Hate you? Love you? - Fabienne Farano - E-Book

Hate you? Love you? E-Book

Fabienne Farano

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Beschreibung

Nichts ist stärker als die Liebe – auch wenn alles gegen sie spricht?
Der emotionale New Adult-Roman zum Mitfiebern und Dahinschmelzen

Als Beverly an ihrem ersten Collegetag auf den gutaussehenden und geheimnisvollen Liam trifft, weiß sie sofort, dass sie sich in ihn verlieben wird. Doch sie weiß auch, dass sie besser die Finger von ihm lassen sollte. Denn Liam scheint nicht nur unerreichbar, er ist auch vergeben. Fest entschlossen, sich auf ihr Studium zu konzentrieren, bemüht sich Beverly, Liam aus dem Weg zu gehen – was ziemlich schwierig ist. Die beiden kommen sich immer wieder gefährlich nahe. Aber alles scheint gegen ihre Liebe zu sprechen: Was bindet Liam an seine Freundin Madison, obwohl er sie nicht liebt? Und was steckt hinter dem Geheimnis aus Liams Vergangenheit, das sein ganzes Leben bestimmt?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Romans Second Chances.

Erste Leser:innenstimmen
„Die Liebesgeschichte von Liam und Beverly hat mich sofort in den Bann gezogen!“
„Geheimnisvolle, immer wieder tiefgründige Story und große Gefühle.“
„Was für tolle Protagonisten! Man verliebt sich direkt mit!“
„Wer gerne College- und New Adult-Romane liest, muss hier zugreifen.“

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Über dieses E-Book

Als Beverly an ihrem ersten Collegetag auf den gutaussehenden und geheimnisvollen Liam trifft, weiß sie sofort, dass sie sich in ihn verlieben wird. Doch sie weiß auch, dass sie besser die Finger von ihm lassen sollte. Denn Liam scheint nicht nur unerreichbar, er ist auch vergeben. Fest entschlossen, sich auf ihr Studium zu konzentrieren, bemüht sich Beverly, Liam aus dem Weg zu gehen – was ziemlich schwierig ist. Die beiden kommen sich immer wieder gefährlich nahe. Aber alles scheint gegen ihre Liebe zu sprechen: Was bindet Liam an seine Freundin Madison, obwohl er sie nicht liebt? Und was steckt hinter dem Geheimnis aus Liams Vergangenheit, das sein ganzes Leben bestimmt?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Romans Second Chances.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Juli 2023

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-543-6 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-624-2 Hörbuch-ISBN: 978-3-98778-534-4

Copyright © 2022, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2022 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Second Chances – Wenn alles gegen Liebe spricht. (ISBN: 978-3-98637-200-2).

Covergestaltung: Saskia Ziegenbalg unter Verwendung von Motiven von unsplash.com: © jrkorpa, © kharp, © Kseniya Lapteva pixabay.com: © monicore Lektorat: Mira Massong

E-Book-Version 10.01.2024, 17:18:15.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Hate you? Love you?

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Hate you? Love you?
Fabienne Farano
ISBN: 978-3-98778-534-4

Nichts ist stärker als die Liebe – auch wenn alles gegen sie spricht?
Der emotionale New Adult-Roman zum Mitfiebern und Dahinschmelzen

Das Hörbuch wird gesprochen von Xuan Hy Nguyen.
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Vorwort

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Second Chances – Wenn alles gegen Liebe spricht von Fabienne Farano. Da wir uns stets bemühen, unseren Leser:innen ansprechende Produkte zu liefern, werden Cover sowie Inhalt stets optimiert und zeitgemäß angepasst. Es freut uns, dass du dieses Buch gekauft hast. Es gibt nichts Schöneres für die Autor:innen und uns, zu sehen, dass ein beständiges Interesse an ästhetisch wertvollen Produkten besteht.

Wir hoffen du hast genau so viel Spaß an dieser Neuauflage wie wir.

Dein dp-Team

1. Kapitel

Sorgfältig bürstete ich ein letztes Mal mein langes Haar, bevor ich es zu einem lockeren Pferdeschwanz zurückband. Eigentlich hatte ich es offen tragen wollen, doch es war bereits so schwül, dass mir die ersten Strähnen unangenehm im Nacken klebten. Nervös überprüfte ich mein Spiegelbild, strich zum wiederholten Mal meine kurzärmlige Bluse glatt und atmete tief durch. Dieser Tag lief bis jetzt zwar nicht wie gewünscht, aber er war noch jung genug, um alles wieder in geplante Richtungen zu führen.

Im Geiste ging ich noch einmal durch, was bis jetzt alles schiefgelaufen war: Ich hatte schlecht geschlafen, Kaffee verschüttet, die am Abend zuvor ausgesuchte Bluse saß nicht wie erwartet, die ursprüngliche Frisur passte nicht zum Wetter. Das war verkraftbar. Alles nicht so schlimm.

Ich nickte mir aufmunternd zu und schaffte sogar ein zaghaftes Lächeln. Gleichzeitig fragte ich mich, warum mich diese Kleinigkeiten so durcheinandergebracht hatten. Wären sie mir an irgendeinem anderen Tag passiert, hätte ich nicht einmal darüber nachgedacht. Heute erschien mir alles wie ein Zeichen. Ein Omen dafür, wie mein Leben in Zukunft weitergehen würde. Als würde der Verlauf des heutigen Tages über den Verlauf meines gesamten beruflichen Werdegangs entscheiden. Natürlich war dies einzig und allein meinen aufgeregten und irrationalen Gedankengängen geschuldet, aber ich konnte sie nicht abschalten.

Ich hatte mich immer auf meinen ersten Tag am College gefreut. Jetzt, wo dieser Tag endlich gekommen war, erschien er mir nicht mehr so erfreulich.

Eine leichte Brise wehte durch mein zurückgebundenes Haar. Es war so angenehm, dass ich kurz aufseufzte.

Ich ging zum offenen Fenster und schaute hinaus. Die Sonne schien auf den weitläufigen, etwas trockenen Rasen zwischen unserem Haus und der von Bäumen gesäumten Straße. Wehmütig stützte ich mich auf der Fensterbank ab. Washington D.C. lag nur knapp zwei Stunden Autofahrt von meiner Heimatstadt Richmond entfernt, dennoch fühlte ich mich plötzlich so, als würde ich ans andere Ende der Welt ziehen. Eigentlich machte die Entfernung keinen Unterschied, denn ich hatte nicht vor, jedes Wochenende nach Hause zu fahren. Das lag nicht nur daran, dass ich kein eigenes Auto besaß oder mir mein Vater nicht fehlen würde. Es war nur einfach an der Zeit, mein altes Leben gegen ein neues zu tauschen. Ich wollte mich weiterentwickeln und das ging nicht, wenn ich zwei Tage die Woche in meinem Elternhaus verbrachte.

In der Ferne vernahm ich die mir so vertrauten Geräusche des Straßenverkehrs auf der Interstate. An früheren Sommertagen wie diesen hatte ich nachts häufig am offenen Fenster gesessen und einfach nur dem Verkehr gelauscht. Immer wenn ein sanfter Lufthauch den Geruch nach Sommer in mein Zimmer geweht hatte, schien es, als gäbe es keinen friedlicheren Ort auf dieser Welt.

Ein Vogel flog laut zwitschernd in den Baum vor unserem Haus und riss mich aus meinen Gedanken. Ich sollte endlich nach unten gehen. Behutsam schob ich das Fenster zu und verriegelte es. Auf dem Bett lag mein gesamtes Gepäck. Es bestand lediglich aus einer Handtasche, einem Koffer und einer Sporttasche. Ich schaffte es, alles auf einmal die Treppe nach unten zu schleppen.

„Bevi, was tust du denn da? Ich hätte dir doch geholfen!“ Aufgeregt kam mein Vater aus dem Esszimmer geeilt und entriss mir unnötigerweise den Koffer.

„Schon gut.“ Ich lächelte und legte die Sporttasche auf der untersten Stufe ab.

„Sollen wir los?“, fragte er und rollte den Koffer zur Haustür. Er sah mich nicht an. Ich wusste, dass er vor diesem Augenblick mehr Angst hatte als ich. Ich war sein einziges Kind. Ab heute würde er hier allein leben. Ich schüttelte den Gedanken ab, denn ich spürte bereits einen faustdicken Kloß im Hals.

„Ja. Wir liegen zwar gut in der Zeit, aber ich möchte auf keinen Fall zu spät kommen.“

Mein Vater, offensichtlich froh darüber, eine Aufgabe zu haben, eilte sofort nach draußen, um mein Gepäck im Auto zu verstauen. Ich war ihm noch nicht aus dem Haus gefolgt, da hörte ich schon die Stimme unserer Nachbarin, die meinen Vater aushorchte: „Verreisen Sie, Mr Williams?“

„Nein, nein, Mrs Banes. Meine Tochter. Ich fahre sie nach Washington.“

„Oh, du lieber Himmel! Das ist schon heute?“

Mein Vater antwortete etwas, das ich nicht verstehen konnte. Da Mrs Banes nicht eher von unserem Grundstück weichen würde, bis wir zumindest im Auto saßen und nicht mehr ansprechbar waren, ging ich nun ebenfalls hinaus.

Die alte Frau stand neben unserem Briefkasten und winkte mir erfreut zu, als sie mich den Weg zur Garage laufen sah. Es gab keinen Tag, an dem sie uns nicht auflauerte. Eigentlich gehörte sie schon beinahe zum Inventar unseres Grundstücks und ich würde mich nicht wundern, wenn sie irgendwann im Haus ein- und ausging, als würde sie dort wohnen. Mein Vater kümmerte sich stets liebevoll um sie, ging für sie einkaufen oder mähte ihr den Rasen, da sie allein lebte.

„Guten Morgen, Mrs Banes.“

„Guten Morgen, Beverly. Viel Erfolg auf dem College, meine Liebe.“

„Vielen Dank.“

Sie wechselte noch einige Worte mit meinem Vater, der ihr versprechen musste, vorsichtig zu fahren und heil wieder zurückzukommen. Als wir losfuhren, winkte sie uns hinterher, bis ich sie im Seitenspiegel nicht mehr erkennen konnte.

„Mrs Banes werde ich sicher sehr vermissen“, sagte ich lachend.

„Nicht so sehr wie sie dich“, gab mein Vater augenzwinkernd zurück und schaltete das Radio ein. Ich sah aus dem Fenster. Obwohl wir gerade erst den James River auf der Interstate 95 überquert hatten, ahnte ich bereits, dass mir diese Fahrt endlos vorkommen würde. Wir waren in der Vergangenheit schon einige Male nach Washington D.C. gefahren, dennoch war mir die Strecke noch nie zuvor so endlos erschienen. Das lag wohl daran, dass mir die fast zwei Stunden Fahrtzeit noch einmal die Möglichkeit gaben, über meine Zukunft und die meines Vaters nachzudenken.

Er war der Grund, wieso ich plötzlich voller Sorgen war. Am meisten kämpfte ich mit meinem schlechten Gewissen ihm gegenüber. Ich ließ ihn allein zurück. Auch wenn dies der natürliche Lauf der Dinge war, wäre es um einiges einfacher für ihn, wenn er meine Mutter an seiner Seite hätte. Ich kurbelte das Fenster runter, um frische Luft in den stickigen, alten Ford zu lassen.

„Wenn du das nächste Mal zu Besuch kommst, werden wir uns nach einem Auto für dich umsehen“, sagte mein Vater und trommelte mit den Fingern leicht im Takt der Musik auf das Lenkrad.

„Vielleicht finde ich eins in D.C.“

„Unsinn. Ich werde dir eins kaufen“, warf er ein.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe genug Geld gespart. Außerdem möchte ich mir dort einen Job suchen.“

„Du solltest deine Zeit zum Lernen nutzen.“

Mein Dad war der wohl einzige Vater auf der Welt, der nicht wollte, dass sich seine Tochter einen Nebenjob suchte. All die Jahre nach dem Tod meiner Mutter hatte ich versucht, ihn so wenig wie möglich um Hilfe zu bitten. Den ganzen Sommer über nach meinem Highschool-Abschluss hatte ich als Bedienung in einem kleinen Diner gearbeitet. Das Leben in Richmond war zwar nicht sonderlich teuer, aber ich hatte mir Geld für das College ansparen wollen. Es lag daher noch unberührt auf meinem Sparkonto und wartete darauf, dass ich es ausgab. Sinnvoll. Trotzdem reichte es nicht aus, um große Sprünge damit zu machen. Ein Nebenjob wäre auf Dauer unvermeidbar, wenn ich mir ein Auto kaufen und meinen Vater nicht irgendwann um Geld bitten wollte. Er besaß selbst nicht viel und zahlte meinen Studienkredit zum größten Teil mit ab.

„Wann beginnt die Einführung?“, fragte er und wechselte somit das Thema.

„Um 12.“ Ich schloss das Fenster wieder und wischte mir die losen Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Du musst aber wirklich nicht so lange bleiben. Ich glaube, das Ganze dauert drei Stunden.“

Er lächelte gutmütig. „Ich habe nichts vor heute.“

Die restliche Fahrt über verbrachten wir schweigend. Erst als wir Washington D.C. erreichten und das schmiedeeiserne Tor zum Campus-Gelände passierten, ergriff Dad wieder das Wort: „Sieht doch recht ordentlich aus.“

Auch mir gefiel es hier. Ich hatte nur wenige Augenblicke, um mir einen genaueren ersten Eindruck zu verschaffen, da parkte er auch schon das Auto und verfiel in Hektik, obwohl immer noch genügend Zeit bis zur Einführungsveranstaltung war.

Wie angekündigt begleitete er mich, wobei er so gebannt lauschte, als würde er ab jetzt selbst hier studieren. Sogar eine College-Broschüre samt Plan über das gesamte Gelände nahm er mit. Als wir zurück zum Auto gingen, um mein Gepäck zu holen, schwappte seine Nervosität erstmals auf mich über.

„So.“ Mein Vater stemmte die Hände in die Hüften und sah sich um. Mit seiner schiefsitzenden Brille, dem altmodisch karierten Hemd, das er in die Hose gesteckt hatte, und den zusammengekniffenen Augen unter den ergrauten, buschigen Brauen wirkte er älter, als er war.

„Wo finden wir denn nun das Mädchenwohnheim?“ Hoch konzentriert zog er die Broschüre aus seiner Gesäßtasche und öffnete sie. Auf seiner gerunzelten Stirn sammelten sich kugelrunde Schweißperlen.

„Dad.“ Ich legte meine Hand auf seinen Arm. „Ist schon in Ordnung. Ich werde es finden.“

„Es ist nicht weit.“ Er deutete auf einen Punkt in der Broschüre, den ich nicht sehen konnte, da er sich das Papier direkt vors Gesicht hielt. Ich wusste, dass er den Moment des Abschieds hinauszögern wollte. Doch je eher wir ihn hinter uns brachten, desto besser.

„Das Wohnheim liegt in der Nähe der Bibliothek. Ich habe mich vorab informiert.“ Aufmunternd lächelte ich zu ihm hoch.

„Aber dein Koffer und die Tasche?“

„Mein Koffer hat Rollen und die Tasche kann ich notfalls darauf ablegen. Dad, wir sollten uns nun verabschieden.“ Ich sagte es, als wäre es keine große Sache. In meinem Inneren aber kämpfte ich mit den Tränen. Mein Vater würde nun zurück in ein Haus fahren, das viel zu groß für ihn allein war, wo ihn alles an meine verstorbene Mutter erinnerte und nun auch an mich. Er konnte sich zwar selbst versorgen, aber er hatte noch nie allein gelebt.

Dad schien über meine Worte nachzudenken. Schließlich nickte er. Ich war mir sicher, dass er sich in Erinnerung rief, dass er der Vater und ich die Tochter war. Er musste nun stark sein, obwohl ich es oft für ihn war. „Gut, dann werde ich jetzt aufbrechen.“ Etwas verloren sah er mir in die Augen. „Du kannst jederzeit anrufen, das weißt du.“

Ich musste schmunzeln. „Das hast du mir auch an meinem ersten Tag an der Junior Highschool gesagt. Ich bin achtzehn. Mach dir keine Sorgen. Ich passe auf mich auf. Versprochen.“

„Das weiß ich.“ Endlich lächelte er. „Ich wünsche dir einen erfolgreichen Start und eine schöne Zeit.“

„Danke“, flüsterte ich. Unbeholfen schlang ich meine Arme um seinen breiten Bauch und legte meinen Kopf für einen Moment an seiner Brust ab. So wie ich es früher immer getan hatte. Er erwiderte die Umarmung. Als er sich kurz räusperte, löste ich mich von ihm.

„Ich komme dich bald besuchen“, versprach ich und strahlte ihn so fröhlich wie möglich an.

Mein Vater nickte, dann überreichte er mir die Campus-Broschüre. „Hier, für alle Fälle.“

„Okay.“ Ich schob sie in meine Handtasche. Dad wischte sich die Hände an der Jeans ab und trat einen Schritt zurück. Schnell, um es endlich hinter mich zu bringen, packte ich den Griff des Koffers, schwang mir die Sporttasche über die Schulter und winkte ihm ein letztes Mal zu. „Bis bald, Dad. Danke, dass du mich hergebracht hast.“

„Selbstverständlich.“ Er winkte zurück. Kurz bevor ich mich umdrehte und den Weg über die sauber gestutzte Rasenfläche in Richtung Bibliothek einschlug, erkannte ich noch, dass er die Brille anhob und sich mit dem Handrücken über die Augen wischte.

Der Kummer, der mich in diesem Augenblick erfasste, überlagerte jeden Funken der Vorfreude auf meinen neuen Lebensabschnitt. Plötzlich fühlte ich mich einsamer und gleichzeitig schuldiger denn je. Ich hasste Abschiede. Allerdings hatte ich schon schlimmere erlebt. Dies war ein Neuanfang, kein Lebewohl.

Ich atmete tief durch, zupfte den Gurt der Sporttasche zurecht und sah mich um. Es herrschte reger Betrieb auf den Wegen. Im Gras verteilt saßen Studenten auf Decken, lasen Bücher unter Bäumen oder unterhielten sich. In der Ferne entdeckte ich das majestätische weiße Steingebäude, das ich bisher nur von Bildern aus dem Internet kannte. Die Bibliothek. Bereits aus dieser Entfernung sah ich die gewaltigen Säulen, die ein schmales, schlichtes Vordach trugen. Nur ein Stück weiter östlich musste das Mädchenwohnheim liegen.

Nach wenigen Minuten fand ich es ohne Probleme. Obwohl die Hitze hier nicht so schwül und drückend war, musste ich mir dennoch den Schweiß von der Stirn wischen, ehe ich die Tür des Gebäudes aufstieß. An der gegenüberliegenden Wand befand sich der Empfang.

„Wie kann ich dir helfen?“, begrüßte mich das braunhaarige Mädchen hinter dem Tresen freundlich. Sie hatte ein Piercing an der Lippe und eins am Ende ihrer linken Augenbraue.

„Hallo, mein Name ist Beverly Williams.“

„Einen Moment.“ Die Brünette wandte sich ab, um meinen Namen im Computer einzugeben. Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe sie zufrieden nickte. „Hab dich schon gefunden.“ Sie drehte sich um und holte zwei Schlüssel von den vielen Haken an der Wand. Dafür, dass die Washington West University eine recht moderne Universität war, war das Schlüsselsystem ziemlich auf der Strecke geblieben. Aber es passte auch irgendwie zum Charme des Gebäudes. Dankend nahm ich die Schlüssel entgegen. Das Mädchen machte eine Kopfbewegung zum Aufzug. „Dein Zimmer ist im C-Flügel. Dort sind die Erstsemester untergebracht. Zweiter Stock und dann links. Nummer 14.“

„Okay, danke.“ Ich lächelte, steckte die Schlüssel in die Handtasche und machte mich zusammen mit meinem Gepäck auf den Weg zum Fahrstuhl. Hinter mir checkte schon das nächste Mädchen ein.

Als ich mein Zimmer fand, spürte ich zum ersten Mal an diesem Tag endlich und ungehindert die Vorfreude in mir aufsteigen. Hier würde ich für die nächsten vier Jahre wohnen. Mit wem würde ich es mir teilen? Was würde mir hier alles passieren?

Aufgeregt schloss ich die dunkle Holztür auf und trat ein. Es war niemand da. Das Zimmer war klein und lediglich mit zwei Betten, zwei Kommoden, zwei schmalen Schränken und zwei Schreibtischen ausgestattet. Mehr hatte ich auch nicht erwartet. Die Vorhänge des einzigen Fensters im Raum waren zugezogen, sodass das trübe Licht dem Ganzen eine eher trostlose Note gab. Die rechte Seite war schon belegt. An der Wand hingen Bilder von Modezeichnungen und über dem Kopfende des Bettes ein Poster des Films Der Teufel trägt Prada.

Ich lächelte erleichtert, als ich weitere Gemeinsamkeiten zwischen mir und meiner künftigen Mitbewohnerin feststellte: ordentlich zusammengelegte Kleidung auf der Kommode, ein kleiner Stapel Bücher auf dem Schreibtisch, Schmuck auf der Fensterbank. Ich ging zu meiner noch völlig leeren Seite des Zimmers und legte mein Gepäck auf dem Bett ab. Da die Luft etwas muffig im Raum stand, zog ich die Vorhänge zurück und öffnete das Fenster. Gleißendes Sonnenlicht schien mir direkt ins Gesicht. Erfreut stellte ich fest, dass sich mir ein gigantischer Ausblick über das gepflegte Campus-Gelände bot. Das Plätschern des Springbrunnens vor dem Gebäude, das Zwitschern der Vögel in den Bäumen und das Geräusch lachender Studenten brachte mich zum Strahlen. Ich fühlte mich sofort wohl. All meine Sorgen waren plötzlich wie weggeblasen. Voller Euphorie machte ich mich daran, meinen Koffer auszupacken.

Bereits nach einer halben Stunde hatte ich meine gesamten Sachen im Schrank und der Kommode verstaut. Gerahmte Fotos und der Laptop standen auf dem Schreibtisch. Das Bett war frisch bezogen und sogar der Teddybär, den ich einst von meiner Mutter bekommen hatte, fand einen Platz auf der Kommode. Nun sah auch meine Hälfte des Zimmers freundlich und um einiges wohnlicher aus. Meine Mitbewohnerin war noch immer nicht erschienen, also beschloss ich, die Waschräumlichkeiten aufzusuchen, um mich frisch zu machen.

Als ich geduscht und mit geföhnten Haaren vor dem Kleiderschrank stand, fühlte ich mich noch besser. Ich zog ein knielanges olivgrünes Kleid vom Bügel und schlüpfte hinein. Perfekt.

Gerade als ich mir die Handtasche schnappte, um mich auf den Weg zur Bibliothek zu machen, wurde die Zimmertür aufgerissen. Eine zierliche Blondine trat ein. Ihre blauen Augen weiteten sich, als sie mich sah. „Hi!“, rief sie begeistert. „Du bist meine Mitbewohnerin, stimmt’s?“

„Besser wär’s“, erwiderte ich kichernd. „Aber ja. Hi.“

Sie eilte auf mich zu. Ihre Locken hüpften bei jedem ihrer Schritte wie kleine, elastische Korkenzieher. Sie überrannte mich beinahe mit ihrer quirligen Art. „Ich bin Holly. Schön, dass du da bist. Ich war schon sehr gespannt.“

„Ich auch. Ich bin Beverly.“

„Beverly?“, fragte sie aufgeregt, als hätte ich ihr eröffnet, dass ich eine prominente Persönlichkeit war. „Wie aus Stephen Kings ES?“

„Was?“ Verwirrt zog ich die Brauen zusammen.

„Kennst du das Buch nicht?“

Ich schüttelte den Kopf. Sie ging zu ihrem Schreibtisch und zog einen dicken Roman aus dem Bücherstapel. Er wirkte mitgenommen und ein wenig zerfleddert. Entweder sie hatte das Buch sehr oft gelesen, oder es war schon durch mehrere Hände gereicht worden. „Ein Horror-Klassiker“, erklärte sie und hob es in die Höhe. Bereits das Wort auf dem Cover reichte aus, um mir eine Gänsehaut zu verpassen.

„Oh, so was lese ich nicht“, gestand ich und hängte mir meine Handtasche über die Schulter.

Holly lächelte, legte den Roman zurück auf den Stapel und setzte sich auf ihr Bett. Die Hände im Schoß gefaltet und mit wippenden Füßen wirkte sie viel jünger, als sie sein musste. „Was liest du so?“, fragte sie. Ehe ich etwas erwidern konnte, fügte sie hinzu: „Bitte nicht diese englische Literatur … Sturmhöhe oder so was.“

Ich lachte. „Nein. Ich lese kein bestimmtes Genre. Aber wenn, dann etwas Moderneres.“

„Zum Beispiel?“

Sie war ehrlich neugierig, also antwortete ich geduldig: „Harry Potter.“

„Ja, wer hat dieses Meisterwerk nicht gelesen?“

„Das ist auch einer meiner Lieblingsfilme.“ Ich nickte zum Poster über ihrem Bett.

„Der Teufel trägt Prada? Stehst du auch auf Mode?“

„Ja, ich habe Modedesign als Hauptfach belegt. Sind das deine Werke?“, fragte ich und deutete auf die Skizzen an der Wand. Sie waren wirklich gut. Auch Holly warf einen Blick über die Schulter, als müsse sie sich vergewissern, dass dort immer noch ihre Zeichnungen hingen.

„Ja.“ Euphorisch sprang sie auf. „Toll! Dann haben wir schon mal ein paar Kurse zusammen. Modedesign ist auch mein Hauptfach!“ Sie schaute auf meine Handtasche. „Wolltest du gerade gehen?“

„Ich möchte zur Bibliothek und mich umsehen.“

„Wenn du willst, begleite ich dich. Meine große Schwester hat mich schon auf dem Campus rumgeführt.“

„Deine Schwester?“

Holly nickte. „Sie ist jetzt im fünften Semester. Komm, gehen wir.“ Sie hüpfte mir voraus zur Zimmertür. Obwohl Holly ein völlig anderer Typ war als ich, mochte ich sie. Ihre gute Laune steckte mich an und dass sie sich hier etwas auskannte, machte unseren Ausflug einfacher.

Als wir nach einem großen Spaziergang den Eingang der Bibliothek erreichten, kam uns eine kleine Gruppe die wenigen Stufen hinab entgegen. Ich ging einen Schritt zur Seite, um ihnen Platz zu machen, rutschte aber mit dem Fuß ab. Reflexartig ruderte ich mit den Armen und sah mich schon im Kies vor der Treppe liegen, da hielt mich eine starke Hand zurück und brachte mich mühelos wieder zum Stehen. Als ich mir sicher war, dass ich wieder fest auf der ersten Stufe stand, schaute ich hoch, um mich bei meinem Helfer zu bedanken. „Danke, ich …“

Wunderschöne tiefblaue Augen blickten direkt in die meinen und brachten mich völlig aus dem Konzept. Der junge, dunkelhaarige Mann, mein Retter sozusagen, sah mich belustigt an. Ich musste blinzeln. Sogar mein Mund klappte ein wenig auf. Peinlich berührt wich ich zurück, aber er hielt immer noch mein Handgelenk umklammert.

„Alles in Ordnung?“, fragte er. Ich nickte. Um das Ganze zu verschlimmern, schoss mir jetzt auch noch das Blut in die Wangen. Diese Szene hätte aus einer kitschigen Hollywood-Romanze stammen können, doch hier, im realen Leben, wirkte sie wenig zauberhaft. Eher erniedrigend. Ich musste im Antlitz dieses Adonis ein furchtbares Bild abgeben. Schließlich löste er seinen Griff um mein Handgelenk.

„Geht es dir gut?“ Holly erschien neben Mr Perfect und musterte mich besorgt.

„Ja. Es wäre ja nur eine Stufe gewesen.“ Ich winkte gespielt lässig ab.

„Das reicht schon, um sich den Hals brechen zu können.“

Hatte ich Hollys Offenheit gerade noch als sympathisch empfunden, so verfluchte ich sie in diesem Moment, der immer peinlicher für mich wurde.

Adonis schmunzelte. Er war nicht nur groß, sondern auch muskulös. Als er die Arme vor der Brust verschränkte, erkannte ich die einschüchternden Muskeln seiner Oberarme. Es war nicht so, dass ich nie zuvor einen gut aussehenden Typen gesehen hatte. Nur war dieser hier genau das Exemplar, das ich mir in meinen kühnsten und intimsten Vorstellungen ausgemalt hätte.

Sein Gefolge kam näher. Zwei andere junge Männer und ein blondes Mädchen. Ein ziemlich hübsches Mädchen sogar, das mich skeptisch beäugte.

„Sei beim zweiten Versuch vorsichtiger“, schlug er vor. Dabei klang er etwas arrogant. Ich straffte die Schultern und versuchte, so selbstbewusst wie möglich zu wirken.

„Ja“, krächzte ich, räusperte mich und fügte dann hinzu: „Und danke noch mal. Fürs Festhalten.“

Er hob einen Mundwinkel. „Nein. Danke dir. Das war sehr amüsant.“

Die anderen lachten. Holly nicht.

„War nur ein Scherz“, sagte er. „Ich bin Liam.“

„Beverly.“

„Also gut, Beverly. Dann viel Erfolg beim Besteigen dieser heimtückischen Treppe.“ Er lächelte. Diesmal freundlicher.

Ich nickte und schaffte es sogar, mir ebenfalls ein schüchternes Lächeln abzuringen.

„Danke.“

„Bis dann.“ Damit stieg er die Stufe hinab und ging an uns vorbei. Die anderen folgten ihm kommentarlos. Die Blondine warf mir noch einen kurzen Blick zu, dann hakte sie sich bei ihm ein. Mein Magen verkrampfte sich unangenehm. Das war der wohl peinlichste Augenblick meines Lebens gewesen.

„Guter Start“, meinte Holly. Sie konnte ein Grinsen nicht verbergen.

„Ganz toll“, murmelte ich und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Nachdem ich rein körperlich wieder fest auf dem Boden stand, taumelte nun mein Innerstes auf höchst unangenehme Weise. Wer war dieser Typ? Konnte ich es wagen, ihm nachzuschauen? Nein. Auf keinen Fall! Er sah älter aus als achtzehn. Sicher startete er in eines der letzten Semester oder begann sogar den Master.

„Er sah sehr gut aus.“ Holly sprach das aus, was ich dachte. Und das war noch bodenlos untertrieben. „Aber wirklich nett war er nicht. Komm. Gehen wir rein.“

Ich schritt hinter ihr die Stufen hinauf.

Nicht einmal die Schönheit der Bibliothek konnte mich von diesen dunkelblauen Augen ablenken. Noch nie zuvor hatte mich ein Mann so schnell in seinen Bann gezogen wie er. Was war es, das ihn so anziehend machte? Und das, obwohl ich ihn gar nicht kannte. Er hatte doch kaum fünf Sätze mit mir gesprochen. Da kochte ein neues Gefühl in mir hoch, das ich zuerst nicht einordnen konnte. Etwas in meiner Erinnerung blockierte plötzlich meine süßen Gedanken an diesen Liam. Dann fiel es mir wieder ein: Er hatte eine Freundin. Wenn sie denn seine Freundin war. Könnte sie auch nur eine gute Bekannte gewesen sein? Eine Kommilitonin, die mit ihm denselben Kurs besuchte?

„Wollen wir uns noch einen Kaffee holen? Nicht weit von hier ist ein Coffee Shop“, schlug Holly vor, als wir die Bibliothek wieder verließen. Ich nickte. Etwas Koffein wäre jetzt genau das Richtige.

Schon von Weitem konnten wir erkennen, dass der Coffee Shop brechend voll war. Wir stellten uns trotzdem am Ende der Schlange an. Holly verschränkte die Arme vor der Brust und sah sich um. Ich tat es ihr nach, wobei jeder Mann mit dunklen Haaren sofort meine Aufmerksamkeit auf sich zog.

„Hast du eigentlich einen Freund?“, fragte Holly. An ihre Direktheit würde ich mich erst noch gewöhnen müssen.

„Nein“, antwortete ich. „Und du?“

Sie zuckte die Achseln. „Habe vor ein paar Wochen Schluss gemacht. Sein Name war Derek. Er muss noch ein Jahr auf die Highschool.“

„Wieso hast du dich getrennt?“

„Nun … ich bin jetzt auf dem College. Ich will nicht gebunden sein, verstehst du? Eine Fernbeziehung ist nichts für mich und wer weiß, wo er danach aufs College geht?“ Sie sah mich an, als wäre dies das Selbstverständlichste auf der Welt. Ich blinzelte nur. Mir wäre niemals in den Sinn gekommen, mich aus solch einem Grund von einem Partner zu trennen.

„Heute Abend steigt eine Party. Wir sollten hingehen“, fuhr Holly unbeirrt fort. Die Schlange wurde allmählich kürzer.

„Heute? Ich weiß nicht.“

„Warum? Es ist Freitag. Hast du schon was vor?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich bin gerade erst angekommen. Das war ein ganz schön langer Tag.“

„Vorsicht. Da vorne ist eine Stufe. Kurz vor dem Tresen“, rief plötzlich jemand hinter mir. Beim Klang dieser Stimme stellten sich mir die Nackenhaare auf. Mein Herz setzte einen Schlag aus, während mein Gehirn diese wenigen Worte verarbeitete. Aufgeregt drehte ich mich um. Liam stand vor mir, zwei To-go-Becher in den Händen. Und er machte sich erneut über mich lustig.

„Sehr aufmerksam … und witzig. Danke“, entgegnete ich spitz.

„Nur für alle Fälle. Diesmal kann ich dich nicht festhalten.“

„Wie schade“, gab ich sarkastisch zurück. Holly kicherte. Da ich diesmal nicht wie eine Jungfrau in Nöten von seiner Hand gehalten wurde, fühlte ich mich etwas sicherer.

Liam lachte auf. Er beugte sich ein Stück weiter zu mir hinab. Ein Hauch seines wunderbaren Parfums stieg mir in die Nase. „Darf ich dann mal durch?“

„Was?“ Seine Frage passte irgendwie nicht.

„Ihr blockiert den Eingang. Es ist hier heute ziemlich voll.“ Er nickte zur Tür direkt hinter Holly und mir. Liam hatte recht.

„Oh.“ Ich trat zur Seite und schob damit Holly beinahe gegen die Wartenden vor uns.

„Sehr nett“, bemerkte Liam amüsiert. Kurz bevor er sich abwandte, beugte er sich erneut zu mir. „Das finde ich übrigens auch schade, Beverly.“

Dann war er auch schon wieder verschwunden. Mein Herz pochte aufgeregt gegen meinen Brustkorb. Seine letzten Worte immer noch im Kopf, die sich mit den Erinnerungen an diese starken Arme abwechselten, drehte ich mich zu Holly.

„Verfolgt der uns?“, fragte sie kichernd.

„Gut, gehen wir auf diese Party.“ Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Auf einmal war ich völlig euphorisch.

„Na also!“ Holly nickte. „Super.“

2. Kapitel

Den restlichen Tag verbrachten wir auf unserem Zimmer, aßen Pizza und stellten unsere Kleiderschränke auf den Kopf. Ich besaß nicht allzu viele passende Klamotten für einen Partyabend, fand aber schließlich ein schwarzes enganliegendes Kleid. Es endete knapp über den Knien. Der Ausschnitt war dezent.

„Wie findest du das?“, fragte ich Holly, während ich mich vor dem Spiegel hinter der Tür hin und her drehte. Mit jedem Schritt schwand meine Begeisterung für das Outfit.

Hollys skeptische Miene machte es nicht besser. Endlich hob sie die Schultern. „Na ja, es ist eben sehr schlicht.“

„Schlicht“, wiederholte ich lahm und hielt in meiner Bewegung inne.

„Du wirst damit nicht auffallen. Dein Haar ist ja auch relativ dunkel.“

Ich fuhr mir durch meine dunkelrote Mähne, die mir bis zu den Brüsten reichte. Stöhnend legte ich den Kopf in den Nacken. „Ich habe nichts Besseres.“

„Das ist doch gut. Ein hervorragender Grund, um mal ordentlich shoppen zu gehen.“ Holly schob sich vor mich, damit sie sich selbst im Spiegeln begutachten konnte. Sie trug Sandalen und ein rotes Kleid. Eigentlich war es mehr ein knallenger Schlauch, der gerade noch so über ihrer Oberweite begann und direkt unter dem Po endete.

„Ich muss nicht auffallen. Du wirst das für uns beide tun“, sagte ich und kicherte. Holly hatte uns eine Flasche Sekt geöffnet, den sie ihren Eltern zu Hause stibitzt hatte. Während unserer Suche quer durch unsere Schränke hatten wir sie bereits zur Hälfte geleert. Zum ersten Mal seit Langem fühlte ich mich jung und ausgelassen.

„Das hoffe ich doch“, meinte Holly und strich sich über ihre gepushte Oberweite. „Vielleicht schlafe ich heute ja im Verbindungshaus. Wer weiß?“

„Verbindungshaus?“

„Ja, dort steigt die Party.“

„Woher weißt du eigentlich davon?“

„Von meiner Schwester. Ihr Freund Shane ist Mitglied einer Studentenverbindung seines Jahrganges.“

„Oh.“ Im Spiegel sah ich, wie sich meine rot geschminkten Lippen irgendwo hinter Hollys blonden Locken zu einem O formten. Vielleicht würde ich dort Liam wiedersehen? Aufgeregt hüpfte ich zu den Sektgläsern auf Hollys Schreibtisch und genehmigte mir noch einen großen Schluck. Im Geiste ging ich unsere letzten Begegnungen durch. Viel geredet hatten wir nicht. Und allzu freundliche Worte waren auch nicht gewechselt worden. Trotzdem: Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich an ihn dachte.

Holly überprüfte ihr Handy. „So, wir sollten uns dann langsam auf ein Outfit festlegen. In zehn Minuten werden wir abgeholt.“

Ich blieb bei dem schwarzen Kleid, da ich ohnehin nichts Besseres besaß, ließ mein Haar offen und legte etwas Eyeliner und Lippenstift nach. Die Wahl der passenden Schuhe fiel mir nicht schwer. Ich trug gern High Heels und griff zu silbernen Peeptoes mit schmalen Riemchen.

„Siehst echt heiß aus“, stellte Holly fest. „Die Schuhe machen wirklich was her. Aber du wirkst auch sehr schick.“

Ich wollte das Kompliment erwidern, da klingelte ihr Handy. Gutgelaunt nahm sie ab. „Ja? Gut. Wir kommen.“ Sie legte auf. „Los geht’s.“

Mein Bauch kribbelte vor Aufregung. Meine erste Studentenparty! Wir leerten die Gläser, nahmen unsere Handtaschen und machten uns auf den Weg.

Ein kleines rotes Auto wartete bereits auf dem Parkplatz in der Nähe des Mädchenwohnheims auf uns. Das blonde Mädchen hinter dem Steuer winkte uns zu. Bis auf die Haarfarbe hatten die Schwestern kaum etwas gemein. Zumindest optisch.

„Hi, ich bin Charlotte. Charly“, stellte sie sich freundlich vor, als wir die Autotüren öffneten. Holly schlüpfte neben sie auf den Beifahrersitz und drehte sofort die Musik auf.

„Beverly“, schrie ich Charly über den Lärm hinweg zu und rutschte auf die Rückbank.

„Holly!“ Sie drehte die Musik wieder leiser. „Lass das.“

„Du bist so eine Langweilerin“, maulte Holly.

Charly schüttelte den Kopf. „Du kannst gern hierbleiben, wenn es dir nicht passt. Ich brauche dich nicht.“

Sofort schwieg Holly und Charly fuhr los.

Eine Weile lauschten wir nur der Musik. Ich sah aus dem Fenster und ließ den Blick über die vorbeiziehenden Häuser gleiten. Es wurde bereits dunkel. Als die anderen beiden sich wieder wegen der Musikauswahl kabbelten, stellte ich mir vor, wie es wäre, selbst eine Schwester zu haben. Lange Zeit hatte ich mir eine gewünscht. Würde ich mich mit ihr auch so unnötig streiten? Ich musste mir ein Kichern verkneifen, als Charly Holly in die Wange kniff und sie kurz schüttelte. Holly lachte daraufhin schallend.

„Du nervst!“, rief Charly, lächelte aber.

„Ich weiß. Keine Sorge, jetzt siehst du mich ja wieder öfter.“

„Was heißt da bitte keine Sorge? Die schönsten Jahre meines Collegelebens sind damit endgültig vorbei.“ Charly warf sich das schulterlange Haar zurück, das ihr der Fahrtwind durch die geöffneten Fenster immer wieder ins Gesicht wehte. Ihre grünen Augen trafen mich im Rückspiegel. „Wie hältst du es nur mit ihr aus? In einem kleinen Zimmer?“

„Wir wohnen ja erst ein paar Stunden zusammen“, antwortete ich grinsend.

„Hör auf, mich vor Beverly schlecht zu machen“, befahl Holly. „Wie weit ist es denn noch? Du fährst wie eine Schnecke.“

Ihre Schwester stöhnte genervt. „Zwei Minuten. Aber sie werden mir mit dir vorkommen wie eine Stunde.“

Ich sah wieder aus dem Fenster und erlaubte meinen Gedanken, abzuschweifen. Zu Liam, dem nahezu unbekannten Adonis, der sich immer wieder in meinen Kopf schlich mit seinen blauen Augen, dem prüfenden Blick und diesem einnehmenden, selbstgefälligen Lächeln. Für einen kurzen Moment überlegte ich sogar, Charly nach ihm zu fragen. Vielleicht kannte sie ihn? Da fiel mir ein, dass ich nicht einmal seinen Nachnamen wusste. Ich seufzte. Selbst wenn ich sie nach ihm fragen würde, was hätte ich letztlich davon? Liam hegte sicherlich keinerlei Interesse an mir. Bestimmt hatte er mich bereits wieder vergessen.

„Ist es das?“, fragte Holly plötzlich. Als ich ihrem Blick folgte, stellte ich fest, dass ihre Frage überflüssig war. Das einzige Haus in der Straße, das in allen möglichen Farben leuchtete und dessen Musikbass bis ins Auto drang, war nur noch wenige Meter von uns entfernt.

„Ja, du Blitzmerker.“ Charly parkte den Wagen und wir stiegen aus. Holly und ich zupften unsere Kleider zurecht, ehe wir Charly zum Haus folgten. Obwohl das Grundstück weitläufig war, taten mir die Nachbarn leid.

Im Vorgarten standen die ersten Studenten mit Getränken. Laute Musik dröhnte aus der geöffneten Eingangstür und den Fenstern. Wir schritten direkt über den Rasen. Es war noch früh, trotzdem knutschten bereits die ersten Pärchen unanständig auf der Veranda.

Schockiert stellte ich fest, dass viele Mädchen lediglich ein Bikinioberteil über einem Minirock oder einer extrem kurzen Shorts trugen. Auf einmal kam mir Hollys Outfit keineswegs mehr auffallend vor. Eher meins. Es war viel zu brav. Holly hatte recht gehabt.

Wir drückten uns durch die Eingangstür, wo wohl der meiste Betrieb herrschte. Stickige, rauchige Luft schlug uns entgegen. Zielstrebig führte Charly uns an der Treppe zum oberen Stockwerk vorbei und ins volle Wohnzimmer. Suchend sah sie sich um. „Shane muss hier irgendwo sein.“

Es erschien mir wie ein Wunder, dass wir sie trotz des Lärms problemlos verstehen konnten. Holly wippte bereits gutgelaunt im Takt des wummernden Basses.

„Was zu trinken?“, fragte Charly. Offenbar hatte sie Shane noch nirgends entdecken können.

Ich nickte nur. Anders würde man dieses Spektakel hier wohl nicht lange ertragen können. Augenblicklich verschwand sie in der Menge, kam nach wenigen Minuten mit drei großen roten Bechern zurück und reichte jeder von uns einen.

„Was ist das?“, fragte ich.

Sie grinste nur. „Trink es einfach.“

Ich folgte ihrer Anweisung. Das helle Etwas schmeckte säuerlich, aber besser als erwartet.

„Ich geh mal los und suche Shane. Wir sehen uns, ihr Süßen.“ Mit einem kurzen Winken verabschiedete Charly sich und verschwand im Eingangsbereich.

„Wollen wir uns ein wenig umsehen?“, schlug ich Holly vor. Sie nickte und leerte zügig ihren Becher.

„Lass uns dann noch was Neues zu trinken holen.“

Wir quetschten uns durch die Menge, beobachteten kurz eine Gruppe, die Bier Pong spielte und rempelten dann versehentlich zwei Jungs an, die gerade aus der Küche kamen. Holly warf sich sofort aufreizend ihre Korkenzieherlocken in den Nacken.

„Ladys“, sagte einer von ihnen und tat, als würde er einen unsichtbaren Hut zur Begrüßung anheben. Holly lachte tatsächlich über diese peinliche Geste. „Wolltet ihr gerade in die Küche?“

„Ja. Wir brauchen noch etwas zu trinken.“ Um ihre Worte zu unterstreichen, hob Holly ihren leeren Becher in die Höhe und dem Kerl unter die Nase.

Er nahm ihn ihr aus der Hand. „Ich mixe dir gern was.“

„Sehr aufmerksam“, flötete Holly und strich sich mit den Händen über den glänzenden, knallengen Fetzen, der sich Kleid schimpfte.

Holly und ich folgten den Jungs in die Küche, wo sie Hollys und meinen Becher großzügig mit roter Flüssigkeit aus einer Glasschüssel auffüllten, der danach unter meinen Fingern klebte. Auch diesmal wusste ich nicht, was es war, trank es aber trotzdem. Einer der beiden Typen legte mutig seinen Arm um meine Taille. Bei seiner Berührung wurde der Wunsch in mir, hier auf Liam zu treffen, immer größer.

Aus dem Augenwinkel registrierte ich plötzlich, dass Holly und der andere Junge bereits wild rumknutschten. Hatten sie sich einander überhaupt vorgestellt? Sie vergrub ihre freie Hand im Haar des Fremden, der unentwegt ihren Hintern knetete. Ich zog die Augenbrauen in die Höhe. Himmel! Hoffentlich fühlte sich sein Kumpel neben mir wegen den beiden nicht dazu angestachelt, bald nachzuziehen. Ich tat einen unauffälligen Schritt von ihm weg. Augenblicklich kam er mir nach und wieder näher. Ich spürte deutlich seine Hand auf meiner Hüfte.

„Willst du noch was trinken?“, fragte er und beugte sich dabei näher als nötig zu mir herab an mein Ohr. Der Hauch seines Alkoholatems strich mir unangenehm über die Haut.

„Ich habe noch, vielen Dank.“ Ich deutete auf meinen Becher und wand mich unelegant aus seinem Griff. „Ich werde mal die Toilette suchen.“

„Soll ich dir helfen?“ Er grinste.

„Nein. Nein, danke.“

Ehe er noch etwas erwidern konnte, drehte ich mich um und huschte in die Menge. Trotz des Tumults fand ich das kleine Badezimmer schnell. Der Türgriff klebte. Toll. Wie widerlich! Was das wohl war? Ich ließ den halbleeren Becher – ich vermutete, dass es Bowle mit ordentlichem Schuss war – neben dem Waschbecken stehen. Das würde ich sicherlich nicht mehr trinken.

Nach wenigen Sekunden klopfte es bereits wild an die Tür, sodass ich den Raum wieder freigab. Ein wild knutschendes Pärchen stolperte an mir vorbei und in das winzige Badezimmer. So wie sie ineinander verschlungen die Tür hinter sich abschlossen, brauchten sie es wohl gerade ohnehin dringender als ich.

Als ich mich im Wohnzimmer wiederfand, überlegte ich, wo ich nun hinsollte. Charly war nirgends zu entdecken. Was sollte ich jetzt tun? Zurück zu Holly? Sie war sicher immer noch mit ihrer neuen Bekanntschaft beschäftigt. Außerdem war es gut möglich, dass mein letzter Gesprächspartner auch noch dort war und ich wollte mich nicht wieder in eine unangenehme Situation befördern. Obwohl ich schon leicht angetrunken war, verschlechterte sich meine Stimmung. Aber vielleicht sollte ich einfach noch mehr trinken?

Auf einem kleinen Tisch neben der Couch standen volle Becher. Sie sahen aus, als wären sie noch unberührt. Darin war das gleiche Getränk, das Charly uns besorgt hatte. Zumindest sah es danach aus. Sicher hatte sie die Becher ebenfalls von hier geholt. Ich führte mir einen davon an die Lippen, blickte über den Rand zur Treppe und entdeckte ihn endlich. Liam. Er war tatsächlich hier. Mein Herz hüpfte voller Freude.

Er lehnte am Geländer, in der Hand ebenfalls einen roten Becher. Fast schon gelangweilt unterhielt er sich mit jemandem. Nickend sagte er etwas zu seinem Gegenüber. Unfassbar, wie heiß er aussah. Unter seinem schlichten weißen T-Shirt zeichneten sich unübersehbar seine Muskeln ab. Überrascht stellte ich fest, dass ein aus dieser Entfernung undefinierbares Tattoo seinen Oberarm zierte. Wieso war es mir heute Mittag noch nicht aufgefallen? Nickend fuhr er sich mit der Hand durch das widerspenstige Haar. Völlig in Trance beobachtete ich seine Bewegungen. Wie er das Gewicht vom einen auf das andere Bein verlagerte. Wie er mit seinen langen Fingern den Becher hielt und seine Lippen sich um den Rand schlossen, während er daraus trank.

In mir tobte ein Kampf. Sollte ich auf ihn zugehen? Warum nicht? Was, wenn er wirklich vergeben war? Was hatte er nach unserem kurzen Aufeinandertreffen heute wohl überhaupt über mich gedacht? Ob er und seine Freunde sich danach über mich lustig gemacht hatten? Blamierte ich mich dann nicht schon wieder, wenn ich ihn einfach so ansprach?

Der Alkohol gab mir den Mut, den ich brauchte und trieb mich zu einer Entscheidung. Was hatte ich zu verlieren?

Bevor ich länger darüber nachdenken konnte, ging ich auf Liam zu. Er drehte sich automatisch in meine Richtung, als ich vor ihm zum Stehen kam.

„Hi“, presste ich hervor. Schon wieder fühlte ich mich völlig unpassend angezogen. Saßen meine Haare? War mein Make-up verschmiert? Wieso hatte ich es auf der Toilette nicht überprüft?

„Hi.“ Liam sah mir direkt in die Augen. Wie konnten die seinen so dunkelblau, so tief sein? Noch nie war mir jemand mit einer vergleichbaren Augenfarbe begegnet. Fesselnd und geheimnisvoll.

Er lächelte kaum merklich. „Du schon wieder. Wie kommst du hierher? Ich habe hier noch nie ein Erstsemester gesehen.“

Woher wusste er, dass ich ein Erstsemester war?

„Meine Mitbewohnerin … ihre Schwester ist mit jemandem aus der Studentenverbindung zusammen“, erklärte ich.

„Aha. Ist das so?“ Es wirkte fast, als würde er mir gar nicht richtig zuhören. Das war eine furchtbare Idee gewesen. Ich hätte nicht zu ihm gehen sollen.

Plötzlich wanderte sein Blick an mir vorbei, er schien jemand anderen anzusehen. Die Blondine von heute Mittag? Seine Freundin? Oder war ich einfach nur zu langweilig?

Sein bisheriger Gesprächspartner stieß sich vom Geländer ab. „Ich geh mal nach draußen. Sean hat was zum Rauchen dabei. Kommst du mit?“

Ich hielt die Luft an. Würde Liam mitgehen, wäre dies ein eindeutiges Zeichen für sein Desinteresse an mir. Doch er schüttelte den Kopf und sah seinem Freund dabei zu, wie er hinter mir verschwand. Dann schaute er mich wieder an. „Und? Wie gefällt es dir?“

„Auf dem College? Oder hier?“

„Hier.“

„Es ist laut, alle sind betrunken und egal was ich anfasse, es klebt.“ Ich lachte. Nur um etwas zu tun, strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

Er nickte langsam. „Bist du auch betrunken?“

„Noch nicht. Aber ich hatte schon Sekt, Bowle und irgendwas Undefinierbares.“ Ich hob meinen Becher. Er nahm ihn mir aus der Hand, wobei seine Finger meine Haut berührten und mir einen Schauer durch den gesamten Körper jagten. Prüfend blickte er hinein.

„Sieht aus wie Wodka Lemon.“

„Danke.“

„Schmeckt dir das Zeug?“, fragte er und gab mir den Becher zurück.

Ich zuckte die Schultern. „Soll Alkohol denn schmecken?“

„Besser nicht allzu gut.“ Er lachte, dann reichte er mir seinen Becher. Reflexartig ergriff ich ihn.

„Probieren“, befahl er schmunzelnd, denn ich war wie erstarrt. Stumm führte ich ihn mir an die Lippen. Er beobachtete jede Bewegung. So elegant wie möglich nahm ich einen Schluck von der dunklen Flüssigkeit.

Er hob die Brauen. Augenrollend reichte ich ihm den Becher wieder. „Das ist Cola.“

„Gut erkannt.“

„Ich dachte, du zeigst mir was Neues.“

„Gab es auf der Highschool nichts Neues für dich? Bist du ein süßes kleines Streberlein?“, zog er mich auf.

Seufzend schüttelte ich den Kopf. Mit jedem Satz, den wir tauschten, fühlte ich mich wohler. Meine Nervosität legte sich ein wenig. „Das musst du gerade sagen. Du trinkst nur Cola.“

„Einer muss ja noch fahren können.“

„Du bist nicht in der Verbindung?“

„Nein. Das ist nichts für mich.“

Ich nickte. Darin waren wir uns ähnlich. „Du könntest sicher trotzdem hier schlafen.“ Der Alkohol ließ die Worte nur so aus meinem Mund purzeln.

„Wieso sollte ich das tun?“ Er nahm einen Schluck von seinem Getränk und schob die freie Hand in die Tasche seiner Jeans. Am liebsten hätte ich ihm auf der Stelle die Kleider vom Leib gerissen. Mein Blick schweifte kurz ab und über die Andeutungen seines Tattoos am Ende des Ärmelsaums. Ich musste mich mit aller Kraft zwingen, ihn nicht weiter so auffällig zu mustern.

„Dann könnten wir zusammen was trinken. Was alkoholisches.“

Liam lachte. „Soso. Okay. Das wäre sicherlich aufregend.“

„Aufregend?“, hakte ich nach und traute mich sogar, noch ein Stückchen näher zu ihm aufzurücken.

Er nickte. „Ja, du wirkst jetzt schon viel gelassener. Nicht so verkrampft wie heute Mittag. Was würde da nur passieren, wenn du richtig betrunken wärst?“

„Wir haben kaum gesprochen heute“, verteidigte ich mich.

Liam schien darüber nachzudenken. „Stimmt. Bist du sonst lockerer? So wie jetzt?“

Ich runzelte die Stirn. War ich locker? Auf der Highschool hatte es natürlich Abende gegeben, an denen auch ich gefeiert hatte. Ich hatte ein paar Erfahrungen mit Jungs gesammelt, aber trotz allem war ich eine eher vernünftige Jugendliche gewesen. Nicht zuletzt auch durch meine familiären Umstände.

„Komm mit“, raunte Liam plötzlich, ohne meine Antwort abzuwarten. Sein Blick wanderte erneut an mir vorbei. Er lächelte jemandem über meine Schulter hinweg zu, dann umfasste er sanft meinen Arm und zog mich mit sich. Mir völlig unverständlich, klebte kein anderer im Raum mit Blicken an diesem Gott vor mir. Die meisten tanzten, grölten, lachten, tranken oder knutschten. Wir durchquerten das Wohnzimmer, wobei Liam mich kein einziges Mal losließ. Aufgeregt stöckelte ich hinter ihm her, ganz egal wohin. Er führte mich zu einer kleinen Runde, bestehend aus vier Typen.

„Jungs, gebt uns mal ein paar Kurze“, befahl Liam, als sie ihren Kreis für uns öffneten. Er nahm mir den Becher aus der Hand und stellte ihn und den seinen auf dem Couchtisch neben der Gruppe ab. Fast alle starrten mich an. Einer jedoch reagierte sofort, drehte sich um und reichte uns von dem Regal hinter ihm kleine, randvolle Schnapsgläser. Irgendwie schien überall Alkohol bereit zu stehen.

„Das ist Beverly“, stellte Liam mich knapp vor, nahm eines der Gläser entgegen und gab es direkt an mich weiter. „Hier.“ Er senkte die Stimme, sodass nur ich ihn verstehen konnte: „Etwas Neues.“

Sofort errötete ich. Er war mir für einen flüchtigen Moment so nah, dass ich seine Wimpern hätte zählen können. Höchst verführerisch hob er einen Mundwinkel, dann wandte er sich den anderen zu. Als auch er einen Schnaps entgegennahm, starrte ich ihn irritiert an. Musste er nicht fahren?

„Auf Beverly“, sagte der Typ, der uns die Getränke gereicht hatte. Er beobachtete mich aus seinen braunen Augen. Ich erkannte ihn. Er gehörte zu der Gruppe, mit der Liam heute Mittag nach unserer ersten Begegnung von dannen gezogen war. Ohne darüber nachzudenken, leerte ich das Gläschen. Das war nicht mein erster Schnaps, aber der schlimmste. Er brannte wie Feuer in meiner Kehle. Sofort musste ich husten. Ich hörte, wie die anderen mich auslachten.

„Alles in Ordnung?“, fragte Liam. Auch er wirkte vergnügt.

„Das schmeckt scheußlich.“

„Soll Alkohol denn schmecken?“ Er zog mich auf und wiederholte damit meine Frage von vorhin. „Schade, denn den hier musst du auch noch trinken.“ Liam drückte mir sein Glas in die Hand.

Empört riss ich den Mund auf. „Wieso?“

„Ich muss noch fahren. Schon vergessen?“

„Das wusstest du doch schon, bevor du ihn angenommen hast.“

„Vielleicht wollte ich ja, dass du dich für mich opferst.“

Das Feuer wanderte in meinen Magen, aber nun war es angenehm. Mit den Wimpern klimpernd schaute ich zu Liam hoch. „Wieso sollte ich das tun?“, wiederholte ich nun ihn.

Er lachte und senkte den Kopf. Als er mir wieder in die Augen sah, fuhr ein wohliges Kribbeln durch meinen Körper. „Weil ich es will?“

„Was willst du?“, fragte ich mutig und versuchte mich an einem flirtenden Tonfall. Hoffentlich kam er bei Liam genau so verführerisch an, wie ich ihn in meinem Kopf wahrnahm.

Er grinste nur, dann winkte er den Typen zu uns, der die Getränke verteilt hatte, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen.

„Das ist Ryan. Ein Freund von mir“, stellte er ihn vor. Ungewollt fiel mein Blick auf ihn. Er war etwas kleiner als Liam. Nervös fuhr er sich mit der Hand durch das hellbraune Haar, bevor er sie mir reichte.

„Hi.“

Auf einmal fühlte ich mich völlig leer. Doch nur für eine Sekunde, denn dann machte sich auch schon ein neues Gefühl in mir breit. Und dieses Gefühl war widerlich und schien mir ein Loch in den Bauch zu reißen. Etwas lief gerade völlig schief.

„Ihr solltet auf eure neue Freundschaft anstoßen. Gut, dass du schon einen Schnaps hast, Beverly.“ Liam versteckte ein Lachen in einem auffälligen Räuspern. Ryan sah mich freundlich an und hob seinen Becher. Er wirkte wie der nette Junge von nebenan, aber im Moment konnte ich ihm keine Beachtung schenken. Mein Blick galt ausschließlich Liam.

„Schön, dich kennenzulernen, Beverly“, sagte Ryan und versuchte, meine Aufmerksamkeit zu gewinnen.

„Hi.“ Geistesabwesend und ohne ihn anzusehen, stieß ich mit ihm an und leerte den Schnaps in einem Zug. Meine Kehle brannte leider nicht so sehr wie beim ersten Mal. Gerade jetzt wäre es mir sehr willkommen gewesen. Wollte Liam mich ernsthaft mit seinem Kumpel verkuppeln?

Er schien meine Gedanken zu erahnen, denn er klopfte Ryan aufmunternd auf die Schulter, als würde er mir sein bestes Pferd im Stall vorstellen. „Ryan ist in der Verbindung. Mit ihm kannst du also Alkohol trinken.“ Liam zwinkerte mir verschwörerisch zu und bestätigte damit meinen Verdacht. Ich konnte gerade noch verhindern, dass mir der Mund aufklappte. Das konnte unmöglich wahr sein. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, tätschelte er nun auch mir kurz den Arm. „Wir sehen uns.“

Er tauschte noch einen vielsagenden Blick mit seinem Freund, dann lief er an mir vorbei und ließ uns stehen. Da Ryan wirklich nett wirkte, rang ich mir noch etwas Höflichkeit für ihn ab, ehe ich ihn ebenfalls verlassen würde: „Entschuldige, ich muss noch was klären.“ Ich machte auf dem Absatz kehrt und eilte Liam hinterher. Wie kam er dazu, so etwas abzuziehen?

Kurz bevor er die Küche erreichte, war ich bei ihm. Gröber als geplant packte ich seinen Oberarm und unterstrich meine wütende Geste mit einem lauten „Hey!“

Er drehte sich zu mir um. Zuerst schien er verwirrt, dann belustigt.

„Was sollte das?“ Ich versuchte mich zu beherrschen, dabei bebte ich vor Wut.

„Was sollte was?“ Er spielte tatsächlich den Ahnungslosen.

„Ich dachte, wir führen ein Gespräch? Und dann stellst du mir Ryan vor? Ich dachte, dass …“ Ich unterbrach mich.

Geduldig verschränkte Liam die Arme vor der Brust. Ein paar lachende Mädchen drückten sich hinter mir vorbei. Eine verschüttete beinahe ihr Getränk auf meinem Kleid. Liam zog mich zur Seite und in die Küche hinein.

„Was dachtest du?“

„Ich …“ Ja, was hatte ich eigentlich gedacht? Ich kam mir kindisch vor, doch ein beachtlich großer Teil in mir wollte einfach nicht wahrhaben, dass Liam wohl nicht auf mich stand. Und hatte ich es nicht gewusst? Zumindest geahnt? Er sah zu gut aus, war älter und anscheinend wirklich unerreichbar für mich.

„Ich habe einfach nicht damit gerechnet, dass du mich mit deinem Freund verkuppeln willst.“ Es war unmöglich, ihn weiter anzusehen. Bevor er etwas erwidern konnte, meldete sich endlich meine Vernunft. Und die Scham. Nun ja, besser spät als nie. Kopfschüttelnd trat ich einen Schritt zurück. „Vergiss es.“

Insgeheim hoffte ich, dass Liam mir nachkommen würde, doch als ich die Küche verließ und zurück ins Wohnzimmer eilte, hielt mich niemand auf.

Was war nur los mit mir? Ich kannte Liam ja nicht einmal richtig. Wie konnte ich zulassen, dass er mich so aus der Fassung brachte? Verärgert sah ich mich um. Holly war immer noch nirgends zu entdecken. Hoffentlich lag sie nicht mit diesem Fremden in irgendeinem Bett im oberen Stockwerk. Was für ein Abend. Vielleicht sollte ich nun wirklich zurück ins Wohnheim. Holly hatte immerhin ihre Schwester, sie würde notfalls zurückkommen. Oder tatsächlich hier ein Bett finden. Unschlüssig wog ich meinen nächsten Schritt ab, kam aber zu keiner eindeutigen Entscheidung.

„Alles geklärt?“ Ryan tauchte neben mir auf und lenkte mich von meinem alkoholgeschuldeten Dilemma ab. Freundlich beobachtete er mich.

„Nicht wirklich“, gab ich zu.

Er wölbte die Brauen. „Geht es dir gut?“

Ich nickte schnell. „Ja, alles in Ordnung. Danke.“

„Willst du noch was trinken?“

Zuerst wollte ich verneinen, doch wieso eigentlich nicht? Ein Getränk mehr oder weniger machte nun auch keinen Unterschied mehr. Außerdem war dies meine erste Studentenparty. Sollte ich sie wirklich schon verlassen? Wegen einem Typen?

„Sicher.“

Lächelnd forderte er mich auf, ihm zu folgen. Er steuerte einen Tisch in der Ecke des Wohnzimmers an. Darauf standen mehrere verschiedene Flaschen und Becher. Sorgfältig suchte er zwei unbenutzte aus. „Was möchtest du?“

„Wodka Lemon, bitte.“

Während er die Getränke mischte, sah ich mich um. Liam war nicht zurückgekehrt. Da tauchte das blonde Mädchen auf, das sich vor der Bibliothek bei Liam eingehakt hatte. Sie steuerte die Gruppe an, die mit mir angestoßen hatte und gesellte sich zu ihnen. Ich musste jetzt unbedingt wissen, ob sie nun Liams feste Freundin war. Egal ob er mich wollte oder nicht. „Ryan?“

Ehe er antworten konnte, betrat Liam den Raum. Gebannt beobachtete ich, wie er zu dem Mädchen ging und hinter sie trat. Er legte ihr einen Arm um die Mitte und sie nahm ihm den neuen Becher aus der Hand. Frage beantwortet. Mir wurde speiübel.

„Ja?“ Ryan stellte sich neben mich und reichte mir das Wodka-Gemisch.

„Wer ist das?“, fragte ich.

Er folgte meinem Blick. „Das ist Madison. Liams Freundin.“

Sofort nahm ich einen Schluck. Und dann noch einen.

„Willst du zu ihnen gehen?“, fragte Ryan.