Hammer + Veilchen Nr. 11 -  - E-Book

Hammer + Veilchen Nr. 11 E-Book

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Beschreibung

Hammer + Veilchen erscheint vierteljährlich und veröffentlicht Kurzprosa deutschsprachiger Autoren

Das E-Book Hammer + Veilchen Nr. 11 wird angeboten von Emig, Günther und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Kurzprosa, Gegenwartsliteratur, Erzählungen

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 39

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Inhaltsverzeichnis
Hammer + Veilchen
Wolfgang Denkel
Lippenstift oder Leben in den großen Städten
Martin Jürgens
Liseberg
Christian Maintz
Das Posaunensolo
Andreas Greve
Polybibliophilie – meine Buchhandlungsgeschichte
Peter Salomon
Eine schwierige Geburt
Thomas Glatz
Kulturelle Verabredung Museum
Orla Wolf
Kreis
Purpur
Ronald Glomb
Kleine Pilzkunde
Der Sonderling
Der Täufling
Der Reinfallschirmling
Der Phantomling
Der Lassopilz
Der Meuchling
Der Fallschirmling
Der Schalltrichterling
Der Gefleckte Blutbuchenröhrling
Bruno Teuni
Verrückt ist vier
Die Autoren
Impressum

Hammer + Veilchen

Flugschriften für neue Kurzprosa

Herausgegeben von Günther Emig und Peter Engel

Ausgabe 11 · 2017

Mit Beiträgen von Wolfgang Denkel · Thomas Glatz · Ronald Glomb · Andreas Greve · Martin Jürgens · Christian Maintz · Peter Salomon · Bruno Teuni · Orla Wolf

Wolfgang Denkel

Lippenstift oder Leben in den großen Städten

Je heftiger eine Ordnung proponiert wird, desto rapider ist die Unordnung, die sie schließlich aufführt. (W. Serner)

Wird die Geschichte dem Autor ähnlich, damit man gleich spürt, daß sie erlebt ist? Oder wird sie dem Autor unähnlich, damit der sich einmal erholen kann von der Anstrengung, er selbst zu sein. (Denn es ist schrecklich, von morgens bis abends man selbst sein zu müssen. Schrecklicher ist nur, wenn einen jemand daran hindert.)

Sagen wir, die Geschichte beginnt an einem Abend, und es regnet. Eine Frau mittleren Alters läuft auf dem Gehsteig. Nicht wie eine Erwachsene, sondern wie ein junges Mädchen, dem diese Bewegung noch nicht ungewohnt ist. Sie hat ein Ziel, und in ihrem Gesicht zeigt sich dies als Schönheit. Sie hat unlängst etwas verstanden, aber wir wissen nicht was. Daß ihr Mantel durchnäßt ist, scheint ihr nichts auszumachen.

Auch der Autor fragt sich, wohin die Frau läuft. Und er fürchtet, ihre Absicht könnte eine allzu gewöhnliche sein. Was, wenn die Frau so entschlossen wirkt, um kurz vor Geschäftsschluß noch einen bestimmten Lippenstift zu kaufen?

Doch selbst wenn dem so wäre… Warum ist dieser Lippenstift für sie so wichtig? Vielleicht wird sie einem Menschen begegnen und will schön sein, auf eine bewährte, Schutz verleihende Weise. Doch sie ist ja auch jetzt schon schön, ohne Lippenstift, durch ihre Entschlossenheit, durch ihr Ja zu dem, was noch kommt. Der frisch aufgetragene Lippenstift freilich – das mag man ihr zugestehen – kann ein solches Einverständnis verdeutlichen. Außerdem kommt es darauf an, was sie für angemessen hält und nicht der Autor. Denn es ist ja ihre Geschichte, nicht seine. Wenn sie diesen Lippenstift für unentbehrlich hält – bitteschön.

Also, die Frau kauft einen Lippenstift und steckt ihn in die Tasche ihres Mantels. Nach dem kurzen Aufenthalt in der Kunstlichthelle der Drogerie umgibt sie wieder die Straßendunkelheit, die wegen der vielen Schaufenster jedoch keine vollständige ist. Die Frau scheint glücklich, als habe sie soeben etwas erreicht.

Der Leser und natürlich auch der Autor will, daß es etwas Großes sei, etwas des Erzählens Würdiges. Denn der Lippenstift als Grund der entschlossenen Bewegung hat uns, ehrlich gesagt, enttäuscht.

Die Frau trägt jetzt den Mantel offen, vermutlich spürt sie ihren Körper, freut sich, ein Körper zu sein. Ein Körper, der andere Körper anzieht.

Sie überquert die Straße, ihr Schritt ist sicher und leicht, oder genauer: leicht vor Sicherheit. Ja, sie ist sich ihrer Sache so sicher, als erfülle sie ein Gesetz.

Inzwischen stört sie der Regen vielleicht doch. Die durch das Laufen entstandene Wärme hat der Körper abgegeben an die Stadt, die große Stadt, in der all ihr Glück und Unglück entstand. Sie liebt diese Stadt, die eine so gute Lehrerin und so gelehrig ist. Diese Stadt führt alle zusammen, ob sie zusammengehören oder nicht. Das ist schon ihr ganzes, ihr vollkommen offenes Geheimnis, aus nicht mehr besteht das Leben dieser Stadt, mehr ist es nicht, was sie leben läßt.

Wir folgen der Frau durch mehrere Wohnstraßen, an ungezählten erleuchteten Fenstern vorbei, und das heißt an Menschen, zu denen sie nicht möchte. Wir ahnen, wie viele mögliche Begegnungen, mögliche Geschichten, womöglich wunderbare Geschichten wir links liegen und hinter uns lassen, indem wir der Frau folgen, die zu wissen scheint, wohin sie möchte.

Die Straße, in die sie einbiegt, kenne ich gar nicht, und ich muß erst den Namen lesen auf dem Schild. Jetzt, zum ersten Mal, taucht die Befürchtung auf, daß wir die Frau gar nicht bis zum Ausgang ihrer Geschichte werden begleiten können. Aber noch ist ja nicht aller Zeilen Ende.