Harte Männer - Paul Quincy - E-Book

Harte Männer E-Book

Paul Quincy

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Beschreibung

1777: Ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung der 13 amerikanischen Kolonien wird der deutsche Baron von Steuben von Benjamin Franklin als Unterstützung für den in der Führung großer Truppenteile unerfahrenen George Washington angeworben. Die britische Royal Navy versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass der Deutsche Amerika erreicht. Vor dessen Bestimmungshafen Portsmouth in New Hampshire legt sich daher Leutnant William Turner mit seiner Kriegsslup Shark und dem eroberten Kutter Swallow auf die Lauer, um Steubens Schiff, die mit Kriegsmaterial vollgestopfte Fregatte Le Flamand, abzufangen. Da ihm aber der unfähige Kommandant der schweren Fregatte HMS Phoenix im entscheidenden Moment die Unterstützung versagt, bleibt der erhoffte Erfolg zunächst aus. Doch William Turner ist kein Mann, der aufgibt. Da der Baron auf dem Weg in Washingtons Hauptquartier den Hudson überqueren muss, fasst er einen tollkühnen Plan.

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Paul Quincy

Harte Männer

Reihe: William Turner, Band 3

Kuebler Verlag

Das Buch

William „Wild Bull“ Turner und Baron von Steuben

1777/1778: Ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung der 13 amerikanischen Kolonien wird der deutsche Baron von Steuben von Benjamin Franklin als Unterstützung für den in der Führung großer Truppenteile unerfahrenen George Washington angeworben. Die britische Royal Navy versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass der Deutsche Amerika erreicht. Vor dessen Bestimmungshafen Portsmouth in New Hampshire legt sich daher Leutnant William Turner mit seiner Kriegsslup Shark und dem eroberten Kutter Swallow auf die Lauer, um Steubens Schiff, die mit Kriegsmaterial beladene Fregatte Le Flamand, abzufangen.

Band 3 der Reihe über William Turner (genannt „Wild Bull“ Turner) von Paul Qunicy

Der Autor

Paul Quincy war Seemann und weltweit als Wachoffizier und in leitender Position auf Schiffen der Großen Fahrt unterwegs. Neben seiner Tätigkeit als Autor hat er als Übersetzer etwa 60 Romane und Fachbücher – zum größten Teil historische maritime Romane aus den Napoleonische Kriegen – vom Englischen ins Deutsche übertragen. Paul Quincy verknüpft in der Reihe um William Turner Spannung mit historischen Fakten und viel Wissen über die Lebensumstände der damaligen Zeit.

Paul Quincy

Harte Männer

William „Wild Bull“ Turner und Baron von Steuben

Band 3 der Reihe „William Turner“

Mehr Informationen zu diesem Buch, zum Autor und zu anderen maritimen Romanen erhalten Sie hier:

www.kueblerverlag.de

Impressum

Copyright © 2016 Kuebler Verlag, Lampertheim.

Alle Rechte vorbehalten.

Titelbild: © iurii – shutterstock.com.

Dieser Titel ist 2008 erstmals unter dem Titel „Harte Männer – Schwere See“ im Ullstein Taschenbuch Verlag erschienen.

Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Kuebler Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt, verbreitet oder zugänglich gemacht werden.

ISBN Printausgabe: 978-3-86346-084-6

ISBN Digitalbuch 978-3-86346-268-0

Prolog

Westlich der Appalachen, Mai bis Juli 1754

Im April und Mai machte sich eine Truppe von einhundertsechzig Mann unter dem Kommando eines erst zweiundzwanzigjährigen Oberstleutnants von Alexandria in Virginia auf den Weg nach Westen über die unwegsamen Bergpfade der Blue Ridge Mountains, um die bedrohten Siedler in der Ohio-Region gegen die aus dem Norden vordringenden Franzosen zu schützen. Am Zusammenfluss von Alleghenny und Monongahela hatte die Ohio Company bereits mit dem Bau eines Forts begonnen, das der Schutztruppe als Basis dienen sollte. Nach der mühsamen Überquerung der Appalachen erfuhr der Kommandeur von den Spähern seines indianischen Verbündeten, des Häuptlings der Seneca-Irokesen, Tanacharison, den die Briten Half-King nannten, dass eine Streitmacht von eintausend Franzosen das halbfertige Fort in ihren Besitz gebracht und es in Fort Duquesne umbenannt hatte. Aufgrund der für ihn sehr unvorteilhaften Kräfteverteilung beschloss der Anführer der Virginiatruppen, etwa 65 Kilometer von Fort Duquesne entfernt an dem von ihm so bezeichneten Platz Great Meadows ein behelfsmäßiges Fort zu errichten, das er treffend Fort Necessity nannte, und auf Verstärkung zu warten.

Am Morgen des 28. Mai entdeckten Späher in einer engen, bewaldeten Schlucht eine kleine französische Patrouille von zweiunddreißig Soldaten, die dort ihr Lager aufgeschlagen hatte. Eine gemischte Truppe von vierzig Männern, die aus Virginia-Milizionären und Indianern bestand, umzingelte die ahnungslosen Franzosen und überwältigte sie nach einem kurzen Feuergefecht. Den Angriff leiteten der Oberstleutnant und der Häuptling persönlich. In dem schriftlichen Bericht des jungen Offiziers an seinen Vorgesetzten Robert Dinwiddie, den Gouverneur von Virginia, las sich das so: „In dem fünfzehn Minuten andauernden Gefecht töteten wir zehn Gegner, verwundeten einen und machten einundzwanzig Gefangene; unter den Getöteten befand sich Monsieur De Jumonville, der Kommandeur.“

Die Wirklichkeit hatte anders ausgesehen. Die überraschten Franzosen hatten sich sofort nach den ersten Schüssen ergeben, da sie die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage einsahen. Ihr Kommandeur Joseph Coulon de Villiers, Sieur de Jumonville, versuchte den gegnerischen Anführern zu erklären, dass er im Auftrag Seiner Majestät Ludwigs XV. in einer Friedensmission zu den Engländern unterwegs war. Während Häuptling Half-King fließend französisch sprach und daher sehr schnell begriff, worum es ging, versuchte der mit einer eher rudimentären Bildung gesegnete Weiße noch hinter den Sinn der Worte zu kommen. Es lag nicht im Interesse des Indianers, dass es zwischen den Bleichgesichtern zu einer Einigung kam, daher ergriff er die Initiative. Mit den Worten: „Du bist noch nicht tot, mein Vater!“,[1] hieb er seinen Tomahawk in Jumonvilles Kopf und spaltete dessen Hirnschale, dann riss er ihm mit den Händen das Gehirn heraus. Seine Krieger fielen daraufhin über die verwundeten französischen Soldaten her, von denen sie einen enthaupteten, seinen Kopf auf eine Stange steckten und alle skalpierten.

Der befehlshabende Miliz-Offizier musste dieses Massaker untätig mit ansehen, er scheint dieses grausige Erlebnis aber erstaunlich problemlos verarbeitet zu haben, denn in einem Brief an seinen Bruder prahlt er: „Ich hörte die Kugeln pfeifen, und glaube mir, dieser Ton hatte etwas Reizvolles.“ König Georg III., dem diese Worte hinterbracht wurden, hat wohl zu Recht festgestellt: „Er würde so etwas nicht sagen, wenn er Gelegenheit gehabt hätte, viele davon zu hören.“[2]

Am 18. Juni musste der Oberstleutnant der Virginia-Miliz auf Drängen von Häuptling Half-King, der als diplomatischer Vertreter des Irokesenbundes fungierte, auf einer Versammlung von Kriegern der Sechs Nationen Fragen nach den Absichten der Briten in der Ohio-Region beantworten. Er log das Blaue vom Himmel herunter. Sinngemäß erklärte er: „Der einzige Zweck der englischen Militäraktion ist es, eure Rechte zu wahren, … das ganze Land für euch sicher zu machen. Unser einziges Ziel ist es, alle Gebiete zurückzugewinnen, die euch die Franzosen entrissen haben.“[3] Die Indianer scheinen ihm nicht recht geglaubt zu haben, denn Half-King führte seine Krieger in die Wälder. Möglich ist aber auch, dass sich die Rothäute aufgrund des klaren Kräfteverhältnisses zuungunsten der Engländer aus dem Bündnis zurückzogen.

Allerdings schien sich die Lage für die Milizionäre kurz darauf zu verbessern, denn es traf Verstärkung unter dem Kommando von Hauptmann James McKay in Fort Necessity ein. Erstaunlicherweise hatten die beiden Offiziere aber nichts Wichtigeres zu tun, als sich erbittert darüber zu streiten, ob der Rang eines Hauptmanns in der regulären englischen Armee höher wäre als der eines Oberstleutnants in der Miliz. Hier zeigte sich ein Charakterzug des Amerikaners, der bei ihm sein Leben lang sehr ausgeprägt bleiben sollte: der Drang nach Titeln und öffentlicher Anerkennung. Der Streit dauerte nur kurz, denn Anfang Juli marschierten 1.100 Franzosen und Indianer unter dem Kommando von Louis Coulon de Villiers, dem Bruder des ermordeten de Jumonville, vor Fort Necessity auf. Am 3. Juli erfolgte der Angriff bei strömendem Regen. Der junge Oberstleutnant hatte vor den Palisaden lediglich einen Streifen von fünfzig Metern um das Fort roden lassen, soweit konnten sich die Gegner folglich in guter Deckung nähern. Das neunstündige Feuergefecht war ein Gemetzel. Der Regen überflutete die Schützenstellungen vor und im Fort. Ein großer Teil des Pulvers der Verteidiger wurde unbrauchbar. Bis zur Abenddämmerung war nahezu ein Drittel der Engländer gefallen oder verwundet. Die anderen waren demoralisiert und machten sich entmutigt und voller Angst vor den zu erwartenden Gräueltaten durch die mit den Franzosen verbündeten Rothäute über die Rumvorräte her. Sie nahmen wohl nicht ganz zu Unrecht an, dass die Franzosen nach Rache für ihre gemeuchelten Kameraden dürsteten und deshalb die Indianer nach der Eroberung des Forts gewähren lassen würden. Aber erstaunlicherweise boten die Franzosen den Briten eine ehrenvolle Kapitulation an.

Wieder erwies sich der Oberstleutnant später als geschickter Jongleur mit Worten, als er sich an die Bearbeitung der Fakten für seinen Bericht machte. Er behauptete, dem Feind seien bei der heldenhaften Verteidigung des Forts schwere Verluste – etwa dreihundert Tote und Verwundete – zugefügt worden, daher sei der Gegner bereit gewesen, den Engländern großzügige Kapitulationsbedingungen zu gewähren. Tatsächlich durften die Engländer das Fort mit ihren Waffen und Fahnen verlassen. Als Gegenleistung mussten sie lediglich versprechen, sich ein Jahr aus der Ohio-Region zurückzuziehen. Das großzügige Entgegenkommen der Franzosen dürfte seinen Grund wohl darin gehabt haben, dass die indianischen Hilfstruppen dem Befehlshaber de Villiers mitgeteilt hatten, sie wollten sich am nächsten Tag zurückziehen. Aber das konnte der Milizkommandeur nicht wissen!

Die wenig schmeichelhafte Wahrheit – abweichend von den im Bericht aufgestellten Behauptungen – war, dass die Engländer einhundert Mann verloren hatten, die Franzosen dagegen nur fünf. Die Anlage des Forts in einer Senke, die auf drei Seiten von bewaldeten Hügeln umgeben war, und die Vorbereitungen der Verteidiger müssen äußerst mangelhaft gewesen sein, denn bei einer nach den Regeln der Kunst angelegten Befestigung hat der Angreifer immer den schlechteren Stand, gerade und besonders bei ungünstigem Wetter. Zudem muss die Moral der Truppe denkbar schlecht gewesen sein.

Besonders peinlich für die Briten war, dass in den Kapitulationsbedingungen ganz explizit von der „Ermordung des Monsieur de Jumonville“[4] die Rede war, damit wurde durch die Unterschrift des Kommandierenden Oberstleutnants de facto anerkannt, dass die Briten für den Ausbruch des French and Indian War, oder des Siebenjährigen Krieges, wie er in Europa genannt wurde, verantwortlich waren. Die Franzosen zögerten nicht, diese Tatsache diplomatisch weidlich auszuschlachten.

Der Name des unseligen Oberstleutnants ohne militärische Ausbildung, Kampferfahrung und Fortune, der aber über eine erstaunliche Begabung verfügte, die Wahrheit zu korrigieren, war George Washington.

Horatio Sharpe, der Gouverneur von Maryland, veröffentlichte einen Bericht, in dem er die Schlacht von Fort Necessity schlicht als Debakel bezeichnete und Washington als eine gefährliche Mischung aus Unerfahrenheit und Ungestüm charakterisierte. Noch weniger diplomatisch drückte sich General Duquesne, der Oberkommandierende der Franzosen in Amerika, aus: „Es gibt nichts Unwürdigeres und Niedrigeres, ja Schwärzeres als die Gesinnung und die Denkweise dieses Washington.“[5]

Dass die Indianer Washington nicht recht trauten, mag auch in dessen Familiengeschichte begründet sein. Half-King erläuterte Washington, sein indianischer Name sei Conotocarius, was „Verschlinger von Dörfern“ bedeutete. Diesen Namen habe er seinem Urgroßvater John Washington zu verdanken, der die Indianer zwar nicht mit nackter Gewalt, aber schon vor hundert Jahren mit Hilfe von juristischen Tricks um ihr Land betrogen habe.

Nordböhmen, 9. April 1757

Die beiden Panduren saßen ab, hielten ihren Pferden die Hände vor die Nüstern und bewegten sich vorsichtig durch das Unterholz zum Waldrand. Von dort hatten sie einen guten Blick auf das langgestreckte Tal. An einer Schleife des Bachs, der mit einer starken Strömung vom gegenüberliegenden Hügel herabrauschte, lag ein einfaches bäuerliches Anwesen. Kein prächtiges Rittergut, sondern nur ein kleines Wohnhaus, ein Kuhstall, mehrere Verschläge für Hühner und anderes Federvieh, eine windschiefe Scheune, ein Misthaufen und ein paar eingezäunte Koppeln. Von Menschen oder Vieh war nichts zu sehen oder zu hören, lediglich eine schwarze Katze mit weißem Brustlatz lag auf einem Holzstapel und sonnte sich. Die Fensterläden waren zugeklappt, die Türen und Tore verschlossen. Eine kleine Pforte an der Seite des Stalls bewegte sich von Zeit zu Zeit leise knarrend im Wind hin und her, und hier und da fehlte auf den Dächern schon eine Schindel. Wahrscheinlich waren die Bewohner mit ihrem Vieh in die Wälder geflohen, denn es herrschten unsichere Zeiten. Die Kaiserin Maria Theresia und der König von Preußen führten wieder einmal Krieg gegeneinander. Einen langen, blutigen Krieg, der das Gesicht Europas verändern würde und der als der „Siebenjährige Krieg“ in die Geschichte eingehen sollte. Russland und Frankreich waren auf Seiten Habsburgs mit von der Partie, die Reichsfürsten hielten es mit der einen oder anderen Partei, und England zahlte Subsidien an Preußen. Es war keine gute Zeit für die kleinen Leute und für Bauern im Kriegsgebiet schon gar nicht.

Auf dem staubigen Weg, der sich von oben zwischen den Hügeln aus dem dichten Wald herunterschlängelte, näherten sich knarrend ein halbes Dutzend Furagewagen dem Anwesen. Es waren schwere Ungetüme mit großen Rädern, in denen gewiss die sehnlich erwartete Verpflegung für eine Einheit der preußischen Armee transportiert wurde. Vor den Wagen marschierte ein Zug Infanterie und ein weiterer bildete die Nachhut. Den verschlissenen Uniformen und der nachlässigen Marschordnung nach handelte es sich um Traintruppen und nicht um die kampferprobte reguläre Infanterie des preußischen Königs. Auf der Höhe des Hofes bog die Kolonne von der Straße zum Seitenweg ab und schwenkte auf den Platz zwischen den Gebäuden ein.

Die beiden Panduren blickten sich an und grinsten breit. Das war genau das, worauf sie gewartet hatten. Leichte Beute und zugleich eine willkommene Aufbesserung der Mahlzeiten. Lautlos zogen sie sich wieder in den Wald zurück, führten die Pferde noch eine Weile am Zügel, dann saßen sie auf und ritten, so schnell es die unwegsamen Verhältnisse zuließen, zu ihren wartenden Kameraden und machten ihrem Rittmeister Meldung. Sie zeichneten ihm die Lage des Gehöfts, den Bach und den Verlauf der Straße mit einem Zweig in den Sand. Der Offizier studierte die Skizze aufmerksam, dann blickte er prüfend zur Sonne hinauf und schüttelte den Kopf.

„Nein, heute wird das nichts mehr! Aber morgen in aller Herrgottsfrühe werden wir den Fritzen das Fell über die Ohren ziehen! Gut gemacht, Kerls!“ Er rief seine Leutnants herbei und besprach mit ihnen den Angriffsplan für den nächsten Morgen.

Im Schein des hoch am Himmel stehenden abnehmenden Mondes wurde das Lager abgebrochen. Eine kleine Vorhut verschwand auf dem hügelaufwärts führenden Weg im Wald. Der Rest der Eskadron saß gemächlich auf und machte sich zehn Minuten später auf den Weg. Die Reiter folgten dem schmalen Pfad, bis sie auf die Straße trafen, die ins benachbarte Tal mit dem Gehöft hinabführte. Unter dem Dach des dichten Waldes war es stockfinster. Schließlich kam der Befehl zum Halten.

Der Rittmeister stakste mit einem seiner Leutnants mit dem für Kavalleristen typisch o-beinigen Gang nach vorne zu der Stelle, wo die Straße den Wald verließ. Ein Wachtmeister löste sich aus der Finsternis und grüßte lässig.

„Alles ruhig da unten bei den Fritzen, Herr Baron. Sie schlafen den Schlaf der Gerechten.“

„Dann wollen wir dafür sorgen, dass daraus der ewige Schlaf der Toten wird, nicht wahr, Ambroz!“

Im Mondlicht konnte der Rittmeister sehen, dass der Unteroffizier spöttisch grinste. Er ähnelte einem zähnefletschenden Wolf, der im Begriff stand, sich auf seine Beute zu stürzen. Der Offizier nickte ihm zu, nahm sein Teleskop und zog es zur vollen Länge aus, dann musterte er das ruhig vor ihnen liegende Gehöft am Bach. Auf den Wiesen lag eine dünne Decke aus Nebel, und über den Bach und die Brücke zog er in dicken weißen Schwaden. Die Wagen waren in zwei Reihen schräg zu beiden Seiten des Stichwegs abgestellt, die schweren Kaltblüter befanden sich auf der Koppel hinter der Scheune und dem Stall. Vor dem Wohnhaus glimmte ein heruntergebranntes Wachfeuer, um das einige dunkle Gestalten in Decken gehüllt lagen. Ein Wachposten saß auf einer Bank vor dem Haus. Er stützte sich schwer auf seine Muskete, und sein Dreispitz war ihm auf den Hinterkopf gerutscht. Neben ihm lag zusammengerollt die schwarzweiße Katze.

Energisch schob der Rittmeister sein Fernrohr zusammen, was in der Stille des frühen Morgen laut wie ein Schuss klang. Der Leutnant, der Wachtmeister und die Reiter in der Nähe zuckten erschrocken zusammen.

„Alles wie besprochen, meine Herren! Die Züge Nummer eins und zwei greifen das Gehöft über den Weg an, der Zug Nummer drei sichert nach links hügelaufwärts und schneidet alle Fluchtwege diesseits des Baches ab. Zug Nummer vier überquert die Brücke und vollendet die Umfassung. Sollte es den Fritzen gelingen, den Bach zu überqueren, jagen wir sie ins reißende Wasser zurück. Kein Vögelchen soll uns davonflattern!“

„Jawohl, Herr Rittmeister!“

Herr von Kárdoly nickte zufrieden, klemmte sich das Fernrohr unter den Arm und zog dann seine große goldene Taschenuhr an der schweren Kette aus der Tasche. Er klappte sie auf, hielt das Zifferblatt ins Mondlicht, nickte wieder und klappte sie mit einem Schnapplaut zu.

„In zwanzig Minuten wird es hell genug für den Angriff sein, meine Herren! Büchsenlicht!“

Tatsächlich begannen sich im Osten die bewaldeten Hügel schwarz gegen den grauen Morgenhimmel abzuzeichnen. Der Rittmeister stolzierte zu seinem Ross zurück, streichelte ihm beruhigend über die Nüstern und kraulte es zwischen den Ohren. Dann klopfte er ihm auf die Mähne, angelte mit dem linken Fuß nach dem Steigbügel und schwang sich elegant in den Sattel. Er griff in die Brusttasche seines Uniformrocks, zog eine silberne Taschenflasche heraus und schraubte sie langsam auf. Mit einem zufriedenen Seufzer roch er an der Öffnung, hob sie zum Mund und genehmigte sich einen langen Zug. Dabei hüpfte sein Adamsapfel drei- oder viermal auf und ab, und er hielt sich die freie linke Hand dezent vor den Mund, weil er sich mit einem kleinen Aufstoßen erleichtern musste. Eine Duftwolke nach Obstbrand breitete sich aus.

„Mirabellenschnaps?“, vermutete der Leutnant neben ihm, der das Bukett mit Kennermiene eingesogen hatte.

Herr von Kárdoly reichte ihm mit einem gutmütigen Lächeln die Flasche. „Wasser, mein Lieber, allerdings Kirschwasser, Leutnant Milosovisz, ein wahres Lebenselixier an einem kühlen Morgen wie diesem.“

Der Leutnant gönnte sich wohlerzogen einen nicht allzu großen Schluck, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und schnalzte dann anerkennend mit der Zunge. „Kompliment, Herr Rittmeister, wirklich ein ausgezeichnetes Tröpfchen – eine gute Grundlage für die schwere Arbeit des heutigen Tages …“

Inzwischen war es so hell geworden, dass man alle Einzelheiten im Tal gut unterscheiden konnte. Der Rittmeister machte seinen Offizieren ein Zeichen. Die dreißig Reiter des Ersten Zuges setzten sich in drei Reihen zu zehn Gliedern in Bewegung, der Zweite Zug folgte. Zuerst ging es im Schritt vorwärts, dann fielen die Pferde in einen leichten Trab. Der Dritte Zug verließ den Wald, dann der Vierte. Den Abschluss machten Rittmeister von Kárdoly, gefolgt von seinem Adjutanten, dem Kornett mit der Standarte, dem Trompeter und einem halben Dutzend handverlesener, erfahrener Kämpen.

Als die Spitze des Ersten Zuges in den ausgefahrenen Weg zum Gehöft einbog, gaben die Reiter den Pferden die Zügel frei. Die Katze, die ihren Schlafplatz verlassen hatte und im Mondschein über den Hof patrouilliert war, verschwand bei den ersten Geräuschen mit ein paar langen Sätzen in der Scheune. Der Dritte Zug verließ die Straße vor dem Abzweig und trabte in einer Linie parallel zur Zufahrt über den noch unbestellten Acker, und die Panduren hatten ihre schweren gekrümmten Säbel gezogen und ließen sie über ihren Köpfen kreisen. Als die Tete die ersten beiden Wagen erreicht hatte, polterten die Reiter in vollem Galopp auf den Hof, und die bis dahin pastorale Idylle verwandelte sich schlagartig in ein Inferno aus gleißenden Flammenblitzen und krachendem Donner. Das Scheunentor wurde wie von Geisterhand aufgerissen, und das widerwärtige schwarze Maul einer neunpfündigen Feldschlange ragte plötzlich in den Hof. Es spuckte einen langen roten Feuerstrahl und eine beißende Pulverwolke aus und schleuderte gehacktes Blei in die dicht gedrängte Menge der heranstürmenden leichten Kavallerie. Fensterläden flogen auf, und auch in den schweren hölzernen Seitenteilen der Wagen öffneten sich Schießscharten, aus denen Musketenläufe und die kurzen Rohre von Blunderbüchsen ragten. Sogar aus den Löchern im Dach wurde das Feuer eröffnet, Handgranaten explodierten krachend, und das Musketenfeuer war so schnell und präzise, wie man es bei den Preußen erwarten konnte – und bei ihren Gegnern fürchtete. Es dauerte nur wenige Minuten, da hatten sich der Erste und Zweite Zug in ein blutiges, schreiendes Durcheinander aus zuckenden menschlichen Leibern und angstvoll wiehernden Pferden mit wild um sich schlagenden Hufen verwandelt. Der Wachposten auf der Bank geriet durch die Erschütterungen ins Rutschen und glitt von der Bank; der Hut fiel ihm herunter, und sein Kopf aus Stroh und die ausgestopfte Uniform plumpsten dumpf aufs Pflaster.

Der Vierte Zug, der über die Brücke auf die andere Seite des Bachs vorstoßen sollte, war kaum besser dran. Der erste Gaul war in voller Karriere auf die hölzerne Brücke gedonnert, hatte in letzter Sekunde die dort aufgetürmten Spanischen Reiter entdeckt und war erschrocken in der Hinterhand nach unten eingeknickt, um mit allen vier Hufen zu bremsen. Sein Reiter hingegen wollte das Hindernis überspringen und hieb ihm die Sporen in die Flanken, doch das brachte ihm einen Freiflug über das Brückengeländer in den rauschenden, gurgelnden Bach ein, da sein Pferd voller Panik mit allen vieren gleichzeitig in die Luft sprang und wild nach hinten auskeilte. Die nachfolgenden Reiter kollidierten mit dem störrischen Zossen, behinderten sich gegenseitig, ballten sich zu einem disziplinlosen Haufen steigender und wild ausschlagender Pferde zusammen, in dem die Kartätschen und Bleikugeln aus den Musketen und Blunderbüchsen reiche Ernte hielten, denn ein Fehlschuss war praktisch unmöglich. Es war ein Bild des Grauens, die Reiter versuchten ihre Pferde unter Kontrolle zu halten, aber die vor Angst halb wahnsinnigen Tiere hatten die Ohren nach hinten gelegt, von ihren rollenden Augen war fast nur noch das Weiße zu sehen, Schaum tropfte aus ihren aufgerissenen Mäulern, und aus den Nüstern stießen sie dampfende Wolken aus. Rechts vom Weg war ein Entkommen nicht möglich, da sich dort ein undurchdringliches, fast mannshohes Wildrosengestrüpp das Ufer entlang bis zum Waldrand erstreckte. Einige Reiter drängten in Todesangst ihre Pferde von der aufgeschütteten Brückenrampe nach links hinunter ans Bachufer und trieben die verängstigten Tiere ins reißende Wasser. Sobald sie das steil ansteigende gegenüberliegende Ufer erreichten, erkannten sie, dass sie jetzt erst recht in der Falle saßen, denn hier ragte das Ufer mehr als drei Meter senkrecht in die Höhe. Für die Pferde gab es da keine Aufstiegsmöglichkeit, keinen schmalen Uferstreifen, auf den sie ihre Hufe hätten setzen können. Aufgeschreckte Uferschwalben und Eisvögel kamen aus den Löchern ihrer Nester in der Steilwand geschossen und umschwirrten laut protestierend die Störenfriede. Tote Reiter, von den Rücken ihrer Gäule geschossen, trieben den Bach hinunter und verkeilten sich zwischen Felsbrocken. Einige reiterlose Pferde suchten sich vorsichtig wieder ihren Weg zurück durch den Bach und blieben auf der anderen Seite mit hängenden Köpfen und pumpenden Flanken verstört stehen, andere wurden von der reißenden Strömung mitgerissen.

Rittmeister von Kárdoly hielt mit seinen Begleitern völlig konsterniert auf der Straße am Abzweig an. Bis dahin reichte auch der dornige Verhau rechts der Straße. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Siedendheiß wurde ihm klar, dass ihm bei der Beurteilung der örtlichen Gegebenheiten zwei kapitale Fehler unterlaufen waren. Zum einen hatte er die taktische Bedeutung des Steilufers nicht erkannt, und zum anderen war ihm das unauffällige Grün der dichten Rosenbüsche, die noch besser als Spanische Reiter ein Abweichen nach rechts vom Weg unmöglich machten, völlig entgangen. Dass ihm die Sperrung der Brücke nicht aufgefallen war, mochte man bei den herrschenden Sichtverhältnissen als lässliche Sünde bezeichnen, doch das Ergebnis war: Die beiden ersten Züge waren aufgerieben, und im Vierten Zug war jede Ordnung verloren gegangen. Aber da war ja noch der Dritte. Die Kavalleristen waren in einer Reihe hintereinander über das Feld galoppiert, hatten dann auf ein Zeichen ihres Leutnants hin einen Schwenk von neunzig Grad durchgeführt und gerade zum Flankenangriff auf den Hof angesetzt, als sie ihrerseits auf der linken Flanke von einer Reiterschar überflügelt wurden, die laut brüllend mit geschwungenen Säbeln aus dem Wald hervorbrach. Unter dem gezielten Feuer aus den Gebäuden und dem Schwung des hügelabwärts vorgetragenen Flankenangriffs verließ sie der Mut. Wer noch konnte, riss seinen Schinder auf der Hinterhand herum und preschte in voller Karriere zum Weg zurück.

Kárdoly rief mit sich überschlagender Stimme: „Trompeter! Rückzugssignal! Kommen Sie, Milosovisz, es wird Zeit, diesen Ball zu verlassen, das Orchester spielt nach preußischen Noten, und der Gevatter Tod schwingt den Taktstock!“

Aber Leutnant Milosovisz würde keinen Ball mehr verlassen, er würde auch niemals wieder einen besuchen, und echte preußische Nachschubeinheiten würde er auch nie wieder überfallen. Eine Kugel hatte ihn unter dem linken Auge getroffen und ihm den halben Hinterkopf weggerissen; er war ohne einen Ton aus dem Sattel in den Straßenstaub gefallen. Der Kornett hielt mit der rechten Faust den Schaft der Standarte umklammert, und sein Gesicht war zu einer bleichen angstvollen Fratze verzerrt. Er war erst sechzehn Jahre alt. Die Kugel traf ihn in die schmale Brust, der Aufprall riss ihn kurz hoch, sodass er ganz aufrecht saß, dann schwankte er, als wolle er hintenüber fallen. Mit großer Willensanstrengung richtete er sich wieder gerade auf, die schwindenden Kräfte ließen ihn aber gleich wieder nach vorne einknicken. Die Standarte begann zu wanken. Ein Reiter mit vernarbtem Gesicht wand sie ihm aus den widerstrebenden Fingern: „Gib sie mir, Jungchen!“ Unbemerkt hatte sich ihnen eine zweite Abteilung preußischer Husaren von hinten genähert, die sich auf dieser Seite der Straße im Wald versteckt gehalten hatte und am Saum des Rosengestrüpps entlang zur Straße hinabgaloppierte. Die langen Reiterpistolen spuckten Feuer und Blei. Das hektische Trompetensignal zum Retirieren brach mit einem schrillen Misston jäh ab, der Trompeter spuckte Blut und klappte auf dem Sattel nach vorne zusammen, der Kornett und der alte Haudegen mit der Standarte fielen fast gleichzeitig von ihren Pferden. Rittmeister von Kárdoly, der sein Pferd bereits gewendet hatte, verspürte einen heftigen Schlag gegen die linke Brustseite, der ihn aus dem Sattel warf. Er stürzte in den Staub der von Nachtfrösten hart gefrorenen Straße, mitten hinein in die dampfenden Pferdeäpfel und Blutlachen. Um ihn herum stampften Pferdehufe, über ihm knirschte das Leder der Sättel und des Zaumzeugs, klingelten Metallteile, schlugen hell die Säbel aneinander, waren unterdrückte Flüche und manchmal auch ein letztes „Maria, hilf!“ zu hören. Vorsichtig schob Kárdoly seine rechte Hand auf die linke Brustseite. Sein Waffenrock war über dem Herzen nass. Dann musste es wohl sein, er würde sterben! Eine große Ruhe überkam ihn. Wie ein unbeteiligter Beobachter registrierte er, dass sich die Infanterie aus den Gehöften und Wagen in kleinen Gruppen jede Deckung ausnützend heranarbeitete. Sie nahm den verkeilten Resten der Reiterei jeden Bewegungsspielraum. Während eine Abteilung feuerte, sprang eine andere weiter vor. Er sah die langen Bajonette im Licht der ersten Sonnenstrahlen blitzen und konstatierte fachkundig für sich: „Das sind keine Linieninfanteristen und erst recht keine Traintruppen! Es müssen Jäger oder Angehörige eines Freibataillons sein! Die Burschen haben uns eine klassische Falle gestellt, und ich Oberdepp bin wie ein heuriger Hase hineingetappt!“

Kavallerie, die in die Enge getrieben wird, kann keine Durchschlagskraft entwickeln – sie ist hilflos. Einige wenige Reiter des Dritten und Vierten Zuges waren entkommen, aber die meisten Panduren waren zwischen dem Gehöft, den angreifenden Husaren, den Bajonetten der Infanterie, dem Bach mit seinem Steilufer und dem dichten Rosengebüsch zusammengepfercht worden. Diejenigen, die nicht tot oder verwundet waren, wurden aus den Sätteln geschossen oder von den langen Bajonetten durchbohrt. Nur wer rechtzeitig die Waffen wegwarf, wurde gefangen genommen. Rittmeister von Kárdoly fühlte sich zwar seltsam leicht und sah sich selbst wie einen Engel über den Dingen schweben, aber andererseits hatte er den Eindruck, doch noch sehr lebendig zu sein. Er spürte die Schmerzen, die sein Sturz verursachte, und roch sehr deutlich den beißenden Gestank von Salpeter, Blut, Pferdekot – und Alkohol. Staunend blickte er seine feuchte Hand an. Sie war nicht, wie er erwartet hatte, blutig rot, sondern nur schmutzig vom Dreck der Straße – und sie duftete nach hochprozentigem Schnaps. Die Kugel hatte seinen silbernen Flakon in der Brusttasche getroffen, und der hatte ihm das Leben gerettet. „Da schau her, mein Lieber, da soll mir doch noch mal so ein Pharisäer unter die Augen kommen und mir eine Predigt halten, dass Saufen ungesund ist …“, murmelte er und schüttelte verwirrt den Kopf. Schwankend richtete er sich auf und blickte gleich darauf in die kalten Augen eines preußischen Husarenwachtmeisters, der mit der Spitze seines Säbels auf seinen Hals zielte.

Er hob die Hände. „Ich ergebe mich, Kerl! Bringe er mich zu seinem Kommandierenden Offizier.“

Der Husar schwieg und musterte ihn scharf, dann deutete er mit der Klingenspitze auf die Uhrkette und machte mit dem Zeigefinger der linken Hand eine fordernde Bewegung. Kárdoly knurrte vor sich hin, löste aber die Kette von seinem Rock und überreichte sie dem Mann samt Uhr. Dessen Miene wurde etwas milder, aber dann zeigte er auf die Ringe an der Hand des Rittmeisters. Auch diese wechselten den Besitzer. Mit Kennerblick musterte der Unteroffizier die Geschmeide, und sie verschwanden in seiner großen Rocktasche, anschließend rieb er den Daumen und Zeigerfinger der linken Hand aneinander. Kárdoly zögerte, aber nach einem prüfenden Blick in die Augen seines Kontrahenten seufzte er und übergab ihm seine Geldkatze. Jetzt schien der Mann zufrieden. Er beugte sich vor, rümpfte die Nase und spottete mit tiefer, heiserer Stimme: „Verdammt will ich sein, ich habe ja schon so manchen Habsburger Knödelfresser einkassiert, und manch einer hat auch gewaltig gestunken, weil er sich vor Angst in die Hosen geschissen hatte, aber das einer wie eine ganze Destille müffelt, das gab es noch nie!“

„Ich werde mich über dich beschweren, Kerl! Zum Kommandierenden Offizier, sofort!“ Kárdoly lief vor Zorn rot an.

Der Wachtmeister deutete mit der Waffe auf einen Offizier. „Gemach. Gemach, Freundchen. Da hinten steht unser Hauptmann René de l'Homme de Courbière,[6] das ist ein Feuerfresser, aber der hat zu tun, fürchte ich!“ Er grinste spöttisch und zeigte dann mit dem Kopf auf einen großen, kräftigen Leutnant, der die Durchsuchung der Gefangenen beaufsichtigte. „Besser du bewegst deinen Hintern dort hinüber, Freundchen. Der Steuben wird dir schon beibringen, dass mit den Husaren vom Freikorps des Generals Johann von Mayr nicht gut Kirschen essen ist!“

Prinz Heinrich von Preußen deutete mit einer huldvollen Handbewegung auf einen Stuhl, der auf der anderen Seite seines Feldschreibtisches stand. Seine Uniform war elegant geschnitten und untadelig sauber, der Schwarze Adlerorden prangte auf seiner linken Brustseite. Der Oberkommandierende der Westarmee, die über Sachsen nach Böhmen eingefallen war, stellte zweifellos eine beeindruckende Persönlichkeit dar. Eine Zeltwand war weit zur Seite geschlagen, und der General blickte nachdenklich über das Lager zu den nicht weit entfernten grünen Hügeln hinüber. Er legte den Bericht zur Seite und musterte dann den jungen Offizier durchdringend. Ihm schien zu gefallen, was er sah.

„Nehmen Sie doch Platz, mein lieber Steuben. Ihr Bericht, wie dieser Teufelskerl Courbière und Sie der Königin von Ungarn – wie sich mein omnipotenter Herr Bruder ganz zweifellos auszudrücken belieben würde – eine fast vollständige Panduren-Eskadron weggefangen haben, hat mir sehr imponiert. Ihr Hauptmann und der General haben Sie über den grünen Klee gelobt. Chapeau,moncher! Ich werde den Report an meinen Bruder mit einer entsprechend anerkennenden Beurteilung weiterleiten und ihm vorschlagen, Sie demnächst in das Quartiermeisterkorps und seine Klasse für Kriegskunst aufzunehmen.“

Von Steuben verbeugte sich stumm. Was der Prinz da eben gesagt hatte, verschlug ihm den Atem, denn diese Klasse bestand nur aus einem Dutzend junger Offiziere und hatte nur einen Lehrer: den König!

Der Prinz sah ihn nochmals scharf an, dann lächelte er freundlich und schien dadurch mit einem Schlag um Jahre jünger zu werden. „Wissen Sie, von Steuben, manchmal ist man als Kommandierender General sehr allein“, dann machte er eine Pause, fast vermeinte man seinen unausgesprochenen Gedanken zu hören: Und als preußischer Prinz, der mit so einem Bruder geschlagen ist, sowieso! Er fuhr fort: „Da tut es gut, wenn man mal mit jemand reden kann, der nicht zum alltäglichen Umgang gehört. Ich bin sicher, ich kann mich auf Ihre Diskretion verlassen, mein Lieber.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung, in der unterschwellig auch eine Drohung mitschwang. „Wissen Sie, mon cher ami, mein verehrter Herr Bruder, der Liebling der Götter, Fridericus Rex, ist unbestreitbar mit vielen Talenten gesegnet. Er ist durchaus in der Lage, Schwächen in einem System durch streng logisches Denken aufzudecken, aber es mangelt ihm dann am konsequenten Willen, die Ursachen dieser Schwächen zu beseitigen, vielleicht weil er ahnt, dass er dann die Büchse der Pandora öffnen würde. So hat er beispielsweise richtig erkannt, dass unser System des Kampfes in der Linie zusammen mit der äußerst anfälligen Versorgung der Armee aus Magazinen im Hinterland gegen Angriffe leichter beweglicher Einheiten völlig ungeeignet ist. Auf die Dauer ist bei immer größeren Heeren die klassische Feldschlacht kaum noch praktikabel. Konsequenterweise hat er, um den ersten Mangel abzustellen, Husarenregimenter und Freibataillone aufstellen lassen. Aber im Grunde sind ihm diese Verbände herzlich zuwider. Und warum? Weil sie unabhängig operieren, weil sie sich von ihm auf dem Schachbrett seiner taktischen Spielereien nicht wie tote Figuren herumschieben lassen.

Was die zweite Unzulänglichkeit angeht, so müssen die Soldaten der Linieninfanterie mehr Angst vor ihren eigenen Offizieren haben als vor dem Feind, sonst würden sie nicht angreifen. Wenn Sie mit einem Bataillon regulärer Infanterie durch einen Wald marschieren, kommen im schlimmsten Fall am anderen Ende nur zwei Kompanien wieder heraus, die anderen Kerls sind desertiert. Für die übliche Feldschlacht braucht man übersichtliche freie Flächen, sonst kann man die Schlachtordnung in der Linie überhaupt nicht einnehmen und keine überraschenden taktischen Varianten versuchen. Der Feldherr muss die gesamte Linie vom linken bis zum rechten Flügel übersehen können, sonst entgleiten ihm die Zügel der Gefechtsführung. Die Einheiten für den Kleinen Krieg dagegen bewegen sich frei durch das Gelände und schlagen eigenverantwortlich da zu, wo sie im Vorteil sind. Und jetzt zu dem Dilemma, in dem mein Herr Bruder steckt!“ Der Prinz hob dozierend einen Zeigefinger. „Der Unterschied liegt in der Einstellung der Männer, Steuben. Wer nur aus Angst vor dem Korporalsstock in den Kampf zieht, wird immer darauf sinnen, zu desertieren. Wer aus eigenem Antrieb, aus innerer Überzeugung kämpft, ist tausendmal gefährlicher und wirkungsvoller als der am besten gedrillte preußische Grenadier. Aber um das zu erreichen, müsste der König das System“, der Prinz stockte, fuhr dann aber entschlossen fort, „revolutionieren! Er müsste die Privilegien des Adels ein Stück weit beschneiden, die Bauern emanzipieren sowie die Handwerker und Kaufleute in den Städten an der politischen Macht teilhaben lassen, damit sie für ihr Stückchen eigenes Land, für ihre unabhängige Existenz, für das eigene Wohl und das ihrer Familie kämpfen, den Staat als den ihren annehmen – und das geht nicht in seinen konservativen Monarchenschädel von Gottes Gnaden. Früher oder später wird Preußen daran zugrunde gehen, es sei denn, dass ein Nachfolger das Ruder rechtzeitig herumreißt.“ Der Prinz schwieg, blickte melancholisch in die Ferne und schüttelte griesgrämig den Kopf. „Mein lieber Bruder hat ja bis heute noch nicht gemerkt – jedenfalls gibt er es nicht zu –, dass es inzwischen die bürgerlichen Truppenoffiziere sind, die ihm die Schlachten vorne in der Linie gewinnen. Er wird nach der siegreichen Beendigung des Krieges“, der Prinz lächelte wieder ziemlich bitter, als hegte er gewisse Zweifel an einem günstigen Ausgang des Krieges, „diese lästigen Emporkömmlinge aus minderer Zucht wieder aus seinem geliebten blaublütigen Offizierskorps schassen. O ja, er kann sehr hochmütig in seinem Urteil sein, unser Philosoph auf dem Thron. Wir stehen am Beginn einer neuen Ära, und der König, sensibel, wie er ist, spürt das auch in seinem Innersten, denn wenn er am Schreibtisch sitzt, sieht er schon Eos, die Rosenfingrige, die Morgenröte der Aufklärung, als Vorbotin großer politischer Umwälzungen heraufziehen. In seinen Schriften gibt er sich als moderner aufgeklärter Herrscher, aber in der täglichen politischen Praxis bleibt er der sture absolute Potentat einer fast untergegangenen Zeit. Um den Antimachiavell schreiben zu können, musste er Il Principe von Machiavelli ausgiebig studieren, und nach dessen Anweisungen richtet er seine Politik aus! Ja, mein lieber Herr Bruder ist sehr janusköpfig.“ Heinrich lächelte ironisch. „Wie Sie natürlich wissen, mon cher“, wieder dieser abschätzende, aber durchaus wohlwollende Blick auf Steubens jugendlich kräftige Gestalt, „ist Machiavellis Fürst nichts anderes als eine perfekte Anleitung für jeden potenziellen Herrscher, der nach Erfolg und Macht strebt und beides auch behalten möchte. Es wird ganz deutlich herausgearbeitet, dass ihm jedes Mittel recht sein muss, um sein Land in Ruhe und Frieden zu führen. Im Idealfall kann er bei der Bevölkerung und seinen Nachbarn sogar als barmherzig gelten, weil er das Eigentum seiner Untertanen schont, und wenn er denn Blut vergießen muss, dafür immer einen triftigen Grund anführen kann. Klappt es mit der Barmherzigkeit nicht, aus welchem Grund auch immer, dann muss er notabene im Ruf stehen, despotisch zu sein. Alles ist besser, als verachtet zu werden. Warum, fragen Sie? Weil die Menschen leider üblicherweise falsch, feige, wankelmütig und undankbar sind. In diesem Punkt sind sich der Signore Machiavelli und mein hochwohlmögender Herr Bruder völlig einig. Je älter er wird, desto stärker prägt sich bei ihm dieser misanthropische Zug aus. Nur wenn das Volk und damit auch das Heer ihn fürchten, werden sie sich dreimal überlegen, ihn im Stich zu lassen, wenn die Dinge mal nicht so gut laufen, weil sie sich seiner grausamen Rache gewiss sein können.“

Der Prinz lächelte spöttisch. „Das empfiehlt Machiavelli seinem Fürsten – Fridericus Rex ist damit natürlich nicht gemeint! Aber genug davon! Die nächste Aufgabe Ihrer Einheit wird sehr interessant und gefährlich sein!“ Er klopfte auf ein dickes Bündel Befehle, das auf seinem Schreibtisch lag. „Ihr Kommandeur wird von mir selbstverständlich persönlich informiert, aber ich kann Ihnen schon verraten – das bleibt natürlich erst einmal unter uns –, dass das Korps auf Weisung des Königs einen Entlastungsangriff tief nach Franken hinein unternehmen wird, um die dortigen Fürsten und Reichsstädte daran zu hindern, sich hier mit ihren Truppen zu zeigen.“ Der Prinz seufzte. „Wenn ich so könnte, wie ich wollte, dann wäre ich mit dabei, aber …“Er erhob sich. „Ich wünsche Ihnen weiter viel Erfolg, und denken Sie daran, wer früh stirbt, kann nicht mehr befördert werden, mein lieber Steuben, und das würde ich persönlich sehr bedauern, da Sie doch ein so schneidiger Kerl sind!“ Er musterte ihn mit einem leicht verschleierten, sehnsüchtigen Blick.

Leutnant von Steuben war aufgesprungen und salutierte, dann machte er zackig kehrt und verließ das Zelt. Das war ein überaus interessantes Gespräch gewesen, das ihm noch lange Stoff für intensives Nachdenken geben würde.

*

Oberstleutnant Washington und Leutnant von Steuben, zwei Teilnehmer am Siebenjährigen Krieg, wie sie aufgrund ihrer Herkunft, der Ausbildung und den in den ersten Kriegsjahren gemachten Erfahrungen unterschiedlicher kaum sein könnten. Nun ja, was den Umgang mit der Wahrheit angeht, da war auch Steuben manchmal etwas großzügig. Schon sein Großvater hatte sich das „von“ unberechtigt zugelegt. Aber immerhin war er mit einer verarmten Gräfin verheiratet und wollte seinen Kindern durch das Adelsprädikat einen besseren Start ins Leben ermöglichen. Steuben hat dann später einen entsprechenden Stammbaum frei erfunden. Auf diesen Nachweis der uralten Blaublütigkeit hin erhielt er vom Markgrafen von Baden den exklusiven Hausorden der Treue und den Titel eines Barons. Die preußische Armee hatte er nach dem Krieg aufgrund von Intrigen des Grafen Wilhelm von Anhalt als Hauptmann verlassen müssen, auch in diesem Punkt korrigierte er die Wahrheit in seinem Sinne, indem er sich ohne falsche Bescheidenheit zum Oberst der Armee des Markgrafen von Baden ernannte, aber mit dieser Prahlerei rannte er in Paris bei Benjamin Franklin offene Türen ein. Dieser wirklich ehrenwerte Gentleman beförderte ihn mit den Worten „Ich weiß, dass man eine gute Ware in einer guten Verpackung liefern muss …“[7] in seinem Empfehlungsschreiben an den Congress[8] kurzerhand zum Generalleutnant der preußischen Armee!

Wie kommen nun Steuben und Washington zusammen, damit sie sich zur Erreichung des gemeinsamen Ziels, der Erlangung der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten, ergänzen können? Dazu musste der Mantel des Schicksals schon gewaltig rauschend einige Falten schlagen und sich so achtbarer Herren wie Mister P.P. Burdetts, eines leidenschaftlichen Gegners der Amerikapolitik der britischen Regierung, Benjamin Franklins, des amerikanischen Geschäftsträgers in Frankreich, Vergennes, des französischen Außenministers, sowie St. Germaines, des französischen Kriegsministers, bedienen. Nicht vergessen darf man in dieser Aufzählung die wahrscheinlich entscheidende Rolle eines berufsmäßigen Strippenziehers im Hintergrund, einer buntschillernden Gestalt mit dem Namen Caron de Beaumarchais; eines Uhrmachers, Glücksritters, Literaten und Geheimagenten. Aber wo sich jemand im Hintergrund tummelt, um den britischen Interessen zu schaden, da sind auch die ehrenwerten Gentlemen von Hermes Shipping Agencies in London mit ihren diversen Tochtergesellschaften in der ganzen Welt nicht weit. Denn um nach Amerika zu kommen, muss man den Atlantik überqueren – und wie heißt es doch so richtig? Britannia rules the Waves! Wo Seewasser ist, gibt es auch Haie, und wo Agenten sich tummeln, liegt die Shark mit ihrem jungen, wagemutigen Kommandanten Leutnant Turner wachsam auf der Lauer.

***

[1] Seine Exzellenz George Washington, Joseph J. Ellis, C. H. Beck, München 2005, S. 28

[2] S. 28 ebenda und „Diaries“, Bd. I., S. 198, zum Zitat Georgs III. siehe Anmerkung der Herausgeber, „Diaries“, Bd. I, S. 197

[3] ebenda S. 29

[4] ebenda, S 31

[5] ebenda S. 32 und Anmerkungen der Herausgeber, „Diaries“ Bd. I, S. 172

[6] Guillaume „Wilhelm“ René de l'Homme, Seigneur de Courbière hat es bei den Preußen bis zum General gebracht und war einer der wenigen Festungskommandanten, der 1806 nach der Niederlage von Jena und Auerstedt seine Festung Graudenz fast ein Jahr gegen die napoleonischen Truppen hielt.

[7] Franz Fabian, Steuben, Vision Verlag GmbH Berlin, 1. Auflage 1996

[8] 1776 verabschiedeten 13 Kolonien im „Kontinentalkongress“ die Unabhängigkeitserklärung der späteren USA von Großbritannien. Aus diesem Kongress entstand später der US-Kongress (Gründung 1789). Zur Unterscheidung wird der Kontinentalkongress in diesem Buch „Congress“ genannt.

Kapitel 1

English Harbour; August 1777

William Turner ließ sich nach vorne in die Leere fallen. Er stürzte kopfüber in freiem Fall durch die Luft. Schon näherte er sich der metallisch schimmernden Oberfläche. Er riss die Arme nach vorne und tauchte halbwegs elegant in das grüne Wasser der Bucht ein. Er bog den Rücken durch und schoss der Oberfläche entgegen. Laut schnaufend und prustend tauchte er auf, holte tief Luft, um dann mit kräftigen Schwimmstößen das Heck der Shark zu umrunden. Nachdem er zehn Minuten zügig hin und her geschwommen war, legte er sich auf den Rücken, ließ sich entspannt treiben und blickte in den blauen Morgenhimmel. Er liebte dieses morgendliche Ritual. Seit sein Bursche und Bootssteuerer Tom ihn das Schwimmen gelehrt hatte, ließ er keinen Morgen verstreichen, ohne sich eine halbe Stunde im Wasser zu tummeln – jedenfalls wenn er an Bord war. Er hatte damit ein Versprechen eingelöst, das er sich selbst gegeben hatte, als er in dem Piratennest Puerto Santo in Gefangenschaft geraten war, weil er Tom nicht mutig ins Hafenwasser hinterhergesprungen war. Und auch seine Flucht von der Piratenbrigg Medusa, auf der die schöne, begehrenswerte Janine Bondie das Kommando innehatte, wäre beinahe daran gescheitert, dass er nicht schwimmen konnte. Thomas Brown, der ehemalige Sklave von der Insel Guadeloupe, hatte sich als ein überaus begabter Lehrmeister entpuppt. Er hatte ihm die Angst vor dem nassen Element genommen und dafür gesorgt, dass er sich darin bald so sicher wie ein Seehund bewegen konnte. Nun ja, wenn er ehrlich war, dann waren seine Schwimm- und Tauchkünste im Vergleich mit denen der Schwarzen von den Inseln, den ehemaligen Trappern und den beiden Shawnees aus den Kolonien doch noch sehr bescheiden. Sie verhielten sich zu denen dieser Männer wie das zielstrebige Paddeln eines Pointers, der eine von seinem Herrn erlegte Ente aus einem See holt, zu den eleganten Bewegungen einer Robbe, die mit spielerischer Leichtigkeit einen Beutefisch fängt. Aber Tom hatte nicht mit Lob gespart: „Sehr gut, Käptum, Sör!“

Er hatte abgewehrt: „Tom, du brauchst mir keinen Honig um den Bart zu schmieren. Ich weiß, dass ich mich nie so perfekt und lautlos im Wasser bewegen werde wie ihr.“

„Wir haben das schließlich auch schon als kleine Steppkes gelernt, Zur, kaum, dass wir laufen konnten. Wir mussten nach Muscheln tauchen und Fische harpunieren, um den Speiseplan der Familie aufzubessern. Wir hatten einen Frühstart, würde ich meinen, Käptum, Sör.“

„Nun gut, wenn du das so siehst.“

Es war kurios, denn auch William war seit seiner frühesten Jugend auf dem Fischerboot seines Vaters mit hinaus auf den Ärmelkanal gefahren. Aber dort an Bord hätte niemand auch nur im Entferntesten daran gedacht, dass ein Fischer schwimmen können sollte. Wer über Bord fiel, hatte nicht genug aufgepasst, und im Falle eines Schiffbruchs im Sturm hätte die Fähigkeit, sich über Wasser halten zu können, das Leiden nur verlängert. Die Fischer liebten das meist graue, kalte Meer nicht; sie sahen es nicht als ihren Freund an, sondern begegneten ihm mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Respekt oder gar Angst – einige hassten es.

So hatte auch Turners Versuch, die Nichtschwimmer seiner Besatzung mit einer Prämie davon zu überzeugen, ebenfalls Schwimmunterricht zu nehmen, nur einen sehr mäßigen Erfolg gehabt. Zum einen waren die Kerle durch das verdiente Prisengeld wohl schon zu wohlhabend, zum anderen saßen vermutlich die alten Vorurteile bei den meisten einfach zu tief.

William Turner waren derartige Gefühle keineswegs fremd, denn auch er hatte die Hinterbacken mächtig zusammenpressen müssen, als er zum ersten Mal auf der Püttingplattform stand und Tom ihn von unten aus dem Wasser aufforderte, hinunterzuspringen. Wäre da nicht die Angst vor der mordsmäßigen Blamage gewesen, hätte er liebend gern auf der Stelle kehrtgemacht und wäre leise vor sich hin summend unauffällig in seiner Kabine verschwunden. Um ihm die Angst vor dem Wasser zu nehmen, hatte sich Tom vom Zimmermann ein etwa zwei Meter langes Stück einer beschädigten Marssegelrah zurechtsägen und die Schnittflächen glätten lassen. An der Spiere hatte er ein gutes halbes Dutzend Palsteks befestigt. An den beiden „Nocken“ hatte er dann noch jeweils zwei kleine Fässchen angelascht, damit die runde Spiere im Wasser nicht rollen konnte. Nachdem Turner ungeschickt ins Wasser geklatscht war, hatte Tom sofort seinen hustenden, schnaufenden, um sich schlagenden und Wasser spuckenden Kommandanten gepackt und zur Spiere gezogen. William hatte sich in die Schlaufen gehängt und zuerst hektisch mit den Beinen gestrampelt. Tom hatte ihn beruhigt: „Ganz ruhig, Käptum, nur die Beine langsam bewegen, als ob Sie einen Niedergang hinauflaufen wollen.“ Williams Kopf war dadurch immer gut über der Wasseroberfläche geblieben, und er hatte problemlos atmen können. Das hatte ihm die Sicherheit gegeben, nicht länger überhastet zu hecheln. „Jetzt hängen Sie die Arme über die Rah, Sör, und bewegen die Beine nicht mehr!“ William hatte gespürt, wie seine Beine und sein Unterkörper langsam nach oben angehoben wurden. Es war unfasslich, das Wasser zog ihn nicht in die Tiefe, sondern trug ihn, hob ihn an die Oberfläche. Was hatten ihm die dummen Leute zu Hause nur für einen Blödsinn erzählt!

Am nächsten Morgen hatte er zum ersten Mal auf dem Rücken im Wasser gelegen und entspannt in den Himmel über sich geblickt, die Hände immer noch in den Schlaufen an dem Rundholz. Zwei Tage später hatte die Spiere keine stabilisierenden Fässer mehr gehabt, und bald war sie nur noch eine Art Rückversicherung in Reichweite gewesen, so wie die Scharfschützen auf dem Achterdeck, die Ausguck nach verdächtigen Rückenfinnen hielten.

William Turner döste entspannt vor sich hin. Anders als vermutet, hatte ihn Mister Smith, der hiesige Resident des Geheimdienstes, nicht nach ein paar Tagen Aufenthalt zwecks Proviantierung und Auffüllung der Vorräte wieder hinaus auf See gejagt, sondern dafür gesorgt, dass die Shark in der Werft einer gründlichen Überholung unterzogen wurde. Dabei wurde auch das Unterwasserschiff von Bewuchs befreit und mit einem Gemisch aus Teer, Pech und Arsenik gepönt. Sie würde wieder so schnell wie ihr Namensvetter durch die Wellen schießen. Auch die örtlichen Verbände, die die Kräfte beim Abschuss der Karronaden und Langrohrgeschütze aufnahmen, wurden gründlich untersucht, aber lediglich die Befestigungen für die beiden von seinem Ersten Leutnant auf einer Prise „gefundenen“ Sechspfünder am Heck hatten verstärkt werden müssen. Turner spürte die warmen Sonnenstrahlen auf seinem Bauch und grunzte wohlig. Wenn er es recht bedachte, hatte er mit der Kommandierung auf die Shark