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Hammer + Veilchen erscheint vierteljährlich und veröffentlicht Kurzprosa deutschsprachiger Gegenwartsautoren
Das E-Book Hammer + Veilchen Nr. 14 wird angeboten von Emig, Günther und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Kurzprosa, Gegenwartsliteratur, Kurzgeschichten
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 40
Flugschriften für neue Kurzprosa
Herausgegeben von Günther Emig und Peter Engel
Ausgabe 14 · 2017
Mit Beiträgen von Wolfgang Denkel · Katharina Körting · SAID · Miguel Peromingo · Friedrich Bastian · Orla Wolf · Torsten Schäfer · Hermann Duros · Ronald Glomb
Vorbemerkung: Alle bisherigen vom Autor zum selben Thema verfaßten Texte gelten ab sofort als durchgestrichen. Vorläufig gültig ist ausschließlich der nun folgende, neueste.
Im 13. Jahrhundert lebte in Mesopotamien ein Dichter, der beinah alles durchstrich, was er schrieb. Hin und wieder versuchte ein Neugieriger, ihm eine Zeile oder ein ganzes Blatt zu entwenden, bevor das mühsam Errungene der Vernichtung anheimfiel. Doch das meiste war bereits am Tag seiner Entstehung schon wieder verschwunden. Nicht selten sogar verbrannt oder aufgegessen. Denn der Dichter zerkaute zuweilen seine Notate; ob nun in geheimer Hoffnung, durch Verstoffwechslung eine Veränderung zum Guten, zur Vollendung hin zu erreichen, oder aber, um seinen Schöpfungen endgültig die Gestalt eines Exkrements zu verleihen – niemand wußte es zu sagen.
Nachdem er sieben mal sieben Jahre sein Geschriebenes durchgestrichen hatte, begann der Dichter (er hieß Ibn Ben Mosahim) seine Tätigkeit zu ändern.
Nicht, daß er aufhörte, zurückzunehmen und zu vernichten – das tat er weiterhin und mit Leidenschaft –, doch er strich nun keine Buchstaben, Wörter und Zeilen mehr durch, sondern stattdessen Kochgeschirr, Zäune oder im Weg stehende Hunde. Mitunter aber auch die Nase oder die Unterlippe in einem Gesicht, was für die Betroffenen keine Freude war.
Gern, nur zu gern strich er Ellbogen durch, so daß viele Unterarme in der Luft zu schweben schienen, leider aber völlig kraftlos wurden.
So ging es eine Weile, und man versuchte, sich zu gewöhnen; doch immer, wenn es gerade gelang, fiel etwas Nächstes, Neues dem Dichter zum Opfer.
Allmählich schien nichts mehr vor ihm sicher. Er strich durch, was nicht niet- und nagelfest war. Und was niet- und nagelfest war, strich er ebenfalls durch: Bäume, Häuser und ein Gebirge, das legendäre Ninive, von dem heute nur noch in heiligen Texten eine Beschreibung vorhanden ist, die eine Ahnung damaliger Schönheit vermittelt. Ein silberheller Wasserlauf soll von hoch oben über viele, zum Teil weit auseinanderliegende Stufen herabgeflossen sein, manches Grün an seinen Rändern und gewissermaßen im Vorübergehen nährend. Es gibt Mythen auf mehreren Kontinenten, die jenen Ort als das eigentliche Paradies betrachten. Der Augenblick seines Verschwindens wird von den Aporinas-Indianern bis in unsere Zeit als der ›Tag des alles umarmenden Schweigens‹ begangen, einmal jährlich und im Sinne einer Ermahnung.
Unerbittlich und ohne Unterlaß strich der wirr gewordene Dichter durch, in großem Stil, mit leichter, geschmeidiger und immer geübterer Hand. Ganze Städte und Landstriche fielen seiner Leidenschaft zum Opfer.
Schließlich – so bezeugt es die Überlieferung – entstand in nur wenigen Jahren die noch heute von weither Gereisten bestaunte Al-Khali-Wüste.
Doch kaum jemand der Staunenden (oder auch bloß Gaffenden) weiß, daß sie das Werk eines Dichters ist.
Ihr erster Fisch hieß Fritz. Sie war 23. Das war damals so, erklärt sie meinen hochgezogenen Augenbrauen. Da war meine Mutter noch nicht meine Mutter, sondern Studentin der Medizin. Für diese Geschichte nenne ich sie Margret.
Umwerfend war sie, ein umwerfendes Mädchen, blond, groß, gewitzt, etwas schüchtern vielleicht, aber das fiel nicht weiter auf, so laut ging ihr Lachen darüber hinweg. Margret hatte in Freiburg das Physikum abgeschlossen und wechselte nach Innsbruck. Fritz zog mit. Vielleicht war es auch umgekehrt, und es war Margret, die mit Fritz ging. Jedenfalls war Winter, und in Innsbruck konnte man gut Ski fahren.
Einen weiteren Grund nennt meine Mutter nicht.