"Hat die Mutti heute frei?" - Felix Schenk - E-Book + Hörbuch

"Hat die Mutti heute frei?" Hörbuch

Felix Schenk

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Beschreibung

Wer im Alltag als Vater mit seinen Kindern unterwegs ist, wird oft schief angeschaut: Der muss wohl für Mama einspringen! Denn während ein losgelöster Diskurs so tut, als wären wir längst gleichberechtigt, sieht die Realität oft ganz anders aus: Vater arbeitet, Mutter arbeitet UND kümmert sich um die Kids, und die Pandemie hat dieses Ungleichgewicht noch verstärkt. Höchste Zeit, dass sich Väter nicht mehr mit der Assistenten-Rolle zufriedengeben, sondern als aktive Väter aus der Deckung kommen! Einer von ihnen, der 33-jährige Felix Schenk, dokumentiert auf Instagram als "Papa ohne Plan" seine emotionale Suche nach einer modernen Vaterrolle. Er fordert neue Väter für das Land und legt seinen Finger in die Wunde junger Familien.

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Zeit:4 Std. 46 min

Sprecher:Torben Sterner

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Impressum

© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

Gräfe und Unzer Edition ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Celine Koch, Artur Senger

Lektorat: Judith Heisig

Korrektorat: Susanne Schneider

Umschlaggestaltung: Ki36 Editorial Design, München, Bettina Stickel

eBook-Herstellung: Maria Prochaska

ISBN 978-3-8338-9194-6

1. Auflage 2023

Bildnachweis

Coverabbildung: Felix Schenk

Fotos: Felix Schenk; Maggi Korecki

Syndication: www.seasons.agency

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GRÄFE UND UNZER VERLAG

Ein kleiner Drogeriemarkt am Rande des Ruhrgebiets. An der Kasse packt ein Vater mit zwei kleinen Kindern gerade den Einkauf auf das Band, als sich eine ältere Dame zu den Jungs herunterbeugt und sie anspricht: »Ach, das ist ja großartig, dass der Papa mit euch einkaufen geht. Hat die Mutti heute frei?«

Der Vater bin ich, Felix Schenk – und diese Szene hat vor einigen Jahren unheimlich viel in mir ausgelöst und beschäftigt mich bis heute. Auf der einen Seite zeigt sich die hartnäckige Vorstellung eines altbackenen und traditionellen Rollenbildes: Der Vater hat in der Regel wenig mit seinen Kindern zu tun – er ist der abwesende Ernährer und im besten Fall Assistent. Wenn er Zeit mit seinen Kindern verbringt, dann ist das etwas Besonderes. Auf der anderen Seite wird der Mutter die alleinige Verantwortung für die tägliche Care-Arbeit zugeschoben, die sie Tag für Tag ganz selbstverständlich zu erledigen hat. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass wir beim Thema Elternschaft gesamtgesellschaftlich gesehen immer noch weit entfernt sind von partnerschaftlicher Gleichberechtigung.

Ich möchte dieses Buch meinen wunderbaren Söhnen widmen. Danke, dass ich durch euch so viel lernen und erleben darf und an mir wachsen kann.

In Liebe, euer Papa.

Vorwort

Ein kleiner Drogeriemarkt am Rande des Ruhrgebiets. An der Kasse packt ein Vater mit zwei kleinen Kindern gerade den Einkauf auf das Band, als sich eine ältere Dame zu den Jungs hinunterbeugt und sie anspricht: „Ach, das ist ja großartig, dass der Papa mit euch einkaufen geht. Hat die Mutti heute frei?“

Der Vater bin ich, Felix Schenk – und diese Szene hat vor einigen Jahren unheimlich viel in mir ausgelöst und beschäftigt mich bis heute. Damals war mir die Tragweite der Worte noch nicht vollständig bewusst. Ich nahm der Dame den Satz nicht mal besonders krumm, sondern erwiderte lediglich: „Der Papa geht heute einkaufen, weil er freihat.“ Aber schon auf dem Nachhauseweg brachte mich diese Begegnung ins Nachdenken, denn sie steht exemplarisch für ein bestimmtes Bild von Vaterschaft. Auf der einen Seite zeigt sich die hartnäckige Vorstellung eines altbackenen und traditionellen Rollenbildes: Der Vater hat in der Regel wenig mit seinen Kindern zu tun – er ist der abwesende Ernährer und im besten Fall Assistent. Wenn er Zeit mit seinen Kindern verbringt, dann ist das etwas Besonderes. Auf der anderen Seite wird der Mutter die alleinige Verantwortung für die tägliche Care-Arbeit zugeschoben, die sie Tag für Tag ganz selbstverständlich zu erledigen hat. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass wir beim Thema Elternschaft gesamtgesellschaftlich gesehen immer noch weit entfernt sind von partnerschaftlicher Gleichberechtigung. Das zeigt sich an zahlreichen strukturellen Benachteiligungen von Müttern, aber auch an Bezeichnungen wie Mutter-Kind-Parkplatz oder daran, dass nur in Ausnahmefällen Wickelmöglichkeiten auf der Herrentoilette zu finden sind.

Ich fühlte mich durch den Satz der Dame im Supermarkt in meine eigene Kindheit zurückgeworfen, in der ich als Scheidungskind mit einer alleinerziehenden Mutter aufwuchs und mein Vater sich so wenig für mich interessierte, dass ich ihn kaum zu Gesicht bekam. Als bei meiner Frau Sophia und mir Nachwuchs auf dem Weg war, merkte ich, dass mir durch meine Kindheitserfahrungen eine Blaupause für aktive Vaterschaft fehlte: Wie ist man eigentlich ein guter Papa?

Für mich war klar, dass ich alles anders machen will, dass ich meinen Kindern eine andere Kindheit ermöglichen muss, als ich sie hatte. Ich will den Vatertag nicht dazu nutzen, mit anderen betrunkenen Vätern einen Bollerwagen durch die Heide zu ziehen, sondern eine gute Zeit mit meinen Kindern und meiner Partnerin verbringen. Ich will für meine Kinder als aktiver Vater da sein, will sie als Vertrauensperson auf ihrem Weg begleiten. Ich will weg vom Bild des abwesenden Versorgers und möchte mich von einer überholten Männlichkeitsvorstellung abgrenzen. Ich will die Care-Arbeit und den Mental Load in meiner Beziehung gerecht verteilen und einen Weg finden, als Familie und als Team zusammen durchs Leben zu gehen. Ich will dafür sorgen, dass meine Jungs zu Erwachsenen heranwachsen, die sich nicht scheuen, Emotionen zu zeigen, und für die aktive, gleichberechtigte Vaterschaft selbstverständlich ist.

All das sind Dinge, die ich mir als Vater vorgenommen habe – doch in der Realität kann man seine Kinder nicht allein mit guten Vorsätzen aufziehen. Immer wieder gab und gibt es schwierige Momente in unserem Zusammenleben als Familie, die von der Angst begleitet waren und sind, dass ich meiner Verantwortung nicht gerecht werde. Auf der Suche nach Orientierung und Vernetzung habe ich vor einigen Jahren angefangen, auf Instagram aktiv zu werden. Erst privat und später als „Papa ohne Plan“. Dort poste ich für ein größeres Publikum über meinen Weg zur aktiven Vaterschaft, reflektiere meine Rolle als Vater und Mann und lasse andere an meinen Gedanken teilhaben.

Dieses Buch hier ist kein Ratgeber, wie man der perfekte Papa wird. Ich werde euch, liebe Leser*innen, nicht als vermeintlicher Supervater belehren, wie ihr eure Kinder erziehen sollt. Und schon gar nicht stelle ich den Anspruch, stellvertretend für andere zu sprechen. Stattdessen hoffe ich, dass mein persönlicher Weg zur aktiven Vaterschaft Mut machen kann. Denn ein guter Papa zu sein heißt nicht, dass man einen Masterplan hat und niemals Fehler machen darf. Dies zu akzeptieren, fällt uns schwer. Allzu oft vergleichen wir uns mit einer Idealvorstellung der scheinbar perfekten Familie, die uns nicht erst seit Instagram und Co. verunsichert. Vor allem die Enttabuisierung von Unsicherheiten und Ängsten ist mir ein großes Anliegen. In diesem Buch wage ich einen ehrlichen und unverblümten Blick auf das Thema Vaterschaft und lade dazu ein, mit mir zusammen darüber nachzudenken. Dazu gehört auch, die eigene Haltung zu reflektieren und bisherige Rollenbilder kritisch zu hinterfragen. Das ist nicht immer einfach, aber es lohnt sich – schließlich geht es um die Beziehung zu unserer Familie. Ich glaube, viele Menschen haben keine Lust mehr auf überholte Vorstellungen der Vergangenheit und sind für sich auf der Suche nach einer neuen, positiven Perspektive auf Vaterschaft. In diesem Buch möchte ich skizzieren, wie so eine Perspektive aussehen könnte, und vor allem zum Nachdenken und zur Selbstreflexion über unsere vermeintliche Gleichberechtigung anregen. Keine Angst: Euch erwartet hier keine dröge wissenschaftliche Abhandlung über die Verbindung von Patriarchat und Kapitalismus, und es geht auch nicht darum, nach der Lektüre alle feministischen Begriffe herunterbeten zu können. Aber die Auseinandersetzung mit feministischen Themen und den Gründen für den Status quo ist wichtig, damit wir als Gesellschaft, aber auch individuell ein neues Väter- und Männerbild entwickeln können. In Teilen dieses Buches möchte ich explizit Männer ansprechen und sie dazu ermutigen, sich auch mit unangenehmen Themen auseinanderzusetzen. Zugleich richtet sich dieses Buch an alle Menschen, die daran interessiert sind, Elternschaft modern zu denken und traditionelle Rollenbilder zu hinterfragen.

Was erwartet euch also? Im ersten Kapitel geht es um die Ängste und Unsicherheiten, die werdende Väter begleiten, und ich gebe euch Einblick in meinen persönlichen Hintergrund. In Kapitel zwei setze ich mich kritisch damit auseinander, wie gleichberechtigt Mütter und Väter heutzutage wirklich sind und warum wir alte Rollenbilder überwinden müssen. Kapitel drei beschäftigt sich mit meiner Vorstellung von aktiver Vaterschaft und welche Voraussetzungen dafür auf der persönlichen, aber auch auf der gesellschaftlichen Ebene gegeben sein müssen. Im vierten Kapitel möchte ich euch Gedankenanstöße zur Vereinbarkeit von Karriere und Beruf geben und darauf eingehen, wie der Spagat zwischen diesen beiden Lebensbereichen gelingen kann. Kapitel fünf nimmt die Dynamiken einer Paarbeziehung in den Blick und wie man mit den Veränderungen umgeht, wenn aus Paaren Eltern werden. Das sechste Kapitel nimmt die Vorstellung in den Fokus, dass Eltern immer perfekt sein müssen, und räumt mit einigen Tabus bezüglich Elternschaft auf. In Kapitel sieben befasse ich mich mit traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit und lege dar, warum wir ihnen meiner Ansicht nach dringend eine moderne und positive Entsprechung entgegenstellen müssen. Kapitel acht ist ein Plädoyer dafür, unsere Kinder ernster zu nehmen – denn wir Erwachsenen können von diesen kleinen Menschen jede Menge lernen. All diese Überlegungen dienen dazu, eine neue Sicht auf Elternschaft zu entwickeln, die ich im Abschlusskapitel zusammenfasse.

Hier noch ein wichtiger Disclaimer für das ganze Buch: Ich schreibe aus meiner persönlichen Perspektive als Cis-Mann in einer heterosexuellen Beziehung. Ich möchte mir nicht anmaßen, über weibliche oder queere Erfahrungen zu schreiben, aber es ist mir wichtig, für sie sensibel zu sein. Eure individuellen Erfahrungen können sich von meinen stark unterscheiden: Wenn ich über aktive Vaterschaft, Geschlechtergerechtigkeit, Rollenbilder und Männlichkeitsvorstellungen spreche, will ich damit nicht sagen, dass die Gedanken dazu auf alle Männer oder alle Väter zutreffen. Jeder Mensch füllt solche Konzepte selbst mit Bedeutung. Trotzdem habe ich die Hoffnung, dass ihr als Leser*innen aus meinen Erfahrungen und Gedanken Denkanstöße für eure eigene Lebensreise mitnehmen könnt.

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Papa ohne Plan

Ich werde Papa – aber kann ich das überhaupt?

Mein Verhältnis zum Thema Vaterwerden war, seit ich denken kann, nicht ganz einfach. Auf der einen Seite konnte ich mir nicht vorstellen, im Laufe meines Lebens nicht irgendwann Papa zu sein. Auf der anderen Seite hatte ich große Angst davor. Tief verankert in meinem Unterbewusstsein plagten mich Selbstzweifel. Ich fragte mich, ob ich diese neue Rolle ausfüllen könnte, ob ich der Aufgabe gewachsen wäre. Solche Zweifel trägt, glaube ich, jeder (werdende) Papa mit sich herum. Vielleicht kennt auch ihr dieses flaue Gefühl in der Magengrube bei dem Gedanken, dass man bald für eine oder mehrere kleine Personen verantwortlich ist – in einer ganz anderen Weise, als das bei anderen Beziehungen der Fall ist.

Bei mir hatten die Zweifel vor allem mit dem eigenen Vaterbild zu tun, das aufgrund persönlicher Erfahrungen sehr negativ geprägt war. Weil ich am eigenen Leib erlebt habe, was es mit einem Kind macht, wenn sein Erzeuger kein Vater sein will oder kann, wusste ich, welche Verantwortung ich da übernehme. Ich fürchtete, dass sich die Geschichte wiederholen würde wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung – ich hatte unfassbare Angst, es zu versauen. Wie ein Damoklesschwert schwebte das Versagen meines Vaters über mir und lähmte mich. Wenn ich in den folgenden Kapiteln über meinen Weg zu einer aktiven Vaterschaft erzähle, muss ich zugleich meine eigene Biografie reflektieren – und auch die Frage, was die Rollenbilder der Kindheit mit unserer eigenen Elternschaft zu tun haben (mehr dazu in Kapitel zwei).

Aufgewachsen bin ich in Herdecke, einer kleinen Stadt im Ruhrgebiet mit etwa 20.000 Einwohner*innen. Mein Vater hat mich und meine Mutter früh im Stich gelassen und war weder in finanzieller noch in emotionaler Hinsicht eine Stütze in meiner Kindheit. Ich bin Scheidungskind und wurde von meiner Mutter und meiner Oma aufgezogen, die direkt neben unserem kleinen, verwinkelten Fachwerkhaus wohnte.

„ Nach Daten des Statistischen Bundesamtes gab es im Jahr 2021 etwa 2,61 Millionen Alleinerziehende in Deutschland. Auffallend ist, dass die Zahl der alleinerziehenden Mütter mit 2,15 Millionen sehr viel höher liegt als die der Väter mit 462.000.“

Meine Mama war und ist meine Heldin: Sie übernahm nicht nur zwei Jobs, um uns finanziell über Wasser zu halten, sondern versuchte, in allen Bereichen für mich da zu sein und die Vaterrolle mit zu übernehmen. Sie war es, die mit mir auf den Fußballplatz ging und Flanken übte, die mich später nach einer Erste-Mai-Demo aus dem Polizeigewahrsam abholte, die meine Erfolge mit mir feierte und mir half, mit Niederlagen umzugehen. Mein Vater war bei all dem abwesend, ich sah ihn nur sporadisch und hatte von Anfang an das Gefühl: Der interessiert sich nicht für mich.

Ich hatte kein männliches Vorbild in meinem Leben – und alles, was ich mit den Themen Vaterschaft oder Männlichkeit verband, war negativ geprägt. Mir hat nicht nur das positive Rollenbild gefehlt, sondern auch der positive und liebevolle Kontakt zu einer Vaterfigur, die – wie in der Sozialforschung vielfach belegt – besonders bei Jungen wesentlich ist für eine gesunde emotionale Entwicklung. Die Abwesenheit und Gleichgültigkeit meines Erzeugers haben mich schrecklich wütend gemacht.

Schon als Grundschulkind war ich ein echter Troublemaker, der ständig seinen Platz in der Welt suchte und mit Ablehnung schwer umgehen konnte. Ich war der, der im Sportunterricht als Letzter in die Mannschaft gewählt wurde und der seinem Frust später mit Rangeleien auf dem Schulhof ein Ventil geben wollte. Während meiner gesamten Jugendphase hatte ich Probleme in der Schule, habe rebelliert und meiner Mutter mit meinen Eskapaden ernsthafte Sorgen bereitet. So etwa, als ich Anerkennung in der Fußballszene suchte, wo archetypische Männer das Sagen hatten. Erst nach und nach verstand ich, dass ich damit das Vakuum einer männlichen Präsenz in meinem Leben auszufüllen suchte und auf einem grundsätzlich falschen Pfad war. (Über das Thema Männlichkeit werde ich in Kapitel sieben dieses Buches noch ausführlicher sprechen.)

Die Suche nach meiner Identität war immer auch ein innerer Kampf, den ich mit meinem abwesenden Vater austrug. Bis heute habe ich Szenen im Kopf, die diesen Kampf illustrieren. Etwa der Tag, als ich meine Ausbildung zum Gestaltungstechniker abschloss. Für mich ein wichtiges Ereignis, denn ich war nach der zehnten Klasse vom Gymnasium abgegangen und hatte mich durch viele schwere Zeiten zu diesem Abschluss durchgekämpft. Auf der Veranstaltung zur Feier dieses Meilensteins war es selbstverständlich, dass die Eltern erschienen. Meine Mama stand im Publikum, winkte mir mit Tränen in den Augen zu. Mein Vater, den ich auch eingeladen hatte, war nirgendwo zu sehen. Wie in einem schlechten Film ließ ich meine Augen durch den Raum wandern und musste realisieren, dass dieser Moment zu den unzähligen Enttäuschungen gehörte, bei denen er mich einfach vergessen hatte oder ich ihm nicht wichtig genug war.

Kein Wunder also, dass ich dem Thema Vaterschaft lange mit großer Skepsis begegnete. Noch heute beschäftigt mich die Auseinandersetzung mit meiner Biografie und meiner Familiengeschichte. Manchmal begegne ich diesem Menschen, der mir eigentlich so nah stehen sollte, auf der Straße oder im Supermarkt und wir schauen uns an wie Fremde. Aus Erzählungen weiß ich, dass der Vater meines Vaters es nicht besser gemacht hat. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, der nächste Dominostein in einer Reihe gescheiterter Väter zu werden. Für mich war klar, dass ich als Vater alles grundsätzlich anders machen wollte, dass ich für mich einen neuen Weg erschließen musste, für den ich noch keinen ausformulierten Plan und keine Blaupause zur Hand hatte.

Vor diesem Hintergrund ist diese hartnäckige, laute Stimme in meinem Kopf zu erklären, die mir eine unangenehme Grundsatzfrage stellte: „Was, wenn du das mit dem Papa-Sein nicht hinkriegst?“ Ich bin überzeugt, dass wir bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Elternschaft früher oder später alle mit solchen Zweifeln konfrontiert werden – auch wenn unsere Erfahrungen mit dem Thema sich unterscheiden. Vielleicht ist die Stimme bei manchen lauter als bei anderen und stellt andere Fragen: Wird die Partnerschaft die Veränderungen aushalten? Sind wir finanziell ausreichend abgesichert für Nachwuchs? Wie wird ein Leben mit Kind(ern) aussehen? Bin ich tatsächlich bereit, meine persönliche Freiheit einzuschränken und in der neuen Rolle aufzugehen? Kann ich der Vater sein, den die Kinder brauchen? All diese Fragen machen wir häufig mit uns allein aus, als wären Verletzlichkeit und Angst vor dem Elternwerden Tabuthemen. (Das gilt selbstverständlich nicht nur für werdende Väter, sondern für alle Menschen, die Nachwuchs erwarten.) Ich finde, dass uns diese Herangehensweise nicht weiterbringt – unausgesprochene und totgeschwiegene Ängste verschwinden nicht, sondern lähmen stattdessen. Mir ist es wichtig, solche Tabus in diesem Buch offen anzusprechen. Nur wenn wir uns mit unseren Ängsten auseinandersetzen, kommen wir auf unserem persönlichen Weg weiter. Und vielleicht sind solche Ängste auch eine Ursache dafür, dass viele werdende Väter Probleme damit haben, ihre Rolle positiv zu definieren. Die Idee der Vaterschaft ist, zumindest bis Kinder da sind, eine theoretische, und in vielen Fällen ist sie geprägt von negativen Erfahrungen aus der eigenen Kindheit.

Wendepunkte

Ich konnte mir erst so richtig vorstellen, Vater zu werden, als ich mit meiner Partnerin Sophia zusammenkam. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mit der Hilfe meiner Mutter die Kurve gekriegt und war vom jugendlichen Troublemaker zu einem jungen Mann herangewachsen, der das Bedürfnis hatte, eine positive männliche Kontaktperson für Kinder und Jugendliche zu sein. Während meiner Jugend hatte ich immer wieder an Ausflügen des Jugendzentrums teilgenommen, das auch Kindern aus weniger begütertem Elternhaus die Teilhabe ermöglichte. Über die Jahre war dies zu einem wichtigen sozialen Netz für mich geworden. Als ich irgendwann zu alt war, um selbst mitzufahren, stieg ich ins Orga-Team ein und wurde selbst Betreuer bei einem ähnlichen Projekt. Damals merkte ich, wie wichtig es mir war, mich um andere zu kümmern. Für mich war es eine krasse Erfahrung, dass ich mit all meinen komplizierten Charakterzügen eine positive Identifikationsfigur für die Kinder sein konnte. Plötzlich war ich selbst das Vorbild, nach dem ich immer gesucht hatte. Für meine Charakterentwicklung hat diese Erfahrung mehr gebracht als jede Anerkennung, die ich vorher in anderen Kreisen gesucht hatte. Ich beschloss, noch eine zweite Ausbildung als Erzieher anzufangen, während derer ich erst in einem Jugendzentrum und später in einer vollstationären Familienwohneinrichtung arbeitete. Das war eine Zeit, in der sich in mir unheimlich viel bewegte und in der ich viel bewegen wollte. Ich wollte an meinen Aufgaben wachsen, wollte meine neue Vorbildrolle bestmöglich ausfüllen, mein Bild von Männlichkeit hinterfragen und mich neu definieren.

Sophia und ich kamen unter turbulenten Umständen zusammen. Ich befand mich in einer Beziehung und lernte sie als neuen Teil des Freundeskreises kennen. Nach und nach kamen wir uns näher, und ich spürte: Dies ist eine besondere Verbindung und ich muss herausfinden, was dahintersteckt. Ich habe das meiner damaligen Partnerin offen und ehrlich so gesagt und unsere langjährige Beziehung beendet, um den Sprung ins Ungewisse zu wagen. Was nach einer Kurzschlussentscheidung klingt, erwies sich als weiterer Wendepunkt in meinem Leben. Sophia und ich kamen zusammen, ich zog bei ihr ein und wir waren uns nach relativ kurzer Zeit sicher: Das ist der Mensch, mit dem ich mein Leben teilen möchte. Bevor wir uns versahen, sprachen wir über die Zukunft und planten unsere Hochzeit. In diesem Zusammenhang habe ich noch einmal versucht, den Kontakt zu meinem Vater aufzunehmen und ihn an meinem Leben teilhaben zu lassen. Kurz vor der Hochzeit traf ich mich mit ihm in einer Bäckerei, um ihm zu sagen, dass ich mit der Hochzeit seinen Namen ablegen und künftig Sophias Familiennamen tragen wolle. Ich hatte die Hoffnung, dass wir zumindest einen Schritt in Richtung Aussprache gehen könnten – und immerhin gab er zu, dass „viel falsch gelaufen“ sei. Es gibt Hochzeitsbilder, auf denen mein Vater und ich uns nach dem Jawort in den Armen liegen. Doch kurz danach brach der Kontakt endgültig ab, und bis heute herrscht völlige Funkstille. Wenn meine Jungs mich fragen, wer der Mann auf den Fotos ist, dann sage ich ihnen: „Das ist mein Vater, euer Opa. Aber den habt ihr noch nicht kennengelernt.“

Sophia hat wie kein anderer Mensch die Gabe, mir meine immer wieder aufflackernden Ängste zu nehmen und mir klarzumachen, dass ich es entgegen allen Zweifeln schaffen kann, ein guter Papa zu sein, dass ich die Geschichte nicht wiederholen muss, sondern meine eigene schreiben kann. Mit ihr war ich nach unserer Hochzeit zum ersten Mal in einer Lebenssituation, in der ich mir tatsächlich vorstellen konnte, Vater zu werden. Denn auch wenn ich als Einzelkind groß wurde, habe ich es immer genossen, wenn beispielsweise die Familie meines Onkels aus Paderborn zu Besuch kam und wir alle zusammen an einem großen Tisch saßen und redeten, wenn um mich herum überbordendes Leben stattfand.

Es gab zwischen Sophia und mir nie dieses eine Gespräch, bei dem wir entschieden: Lass uns versuchen, Eltern zu werden. Stattdessen wurde unser beider Kinderwunsch immer deutlicher, und irgendwann haben wir es einfach versucht. Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als während der Arbeit mein Handy vibrierte und ich eine SMS bekam: „Ich habe einen Schwangerschaftstest gemacht und ich glaube, der ist positiv.“ Ich war vollkommen perplex und rief erst Sophia an, ob ich mich nicht verlesen hatte. Ich konnte es kaum glauben. Als Nächstes griff ich erneut zum Hörer und rief meine Mutter an, um ihr eine Frage zu stellen, die in gewisser Weise all meine Ängste umfasste, die in diesem Moment wieder real wurden: „Was mache ich denn jetzt?“ Eigentlich hätte ich das gern meinen Vater gefragt, es wäre seine Aufgabe gewesen, mich zu bestärken und mir Mut zuzusprechen. Doch auch in dieser Situation war meine Mutter für mich da. Sie sagte: „Felix, als Erstes freust du dich jetzt mal. Und dann bist du für Sophia da, und gemeinsam schafft ihr das.“

Der Fels in der Brandung

Sophia und ich freuten uns. Doch gerade am Anfang versuchten wir, uns noch nicht zu sehr in die Euphorie hineinzusteigern, denn leider verlaufen Schwangerschaften nicht immer nach Plan. Unmittelbar nach der Nachricht vom positiven Test gesellten sich zu meinen grundsätzlichen Ängsten vorm Vaterwerden noch sehr viel konkretere Sorgen: Da wuchs ein kleiner Mensch im Bauch meiner Partnerin heran, und es war meine Aufgabe, beide bestmöglich zu unterstützen. Im Gespräch mit anderen Vätern über die ersten Monate berichteten mir viele, wie wenig sie eigentlich über den körperlichen Vorgang wussten, der da abläuft. Wie funktioniert das physiologisch eigentlich genau? Welche Veränderungen durchläuft die Mutter in der Schwangerschaft und wie kann man sie als Partner bestmöglich unterstützen? Vielen Männern wurde bewusst, wie wenig vorbereitet sie sich eigentlich fühlten.

Grundsätzlich finde ich es beim Thema Vaterschaft wichtig, sich von einem Mindset zu verabschieden, das auf einem bestimmten Männlichkeitsbild beruht. Es geht um die Vorstellung, dass der Mann der Fels in der Brandung sein muss, der alles unter Kontrolle hat. Denn vielleicht trägt das Gefühl, dass da ein unbekannter Prozess abläuft, den man nicht direkt beeinflussen kann, zur gefühlten Hilflosigkeit vieler Väter bei. Gerade am Anfang stellte sich mir die Frage: Was kann ich denn jetzt hier überhaupt beitragen?

Mir hat es enorm geholfen, konsequent zu allen Voruntersuchungen mitzugehen und dort aktiv Fragen zu stellen: Wie läuft der Prozess während der Schwangerschaft ab? Was passiert mit meiner Partnerin und mit mir und wie kann ich sie und das Kind am besten unterstützen? Was gibt es zu organisieren? Auch die Geburtsvorbereitungskurse und die Termine mit der Beleghebamme, die uns während der Schwangerschaft begleitete, nahmen wir bis auf wenige Ausnahmen zusammen wahr.

„ Obwohl die Zahl der Männer steigt, die an Geburtsvorbereitungskursen teilnehmen, begleitet nur jeder dritte werdende Vater seine Partnerin dorthin.“