Harzhölle - Roland Lange - E-Book

Harzhölle E-Book

Roland Lange

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Beschreibung

Ein Munitionstransporter geht kurz nach seinem Verschwinden in Flammen auf. Der Fahrer? Tot in einer Waldhütte im Harz. Die Ladung? Nicht aufzufinden. In einem von völkischer Ideologie geprägten Ökodorf brennt ein Gebäude auf dem Hof des Bürgermeisters ab – der Verdacht fällt auf Umweltaktivisten. Stefan Blume ermittelt jedoch in einem anderen Fall: Ein Pharmaunternehmersohn soll für den Tod einer rumänischen Erntehelferin verantwortlich sein. Doch der Mann ist verschwunden. Währenddessen taucht Streicher, der Waldläufer, mit einer verletzten Frau auf und bittet Blume um Hilfe. Als Blume auf ein Reichsbürger-Netzwerk stößt, in das auch Angelika, eine Freundin von Katja, verwickelt zu sein scheint, erhält er einen Hilferuf von Katja. Ihm bleibt nur eine Wahl: sich den Verbrechern auszuliefern.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Lass dich nicht gehen, geh selbst! Magda Bentrup

Der Roman spielt hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über https://www.dnb.de© 2025 dotbooks GmbH, Max-Joseph-Straße 7, 80333 Mü[email protected]/dotbooks/CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Osterstraße 19, 31785 [email protected] Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.comSatz: CW Niemeyer Buchverlage GmbHE-Pub Produktion durch CW Niemeyer BuchverlageeISBN 978-3-8271-8743-7

Roland LangeHarzhölle

Prolog

21:30 Uhr.

Das war kein normaler Regen! Das waren Sturzfluten, die aus dem schwarzen, lichtlosen Himmel herabrauschten und an die Frontscheibe des Kleintransporters gepeitscht wurden. Die Scheibenwischer hatten kaum eine Chance gegen diese Urgewalt. Links und rechts der Landstraße glitten hinter dem Gischtschleier schemenhaft die Konturen alter Laubbäume vorbei, immer wieder erfassten die Scheinwerferkegel Blätter und dürre Äste, die über die Fahrbahn wirbelten, vom Sturm von den Bäumen gerissen. Ein verwaschenes Wüten der Natur.

Von Anfang an war bei diesem Transport der Wurm drin gewesen. Sie hatten Handfeuerwaffen und Munition geladen. Der Laderaum war bis unter das Dach mit Kisten vollgestopft. Vorschriftsmäßig gesichert und als normaler Gefahrguttransport deklariert. Kein sichtbarer Hinweis auf Militärgüter. Nicht der erste Auftrag, den das Speditionsunternehmen für die Bundeswehr ausführte. Oft quer durch ganz Deutschland. Von Nord nach Süd, von Ost nach West und umgekehrt. Immer war alles zur Zufriedenheit der Empfänger in den jeweiligen Kasernen und Depots verlaufen. Nie hatte es größere Abweichungen von den vereinbarten Routen und Ankunftszeiten gegeben. Neben einigen grundsätzlichen Voraussetzungen war Zuverlässigkeit das Maß der Dinge, wenn man als Privatunternehmer für solch einen Kunden arbeitete.

Die Wetteraussichten für den Tag waren nicht rosig gewesen, als sie am Morgen zu ihrer Fahrt hatten aufbrechen wollen, zum Munitionsdepot in Aurich. Dort den Transporter beladen und die Fracht ins Erzgebirge, nach Marienberg an der Grenze zu Tschechien, schaffen. Unangenehm, die angekündigte Starkregenfront, aber kein Problem. Normalerweise. Blöder war da schon der Schaden, den der Marder über Nacht im Motorraum des Lieferwagens angerichtet hatte. Es gab immer mal solche unvorhergesehenen Zwischenfälle. Für gewöhnlich stand ein Ersatzfahrzeug bereit. Nicht so heute. Alle Wagen der Flotte waren im Einsatz gewesen oder wurden für andere unaufschiebbare Aufträge gebraucht. So waren drei Stunden vergangen, bis sie endlich nach erfolgter Reparatur und ein paar hitzigen Anrufen ihres Disponenten vom Hof gefahren waren. Um dreizehn Uhr hatten sie die Kisten verladen, die abschließenden Checks hinter sich gebracht und Aurich verlassen. Gegen zwanzig Uhr hätten sie ihr Ziel erreichen können – mit einem Pkw, bei gutem Wetter, ohne Stopp und ohne Behinderungen auf der Strecke.

Für einen Transport wie ihren galten etwas andere Regeln. Allein die geringere Fahrgeschwindigkeit und die einzuhaltenden Pausen auf den dafür vorgesehenen, überwachten Plätzen nahe der Route verlängerten die Fahrzeit erheblich. Dazu war heute die abweichende Streckenführung über Bundes- und Landstraßen gekommen. Dank einer baustellenbedingten Sperrung der Autobahn. Der Empfänger wusste über alle Hindernisse und Einschränkungen Bescheid, war vom Dis­ponenten über den Fahrtverlauf informiert worden. Sogar die angekündigte Schlechtwetterfront war mit in die späte Ankunftszeit einkalkuliert gewesen.

Dass sich das Unwetter aber mit derartiger Wucht entladen würde, hätte niemand vorhersagen können. Es wäre vernünftig gewesen, die Fahrt zu unterbrechen und an einem der dafür vorgesehenen Stützpunkte zu übernachten. Waffen- und Munitionstransporte sollten möglichst tagsüber durchgeführt werden. Dieser Auftrag verlangte jedoch Eile, und sie waren ohnedies schon verdammt spät dran.

Der Fahrer des Transporters funkte den Disponenten in der Basis an. Informierte ihn, dass sie das Tempo für eine Weile weiter drosseln mussten und daher noch langsamer vorankamen als ohnehin schon. Darüber, wie viel Fahrzeit sie das Scheißwetter zusätzlich kosten würde, wollte er nicht spekulieren. Dann ließ er sich zu einem kleinen Scherz über seinen Beifahrer hinreißen. Ein neuer, junger Kollege, der seine erste Tour machte und seine Nervosität angesichts der tobenden Elemente mit dem Herumdaddeln auf dem Smartphone zu überspielen versuchte. Er sitze da, als würde er sich jeden Moment vor Angst in die Hose scheißen, ließ der Fahrer den Mann im Firmenbüro wissen und zwinkerte seinem neuen Partner breit grinsend zu.

„War ’n Spaß“, sagte er, an den verkrampft auf dem Sitz kauernden schlaksigen Kerl gerichtet, und gab ihm einen Klaps auf den Oberschenkel. „Entspann dich. Ist nur Regen, kein Weltuntergang.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „In zehn Minuten kannst du das Steuer übernehmen. Das packst du doch, oder?“

Der Bengel reagierte mit einem zaghaften Nicken, blickte dabei auf seine linke Hand, an der seit einem Unfall mit einer Kreissäge zwei Finger fehlten. Dann starrte er wieder auf das prasselnde, wirbelnde Chaos vor der Windschutzscheibe.

Sekunden später durchdrang verschwommenes blaues Flackern die Regenwand. Ein ganzes Stück entfernt, aber doch eindeutig.

„Verfluchte Scheiße!“, stöhnte der Fahrer auf. „Muss denn heute alles schiefgehen?“ Er griff sofort zum Funkgerät. „Es gibt das nächste Problem“, teilte er seinem Kontaktmann im Büro mit. „Polizei. Irgendwas ist passiert. Unfall, Baum umgestürzt. Weiß der Geier! Melde mich gleich wieder. Erst mal sehen, was da los ist. Ich könnte kotzen. Echt!“

Im Schritttempo rollten sie auf die Gefahrenstelle zu. Zwei Einsatzfahrzeuge standen quer zur Fahrbahn. VW-Bullis der Polizei mit rotierendem Blaulicht. Davor zwei Beamte, die Kellen schwenkend. Nichts zu sehen von der Ursache für die Sperrung. Vielleicht ein Stück weiter entfernt, hinter der nächsten Kurve.

Sie hielten. Einer der beiden Polizisten kam ihnen entgegen.

Der Fahrer des Gefahrguttransporters ließ die Seitenscheibe herunter, wandte sich dem Mann zu.

„’n Abend, Herr Wachtmeister“, begrüßte er missmutig knurrend den Beamten im Regenponcho. „Na, hat’s gekracht?“ Er seufzte und verdrehte theatralisch die Augen. „Kein Wunder bei dem Mistwetter.“

Der Polizist nickte. „Stellen Sie bitte den Motor aus“, forderte er schroff.

Der Fahrer folgte der Anweisung. „Dauert es lange?“, fragte er. „Wir müssen heute noch ’ne dringende Lieferung loswerden.“

„Kommt ganz auf euch an“, erwiderte der Mann.

„Was? Was kommt auf uns an?“

„Ob ihr brav seid.“

„Hä? Was soll der Scheiß?“, blaffte der Fahrer. Wenn das ein Scherz sein sollte, konnte er nicht darüber lachen. Ihm war gerade nicht zum Spaßen zumute.

Einen Augenblick später erkannten er und sein Beifahrer den Grund für die Straßensperre. Und sie begriffen: Sie würden ihr Ziel nicht erreichen – weder an diesem noch an einem anderen Tag.

22:45 Uhr.

Das Trackersymbol verschwand vom PC-Monitor im Büro des Speditionsunternehmens. Alle Fahrzeuge der Flotte waren mit einem GPS-Tracker ausgerüstet und wurden zentral überwacht.

Der Disponent hatte dem kleinen Dreieck seine ganze Aufmerksamkeit gewidmet, nachdem er von der Polizeisperre erfahren hatte. Das Icon war kurz nach der Meldung zum Stehen gekommen und dann, einige Minuten später, seitlich von der Straße abgewichen. Der Fahrer hatte ihm schwer atmend und mit stockender Stimme erklärt, die Polizei leite sie über eine für den öffentlichen Verkehr gesperrte Forststraße an der Gefahrenstelle vorbei. Etwas, das so nicht sein durfte. Diese Abweichung war nicht autorisiert.

Das war die letzte Meldung aus dem kleinen Lastwagen gewesen. Der Kontakt zum Fahrer war abgebrochen und hatte das ohnehin ungute Gefühl des Disponenten zusätzlich verstärkt. Die vermeintliche Forststraße, über die der Transporter umgeleitet werden sollte, gab es nicht. Zumindest nicht auf der Straßenkarte, die dem Trackersymbol unterlegt war. Auch der Wechsel auf das Satellitenbild ließ keine durchgängige Straße oder Ähnliches erkennen. Dafür etwas, das aussah wie eine Schneise, die auf ein kleines, baumfreies Areal mitten im Wald zuführte. Auf dem augenscheinlich umzäunten Platz stand ein Gebäude. Eine Halle, ein Schuppen, nicht klar zu identifizieren. Und genau auf dieser Schneise entlang glitt das Symbol, erreichte die Frei­fläche. Als es über dem Bauwerk schwebte, fror es ein und bewegte sich nicht mehr. Minuten später erlosch es. Jeglicher Kontakt zu dem Transporter war verloren.

Da draußen war etwas gewaltig aus dem Ruder gelaufen, das hatte der Disponent sofort begriffen und umgehend die zuständigen Stellen alarmiert. Als etwa eine halbe Stunde später die Einsatzkräfte von Polizei und Bundeswehr vor Ort eintrafen, fanden sie eine leere Lagerhalle vor. Darin ein paar undeutliche feuchte Reifenabdrücke auf dem Betonboden. Vor der Halle konnten sie kaum auf brauchbare Profile oder andere Spuren hoffen. Weder auf dem mit Kies befestigten Platz, noch in den ausgewaschenen, mit Regenwasser gefüllten Fahrrinnen, durch die sich kurz zuvor schon die Einsatzfahrzeuge ihren Weg gebahnt hatten. Der Transporter war verschwunden. Mitsamt der Ladung und den zwei Fahrern. Vermutlich hatten die Täter den Aufenthalt in der Halle nicht genutzt, um die Kisten mit den Waffen und der Munition auf ein anderes Fahrzeug umzuladen. Dazu war die Zeit zu kurz gewesen. Sie hatten innerhalb weniger Minuten den Tracker zerstört oder deaktiviert und sich dann mit dem erbeuteten Transporter aus dem Staub gemacht. So musste es gewesen sein.

Die Ermittler hatten keine Zweifel, dass der Kleinlaster einem organisierten Überfall zum Opfer gefallen war. Das wiederum bedeutete, die Täter hatten von der Fracht ebenso gewusst wie von der Route, die der Wagen nehmen würde. Insiderwissen also. Aber wer hatte die internen Details nach außen getragen und vor allen Dingen – an wen verraten?

Lecks konnte man an vielen Stellen vermuten; beim Personal im Munitionsdepot ebenso wie in der Zielkaserne. Aber natürlich in erster Linie in der Speditionsfirma, sehr zum Leidwesen des Firmeninhabers, der einen kaum wiedergutzumachenden Schaden für das Renommee seines Unternehmens sah. Darüber hinaus gab es nicht den geringsten Hinweis auf das Schicksal der zwei Fahrer. Lebten sie noch? Waren sie bei dem Überfall getötet worden? War einer von ihnen gar die undichte Stelle? Der Neue? Oder steckten sie beide unter einer Decke und hatten gemeinsame Sache mit den Tätern gemacht?

Überhaupt, die Täter! Wer waren die? Ein breites Spektrum Verdächtiger bot sich an. Gut organisierte Extremistengruppen unterschiedlich politisch motivierter Lager ebenso wie Einzeltäter, deren Antrieb das Geld war, das man mit einem Transporter voller Handfeuerwaffen und Munition verdienen konnte.

Knapp eine Woche später fand man den Kleinlaster. Zwischen Querfurt und Sangerhausen. In unmittelbarer Nähe des Flugplatzes Allstedt stand er brennend auf dem Gelände der ehemaligen Wohnanlage der russischen Streitkräfte.

Ein Rentner aus dem rund drei Kilometer entfernten Ortsteil Winkel hatte das Feuer bemerkt, als er kurz nach Mitternacht aus seinem wieder mal unruhigen Schlaf hochgeschreckt und zur Toilette geschlurft war. Der helle Schein hinter den dünnen Fenstervorhängen hatte ihn irritiert. So eine Helligkeit passte nicht in eine mondlose Nacht. Es musste etwas anderes dahinterstecken. Er hatte hinausgesehen und, nachdem ihm Augenblicke später die Ursache klar gewesen war, die Feuerwehr alarmiert. Dann hatte er sich angezogen, war aufs Rad gestiegen und dem Feuer entgegengefahren. Er musste wissen, was dort brannte. Endlich passierte mal was! Seit dem Tod seiner Frau war es einsam um ihn geworden, und ein ereignisloser Tag folgte dem nächsten.

Als der alte Mann sein Ziel erreichte, war das Feuer so gut wie gelöscht. Von seinem Platz am Absperrband der Polizei konnte er nur noch an ein paar Stellen ein müdes Aufflackern sehen und eine dünne Dampfwolke, die aus dem mit Schaum überzogenen Stahlgerippe aufstieg. Mehr war von dem Fahrzeug nicht übrig geblieben. Ein kleiner Lastwagen schien das gewesen zu sein.

Wie richtig der Alte mit seiner Vermutung lag, wurde ihm erst später klar, als er in der Zeitung las, dass es sich um den mit Waffen und Munition beladenen Transporter handelte, der wenige Tage zuvor überfallen und gestohlen worden war. In dem Artikel wurde gemutmaßt, dass die Gangster in der Brandnacht mitsamt ihrer Beute womöglich über den nur ein paar Meter entfernt liegenden Flugplatz entkommen waren. Mit einer gecharterten Maschine ausgeflogen. In einen dieser Schurkenstaaten im arabischen Raum, von welchem aus dann mit den gestohlenen Waffen in Deutschland Anschläge verübt wurden.

Es war ein durchaus nachvollziehbarer Gedanke. Allein – solange es keine handfesten Beweise dafür gab, reine Spekulation. Wie hätte die Aktion auf dem Flugplatz laufen sollen? Im Geheimen? Nach Sonnenuntergang? Wäre das so einfach gewesen? Die andere Möglichkeit: ein offizieller Charterflug mit Fracht. Falsch deklariert. Unverdächtig erscheinendes Flugziel. Beide Optionen aber nur durchzuziehen, wenn die richtigen Leute mitspielten. Aus Überzeugung oder gegen Bares. Folglich nicht auszuschließen, dass tatsächlich jemand unbemerkt mit einem Kleinflugzeug außer Landes kam.

Und sonst? Nichts! Nicht einmal der kleine Sprengsatz, ferngezündet und Ursache für den Transporterbrand, wies in eine bestimmte Richtung. Zusammengebastelt aus handelsüblichen Materialien, die an jeder Straßenecke zu haben waren.

Es fehlte weiter eine brauchbare Spur. Von den Tätern, der Beute und – Anlass zur größten Sorge – von den beiden Fahrern.

1. Kapitel

Stefan Blume stieg aus dem Taxi. Er stellte seine Reisetasche ab, reckte sich und blickte dem davonfahrenden Wagen mit einem erleichterten Seufzer hinterher.

Vier Tage Krankenhausaufenthalt lagen hinter ihm. Vier Tage, denen sorgenvolle Monate vorausgegangen waren. Öfter als sonst hatte ihn seine starre Mimik an die missglückte Gesichtsoperation auf den Philippinen erinnert. Zu seinen grundsätzlichen Zweifeln an den Fähigkeiten von Chirurgen hatte sich darüber hinaus die Angst gesellt, nach erfolgtem Eingriff mit einer Krebsdiagnose und weiteren quälenden Behandlungen konfrontiert zu werden.

Sich angesichts des Philippinen-Desasters erneut in die Hände wildfremder Schlächter zu begeben, war kein Entschluss aus freien Stücken gewesen. Zweifellos hätte er weiterhin einen großen Bogen um die Praxis von Dr. Scherzing, dem Hausarzt unten in Neustadt, gemacht, wären Blasenschmerzen und quälender Harndrang nicht zunehmend zum Problem geworden. Tagsüber und insbesondere nachts. Nach diesem ersten Schritt durch die Praxistür des Allgemeinmediziners war alles Weitere einem unvermeidlichen Drehbuch gefolgt. Die Überweisung zum Urologen, dessen dringende Empfehlung einer Prostata-Verkleinerung und das Versprechen einer rosigen Lebensqualität nach Abschluss der Behandlung. Vorausgesetzt, man finde nichts Bösartiges. Es folgte die Voruntersuchung in der Klinik nebst Aufklärung über alle Risiken und Nebenwirkungen eines solchen Eingriffs – ein durchaus bedrohliches Szenario. An diesem Punkt hätte Blume noch „Nein“ sagen und seine Unterschrift verweigern können. Aus Angst vor möglichen späteren Folgen einer Nichtbehandlung hatte er der Operation aber doch zugestimmt.

Dann der Tag der Wahrheit. Gesteuert von einer medizinischen Pflegekraft hatte er die Fahrt im Bett durch die Klinikflure und mit dem Fahrstuhl hinab in die von Kunstlicht erhellten Katakomben angetreten. Mit nicht mehr am Leib als einem klein gemusterten Patientenkittel und ... Thrombosestrümpfen!

Schließlich die Umbettung auf den Operationstisch, die Verkabelung mit den Überwachungsmonitoren, die Narkoseflüssigkeit, in seine Venen träufelnd. Die Vorbereitung auf das Gemetzel in seinem Unterleib – dem furiosen Ende dieses absurden Films. Das „Grande Finale“. Er hatte es verpasst. Sein Geist war in den unendlichen Weiten des Universums unterwegs gewesen.

Alles das war jetzt überstanden. Er musste sich keine Gedanken mehr über bleibende Schäden machen. Oder darüber, dass sich im entnommenen Gewebe eine böse Überraschung versteckt hielt. Ab heute war Blume, von einigen vorübergehenden kleinen Unannehmlichkeiten abgesehen, wieder Herr seiner selbst. Konnte hinter seiner starren Gesichtsmaske milde in sich hineinlächelnd auf die paar Tage der Hilflosigkeit zurückblicken, die er nach dem Eingriff hatte erdulden müssen. Auf das jämmerliche Bild eines kraftlosen alten Mannes, das er abgegeben hatte. Auf sein bestes Stück, das über einen Katheter mit einem transparenten Plastikbeutel verbunden gewesen war. Ein wenig kleidsamer Begleiter, dieser Beutel, den er mit sich herumschleppen musste, sobald er sein Bett verließ und auf wackeligen Beinen durch das Zimmer schlurfte. Erniedrigend! Dazu sein Bettnachbar, dessen Redebedarf und Neugier keine Grenzen zu kennen schienen und der sich zu allem Überdruss nachts in ein lärmendes Sägewerk verwandelte. In diesen paar schlaflosen Nächten hatte er eine Ahnung davon bekommen, wie sogar harmlose, friedliebende Menschen zu Mördern werden konnten.

Blume bückte sich, hob die Reisetasche wieder an. Wurde sich der Last bewusst, die er in der Hand hielt. Verursacht allein durch ein paar Kleidungsstücke und sonstigen Kleinkram, von dem er angenommen hatte, ihn in der Klinik zu benötigen. Überflüssig, das alles. Völliger Quatsch! Aber hinterher war man ja immer schlauer. Wichtig jetzt, dass er die Tasche möglichst schnell ins Haus schaffte und abstellte.

Vier Wochen mindestens solle er sich schonen, hatte ihn der Stationsarzt ermahnt. Weder Rad fahren, noch sich aufs Motorrad setzen. Kein Problem. Ein Motorrad besaß er nicht, und wann er das letzte Mal ein Fahrrad benutzt hatte, daran konnte er sich nicht erinnern.

Und möglichst keinen Sex! Aha! Das wäre für manch einen schwer zu ertragen gewesen. Für ihn nicht. Mit wem hätte er auch intim werden sollen? Katja war keine feste Größe mehr in seinem Leben. Gelegentlich traf er sich mit ihr. Allerdings nur auf einen Kaffee und ein belangloses Gespräch. Und eine andere Frau gab es nicht.

Blieb das Heben schwerer Lasten. Das galt es ebenfalls zu vermeiden. Doch wo lag die Grenze zwischen leichter zu schwerer Last? Kam er mit seiner vollgepackten Reisetasche schon in den roten Bereich? Er wusste es nicht, aber das Ding hing plötzlich wie ein Zentnergewicht an seinem Arm.

Nicht gut. Wieder abstellen und stehen lassen? Jemanden suchen, der ihm tragen half? Mensch Blume, jetzt werde bloß nicht panisch! Das ist nur eine verdammte Reisetasche! Vollgepackt, ja. Aber kein Fünfzig-Kilo-Sack Zement!

Er stapfte beherzt auf die Haustür zu, schloss auf, ging hinein. Nicht nach oben, in die kleinen Räume mit den Dachschrägen. Er hatte sich im Erdgeschoss eingerichtet. In Katjas ehemaliger Wohnung. Der „Mordwohnung“, wie sie sie einmal genannt hatte. Seit sie den Ponytale Saloon und die Ferienhäuser verkauft hatte und weggezogen war, lebte er allein in dem Haus. Noch. Sein Mietvertrag lief in einem Vierteljahr aus und würde nicht verlängert werden. Was Blume nicht störte. Das war die Abmachung gewesen. Er hatte rechtzeitig nach einer neuen Bleibe gesucht. Und sie auf einem seiner seltenen Ausflüge ins Umland gefunden. Ein Ladengeschäft mit Hinterzimmerwerkstatt und einer gemütlichen kleinen Wohnung im Obergeschoss eines alten Fachwerkhauses. Nur wenige Kilometer entfernt, in Ilfeld. In einer schmalen Seitenstraße nördlich der Ruine Ilburg. Der fünfundsiebzigjährige, schon recht gebrechliche Eigentümer und Inhaber des Ladens, ein Goldschmied, hatte vergeblich einen Nachfolger gesucht und sich letztlich zum vollständigen Rückzug aus dem Geschäftsleben und zum Verkauf des Gebäudes entschlossen. Alter und Gesundheit ließen ihm keine andere Wahl.

Blume hatte an jenem Tag den Burgberg erklommen und die wildromantische Natur genossen. Später, nach seinem Abstieg vom Berg, war er noch eine Weile herumgeschlendert und durch Zufall auf das Schild hinter der Schaufensterscheibe des leer geräumten Geschäfts aufmerksam geworden. Es hatte die Erinnerung an Hannover in ihm wachgerufen. „Elektrogeräte aller Art – Reparaturen, An- und Verkauf“ – das war der Schriftzug auf der Glasfront seines damaligen Ladens gewesen. Warum nicht?, hatte er überlegt. Was spräche dagegen, dort anzuknüpfen, wo er seinerzeit nicht ganz freiwillig aufgehört hatte? Die Bestrebungen der EU, ein Recht auf Reparatur zu etablieren, ließen den Gedanken sogar in ökonomischer Hinsicht vernünftig erscheinen.

Binnen kürzester Zeit war sich Blume mit dem Juwelier handelseinig geworden. Vielleicht auch deshalb, weil der in ihm jemanden gesehen hatte, der nicht auf schnellem Profit aus war und der die Substanz und den Charakter des alten Hauses erhalten würde. Nichts anderes hatte er vorgehabt. Es war nie seine Absicht gewesen, den Laden in ein kaltes, spiegelndes und seelenloses Geschäft zu verwandeln, von denen es ohnehin zu viele gab. Er wollte das tun, was er in Hannover getan hatte: Elektro-Kleingeräten ein zweites Leben verschaffen, sie vor einem allzu schnellen Begräbnis auf dem Schrottfriedhof bewahren. Und dafür war das Haus mit seinem antik anmutenden Verkaufsraum und der Werkstatt wie gemacht. Ganz abgesehen davon, dass er sich hier ebenfalls, hinter der Fassade, seinen gelegentlichen Aufträgen als Privatdetektiv widmen konnte.

Zu dem ausgesprochen fairen Kaufpreis für das Haus würde Blume weiteres Geld in notwendige Reparatur- und Renovierungsarbeiten, hauptsächlich in der Wohnung im Obergeschoss, stecken müssen. Mit seinem Barvermögen und einem Darlehen hatte er sich bis an den Rand seiner finanziellen Möglichkeiten gebracht. Das wiederum bedeutete, ihn erwartete für eine Weile ein Leben von der Hand in den Mund. Aber die Aussicht belastete ihn nicht. Er war ein bescheidenes Dasein gewohnt. Tief in seinem Inneren wusste er genau, er hatte das Richtige getan.

Im Flur ließ Blume die Reisetasche erneut fallen. Er schaffte es nicht mehr, sie ins Schlafzimmer zu tragen. Stattdessen hastete er mit schnellen Trippelschritten ins Bad. In letzter Sekunde erreichte er die Toilette. Man hatte es ihm prophezeit! Die Nachwehen würden ihm noch eine Weile zu schaffen machen, ehe er wieder die volle muskuläre Kontrolle über seine Körperfunktionen unterhalb des Bauchnabels erlangt hatte. Bis dahin – na ja, bis dahin war mit der einen oder anderen feuchten Überraschung zu rechnen.

Ein Werbespot kam ihm in den Sinn: Da grinste dieser grauhaarige Mann im Rentenalter mit hochgerecktem Daumen in die Kamera. Muskulös, sportlich, nur mit einem Slip bekleidet warb er für Männerbinden. „TENA MEN – volle Kontrolle bei Harnverlust.“ Sollte er, Blume, auch ...? Nur für die Übergangszeit? Nein, auf gar keinen Fall! Er würde seinem ehernen Männerbild nicht den ultimativen Todesstoß versetzen! Nicht auf solch peinliche Weise!

Es dämmerte schon, als Blume Stunden später die Augen aufschlug. Er hatte die Reisetasche unausgepackt vor dem Schlafzimmerschrank stehen gelassen und sich angezogen aufs Bett gelegt. Nur einen Moment ausruhen. Aus dem Ausruhen war tiefer Schlaf geworden. Die nervtötenden Schnarchtiraden während der Kliniknächte hatten ihre Spuren hinterlassen. Er verspürte Hunger. Das Krankenhausfrühstück am Morgen war bisher alles gewesen, was er gegessen hatte. Für ein ordentliches Steak mit Beilagen im Ponytale Saloon hätte er in diesem Moment sein Leben gegeben. Doch ausgerechnet heute war Ruhetag. Blieb ihm nur der Gang in seine Küche. Und auf dem Weg dahin ein erneuter kurzer Abstecher zur Toilette.

Lustlos starrte er Minuten später auf das magere Angebot in der Kühl-Gefrierkombination. Ein abgelaufener Joghurt, Margarine, ein Stück Hartkäse, Marmelade, H-Milch und ein geöffnetes Glas mit zwei in der Lake herumschwimmenden Hot-Dog-Würstchen. Dazu eine Tiefkühlpizza und eine Packung Seelachsfilet im Gefrierfach. Blume zögerte, überlegte, ob es Sinn machte, ein paar Kilometer zu fahren und seinen Hunger in einem Imbiss oder einem nahe gelegenen Gasthaus zu stillen. Seine momentane Unpässlichkeit hielt ihn davon ab. Er entschied sich für die Pizza, schob sie in den Backofen. Nutzte die Zwischenzeit, um sich einen Überblick über das zu verschaffen, was sich in den Tagen seiner Abwesenheit im Briefkasten gesammelt hatte. Werbung, hauptsächlich. Zwei Rechnungen, die er erwartet hatte. Ein Brief vom Grundbuchamt. Und ein Zettel, handgeschrieben. Von Geli, Geschäftsführerin des Ponytale Saloons, Katjas Nachfolgerin.

„Hallo Herr Blume, hier war ein Mann, der hat nach dir gefragt“, stand darauf. Obwohl per Du mit ihm, weigerte sie sich sogar schriftlich, ihn beim Vornamen zu nennen. „Schien wichtig. So ein richtig arroganter alter Schnösel war das. Melde dich, wenn du wieder da bist. Geli.“

Blume fragte sich, wer ihn so dringend sprechen wollte. Ein neuer Klient? Aus seinem überschaubaren Bekanntenkreis war es vermutlich niemand. Von denen war jeder und jede Geli schon mal über den Weg gelaufen. Diese Person schien ihr überdies äußerst unsympathisch gewesen zu sein. Er schob den Zettel in seine Hosentasche, riss den Brief vom Grundbuchamt auf, zog das Blatt heraus, faltete es auseinander und las. Da stand es schwarz auf weiß: Er war jetzt offiziell Eigentümer des Hauses mit dem kleinen Ladengeschäft. Ein lange nicht gespürtes Glücksgefühl überkam ihn.

Er warf die ungeöffneten Briefe mit den Rechnungen achtlos auf die Ablage unter dem Garderobenspiegel. Darum brauchte er sich jetzt nicht zu kümmern. Dann ging er zurück in die Küche. Die Kopie des Grundbuchblattes nahm er mit, legte sie auf den Esstisch. Fünf Minuten später saß er pizzakauend da, seinen Blick fest an das Schreiben des Amtes geheftet. Vor seinem geistigen Auge sah er die Ladenregale, gefüllt mit den unterschiedlichsten elektrischen Kleingeräten, vom Toaster über Kaffeemaschinen bis zum Akkuschrauber und Handmixer. Zum Tode verurteilt und von ihm zu neuem Leben erweckt. Auch museumsreife Stücke wie Kassettenrekorder würden darunter sein, ausgegraben bei Haushaltsauflösungen, versteckt auf Dachböden unter allerlei verstaubtem Gerümpel. Und vielleicht sogar wieder die eine oder andere Spieluhr. Ein paar Exemplare hatte er damals in Hannover zum Verkauf angeboten gehabt.

Er erinnerte sich an die Frau, Hanka Altmann hieß sie. Bei ihrem ersten Besuch in seinem Laden hatte sie andächtig vor den Uhren gestanden und ihn dann, anstatt eins der Unikate zu kaufen, gefragt, ob er der Privatdetektiv Blume sei. Jemand, der offiziell gar nicht existierte. Er hatte sie abwimmeln wollen, sich schließlich zu erkennen gegeben und überreden lassen, sie bei der Suche nach ihrem über dreißig Jahre lang verschollenen Sohn zu unterstützen. Es war ein Auftrag gewesen, der ihn weit zurück in seine eigene Vergangenheit geführt hatte.

Mit einem Seufzer faltete er das Papier zusammen, schob es zur Seite und lehnte sich, den Rest Pizza kauend, gegen die Stuhllehne. Versonnen schaute er aus dem Fenster. Über der dunklen Silhouette des westlichen Horizonts lag ein letzter blassgelber Streifen Sonnenlicht. Er kam ihm vor wie ein Hoffnungsschimmer. Ein Fingerzeig auf seinen neuen Lebensabschnitt. Ohne seinen ärgsten Feind Gerhard Hauser, der endlich in der Hölle schmorte. Aber auch ohne Katja ... zumindest, was das Zusammenleben betraf. Es tat immer noch etwas weh. Ihr Entschluss, den Saloon, die Ferienhäuser, einfach alles zu verkaufen und woanders neu anzufangen. Allein! Weil es unter einem gemeinsamen Dach nicht mehr ging. Ein Genickschlag, über den ihn auch ihre Zusicherung, er könne sie jederzeit in ihrem neuen Zuhause besuchen, nur schwer hatte hinwegtrösten können. Monate hatte es gedauert, ehe er aus dem Loch gekrochen war, in das sie ihn gestoßen hatte. Aber jetzt, ein Jahr später, gab es endlich auch für ihn eine Perspektive. Es würde gut werden, das spürte er. Ab morgen. Heute wollte er einfach nur den Tag ausklingen lassen. Mit einem Glas Whiskey vor dem Fernseher.

Die Abendnachrichten brachten die übliche Sammlung deprimierender Tagesereignisse. Krieg, Flucht, Naturkatastrophen, Hass, Wut, Zerstörung. Es nahm kein Ende, wurde, im Gegenteil, immer mehr. Dem stand seine eigene Hilflosigkeit entgegen. Blume hatte sich schon eine ganze Weile emotional aus dem Weltgeschehen zurückgezogen. Die Fernsehbilder rauschten an ihm vorbei, lösten kaum noch Gefühle in ihm aus. Gleichgültigkeit statt Anteilnahme, um nicht in den Fluten zu ersaufen.

Dann doch eine Nachricht, die ihn aufhorchen ließ: Ein Brandanschlag auf die Stallgebäude des Großbauern Spormann in Klein Elligsen am nördlichen Harzrand. Zwei Pferde waren dem Feuer zum Opfer gefallen, ein Hofangestellter war mit schweren Brandverletzungen ins Krankenhaus geflogen worden. Nur mit Glück hatte man das Übergreifen der Flammen auf die Wohngebäude und so eine Katastrophe verhindert.

Blume hatte von dem Bauern gehört. Er erinnerte sich an einen kurzen Film im Rahmen einer NDR-Dokumentation, in der es um eben jenen Markus Spormann gegangen war: Ein streitbarer Zeitgenosse, der Mann. Er ging keiner politischen Auseinandersetzung aus dem Weg. Und er war ein Pionier. Er bewirtschaftete nicht nur seinen Hof nach ökologischen Richtlinien, machte sich öffentlich stark für diverse Maßnahmen zum Schutz der Umwelt. Er war Bürgermeister eines anerkannten Biodorfes. Aber er verwaltete die Dreihundert-Seelen-Gemeinde Klein Elligsen nicht nur, sondern war großzügiger Sponsor und engagierter Macher einer lebendigen Dorfgemeinschaft. Das Herz, der Motor. Die Leute liebten ihn.

Einige Hinweise deuteten auf Täter aus der Szene der Klimaaktivisten hin, zog ein Polizeisprecher am Brandort in einem kurzen Statement ein vorläufiges Resümee. Man stehe aber erst am Anfang der Ermittlungen.

Blume wunderte sich. Dank Spormanns grünem Engagement hätte er die Urheber des Anschlags eher im gewaltbereiten rechten gesellschaftlichen Spektrum vermutet. Oder bei den Linksextremisten, die auch immer einen Grund suchten, um Randale zu machen. Nicht bei den Klimaaktivisten. Die waren bisher nicht durch derart gewalttätige Aktionen aufgefallen. Und schon gar nicht gegen Personen, welche die gleichen Ziele vertraten wie sie selbst, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln. Das passte doch nicht!

Er schüttelte sich innerlich, wollte den Detektiv loswerden, der sich augenblicklich in ihm meldete. Das war Sache der Polizei. Da brauchte er seine Nase nicht hineinzustecken. Es würde ohnehin keiner kommen und ihn um Hilfe bitten. Und überhaupt – er hatte anderes zu tun, das wichtiger war. Er musste ein Haus renovieren. Sein Haus!

Er trank das Glas leer, stellte es wieder auf dem Couchtisch ab. Ließ sich zurücksinken. Unbewusst glitt seine Hand in die Hosentasche, ertastete Gelis Zettel. Er zog das Stück Papier heraus, starrte einen Moment darauf. Wer wollte ihn da so dringend sprechen? Und warum? Sollte er Geli jetzt noch anrufen und sie fragen?

Es juckte Blume in den Fingern. Nein, entschied er dann. So akut war es sicher nicht. Das hatte Zeit bis morgen.

2. Kapitel

Verschlafen stapfte Blume hinunter zum Saloon. Ein kräftiges Frühstück mit Rühreiern und Speck, dazu einen Pott Kaffee, in dem der Löffel stehen bleibt. Das brauchte er jetzt, um seine Lebensgeister zu wecken.

Seine Nacht war nicht sehr erholsam gewesen. Geplagt von wirren Träumen war er immer wieder aufgewacht. Dreimal, um genau zu sein. Ob ihn die Traumturbulenzen aus dem Schlaf gerissen hatten oder äußere Einflüsse, das konnte er im Nachhinein nicht sagen. Er erinnerte sich an verdächtige Geräusche. Einmal, es musste gegen Mitternacht gewesen sein, war er aufgestanden und barfuß durch alle Räume geschlichen. Hatte nachgeschaut, ob jemand in die Wohnung eingebrochen war. Über die Terrassentür, die nach wie vor ein Sicherheitsrisiko darstellte. Die Investition in eine Außenjalousie wäre sicher eine sinnvolle Maßnahme. Aber er wohnte nicht mehr lange hier, und außerdem war das Sache des neuen Eigentümers.

Weder drinnen noch vor dem Haus war ihm etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Vielleicht hatte sich ein Marder in einem der Hohlräume eingenistet, die sich in nahezu jedem Gebäude befanden. Diese Biester waren die Pest! Ob sie sich über Kabel und Schläuche unter Motorhauben hermachten oder in Dachkästen randalierten.

„Guten Morgen, Herr Blume!“, begrüßte Geli ihn, kaum dass er den Ponytale Saloon durch den Hintereingang betreten hatte. Er kam stets durch die Hintertür, meist über den Hof, von der Baracke her, in der sich das Büro befand. Offiziell immer noch sein Büro, in dem er nach wie vor die Buchhaltung für das Geschäft erledigte.

Geli stand in dem schmalen Flur vor der Tür zur Küche und strahlte ihn voller Tatendrang an. Ein fast schon unerträglicher Anblick für ihn.

„Na, haben sie dich wieder freigelassen?“, fragte sie und bedachte ihn dabei mit einem spöttischen Grinsen. „Aber so richtig gesund siehst du nicht gerade aus.“ Das Grinsen war verschwunden, ihre Augen musterten ihn besorgt.

Blume winkte ab. „Mir geht es gut“, brummte er. „Hab nur schlecht geschlafen. Bin heute Morgen etwas durch den Wind.“

Gelis Miene hellte sich wieder auf. „Dann wäre das Holzfäller-Frühstück genau das Richtige für dich“, schlug sie vor. „Danach kannst du Bäume ausreißen.“

„An so was in der Richtung habe ich auch gedacht“, bestätigte Blume. „Also, was das Frühstück betrifft. Nicht das Bäumeausreißen.“

„Schön.“ Geli nickte. „Dann setz dich schon mal an deinen Tisch. Um alles andere kümmere ich mich.“ Mit den Worten drehte sie sich um und verschwand in der Küche.

Blume schob sich durch die Schwingtür in den nahezu leeren Gastraum hinein. Der Besucherandrang würde erst später, in einer Stunde etwa, einsetzen. Er steuerte nach rechts auf seinen Stammplatz zu. Ein kleiner Tisch, ein wenig isoliert in einer Nische, an dem zwei Personen Platz fanden. Blume brauchte nicht zu fürchten, dass die Stühle besetzt waren. Die Gäste des Saloons hielten sich instinktiv von dem Tisch fern, sodass es keines zusätzlichen Hinweises bedurfte.

Seit Katja sich von alldem um ihn herum ebenso getrennt hatte wie von ihm selbst, nahm er, von wenigen Ausnahmen abgesehen, seine Mahlzeiten an diesem Tisch ein. Meist saß er dort allein. Hin und wieder gesellte sich Geli oder jemand anderes vom Personal zu ihm auf ein paar kurze Worte. Oder Polizeihauptkommissar Frank Schröder, mit dem ihn mittlerweile eine gefestigte Freundschaft verband, kam nach Feierabend auf ein Bier vorbei. Dann plauderten sie über das Weltgeschehen und ihre privaten Erlebnisse.

Blume war es nur recht, dass er in Ruhe gelassen wurde und beim Essen das Treiben im Gastraum beobachten konnte. An Orten wie diesen kamen Personen aus allen gesellschaftlichen Schichten zusammen. Wie sie gekleidet waren, was sie bestellten, die Art und Weise, wie sie aßen und tranken, ihr Benehmen gegenüber dem Personal und den anderen Gästen ... Wer etwas über Menschen erfahren wollte, dem bot sich hier ein nahezu unerschöpflicher Quell für intensive Charakterstudien.

Wenige Augenblicke, nachdem sich Blume gesetzt hatte, tauchte Geli auf, zog mit Schwung den freien Stuhl zurück und nahm ihm gegenüber Platz.

„Ich habe in der Küche Bescheid gegeben. Dein Frühstück kommt gleich“, sagte sie und legte ein wenig den Kopf schief. „Und, Herr Blume? Alles ist gut verlaufen in der Klinik? Jetzt funktioniert es wieder da ... unten?“ Ihre Augen wanderten in Richtung seiner Gürtellinie.

„Geli, bitte! Du bist eindeutig zu neugierig“, raunzte Blume. „Darüber müssen wir uns nun echt nicht unterhalten! Aber zu deiner Beruhigung – alles ist in Ordnung. Du musst dir keine Sorgen machen.“

„Na, dann ist ja gut.“ Sie tat beleidigt. Eine typische Geli-Reaktion, die sich schon in ihrer nächsten Frage auflöste. „Hast du den Zettel gefunden, den ich dir in den Briefkasten geworfen habe?“

„Ja, habe ich. Ich hatte vor, dich deswegen gestern Abend anzurufen, habe es dann aber gelassen. Wollte dich an deinem freien Tag nicht stören.“

„Ach“, sie winkte ab, „hättest du ruhig machen können. Mein Schätzchen war unterwegs. Ich hab mich allein zu Haus gelangweilt.“

„Wie hieß der denn, der mich sprechen wollte?“

Geli verzog das Gesicht. „Das wüsste ich auch gern“, schnappte sie. „Seinen Namen hat der nämlich nicht verraten. Ich habe ihn zwar gefragt, aber irgendwie hat er sich um die Antwort herumgedrückt.“

„Er muss doch was gesagt haben. Woher er mich kennt. Was er will ...“

„Nichts. Ist hier reingeplatzt wie so’n Großkotz. Als würde ihm der Laden gehören. Voll elegant, weißt du? Dunkelblauer Maßanzug, weißes Hemd, Krawatte. Seine Lederschuhe waren ganz sicher italienisch und handgenäht. Silbergraues, schulterlanges, gewelltes Haar. Und ’ne Hornbrille, durch die der mich wie so’n strenger Professor angestarrt hat.“

„Strenger Professor?“ Blume konnte sich nicht vorstellen, dass Geli je mit einem Hochschullehrer in Kontakt gekommen war.

„Ja. Oder so’n anderer von diesen hochnäsigen Kerlen, die Leute wie mich von oben herab ankucken. Du weißt schon, was ich meine. Garantiert ist der auch mit so ’ner Nobelkarosse vorgefahren. Dicker Mercedes oder so. Hab ich zwar nicht gesehen, aber darunter macht der das bestimmt nicht. Der stinkt vor Geld!“

„Und weiter?“ Blume war nicht am Auto des Mannes interessiert.

„Der hat sich da auf den Platz gefläzt und hat sich eine Weile alles genau angesehen“, Geli deutete auf einen Tisch in der Mitte des Raumes. „Und dann hat er mich ranzitiert, wie ’ne blöde Aushilfe. Sofort rausschmeißen hätte ich den sollen!“

„Und warum hast du es nicht gemacht?“

Geli stockte. „Weiß nicht ... Irgendwie ... na ja. Ich musste doch erst mal wissen, was er wollte. Und dann hat er eben nach dir gefragt. Und dass es total dringend ist, hat er gemeint. Da dachte ich ... Er hat sich ja auch bedankt, als ich ihm erklärt habe, dass du im Krankenhaus warst und erst heute da bist.“ Sie blickte verschämt zur Seite. „Und dann hat er mir einen Schein in die Hand gedrückt und gesagt, er meldet sich wieder. Danach ist er gegangen.“

„Aha ...“ Blume sah sie belustigt an, hätte ihr gern sein Grinsen gezeigt. Vielleicht drückten seine Augen ja aus, wie sehr er sich amüsierte.

Geli merkte es, lächelte. Sofort verdüsterte sich ihre Miene wieder. „Der hätte trotzdem was bestellen können!“, kartete sie empört nach. „Wenigstens einen Kaffee oder so! Aber nichts! Steht einfach auf und haut ab. Ohne Gruß.“ Sie schnaubte. „Ein richtiges Arschloch, das sage ich dir!“

Ein Läuten ließ sie innehalten. Sie griff in ihre Hosentasche, zog das Mobilteil des Haustelefons heraus und drückte die Verbindungstaste.

„Ponytale Saloon, Angelika Schwarze am Apparat“, meldete sie sich und lauschte. „Ja, der ist hier“, sagte sie nach ein paar Sekunden zögernd. Und dann: „Kleinen Moment ...“ Sie wandte sich Blume zu und legte ihre freie Hand auf die Sprechmuschel. „Das ist er“, raunte sie aufgeregt.

„Wer?“

„Der Kerl von gestern. Der Schnösel-Professor.“ Geli zog eine Miene, als habe sie in eine Zitrone gebissen. „Er will dich haben.“ Sie reichte ihm das Mobilteil. „Ich hole dein Frühstück“, sagte sie noch und eilte davon.

Blume führte das Telefon an sein Ohr. „Hallo, Stefan Blume hier. Mit wem spreche ich?“

„Marian Wieczorek“, antwortete eine sonore Stimme am anderen Ende. „Ich bin Anwalt.“

„Anwalt?“, reagierte Blume misstrauisch. „Und was will ein Anwalt von mir? Gibt es irgendwelche rechtlichen Probleme, die mich betreffen?“ Er kramte in seinem Gedächtnis, ob er in letzter Zeit gegen das Gesetz verstoßen hatte. Wenn solche Rechtsverdreher Kontakt mit jemandem aufnahmen, bedeutete das selten was Gutes. Es sei denn, man hatte eine Erbschaft oder einen millionenschweren Lottogewinn gemacht. Beides etwas, für das er, Blume, nicht infrage kam.

„Nein, nein. Keine Sorge. Im Gegenteil. Ich möchte Ihnen ein Angebot unterbreiten.“

„Ach ja?“ Blumes Misstrauen schlug in Ablehnung um. „Damit wir uns richtig verstehen, ich kaufe nichts. Weder an der Haustür noch am Telefon.“

Bei jedem anderen hätte er jetzt aufgelegt. Dieser vermeintliche Anwalt ließ ihn zögern. Möglicherweise deshalb, weil der Mann gestern schon einmal persönlich im Saloon aufgetaucht war und sich nach ihm erkundigt hatte. Ein windiges Telefongeschäft, das ihn in ein finanzielles Chaos stürzte, schien er ihm demnach nicht vorschlagen zu wollen.

„Das müssen Sie auch nicht.“

„Dann hoffe ich, Sie haben mir etwas Lohnendes zu bieten. Ich lasse mich nämlich ungern vom Frühstück abhalten.“

„Mein Mandant möchte Ihnen einen Auftrag erteilen.“

„Auftrag? Wie soll ich das verstehen?“

Der Anwalt räusperte sich. „Sie sind Privatermittler, richtig?“

„Wer will das wissen ... außer Ihnen, meine ich.“ Was für ein verdammter Eiertanz wurde das hier? „Ihr Mandant? Wären Sie so freundlich, mir seinen Namen zu nennen?“

Einen Moment Stille am anderen Ende. Dann, etwas zögerlich: „Den darf ich nicht preisgeben. Diesbezüglich bin ich zur Verschwiegenheit verpflichtet.“

Blume schnaubte unwirsch. Wollte der Mann ihn verscheißern? „Tut mir leid, Herr Wieczorek. Aber in dem Fall bin ich nicht interessiert. So arbeite ich nicht. Das Telefonat und Ihren Besuch gestern hätten Sie sich sparen können. Auf Wiederhören!“

„Halt! Warten Sie!“, bremste ihn der Anwalt lautstark, als er die Hand mit dem Telefon senkte. „Hören Sie sich wenigstens an, was ich Ihnen zu sagen habe!“

Blume hielt in der Bewegung inne, führte das Mobilteil wieder zum Ohr. „Na schön“, entgegnete er seufzend, „ich weiß zwar nicht, warum ich das tue, aber bitte ... reden Sie.“

„Mein Mandant möchte, dass Sie jemanden für ihn überprüfen.“

„Verstehe. Und da kommt er zu mir? Bevor Sie in die Details gehen, wüsste ich gern, woher er meinen Namen kennt und warum er glaubt, dass ich solche Sachen mache. Wenigstens das, wenn er sich selbst schon nicht zu erkennen geben will. Sie sind gestern hier im Saloon aufgetaucht und haben sich ganz gezielt nach mir erkundigt. “

„Wir waren auf der Suche nach einem seriösen Ermittler“, antwortete der Anwalt. „Ein Bekannter war so nett und hat ihm den Tipp gegeben. Jetzt hofft er, dass Sie tatsächlich derjenige sind, der seinen Wünschen entspricht.“

„Wie kommt jemand darauf, mich Ihrem Mandanten zu empfehlen?“, knurrte Blume. „Ich bin Buchhalter. Ich habe kein Gewerbe als Privatdetektiv eingetragen. Nirgendwo.“

„Das ist uns bekannt. Gehen Sie davon aus, dass wir Sie trotzdem gefunden hätten“, entgegnete der Anwalt und ließ eine gehörige Portion Arroganz in seiner Stimme mitschwingen. „Dieser Tipp hat die Sache aber zum Glück beschleunigt. Sie arbeiten ausschließlich für eine handverlesene Klientel, heißt es. Und Ihr Name wird nur von Mund zu Mund weiter­gereicht. Genau so jemanden hat mein Mandant gesucht.“

Blume stellte sich den Mann vor, wie er in einem gediegen ausgestatteten Büro saß, hinter einem schweren Schreibtisch aus Mooreiche in einem ledergepolsterten Bürostuhl mit hoher Rückenlehne und selbstgefällig eine teure Zigarre paffte. Er hatte von „wir“ und „uns“ gesprochen, was darauf schließen ließ, dass dieser Marian Wieczorek mehr war als nur der Befehlsempfänger und Laufbursche seines Auftraggebers. Waren sie Freunde?

„Und dieser Bekannte – wie heißt der? ... Oh, warten Sie. Einen Moment bitte ...“, unterbrach sich Blume und legte das Mobilteil auf dem Tisch ab.

Er blickte der jungen Frau entgegen, die Geli neu eingestellt hatte und die er bisher nur vom Sehen kannte. Sie balancierte ein randvoll beladenes Tablett in seine Richtung.

„Ihr Frühstück“, sagte sie, ohne ihn anzusehen, und wollte Teller, Kaffeekanne und Tasse auf dem Tisch verteilen.

„Stellen Sie das Tablett einfach da hin, ich erledige den Rest“, hielt Blume sie ab. „Vielen Dank.“

Die Servicekraft hob ihren Kopf, und ihr Blick streifte ihn. Ob bewusst oder ungewollt, konnte er nicht sagen. Sie schenkte ihm ein scheues Lächeln und nickte. In ihren Augen spiegelten sich gleichermaßen Abscheu und Neugier. Die typische Reaktion von Menschen, die ihm das erste Mal begegneten und sein entstelltes Gesicht zu sehen bekamen. Dabei hatte Geli das Mädchen sicher auf seinen Anblick vorbereitet. „Dann guten Appetit“, murmelte die junge Frau, schob ihm das Tablett hin und huschte hastig davon.

Blume nahm den Telefonhörer wieder an sein Ohr. Mit der freien Hand zog er den Teller mit Rührei und Speck zu sich heran und griff nach dem Besteck. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte er, „man hat mir gerade mein Frühstück serviert. Darum musste ich mich kurz kümmern.“

„Keine Ursache“, entgegnete der Mann auf der Gegenseite und lachte auf. Volltönend das Lachen, wie seine Stimme. „Ein ordentliches Frühstück hat immer Vorrang. Guten Appetit.“

„Danke. Schön, dass Sie das auch so sehen.“ Blume schob sich eine Gabel Rührei in den Mund. „Aber jetzt noch mal zu dem Namen“, fuhr er fort.

„Welchem Namen?“

„Ich wüsste gern, wer Ihnen erzählt hat, ich sei Privatdetektiv. Wie gesagt, ich bin nur ein kleiner Buchhalter und arbeite für den Saloon hier.“

„Ach kommen Sie, Herr Blume ...“ Der Anwalt sog hörbar die Luft ein. „Zieren Sie sich immer so, wenn Ihnen jemand einen Auftrag anbietet?“

„Das kommt darauf an. Also noch mal, von wem haben Sie die Information?“

„Ein Bekannter meines Mandanten. Das sagte ich schon. Er möchte auch lieber anonym bleiben. Dem wiederum hat eine gute Freundin verraten, wer Sie sind. Und die weiß es von jemandem ...“ Er stockte. „Na ja, höchstwahrscheinlich findet sich am Ende der Kette eine Person, die schon mit Ihnen zu tun hatte. Fragen Sie mich nicht, wer das sein könnte. So funktioniert das eben mit der diskreten Mundpropaganda. Ist das nicht ganz nach Ihrem Geschmack?“

Blume kniff die Augen zusammen. In seinem Kopf tobte ein kleiner Wirbelsturm. Wer war dieser Jemand? Fast zwangsläufig fiel ihm ein Mann ein, der es aber gar nicht sein konnte. Weil er tot war. Trotzdem ...

„Gerhard Hauser. Hat dieser Informant meinen Namen etwa von ihm?“

Der Anwalt zögerte. „Gerhard Hauser? Nie gehört. Wer soll das sein?“ Er schien tatsächlich überrascht.

„Vergessen Sie’s.“ Blume klemmte sich das Mobilteil zwischen Kopf und Schulter und versuchte Butter auf eine Scheibe Toastbrot zu schmieren, was ihm nur mit Mühe gelang.

„Wen genau soll ich denn jetzt beschatten“, fragte er kauend, „... oder überprüfen, wie Sie es nennen.“

„Haben Sie schon mal den Namen Daniel von Bodenfels gehört?“

„Daniel von Bodenfels ...?“ Blume überlegte einen Moment. „Nein, kenne ich nicht.“

„Oder vielleicht Danny de Rock?“

„Auch nicht. Ist das derselbe Mann?“

„Richtig.“

„Wie denn nun? Daniel von Bodenfels oder Danny ... Dings?“

„Bürgerlich heißt er von Bodenfels. Danny de Rock ist sein Künstlername.“

„Schön. Und weiter?“, drängelte Blume. „Ein wenig mehr dürfen Sie mich gerne in die Hintergründe einweihen.“

„Das hatte ich vor, Herr Blume“, schnappte der Anwalt. Es schien, dass er leicht aus der Ruhe geriet. In seiner Stimme schwang ein verärgerter Unterton mit. „Wenn Sie mir denn die Gelegenheit dazu geben.“

„Entschuldigung“, knurrte Blume. „Also? Worum geht es?“

„Daniel von Bodenfels ist ein sehr wohlhabender Mann. Millionenerbe. Er wird einmal das Familienunternehmen leiten. Sie haben schon von Urbopha gehört?“

Ehe Blume antwortete, nahm er einen Schluck Kaffee. „Ehrlich gesagt, nein“, sagte er. „Klären Sie mich auf.“

„Die Firma hat ihren Sitz in Halberstadt. Entwicklung und Produktion von Medikamenten. Für den Weltmarkt. Mit dem Fokus auf Pflanzenpräparaten und Naturkosmetik. Umsatz mehr als fünfzehn Millionen Euro pro Jahr. Allerdings gilt Herrn von Bodenfels’ Interesse nicht der Firma, sondern der Kunst. Er ist Maler. Als solcher nennt er sich Danny de Rock.“

„Aha. Und was malt er so?“

„Er hat sich auf Porträtmalerei spezialisiert. Junge Frauen, wenn Sie verstehen ...“

Blume blies langsam die Luft aus. „Ich denke, ich weiß, was Sie meinen“, sagte er, „und das ist für Ihren Mandanten ein Problem? Zielt mein Auftrag darauf ab, zu überprüfen, was er sonst noch so anstellt mit seinen Models? Ein Ehemann, der ein paar Beweise dafür braucht, dass ihn seine Frau mit einem Maler betrügt?“ Er stieß seine Gabel etwas zu heftig in den kläglichen Rest Rührei. „Und für so eine Allerweltsgeschichte die ganze Geheimniskrämerei? Das ist lächerlich.“

„Stopp!“, bremste ihn der Anwalt scharf aus. „Sie ziehen die falschen Schlüsse. Es geht um etwas anderes.“

„Was anderes? Und das wäre?“ Blume fühlte sich allmählich genervt von dem Hin und Her.

„Sie erinnern sich an diesen Selbstmordfall? Die junge Frau, die sich vor die Regionalbahn geworfen hat? Gar nicht so weit entfernt von Ihrem Saloon.“

Blume riss verwundert die Augen auf. „Nein. Da klingelt bei mir nichts. Wann und wo genau soll das gewesen sein?“

„Zwischen Walkenried und Ellrich. Vor etwa einem Jahr. Ging durch die Presse. Der Name Himmelreich ist Ihnen ein Begriff?“

„Moment ...“ Blume kramte kurz in seinem Gedächtnis, dann fiel es ihm ein. „Sie meinen diesen Berg? Den Eisenbahntunnel? Dahinter war die Bahnstrecke damals durch die innerdeutsche Grenze getrennt. Nur der Güterverkehr kam durch. Richtig?“

„Stimmt. Vor dem Tunnel ist es passiert. Auf Walkenrieder Seite.“

Blume zuckte mit den Schultern. „Schlimm. Aber was war das Spektakuläre daran?“

„Es wurde anfangs in Richtung Mord ermittelt.“

„Mord? Gab es dafür einen Grund?“

„Der Lokführer soll eine zweite Person gesehen haben. Jemanden, der die Frau womöglich auf die Gleise getrieben hat. Später hat er seine Aussage zurückgezogen. Dann stellte sich heraus, dass die Tote mit Drogen vollgepumpt gewesen war. Daraufhin wurde die Sache nicht weiter verfolgt und am Ende eben doch als Selbstmord abgelegt.“ Der Anwalt lachte auf. Es klang verbittert. Zeigte der Mann plötzlich Emotionen? Persönliche Anteilnahme? „War ja auch nur eine Drogenabhängige, für die es sich nicht lohnt, intensiver zu ermitteln.“

Blume stieß ein leises Grunzen aus. „Ich weiß, was Sie meinen. Allerdings verstehe ich nicht, was dieser Maler damit zu tun haben soll.“

„Er kannte diese Frau. Persönlich.“

„Und das heißt ... was?“

„Mein Mandant möchte wissen, was genau hinter diesem vermeintlichen Selbstmord der Frau steckt. Ob es vielleicht ganz anders war und ob Herr von Bodenfels in die Sache involviert war. Nach seinem Geschmack hat die Polizei den Fall zu schnell abgeschlossen. Aus der Richtung kann er demnach keine Hilfe mehr erwarten. Daher möchte er, dass ein diskret arbeitender Detektiv herausfindet, was tatsächlich geschehen ist. Jemand wie Sie.“

„Sie glauben, Herr von Bodenfels könnte mit Drogengeschäften zu tun haben?“

„Wäre das so abwegig?“

„Und warum kontaktieren Sie mich erst jetzt? Nach einem Jahr? Habe Sie so lange gebraucht, mich zu finden?“ Blume schob den leeren Teller ein Stück von sich weg, wechselte das Mobilteil von einer Hand in die andere und ließ sich gegen die Stuhllehne fallen. Was genau wollte der Anwalt? Wonach suchte sein Klient? Nach Beweisen? Wofür? Um diesen Danny de Rock als Dealer zu entlarven? Ihn sogar des Mordes zu überführen? Oder wenigstens der Mittäterschaft zu beschuldigen? Was verband ihn mit dem Maler? Die Sache gefiel ihm nicht.

„Ganz ehrlich, Herr Wieczorek, ich glaube nicht, dass ich der Richtige für Sie bin“, sagte er.

„Doch, das sind Sie“, beharrte der Anwalt. „Vielleicht überzeugt Sie das Honorar, das Ihnen mein Mandant bietet.“

Der Mann nannte eine Summe, deren Höhe Blume leicht zusammenzucken ließ. Dafür gab es nur einen Begriff: unmoralisch. Er hätte jetzt sofort ablehnen müssen. Aber konnte er sich Moral erlauben? Was sollte er denn für das Geld tun? Einen Mann observieren. Niemand erwartete von ihm, dass er jemanden umbrachte oder eine andere strafbare Tat beging. Trotzdem ...

„Das wäre Ihr Tagessatz“, fügte der Anwalt erklärend hinzu. „Und bei Erfolg erhalten Sie zusätzlich eine Prämie. Nicht dass Sie denken, wir wüssten Ihre voraussichtlichen Mühen nicht zu schätzen. Von Ihren Unkosten ganz zu schweigen ...“

„Das habe ich schon verstanden“, unterbrach Blume ihn. „Trotzdem. Ich muss es mir erst überlegen.“

„Tun Sie das“, entgegnete Marian Wieczorek. „Aber nicht zu lange. Reicht Ihnen ein Tag Bedenkzeit?“

„Ja.“

„Gut.“ Der Anwalt klang zufrieden. „Haben Sie zufällig einen Stift und einen Zettel zur Hand? Oder ein Smartphone?“

„Ein Smartphone habe ich. Warum?“

„Ich werde Ihnen eine Handynummer diktieren. Darüber können Sie mich jederzeit kontaktieren und mir mitteilen, ob Sie den Auftrag annehmen. Sobald ich Ihre Entscheidung kenne, werde ich die Nummer deaktivieren. Also nur dieser eine Anruf, verstanden?“

„Und wie soll ich Sie danach erreichen? Im Falle einer Zusage werden Sie sicher die eine oder andere Information zu meiner Recherche haben wollen. Oder ich muss etwas von Ihnen wissen.“

„Keine Sorge. Ich werde Sie anrufen. Über die Festnetznummer, die wir gerade benutzen. Das reicht. Sie nehmen täglich Ihr Frühstück im Saloon ein, hat mir die Hausherrin gesagt. Immer zur selben Zeit. Ist das korrekt?“

„Na ja, wenn ich nicht gerade in Rechercheangelegenheiten unterwegs bin oder meinen Rausch ausschlafe“, konnte sich Blume eine bissige Antwort nicht verkneifen. So langsam kam er sich vor wie in einem billigen Agentenfilm und er fragte sich, ob er auf einen groß angelegten Telefonstreich hereinfiel, den jemand mit ihm spielte. Nur, wer sollte sich so etwas ausdenken und warum?

Der Anwalt zeigte sich unbeeindruckt. „Darf ich Ihnen jetzt die Handynummer durchgeben“, fragte er.

„Kleinen Moment.“ Blume fummelte sein Smart­phone heraus und aktivierte das Adressbuch. „So, ich bin so weit.“ Er tippte die Ziffern ein, die der Anwalt ihm nannte, und speicherte die Nummer ab.

„Gut. Dann bekomme ich von Ihnen hoffentlich in Kürze eine Zusage“, schloss der Anwalt. „Auf Wiederhören.“

„Augenblick!“, bremste Blume den Mann, „Das war alles? Ein paar mehr Informationen haben Sie nicht für mich? Wenigstens ein Foto dieses Daniel von Bodenfels? So ist die ganze Geschichte doch ausgesprochen dürftig. Gibt es etwas Konkretes, worauf ich mich konzentrieren könnte? Eine Adresse? Sonst irgendwas? Nicht nur so ein dumpfes Bauchgefühl, das Sie umtreibt?“

„Dumpfes Bauchgefühl? Ha! Sie sind gut!“, entgegnete sich der Anwalt bissig. „Es ist mehr, das können Sie mir glauben. Sie werden bekommen, was Sie brauchen. Sobald Sie sich entschieden haben, für uns zu arbeiten. Immer nur so viele Informationen wie nötig. Sie wissen schon – Diskretion.“

„Aber sicher, Herr Wieczorek“, entgegnete Blume süffisant.

Ein kurzes Ächzen am anderen Ende. Dann: „Sie hieß übrigens Ioana.“

„Ioana? Wer?“

„Die Frau, die sich vor den Zug geworfen hat. Eine Rumänin.“

Es klickte. Der Anwalt hatte aufgelegt.

Blume nahm das Mobilteil vom Ohr, starrte es an. Hatte er das Gespräch eben wirklich geführt? Wer verbarg sich hinter diesem ominösen Auftraggeber? Was verbarg sich überhaupt hinter der ganzen Geschichte? Ehe er sich entschied, ob er den Auftrag annahm, ob er diese Handynummer tatsächlich anrief oder sie ungenutzt wieder löschte, musste er sich selbst ein paar Fragen beantworten.

Geli kam an seinen Tisch, um das Geschirr und die wenigen Überreste des Frühstücks abzuräumen. „Na, Herr Blume, ihr habt euch ja lange unterhalten“, stellte sie grinsend fest. „Was wollte er denn von dir, der feine Pinkel?“

„Jetzt sei mal nicht so neugierig“, mahnte Blume und blickte sie mit versteinerter Miene an. Wäre es ihm möglich gewesen, hätte er sie angelächelt. Aber Geli verstand auch so, dass er seine Worte nicht ernst meinte. „Dein feiner Pinkel ist übrigens Anwalt“, klärte er sie auf.

„Na sieh mal einer an! Das ändert natürlich alles. Dann ist der ja echt vertrauenswürdig. Trotzdem hat so einer nicht das Recht, sich wie ein kleiner Gott aufzuführen.“

„Woher wusste der überhaupt, dass ich um diese Uhrzeit im Saloon bin? Hast du ihm gesagt, dass ich hier frühstücke?“

„Ja, glaube schon. Kann mich nicht genau erinnern ...“ Sie schnappte sich eilig das Tablett. „Du, ich muss wieder. Die Arbeit. Mach’s gut.“

Blume sah ihr kopfschüttelnd hinterher. Dann stand auch er auf und verließ den Saloon auf dem Weg, den er gekommen war.

3. Kapitel

Die kleine Gruppe Jugendlicher, vier Jungen und drei Mädchen, reiste mit allem an, was man für eine ausgedehnte Geburtstagsnachfeier über zwei Wochenendtage in einer Waldhütte benötigte. Neben dem Grillgut, ausreichend für den Hunger einer ganzen Kompanie, hatten sie Getränke im Überfluss dabei. Überwiegend Bier, aber auch einige Flaschen Hochprozentiges und sogar Antialkoholisches für die beiden Zartbesaiteten unter ihnen. Darüber hinaus brachten sie Luftmatratzen und Decken mit – die paar Betten in der Hütte reichten nicht für alle aus. Vermutlich würden sie später um die besten Schlafplätze knobeln müssen. Falls sie überhaupt zum Schlafen kamen.

Sie reisten in einem in die Jahre gekommenen VW-Bus an, gefahren von Leon. Vor zwei Wochen war der Junge volljährig geworden und durfte endlich mit seinem kurz zuvor erworbenen Führerschein ein Auto steuern. Sein Onkel hatte ihm den alten Bus geliehen, ihn aber eindringlich ermahnt, den „Lappen“ nicht sofort wieder durch riskante Fahrweise aufs Spiel zu setzen, womöglich auch noch unter Alkoholeinfluss oder angefixt von den Sachen, von denen er lieber nichts wissen wollte. Leon hatte seinem Onkel in die Hand versprochen, vernünftig zu sein, und dann von ihm neben dem Autoschlüssel auch den Schlüssel für die Hütte in Empfang genommen.

Das kleine Holzhaus lag im Wald am Rand einer Wiesenlichtung. Eine gemauerte, überdachte Feuerstelle mit eisernem Grillrost und ein Stapel Holzscheite ließen jedermann sofort erkennen, zu welchem Zweck die Hütte hauptsächlich genutzt wurde. Nur wenige Meter entfernt lud ein etwas versteckt liegender See zum Baden ein. Nahe dieser Idylle führte die Landstraße vorbei, die sich, von Seesen am nördlichen Harzrand kommend, am Gelände der Schildautalklinik entlang, hinein in das Mittelgebirge schlängelte. Der Straßenlärm störte jedoch nicht. Sämtliche Fahrgeräusche wurden von der dichten, trennenden Baumwand vollständig geschluckt.

Dass sie hier feiern durften, hatten die Jugendlichen ebenfalls Leons Onkel zu verdanken. Er hatte ihnen die Hütte für einen kleinen Mietbetrag organisiert. Sie gehörte einem seiner Bekannten.

Nach einer kurzen Schaukelpartie über den holprigen Zufahrtsweg hatten sie ihr Ziel erreicht. Leon parkte den Bus auf der Wiese nahe der Eingangstür.

„Ich sehe mich schon mal in der Hütte um“, rief er seinen Freunden zu und sprang aus dem Bus. „Ihr könnt in der Zwischenzeit ja das ganze Zeug ausladen.“

„Na klar, der feine Herr will sich wie immer vor der Arbeit drücken“, hörte er noch in seinem Rücken, als er schon auf die Tür zusteuerte. Er wusste, es war nicht ernst gemeint. Die übliche Frotzelei.

Er nahm die beiden Stufen hoch zum Podest vor dem Eingang mit einem schwungvollen Satz. Den Schlüssel hielt er schon in der Hand, bereit, ihn ins Loch zu schieben. Doch dann verharrte er in der Bewegung. Er hatte die Holzabsplitterungen in der Zarge entdeckt, rund um das verbogene Schließblech. Auch das Schloss und die Klinke wiesen deutliche Einbruchspuren auf.

Leon steckte den Schlüssel zurück in die Hosentasche, tastete mit den Fingern über die beschädigten Stellen, drückte einen Moment später mit der flachen Hand gegen die rustikale Tür. Mit einem vernehmlichen Knarren in den Scharnieren ließ sie sich öffnen. Er machte zwei zaghafte Schritte ins Innere, blickte erst nach links, dann nach rechts. Es dauerte einen Moment, ehe er in dem schwachen, von draußen einfallenden Tageslicht die Möbel und anderen Gegenstände in dem voll ausgestatteten Raum erkennen konnte. Die Stockbetten links, die Kochnische gegenüber. Der Kühlschrank. Die Regale. Der Ofen. Rechts der große Tisch mit den Stühlen darum herum.

Leon kniff die Augen zusammen. Hinten, zwischen dem schmalen Ende des Tisches und der Giebelwand der Hütte ... Da saß doch jemand. Oder? Der Einbrecher? Das Licht, das durch die Tür fiel, reichte nicht, um die unförmige Gestalt sofort zu identifizieren.

„Hallo ...?“

Keine Reaktion.

„He! Wer sind Sie?“

Seine Stimme zitterte. Links neben der Tür befand sich der Lichtschalter. Er betätigte ihn. Die Deckenlampe erhellte die Szene.

Leon zuckte zusammen. „Scheiße ...“, hauchte er, strauchelte in den Türrahmen zurück, drehte sich um, machte einen steifen Schritt, blieb vor der Schwelle stehen.

Maja bemerkte ihn. „He, ist was? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.“

„Da drin ... da sitzt ...“ Er hob ein kleines Stück den Arm, wollte ins Hausinnere deuten, ließ ihn aber sofort kraftlos wieder fallen.

„Was denn? Sag schon!“, rief Max. Er war neben Maja getreten.

„Ein Toter!“, platzte es schrill aus Leon heraus. „Da sitzt eine Leiche!“ Er stützte sich an der Zarge ab, keuchte. „Der Kopf ... total zerfetzt ... überall Blut ... die ganze Wand ...“

„Ey, Mann! Willst du uns verarschen? Was redest du da für einen Scheiß!“

Fast gleichzeitig stürmten Max und Maja auf die Hütte zu. Auch die anderen vier hatten realisiert, dass etwas nicht stimmte, und folgten ihnen. Maja schob sich vor Max an Leon vorbei durch die Tür. Einen Augenblick später stieß sie einen spitzen Schrei aus, stürzte wieder heraus, stolperte ein paar Meter über die Wiese. Dann erbrach sie sich. Ihren Freunden, die nach ihr in die Hütte drangen, ging es nicht viel besser als ihr. Leichenblass taumelten sie ins Freie oder blieben wie erstarrt vor dem schaurigen Bild stehen.