Harte Kerle backen nicht - Karin Koenicke - E-Book

Harte Kerle backen nicht E-Book

Karin Koenicke

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Beschreibung

Er liebt dröhnende Motoren und hartes Training - doch nun soll er für eine süße Konditorin Eischnee schlagen?

Ein Konditor-Wettbewerb ist DIE Chance für Jasmin, das Café Woll-Lust zu retten. Sofort entwirft sie ausgefallene Cupcake-Kreationen und hat gute Gewinnchancen. Doch dann bricht ihr dieser dämliche Karate-Protz Thore, der seine Kräfte nicht im Griff hat, drei Finger. Eine Katastrophe! Aufgeben kommt für Jasmin nicht infrage. Sie wird weiterbacken und zwar mit einem Assistenten an der Tortenspritze: Thore! Der brettert normalerweise mit seinem Motorrad durch die Gegend und stemmt Gewichte. Doch nun soll er lernen, seine Bärenkräfte zu beherrschen und ein Ei zu trennen. Also echt, so etwas kann man einem harten Kerl doch nicht zumuten! Rosa Zuckerguss, Marzipanblümchen und Jasmins warmes Lächeln setzen ihm allerdings mehr zu als sein härtester Karategegner. Wie stark ist er nun wirklich?

Auch als Hörbuch erhältlich!

Viel Spaß bei den Wohlfühlbüchern rund ums Café Woll-Lust!
HARTE KERLE HÄKELN NICHT Er hat knackige Muskeln, einen eisernen Willen, den schwarzen Gürtel – und das Letzte, was er braucht, sind seltsame Gefühle für diese kunterbunte Häkelfee!
Harte Kerle backen nicht Er liebt dröhnende Motoren und hartes Training - doch nun soll er für eine süße Konditorin Eischnee schlagen?
HARTE KERLE TANZEN NICHT Er hat den härtesten Job der Welt - doch ein sexy Hüftschwung gehört nicht zu seinem Programm!

HARTE KERLE LÜGEN NICHT Die halbe Stadt holt sich bei ihm Liebestipps. Doch bei der Frau, für die sein Herz schlägt, blitzt er gnadenlos ab.

Alle Romane sind in sich abgeschlossen und können ohne Vorkenntnisse gelesen werden.

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Harte Kerle backen nicht

 

 

 

 

von

Karin Koenicke

 

 

Erstausgabe im September 2020

 

Alle Rechte bei Verlag/Verleger

 

Copyright © 2020

by Karin Koenicke

Primelstr. 9 85386 Eching

Cover: Rebecca Wild

www.karinkoenicke.de

Mail: [email protected]

 

 

 

 

 

 

 

1. Drei Männer in Orange

2. Bills Biker Box

3. Die Karten lügen nie

4. Suzies Höhle

5. Löwenbabys zum Vernaschen

6. Wartezimmerblues

7. Muckis und Marzipan

8. Löwenbabys

9. Totenkopf zum Aufkleben

10. Back-TV

11. Ricardo hat Hunger

12. Whisky-Talk

13. Gyros mit Schokoguss

14. Ein Mann mit vielen Talenten

15. Hufeisen-Talk

16. Waldfee und Waldschrat

17. Fügung des Schicksals

18. Sahne-Schnittchen

19. Der Narr und der Stern

20. Besuch

21. Schwarzer Kaffee

22. Spiegelbild-Überraschung

23. Bittere Zahlen

24. Skala gesucht

25. Born to be wild

26. Höllenfeuer

27. Erdnusskekse

28. Der Stern irrt nie

29. Epilog

Deine Geschenke!

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Weitere Romane

 

 

Kurzbeschreibung

 

Kurzbeschreibung:

 

Er liebt dröhnende Motoren und hartes Training – doch nun soll er für eine süße Konditorin Eischnee schlagen?

 

Ein Konditor-Wettbewerb ist DIE Chance für Jasmin, das Café Woll-Lust vor dem drohenden Ruin zu retten. Natürlich entwirft sie sofort die ausgefallensten Cupcake-Kreationen und hat gute Gewinnchancen. Doch mitten im Vorentscheid bricht dieser dämliche Karate-Protz Thore, der seine Kräfte nicht im Griff hat, ihr drei Finger. Eine Katastrophe! Aufgeben kommt aber für Jasmin nicht infrage. Sie wird auf jeden Fall weiterbacken, und zwar mit einem Assistenten an der Tortenspritze: Thore!

Der brettert normalerweise mit seinem Motorrad durch die Gegend und stemmt Gewichte. Doch nun soll er lernen, seine Bärenkräfte zu beherrschen und ein Ei zu trennen. Also echt, so etwas kann man einem harten Kerl doch nicht zumuten! Rosa Zuckerguss, Marzipanblümchen und Jasmins warmes Lächeln setzen ihm mehr zu als sein härtester Karategegner. Wie stark ist er denn nun wirklich?

1. Drei Männer in Orange

 

 

Jasmin

 

 

Fröhlich vor sich hinsummend ließ Jasmin warmen Schokoguss auf die Walnuss-Cupcakes fließen. In der Küche des Café Woll-Lust roch es heute so phantastisch, dass sie am liebsten Tag und Nacht gearbeitet hätte. Der Duft frisch gebackener Zimt-Macarons mischte sich mit dem zitronigen Aroma des Toppings für die Bella-Italia-Törtchen, die sie als Nächstes fertigstellen würde. Und auf einem sonnigen Plätzchen vor dem Schaufenster gärte ein Orangen-Hefeteig fröhlich vor sich hin. Jasmin atmete tief ein. Gab es einen besseren Beruf als Konditorin? Nie im Leben. Für sie zumindest nicht, sie würde vertrocknen wie ein zu lang im Ofen gelassenes Baiser, wenn sie in einem Büro sitzen müsste. Hier hingegen konnte sie sich nach Herzenslust austoben bei Marzipan, Buttercreme und federleichten Biskuitrollen, dazu war sie auch noch fast ihr eigener Chef. Besser ging es nicht.

Ein Blick auf die Wanduhr verriet ihr, dass es schon kurz vor zehn Uhr am Vormittag war, bald würden die ersten Gäste das Café Woll-Lust betreten und konnten sich dann gleich über ihre neuste Kreation hermachen.

„... I think to myself: what a wonderful wööörld“, sang sie halblaut, während sie ein hellbraunes Macaron auf die Muffins klebte, mit der Tortenspritze am oberen Rand Augen hinzufügte und eine glänzende, knallrote Nase auf den zarten Keks setzte.

Ihre Freundin Valerie, die mit ihr zusammen das Häkelcafé betrieb, kam heran und beugte sich über die Arbeitsfläche. Sie runzelte beim Anblick der Macaron-Muffins die Stirn und sah Jasmin fragend an.

„Sei mir nicht böse, aber was du da machst, sieht aus wie ein – naja – ein Rentier!“, sagte sie.

Jasmin nickte freudig. „Genau! Das sind meine neuen Rudolph-Cupcakes. Schau, sie bekommen jetzt noch das Geweih.“ Stolz lächelnd zog sie eine Schale heran, nahm zwei Teilchen heraus und klebte sie vorsichtig auf den Schokoladenspiegel.

„Moment mal, sind das allen Ernstes Salzbrezeln?“ Valerie klang ein klein wenig entsetzt.

„Klar!“, erwiderte Jasmin ungerührt. „Nussmuffins mit Zimtmacarons im Rentier-Design, das Geweih schaut doch super aus, findest du nicht?“ Die Tierchen waren richtig gut gelungen, fand sie. Seit sie irgendwo über ein Foto der witzigen Rentier-Gesichter gestolpert war, geisterten die in ihrem Kopf herum. Und heute hatte sie sie endlich gebacken, inklusive Geweih.

Ohne zu antworten, machte Valerie einen Schritt zurück, neigte den Kopf zur Seite und betrachtete die Rudolph-Cupcakes erneut. „Sie sehen schon sehr goldig aus, klar. Aber Jasmin, ist dir denn klar, dass wir Juli haben und nicht Dezember?“

„Genau das ist der Witz an der Sache!“ Sie hatte sich das selbstverständlich gut überlegt, das war ihr Job. Und für den tat sie alles. „Amarena-Schnitten oder Blaubeertörtchen macht doch im Sommer jeder, das ist langweilig. Das Café Woll-Lust hingegen ist seiner Zeit voraus. Du wirst sehen, die Gäste werden diese schnuckeligen Rentiere lieben. Außerdem stand heute in meinem Horoskop, ich soll neue Wege einschlagen.“ Es gehörte zu ihrem Morgenritual, die Ratschläge der Sterne zu checken. Die hatten nämlich immer recht, auch wenn man sie manchmal nicht auf Anhieb verstand. Heute jedoch war die Anweisung so glasklar gewesen wie frisches Eiweiß.

„Neue Wege gehen, aha. Und das tust du mit Salzbrezeln?“

Jasmin lachte, als sie Valeries skeptischen Blick sah. „Vertrau mir“, sagte sie und widmete sich dem nächsten Geweih.

Valerie war die beste Freundin, die man sich nur vorstellen konnte, aber manchmal mangelte es ihr an Phantasie. Ja, sie war leider eine unerschütterliche Realistin. Nicht mal an die Tarot-Karten glaubte sie, obwohl ihr die deutlich vorhergesagt hatten, dass Greg der Richtige für sie war. Das müsste doch eigentlich selbst den letzten Zweifler überzeugen! Okay, selbst Jasmin hatte sich nicht vorstellen können, dass Valerie und der Karatetrainer zusammenfinden würden, aber sie waren glücklich miteinander und das war das einzig Wichtige.

„Seit wir die neue Küche haben, blühst du ja tortentechnisch noch mehr auf“, stellte Valerie fest, „und ich hätte nicht gedacht, dass da überhaupt eine Steigerung möglich ist.“

„Ich liebe unsere Küche!“, rief Jasmin euphorisch und sah sich wieder einmal um. Es war wirklich ein Schmuckstück, was da entstanden war. Da Greg sein Karate-Studio erweitert hatte und seine Kurse größtenteils in anderen Räumen abhielt, hatten sie einen Teil seines Dojos abtrennen und dort eine Küche einbauen lassen. Und sie war ein Traum! Jasmin konnte noch immer nicht glauben, dass sie so viel Platz für ihre diversen Küchenmaschinen, Schüsseln, Tortenspritzen und Vorräte hatte. Und erst der moderne Backofen in Augenhöhe, bei dem sie jeden Muffin beobachten und zum genau richtigen Zeitpunkt herausnehmen konnte!

„Das hoffe ich“, brummte Valerie. „Die hat uns nämlich an den Rand des Ruins gebracht.“

„Aaach“, gab Jasmin gut gelaunt zurück. „Wir haben den Kredit ruckzuck zurückgezahlt, wirst schon sehen. Mit den neuen Flyern und der Mundpropaganda wird das Café weiterhin gut laufen.“ Daran gab es doch überhaupt nichts zu zweifeln. Sie klebte das nächste Macaron als Gesicht auf das Rudolphmuffin und überlegte, noch irgendwas Schwedisches zu backen, als Motto sozusagen. Eine Villa-Kunterbunt-Torte zum Beispiel. Oder zwei Hefezöpfe als Pippi Langstrumpf-Frisur. Sie folgte Valerie nach nebenan ins Café.

„Wir könnten eine schwedische Woche machen“, rief sie der Freundin zu, die eine Serviette zurechtrückte, anschließend die Café-Tür öffnete und mit einem Keil fixierte, damit die Frühstücksgäste hereinkommen konnten. „Und das Ganze bewerben mit Kühlen Sie sich ab mit unseren skandinavischen Köstlichkeiten!, das kommt bei dieser Hitze bestimmt gut an. Ich mache sogar echt-schwedisches Brombeer-Eis.“

„Es gibt dort Brombeeren?“, fragte Valerie überrascht.

Jasmin grinste. „Keine Ahnung, aber wenn ich es Brömmabjörna nenne, glauben die Leute das sofort. Obwohl es ein bisschen nach Möbelhaus klingt.“

Valerie lachte laut. „Du bist echt durchgeknallt“, sagte sie und es klang wie ein Kompliment.

Eine Gruppe junger Frauen mit Kinderwagen kam durch die Tür. Sie suchten sich den größten Tisch aus, bestellten eine Runde Latte Macchiato und zogen ihre Stricksachen hervor. Valerie begutachtete die Babysöckchen und empfahl die extra weiche Schurwolle, die sie neu im Sortiment hatten. Das breite Regal mit Wolle, Nadeln und Handarbeitszeitschriften fand bei den Kunden regen Zuspruch. Dass zwei der Kleinkinder inzwischen auf dem Boden herumkrabbelten, brachte Jasmin zum Schmunzeln. Wenn die an die Körbe kamen, die das Café für die Strick- und Häkelsachen der Gäste bereitstellte, wurde es bestimmt lustig.

Draußen auf der Straße ratterte ein kleiner Lastwagen heran und parkte direkt vor dem Café Woll-Lust. Drei Männer in Orange-Braun stiegen aus.

„Oha, jetzt kommen die Jungs vom Straßenbauamt schon zum Frühstücken zu uns“, freute sich Jasmin und überlegte, was die wohl essen würden. Bestimmt ein deftiges Omelette. Mit Zwiebeln. Was die süßwürzige Geruchskomposition zerstören würde. Nein, das konnte sie nicht zulassen. Sie zupfte sich eine Locke zurecht und zog ihr Shirt ein wenig nach unten, damit ihr üppiges Dekolleté besser zum Vorschein kam. Zusammen mit einem strahlenden Lächeln genügte das oft, um Männern klarzumachen, dass sie doch viel mehr Appetit auf einen heißen Chili-Mandel-Taler mit Thymianhonig-Guss hatten als auf Rührei mit Speck.

Auch Valerie starrte interessiert aus dem Fenster. Dabei war die ja im Gegensatz zu ihr selbst gut versorgt mit einem Kerl. Machte aber nichts, denn Jasmin hatte Beziehungen abgeschworen. Nach dem Desaster mit Bernhard war ihr endgültig klargeworden, dass sie sich grundsätzlich immer in den Falschen verliebte. Sie war einfach viel zu anfällig für Komplimente oder Liebesschwüre, ließ sich mit irgendwelchem Süßholzgeraspel ganz schnell einlullen und verlor am Ende ihr Herz an irgendwelche Blender. Nein, nein, darauf konnte sie verzichten. Man lebte schließlich auch ohne Mann sehr gut. Sie hatte erst am Wochenende ihr Pendel befragt und das hatte ihr geraten, ihr Heil im Beruf zu suchen. War sowieso besser so, da wurde man weder verletzt noch enttäuscht, man konnte die Dinge selbst steuern und verdiente auch noch Geld, statt welches an irgendeinen Typen zu verlieren.

Außerdem war keiner der drei Arbeiter eine echte Augenweide. Zwei davon schauten sogar noch mürrischer drein als dieser Thore, der kleiderschrankmäßige Freund von Greg, und das wollte etwas heißen.

„Schau mal, die sperren hier was ab!“ Valerie deutete auf die Flatterbänder, die die Männer über den Gehweg zogen. Dann verteilten sie auch noch großzügig Pylonen auf der Straße, sodass kein Auto mehr durchfahren konnte.

„Was soll denn das? Ich dachte, die kommen zum Frühstück zu uns. Komm, wir fragen mal.“ Jasmin versorgte den Tisch der jungen Mütter noch schnell mit Muffins und Cupcakes, dann ging sie mit Valerie hinaus.

Der Kleinste des Trios schien der Boss zu sein, denn er gab den anderen Anweisungen. Jasmin setzte ihr allersüßestes Blondinenlächeln auf, das selten seine Wirkung verfehlte, und strahlte den Bauarbeiter an. „Guten Morgen!“, begrüßte sie ihn freundlich, „Wir kommen von dem Café dort drüben. Zieht denn hier heute jemand um, weil ihr die Straße absperrt? Oder gibt es eine Demo?“

Noch bevor der Bauarbeiter antworten konnte, kam ein gut gekleideter Mann aus dem Laden nebenan und stellte sich neben Jasmin. Das war Mister Madbatter, der nebenan einen schrägen Hutladen betrieb, und sich jeden Tag seinen Tee im Café gönnte.

„Yes, certainly, das wird es sein“, sagte er mit seinem britischen Akzent, „eine Demonstration! Womöglich für ein viertes, noch höheres Klettergerüst auf dem Spielplatz und eine extrasteile Rutschbahn speziell für junge Väter. Darüber haben sich zwei meiner Kundinnen unterhalten. Eine plädierte sogar für einen Looping. Ihr Mann fühlt sich offenbar unterfordert bei den üblichen Spielgeräten und weigert sich aus Gründen der Maskulinität strikt, mit seinem Sohn Sean-Joel eine Wippe zu benutzen.“

Zu dritt sahen sie den Bauarbeiter fragend an.

Der wandte sich ihnen nur mit einem kurzen Blick zu. Dann warf er ihnen ein einziges Wort hin, an dem sie erst mal zu kauen hatten.

„Kanalarbeiten“, brummte er schlecht gelaunt. „Hat die Stadt doch geschrieben“, fügte er hinzu.

Jasmin fuhr herum und sah Valerie an. Davon wusste sie ja gar nichts! Die kratzte sich an der Schläfe. „Hm, ich weiß gar nicht mehr. Wir hatten so viele Rechnungen wegen der Küche, da hab ich irgendwie den Überblick verloren bei so was.“

„Ah, doch, da war was“, erinnerte sich Mister Madbatter. „Ich habe aber nicht alles verstanden, Beamtendeutsch. Irgendwas von Erschließung und Revisionsschacht, ich kenne diese Wörter leider nicht.“

„Gibt nix zu verstehen“, schnarrte der Mann in Orange. „Hier wird alles aufgerissen, Rohre neu verlegt. Kann dauern.“

Klang irgendwie nicht so toll. Jasmin schaute zu Valerie und die sah aus, als wäre ihr mit einem Mal das ganze Blut aus dem Gesicht gefallen. War ein bisschen unheimlich. Valerie steigerte sich aber auch immer gleich so rein in alles, deshalb legte ihr Jasmin einen Arm um die Schulter. Es war doch ganz bestimmt nichts so Schlimmes.

Immer noch lächelnd wandte sich Jasmin dem Arbeiter zu. Mit den modernen Maschinen konnte es ja wohl keine große Sache sein, ein Stück Rohr auszutauschen. „Wie lange denn genau? Bis heute Nachmittag? Oder wird da morgen auch noch gearbeitet?“

Wäre ja schon irgendwie doof, wenn die Gäste am Nachmittag nicht in die Straße fahren und vor dem Café parken konnten. Immerhin brauchten sie im Moment jeden Cent, den sie Umsatz machten.

Seltsamerweise lachte der Bauarbeiter. Sehr laut sogar. Er hörte gar nicht mehr auf. Jasmin bekam eine Gänsehaut an den Ellbogen und das verhieß nie etwas Gutes.

„Klasse Joke!“, sagte er glucksend. „Ihr seid ja echt witzige Vögel, wir sollten uns wohl öfters bei euch ein Schinkenbrot holen. Die Straße wird vier Wochen gesperrt, Minimum! Und macht euch auf ordentlich Krach gefasst.“

Jasmin starrte ihm sprachlos hinterher, als er sich wieder seinen Mitarbeitern zuwandte.

„Vier Wochen?“, krächzte Valerie und schwankte bedrohlich. „Das ist eine Katastrophe!“

„For heaven‘s sake“, fiel Mister Madbatter in seine Muttersprache zurück. „Einen Monat lang keine Laufkundschaft, keine Parkplätze und dazu Lärm? Ah, mir fällt eben ein, es kommen ja auch noch Kosten auf uns zu! Nicht erfreulich, wirklich nicht erfreulich. Ich schätze, ich brauche dringend einen Cupcake zur Stärkung.“

Er schüttelte seinen grauhaarigen Kopf und machte ein paar Schritte aufs Café zu. Während Jasmin wie versteinert war, lief ihm Valerie hinterher. „Was meinen Sie mit Kosten?“, rief sie schrill.

„In dem Schreiben stand etwas“, sagte er, als auch Jasmin schließlich näher kam. „Ich habe mir nicht alles gemerkt, Sanierungsarbeiten oder so etwas. Für irgendwelche Schächte, die untersucht werden, was immer das bedeutet. Und dass die Kosten von uns zu tragen sind. Mir fällt ein, ich habe das mal von einem Kunden gehört, das sind einige tausend Euro, die da zusammenkommen.“

Jasmins Mund war trocken wie ein Zwieback. Und sie hasste Zwieback. „Aber …“, begann sie, doch ihre Stimme versagte und sie musste sich erst räuspern. „Aber wir haben keine mehrere tausend Euro. Und wenn einen Monat lang keine Gäste kommen, ist das unser Ruin!“ Ihr Ellbogen kribbelte immer noch wie verrückt. Das verhieß absolut nichts Gutes.

Sie sah Valerie an. Die war doch Realistin, die hatte sicher eine Idee. Ja, Valerie war eine Frau der Tat, sie hatte gewiss schon eine Lösung parat!

Doch die Freundin zitterte sichtbar. „Vielleicht haben wir uns ja doch übernommen mit dieser tollen Küche“, flüsterte sie erstickt. „Und jetzt ist alles vorbei.“

Jasmin drehte den Kopf und schaute ins Café. Fliederfarben strahlten die Wände in der Vormittagssonne, die Rattanmöbel warteten auf die nächsten Gäste, jede Menge Blumenampeln, die von der Decke hingen, verbreiteten freundliche Stimmung, das Wandregal war proppenvoll mit bunter Wolle und die besten Cupcakes der Stadt drängten sich auf dem Tresen, einer wundervoller als der andere.

Alles vorbei? Auf keinen Fall. So etwas würde sie niemals zulassen. Sie straffte die Schultern, richtete sich auf und warf den Bauarbeitern einen vernichtenden Blick zu.

„Nein“, sagte Jasmin und ihre Stimme war auf einmal fester als der härteste Mürbteigboden, „ich gebe nicht auf. Niemals! Das ist unser Café, unser langjähriger Traum, und wir werden eine Lösung finden. So wahr ich Jasmin Haase heiße!“

2. Bills Biker Box

 

 

Thore

 

 

Thore schüttelte innerlich den Kopf, als er den Schraubenzieher in die Hand nahm und auf die Kawasaki Z1300 zuging, die heute als Erste auf seiner Hebebühne stand. Sicherheitshalber schaute er noch einmal auf den Reparaturplan, weil er den Auftrag nicht glauben konnte, aber es stimmte: Die Sitzheizung funktionierte nicht. War das zu fassen? Da brachte jemand allen Ernstes seine Maschine zum Reparieren in Bills Biker Box, weil mitten im Sommer sein Hintern nicht warm wurde? Wollte der auch im Juli seine Eier durchbraten lassen? Also echt, solchen Leute sollte man sofort den Führerschein entziehen.

„Morgen, Jungs!“, dröhnte die Stimme des Chefs durch die Werkstatt. Bill, der eigentlich Willibald hieß, das aber gern geheim hielt, stiefelte gut gelaunt durch die kleine Halle.

Thore hasste es, wenn der Boss so gut drauf war. Dann schaltete der nämlich immer das Radio ein und verpestete die Werkstatt den ganzen Tag über mit „Oldies but Goldies“ oder so‘n Scheiß. Er wollte lieber in Ruhe arbeiten, irgendwelches Gedudle brauchte er dabei nun wirklich nicht, Musik war sowieso nicht sein Ding.

„Morgen, Boss“, rief sein Kollege Mirko sofort über die Honda hinüber, an der er gerade schraubte. „Gut geschlafen?“

„Schleimer“, brummte Thore vor sich hin und nickte seinem Chef kurz zu, das genügte doch wohl.

Er mochte Bill. Und das, obwohl der eine schrecklich peinliche – da rundum golden lackierte – Chopper fuhr. Mit einer Vordergabel von der Länge eines Laternenmasts, aber bitte, wem es gefiel … Bill war in Ordnung. Er ließ ihn in Ruhe, redete nicht viel, stellte keine dämlichen Fragen.

Nur heute trug der so ein nervig zufriedenes Grinsen im Gesicht mit sich herum, wahrscheinlich hatte die Bank ihm einen Dankesbrief zur ersten Million geschickt, seine Freundin gestern die Unterwäsche vergessen oder er in einem alten Hanuta einen Rudi-Völler-Aufkleber zum Panini-Sammelalbum von 1990 gefunden.

„Alles klar bei dir, Thore?“, fragte Bill und kam näher, während er ein Duplo aus dem Papier schälte. Eines ohne Sticker offenbar. „An was bist du dran?“

„Heizung“, antwortete er knapp. „Der Besitzer der Maschine hat Angst, dass er sich jetzt im Juli bei einer abendlichen Fahrt die Eier abfriert.“

Bill lachte. „Tja, manche wollen es halt gemütlich.“

Thore schnaubte verächtlich. „Ich wette, der fährt eh nur von Mai bis August. Schätze, ich überprüfe auch gleich noch die beheizbaren Griffe. Kann ja beim Lenken irrsinnig kalt werden in Sommernächten.“

„Mach das.“ Bill grinste zufrieden. „Aber behalt deine Sprüche für dich, wenn der Besitzer sein Baby abholt.“

„Klar. Ich mach den Job ja nicht seit gestern.“ Okay, manchmal gingen ihm die Gäule durch und er konnte zumindest seine Mimik nicht beherrschen, wenn so ein verweichlichter Schnösel daherkam. Aber meistens bemühte er sich, denn er war froh um den Arbeitsplatz.

Bill deutete auf sein Büro. „Hey, Vicky hat uns heute Kuchen mitgebracht, die Kleine hat Geburtstag. Um zehn setzen wir uns kurz zusammen.“

„Schön für sie“, knurrte Thore. Er hatte nicht viel übrig für gemütliches Beisammensein. Und für Süßkram noch viel weniger.

Vicky allerdings war der Lehrling hier und ziemlich okay. Na ja, sie war schon Anfang 20, hatte vorher irgendwas mit Medien gemacht, sich aber jetzt entschlossen, bei Bill eine Ausbildung durchzuziehen. Mirko nannte sie ständig „AzuBiene“, das fand er wohl witzig, als Einziger. Zum Glück stand Vicky da drüber, sie war ein angenehm wortkarges, bodenständiges Mädel mit größtenteils abrasierten Haaren, einem Tribal Tattoo auf der Schulter und einer in die Jahre gekommenen Suzuki. Manchmal quatschte Thore mit ihr ein paar Sätze, zum Beispiel über die Ducati, von der sie träumte, oder über die neuen Scheinwerfer der BMW-Supersportler. Was man halt so sprach mit Frauen. Thore dachte eine Schraubenzieherumdrehung lang über sie nach. Gut möglich, dass er sie mal mit heimnahm. Frauen, die kaum redeten, mochte er, die verstanden, dass es nur um Sex ging. Und nicht um ein gemeinsames Frühstück oder gemeinsames Leben oder so Unsinn.

Aber erst mal konzentrierte er sich auf den Sitz beziehungsweise die Heizung, bei der sich ein Kabel gelockert hatte. Als er fertig war, checkte er den Rest der Maschine natürlich auch noch durch. Bills Biker Box hatte nicht umsonst einen hervorragenden Ruf in der Szene. Anschließend machte er sich an eine Enduro, deren Vorderreifen einiges abbekommen hatte. Er bastelte noch daran herum, da rief Bill seinen Namen.

„Los geht‘s, Thore, der Kuchen wartet.“

Unwillig legte er das Werkzeug weg und machte sich auf den Weg zum kleinen Büro des Chefs. Als er eintrat, stand Vicky gerade am Tisch, vor sich eine Sahnetorte, und versenkte ein langes Küchenmesser darin.

„Willst du ihr nicht gratulieren?“, fuhr Mirko, dieser aufgeblasene Möchtegern-Casanova, ihn an.

Vicky sah auf.

„Ja. Alles Gute und so. Du weißt schon“, presste er hervor. In sowas war er nie gut gewesen. Außerdem konnte er es auch selbst nicht leiden, wenn die Leute ihn zum Geburtstag mit so dummen Sprüchen quälten wie `bleib, wie du bist` oder `ganz viel Glück und Gesundheit wünsch ich dir`. Das war doch alles Bullshit. Ändern konnte man sich sowieso nicht, also blieb einem gar nichts anderes übrig, als zu bleiben, wie man nun mal war. Für die Gesundheit war man auch selbst zuständig. Hintern bewegen, kein leeres Zuckerzeug mampfen und immer mal über die eigenen Grenzen gehen, das half. Und was das Glück anging: Daran glaubte er schon seit vier Jahren nicht mehr. Genauso wenig wie an Gerechtigkeit. Das war alles leeres Gelaber von Menschen, die keine Ahnung vom echten Leben hatten.

Vicky lachte. „Passt schon, Thore. Schau, ich hab hier gleich ein Stück für dich. Keine Angst, ist nicht von mir, sondern vom Bäcker. Ich hab gefeiert und hatte keine Zeit, um in der Küche zu stehen.“

Sie verfrachtete das Riesensahnetortenstück auf einen Teller und wollte es ihm geben, doch er schüttelte den Kopf.

„Ich ess nix Süßes“, sagte er.

„Komm schon!“, nervte Mirko schon wieder los. „Sie hat Geburtstag! Und extra was gekauft für uns, das kannst du doch nicht machen.“

Thore atmete tief ein, um ruhig zu bleiben. Was interessierte es diesen Idioten, was er zu sich nahm? Sollte der sich doch vollstopfen, bis er seinen Kessel nicht mehr auf eine Maschine schwingen konnte!

„Grundsätzlich nicht!“, erklärte er mit Nachdruck.

Torte war etwas für kleine Mädchen. Oder für Frauen wie die Stricklieseln im Café Woll-Lust, die waren wahrscheinlich deshalb immer so aufgedreht, weil sie einen Dauer-Zuckerschock hatten. Schlimm genug, dass Greg sich mit Valerie, der Häkeldomina, eingelassen hatte. Aber dieses Goldlöckchen Jasmin war auch nicht besser, die lebte ja förmlich für ihre knallbunten Cupcakes. Thore drehte sich der Magen um, wenn er nur an die niedlich verzierten Törtchen dachte. Echtes Essen, das war ein saftiges Steak, aus dem noch der rote Bratensaft floss. Rührei mit Schinken. Hühnchenbrust auf Brokkoli für viel Eiweiß und Vitamine. Aber doch keine hellblauen Marzipanröschen!

Um sich abzulenken, schenkte er sich einen Kaffee ein, schwarz natürlich.

Mirko flirtete wie ein wild gewordener Affe mit Vicky, machte ihr Komplimente, die süßer waren als die Sahnetorte. Sie wirkte nicht besonders beeindruckt, machte sogar ein paar Schritte auf Thore zu, um vor ihm zu flüchten. Armes Ding.

Er wollte gerade eingreifen mit einem kantigen Spruch, da hupte es draußen vor der Werkstatt.

Bill setzte seinen Teller ab. „Das ist der Abschleppwagen, der hatte schon angekündigt, dass er eine Maschine bringt. Unfall-Bike. Wer von euch kann das Ding noch heute reinschieben?“

Mirko war plötzlich mächtig an dem Wandkalender mit Landschaftsbildern hinter ihm interessiert, also nickte Thore dem Boss zu. „Ich krieg das hin, der soll den Bock zu meiner Hebebühne schieben.“

„Gut.“ Bill ging nach draußen, Thore und die anderen tranken noch aus und folgten ihm dann.

Die Maschine, die der Abschlepper heranschob, war ordentlich lädiert. Beide Scheinwerfer waren Geschichte, der Vorderreifen eine Acht, die Seitenverkleidung eingedrückt. Thore blieb stehen und starrte sie an. Das alles wäre kein Problem gewesen. Etwas anderes aber schon.

„Das ist eine Moto Guzzi“, sagte er und seine Stimme klang, als käme sie vom anderen Ende der Werkstatt. „Die mach ich nicht.“

Bilder stürzten auf ihn ein. Schreckliche Bilder. Sein Atem ging schnell, als er mit aller Macht gegen die Erinnerung ankämpfte. Weg damit! Er durfte nicht daran denken, sie mussten wieder zurück in die Versenkung!

„Jetzt hör mal auf mit dem Scheiß“, mischte Mirko sich ein. „Ich kann auch nicht daherkommen und sagen: `oh, eine rote Maschine repariere ich grundsätzlich nicht, ich mag die Farbe nicht`. Du hast dich gemeldet, also machst du sie.“

Dieser verdammte Bastard! Thore schnaubte. Er machte zwei Schritte auf Mirko zu. Dem Mistkerl sollte man mal richtig die Fresse polieren! Ein gezielter Karateschlag und er würde ungefähr genauso aussehen wie die kaputte Moto Guzzi.

„Thore braucht die Maschine nicht dranzunehmen“, dröhnte Bills laute Stimme vom Werkstatttor herüber. „Lass ihn in Ruhe, Mirko. Mach du deine Sachen, die Guzzi knöpfe ich mir selbst vor.“

Mirko verdrehte so theatralisch die Augen, dass Thore immer noch den fast unbezwingbaren Drang verspürte, ihm eine reinzuhauen. Oder auch zwei. Aber er war Schwarzgurt und ein Schwarzgurt konnte sich beherrschen. Meistens zumindest.

Er fluchte stumm und ging zurück zu seinem Arbeitsplatz.

Den Rest des Tages arbeitete er stumm vor sich hin. Vicky assistierte ihm beim Ölwechsel, sie lernte schnell, wo sie hingreifen musste. Natürlich fehlte ihr bei manchen Sachen die Kraft, jetzt gerade mühte sie sich an einer Schraube ab, die er mit Leichtigkeit aufzog.

Sie musterte dabei seinen Bizeps. „Sag mal, hebst du eigentlich jeden Abend deine Maschine zehnmal hoch, oder wieso schaust du so aus?“

Thore musste grinsen. „Ich war als Teenie Gewichtheber“, erklärte er. „Hab erst vor zehn Jahren umgesattelt auf Karate.“

„Du trainierst aber noch, oder? Solche Muckis bleiben schließlich nicht von allein. Du bist keine zwanzig mehr.“

Ein alter Sack war er aber auch noch nicht! Sondern bestens in Schuss für seine zweiunddreißig Jahre. „Klar. Mache jeden Tag Übungen“, brummte er.

„Verstehe“, sagte sie und wandte sich wieder dem Bike zu.

Er begutachtete ihr Tattoo, während sich ihr Arm bewegte. Sah nicht schlecht aus. Einen kurzen Moment überlegte er, ob er sie auf eine Spritztour einladen sollte. Die 130 PS seiner Triumph würden sie sicher beeindrucken. Sein gestählter Oberkörper womöglich auch. Aber irgendwie hatte er keine Lust darauf.

Riss er sich eine angetrunkene Bikerin in Suzies Bar auf, war die Sache klar. Man hatte Spaß miteinander, geredet musste dabei nicht werden, am nächsten Morgen oder noch in der Nacht verkrümelte man sich. Aber bei einer Frau, der man täglich über den Weg lief, wurde es kompliziert und so was konnte er nicht leiden. So lange er gesunde Hände hatte, brauchte er keine Frau, basta.

Als er fertig war mit der letzten Reparatur, warf er Vicky ein „Feiere nicht zu viel“ hin, würdigte Mirko keines Blickes und nickte Bill dankbar zu, der noch immer mit der Guzzi beschäftigt war. Er warf sich in seine Klamotten, setzte den Helm auf und schwang sich auf seine Maschine.

Das tiefe Wrooom, das sie zur Begrüßung von sich gab, beruhigte ihn. Ja, dieses Baby war das einzige weibliche Wesen, das ihn glücklich machen konnte. Er wohnte am anderen Ende der Stadt, hatte aber keine Lust auf den Feierabendverkehr. Also rauf auf die Landstraße, die gleich hinter Bills Biker Box begann. Er gab Gas. Der gewaltige Schub der Triumph ließ ihn nach vorne schießen, pulverisierte den Audi, den er gerade überholt hatte. Pure Geschwindigkeit. Der Fahrtwind presste gegen seinen Helm, seine Hände vibrierten auf dem Lenker. Die erlaubten hundert überschritt er locker, aber das war egal. Hier standen keine Bullen, die waren um diese Uhrzeit in der Innenstadt beschäftigt. Sein Bock dröhnte wohlig los, als er beschleunigte. Wieder schoss er an drei Autos vorbei, nur ein Handgriff und das Bike zog sofort an.

Endlich die erste Kurve. Thore neigte die Maschine zur Seite, tief zur Seite, zog sie im vollen Tempo um die Biegung, das Knie fast am Boden.

Das war Freiheit.

Das war Leben.

Wenngleich es auf diese Art schnell vorbei sein konnte. Genau das gefiel ihm.

Denn im Grunde wäre es nur fair, wenn er eines Tages eine Kurve nicht mehr ganz packte.

3. Die Karten lügen nie

 

 

Jasmin

 

 

Das gesamte Café Woll-Lust vibrierte. Aber nicht, weil die Aura von fünfzehn begeisterten Gästen es zum Schwingen brachte, sondern aus ganz banalen Gründen. Und Bestellungen waren eine Herausforderung für die Stimmbänder.

„Für mich einen Eiskaffee mit Ahornsirup“, schrie Roberta in einer Lautstärke, die man einer grauhaarigen Dame ihres Alters gar nicht zutrauen würde.

„Kommt sofort“, kreischte Jasmin ebenso laut zurück.

Der Lärm des Presslufthammers raubte ihr den letzten Nerv. Und die letzten Gäste. Außer den drei Cousinen waren keine Kunden im Café. Um zehn Uhr hatten noch ein paar Mamis mit ihren Kinderwagen vorbeigeschaut, aber die Kleinen fingen sofort zu weinen an, als die Höllengeräusche der Bauarbeiten einsetzten. Die Mütter riefen ein paar Bestellungen über den Tresen, packten die Kuchen schnell ein und verschwanden. Wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen.

Verzweifelt schaute Jasmin zu Valerie, die auf ihrem Handy herumwischte. So wie sie dreinsah, kontrollierte sie zum xten Mal den Kontostand. Wenn der so tief war wie ihre Mundwinkel, dann gute Nacht.

„Wir lassen Sie nicht im Stich, Kindchen“, schrie Friederike, und Ottilie nickte eifrig, bevor sie sich wieder über ihre Häkelarbeit beugte. Die drei alten Damen waren Stammgäste und gehörten beim Café Woll-Lust schon zum Inventar. Selbst die Prüfung zum Karate-Gelbgurt hatten sie mit Jasmin und Valerie zusammen abgelegt. Wenngleich der Prüfer da womöglich ein paar Augen zugedrückt hatte.

„Das ist sehr lieb“, erwiderte Jasmin. Aber es half nichts. Mit nur drei Gästen konnte das Café keine schwarzen Zahlen schreiben.

Zumindest dreißig Minuten mussten sie noch überstehen, dann begann die leider viel zu kurze Mittagspause der Bauarbeiter.

Der Anblick, wenn man nach draußen schaute, war katastrophal. Jasmin seufzte tief, weil man es ja sowieso nicht hörte. Die Brentanostraße war komplett gesperrt, der Gehweg nicht benutzbar, den ganzen Tag über ratterten laute Maschinen auf der Straße herum, gruben Löcher hinein und verwandelten die sonst so belebte Straße in eine Baustelle. Unbetretbar.

Ein paar ganz Tapfere quälten sich das schmale Stück auf der anderen Seite entlang, das nicht abgesperrt war, aber es fehlte die komplette Laufkundschaft. Und auch die Stammkunden, die sonst per Auto gekommen waren, blieben mangels Parkplätzen fern. Den Rest vertrieb der Lärm. Wenn das so weiterging, mussten sie Konkurs anmelden! Die Schulden wurden mehr statt weniger. Und die Leute suchten sich bestimmt schnell ein neues Stammlokal, wenn sie so lange nicht hierher kommen konnten.

Jasmin wollte gar nicht daran denken. Nein, man musste das Ganze positiv betrachten! Das war wichtig im Leben. Und darin war sie gut. Neben ihrer Fähigkeit, Kuchenkunstwerke zu zaubern, war das die zweite Sache, in der sie quasi Profi war: Positivdenken. Außer diesen beiden Qualitäten hatte sie vielleicht nicht allzu viel vorzuweisen, fürchtete sie. Aber immerhin waren das zwei Dinge, die sie schon weit gebracht hatten. Plus die spirituellen Helfer natürlich.

Sie holte ihre Handtasche und zog einen kleinen Beutel aus nachtblauem Samt hervor. Da drinnen steckten ihre Tarotkarten, die ihr bei wichtigen Entscheidungen im Leben halfen. Da die drei Cousinen mit ihrem Kuchen und den Handarbeiten beschäftigt waren, hatte sie nichts zu tun und konnte sich wieder einmal die Karten legen.

Als sie die wundervoll verzierten Tarotkarten vorsichtig aus dem Beutel gleiten ließ und zärtlich über ihre Rücken strich, kam Valerie dazu. Sie stellte sich neben Jasmin, um ihr zuzuschauen.

„Du weißt, ich glaube immer noch nicht an so was“, sagte Valerie, „aber ich nehme jeden Strohhalm. Also leg bitte irgendwas, das ein Wunder verheißt! Die Lottozahlen würde ich auch nehmen, wir könnten sechs Richtige gebrauchen.“

„So funktioniert das aber nicht“, erklärte Jasmin geduldig und mischte die Karten. „Man bekommt keine Zahlen. Nur Hinweise.“

Kaum hatte sie alle sorgsam gemischt, schwiegen die Höllenmaschinen. Und zwar just in dem Moment, als sie sie zu einem sauberen Stapel formte! Das war ein Zeichen, keine Frage. Jasmin bekam eine Gänsehaut, denn sie spürte inzwischen, wenn sich eine Prophezeiung ankündigte. Hatte bei der Sache mit dem Leandro-Konzert schließlich auch geklappt.

„Das wird nun unser Schicksal entscheiden“, sagte sie mit tiefer Stimme, weil es so ein heiliger Moment war.

Ihre Hand zitterte, als sie die Karten aufnahm und fächerförmig ausbreitete.

„Ich lege das Keltische Kreuz“, flüsterte sie und fühlte das Prickeln am ganzen Körper. „Das ist eine uralte, weise Methode und sie wird uns den richtigen Weg aufzeigen.“ Dazu brauchte sie zehn Karten, die sie in bestimmter Reihenfolge auslegte. Gleich würden sie wissen, ob es noch Rettung für das Café Woll-Lust gab. Ihre Hand bewegte sich langsam zum Kartenstapel.

Sie hatte noch keine davon gezogen, da öffnete sich die Café-Tür. Mister Madbatter kam herein, gefolgt von zwei Bauarbeitern.

„Hey, macht ihr uns wieder so einen tollen Kaffee wie gestern?“, rief der erste Mann in Orange mitten in die magische Stimmung hinein.

„Und für mich einen Schokomuffin, oder nein, gib mir gleich zwei, ich hab Hunger wie ein räudiger Wolf“, verlangte der zweite.

Mister Madbatter lächelte freundlich und setzte sich an seinen üblichen Platz, wo er seine Zeitung aufschlug.

Also gut. Widerwillig ließ Jasmin die Karten im Stich und machte sich an die Essensbestellungen, während Valerie die Espressomaschine anwarf. Der Hutmacher musste nicht extra was bestellen, sie wusste inzwischen, dass er um diese Zeit gern einen Earl Grey trank und sich Cupcake-mäßig einfach von ihr überraschen ließ.

Als sie seine Tasse und einen Teller mit einem erfrischenden Lemontörtchen vor ihm abstellte, sah er aus der Zeitung auf, ein strahlendes Lächeln im Gesicht. „Camilla kommt in die Stadt, ist das nicht ganz wunderbar?“, freute er sich.

„Camilla?“ Jasmin hatte keine Ahnung, von wem er redete. „Ist das eine Verwandte von Ihnen?“

Er lachte. „Das wäre erfreulich! Aber die Dutchess of Cornwall und ich haben leider keine gemeinsamen Ahnen.“

Es dauerte einen Moment, dann fiel bei Jasmin der Groschen. „Ach, Sie sprechen von der Frau von Prinz Charles? Was macht die denn hier?“ Sie hatte eine ungefähre Vorstellung, wie sie aussah. Aber recht wenig Interesse am englischen Königshaus. Die Royals hatten sicher niemals nervtötende Straßenbauarbeiten vor dem Buckinghampalast, darauf würde sie wetten!

Er setzte sich aufrecht hin und sah sie überrascht an. „Sie besucht natürlich die berühmte Jagdhundzucht-Messe, das Highlight der Veranstaltungen in diesem Jahr. Nicht nur in unserer Stadt, auch im gesamten Bundesland, bin ich geneigt zu sagen! Oder womöglich in der ganzen Republik.“

„Eine Hundeshow?“ Langsam fragte sich Jasmin, ob alle Briten ein klein wenig verschroben waren. So was gab es doch an allen Ecken, wieso musste Camilla Parker-Dingsbums da nach Deutschland kommen?

„Nicht irgendwelche Hunde, sondern ausschließlich reinrassige Jagdhunde!“ Mister Madbatter vergaß vor lauter Aufregung glatt seinen Tee und das Törtchen. „Wunderbare Geschöpfe mit glänzendem Fell, wachen Augen, bestens ausgebildet für die Fuchsjagd oder mit so weichen Schnauzen, dass sie geschossene Wildvögel mit dem Maul aus dem Wasser holen können, ohne das zarte Gefieder zu verletzen.“

„Äh, ja, schön“, erwiderte Jasmin, die sich das nicht genauer vorstellen wollte. „Ich muss leider nach dem Topping für die Amarettomuffins schauen.“

Er nickte und beugte sich wieder interessiert über seine Zeitung. Jasmin floh hinter den Tresen. Weiche Schnauzen wegen Vogelgefieder? „Manchmal ist er mir ein klein wenig unheimlich“, raunte sie Valerie zu, „aber ich mag ihn trotzdem. Er ist ein herrlich schrulliger Nachbar, nicht wahr?“

„Das ist er“, stimmte Valerie zu.

Die Bauarbeiter verdrückten eilig ihre Kuchen, dann verließen sie das Café. Die Cousinen unterhielten sich eifrig mit Mister Madbatter, offenbar fanden sie ebenfalls, dass es eine Sensation war, die holde Camilla in der Stadt zu haben.

„Schnell, so lange es noch ruhig ist, lege ich endlich mein Keltisches Kreuz“, beschloss Jasmin und stellte sich an den Tresen, wo die Tarotkarten noch geduldig im Fächer lagen und darauf warteten, nacheinander gezogen zu werden.

Sie atmete tief durch und konzentrierte sich auf die alles entscheidende Frage, zu der sie sich Hinweise erhoffte. „Bitte, ihr weisen Karten“, sprach sie flüsternd, „zeigt uns einen Weg, das Café und damit unseren Traum zu retten.“

Mit diesem Gedanken tief in ihrem Herzen hob sie den linken Arm und zog zehn Karten aus den gefächerten heraus. Die erste legte sie mit einigem Abstand in die Mitte, die zweite quer darüber, sodass ein Kreuz entstand. Beide lagen verdeckt. Anschließend kam die dritte Karte darüber, die vierte darunter, eine jeweils an die Seiten und die letzten vier daneben, alle mit dem Bild nach unten.

Mit hämmerndem Herzen streckte Jasmin den Arm aus und drehte Karte Nummer eins um. „Das ist die jetzige Situation“, erklärte sie. „Die Karte zeigt den Ist-Zustand. Und schau, es ist Der Gehängte! Der steht für Krise, Stagnation, Ohnmacht. Das passt doch.“

„Na, wunderbar“, kommentierte Valerie das Ganze, verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte nicht überzeugt. Auch nicht, als zwei weitere Karten den schlimmen Zustand des Cafés bekräftigten.

Jasmin ließ sich jedoch nicht ablenken und deckte die nächsten Karten auf.

„Ah, Die Herrscherin! Sie kreuzt unseren Weg. Sie bedeutet Lebenskraft und Lernen, aber auch Eifersucht und Unzuverlässigkeit.“ Jetzt die nächste. „Aber hier! DasSchicksalsrad! Ui, das ist toll. Valerie versteh doch, wir bekommen eine Chance!“

„Soll ich also doch einen Lottoschein ausfüllen? Ich weiß aber immer noch keine Zahlen. Und vier Karten liegen ja hier noch an der Seite.“

Die nahm sich Jasmin jetzt vor. Als sie eine umdrehte, zuckte sie zusammen.

„Der Tod“, flüsterte sie und konnte nicht verhindern, dass ihre Hände zitterten. „Und Der Narr gleich als Nächstes, der sorgt für Chaos.“

„Wird ja immer besser.“ Ungerührt stopfte sich Valerie die nussige Nase eines Rudolph-Muffins in den Mund. Sie hatte einfach keinen Sinn für höhere Mächte, es war schlimm mit ihr. Aber Jasmin wusste, dass die immer Recht behielten, sie fühlte die Macht des Momentes ganz deutlich. Den Tod hatte sie bisher noch nie aufgedeckt und die Karte setzte ihr gewaltig zu.

Jetzt kam es darauf an. Was offenbarten die letzten beiden Karten? Bebend drehte Jasmin die erste um. „Der Stern!“, rief sie freudig. „Der bedeutet Schutz und Hoffnung. Wir werden gerettet, ich wusste es!“ Ach, was für eine Beruhigung. Es war also doch nicht alles vorbei mit dem Café Woll-Lust.

„Und die Letzte?“

Jasmin berührte sie mit den Fingern. Es prickelte, als sie die Kante der Karte anfasste. Und dieses Prickeln lief durch ihren gesamten Körper. Ehrfürchtig wartete sie einen Augenblick ab. Dann war es soweit. Mit einer andächtigen Bewegung drehte sie sie um. Im gleichen Moment begannen draußen wieder die Maschinen zu rattern.

Sie starrte auf die Karte. Mit allem hätte sie gerechnet, aber damit nicht. Obwohl das Bild selbsterklärend war, sprach Jasmin den Namen der Karte aus.

„Die Liebenden“, krächzte sie und hatte keine Erklärung. Was bitteschön hatte diese Karte hier zu suchen? Jasmin starrte eine volle Minute darauf, fand aber keine Erklärung. Ob das mit dem Tarot doch nur alles Unfug war? Nein, das durfte sie nicht denken, bei Valerie hatte auch alles gepasst. Aber vielleicht waren DieLiebenden ja auch nur ein Sinnbild dafür, dass Valerie und sie sich so gut verstanden. Ja, genau, das musste es sein! Die standen ja nicht zwangsläufig für Mann und Frau, sondern konnten auch gute Freundschaften symbolisieren.

Erleichtert schob Jasmin die Karten zu einem ordentlichen Stapel zusammen und verstaute sie im Samtbeutel.

Alles würde gut werden, das konnte sie jetzt deutlich spüren. Das Schicksalsrad, Der Stern, das waren alles untrügliche Zeichen für einen positiven Ausgang. Manches im Tarot konnte sie nicht so ganz einschätzen, aber es würde sich ihr offenbaren, so war es immer.

Langsam wurde es Zeit, sich um das Amaretto-Topping zu kümmern. Auch wenn nur wenige Gäste kamen – sie war immer noch die beste Konditorin der Stadt und würde auch weiterhin die exquisitesten Cupcakes zaubern!

Als die Bauarbeiter endlich Feierabend machten, atmete Jasmin auf. Auch Valerie stieß erleichtert die Luft aus. „Oh Mann, bin ich froh, dass die Kerle endlich aufhören. Wurde auch wirklich Zeit. Bei dem Gedröhne kriegt man ja Zustände.“

„Also, irgendwie muss ich die ja schon bewundern“, erwiderte Jasmin. „Wir haben ja die Scheiben dazwischen, aber die hören das ungefiltert. Und diese schwere Arbeit in der Hitze, das ist echt hart. Ich glaube, ich mach denen morgen eine schöne, frische Limonade mit Rosmarin und Ingwer. Die freuen sich bestimmt über eine Abkühlung.“

Valerie setzte sich mit Schwung auf den Tresen, ließ die Beine baumeln und schüttelte lächelnd den Kopf.

„Du bist wirklich einzigartig“, sagte sie. „Ich kenne niemanden, der so freundlich zu allen Menschen ist wie du. Das ist echt erstaunlich.“ Valeries Lächeln war warm und tat gut nach einem langen Arbeitstag.

„Ach was.“ Jasmin wiegelte mit der Hand ab. „Die meisten Leute sagen, ich sei total naiv. Das stimmt ganz sicher. Aber schau, fast niemand kann doch was dafür, dass er ist, wie er ist. Die Bauarbeiter machen nur ihren Job, die haben ja nichts gegen unser Café.“

Valerie grinste breit. „Ganz sicher nicht, die kommen ja nur rein wegen deines betörenden Lächelns! Wenn du mal nicht da bist, holen die sich nämlich beim Metzger eine Scheibe Pizzaleberkäse. Mit Senf.“ Sie holte unter dem Tresen ihr Häkelzeug hervor. Das tat sie oft, um am Abend runterzukommen. Zur Zeit arbeitete sie an einem winzigen schwarzen Tischuntersetzer aus Garn. Jasmin kam näher, um die zierliche Häkelei genau zu mustern.

„Du häkelst einen Karatekämpfer in ein Deckchen?“, fragte sie. Und wie filigran sie das tat! „Du bist wirklich eine Künstlerin.“

„Quatsch.“ Valerie wurde ein klein wenig rot. „Das wird ein Geschenk für Greg. Ein kleiner Untersetzer für ein Glas mit dem Motiv einer Zuki-Bewegung. Weil das das Erste war, was er uns beigebracht hat. Weißt du noch?“

„Klar!“ Jasmin konnte sich noch an jede Einzelheit der Karatestunden erinnern. Sie ging auch heute noch manchmal ins Training. Greg unterrichtete an den meisten Abenden ein paar Straßen weiter in seinem neuen Studio, aber die Anfänger und Einzelstunden hielt er hier im Dojo ab. „Ihr seid immer noch glücklich zusammen, stimmt‘s?“

Valerie nickte und wurde noch ein wenig röter um die Wangen. „Er ist toll. Und obwohl wir so unterschiedlich sind, harmoniert es super mit uns. Du wirst schon sehen, bei dir kommt auch noch der Richtige.“

„Sicher nicht!“ Jasmin ging zum Regal mit der Wolle und nahm sich ein knallblaues Knäuel heraus. „Du weißt ja, was dabei rauskommt, wenn ich mich verliebe. Es ist immer der Falsche. Weil ich so leicht auf irgendein Gesülze hereinfalle. Nee, auf so ein Chaos wie mit Bernhard hab ich keine Lust mehr. Weißt du, es ist nicht jeder dazu geschaffen, sich in eine Beziehung zu stürzen. Ich belasse es lieber bei Freundschaften, da kann nichts schiefgehen.“

Sie holte ihre Stricknadeln, nahm ein paar Maschen auf, hielt dann inne, weil ihr ein Gedanke kam. „Pass mal auf, Valerie. Wir haben ja jetzt diese Wahnsinnsküche. Und ohne Gäste ja auch eine Menge Zeit. Wie wäre es, wenn wir Restaurants beliefern würden? Oder Hotels?“

Ja, genau! Das könnte die rettende Idee sein. Vielleicht hatten die Karten genau das offenbart? Wenngleich sie keine rechte Verbindung dazu herstellen konnte.

Doch Valerie schüttelte den Kopf. „Ich hab vor ein paar Wochen schon mal angefragt bei einigen. Die Hotels haben ja ihre eigenen Küchen und machen da auch die Desserts, das ist billiger. Und Restaurants sind nicht scharf auf Vorratshaltung.“

„Hm. Doof.“ Jasmin nahm ihre Strickerei wieder auf. Eine ganze Weile saßen sie stumm da, Valerie auf dem Tresen, sie selbst auf einem der Rattanstühle, und versenkten sich in ihre Handarbeiten. Sonst lief immer das Radio im Hintergrund, aber nach dem lauten Tag war Jasmin froh um die Ruhe, obwohl sie sonst Musik liebte.

Mitten in diese Stille hinein, die nur vom Klappern der Nadeln unterbrochen wurde, platzte Greg. Er kam offenbar vom Training, sah ein bisschen zerzaust aus, aber glücklich, als er Valerie sah. Die ließ schnell den Untersetzer verschwinden.

„Ah, die harten Männer besuchen uns“, rief sie, weil hinter Greg sein Freund Thore ins Zimmer gestiefelt kam. Im Gegensatz zu Greg behielt der seine finstere Miene bei. Jasmin kam es vor, als wurde der Blick aus seinen dunklen Augen sogar noch etwas düsterer, als er sah, wie Greg seine Valerie zur Begrüßung küsste. Schien ihm nicht zu gefallen, aber das war nichts Neues.

Thore ging schon eine ganze Zeit hier ein und aus, weil er Gregs bester Freund war und ihn deshalb sogar beim Häkelkurs unterstützt hatte. Als Jasmin sich daran erinnerte, musste sie unwillkürlich grinsen. Hatte wirklich zu komisch ausgesehen, als dieser Kleiderschrank von Mann sich mitsamt seinen Muskelbergen und dem dunklen Bart in einen zierlichen Rattanstuhl quetschte und mit der Häkelnadel kämpfte. Echt schade, dass es davon kein Foto gab.

„Ihr sitzt ganz schön trübsinnig hier herum“, stellte Greg fest und nahm sich einen Muffin.

„Kein Wunder“, erwiderte Valerie traurig. „Wir hatten heute nur eine Handvoll Gäste. Wenn es so weitergeht, können wir bald ganz einpacken.“

Thore stand neben ihm, als könnte er es nicht abwarten, nach hinten ins Dojo zu gehen. Wahrscheinlich wieder für ein Spezialtraining oder so.

„Habt euch wohl übernommen mit der Küche“, brummte er unfreundlich.

Jasmin hob den Blick vom Strickzeug. „Das war eine Investition! Und zwar eine vernünftige. Man kann ein Café nur richtig betreiben, wenn die Ausstattung stimmt. Und wir hatten ja noch ehrgeizige Pläne, das Café Woll-Lust sollte groß rauskommen.“

„Funktioniert ja perfekt“, sagte er zynisch und schaute sich mit zusammengekniffenen Augen um, als sähe er die Einrichtung zum ersten Mal. Dass er die Farbe Flieder nicht mochte, war klar. Obwohl sie prima harmonierte mit seiner schwarzen Motorrad-Lederjacke und seinen dunkelbraunen Haaren.

„Hey, Thore, hab doch ein bisschen Mitgefühl“, wies Greg ihn zurecht.

Doch er verschränkte die Arme vor der breiten Brust. „Man ist sich am besten selbst der Nächste“, antwortete er. „Und ich kann ja nichts an der Situation ändern.“

Als wenn es darum ginge! Aber gut, nicht jeder Mensch verfügte über Empathie.

Jasmin versuchte es mit einem freundlichen Lächeln. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass man damit auch Holzklötze entwaffnen konnte.

„Du könntest zumindest unseren Umsatz ankurbeln“, schlug sie vor. „Vielleicht mit einem Chili-Mandel-Taler, der ist speziell für toughe Männer kreiert.“

Er sah sie an, als hätte sie ihm vorgeschlagen, für sich selbst einen rosa Babystrampler zu häkeln.

„Ich esse grundsätzlich keinen Süßkram“, stellte er klar. „Niemals! Ich hasse alles mit Zucker und Marzipan und so Schokozeug.“

Greg blieb völlig unbeeindruckt und zuckte nur mit den Schultern. „Du hast keine Ahnung, was dir entgeht, Kumpel“, sagte er und biss begeistert in seinen Muffin.

Erstaunt sah Jasmin vom einen zum anderen. Sie mochte Greg, er hatte das Herz am rechten Fleck. Und wenn er mit diesem barschen Thore befreundet war, musste der ja irgendwo tief drinnen auch ein netter Kerl sein. Irgendwie. Zumindest hoffte sie das.

„Wie du meinst“, sagte sie. „Geschmäcker sind eben unterschiedlich. Mich würden dafür keine zehn Brauereirösser auf ein Motorrad bringen.“

Thore schnaubte. Sein Blick ruhte einen Moment lang auf ihr. Das machte sie ein klein bisschen nervös, stellte sie fest. Vielleicht weil seine Augen so dunkelglänzend waren wie der Nougatguss, mit dem sie ihre Eichhörnchentorte zum Funkeln brachte. Vielleicht auch, weil man nie wusste, ob er als Nächstes lächelte oder einen verbalen Tiefschlag landete. Meist trat Letzteres ein.

Heute allerdings schlich sich ein kurzes Grinsen auf sein Gesicht. Es blitzte nur kurz auf, sah aber gar nicht mal so schlecht aus. „Du weißt eben nicht, was das für ein Lebensgefühl ist“, sagte er. „Das kann man wirklich nicht vergleichen mit deinem Zuckerzeug.“

Greg boxte ihn in die Seite. „Nimm Jasmin halt mal mit auf deinem Bock“, schlug er vor und lachte anschließend, als er Thores entsetzten Blick sah.

„Um Gottes willen, nein!“, protestierte Jasmin sofort. „Ich würde sterben!“

Sie fuhr gerne rasant Auto, aber das war etwas anderes. Alles, was weniger als vier Reifen hatte, war ihr nicht geheuer. Selbst aufs Fahrrad stieg sie nicht gern. Und Thore wäre der Allerletzte, hinter den sie sich klemmen würde wie ein Affenbaby. Da ging sie ja lieber zu Fuß.

Der Herr Biker brummte irgendwas Unverständliches und machte dann eine auffordernde Kopfbewegung zu Greg. „Wollten wir nicht noch Kumite trainieren? Wenn du dir weiter Muffins reinziehst, liegst du schon nach drei Sekunden auf der Matte, Sensei!“

„Träum weiter! Gegen dich kämpfe ich auch noch ganz locker, wenn ich eine ganze Schwarzwälder Kirsch intus habe.“ Greg schob sich das letzte Stück in den Mund, trank einen Schluck aus Valeries Eisschokolade hinterher und verabschiedete sich. Die beiden machten ein paar Schritte auf die Tür zum Flur zu, da klopfte es wie wild an der Eingangstür des Cafés.

„Mister Madbatter?“, rief Jasmin überrascht und eilte nach vorne, um dem Hutmacher aufzusperren.

Er stürmte herein, ungewohnt aufgeregt und rot im Gesicht. Von der britischen Zurückhaltung, die er sonst immer gezeigt hatte, war nichts zu spüren. Er legte die Zeitung, in der er mittags schon gelesen hatte, auf den Tresen und tippte immer wieder mit dem Finger auf einen Artikel.

„Es gibt einen Wettbewerb!“, stieß er aus. „My dear ladies, das ist eine ganz wunderbare Gelegenheit für Sie! Und sehen Sie nur, das Preisgeld, isn‘t it phantastic?“

Jasmin verstand kein Wort von dem, was er sagte. Also beugte sie sich über den Artikel, auf den er immer noch einhämmerte.

„Der Besuch der Herzogin von Cornwall will gefeiert werden“, las sie vor. Nun gut, das war nichts Neues. Und auch wenn sie die Aufregung ihres Nachbarn über die Visite seiner Landsmännin Camilla verstehen konnte, blieb sie selbst recht ruhig.

Bis sie las, was im nächsten Absatz stand.

Dann schnappte sie nach Luft.

„Ein Konditoren-Wettbewerb?“, rief sie laut. „Mit einem Preisgeld von zwanzigtausend Euro? Ich werde verrückt!

---ENDE DER LESEPROBE---