Hammer + Veilchen Nr. 18 -  - E-Book

Hammer + Veilchen Nr. 18 E-Book

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Beschreibung

Hammer + Veilchen. Flugschriften für neue Kurzprosa. Herausgegeben von Günther Emig und Peter Engel · Ausgabe 18 · 2018. Mit Beiträgen von Wolfgang Denkel · Martin Jürgens · Friedrich Bastian · Peter Salomon · Cornelia Manikowsky · Alexander Posch · Wolf Senff

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Inhaltsverzeichnis
Wolfgang Denkel
Nachmittags, wenn sie weit weg die Fernzüge hörte
Martin Jürgens
Allahu Akbar
Friedrich Bastian
Krawatten und Butterkekse
Peter Salomon
Die erste Erinnerung
Cornelia Manikowsky
Kleine Geographien
Alexander Posch
Haare lassen
Wolf Senff
Episode vom Ausguck
Die Autoren
Impressum

Hammer + Veilchen

Flugschriften für neue Kurzprosa

Herausgegeben von Günther Emig und Peter Engel

Ausgabe 18 · 2018

Mit Beiträgen von Wolfgang Denkel · Martin Jürgens · Friedrich Bastian ·  Peter Salomon ·

Cornelia Manikowsky · Alexander Posch · Wolf Senff

Wolfgang Denkel

Nachmittags, wenn sie weit weg die Fernzüge hörte

Sie mochte es, verwirrt zu werden. Dann nämlich geschah, was sie sich wünschte. Eigentlich wünschte, und so sehr, daß sie es sonst nicht merkte, weil ihr immer andere, kleinere, nichtige Wünsche dazwischenkamen.

Für Gesellschaftsspiele fehlte ihr vollends die Geduld, während die Langeweile selbst ihr kaum jemals welche abverlangte. Wenn sie eine Münze in einen Spielautomaten warf, konnte sie deren Verlust, deren endgültiges Verschwinden nicht bedauern, und sie empfand auch keine Freude über einen Gewinn. Lange Zeit, vor allem in ihrer Jugend, hatte sie dies für eine Art von Erkrankung gehalten.

Den anderen beim Spielen zuzusehen hingegen genoß sie. Es gab sogar Menschen, die sie nur mögen konnte, während sie spielten.

In ihrem Zimmer hing das Bild eines Orang-Utan, der in Öl gemalt wie ein Firmengründer blickte.

Ansonsten war das Zimmer karg. Überhaupt ließ sie weg, wo sie nur konnte. Und an ihren Weglaßtagen tat sie so gut wie gar nichts.

Sie staunte, wie selten man sie verspottete. Über ihren offenkundigen Sprachfehler hatte man sogar während ihrer Jugend und unter Gleichaltrigen hinweggehört. Es gelang ihr nicht, ein offenes O zu sprechen, es hörte sich bei ihr an wie ein Schmerzlaut.

Außerdem sahen ihre beiden Augen verschiedene Dinge. Das wußte jedoch keiner, solange sie es nicht zugab.

Auch wenn sie sich das linke Ohr zuhielt, war die Welt eine ganz andere, als wenn sie sich das rechte Ohr zuhielt.

Nur ihre beiden Nasenlöcher rochen das Gleiche. Immerhin, dachte sie öfter. ›Immerhin‹ war überhaupt ein Wort, das ihr gefiel.

Das Glück, es war für sie ganz ungeeignet und sie mochte es nicht. Es war so fordernd, so herzhämmernd, so gar nicht still. Das Glück war keine gute Sache, und es tat, als sei es die einzige Sache der Welt. Sie konnte solche Angebereien nicht leiden.

Nachmittags, wenn sie weit weg die Fernzüge hörte, wünschte sie denen, die darin saßen, eine empfundene Ankunft.

Sie schaute gern in die Gesichter von Reisenden und stellte sich vor, was sie in ihren Koffern von einem Ort zu einem anderen trugen. Die Reisenden bewegten die Dinge, und die Dinge beruhigten die Reisenden; sie gaben ihnen zu verstehen: Du hast dich zwar bewegt, bist aber immer noch zu Hause. Dir kann nichts passieren, wir Dinge wachen über dich, so erwachsen Du auch bist.

Die Dinge wollten nicht, daß sie sich schämte, deshalb liebte sie die Dinge. Das war sehr einfach und schön.

Aber sie mochte auch das Lebende, vor allem das leise Lebende. Wenn es stürmte, bekam sie Angst um die Esche vor ihrem Haus. Sie wollte nicht, daß der Baum entwurzelt würde und sterbend irgendwen verletzte.

Ansonsten war Sturm ein gutes Wetter, und sie glaubte zu fühlen, warum es ihn gab.

Niemand grüßte ihr zuerst. Doch daran hatte sie sich gewöhnt.

Einer Freundin, die in ihrer Gegenwart oft weinte, legte sie die Hand auf die Hand. Die schmutzigen Fingernägel der Freundin rührten sie, obwohl sie schmutzige Fingernägel nicht mochte.

Vieles in ihr schien nicht zusammenzugehören. Doch war es wirklich schmerzlicher als das, was zusammengehörte?

Wenig wissen und willig wagen, sagte sie sich oft. Aber noch öfter hielt sie sich nicht daran.

Manchmal saß sie einfach nur da und wartete, daß sie wütend würde. Doch es geschah nicht, und davon wurde sie dann wütend, aber nur ein bißchen und viel weniger, als sie sich gewünscht und vorgenommen hatte.

Sie wäre gern einmal richtig wütend gewesen und mit erhobener Spitzhacke durch die Welt gelaufen, so daß alle ihr Begegnenden sich weggeduckt hätten. Aber dafür fehlte ihr irgend etwas. Vielleicht auch war ihr Bedürfnis nicht tief genug.

Seit sie denken konnte, hatte sie Angst gehabt, ein anderer könnte durch sie Schaden nehmen. Eine Angst und eigentlich Verzweiflung, die sie zuweilen beinah hinderte, dazusein. Das war nicht schön. Eine Angst, die vorgab, Leben zu schützen und im Grunde gegen das Leben gerichtet war.

Wenn man da ist, sagte sie sich, kriegen’s die andern zu spüren, so ist es gedacht. Und damit basta.

›Und damit basta‹, sagte sie gern, seit einiger Zeit.