehr recht war, denn ihnen war es bis heute lieber, sich die Zähne ziehen zu lassen und »schöne« Gebisse zu bekommen. Und dieser Tage, da jede zahnärztliche Behandlung ein kleines Vermögen kostete, war Gilchrist auch noch billig.

Eine Touristin hatte sich im Sommer bitterlich beklagt, Gilchrist hätte ihr den australischen Kontinentalgraben verpasst. Australische Zahnärzte standen in dem unverdienten Ruf, ihren Bohrer über so viele Zähne wie möglich gleiten zu lassen, um sich auf diese Weise lukrative Stammkunden zu verschaffen. Und obwohl Mr. Gilchrist Schotte war, hieß es allgemein, dass er diese vermeintliche australische Übeltat beging.

Mrs. Harrison, eine Witwe aus dem Ort, unterstellte ihm obendrein, sie sexuell belästigt zu haben, als sie betäubt gewesen war. Andererseits war Mrs. Harrison eine seltsame Frau, die grundsätzlich zu denken schien, dass alle Männer hinter ihr her waren. Deshalb wurde ihre Beschuldigung nicht sehr ernst genommen. Und da sie es nicht der Polizei meldete, sondern nur jedem erzählte, der ihr zuhörte, gab es für Hamish keinen Grund, der Sache nachzugehen.

Doch die Schmerzen waren so übel, dass er sich kaum angezogen hatte, als er beschloss, einen Zahn zu opfern.

Er wählte Gilchrists Nummer. Die Sprechstundenhilfe, Maggie Bane, meldete sich und teilte Hamish auf dessen verzweifelten Hilferuf mit, er müsse vorbeikommen und abwarten, ob er drangenommen werden könnte. Mr. Gilchrist sei sehr beschäftigt. »Kommen Sie um drei, vielleicht nimmt er Sie dazwischen.«

Hinterher ging Hamish ins Bad und suchte in dem Hängeschrank nach Aspirin, fand aber keines. Verärgert knallte er die Schranktür zu. Darauf krachte der Schrank von der Wand aufs Waschbecken, sodass ein Riss im Porzellan entstand, ehe große Glasscherben von der Spiegeltür auf den Fußboden hagelten.

Durch einen Nebel von Schmerz blickte Hamish auf seine Uhr. Acht Uhr morgens. Gütiger Gott, bis zum Nachmittag würde er nicht überleben. In seiner alten Polizeiuniform und gekrümmt vor Pein verließ der schlaksige Constable die Wache und eilte am Wasser entlang zu Dr. Brodies Haus.

Angela, die Arztfrau, öffnete ihm im Morgenmantel. »Oh, Hamish, Sie sind aber früh«, rief sie.

»Ich brauche Hilfe«, stöhnte er. »Ich sterbe!«

»Kommen Sie rein. Er ist in der Küche.«

Dr. Brodie saß in einem Kamelhaarmorgenmantel am Küchentisch und blickte auf, als Hamish hereinkam, einen Marmeladentoast halb zum Mund erhoben. »Hamish! Sie sehen aus wie der Tod auf Stelzen!«

»Sie müssen mir ganz schnell etwas geben«, stammelte Hamish Macbeth und packte Dr. Brodies Arm. »Ich habe mörderische Schmerzen. Ich habe Zahnweh!«

»Sie wirken eher, als hätten Sie Rinderwahnsinn«, erwiderte Dr. Brodie und befreite seinen Arm aus dem Griff. »Ach, setzen Sie sich hin, und ich hole meine Tasche.«

Hamish sackte auf einen Stuhl und hielt sich die Wange. Eine von Angelas Katzen sprang auf den Tisch, beäugte den Besucher interessiert und begann dann, Milch aus dem Krug zu schlecken.

Dr. Brodie kehrte mit seiner Tasche zurück, öffnete sie und nahm eine kleine Taschenlampe heraus. »Jetzt den Mund weit auf, Hamish. Welcher Zahn ist es?«

»Wie es sich anfühlt, sind es alle«, antwortete Hamish, öffnete den Mund und zeigte zu seinem linken Unterkiefer.

Dr. Brodie leuchtete ihm in den Mund. »Ah ja, böse.«

»Was?«, fragte Hamish.

»Sie haben da einen Abszess. Der untere Backenzahn. Puh! Ich glaube nicht, dass ein Zahnarzt da viel machen kann, ehe die Entzündung raus ist. Ich spritze Ihnen ein Antibiotikum. Dafür muss ich in die Praxis. Bleiben Sie hier. Angela gibt Ihnen einen Kaffee. Ich muss mich anziehen.«

»Wohin spritzen Sie das Mittel?«

»In den Hintern.«

»Dann komme ich mit Ihnen.«

»Warum?«

Hamish wurde rot. »Ich will nicht, dass Ihre Frau meinen nackten Hintern sieht.«

Dr. Brodie lachte. »Bin ich froh, dass es doch noch eine Frau im Dorf gibt, der Sie Ihren Allerwertesten nicht zeigen wollen!«

Als er nach oben ging, um sich anzuziehen, wimmerte Hamish: »Keinen Kaffee, Angela. Ich habe so schreckliche Schmerzen, dass ich nichts essen oder trinken kann.«

»Sie sind eine Memme, Hamish Macbeth«, sagte Angela, auf deren schmalem Gesicht ein amüsiertes Grinsen erschien.

»Frauen!«, murrte Hamish. »Das ganze Gerede von mütterlichen Gefühlen und weiblichem Feingefühl ist nichts als ein Mythos.«

»Wenn der Abszess so schlimm ist, warum haben Sie es so weit kommen lassen?«

»Ich hatte nur ein kleines Ziepen ab und zu«, murmelte Hamish. »Und ich dachte, das käme von einer Erkältung.«

Wieder lächelte Angela, setzte sich an den Tisch und packte die Katze im Nacken, um sie herunterzuheben. Dann goss sie sich Milch in ihren Kaffee und nahm ein Buch auf. Bevor sie zu lesen begann, sagte sie: »Sicher ist Ihnen nicht nach Reden zumute.«

Hamish blickte sie verdrossen an und hielt sich weiter die Wange. Schließlich kam Dr. Brodie zurück. »Gehen wir in die Praxis, Hamish, und ersparen Ihnen das Rotwerden.«

Schweigend gingen sie am Wasser entlang. Es war ein kalter, windstiller Tag. Rauch stieg pfeilgerade aus den Schornsteinen der Cottages in die klare Luft auf. Ein Reiher segelte träge über Loch Lochdubh. Das Dorf Lochdubh in Sutherland – der nördlichsten Grafschaft auf dem britischen Festland – lag verträumt im blassen Sonnenlicht, während in dem traurigen Constable ein wahres Schmerzgewitter tobte.

Sobald sie in der Praxis waren, gab Dr. Brodie ihm die Spritze, schrieb ihm noch ein Rezept für antibiotische Tabletten und wies ihn an, nach Hause zu gehen und sich hinzulegen.

Hamish erzählte ihm von seinem Termin bei Gilchrist.

»Den sagen Sie lieber ab«, sagte Dr. Brodie, »solange der Abszess noch so übel ist. Und überhaupt sollten Sie nicht zu Frederick Gilchrist gehen. Er wird den Zahn ziehen, und das muss heutzutage nicht mehr sein. In Inverness sind Sie besser aufgehoben. Über Gilchrist kursieren einige furchtbare Geschichten.«

Hamish schleppte sich zurück zur Polizeiwache. Unterwegs kaufte er Aspirin bei Patel, der den Dorfladen betrieb. Das Antibiotikum musste er später besorgen. Zu Hause nahm er drei Aspirin-Tabletten, die er mit einem Glas Whisky herunterspülte. Dann zog er sich langsam aus, stieg zurück ins Bett und wünschte sich, der Schmerz würde nachlassen. Um sich abzulenken, fing er an, über Gilchrist und alle Gerüchte über den Mann nachzudenken, und darüber schlief er ein.

Zwei Stunden später wachte er auf. Der Schmerz war beinahe weg, doch Hamish traute sich nicht aufzustehen, weil er fürchtete, dass es dann wieder übler werden würde. Er verschränkte die Hände unter dem Kopf und starrte an die Zimmerdecke.

Ihm fehlte sein Hund Towser, der unerwartet gestorben war. Towser hätte nun am Fußende gelegen und mit dem Schwanz gewedelt, und Hamish hätte das Gefühl gehabt, zumindest ein Wesen auf der großen weiten Welt interessierte sich für sein Leid.

Priscilla Halburton-Smythe, die einstige Liebe seines Lebens, war zu Freunden nach London gereist, und bisher war keine andere Frau aufgetaucht, um die Lücke zu füllen, die sie hinterlassen hatte. Sie waren einmal inoffiziell verlobt gewesen, aber das hatte Hamish wegen Priscillas seltsamer Kälte beendet, die sie jedes Mal an den Tag legte, wenn er mit ihr schlafen wollte. Er vermisste sie, versuchte sich jedoch einzureden, dass Priscilla zu vermissen schlicht zur Gewohnheit geworden war.

Abermals schweiften seine Gedanken zu Gilchrist ab, und seine Highlander-Neugier auf den Zahnarzt war nun endgültig geweckt. Hamish war dem Mann nie begegnet. Er würde anrufen und sagen, dass er heute nicht kommen könne, und einen neuen Termin ausmachen. Falls Gilchrist auch bloß andeutete, den Zahn ziehen zu wollen, würde Hamish vom Zahnarztstuhl springen und nach Inverness fahren. Doch auf diese Weise könnte er den Zahnarzt einmal sehen und sich eine eigene Meinung bilden.

Es war allzu leicht, in den schottischen Highlands seinen Ruf zu verlieren. Hier, wo alles zu einer gewaltigen Geschichte aufgebauscht und mit jedem Erzählen noch ein bisschen mehr ausgeschmückt wurde.

Das Bürotelefon läutete schrill. Vorsichtig stand Hamish auf. Der Besitzer eines Hotels fünfzehn Meilen entfernt an der Straße nach Lairg rief an und meldete, dass vergangene Nacht bei ihm eingebrochen worden war.

Hamish versprach, so bald wie möglich bei ihm zu sein, zog sich wieder an, stieg in den Land Rover der Polizei und fuhr zum Scotsman Hotel, in dem der Einbruch stattgefunden hatte. Er rechnete mit Vandalismus, eingeschlagenen Fensterscheiben, einer verwüsteten Bar. Doch es stellte sich heraus, dass der Einbruch sehr professionell durchgeführt worden war. Der Safe im Büro war aufgebrochen und die Einnahmen einer ganzen Woche gestohlen worden.

Der Tresor sah schwer und massiv aus, und die Tür war unbeschädigt.

»Wie sind die an das Geld gekommen?«, fragte Hamish, schob seine spitze Mütze auf dem feuerroten Haar nach hinten und kratzte sich am Kopf.

Der Manager, Brian Macbean, nickte zwei Männern zu, die den Safe umdrehten.

»Ach du Schreck«, sagte Hamish. Die Rückwand des Safes war eine schlichte Sperrholzplatte, die einfach durchgesägt worden war.

Hamish zückte sein Notizbuch. »Können wir uns setzen, Mr. Macbean? Ich müsste mir Notizen machen. Danach rufe ich in Strathbane an und lasse ein Team der Spurensicherung schicken. Wie viel war in dem Safe?«

»Zweihundertfünfzigtausend Pfund.«

»Wieso um alles in der Welt bewahren Sie hier solch eine Summe auf?«

»Das ist der große Preis beim Bingo am Samstag. Mann, da kommen Leute von überall in den Highlands hierher.«

»Also hat jemand davon gewusst und auch von der Rückseite des Safes.«

Macbean, ein bulliger, untersetzter Mann mit schütterem Haar, sah finster drein. »Über den großen Bingo-Abend haben alle Regionalzeitungen berichtet, klar.«

»Aber warum Bargeld?«, fragte Hamish verwundert. »Ein Scheck hätte es doch auch getan.«

»Das war ja der Reiz. Es war alles in Zwanzig-Pfund-Scheinen. Sämtliche Pressefotografen sollten kommen. Es hätte ein tolles Foto gegeben, ein Gewinner mit all den Geldscheinen.«

Hamish leckte seine Bleistiftspitze an. »Warum die Holzrückwand bei dem Safe?«

»Ich brauchte einen, und den hier habe ich bei einer Auktion in Inverness ergattert. Ich dachte, der tut es für meine Zwecke.«

»Und wahrscheinlich haben Sie den Eigentümern des Hotels den Preis für einen richtigen Tresor berechnet.«

Macbean blickte verlegen zu Boden und schwieg.

Geduldig ging Hamish mit ihm durch, wann genau der Diebstahl bemerkt worden war, und sagte dann: »Wer hat von der Holzrückwand des Safes gewusst?«

»Der Barkeeper, Johnny King, und einer der Kellner, Peter Sampson. Sie hatten mir geholfen, ihn von Inverness herzutransportieren.«

»Was ist mit Ihrer Familie?«

»Na ja, natürlich wissen sie es. Meine Frau Agnes und meine Tochter Darleen.«

Hamish überlegte, ob er irgendwelchen Tratsch über Macbeans Familie gehört hatte, doch ihm fiel nichts ein. »Ich muss mit dem Barkeeper und dem Kellner sprechen«, erklärte er. »Und danach rede ich mit Ihrer Frau und Ihrer Tochter.«

»Was? Halten Sie meine Familie da raus!«

»Seien Sie nicht dumm, Macbean. Sie könnten etwas gesehen oder gehört haben. Wie alt ist Darleen?«

»Zweiundzwanzig.«

»Und wo ist sie jetzt?«

»Drüben beim Zahnarzt in Braikie, mit ihrer Mutter.«

Gilchrist schon wieder, dachte Hamish. Gleichzeitig wurde ihm zu seinem Erstaunen bewusst, dass der höllische Schmerz in seinem Zahn verschwunden war.

»Wie kann sich ein Hotel in den Highlands leisten, solch einen gewaltigen Geldpreis auszurufen?«

»Wir veranstalten das ganze Jahr über Bingo-Abende mit kleinen Preisen, und der Erlös wird zur Bank gebracht. Ich habe das Preisgeld Mitte der Woche von der Bank geholt.«

»Ich benutze kurz das Telefon dort und rufe die Polizeizentrale in Strathbane an«, entschied Hamish. »Dann schaue ich mich mal um.«

Detective Chief Inspector Blair sagte, er sei mit einer Drogensache beschäftigt und werde seinen Handlanger Jimmy Anderson mit dem Team der Spurensicherung schicken.

Hamish untersuchte das Büro. Abgesehen von dem klaffenden Loch in der Rückseite des Safes gab es keine sichtbaren Einbruchsspuren, soweit er erkennen konnte. »Und Sie haben es heute Morgen entdeckt?«, fragte er Macbean. »Was war hier gestern Abend los?«

»Da war bei uns ein Ceilidh mit Musik und so.«

»Wie viele Leute?«

»Ungefähr hundert. Aber das Büro war abgeschlossen.«

Hamish schaute sich die Tür genauer an. Sie war aus Holz mit einer Milchglasscheibe und einem einfachen Schloss, das leicht zu knacken war.

Der Barkeeper und der Kellner wurden gerufen. Hamish befragte beide eingehend. Sie hatten in der vergangenen Nacht bis ein Uhr gearbeitet und waren dann direkt zu Bett gegangen. Der Barkeeper, Johnny King, war ein finster aussehender Mann in den Dreißigern mit Zopf und einer langen Narbe im hageren Gesicht. Peter Sampson, der Kellner, war ein kleiner junger Mann von etwa zwanzig Jahren.

Nachdem er die beiden befragt hatte, wanderte Hamish zu den öffentlichen Räumen. Das Hotel war ein klassisches Beispiel für die Häuser der deprimierenderen Sorte in den Highlands: jede Menge Kiefernholz und Plastik mit einst bunten Teppichen, die dem Aussehen nach dringend shampooniert werden mussten. An den Fenstern hingen karierte Vorhänge, und die Wände waren mit Plastikbreitschwertern und Plastikschilden sowie schlechten Gemälden bedrückender historischer Ereignisse wie der Schlacht von Culloden und dem Massaker von Glencoe geschmückt.

Der Künstler hatte Bonnie Prince Charlie nicht gemocht, denn er hatte ihn mit einem feigen Ausdruck in dem bleichen Gesicht dargestellt, als er aus der Schlacht von Culloden floh. Und die Campbells waren auch nicht sein Fall gewesen, so wild und böse, wie er sie gemalt hatte, als sie die Macdonalds von Glencoe massakrierten.

»Was macht die Polizei hier?«, erklang eine schrille Stimme hinter ihm.

Hamish drehte sich um. Eine kleine blonde Frau mittleren Alters stand da und funkelte ihn wütend an. Ihr Haar war auf lauter pinke Lockenwickler aufgedreht, und eine Zigarette klemmte zwischen ihren schmalen, orange geschminkten Lippen. Neben ihr stand ein großes, schlecht gelauntes Mädchen in einem sehr kurzen Minirock, hohen schwarzen Wildlederstiefeln, einer Wildlederjacke mit Fransen und einer lila Bluse. Ihr Make-up war kalkweiß, ihr Lippenstift violett und das schwarze Haar stachelig gegelt.

»Mrs. Macbean?«

»Ja, was geht Sie das an?«

»Der Safe im Büro wurde letzte Nacht aufgebrochen, Mrs. Macbean«, erklärte Hamish ruhig.

»Das Bingo-Geld! Ist es weg?«

»Ja, alles weg.«

»Cool«, sagte Darleen. Ihre Augen wirkten wie tot. Entweder Valium oder schiere Dummheit, dachte Hamish.

»Wo ist er?«, fragte Mrs. Macbean.

»Im Büro«, antwortete Hamish und wandte sich ab, als er draußen Wagen vorfahren hörte.

Auf Detective Jimmy Andersons Gesicht, das an das eines Fuchses erinnerte, erstrahlte ein Grinsen, sowie er Hamish sah. »Wenn das nicht unser Mr. Tod persönlich ist«, bemerkte er munter. »Wo ist die Leiche? Wenn der große Hamish Macbeth vor Ort ist, muss es eine Leiche geben.«

»Nein, keine Leiche. Der Safe wurde aufgebrochen, wie ich schon am Telefon gesagt habe. Ich vermute, dass es jemand aus dem Hotel war.«

»Kann sein. Aber wie kommen Sie darauf, Hamish?«

»Ist nur so ein Gefühl.«

»Der Seher von Lochdubh«, witzelte Jimmy. »Mann, ich könnte morden für ein Glas. Besteht die Chance, dass die hier die Bar öffnen?«

»Im Dienst sollten Sie nicht mal dran denken, etwas zu trinken«, erwiderte Hamish verkniffen.

»Och, solche Sachen kommen doch nur im Fernsehen vor.«

»Und in der Dienstvorschrift.«

»Würden Sie was auf die Dienstvorschriften geben, brächten Sie mal diese scheußliche Uniform auf Vordermann. Ihre Hose glänzt so übel, dass ich mich darin spiegeln kann.«

»Wollen wir uns jetzt dem Fall widmen?«, fragte Hamish verärgert, »oder bleiben wir den ganzen Tag hier stehen und beleidigen uns gegenseitig?«

»Na gut, wo ist die Leiche?« Jimmy seufzte.

»Falls Sie den Safe meinen, der befindet sich im Büro. Bevor Sie da reingehen, Jimmy: Gibt es irgendwelchen Klatsch über Macbean?«

»Nicht, dass ich wüsste. Somat Enterprises, ein Glasgower Unternehmen, dem der Laden hier gehört, hat den Mann vor zwei Jahren eingestellt. Das Essen ist mies, die Getränke sind suspekt, aber die Leute kommen zum Bingo und zum Tanzen her. Sie wissen ja, wie das ist, Hamish: In Sutherland ist nicht gerade der Bär los. Keine Konkurrenz. Na, gehen Sie mal vor.«

Macbean stand vor dem Büro in der Eingangshalle. Durch die offene Tür sah man drinnen die Kollegen der Spurensicherung alles auf Fingerabdrücke überprüfen.

»Verdammt«, murmelte Hamish. »Zwei der Männer haben den Safe umgedreht. Ihre Fingerabdrücke werden auf dem Ding sein.«

»Ich gebe ihnen Bescheid«, erklärte Jimmy.

»Du dämlicher Idiot!«, schrie Mrs. Macbean plötzlich ihren Mann an. Ein pinker Lockenwickler hatte sich gelöst und fiel auf den Teppich. »Ich hatte dir gesagt, dass dieser Safe lächerlich ist. Aber du musstest ja wieder alles billig haben.«

»Halt die Klappe«, knurrte Macbean. »Geh dich lieber zurechtmachen. Mit diesen Lockenwicklern siehst du zum Davonlaufen aus.«

Ein gemeines Ziehen fuhr durch Hamishs Zahn. »Warten Sie kurz, Mrs. Macbean. Sie waren bei dem Zahnarzt in Braikie?«

»Ja.«

»Wie ist Gilchrist so?«

Sie sah Hamish verwundert an. »Ich bin heute nicht bei ihm drin gewesen. Darleen war die mit den Zahnschmerzen.«

Hamish drehte sich fragend zu der jungen Frau um, die an der Wand lehnte und die langen lila Fingernägel studierte.

»Darleen?«

Auf einmal öffnete sie den Mund und zeigte zu ihrer vorderen Zahnreihe unten, in der eine Lücke klaffte.

»Hat er den Zahn gezogen?«

»Ganz richtig.«

»Konnte der nicht gerettet werden?«

»Wozu?«

»Weil man Zähne heutzutage retten kann.«

Darleen unterdrückte ein Gähnen. »Was Sie nicht sagen, Sherlock.«

»Was quasseln Sie hier über einen lausigen Zahnarzt, statt herauszufinden, wer meinen Safe geplündert hat?«, beschwerte sich Macbean.

»Ich arbeite noch an etwas anderem«, antwortete Hamish.

Jimmy Anderson kam aus dem Büro. »Okay, ich befrage Sie einzeln. Sie werden nicht mehr gebraucht, Hamish. Fahren Sie zurück zu Ihren Schafbadlisten oder was immer Sie sonst Aufregendes in Lochdubh machen.«

Es widerstrebte Hamish zu gehen. In dem Hotel roch es förmlich nach Schummeleien. »Ich tippe meine Notizen für Sie ab«, sagte er steif zu Jimmy Anderson.

»Nicht nötig«, entgegnete Jimmy heiter. »Wann macht die Bar auf?«

Hamish fuhr zurück nach Lochdubh, allerdings nicht direkt zur Wache, sondern zunächst zum Tommel Castle Hotel gleich außerhalb des Dorfes. Das Hotel gehörte Colonel Halburton-Smythe, Priscillas Vater. Der Gutsherr hatte das Haus der Familie auf Hamishs Vorschlag hin in ein Hotel umgewandelt, als ihm ein Bankrott gedroht hatte. Der Betrieb florierte, anfangs dank Priscillas Bemühungen, dann unter dem kompetenten Management von Mr. Johnson.

Im Hotel ging Hamish durch zum Büro, wo Mr. Johnson saß und auf die Tastatur eines Computers eintippte. Hamish zog sich einen Stuhl an den Schreibtisch und setzte sich ihm gegenüber hin. »Nehmen Sie sich einen Kaffee, Hamish«, sagte der Manager und nickte zur Kaffeemaschine in der Ecke.

Hamish stand auf, goss sich einen Becher Kaffee ein und setzte sich wieder.

»Das wär’s.« Mr. Johnson seufzte. »Mir fehlt Priscilla. Sie ist viel schneller und besser mit der Buchhaltung. Was führt Sie her, Hamish, oder sind Sie nur auf einen Gratiskaffee aus?«

»Drüben beim Scotsman wurde eingebrochen.«

»Junkies aus Inverness?«

»Nein, der Safe wurde ausgeräumt. In dem war das Bingo-Preisgeld. Zweihundertfünfzigtausend Pfund.«

»Haben sie den Safe gesprengt?«

»Nein, Macbean hatte ihn billig in einer Auktion in Inverness gekauft. Die Rückwand war aus Holz.«

»Ah, an den erinnere ich mich. Ich war auch auf der Auktion. Dieser Safe wurde von einer Firma gebaut, von der keiner je gehört hat. Ich konnte das mit der Holzrückwand gar nicht glauben.«

»Und was erzählt man sich so über Macbean?«

»Ein sauertöpfischer Mann mit einem Flittchen von Frau und einer Null von Tochter. Er ist vor circa zwei Jahren hergekommen. Somat Enterprises scheint ihm freie Hand zu lassen. Das Unternehmen gehört einem Schotten mit griechischen Wurzeln. Er besitzt eine Menge billiger Restaurants und schäbiger Hotels. Solange der Scotsman Plus macht, scheint sich der Eigentümer nicht einzumischen. Macbean könnte einiges von den Gewinnen für sich abzweigen, aber dafür müsste er klüger sein, als er ist, denn Somat hat ein Team von sehr scharfen Revisoren, die regelmäßig alle Bücher prüfen. Das mit dem Bingo-Abend hat Macbean sich ausgedacht, und es ist ein Riesenerfolg. Haben Sie gewusst, dass der Colonel sogar auf die blödsinnige Idee gekommen war, so etwas hier auch zu veranstalten? Die Leute kommen her, weil sie angeln, jagen und das stilvolle Landleben genießen wollen. Die wollen keinen Haufen Bauern, der hier herumtrampelt.«

»Was ist mit den Angestellten?«

»Weiß ich nicht. Ihnen ist ja bekannt, wie schwierig es ist, hier oben Personal zu finden. Da sieht keiner allzu sorgfältig auf die Referenzen.«

»Tja, damit habe ich jetzt nichts mehr zu tun.« Hamish trank von seinem Kaffee und verzog das Gesicht, als die heiße Flüssigkeit auf seinen schlimmen Zahn traf. »Jimmy Anderson hat übernommen. Es wird eine langwierige Geschichte – Macbeans Vergangenheit zu überprüfen, die der Angestellten und Macbeans Bankkonto.«

»Ist es nicht sonst eher Blair, der Sie bei allen Fällen außen vor haben will?«

»Ja, schon, aber es geht das Gerücht, dass Blairs Leber ein bisschen angegriffen ist, und Jimmy Anderson durchläuft einen Persönlichkeitswandel, wenn er eine Beförderung riecht.« Wieder verzog er das Gesicht.

»Zahnschmerzen?«

»Ich habe einen Abszess. Dr. Brodie hat mir ein Antibiotikum gespritzt. Ich wollte zu Gilchrist gehen. Oh, da muss ich noch absagen.«

»Von dem Schlachter würde ich mich fernhalten, Hamish. Da hat es einen kleinen Skandal gegeben. Jock Mackay drüben in Braikie bekam einen Zahn gezogen, und Gilchrist hat ihm dabei den Kiefer gebrochen. Jock hatte teilweise zusammengewachsene Wurzeln, und der Zahn hätte zersägt und dann Stück für Stück rausgenommen werden müssen. Wie sich herausstellte, hatte Gilchrist ihn nicht mal vorher geröntgt. Die Leute haben ihm geraten zu klagen, aber Sie kennen das ja. Viele von denen wurden noch in dem Glauben erzogen, dass Ärzte, Anwälte und Zahnärzte kleine Götter sind. Anscheinend begreifen sie nicht, dass die genau wie der Schlachter oder der Bäcker sind. Bekommt man schlechtes Fleisch von einem Metzger, sucht man sich einen anderen. Doch bei einem miserablen Arzt oder Zahnarzt bleiben sie bis zum bitteren Ende.«

»Darf ich Ihr Telefon benutzen? Vielleicht fahre ich morgen mal hin, da ich jetzt einen Vorwand habe. Wie sieht Gilchrist aus?«

»Irgendwie sehr weiß. Breites weißes Gesicht, große weiße Hände wie ungebratene Schweinswürste, sehr blasse Augen, dichtes weißes Haar, weiße Augenbrauen und weißer Kittel.«

»Alter?«

»In den Fünfzigern, schätze ich. Nach allem, was man so hört, ein Weiberheld. Benutzen Sie ruhig das Telefon, aber bitten Sie nur um ein Check-up, sonst erwartet der Mann Sie mit der Zange und zieht Ihnen sämtliche Zähne.«

Hamish wählte die Nummer des Zahnarztes. Maggie Bane meldete sich, der Hamish bisher genauso wenig persönlich begegnet war wie ihrem Chef, obwohl er ihren Namen kannte und von ihr gehört hatte. Ihre Stimme am Telefon war scharf und bestimmt, und er stellte sich eine nicht mehr ganz junge Frau mit strenger Dauerwelle, blitzender Brille und knochiger Figur vor. »Hier ist Mr. Macbeth«, begann er und war entsetzt, wie verlegen er klang. »Ich komme heute doch nicht. Und ich konnte nicht früher anrufen, weil ich mit einem Fall beschäftigt war.«

»Wir haben hier genug zu tun«, antwortete Maggie, »auch ohne uns mit Leuten abzuplagen, die ihre Termine absagen. Ich wünschte, die würden mal die Wahrheit sagen, zugeben, dass sie Angst haben!«

»Ich habe keine Angst!«, entgegnete Hamish beleidigt. »Hören Sie mal, ich habe einen Abszess am Zahn, und der Arzt meint, das Antibiotikum muss erst wirken, ehe ich zum Zahnarzt gehe.«

Maggies Worte troffen vor Sarkasmus, als sie erwiderte: »Ach, und wann soll das sein?«

Hamish holte tief Luft. Auf einmal war er wild entschlossen, sich diesen Zahnarzt mit dem schaurigen Ruf und dessen schreckliche Helferin anzusehen. »Morgen«, antwortete er.

»Eine Miss Nessie Currie hat ihren Termin um drei abgesagt. Den können Sie haben.«

»Danke.« Hamish knallte den Hörer auf.

Nessie Currie und ihre Schwester Jessie waren die beiden alten Dorfjungfern von Lochdubh. Es waren einzig ihr Hang zum Tratschen und ihre Art, sich überall einzumischen, die sie zu diesem Schicksal verdammt hatten, dabei galt in einem Land wie Schottland manche Frau als glücklich, die der Ehe entkommen war – ein Überbleibsel aus den Zeiten, in denen das Eheleben häusliche Sklaverei und eine Reihe Kinder bedeutet hatte.

Hamish entschied, bei Nessie vorbeizuschauen.

Nessie und Jessie arbeiteten in ihrem kleinen Vorgarten, wo die schmalen Blumenbeete um ein Rasenquadrat herum strammstanden. Wie bei vielen Highland-Häusern gab es auch hier neben der Pforte einen Vogelbeerbaum, der voller roter Früchte hing. Er sollte Elfen, Hexen und böse Geister draußen halten.

»Hier kommt Hamish Macbeth«, sagte Jessie. »Hamish Macbeth.« Sie hatte die leidige Angewohnheit, alles zu wiederholen.

Nessie richtete sich auf, streifte die Gartenhandschuhe ab und sah zu ihm – zumindest glaubte er es, denn die Sonne spiegelte sich in ihren Brillengläsern, sodass er nicht sicher sein konnte. »Wir haben von dem Einbruch drüben im Scotsman gehört«, sagte sie. »Wieso sind Sie nicht da?«

»Nicht da?«, wiederholte Jessie, die ein Unkraut ausrupfte.

»Ich arbeite dran. Warum haben Sie Ihren Zahnarzttermin abgesagt, Nessie?«

»Das ist kein Verbrechen.«

»Kein Verbrechen«, ertönte der kleine griechische Tragödienchor aus dem Blumenbeet.

»Nur so aus Neugier«, antwortete Hamish gereizt, und ihm entging nicht, dass sein Highland-Akzent mal wieder stärker wurde, wie immer, wenn er verärgert oder gekränkt war.

»Ich weiß nicht, was Sie das angeht, aber Tatsache ist, dass Mr. Gilchrist den Ruf hat, ein Frauenheld zu sein, und ich hätte betäubt werden müssen. Weiß der Himmel, was er dann mit mir angestellt hätte!«

»Mit ihr angestellt«, kam das prompte, leise Echo von Jessie.

Hamish musterte die alte, flachbrüstige Nessie und dachte, dieser Gilchrist müsste einen sagenhaften Ruf haben.

Er tippte sich an die Mütze und ging davon. Die Sonne stand schräg über dem Loch, und bald würde die frühe nordische Nacht beginnen. Auf einmal fühlte sich Hamish einsam und wünschte, er könnte mit Priscilla reden. Gleich danach folgte ein starker Wunsch nach einer Zigarette, obwohl er schon vor einigen Jahren das Rauchen aufgegeben hatte.

»Sie sehen aber ziemlich betrübt aus«, bemerkte Angela, die Frau des Arztes, die vor ihm stehen blieb. »Tut der Zahn noch weh?«

»Nein, im Moment ist es gut. Ich wünsche mir nur, Priscilla wäre wieder zurück. Wir bereden Dinge immer miteinander. Und noch dazu hätte ich gern eine Zigarette.«

Angela lächelte, was ihr schmales Gesicht zum Leuchten brachte. »Wie kommt es, Hamish, dass alles, was Sie gehen lassen, fortan Ihre Krallenzeichnungen trägt?«

»Ich habe ja losgelassen«, antwortete Hamish gereizt. »Ich dachte nur …«

»Und ich denke, dass Sie einen Tee und einige Scones vertragen können. Kommen Sie mit. Ich bin auf dem Weg nach Hause.«

Als Hamish neben ihr herging, fiel ihm schlagartig wieder ein, dass Angelas selbst gebackene Scones gewöhnlich steinhart waren, und prompt meldete sich sein schlimmer Zahn aus lauter Angst wieder.

Die Scones, die Angela ihm auf den Küchentisch stellte, sahen fluffig und buttrig aus. »Ein Geschenk von Mrs. Wellington«, erklärte sie.

Hamish strahlte. Mrs. Wellington war die Pfarrersfrau und eine gute Köchin.

Er aß zwei dick mit Butter bestrichene Scones und trank zwei Tassen Tee. Die Katastrophe schlug zu, als Angela ein Glas Brombeermarmelade dazustellte und ihn drängte, die zu probieren. Hamish butterte sich noch einen Scone, löffelte üppig Marmelade darauf und versenkte die Zähne hinein. Ein glühender Schmerz schoss ihm direkt bis unter die Schädeldecke, und er schrie auf.

»Oh, der Zahn muss richtig wehtun«, konstatierte Angela. »Liegt wohl an der Marmelade. Brombeeren sind sehr säurehaltig. Hier.« Sie kramte in einer Küchenschublade und holte eine Handvoll neuer Zahnbürsten heraus, von denen sie ihm eine gab. »Gehen Sie ins Bad und spülen Sie sich gründlich den Mund aus. Dann kommen Sie wieder, und ich gebe Ihnen ein paar Aspirin.«

Hamish schnappte sich die Zahnbürste und lief in das lange, schmale Bad. Zwei Katzen schliefen in der Wanne, und eine lag zusammengerollt auf dem Toilettendeckel. Hamish riss die Plastikhülle von der Zahnbürste, schrubbte sich die Zähne und fand Mundwasser in dem Badschrank, mit dem er sich den Mund spülte. Bis er wieder in die Küche zurückkehrte, war der Schmerz zu einem dumpfen Druck abgeschwollen. Dankbar schluckte er zwei Aspirin.

»Ich hätte gedacht, dass Sie drüben im Scotsman Hotel sind«, sagte Angela.

Die Katzen waren Hamish aus dem Bad gefolgt. Eine von ihnen begann, sich liebevoll die Krallen an seiner Hose zu wetzen, und er widerstand dem Impuls, sie zu verscheuchen. Angela hing sehr an ihren Katzen, und Hamish mochte Angela sehr.

»Jimmy Anderson hat den Fall, also bin ich raus. Blairs Leber sorgt für Ärger, daher macht Jimmy sich Hoffnungen auf Ruhm und Reichtum.«

Angela umfing einen Becher Tee mit ihren schmalen Fingern. »Mich überrascht, dass Sie nicht schon früher zu dem Hotel gerufen wurden.«

»Warum?«

»Ich sollte Ihnen das wohl nicht erzählen, doch ich habe Gerüchte gehört, dass Macbean seine Frau schlägt.«

»Ist nicht wahr!«

»Ich glaube schon. Vor zwei Wochen waren ihre Wangen grün und blau geschlagen, als hätte er ihr mehrere Ohrfeigen verpasst.«

Hamish lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Das ist ja ein Ding. Eine geprügelte Frau und zweihundertfünfzigtausend Pfund, die aus dem Safe verschwunden sind. Mit denen könnte sie weit weg von ihm kommen.«

»Geprügelte Ehefrauen haben gewöhnlich nicht den Mut zu gehen. Es sei denn, es gibt einen anderen Mann.«

Hamish dachte an die säuerliche Mrs. Macbean mit den schmalen geschminkten Lippen und den pinken Lockenwicklern und seufzte. »Nein, ich glaube nicht, dass sie damit zu tun hat. Danke für den Tee und alles, Angela. Ich gehe lieber zurück zur Wache.«

Dort wartete Jimmy Anderson auf ihn. »Haben Sie Ihre Notizen zu dem Einbruch schon abgetippt?«

»Die wollten Sie doch nicht.«

»Tja, jetzt will ich sie.« Jimmy folgte ihm ins Haus und weiter durch ins Büro. »Haben Sie Whisky da?«

Da Jimmy wieder der Alte zu sein schien, antwortete Hamish: »Ja, in der untersten Schublade ist eine Flasche. Ich hole Ihnen ein Glas.«

»Was ist mit Ihnen?«

»Nein, ich will nichts.« Hamish schüttelte sich. »Ich habe Zahnschmerzen.«

»Lassen Sie sich alle Zähne ziehen, Hamish. Das habe ich auch gemacht. Ich habe ein tolles Gebiss, das der Zahnarzt sogar ein bisschen fleckig wie von Nikotin gemacht hat, damit es echt aussieht.« Er bleckte seine scheußlichen künstlichen Zähne.

Hamish holte ein Glas und schenkte Jimmy großzügig ein. »Also, was ist mit dem Einbruch?«

Jimmy Anderson wirkte mürrisch. »Nichts. Wir warten auf die Berichte zu Macbean und den Angestellten, ob einer von denen schon mal straffällig geworden ist.«

»Wie ich gehört habe, schlägt Macbean seine Frau.«

»Wir sind hier in den Highlands, Mann. Was sollen die denn sonst an den langen Winterabenden machen?«

Hamish erwiderte nichts darauf. »Ich dachte nur, ich erzähle es Ihnen, was sehr nett von mir ist, bedenkt man, dass Sie mich so barsch weggeschickt haben. Sie haben einen Anfall von Blairitis.«

»Sie halten besser Augen und Ohren offen, Hamish, sonst mischt sich der Idiot Blair doch noch ein.«

»Ich sehe, was ich tun kann.«

»Vielleicht fahren Sie lieber morgen noch mal hin.«

Und Hamish wäre zweifellos am nächsten Morgen direkt wieder zum Scotsman Hotel gefahren, wäre da nicht eine andere Sache gewesen. Nachdem er seine Notizen für Jimmy abgetippt hatte, stellte er fest, dass seine eine Gesichtshälfte brannte und pochte vor Schmerz. Deshalb beschloss er, als Erstes zu Gilchrist zu fahren und ihn zu bitten, den Zahn zu ziehen. Der Zahnarzt musste ihn irgendwie dazwischenschieben, denn jeder Mensch hielt nur ein begrenztes Maß an Schmerzen aus.

Er stieg in den Land Rover und fuhr die schmale Landstraße entlang nach Braikie. Das Wetter war milder geworden, was bedeutete, dass ein feiner Nieselregen die Windschutzscheibe benetzte und die Wolken tief über den Bergen von Sutherland hingen.