Hattinger und der Nebel - Thomas Bogenberger - E-Book

Hattinger und der Nebel E-Book

Thomas Bogenberger

5,0

Beschreibung

Hattingers zweiter Fall Ein Auge glotzt aus einem Sandhaufen. Die dazugehörige Leiche des Mannes wird auf einem Bauplatz ausgegraben. Der Tote ist ein dubioser Immobilienmakler, der sich am Chiemsee viele Feinde gemacht hat. Die Liste der Verdächtigen ist lang. Es gibt viele Spuren, aber keinen konkreten Hinweis. Und das Morden geht weiter … "Chiemsee Blues", Kommissar Hattingers erster Fall, wurde als Hattinger und die kalte Hand erfolgreich vom ZDF mit Michael Fitz und Edgar Selge in den Hauptrollen verfilmt.

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Thomas Bogenberger · Hattinger und der Nebel

Schon seit Tagen ist der Chiemsee in dichten Herbstnebel gehüllt. Auf einem stillgelegten Bauplatz wird eine Leiche gefunden. Der Tote ist ein windiger Immobilienmakler, der sich durch seine dubiosen Geschäfte am Chiemsee nicht gerade viele Freunde gemacht hatte. Kommissar Hattinger steht vor einem Rätsel, denn schon bald gibt es mehr Verdächtige als ihm lieb ist. Und das Morden geht weiter. Auch sonst gibt es wenig Anlass zur Freude: Hattinger wird von Albträumen geplagt, ihm wird die Wohnung gekündigt und ausgerechnet jetzt will seine Tochter Lena bei ihm einziehen. Wenn sich nur bald der Nebel lichten würde …

„Eines darf Heimatkrimis nicht passieren: Die Figuren dürfen nicht der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Solange die Kombination von komischen Elementen den Heimatkrimi beleben, gelingt er. Werden sie zum Selbstzweck, entgleitet die Aufklärung zur Farce. Findet sich aber die Balance zwischen diesen Elementen, wird der Heimatkrimi zu großer Kunst. Wie „Hattinger und die kalte Hand“.

DIE WELT

Thomas Bogenberger wurde 1952 in Traunstein geboren. Nach dem Umweg über ein abgeschlossenes Medizinstudium zog es ihn zurück auf die Bühne. Heute komponiert und schreibt er Film-, Hörspiel- und Theatermusik und lebt in seiner alten Heimat Prien am Chiemsee. 2011 erschien der Krimi „Chiemsee Blues – Hattinger und die kalte Hand“ (3. Auflage), der 2013 vom ZDF verfilmt wurde.

Thomas Bogenberger

HATTINGER UND DER NEBEL

Mit einer kleinen Sprachkunde von Thomas Bogenberger

PENDRAGON

1

„Zefix! Mensch …“

Eva ließ abrupt den Schwanz los, den sie gerade noch umklammert hatte. Die junge Frau fluchte leise vor sich hin, während sie ihre Hand mit einem Tempotaschentuch reinigte.

„Is des jetzt vielleicht der Dank dafür, dass i dir helfen wollt? Blödes Viech! Aua …“

Der fette graue Kater hatte ihr die Krallen in den Daumenballen gefetzt, bevor er das Weite suchte.

Eben noch schien er mit dem Kopf in einem Loch im Bauzaun festzustecken und miaute jämmerlich. Sie wollte dem Tier aus seiner misslichen Lage helfen und versuchte, vielleicht etwas ungeschickt, es an seinem Schwanz wieder rauszuziehen. Das undankbare Mistvieh wusste ihre Hilfsbereitschaft nicht zu würdigen. Es hatte sich blitzschnell selbst befreit, und jetzt blutete sie.

Es tat richtig weh …

Eva holte ein neues Tempo aus ihrer Handtasche und presste es gegen ihren Daumenballen. Selbst schuld, was musste sie sich auch immer in alles einmischen?

Während sie wartete, dass es zu bluten aufhörte, fiel ihr Blick durch das Loch im Zaun, in dem gerade noch der Kopf des Katers gesteckt hatte.

Was zum … Was war das denn?

Das kann doch nicht sein, dachte sie. Da war etwas kurz aufgeblitzt, was nach einem …

Sie bewegte sich ein bisschen, um besser zu sehen, und verlor es wieder aus den Augen.

Bei ihrer Kurzsichtigkeit konnte sie sich ja auch getäuscht haben. Bestimmt hatte sie sich getäuscht, beruhigte sie sich. Das war doch völlig unmöglich, dass da …

Auf einmal fühlte sie sich beobachtet.

Eva Meier sah sich um. Der Nebel begann schon aus den umliegenden Feldern aufzusteigen und die schmale Straße lag einsam und verlassen da.

Da war keine Menschenseele.

Nur der Kater stand abwartend in sicherer Entfernung und schien zu beobachten, was sie jetzt unternehmen würde.

Eva wandte sich wieder dem Bauzaun zu und schaute noch mal durch das Loch. Da war nichts als Sand. Trotzdem versuchte sie wieder ihren vorherigen Blickwinkel einzunehmen, denn dieses verschwommene Ding, was sie an ein … – sie wagte gar nicht, es zu benennen – erinnert hatte, ließ sie einfach nicht mehr los.

Nein. Sie musste sich getäuscht haben. Sie konnte es nicht … da war es wieder!

Also doch …

Eva zwang sich, genauer hinzusehen und näherte ihren Kopf vorsichtig dem Bauzaun.

Als ihre Stirn schon fast die Bretter berührte und das Bild endlich scharf wurde, gab es keinen Zweifel mehr: Ein blaues Auge glotzte sie an, aus dem sandigen Boden jenseits des Zauns.

Das Auge war starr und tot.

Evas Schrei war umso lebendiger.

2

„Herr Kommissar, Herr Kommissar …“

Albrecht Ostermeier sah mit einem spöttischen Lächeln auf Hattinger herab und zog in aller Ruhe seine Pistole aus der Jackentasche. Er entsicherte sie, dann zielte er auf Hattingers Herz.

„Habe ich Sie nicht gewarnt? So geht das doch nicht.“

Ostermeier schüttelte missbilligend den Kopf.

Hattinger brach der kalte Schweiß aus.

Er saß Ostermeier völlig wehrlos gegenüber. Er wusste, wo seine Dienstwaffe jetzt war: In seinem Schreibtisch im Büro. Und er wusste, wozu Ostermeier fähig war, schließlich hatte der schon ein paar Leute umgebracht, da käme es ihm auf einen mehr oder weniger nicht an.

„Irgendwann bekommt man die Quittung, Herr Kommissar.“

Ostermeiers Stimme war klar und freundlich. Er kam mit der Waffe im Anschlag langsam auf Hattinger zu.

Wie zum Teufel konnte er ihn jetzt noch aufhalten? Hattingers Gehirn raste vollkommen unproduktiv. Er begann zu zittern. Er musste Ostermeier irgendwas sagen, irgendetwas …

Es wollte ihm nichts einfallen. Sein Kopf war leergefegt und der Typ kam immer näher und er saß hier, an diesen Stuhl gefesselt.

Ostermeier lächelte nachsichtig.

„Sie denken immer noch, dass man alles mit Worten aus der Welt räumen könnte, nicht wahr?“

Er war jetzt nur noch eine Armlänge von Hattinger entfernt. Der wand sich in den Fesseln, aber die gaben keinen Millimeter nach.

Ostermeier sah Hattinger mit sanften grauen Augen an, seine kurzgeschorenen weißen Haare glänzten im Gegenlicht, er senkte die Waffe auf Hattingers Brust.

„Neeiiin!!!“, schrie Hattinger. „Ostermeier, bitte …“

Weiter kam er nicht. Ostermeier drückte ab.

Ein dumpfer Schlag zerriss die Stille …

In dem Moment klingelte der Wecker. Hattinger stand mit einem Satz senkrecht im Bett. Benommen taumelte er hin und her und versuchte sich irgendwo festzuhalten.

„Was is …?“

Er konnte gerade noch verhindern vom Bett zu fallen und kam zitternd neben dem Nachtkästchen zu stehen. Endlich war er wach.

„Scheiße …“

Hattinger schlug auf den Wecker, um das penetrante Klingeln abzuwürgen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte sich auf die Bettkante. Der Wecker stand auf zwölf. Es war taghell, also 12:00 Uhr mittags …

Er zog die Nachttischschublade auf und suchte nach dem angebrochenen Päckchen Zigaretten, das da drin sein musste. Er rauchte ja nicht mehr, aber … Schließlich fand er es unter allem möglichen Krimskrams. Daneben lag seine Dienstwaffe.

Er steckte sich eine Kippe an und nahm einen tiefen Zug.

Gott, war er froh! Nur ein Albtraum …

Er musste husten und zog gleich noch mal.

Ein Albtraum, schon wieder … Und immer Ostermeier. Sollte das jetzt vielleicht zur Gewohnheit werden?

Dabei war Ostermeier schon seit Monaten tot. Erschossen von einem Scharfschützen der Polizei. Vorher hatte er selbst zwei Menschen umgebracht, ein akribisch geplanter Rachefeldzug. Beim dritten hatten sie ihn gestoppt.

Seitdem wurde er für Hattinger immer lebendiger. Er fragte sich nur, warum? Warum ausgerechnet Ostermeier?

Früher hatte er fast nie Albträume gehabt. Wenn überhaupt, dann war er vielleicht mal von einer Klippe oder von einem Felsvorsprung gefallen, ohne unten anzukommen.

Noch ziemlich steif in den Knochen erhob er sich vom Bett. Er ging mit der Zigarette ans Fenster und machte es auf.

Neblig war’s draußen, ein kalter, feuchter Luftzug wehte ins Zimmer. Er nahm einen letzten Zug und warf die Kippe in den Garten. Mit schlechtem Gewissen.

Kaffee … Das war das Einzige, was ihn jetzt aufstellen würde.

Er griff sich Jeans von dem klamottenüberladenen Hocker, roch an seinem ausgeleierten blauen Lieblings-Sweatshirt – das musste noch einen Tag herhalten, beschloss er – und schlüpfte in die ausgelatschten Mokassins.

Auf dem Weg in die Küche stoppte er kurz im Bad und warf sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht. Dabei drang ihm angesichts der Menge von Kosmetikzeugs vor dem Spiegel wieder ins Bewusstsein, dass Lena schon da war, seit gestern. Er hatte seine Tochter noch gar nicht richtig gesehen, nur ihre üblichen Ausläufer in der Wohnung …

Gestern hatten sie mit der ganzen Mannschaft bis vier Uhr morgens in Eiseskälte ein Waldstück observiert, und das vergebens. Um fünf Uhr war er nach Hause gekommen, da schlief selbst Lena schon, die kleine Nachteule. Und jetzt schlief sie natürlich immer noch.

In der Küche warf er die Espressomaschine an und sah sich um. Es war ernüchternd. Da sah es schon wieder aus … Und das nach einem Tag! Er würde mal wieder ein ernstes Wort mit Lena reden müssen. Auch wenn es sinnlos war. Mit 16, da ist Hopfen und Malz verloren, da bestimmen die Hormone die Tagesordnung und nicht die Vorstellung der Erziehungsberechtigten.

Hattinger setzte sich mit dem doppelten Espresso an den Küchentisch und schob mit dem linken Unterarm eine Abstellfläche für die Tasse frei.

Unter einem Teller mit abgenagten Chicken Wings – Lena hatte ihn verdonnert, für kulinarische Notfälle immer ein paar Packungen in der Kühltruhe zu haben – kam ein Umschlag zum Vorschein, mit ziemlich vielen Marken drauf.

Ein Einschreiben. Seit wann lag das denn da?

Er schaute auf den Absender … Von seinem Vermieter. Was wollte der denn? Der meldete sich doch sonst nie. Hattinger riss den Umschlag auf.

Als er den Brief rausholen wollte, klingelte sein Handy. Der Klingelton sagte unmissverständlich, dass es dienstlich war. Auch das noch! Er hatte heute eigentlich frei.

Widerwillig folgte er dem hartnäckigen Geräusch bis in die Innentasche seines neuen Sakkos, das über einer Stuhllehne hing. Mit dessen Architektur war er noch nicht so vertraut. Sein altes war wie eine zweite Haut für ihn gewesen, aber das hatte ihm so ein Irrer bei einem Verhör zerrissen.

„Hattinger“, knurrte er, als er das Ding endlich zu fassen kriegte.

„Wildmann hier, hallo.“

Ein Anruf seines Assistenten Karl Wildmann an Hattingers freiem Tag konnte nichts Gutes bedeuten, gerade wenn er versuchte, möglichst fröhlich zu klingen.

Hattinger grunzte ein unwilliges „Ja?“ in sein Telefon, während er mit der Linken das Einschreiben aus dem Umschlag fummelte.

„Ähm … Stör ich?“ Wildmanns Frage war rein rhetorisch, aber immerhin höflich gemeint.

„Ja.“ Hattinger entfaltete den Brief. „Was gibts?“

„Ich glaube, du musst kommen. Tut mir leid …“, meinte Wildmann.

Betreff: Kündigung wg. Eigenbedarfs, las Hattinger.

Er starrte den Brief an.

Sehr geehrter Herr Hattinger, wir bedauern, dass wir das Mietverhältnis für unsere Wohnung in Wasserburg wegen Eigen…

„Des gibts doch ned …“, entfuhr es ihm.

„Wie bitte?“, kam Wildmanns Stimme aus dem Handy.

Hattinger antwortete nicht. Ohne Hoffnung überflog er den Rest des Briefes.

„Chef?“

Hattinger war fassungslos. Mit allem hätte er gerechnet, aber nicht damit!

Er warf den Brief auf den Tisch.

Wildmann wusste nicht, ob sein Chef überhaupt noch auf Empfang war.

„Hallo …? Hattinger? Wir haben hier ein Auge, möglicherweise mit Anhang …“

3

Ein dicker, grauer Kater durchquerte das Baugrundstück, über das sich der herbstliche Nebel gelegt hatte. Er näherte sich vorsichtig der Stelle, die jetzt von hellen Scheinwerfern erleuchtet war, und senkte seinen Kopf auf den Boden wie eine Baggerschaufel, um ausgiebig zu schnuppern.

Fred Bamberger, der Chef der Spurensicherung, versuchte den Kater mit einem sanften Fußlift unter dem Bauch zu verscheuchen. Das Vieh war offensichtlich recht zutraulich, aber Bamberger wollte sich keine Spuren versauen lassen. Der Kater maunzte ihn vorwurfsvoll an.

„Da! Des war er! Der Kater, der mi so kratzt hat … Der is schuid, dass i überhaupt durch des Loch gschaut hab. Hätt i’s bloß seinlassen, jetz hab i wahrscheinlich wochenlang Albträume!“

Das Wort Albträume stieß Hattinger unangenehm auf. Die aufgebrachte Frau, die auf den flüchtenden Kater zeigte, war vielleicht Mitte 20, schätzte er. Sein Assistent Karl Wildmann hatte ihre Personalien schon aufgenommen. Er selbst wusste bis jetzt nur, dass sie Eva Meier hieß.

„Des war scho richtig, dass Sie gschaut ham. Wer woaß, wie lang die Leich da glegn wär, ohne Sie …“, versuchte Hattinger sie zu beruhigen. „Und Sie ham ganz sicher nix ang’rührt?“

„Naa, wia sollt i denn? I bin ja gar ned auf dem Grundstück gwesn. I hab ja nur durch des Loch im Zaun gschaut!“

Das hatte sie jetzt verschiedensten Polizisten bestimmt schon zum zehnten Mal erklärt, das könnten sie ihr doch jetzt langsam mal glauben, fand Eva Meier.

„Is Ihnen sonst irgendwas aufgfalln? Sie wohnen ja ganz in der Näh, oder?“, wollte Hattinger wissen. „War irgendjemand auf der Straß’ unterwegs? Oder ham S’ irgendwas ghört?“

Die Frau schaute sich um.

„Gsehn hab i niemand. Da is ja fast nie jemand unterwegs, wenn auf der Baustell nix passiert, und da passiert ja scho lang nix mehr. Aber so a Gfühl hab i ghabt, ois wie wenn jemand da wär …“

„Aha …“ Mit Frau Meiers Gefühl konnte Hattinger gerade wenig anfangen, auch wenn er aus seiner langjährigen Erfahrung als Kriminaler wusste, dass solche Gefühle bei Zeugen nicht selten auf einem realen Hintergrund beruhten.

Eva Meier sah sich immer noch um, als ob irgendjemand hinter ihr her wäre. Sie standen zusammen neben der Grundstückseinfahrt, die sich um die Ecke von besagtem Loch befand. Die Einfahrt war durch ein einfaches Baustellengitter gesichert gewesen, das sie vor etwa einer Stunde entfernt hatten, um besseren Zugang zu dem Baugelände zu haben. Es war ein recht großer Bauplatz, vielleicht 2 000 Quadratmeter, schätzte Hattinger, und er lag am hinteren Rand einer geplanten Neubausiedlung in Bernau. Dahinter ein Wäldchen, und in vielleicht 100 Metern Entfernung ein alter Bauernhof, der wohl schon bessere Tage gesehen hatte. Am linken Rand des Grundstücks war ein großer Humusberg aufgeworfen, dahinter ausgebaggerter Lehmboden, vermutlich aus der Baugrube, in der das betonierte Kellerfundament eines Einoder Zweifamilienhauses zu sehen war. Und dann der Sandhaufen, rechts hinter der Einfahrt, über dem Polizisten gerade ein großes weißes Zelt errichteten für die Spurensicherung. Es war Regen angesagt.

„Wissen Sie vielleicht, warum der Bau eingstellt worn is?“ Hattinger hatte bei seinem ersten Rundgang auf dem Gelände keinerlei Baumaschinen entdeckt, auch kein Baumaterial außer dem Sandhaufen. Ungewöhnlich erschien ihm, dass das Grundstück an den Straßenseiten von einem etwa zwei Meter hohen Holzzaun geschützt war.

„I hab ghört, dass denen as Geld ausgangen is, von meim Nachbarn. Aber nix Genaues weiß ich auch ned. Ich kenn die Leut ned. Konn i jetz dann gehn, Herr Kommissar?“

„Guad. Wahrscheinlich meld’ma uns, die nächstn Tag’. Oans no …“, schickte er ihr hinterher, als sie sich zum Gehen wandte, „woher wissen Sie eigentlich, dass des a Kater is, und koa Katz?“

Das riesige graue Tier hatte sich neben der Einfahrt niedergelassen und sah Hattinger vorwurfsvoll an. So kam es ihm jedenfalls vor.

„I hab keine Ahnung. Aber a Freundin von mir, die hat früher genau so oan ghabt, des war a Kartäuserkater, der war genauso groß. Vielleicht deswegn …“

„Aber Sie kennen ihn ned persönlich?“

„Naa. Der strawanzt ab und zua in der Gegend rum, aber i hab koa Ahnung, wem der ghört.“

„Ach, und no oans: Was ham Sie hier eigentlich wollen?“

„Ja i wohn ja da hinten, zwoa Straßn weiter, und ab und zua nimm i die Abkürzung durch’n Wald“, sie deutete über das Baugrundstück hinweg, „des is der kürzeste Weg zu meim Fitnessclub.“

Hattinger sah sie ein bisschen ungläubig an.

Eva Meier reagierte eingeschnappt.

„Da geh i seit zwoa Jahr hi. Ah wenn S’ es ned glaubn, in der Zeit hab i scho 30 Kilo abgnomma!“

„Respekt. Ja, dann möcht ich Sie jetz ned länger aufhalten.“

Als sie gegangen war, kam Karl Wildmann auf ihn zu. Er war als Erster vor Ort gewesen und hatte sich die Sache mit dem Auge angeschaut, bevor er Alarm schlug. Am Anfang war ja noch nicht klar gewesen, ob es sich nicht wirklich nur um ein einzelnes Auge handelte, vielleicht ein Tierauge, was da aus dem Sandhaufen lugte. Aber bei genauerer Betrachtung sah Wildmann daneben eine Nasenspitze im Sand, ein Stück Augenbraue, Wimpern und eine dunkle Locke, so dass man davon ausgehen konnte, dass es sich zumindest um einen menschlichen Kopf handelte.

Nachdem Hattinger eingetroffen war, beschloss er, mit Ausgrabungen zu warten, bis der Fotograf den Hügel dokumentiert und Fred Bamberger mit seinen Leuten die Umgebung abgesucht hätte.

„Wiederzubeleben gibts hier ja nichts mehr …“, gab ihm Wildmann recht.

„Schaut so aus. Was macht die Rechtsmedizin?“

„Ist unterwegs. Dauert aber noch.“

Klar, die mussten schließlich immer von München hier rausfahren. Hattinger fragte sich, ob die Münchner Kollegen nicht genauere Todeszeitpunktbestimmungen bekamen, weil die Rechtsmediziner schneller vor Ort waren. Müsste man mal untersuchen. Er hätte aber deswegen trotzdem nicht mit den Münchnern tauschen wollen. In München ging ja schon die Hälfte des Gehalts für Miete drauf …

Beim Stichwort Miete wurde ihm schmerzhaft dieses Kündigungsschreiben wieder bewusst. Mit so etwas hatte er wirklich nicht gerechnet. Er war immer gut ausgekommen mit seinen Vermietern. Aber klar, die hatten einen Sohn, der hatte geheiratet und Nachwuchs produziert, und jetzt brauchte er in Wasserburg eine Wohnung, da war es ja naheliegend, dass sie ihm kündigten!

Er versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, dass die Wohnung eigentlich sowieso zu groß war für ihn, seit seine Frau ausgezogen war. Und Lena war ja nur ab und zu da. Würde er sich eben etwas Kleineres suchen, Hauptsache es war in Wasserburg und es gab genügend Platz für Lenas Besuche. Trotzdem war es einfach beschissen! Er hatte sich an die Wohnung gewöhnt, sie war bezahlbar und er hatte keinerlei Lust auf Umzüge.

Wie auch immer, eines war klar: Nach Rosenheim würde er unter gar keinen Umständen ziehen, bloß weil er da arbeitete.

Rosenheim hatte für Hattinger was Deprimierendes. Und seine Beliebtheit dort war nicht gerade gestiegen, als er letzte Woche in einem Interview mit so einem lokalen Käseblatt Rosenheim als das Schwarze Loch im Chiemgau bezeichnet hatte. Und dass er die Rosenheim Cops bescheuert fand! Ouh ouh ouh …, da hatten sie aber auf ihn eingeprügelt, leserbriefmäßig: Wie gerade er als Leiter der Rosenheimer Mordkommission sich so eine unqualifizierte Entgleisung erlauben könne, und dass er doch hingehen solle, wo der Pfeffer wächst! Wo der Pfeffer wächst … also nach Madagaskar zum Beispiel, oder nach Sansibar … Das wär jetzt gar nicht schlecht. Warm und weit weg auf jeden Fall, wohingegen es hier gerade arschkalt, neblig und dunkel war. Der November hatte die Gegend fest im Griff …

„Chef? Alles in Ordnung?“

Karl Wildmann kam mit einem langen Gegenstand in der Hand und riss ihn aus seinen düsteren Überlegungen. Hattinger hatte ihm vor Kurzem das Du angeboten, weil er ihn als Assistenten sehr schätzte, und auch so war er ein netter Kerl. Aber Wildmann hatte sich immer noch nicht richtig daran gewöhnt, so dass er mit einer ständig wechselnden Mischung aus Chef, Du und Hattinger jonglierte. Das Problem war, dass er seinen Chef nicht beim Vornamen nennen durfte, und die Kombination von Du und Hattinger kam ihm noch nicht so leicht über die Lippen wie etwa dem alten Haudegen Bamberger, der Hattingers Vornamen wahrscheinlich längst vergessen hatte.

„Bamberger hat gemeint, ich soll dir das schon mal zeigen.“

„Mhm. Was hamma denn da?“

„Eine Eisenstange. Die haben wir da hinten am Rand der Baugrube gefunden, im Gebüsch.“ Er zeigte seinem Chef das etwa einen Meter lange Teil, natürlich in durchsichtiges Plastik verpackt. „Da sind ein paar verdächtige Flecken drauf.“

Hattinger wog die Stange in der Hand. Mit dem schweren rostigen Trumm konnte man gut jemanden umbringen. Er gab sie Wildmann zurück.

„Oiso lass uns amoi spekulieren, solang ma nix bessers vorham: Wia kommt a Leich da in dem gottverlassenen Winkel in an Sandhaufn?“

Karl Wildmann nahm die Brille ab und begann die Gläser zu polieren. Wenn er die Brille nicht aufhatte, sah er noch mehr wie ein Schulbub aus, fand Hattinger.

„Ich würde sagen: Jemand kommt an einem trüben Nachmittag wie diesem hier vorbei. Weil es neblig und kalt ist, beschließt er spontan, sich umzubringen. Er kriecht in den Sandhaufen und wartet bis er tot ist. Herbstdepression …“

Hattinger schaute seinen Assistenten milde tadelnd an. Das mochte er an Wildmann, dass er in den unmöglichsten Situationen plötzlich einen Scherz raushaute.

„Aber im Ernst, wir wissen ja noch nicht, ob es eine Leiche ist. Vielleicht steckt ja auch nur der Kopf im Sand.“

„Aber selbst dann wärs ja unwahrscheinlich, dass der Körper irgendwo alloa rumlauft, wia da Störtebeker …“

„Stimmt. Der wäre vermutlich auch nicht über die Baugrube hinausgekommen“, meinte Wildmann.

Hattinger sah sich um.

„Vielleicht klapperst als Erstes die nächsten Häuser ab, ob irgendjemand was aufgfalln is?“ Für sehr wahrscheinlich hielt er das nicht, denn das nächste bewohnte Haus war mindestens 100 Meter entfernt von dieser Bauruine. Aber man konnte nie wissen.

„Gut, dann bin ich mal weg.“

Wildmann machte sich auf den Weg und Hattinger suchte nach Bamberger. Das Zelt über dem Sandhaufen war inzwischen fertig und Polizisten zogen gerade von außen die Reißverschlüsse zu, da hörte er eine vertraute Stimme:

„Herr Hattinger, des is ja schön, dass Sie uns scho wieder die Ehre geben …“

Hattinger drehte sich um.

„Ja die Frau Erhard, hallo.“

Andrea Erhard war vor Kurzem zur stellvertretenden Chefin der Priener Polizei befördert worden, das hatte er mitbekommen. Er freute sich für sie, wenngleich er sie am allerliebsten für sein eigenes Team abgeworben hätte. Aber sie war so ein eingefleischtes Priener Urgestein, dass seine ersten Versuche in die Richtung wenig gebracht hatten.

„Und Sie helfen uns wieder? Da konn ja gar nix mehr schiaf geh’! Was ham S’ denn da dabei?“ Hattinger deutete auf die bunte Einkaufstasche, die Andrea Erhard vorsichtig am Boden abstellte. Der graue Kater kam sofort angelaufen und schnupperte neugierig daran. Hattinger hatte so eine Ahnung, aber eigentlich wagte er gar nicht zu hoffen, was die Kollegin antwortete:

„I hab ma gedacht, i bring scho amoi a bissl a Brotzeit mit …“

Sie holte eine riesige Tüte mit Brezen und Semmeln aus der Tasche, und dann noch eine Backform mit warmem Leberkäs. Süßen Senf hatte sie natürlich auch dabei.

Hattinger hätte sie am liebsten umarmt.

„Wia ham jetz Sie gwusst, dass i am Verhungern bin?“

„Weibliche Intuition … Des is gar ned so schwierig.“

Kaum hatte sich Hattinger eine Leberkässemmel gemacht, kam auch schon Fred Bamberger angeschlichen. Er musste den Braten gerochen haben.

„Frau Kollegin, welch ein erfreuliches Wiedersehn!“, schnurrte er, mit einem tiefen Blick in die Brotzeittasche. „Da samma ja wieder bestens versorgt …“

„Bist du etwa scho fertig mit deiner Arbeit?“, pflaumte ihn Hattinger an.

„Scho soweit fürs Erste. Auf jeden Fall langts für a Brotzeitpausn. Dann kemma mi’m Ausgrabn ofanga. Die Rechtsmedizin miassat glei da sei.“ Er nahm sich eine Breze und schnitt sich ein Stück Leberkäs ab.

„Wen schicken die denn? Woaß ma des scho?“, wollte Hattinger wissen.

„Den Keul“, antwortete Bamberger und schob sich ein Stück Breze in den Mund.

Privatdozent Dr. Dr. Meinhard Keul war mit Sicherheit ein brillanter Pathologe und Rechtsmediziner, allerdings machte er sich nicht immer beliebt durch seine direkte, schnodderige Art. Er neigte dazu, andere immer ein bisschen wie Vollidioten zu behandeln.

„Da is er ja scho …“ Andrea Erhard deutete auf einen dunklen Audi mit Münchner Kennzeichen, der gerade hinter Hattinger und Bamberger in die Straße einbog.

„Der kriagt aber koan Leberkas …“, meinte Bamberger.

„Leberkas is wahrscheinlich ned sei Abteilung, solang ’s no koan mit Trüffel gibt“, beruhigte ihn Hattinger.

4

Wenn Arschlöcher fliegen könnten, wäre das hier ein Flughafen, stand auf dem weißen Metallschild, das an prominenter Stelle über der Werkbank aufgehängt war, inmitten anderer launiger Postkartensprüche und diverser Pin-Ups aus Penthouse und Playboy, die da schon jahrelang vor sich hingilbten.

Hansi, der Betreiber der kleinen Autowerkstatt, ein dauerjovialer Spruchbeutel, immer kurz vor der Explosion, kam mit dem Rollwägelchen, auf dem er lag wie ein Rennrodler, wieder unter dem grauen Audi hervorgerollt und sah den Besitzer desselben kopfschüttelnd an.

„Was hast’n mit dem gmacht? Der is ja ganz schee derdengelt.“ Er wuchtete sich hoch und ließ den Wagen auf der Hebebühne langsam zu Boden sinken.

„Mei …“, erklärte der Besitzer achselzuckend.

„Des werd fei ned ganz billig …“ Der Hansi umkreiste taxierend den Wagen. Er rüttelte demonstrativ am abgerissenen Auspufftopf, der bei dieser Behandlung ein hässliches Scheppern von sich gab. „Da brauch i ah nimmer mi’m Schweißn ofanga.“

„Was schätzst …?“

Der Mechaniker fuhr sich mit den öligen Fingern durch die Haare, die dementsprechend aussahen. Er fummelte ein zerknautschtes Zigarettenpäckchen aus der Brusttasche seines dreckstarren blauen Overalls und zündete sich eine an, während er weiter den beschädigten Audi umrundete.

Vor dem Schild: Kein offenes Feuer – Rauchen strengstens verboten, blieb er stehen und stieß genüßlich eine lange Rauchwolke aus.

„Mei … kommt drauf o, wo i Ersatzteile brauch, und was i selber hi’biagn konn.“

Der Hansi war gelernter Karosseriebauer. Er zog es allerdings vor, Hartz IV zu kassieren und nebenher die kleine Werkstatt zu betreiben, für Kumpels und Bekannte, schwarz natürlich. Nicht, dass er keine Arbeit gefunden hätte, aber er hatte einfach keine Lust mehr, sich von irgendeinem Chef schikanieren zu lassen. Hier war er sein eigener Herr.

Die Werkstatt war in einem alten Schuppen neben dem Bauernhof seiner Eltern untergebracht, bei denen er im ausgebauten ehemaligen Stall lebte. Technisch war alles vorhanden, was man brauchte, Werkzeug und Material aller Art stapelte sich in Metallregalen bis unter die Decke des Raumes, der so hoch war, dass man zumindest einen PKW mit der Hebebühne auf eine akzeptable Arbeitshöhe hieven konnte.

Auf der Werkbank stapelte sich eine Unmenge von Zeug, ein kreatives Durcheinander, alles ziemlich verdreckt und scheinbar chaotisch, aber beim Hansi hatte alles seinen Platz, er wusste genau, wo er hinlangen musste, wenn er etwas suchte. Er war ein guter Automechaniker, er kriegte so ziemlich alles wieder hin, auch wenn er dabei immer fluchen musste wie ein Scheunendrescher. Aber hier draußen konnte er rumschreien, wie er wollte, hier hörte ihn keine alte Sau.

Außerdem arbeitete er überwiegend nachts. Tagsüber ging er lieber zum Baden, im Sommer, oder er suchte auf Schrottplätzen rum, oder er fuhr mit seinem alten Pickup durch die Gegend und stellte den jungen Verkäuferinnen und Friseusen nach, denen er nachts ihre schrottreifen Karren für billiges Geld reparierte. Oder auch – vorzugsweise – für andersartige Gefälligkeiten. In dem Fall begnügte er sich mit den Materialkosten.

„Was glaubst, wia lang’s dauert?“

„Mei, schau ma moi … Bis wann brauchst’n wieder?“

„Morgn, eigentlich … Spätestens übermorgn.“

„Auweh … Des woaß i fei ned, ob i den Dreckskarrn bis übermorgn hi’kriag … Machst hoid amoi Urlaub, oder?“

„Du bist guad …“

„Magst a Bier? I hol ma oans.“

„Guad, bringst ma ah oans mit …“

Während der Hansi über den Hof verschwand, um Bier aus dem Keller zu holen, sah sich sein Kunde neugierig in der Werkstatt um. Er war schon länger nicht mehr hier gewesen.

In der Ecke links neben der überfüllten Werkbank stand ein hellgrauer Metallspind mit geöffneten Türen. Da zog der Hansi immer sein winziges, abgegriffenes Notizbuch heraus, in dem er sich alles Wichtige über seine Aufträge notierte, genaue Typenbezeichnungen, Baujahr, Ersatzteilnummern, Arbeitsstunden etc., er war ziemlich akkurat in diesen Dingen, das musste man ihm lassen. Seine „Rechnungen“ stellte er dann auf kleinen, weißen Post-it-Zetteln aus. Mit Computern hatte er jedenfalls nichts am Hut.

Neben dem Notizbuch lag ein Stapel Fotos im Spind. Gerade als er einen Blick auf das oberste werfen wollte, wozu er sich auf die Zehenspitzen stellte, stand der Hansi wieder in der Tür, mit den zwei Hellen in der Hand.

„Samma neigierig, ha?“, stellte er jovial fest. Er reichte seinem überraschten Gast ein Bier und prostete ihm zu.

„Schaug’s da nur o! Die hat mi neilich bsuacht, da hab i glei a paar Fotos gschossn.“ Er nahm den Stapel Fotos heraus und blätterte ihn durch. Das eine oder andere hielt er grinsend hoch.

„A so a scharfe Matz, sag i dir …“

Die junge strohblonde Frau auf den Fotos war mal mehr und mal weniger nackt. Der Hansi hatte sie hier in der Werkstatt auf ihrem Auto fotografiert.

„Da, schau da amoi des Fahrgstell o!“ Es war klar, dass er nicht den rostigen roten Polo meinte, auf dessen Kühlerhaube die Blonde drapiert war. „Du, da war aber Rambazamba da herin. Da is koa Aug trocken bliebn, des konnst ma glaum!“

Man glaubte es ihm unbesehen. Und es war ratsam, über seine sexistischen Scherze zu lachen, vor allem, wenn man gerade von seiner handwerklichen Gnade abhängig war.

Nachdem der Hansi genüsslich die weiteren Vorzüge seiner neuesten Eroberung erörtert und das Bier weggezischt hatte, zündete er sich noch eine an und widmete sich wieder der Frontpartie des verbeulten Wagens. Man sah ihm an, dass sich seine Begeisterung in Grenzen hielt.

„Oiso guad, i probier’s“, verkündete er voller Gnade. „Aber dass oans klar is: Bargeld lacht! Verstehst? Sonst konnst as glei vergessn …“

5

Wie träge weiße Maden bewegten sich Hattinger, Bamberger, Andrea Erhard, Dr. Keul, der Fotograf und ein paar weitere Polizisten in dem geräumigen weißen Zelt über dem Sandhügel, den sie langsam abtrugen, von Kopf bis Fuß in weiße Overalls gehüllt, mit Kopfhaube und Mundschutz versehen.

Eine gespenstische Szenerie eigentlich, wenn sie nicht Normalität gewesen wäre für die meisten Beteiligten. Keiner hätte den anderen erkannt, wenn er ihn nicht schon gekannt hätte, die Stimme, die Bewegungen … Eine Szenerie, die in Schwarzweiß an einen billigen 50er Jahre Science-Fiction-Film erinnern würde, die aber in Farbe und im Jetzt bittere und kalte Realität war.

Der herbstliche Abendnebel vom nahen Chiemsee, der den scheinwerferbestrahlten Bauplatz und das weiße Zelt mit einer zweiten dichten Hülle umgab, machte das Ganze noch unwirklicher.

Über eine Stunde lang hatten sie ihn ausgegraben, den Leichnam. Es war ein Mann, ein recht junger obendrein. Schicht um Schicht hatten sie abgetragen, vorsichtig mit kleinen Schaufeln, oder weggepinselt, noch vorsichtiger in unmittelbarer Nähe des Körpers, den Sand in stabilen Plastiksäcken gesammelt, mitsamt allem was drin war, alles fotografiert und kartografiert und die Säcke nummeriert und eingetragen.

Sie sprachen leise und konzentriert und notierten was sie sahen, um es so genau wie möglich festzuhalten für später, für die mühsame Rekonstruktion am Schreibtisch, und währenddessen machte auch keiner mehr Witze, um die Zeit zu überbrücken und die Stimmung aufrecht zu halten.

Schließlich lag der tote Körper vor ihnen im Sandbett, auf dem Rücken, den Kopf etwas angehoben und nach rechts verdreht, ein schlanker junger Mann, 25 Jahre war er vielleicht alt gewesen, als ihn sein wie auch immer geartetes Schicksal ereilte. Der Oberkörper war entkleidet und sah seltsam eingedrückt und verschrammt aus, die Arme waren eng am Körper angelegt, der Kopf wies auf der rechten Seite eine große, blutige Verletzung auf. Die Beine und Füße wirkten unversehrt, bekleidet mit schwarzen Jeans und schwarzen Socken, aber ohne Schuhe.

Der Rechtsmediziner hatte noch vor dem vollständigen Ausgraben die Körpertemperatur gemessen und festgestellt, dass der Körper zumindest noch nicht ganz die Umgebungstemperatur angenommen hatte, was auch durch das Vergraben im Sand sicher verzögert worden war, allerdings nicht in einem Ausmaß, dass die Leiche da schon tagelang hätte liegen können.

„Können S’ des vielleicht a bissl genauer eingrenzen?“, wollte Hattinger wissen.

„Die Thematik ist leider nicht ganz so trivial, wie es vielleicht für Hobbypathologen den Anschein hat …“, belehrte der Privatdozent Dr. Dr. Meinhard Keul die Umstehenden. „Genaueres kann ich Ihnen leider erst sagen, wenn wir ein paar Parameter mehr ermittelt haben.“

Hattinger fragte sich, was wohl ein Hobbypathologe sein mochte – einer, der in seiner Freizeit an Leichen rumschnippelte, oder im Urlaub, oder was?

„Ham S’ vielleicht a vorläufige Hausnummer, so ganz grob wenigstens, für Normalsterbliche?“

„Nicht länger als 24 Stunden, würde ich sagen“, ließ sich Dr. Keul herab, wiewohl er ungenaue Auskünfte dieser Art gar nicht schätzte.

„Des is ja scho amoi was …“

Auch wenn die beiden sich nicht mochten, sollte das zumindest im Moment keine Rolle spielen. Hattinger hatte sich ein paar mal im letzten Jahr bei Obduktionen von seinem wenig begeisterten Assistenten vertreten lassen, natürlich hatte er immer gute Gründe gehabt, aber zufällig hatte es immer Dr. Keul getroffen, bei dem er durch Abwesenheit glänzte, so dass der sich in seiner Eitelkeit langsam persönlich abgelehnt fühlte. Daraufhin hatte er angefangen, die positiven Eigenschaften von Hattingers Vorgänger in immer blühenderen Farben zu malen. Und dass er es sehr bedauern würde, dass Hattinger offensichtlich nicht vom selben Kaliber sei wie der Alte … Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass hier zwei völlig unterschiedliche Arten von Platzhirschen aufeinander trafen.

„Und zur Todesursache …?“

Hattinger hatte es schon geahnt, dass das wieder eine falsche Frage war. Keul sah ihn an wie ein UFO.

„Das erwarten Sie doch nicht im Ernst, dass ich Ihnen jetzt dazu irgendwelche Halbgarheiten präsentiere? Ein natürlicher Tod ist unwahrscheinlich, das sehen Sie ja selbst. Kommen Sie morgen zur Obduktion, dann kann ich Ihnen mehr sagen. Einen schönen Abend noch, die Herrschaften …“

Mit diesen Worten klappte Privatdozent Dr. Dr. Meinhard Keul seinen Koffer zu und rauschte ab Richtung Auto. Hattinger sah ihm nach.

„I glaub, da komm i morgen ned drum rum. Vielleicht fahrn Sie mit, Frau Erhard?“

Andrea Erhard nickte pflichtschuldig. Obwohl sie eigentlich gern Zeit mit Hauptkommissar Hattinger verbrachte, war ihr anzumerken, dass sie nicht begeistert war.

6

Sarah Beck sah noch einmal aus dem Schaufenster, in alle Richtungen, als ob ihn das herbeizaubern könnte. Dann lief sie wieder ins Hinterzimmer, von dessen Fenstern man auf den kleinen Parkplatz hinaus sah, was genauso unsinnig war, denn natürlich hätte sie gar nicht übersehen und noch weniger überhören können, wenn ihr Chef wie üblich mit seinem alten röhrenden Porsche in den Hinterhof gefahren wäre.

Sie ging wieder in den Laden zurück.

„Das tut mir wirklich leid, ich weiß auch nicht, wo er bleibt. Normalerweise hält er seine Termine schon ein.“ Das hatte sie dem genervten Kunden, der schon fast eine Stunde wartete, mittlerweile auch schon mindestens fünf Mal versichert.

Der Mann schaute noch einmal auf seine Armbanduhr, dann stand er auf.

„Gut, das reicht jetzt. Dann gehe ich eben woanders hin. Ich verdiene mein Geld nicht mit Warten. Guten Tag, schöne Frau.“

„Vielleicht lassen Sie mir Ihre Nummer hier, dann kann ich Sie benachrichtigen, wenn er kommt“, schlug sie dem Mann in verbindlichem Ton vor, aber der klemmte seine schwarze Aktentasche unter den Arm und verließ das kleine Ladenlokal durch die Glastür.

„Die Nummer hat er ja“, grummelte er, ohne sich noch mal umzudrehen.

Sarah Beck wartete darauf, dass er die Tür zuknallte, aber erstaunlicherweise verzichtete er darauf.

Sie entschloss sich, sicherheitshalber noch einmal eine Runde Anrufe zu starten. Sie griff zum Telefon und wählte. Seine Mailbox meldete sich wieder.

„Wo bist du denn? Das gibts doch gar nicht! Der Kunde ist jetzt weg! Der kommt auch nicht wieder … Hallooo! …“

Keine Reaktion. Sie legte auf. Während der letzten Stunde hatte sie alle in Frage kommenden Nummern angerufen, alle Leute abtelefoniert, die wissen könnten, wo er steckt.

Er war ein unzuverlässiger Windhund. Das wusste ja jeder. Von dem Termin heute hatte er ihr natürlich wieder mal nichts gesagt.

Gestern hatte er sich offiziell frei genommen, so weit, so gut. Sie solle halt ein bisschen Büroarbeit machen, hatte er gesagt, da würde ihr doch sicher was einfallen … Also hatte sie an der Buchhaltung weitergestrickt. Aber was heißt schon Buchhaltung? Das war ja alles ziemlich überschaubar. Vor allem die Einnahmen.

Sarah fragte sich zum wiederholten Mal, wie sie jemals in diese saublöde Lage geraten konnte. Der Typ war als Casanova stadtbekannt gewesen. Alle Alarmglocken hatten bei ihr geklingelt, und trotzdem hatte sie sich rumkriegen lassen. Und dann hatte er ihr den „Job“ angeboten! Fast kein Geld und auch so gut wie keine Arbeit … Er hatte sie schon immer nur fürs Bett und zu Repräsentationszwecken gebraucht. Eine gute Figur sollte sie machen in seinem heruntergekommenen Laden, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie sollte den paar Kunden, die sich hierher verliefen, ihre Titten unter die Nase halten, damit sie auch ja dranblieben! Tiefer Ausschnitt und knallenge Jeans, das war ihre vorgeschriebene Berufskleidung.

Jetzt war’s gut damit. Die Zeit war gekommen.

Beziehungsmäßig war das Ganze sowieso schon lang das reine Desaster. In den letzten paar Monaten hatte er schon wieder fünf neue Mäuse flachgelegt, vor ihrer Nase. Wie konnte man eigentlich so blöd sein? Wenn da nicht so ein gewisser Restcharme vorhanden gewesen wäre bei ihm, mit dem er sie immer wieder überredet hatte, doch wenigstens dem Laden treu zu bleiben, wäre sie sowieso schon längst weg gewesen. Und wenn er nicht diesen …

Nein.

Sarah Beck zupfte ihr Dekolleté zurecht.

Jetzt war Schluss.

Sie schaute auf die Uhr.

Eine halbe Stunde wartete sie noch, dann griff sie zum Telefon und wählte die 110.

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