Haus der Vergangenheit - Jacky Herrmann - E-Book

Haus der Vergangenheit E-Book

Jacky Herrmann

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Beschreibung

Elisa Arendt arbeitet als Lektorin in einem renommierten französischen Verlag in Paris. Obwohl sie sehr erfolgreich ist, stellt sie ihr Leben zunehmend in Frage. Während einer Auszeit auf Korsika lernt sie unverhofft Léonard Besson kennen und verliebt sich in ihn. Wenig später erfährt sie von einer seltsamen Erbschaft: einem Haus in Schleswig-Holstein, das ihr ein unbekannter Mann vermacht hat. Sie reist dorthin, um mehr darüber zu erfahren. Auf den ersten Blick sieht es danach aus, dass der Unbekannte Selbstmord begangen hat, doch die Kripo hat schnell Zweifel daran. Die Ermittlungen gestalten sich sehr zäh, der Kreis der Verdächtigen wird immer größer. Elisa wird zunehmend selbst in den Fall verwickelt und auf unheimliche Spuren ihrer eigenen Vergangenheit geführt, die sie schließlich in tödliche Gefahr bringen.

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Seitenzahl: 534

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Jacky Herrmann

Haus der Vergangenheit

Liebeskrimi

© 2021 Jacky Herrmann

2., überarbeitete Auflage

Umschlagmotiv: © psychoshadow / Home Return. Young man stand at the corner of a ravaged house, looking far away for someone. A ghost, desolated house with a dry land and tree. / Adobe Stock

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback          978-3-347-26486-1

Hardcover          978-3-347-27033-6

e-Book               978-3-347-27034-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sonntag, 17. Februar 1980

Der Winter war besonders eisig in diesem Jahr und würde sich noch lange in den Frühling hineinziehen. Die Fenster waren stark beschlagen, dass sie nicht hinausblicken konnte. Das Haus war insgesamt in einem sehr schlechten Zustand. Er hatte lange Zeit nichts daran gemacht.

Dolores Winter kniete nieder, um Holz in dem kleinen Ofen nachzulegen. Auf einer Wolldecke saß Felix und spielte fröhlich mit seinem Teddy. Sie war glücklich, wenn er es war und liebte Momente wie diesen. Das Glück mit ihrem Sohn war das Einzige, das ihr in diesem armseligen Leben geblieben war.

Sie zündete eine Flamme auf dem Gasherd an und setzte einen Topf mit Milch darauf an. Es war kurz nach sechszehn Uhr. Ihr Mann war in die Dorfkneipe gegangen, um mit seinen Kumpanen Karten zu spielen. Vermutlich ließ er sich wie gewöhnlich volllaufen. Vielleicht kam er später wieder mit einem blauen Auge zurück, weil sie sich betrunken beim Spielen stritten und anschließend gegenseitig die Köpfe einschlugen. Sie fürchtete immer diesen Moment, wenn er nach Hause kam. Jeden einzelnen Tag, denn es ging selten gut für sie aus. Doch sie wollte sich nicht den Nachmittag mit der Angst vor der bevorstehenden Rückkehr ihres betrunkenen Mannes verderben. Meist kam er sonntags nicht vor einundzwanzig Uhr zurück. Die Zeit bis dahin wollte sie genießen.

Sie goss die warme Milch in eine Tasse, rührte Kakaopulver hinein und setzte sich zu Felix. Er krabbelte auf ihren Schoß und trank mit ihrer Hilfe in kleinen Schlucken aus der großen Tasse.

Dolores vergaß völlig die Zeit. Sie spielten mit dem Teddy und hörten Musik aus dem kleinen, alten Radio. Gerade als sie Felix vorm Schlafengehen noch etwas zu essen zubereiten wollte, knallte es laut an die Haustür. Es war fast achtzehn Uhr. Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen. Sie sträubte sich, zur Tür zu gehen, nahm Felix auf den Arm und setzte sich auf die Küchenbank.

„Du brauchst keine Angst zu haben! Ich beschütze dich!“, flüsterte sie ihm zu und streichelte dabei zärtlich über seinen Kopf. Sie wartete. Es blieb still. Nur das Knistern des Feuers im Ofen war zu hören. Sie atmete auf. Es musste der Wind gewesen sein. Sie stand auf, setzte den Jungen auf die Bank und ging zum Ofen, um Holz nachzulegen. In dem Moment hörte sie einen weiteren Schlag, der sie erneut zusammenzucken ließ. Sofort nahm sie Felix wieder hoch und hielt inne. Es knallte nochmal, wurde immer heftiger und hörte sich nun eindeutig danach an, dass jemand vehement gegen die Tür schlug. Angst kroch in ihr hoch. Warum war er schon zurück? Warum schloss er nicht selbst die Tür auf? Sie war wie gelähmt und wusste nicht, was sie tun sollte.

Ein Schlag ans Küchenfenster ließ sie kurz darauf zusammenfahren.

„Mach endlich die Tür auf, du Miststück!“, brüllte eine Männerstimme.

Er war es tatsächlich. Dolores zitterte. Sie wollte ihn nicht hineinlassen, da sie wusste, was geschehen würde. Aber sie hatte keine Wahl. Rasch brachte sie Felix ins Kinderzimmer, legte ihn ins Bett, schaltete das Licht aus, verschloss die Tür und nahm den Schlüssel an sich, um ihn vor seinem Vater zu schützen. Sie atmete noch einmal tief durch, ging anschließend zur Haustür und öffnete diese zaghaft. Ein eiskalter Wind wehte ihr ins Gesicht. Ein angstvolles Schaudern ergriff sie. Doch er war nicht da. Er war nirgendwo zu sehen. Stand er immer noch am Küchenfenster? Sollte sie hinausgehen und ihn holen? Egal, was sie tat, es war das Falsche, wusste sie. Sie zog ihren Mantel über und lehnte die Tür an. Mit kleinen Schritten suchte sie sich ihren Weg zur Rückseite des Hauses. Als sie um die Ecke bog, sah sie eine dunkle Gestalt in der Ferne.

„Hier draußen ist es kalt“, rief sie. „Komm ins Haus“, bat sie ihn. Ihre Stimme zitterte.

Doch er reagierte nicht, blieb regungslos stehen. Es war zu dunkel, um etwas erkennen zu können. In den letzten Nächten war Vollmond gewesen, der nun wieder deutlich abgenommen hatte. Durch den Nebel, der sich wie ein Schleier über den Abend gelegt hatte, war der Mond kaum noch sichtbar. Sie bereute, nach draußen gegangen zu sein und trat den Rückweg an. Gerade als sie an der Tür ankam, überraschte sie eine kalte Hand von hinten und griff sie fest am Nacken.

„Wohin willst du?“, fragte er sie.

„Ich dachte, wir gehen zusammen ins Haus“, antwortete Dolores zaghaft.

Er zog sie mit festem Griff zurück, drehte sie zu sich um und drückte ihr Gesicht mit seinen Händen zusammen, die stark nach Zigaretten rochen. Er kam ihr immer näher und schaute sie eindringlich an. „Ihr Frauen seid widerlich! Erst macht ihr uns schöne Augen und dann verarscht ihr uns nur“, beschimpfte er sie.

Sie wusste nicht, wovon er sprach. Wahrscheinlich hatte er wieder die Bedienung in der Kneipe angemacht, die ihn abblitzen lassen hatte.

„Und von allen Frauen, die es auf dieser verdammten Welt gibt, habe ich die Allerhässlichste abbekommen! Schau dich im Spiegel an! Wie siehst du nur aus?“, warf er ihr vor.

So schmerzhaft die Wahrheit war, er hatte Recht damit. Als er Dolores vor sechs Jahren kennengelernt hatte, war sie eine bildschöne Frau gewesen, die immer darauf bedacht gewesen war, sich zurechtzumachen. Sie hatte ihre langen, blonden Locken immer offen getragen, was ihrem Gesicht sehr geschmeichelt hatte. Dolores hatte damals mit einer Freundin einen Ausflug nach Kiel gemacht, nachdem sie kurz zuvor ihre Schule erfolgreich abgeschlossen hatte und endlich etwas von der Welt sehen wollte. Sie hatte aus dem Dorf weggewollt, in dem sie behütet aufgewachsen war. Ihre Eltern hatten ihr zum Schulabschluss etwas Geld geschenkt, das sie sich lange abgespart hatten. Einen Teil davon hatte sie genommen, um diese kleine Reise mit ihrer Freundin zu unternehmen. Sie hatten diese neue Freiheit genossen, tagsüber die Stadt und Umgebung erkundet und sich abends schick gemacht, um auszugehen. Eines Abends hatten sie an der Bar einer schäbigen Hafenkneipe gesessen und der Barmann hatte ihnen zwei Drinks vor die Nase gestellt.

„Ihr seid eingeladen“, hatte er gesagt.

„Auf Kosten des Hauses?“

Der Mann hatte gelacht. „Nein! Der Herr dort drüben am Tisch neben der Tür hat die Getränke bezahlt.“

Sie hatten sich zu dem Unbekannten umgedreht und er hatte ihnen zugelächelt. Das war der Moment gewesen, der alles in Dolores‘ Leben verändert hatte. Es war der Anfang vom Ende gewesen, wie sie heute wusste. Jetzt waren ihre Haare glanzlos und stumpf. Sie band sie jeden Morgen streng zu einem Zopf zurück. Auch in ihrem Gesicht hatte die Angst der letzten Jahre ihre Spuren hinterlassen. Ihre Mundwinkel hingen nach unten, ihre Augen waren leer und glanzlos, ihre Haut fad und blass. Sie wusste selbst, dass sie schrecklich aussah, doch es war ihr über die Jahre gleichgültig geworden. Sie ging selten aus dem Haus und traf nie andere Menschen. Und für ihren Mann wollte sie nicht attraktiv sein. Im Gegenteil: Je hässlicher er sie fand, umso weniger fasste er sie an. Nur manchmal kam es vor, dass er mitten in der Nacht, wenn er besoffen neben sie ins Bett kroch, über sie herfiel und sie zum Sex zwang. Doch die Jahre und der Alkohol hatten auch an ihm gezehrt und ihn ruhiger gemacht. Während er noch vor ein paar Jahren fast täglich Lust auf sie gehabt hatte, kam es jetzt nur noch selten vor. Sie war inzwischen so abgestumpft, dass sie es über sich ergehen ließ, wenn er sie vergewaltigte. Sie wehrte sich nicht, machte mechanisch die Beine auseinander und ließ ihn in sich eindringen. Es dauerte nur wenige Minuten. Sekunden später schlief er ein und schnarchte laut. Sie lag meistens die restliche Nacht wie gelähmt neben ihm und kam nicht zur Ruhe. Sie schlief generell nur wenig und erreichte selten den Tiefschlaf. Sie musste schließlich jederzeit bereit sein, Felix zu beschützen. Ihr Ein und Alles. Der einzige Grund, für den sie weiterleben wollte.

Er kam nun noch näher auf sie zu. Sie spürte seinen Körper und roch seinen fauligen Atem. Ihr wurde übel, ihr Magen zog sich zusammen. Er beugte sich zu ihrem Hals hinunter und leckte mit seiner Zunge darüber.

„Ich finde dich sehr unattraktiv, aber ich bin traurig und will, dass du mich heute Nacht tröstest!“

Erneut lief ihr ein unangenehmer Schauder über den Rücken. Sie empfand Ekel und wusste genau, was gleich passierte.

„Komm jetzt! Ich will, dass wir hoch ins Schlafzimmer gehen!“ Er zog sie am Arm und torkelte zur Tür. Ohne Mantel oder Stiefel abzulegen, schleifte er sie die Treppe hinauf zum Schlafzimmer.

„Öffne meine Hose und befriedige mich mit dem Mund!“, befahl er ihr. „Dann muss ich deine hässliche Fresse wenigstens nicht sehen!“

Sie tat, wie er ihr befohlen hatte und kniete sich nieder.

Montag, 21. September 2015

Denis Kowalski stand an einem Bushäuschen in der Nähe der ‚Rue du Faubourg-Saint-Antoine‘ und versuchte, auf der dort angebrachten Straßenkarte die ‚Rue Trousseau‘ zu finden, die ganz in der Nähe sein musste. Er fand sie nur nicht.

„Mist!“, sagte er laut. Er zog sein Smartphone aus der Hosentasche und versuchte erneut, ein Netz zu finden, um endlich ins Internet zu kommen. Doch vergeblich.

Ich hasse Frankreich, dachte er zum wiederholten Male, seit er in diesem Land war. Warum zum Teufel funktionierte das Internet hier nicht?

Es war gerade mal sechs Uhr morgens und er war ein schrecklicher Morgenmuffel. Zu seinem Leidwesen hatte er die Nacht zuvor verdammt schlecht geschlafen. Die Absteige, in der er untergekommen war, war mit dem unbequemsten Bett ausgestattet, in dem er je gelegen hatte. Ihm tat noch immer der Nacken weh und seine rechte Rückenseite machte heute auch nicht mit. Er hatte sich hoffentlich nicht schon wieder einen Nerv eingeklemmt. Doch es war nicht der richtige Moment, um länger darüber nachzudenken. Er musste zusehen, diese ‚Rue Troirgendwas‘ zu finden. Er hatte keine Ahnung, wie das ausgesprochen wurde und es interessierte ihn auch nicht. Er schaute noch einmal auf die Karte und entschied, in irgendeine Richtung loszulaufen. Auf einem Zettel hatte er eine Adresse notiert. Er würde den nächstbesten Passanten anhalten und ihm den Zettel vor die Nase halten. Die Franzosen sollten wohl in der Lage sein, ihm wenigstens die Richtung zu zeigen, wenn er ihnen klarmachte, dass er absolut nichts verstand, dachte er.

Nachdem er wenige Meter nach der Bushaltestelle in eine größere Seitenstraße abgebogen war, hörte er Kinderstimmen. Seine Hoffnung wuchs. In der Nähe war vermutlich ein Kindergarten und sicher auch jemand, den er anhalten konnte. In dem Moment stieg eine Frau aus einem nicht weit von ihm entfernt geparkten Auto aus. Sie öffnete die Hintertür und beugte sich nach unten. Er blieb stehen und beobachtete, wie sie ein kleines Mädchen vom Rücksitz hob.

Na bitte! Da haben wir doch jemanden gefunden!

Die Frau war bereits dabei, mit dem kleinen Mädchen an der Hand loszulaufen. Er versuchte, sie einzuholen. Als er sie erreicht hatte, griff er der Frau von hinten an den Arm. Sie zuckte zusammen.

„Mais qu’est-ce que vous faites?“, schrie sie ihn an.

Er zuckte mit den Schultern und stotterte herum. „Äh, Madame, tut mir…äh…ich spreche nicht…ähm…Französisch…Ach verdammt, was soll ich denn sagen?“ Er kam sich blöd vor. Das war wohl eine dumme Idee gewesen!

Die Frau schaute ihn immer noch fragend an. Schließlich hatte sie keine Geduld mehr, griff nach der Hand ihrer Tochter, die sie vor Schreck losgelassen hatte, drehte ihm den Rücken zu und lief los.

„Warten Sie doch!“, versuchte er, sie aufzuhalten. Da sie jedoch nicht reagierte, beschleunigte er seinen Schritt und stellte sich direkt vor sie. Er zog den Zettel hervor und hielt ihn ihr vors Gesicht.

„Vous cherchez la Rue Trousseau? Elle est juste là.” Sie zeigte nach vorne. „Il faut aller tout droit, environ 500 mètres et puis c’est à gauche.“

„Was? Ich verstehe nur Bahnhof!“ Er hob seinen Arm und zeigte nach vorne, um sich damit nochmals bestätigen zu lassen, dass er sie halbwegs richtig verstanden hatte. „Da lang?“

Die Frau nickte. „Bah oui! Et puis à gauche“, antwortete sie ihm und zeigte gleichzeitig nach links.

„Ah, verstehe! Danke! Äh, merci heißt das doch, oder?“

Ohne sich noch einmal umzudrehen, lief er den Weg weiter geradeaus. Er schaute auf jedes Straßenschild. Es war fast sieben Uhr. Wieso war so viel Zeit vergangen? Er hatte Angst, dass er zu spät dran war. Andererseits waren noch nicht viele Leute zu dieser unwürdigen Uhrzeit unterwegs. Vermutlich würde sie auch nicht so früh aus dem Haus gehen. Er beschleunigte dennoch seinen Schritt und plötzlich sah er sie von weitem: die ‚Rue Trousseau‘.

Endlich! Er bog in die Straße ab und hielt nach der Hausnummer vierundfünfzig Ausschau, die er kurz darauf fand. Was sollte er jetzt machen? Er suchte nach einer Stelle, wo er unauffällig warten konnte, doch es gab weit und breit nichts. Keine Bank und auch sonst nichts. Er nahm schließlich sein Handy und tat, als ob er telefonieren würde. Er redete irgendwelches Zeug zusammen. Die Franzosen, die das mitbekamen, würden es sowieso nicht verstehen, war er sicher. Er lief dabei hin und her, ließ aber nie das Haus mit der Nummer vierundfünfzig aus den Augen. Eigentlich brauchte er dringend einen Kaffee. Leider hatte er es heute Morgen versäumt, das im Preis inkludierte Frühstück in der billigen Pension wahrzunehmen. Jetzt knurrte sein Magen, was ihn jedoch weniger störte als sein Verlangen nach einer heißen Tasse Kaffee. Er zündete sich eine Zigarette an. Vielleicht half das vorübergehend. Wie lange sollte er hier warten? Vielleicht ging sie heute gar nicht zur Arbeit. Vielleicht hatte sie woanders übernachtet. Wer konnte ihm denn garantieren, dass sie heute Morgen überhaupt aus dieser verdammten Tür herauskam? Er hatte keine Lust, seinen Tag hier zu verbringen. Außerdem würde das irgendwann auffallen. Vielleicht sollte er lieber in den Verlag fahren und dort nach ihr fragen. Er wusste schließlich, dass sie da arbeitete.

Er nahm das Telefon vom Ohr. Mittlerweile ging ihm sein „Telefonieren-Getue“ selbst auf die Nerven. Er wollte höchstens noch eine halbe Stunde hier verharren. Wenn er sich wenigstens kurz setzen könnte. Sein Rücken plagte ihn und das Hin- und Herlaufen machte es nicht besser.

Plötzlich ging die Tür auf und eine junge Frau kam heraus. Das könnte sie sein, dachte er sofort. Er versteckte sich hinter einem Auto, schaltete die Kamera in seinem Handy an und zoomte die Unbekannte heran.

Das ist sie! Er fotografierte sie mehrmals, während sie den Bürgersteig hinunterlief und die Straße überquerte, um zu einem Auto auf der gegenüberliegenden Seite zu gelangen. Sie durfte ihn auf keinen Fall bemerken. Obwohl es ihm wegen seines angeschlagenen Rückens schwerfiel, musste er sich nach unten beugen. Er drückte fleißig weiter auf den Auslöser. Gut, dass diese neumodernen, integrierten Kameras keine Geräusche machten. Den Blitz hatte er vorsorglich ausgeschaltet, was der Qualität der Bilder nichts abtat.

Kurz darauf startete sie ihren roten BMW, verließ die Parklücke und fuhr davon.

Er trat aus seiner gebückten Haltung hervor. „Mission erfüllt!“, beglückwünschte er sich selbst.

Dienstag, 22. September 2015

„…und dann entdeckte sie das Geheimnis. Der dunkle Schleier, der ihn die ganze Zeit umhüllt hatte, fiel. Sie sah zum ersten Mal die schmerzhafte Wahrheit. Damit hatte sie nie gerechnet. Es war wie ein Messerstich ins Herz.“

Das liest sich gut und wird sich auch gut verkaufen. Noch zwanzig Seiten. Ich bin gespannt, wie er das Ende des Romans gestaltet hat, dachte Elisa Arendt.

Sie legte das Manuskript beiseite, nahm ihre Lesebrille ab und machte eine Pause. Mit ihrem Daumen drehte sie den Stift, der zwischen Mittel- und Zeigefinger klemmte, hin und her. Sie schaute auf ihr Handy, das sie lautlos gestellt hatte. Sie hatte weder einen Anruf verpasst noch eine Nachricht erhalten. Nachdenklich blickte sie aus dem Fenster. Ihr Büro lag in der siebten Etage. Auf dieser Seite des Gebäudes hatte sie einen großartigen Blick auf die Seine und das bunte Treiben entlang der Flusspromenade. Für Ende September war es die letzten Tage noch sehr warm gewesen. Sie mochte diese Jahreszeit: die bunten Farben, die orangefarbene Herbstsonne, die milden Temperaturen und die letzten lauen Nächte vor dem anstehenden Winter, die sie mit einem Glas Rotwein auf ihrem Balkon genoss.

Sie sah sich in ihrem Büro um. Seit fünf Jahren hatte sie fast jeden Tag an dem großen Schreibtisch gesessen, unzählige Manuskripte gelesen, die meisten davon abgewiesen, einen Teil aber auch befürwortet und sogar einige Talente entdeckt. Sie legte den Stift weg, stand auf und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Während sie etwas davon trank, wanderte ihr Blick weiter durch ihr Büro. Der Raum war großzügig geschnitten und wirkte durch die hohen Fenster und die weißen Wände hell und freundlich. Zwei Wände waren hinter Regalen verschwunden, die wiederum mit Unmengen von Büchern gefüllt waren. Außer ihrem Schreibtisch und ein paar Sitzmöbeln gab es nicht viel mehr. Ihr war wichtig, dass sie sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlte. Sie trug schließlich eine große Verantwortung, denn die Existenz und die Zukunft anderer Menschen hingen von ihrem Urteil ab. Sie entschied, was veröffentlicht wurde und was nicht.

Sie ging zum Fenster, lehnte sich an die Fensterbank und schaute auf die Uhr. Acht Minuten vor halb zwei. Gleich würde sie wie üblich ihre Mittagspause machen, in der sie ins Restaurant gegenüber gehen, einen Salat essen und abschließend noch einen Espresso trinken würde. Nichts Besonderes, aber sie würde Giorgio sehen, dachte sie. Seit fünf Jahren war das hier ihr Arbeitsplatz, ein renommierter Verlag in Paris, weit weg von ihrer Heimat. Sie hatte Karriere gemacht, verdiente sehr gut und war erfolgreich. Als Lektorin spielte sie eine zentrale Rolle im Verlag. Sie musste Kontakt zu Autoren, Agenten, Fachleuten sowie zum Buchhandel halten und darüber hinaus regelmäßig an Messen, Tagungen und Konferenzen teilnehmen, um immer über die aktuelle Lage auf dem Buchmarkt informiert zu sein. Dadurch kam sie sehr viel herum und lernte viele interessante Menschen kennen. Sie betreute ein Buchprojekt vom Lesen des Manuskriptes bis zur Veröffentlichung. Diese Arbeit verlangte einen ausgeprägten Spürsinn für Talente und äußerste Gewissenhaftigkeit. Sie hatte viel Spaß daran, denn seit jeher war es ihre Leidenschaft, unzählige Bücher zu verschlingen. Bücher strahlten für sie eine gewisse Macht aus, durch das Wissen, das sie vermittelten. Lesen war für sie die größte Erfüllung. Sie war fasziniert und gefesselt von den unzähligen Figuren, Charakteren und Geschichten, die auf den Buchseiten zum Leben erwachten und den Leser in ihren Bann zogen. Das Buch, ein – mit nüchternem Blick betrachtet – simpler Gegenstand, war für sie eine der bedeutendsten Erfindungen der Menschheit. Sie konnte sich stundenlang in Bibliotheken aufhalten und durch die Gänge schreiten, um den Anblick sowie den Geruch der Bücher auf sich wirken zu lassen. Manchmal verbrachte sie ganze Nachmittage damit, durch die Buchläden der Stadt zu schlendern und in den unzähligen Bücherstapeln zu stöbern, sich dann auf eine der bequemen Couchen niederzulassen und sich in fremde Welten zu begeben.

Plötzlich klingelte das Telefon und riss sie aus ihren Gedanken. Sie ging zu ihrem Schreibtisch zurück und sah auf dem Display, dass der Anruf von der Rezeption kam. Sie hatte keine Lust ranzugehen. Sie starrte auf das Telefon, bis es verstummte. Nach kurzer Zeit verfiel sie wieder in ihre Gedanken. Ihre Heimat war Deutschland. Ihre Kindheit hatte sie an verschiedenen Orten verbracht, ihre Jugend dann dauerhaft in München. Jetzt trennten sie gute sieben Stunden Fahrt beziehungsweise über achthundert Kilometer von ihrer Familie. Dauerhaft von zu Hause weg zu sein, war nie ein Problem für sie gewesen. Sie hatte schon seit sie denken konnte Fernweh gehabt, wollte reisen, Abenteuer erleben und immer wieder neue, fremde Orte entdecken. Es war jedes Mal ein schönes Gefühl für sie, fremden Boden unter ihren Füßen zu spüren und etwas Neues kennenzulernen. Es war ein Gefühl, das sie fast süchtig gemacht hatte und von ihr verlangte, es immer wieder erleben zu wollen. Schon einen Großteil ihres Studiums hatte sie deshalb im Ausland verbracht und war viel herumgereist. Letztendlich hatte es sie vor einigen Jahren nach Frankreich gezogen. Ohne lange zu zögern hatte sie damals das Jobangebot vom Verlag angenommen und war von heute auf morgen nach Paris gegangen. Und hier war sie nun tatsächlich sesshaft geworden. Aber war sie wirklich glücklich mit ihrem Leben? In der letzten Zeit hatte sie sich das immer häufiger gefragt. Sie ging morgens sehr früh aus dem Haus, verbrachte unglaublich viel Zeit im Büro, kehrte spät abends müde und kaputt nach Hause zurück. Ab und zu traf sie sich abends noch mit ihrem Freund Sébastien, der meist schon seit Stunden in ihrer Wohnung saß und auf sie wartete. An den Wochenenden unternahm sie etwas mit ihren Freunden, machte Sport oder entspannte zuhause bei einem guten Buch, wenn es ihre begrenzte Freizeit zuließ. So sah momentan ihr Leben aus. Das meiste davon war ganz in Ordnung, dachte sie. Aber trotzdem hatte sie in den letzten Wochen den Spaß an allem verloren, manches war ihr auf einmal zu viel geworden. Außerdem stritt sie immer häufiger mit Sébastien. Das konnte nicht so weitergehen. War sie noch glücklich mit ihm? Sie fragte sich, ob es normal war, ständig alles zu hinterfragen.

Es klopfte an ihrer Tür. „Ja, bitte!“

Eine kleine, zierliche Frau schaute schüchtern herein. „Störe ich dich, Elisa?“

„Anna, komm herein! Du störst nicht!“

Sie trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. „Ich muss dir etwas erzählen. Ich bin so aufgeregt!“

„Was ist los? Möchtest du ein Glas Wasser?“

„Ja, gerne.“

Anna Braun war vor drei Jahren nach Paris gekommen. Die beiden hatten sich im Verlag kennengelernt. Anna hatte sich als Office Managerin beworben und Elisa hatte gemeinsam mit der Personalleiterin das damalige Vorstellungsgespräch mit ihr geführt. Elisa hatte anfangs starke Zweifel daran gehabt, dass das der richtige Job für Anna war, denn sie war sehr zurückhaltend und schüchtern aufgetreten. Fachlich konnte sie aber überzeugen, weshalb sie schließlich den Job bekommen hatte. Die zwei hatten schnell eine Verbindung zueinander aufgebaut. Allein die Tatsache, dass sie beide aus Deutschland kamen, verband sie. Es hatte trotzdem lange nichts an Annas Zurückhaltung geändert. Sie war sehr verschlossen gewesen und hatte nur wenig von sich preisgegeben. Elisa war schnell klar gewesen, dass viel mehr dahinterstecken musste.

Elisa reichte ihr ein Glas Wasser. „So, und nun raus mit der Sprache! Was ist passiert?“

„Ich…“ Anna hielt kurz inne. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll“, antwortete sie. Ein zurückhaltendes Lächeln flog ihr übers Gesicht. „Vor ein paar Wochen hatte ich dir doch von Marc erzählt, den ich auf der Geburtstagsparty von Catherine kennengelernt hatte.“ Elisa nickte bestätigend und Anna fuhr fort: „Wir hatten uns an dem Abend damals gut unterhalten und er hatte mich nach meiner Telefonnummer gefragt. Und jetzt, du wirst es nicht glauben, hat er mich gerade angerufen und gefragt, ob ich Lust hätte, mit ihm essen zu gehen.“

„Das freut mich! Du hast hoffentlich zugesagt?“

„Ja, habe ich. Wir sind heute Abend verabredet. Elisa, ich bin ganz nervös!“

Elisa stellte sich an Annas Seite und legte ihren Arm um sie. „Das musst du nicht! Ihr trefft euch ganz entspannt und lernt euch kennen. Danach siehst du weiter!“

„Er ist so charmant und zuvorkommend und er sieht verdammt gut aus! Der Abend wird hoffentlich schön. Wir gehen im La Table essen.“ Sie ließ sich auf einen der Sessel, die vor Elisas Schreibtisch standen, fallen und schloss die Augen.

Erstaunt verfolgte Elisa sie mit ihrem Blick und schüttelte den Kopf. „So kenne ich dich überhaupt nicht! Was ist mit dir passiert?“, fragte sie mit einem Lächeln.

Anna lächelte zurück. „Na ja, ich muss zugeben, dass ich sehr aufgeregt bin. Dieses Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr. Wenn ich an ihn denke, kribbelt es, aber ich habe Angst, Elisa.“ Sie sprang vom Sessel hoch, ging auf Elisa zu und griff nach ihrer Hand. „Es wäre alles zu schön, um wahr zu sein. Ich weiß aber leider, dass es in der Realität keine Traummänner gibt!“

„Ach, Anna, hör endlich auf, immer alles schwarzzumalen! Lass dich fallen und hör auf dein Herz! Als du so freudestrahlend in mein Büro kamst, habe ich mich für dich gefreut. Seit drei Jahren hast du nicht von Männern gesprochen, geschweige denn sie angeschaut. Es wird Zeit, dass du Thorsten hinter dir lässt! Das ist Vergangenheit, schreckliche Vergangenheit! Marc ist nicht Thorsten und es wird nicht wieder passieren! Ich weiß, dass du Angst hast, aber du musst den Mut haben und dich auf diese neue Erfahrung einlassen! Liebe ist immer ein Risiko, aber es lohnt sich, es einzugehen!“

Anna zögerte einen Moment, ließ Elisas Worte auf sich wirken, bevor sie ihr darauf antwortete. „Wahrscheinlich hast du Recht. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass ich wieder ein Verlangen nach Liebe und Nähe spüre. Das sollte ich nicht unterdrücken!“

Es hatte sehr lange gedauert, bis Elisa mehr über Annas Vergangenheit erfahren hatte. Anna hatte ihr erst nach einem Jahr erzählt, dass sie nach Paris gekommen war, weil sie von ihrem Freund weggelaufen war, der sie jahrelang terrorisiert hatte. Sie hatte alles in Deutschland hinter sich gelassen. Er musste sie unglaublich eingeschüchtert und ihr gedroht haben, besser niemals mit jemanden darüber zu sprechen. Mit der Zeit und mit Elisas Hilfe hatte sich Anna aber geöffnet. Allerdings hatte Elisa noch immer das Gefühl, dass weit mehr Dinge passiert sein mussten, über die Anna nie sprach.

„Genau! Schluss mit den finsteren Gedanken! Genieß es! Triff dich heute Abend mit ihm und schau, wie ihr euch versteht. Danach kannst du immer noch abwägen, ob es weitergehen soll oder nicht.“

„Du hast Recht! Danke, Elisa! Danke, dass du immer für mich da bist! Ohne dich wäre mein Leben nicht so schön. Das hätte ich damals nie gedacht, als ich nach Paris kam.“ Sie drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

Elisa ging zurück zu ihrem Schreibtisch, räumte das Manuskript weg und stellte ihr leeres Wasserglas an die Seite. Anna beobachtete sie dabei.

„Wie geht es dir, Elisa? Du siehst angespannt aus.“

„Du kennst mich gut!“ Sie zögerte kurz. „Ach, Anna, jetzt geht es dir gerade so gut, da will ich dich nicht mit meinen Problemen nerven!“

„Jetzt hör mir mal zu! Du bist immer für mich da und hast ein offenes Ohr für meine Probleme. Und wenn es dir nicht gut geht, möchte ich auch für dich da sein! Deshalb sag mir, was los mit dir ist! Ist etwas passiert?“

„Genau das ist das Problem! Es ist nichts passiert und ich frage mich die ganze Zeit, ob ich überhaupt ein Recht dazu habe, mich zu beklagen. Mein Leben ist perfekt! Ich müsste unglaublich glücklich sein, aber ich bin es nicht. Stattdessen fühle ich mich schlecht, irgendwie auch schuldig. Ich weiß nicht, was los ist! Aber ich will mich jetzt nicht weiter hineinsteigern. Lass uns lieber endlich essen gehen! Es ist schon spät.“

Die beiden verließen zusammen Elisas Büro. Anna fragte sich, was mit Elisa los war. „Bevor ich es vergesse, dein Bruder hatte vorhin angerufen. Ich wollte dir den Anruf durchstellen, aber du bist nicht rangegangen.“

***

„Chiara, bitte bring den Gästen an Tisch fünf die Speisekarten! Und Francesca, hier die Bestellung für Tisch sechzehn! Bitte zusätzlich einmal Antipasti auf Kosten des Hauses! Die Herrschaften mussten heute sehr lange warten, bis ich die Bestellung aufnehmen konnte.“

„Giorgio, so geht das nicht! Du kannst nicht immer alles auf Kosten des Hauses machen! Es ist völlig normal, dass man um die Mittagszeit in Paris etwas warten muss, da alle Menschen aus den Büros essen gehen.“

„Bitte, Francesca, diskutier jetzt nicht mit mir herum! Das ist in Ordnung! Das sind Stammgäste. Und ein bisschen Antipasti wird uns nicht arm machen!“

Francesca schüttelte den Kopf und zischte: „Ein bisschen Antipasti hier, ein bisschen Pasta da, ein bisschen Tiramisu dort…“

„Amore mio, warte!“ Francesca war bereits auf dem Weg zur Küche, drehte sich dann aber nochmal zu ihrem Mann um. Er kam ihr entgegengelaufen und drückte ihr einen dicken Kuss auf den Mund. „Sei mir nicht böse! Ich meine es nur gut mit unseren Gästen.“

Francesca stemmte die Hände in die Hüften. Ihr Gesicht erhellte sich nun aber und sie lächelte sanft. „Ich kann dir einfach nicht böse sein! Wie machst du das nur? Okay, einmal Antipasti auf Kosten des Hauses!“

Er lächelte ihr nach, als sie in die Küche verschwand.

Das Restaurant ‚Piccolo Mondo‘ hatte erst vor einem Jahr eröffnet. Normalerweise hatten Elisa und ihre Kollegen die Mittagspause in einem der vielen Cafés an der Seine verbracht. Der Weg dorthin führte an diesem Restaurant vorbei. Sie mussten lediglich die Straße überqueren, es befand sich direkt gegenüber dem Verlagsgebäude. Eines Tages hatten sie spontan entschieden, hineinzugehen. Der Empfang war so herzlich und das Essen so köstlich gewesen, dass sie innerhalb kürzester Zeit Stammgäste wurden. Von außen wirkte es unscheinbar, aber innen wartete ein großer, heller Raum auf, in dem viele kleine Tische standen, mit weißen Tischdecken, rotweiß karierten Tischläufern und weißen Gedecken liebevoll hergerichtet. Seit knapp einem Jahr kamen sie nun fast täglich zum Mittagessen hierher. Der Inhaber des Restaurants, ein Italiener namens Giorgio, begrüßte sie seitdem jeden Tag persönlich mit seiner italienischen Herzlichkeit. Elisa mochte ihn sehr und freute sich deshalb immer auf ihre Mittagspause. Er war um die fünfzig, klein, dunkelhaarig und man konnte ihm ansehen, dass er selbst gerne die eine oder andere kalorienhaltige italienische Köstlichkeit verspeiste. Doch sein leichtes Übergewicht, das sich hauptsächlich auf die Bauchregion konzentrierte, passte zu ihm und seiner warmherzigen Art, fand Elisa. Für jeden hatte er ein Lächeln übrig. Und vor allem strahlte er, wenn Elisa das Restaurant betrat. Manchmal ging sie nach der Arbeit noch einmal bei ihm vorbei und trank ein Glas Wein mit ihm. Vor zwölf Jahren war er mit seiner Frau und seinen Töchtern aus dem kleinen Städtchen Pizzo in Kalabrien nach Frankreich gekommen und sprach, wenn er nicht Italienisch sprach, Französisch mit italienischem Akzent. Nachdem er zunächst jahrelang als Kellner in verschiedenen italienischen Restaurants in Paris gearbeitet hatte, hatte er mit der Eröffnung seines kleinen Ristorantes nach vielen Jahren schließlich seinen Lebenstraum verwirklicht.

Kurz nach vierzehn Uhr stand Elisa auch an diesem Tag mit Anna in der Tür. Obwohl das Restaurant wie gewohnt rappelvoll war, nahm sich Giorgio genügend Zeit für sie.

„Ciao bella, come stai?“

Giorgio begrüßte erst Elisa, danach Anna mit zwei Küssen auf die Wange.

„Hallo, Giorgio! Danke, mir geht es gut“, entgegnete Elisa strahlend.

„Ich habe wie immer einen Tisch für euch freigehalten. Folgt mir bitte!“

Elisa ahnte bereits, wohin er sie führte. „Mein Lieblingstisch an der Theke“, freute sie sich.

„Ihr seid spät dran heute! Es war nicht einfach, den Tisch so lange freizuhalten.“

„Das ist sehr lieb von dir, Giorgio! Vielen Dank!“

Er zog einen Stuhl hervor und bat ihn Elisa zum Sitzen an. „Bitte nimm Platz!“ Das Gleiche tat er bei Anna. „Was darf ich euch heute bringen, meine Lieben?“

„Ich nehme das Tagesmenü und ein Glas Wasser, bitte“, sagte Anna.

„Und du, Elisa?“

Sie zögerte. „Ehrlich gesagt habe ich keinen richtigen Hunger mehr. Ich nehme erstmal nur ein Glas Wasser.“

„Das ist nicht dein Ernst! Du kommst in mein Ristorante, um ein Glas Wasser zu trinken? Principessa, nimm wenigstens eine Suppe oder einen Salat oder nein, warte, ich werde dir ein paar leckere Köstlichkeiten zusammenstellen. Lass dich überraschen!“

„Giorgio, das ist lieb von dir, aber ich möchte dir keine Umstände machen! Das Restaurant ist sehr voll. Ihr habt viel zu tun und ich habe eigentlich keinen Hunger.“

„Nein, keine Diskussion!“

Francesca kam in diesem Moment mit mehreren kleinen Tellerchen aus der Küche gelaufen. Ihre Blicke verrieten, dass sie ihren Mann suchte. „Giorgio, die Antipasti für Tisch sechzehn sind fertig. Serviere sie lieber rechtzeitig, sonst musst du als Entschädigung noch das Tiramisu ausgeben“, sagte sie mit gespielt grimmiger Miene.

Giorgio nickte ihr zu. „Bitte entschuldigt mich“, wandte er sich an Elisa und Anna. „Ich bin gleich wieder da, meine Lieben!“

Anna wagte erneut einen Versuch, mehr aus Elisa herauszukriegen. „Du machst mir Sorgen! Bitte sag mir, was mit dir los ist! Hat es etwas mit Sébastien zu tun?“

„Eigentlich wollte ich nicht darüber sprechen.“

„Ich bin deine beste Freundin! Du bist quasi verpflichtet, mit mir über deine Probleme zu sprechen!“

Elisa lächelte. „Sébastien und ich hatten heute Morgen wieder eine heftige Auseinandersetzung. Das macht mir etwas zu schaffen.“

„Worüber habt ihr dieses Mal gestritten?“

„Eigentlich sind es nur Kleinigkeiten. Wie du weißt, streiten wir ständig. Letztendlich geht es immer um ein und dasselbe: dass ich zu viel arbeite und zu wenig Zeit für ihn habe. Er hat nicht Unrecht damit, aber mein Job verlangt eben viel Einsatz von mir.“

„Elisa, beantworte mir nur eine Frage: Liebst du ihn noch?“

Es vergingen einige Sekunden, bevor Elisa reagierte. „Ganz ehrlich, ich weiß es nicht! Ich stelle mir diese Frage ständig, aber kenne keine Antwort darauf. Er ist ein Teil meines Lebens. Ein Teil, der ganz selbstverständlich dazugehört. Aber ob es sich dabei noch um Liebe handelt, ist mir absolut unklar. Nur kannst du mir bitte sagen, wie ich das herausfinden soll? Vor allem, wenn wir ständig streiten?“

„Vielleicht solltet ihr euch für eine Weile trennen.“

„Daran habe ich auch schon gedacht, nur fehlt mir der Mut dazu. Aber es muss etwas passieren. Ich merke selbst, dass mich das alles belastet. Weißt du, was mir gestern passiert ist?“

Anna schaute Elisa fragend an.

„Ich muss gestern meine Wohnungstür offengelassen haben“, erklärte Elisa.

„Wie meinst du das? Du hast vergessen abzuschließen? Das kann doch jedem mal passieren!“

„Nein, ich habe sie offengelassen! Die Tür meine ich. Sie war nicht zugezogen. Als ich nach Hause kam, war ich völlig entsetzt darüber. Zuerst dachte ich, dass jemand eingebrochen wäre, aber es fehlte nichts und sah auch nicht danach aus, dass jemand dort war.“

„Was? Das sieht dir gar nicht ähnlich! Dafür bist du viel zu gewissenhaft und kontrolliert.“

„Genau das meine ich! Ich kenne das auch nicht von mir. Andererseits kann ich mir schwer vorstellen, dass ich die Tür offengelassen habe, aber ich kann mich leider auch nicht mehr daran erinnern, sie zugezogen und abgeschlossen zu haben.“

„Und Sébastien kann das nicht gewesen sein?“

„Er war an dem Tag nicht bei mir. Ich habe ihn gestern Abend trotzdem gefragt, aber er war es nicht. Warum sollte er mich anlügen?“

„Und es fehlt wirklich nichts?“

„Nein, zumindest ist mir nichts aufgefallen.“

„Vielleicht solltest du zur Polizei gehen!“

„Und denen sagen, dass ich wahrscheinlich aus Versehen meine Wohnungstür offengelassen habe? Es fehlt nichts und es gibt keine Einbruchsspuren. Das Schloss funktioniert auch normal.“

„Hm…“

„Ich war gestern Abend noch bei Sophie. Sie arbeitet größtenteils von zuhause aus und ich dachte, dass ihr eventuell etwas aufgefallen wäre. Sie wohnt schließlich direkt neben mir. Es gab wohl auch eine seltsame Situation, aber vermutlich ist das alles völlig harmlos.“

„Was für eine Situation? Jetzt sag schon!“

„Als sie morgens vom Bäcker zurückkam, war ein unbekannter Mann im Hausflur. Sie meinte, er hätte sich wie ertappt gefühlt, als sie plötzlich auftauchte.“

„Und was ist dann passiert?“

„Nichts weiter. Sie sagte mir, sie hätte ihn angesprochen, er hätte aber nicht darauf reagiert. Sie meinte, dass es ihr so vorkam, dass er sie nicht verstanden hätte.“

„Auf Französisch meinst du?“

„Genau. Er hätte sie nur kurz angestarrt und wäre die Treppe hinuntergestürzt.“

„Hinuntergestürzt?“

„Na ja, vielleicht hatte er es nur eilig. Ich glaube nicht, dass das etwas zu bedeuten hat. Es wohnen schließlich noch andere Leute in dem Haus. Vielleicht kam er gerade von einer Wohnung weiter oben.“

Anna schüttelte den Kopf. „Für mich hört sich das seltsam an. Du solltest aufpassen, Elisa! Ich kenne Sophie und sie gehört nicht zu den Menschen, die gerne übertreiben. Wenn die Geschichte so stattgefunden hat, solltest du das nicht auf die leichte Schulter nehmen!“

„Aber wer sollte denn in meine Wohnung wollen? Das war sicher alles nur Zufall! Und obwohl ich mich nicht daran erinnern kann, habe ich garantiert selbst die Tür offengelassen. Vielleicht ist das diesem Mann aufgefallen und er hat darüber nachgedacht, nachzuschauen oder hineinzugehen. Gelegenheit macht Diebe heißt es doch. Dann kam zufällig Sophie und er fühlte sich ertappt.“

„Und ihr ist in dem Moment die offene Tür aber nicht aufgefallen?“

„Nein, blöderweise gibt es ja diese Ecke und da die Tür nur einen Spalt offenstand, hätte sie es nicht sehen können.“

***

Denis Kowalski hatte sich am Vortag die Wohnung von Elisa Arendt näher angeschaut, aber nichts Brauchbares dort gefunden. Es war ein Kinderspiel für ihn gewesen, sich Zutritt zu verschaffen, denn die Wohnungstür war nicht abgeschlossen gewesen. Wie konnte man nur so leichtsinnig sein, hatte er sich gefragt.

Nun wollte er heute sein Glück im Verlag versuchen. Er wusste nicht genau, wie er es anstellen sollte, aber bisher hatte er immer Mittel und Wege gefunden, um seine Aufträge zu erfüllen. Da er dieses Mal ausgiebig gefrühstückt hatte und es seinem Rücken deutlich besser ging, hatte er im Vergleich zum Vortag jede Menge Energie und mehr Durchhaltevermögen. Er hatte sich auf einer Bank vorm Verlagsgebäude niedergelassen, hielt einen Kaffeebecher in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand. Die Sonne schien, es war noch angenehm warm. Hier ließ es sich aushalten, dachte er. Es liefen ständig Menschen an ihm vorbei, größtenteils Büroangestellte, die vermutlich gerade aus ihrer Mittagspause zurückkehrten. Er hatte bereits eine gute Stunde hier gesessen, als er plötzlich seinen Augen nicht traute und Elisa Arendt zusammen mit einer anderen Frau um die Ecke biegen sah.

Wieder mal Glück gehabt, freute er sich. Er trat seine Zigarette aus und trank den letzten Schluck seines Kaffees, bevor er aufstand, den leeren Pappbecher in den Mülleimer warf und den beiden Frauen ins Gebäude folgte.

Elisa wartete mit Anna im Eingangsbereich auf den Fahrstuhl, nachdem sie ihre Chipcharte ans Lesegerät gehalten hatte. Ein Mann, der kurz nach ihnen aufgetaucht war, wartete mit ihnen. Elisa hatte sich kurz gewundert, dass dieser sich nicht mit einer Karte autorisiert hatte. Sie fand ihn irgendwie unangenehm. Auch sein Outfit war absolut unpassend für dieses schicke Bürogebäude, dachte sie.

Anna bemerkte, dass Elisa den Mann kritisch beäugte und sah ebenfalls zu ihm rüber. Sie wusste, dass es in der Mittagszeit länger dauerte, bis der Fahrstuhl kam. Das Gebäude hatte schließlich sechsundzwanzig Etagen. Da die meisten Franzosen spät zu Tisch gingen, gab es zu dieser Uhrzeit besonders großen Andrang an den Fahrstühlen.

„Nimm dir eine Auszeit, Elisa! Du hattest dieses Jahr noch keinen Urlaub! Pack deine Sachen und fahr irgendwohin, wo du schon lange hinwolltest!“

Elisa schaute Anna fragend an. „Willst du mich loswerden?“

„Klar, das weißt du doch“, antwortete Anna ihr mit einem Augenzwinkern. „Nein, ganz ehrlich, ich könnte mir vorstellen, dass es dir guttun würde, mal aus Paris rauszukommen. Meinst du nicht? Gibt es nicht noch ein offenes Reiseziel auf deiner To-Do-Liste?“

Elisa lächelte Anna an. „Doch, eigentlich schon! Ich wollte längst mal nach Korsika.“

In diesem Moment ertönte das Signal. Der Fahrstuhl war da. Der Unbekannte ließ die beiden Frauen zuerst einsteigen. Anna drückte den Knopf für die siebte Etage. Der Mann wollte offensichtlich ins zehnte Obergeschoss.

Elisa blickte zu Anna, die sich gegen den Spiegel im Fahrstuhl gelehnt hatte. Sie hatte das Gefühl, dass der fremde Mann sie regelrecht anstarrte. Sie spürte das, ohne ihn selbst noch einmal anzuschauen.

Anna, der die Situation ebenso unangenehm war, versuchte es mit Smalltalk. Der Typ würde sowieso nicht verstehen, was sich die beiden auf Deutsch unterhielten, war sie sicher.

Kurz darauf hielt der Fahrstuhl an. Sie waren zum Glück ohne Zwischenstopp in der siebten Etage angekommen. Elisa und Anna verabschiedeten sich bei dem Unbekannten mit einem kurzen „Au revoir“. Der Mann reagierte nicht darauf, schaute den beiden nur kommentarlos hinterher.

Elisa war froh, dieser unbehaglichen Situation zu entkommen. Vielleicht hätten sie besser die Treppe nehmen sollen. Ein kleiner Verdauungsspaziergang nach oben wäre sicherlich keine schlechte Idee gewesen.

Anna hastete plötzlich los, als sie aus der Ferne ein Telefonklingeln vernahm. „Bis später, Elisa“, rief sie ihr noch kurz zu.

Die Fahrstuhltür schloss sich in demselben Moment und Elisa blieb allein zurück. Sie schaute Anna nach und sah, wie diese ihre Handtasche an der Rezeption zu Boden warf und sich auf das klingelnde Telefon stürzte. Anna war zweiunddreißig, ein Jahr jünger als Elisa. Sie war fast einen Kopf kleiner als sie und hatte eine zierliche Figur, die fast zerbrechlich wirkte. Durch ihre blonden kurzen Haare kamen ihre blauen Augen gut zur Geltung. Früher hatte sie ihr Haar lang getragen. Sie hatten ihr immer unvorteilhaft im Gesicht gehangen, wie ein Vorhang, hinter dem sie sich hatte verstecken wollen.

Elisa schlenderte zur Damentoilette, um sich frisch zu machen. Sie ging zum Waschbecken und öffnete den Wasserhahn. Anstatt sich jedoch die Hände zu waschen, stütze sie ihre Arme auf dem Beckenrand ab und betrachtete sich im Spiegel. Sie sah ein blasses Gesicht, das müde wirkte. Sie schaute sich die Konturen ihres Gesichtes genauer an, musterte ihre Sommersprossen auf Nase und Wangen, ihre grünen Augen, die dunklen, langen Haare und die Strähnen, die ihr über die Stirn leicht ins Gesicht fielen. Sie entdeckte die vielen kleinen Grübchen und Fältchen, die sich in den letzten Jahren gebildet hatten. Das muss vom vielen Lachen gekommen sein, dachte sie bei sich. Sie war eine sehr gepflegte, attraktive Frau. Das wusste sie, man hatte es ihr oft genug bestätigt. Ihr gutes Aussehen hatte ihr schon viele Vorteile im Leben verschafft, vor allem bei Männern. Seit drei Jahren war sie nun in einer festen Beziehung mit Sébastien, doch sie hatte wenig Zeit für diese Liebe gehabt. Seit über einem Jahr war sie nicht mehr glücklich mit ihm und sie war zu rational, um an die große, romantische Liebe zu glauben. Sie ließ sich selten von Gefühlen leiten, obwohl es innerlich eine Stimme gab, die es manchmal gerne wollte. Doch sie konnte sich nicht unbeschwert fallen lassen oder leichtherzig an derartige Dinge herangehen. Sie musste immer alles unter Kontrolle haben, was zur Folge hatte, dass sie sich gefühlsmäßig zurückhielt. Gefühle konnte man schließlich nur schlecht steuern. Obwohl sie am Anfang gedacht hatte, wirklich in Sébastien verliebt zu sein, war dieses Gefühl schnell erloschen und hatte sie schlagartig in ihre Realität zurückgeholt. Tief im Inneren wusste sie, dass sie zu einem großen Teil die Schuld für das Scheitern ihrer Beziehung trug und es nur noch eine Frage der Zeit war, bis alles endgültig zerbrach. Sie musste die Beziehung beenden, war aber nicht in der Lage dazu. Eine zielstrebige Geschäftsfrau, die knallharte Verhandlungen führen konnte und immer genau wusste, wie sie ihre Ziele im Job erreichte, war tatsächlich nicht fähig, sich von ihrem Freund zu trennen.

Ein Geräusch holte sie aus ihren Gedanken zurück. Eleonore, eine ältere Dame aus der Finanzabteilung, kam zur Tür herein und grüßte freundlich. Elisa schaute ihr nach, bis sie in der Toilettenkabine verschwand. Erst dann bemerkte sie, dass sie das Wasser die ganze Zeit laufen lassen hatte. Sie drückte auf den Seifenspender, schäumte ihre Hände ein und wusch sie gründlich. Anschließend holte sie ihren Lippenstift heraus und zog sich ihre schmalen Lippen mit einem dezenten Rotton nach. Sie warf noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel, bevor sie den Raum verließ.

Ihr Büro befand sich am Ende des Ganges. Auf dem Weg dorthin kam sie an Cédrics Büro vorbei, der in der Vertriebsabteilung arbeitete und für die Vermarktung der Bücher zuständig war. Er hatte die Angewohnheit, bei offener Bürotür zu arbeiten. Der Lärm, der auf dem Gang teilweise vorherrschte, störte ihn nicht. Er vertiefte sich so sehr, dass er nichts um sich herum wahrnahm. Er leitete ein großes Team und kniete sich sehr in seine Arbeit. Er war unverheiratet, kinderlos und verbrachte die meiste Zeit im Büro, oft auch an den Wochenenden. Elisa hatte auch einige Samstage im Verlag verbracht, das waren allerdings nur Ausnahmen gewesen. So engagiert und ehrgeizig sie war, hatte sie zum Glück nie vergessen, neben der Arbeit auch zu leben.

Sie spähte in Cédrics Büro und sah, wie er umherlief. In der einen Hand hielt er seine Brille, in der anderen einige Zettel, die er betrachtete. Zwischendurch nahm er seinen Brillenbügel in den Mund und stieß seltsame Geräusche wie ‚ah‘ oder ‚ah non‘ hervor. Es war ein interessantes Schauspiel. Elisa schmunzelte. Cédric war um die Vierzig und sehr attraktiv. Allerdings war er mit seiner Arbeit verheiratet und in dieser Ehe gab es keinen Platz für eine echte Frau.

Als junges Mädchen hatte sich Elisa immer ausgemalt, mit Ende Zwanzig zu heiraten und mindestens zwei Kinder zu bekommen. Da die Beziehung mit Sébastien nicht mehr zu retten war, würde sich dieser Mädchentraum nun nicht mehr erfüllen. Wäre sie jetzt glücklicher, wenn es anders gekommen wäre? War das der Grund für ihre schlechte Stimmung in der letzten Zeit? War es jetzt zu spät für Kinder? Würde sie irgendwann wie Cédric einsam in ihrem Büro enden?

Sie sollte endlich zurück an ihre Arbeit gehen, ermahnte sie sich. Schließlich wollte sie auch wissen, wie der Roman ausging.

***

Es war spät und sehr kalt an diesem Abend. Der starke Nebel ließ nichts mehr von dem düsteren Wald erkennen, der das Haus umgab. Das Küchenfenster stand offen, die Kälte war im Raum zu spüren. Das schwache Licht flackerte. Vor einiger Zeit war eine der beiden Glühbirnen in der alten Lampe durchgebrannt. Er hatte sie nicht ausgewechselt. Durch den Wind, der durch das offene Fenster drang, bewegte sich die Lampe hin und her. Überall stand schmutziges Geschirr herum. An den Wänden waren Schimmelflecken. Auch der Boden war dreckig und es roch alt und muffig. Müll quoll aus einem Eimer. Seit Jahren kümmerte sich niemand mehr um das Chaos in diesem Haus und er allein war nicht in der Lage, den Haushalt zu führen. Er hatte es noch nie getan und würde es jetzt nicht mehr lernen. Es spielte auch keine Rolle für ihn, ob es sauber oder dreckig, aufgeräumt oder vermüllt war. Es würde sowieso nichts ändern.

Klaus Winter trat mit schwerem Gang in die Küche und lief mit seinen kaputten Stiefeln auf den Ofen zu. Auf dem Boden hinterließ er Spuren von Schlamm. Es hatte fast den ganzen Tag geregnet und er war heute ausnahmsweise draußen unterwegs gewesen. Es war lange her gewesen, dass er das Haus verlassen hatte. Doch jetzt musste er sich um ein paar Dinge kümmern und einiges regeln, bevor es zu spät war. Er würde noch das eine oder andere Mal in die Stadt fahren müssen.

Als er den Ofen erreicht hatte, beugte er sich mühsam nach unten und zog eine alte Schachtel hervor, die zwischen dem ganzen Holz versteckt war. Er ging zum Küchentisch und setzte sich. Wie immer war er allein. Es hatte in diesem Haus nie viele Menschen gegeben. Es war immer sehr still, manchmal sogar totenstill und kalt gewesen, eiskalt. Es vergingen einige Minuten. Es lag eine seltsame Ruhe über ihm. Er kratzte sich am Kinn und durchfuhr mit seinen schmutzigen Fingern seinen Bart. Schließlich öffnete er die Schachtel und zog aus einem Umschlag, der zwischen einigen Papieren und Zeitungen versteckt war, ein Bild hervor. Es war das einzige Bild, das er von ihr noch hier oben behalten hatte. Alle anderen hatte er weggebracht, weil er sie endlich vergessen wollte. Durch die Kälte, die durch das offene Fenster drang, konnte er seinen Atem sehen. Er starrte wie gelähmt auf das Bild und strich zärtlich mit seinen Fingern darüber. Wie sehr hatte er sie doch geliebt! Er würde sie niemals vergessen können. Auch die ganzen Jahre danach nicht.

Ein unerwarteter Knall riss ihn aus seinen Gedanken. Es war das Fenster, das der Wind zugestoßen hatte. Er steckte das Bild in seine Jackentasche, legte den Umschlag zurück in die Schachtel und brachte diese schließlich zurück an ihren ursprünglichen Platz. Anschließend löschte er das Licht und verschwand.

Mittwoch, 23. September 2015

Nun war es tatsächlich so weit gekommen. Elisa hatte sich für eine Auszeit entschieden. Sie war einfach davongelaufen, hatte alles stehen und liegen lassen. Sie hatte beschlossen, dass sich in ihrem Leben etwas ändern musste. Ob eine Flucht die Lösung ihrer Probleme war, war allerdings fraglich.

Sie stand auf dem Deck der Fähre und schaute in die Dunkelheit der Nacht, während sie ihren Tag noch einmal Revue passieren ließ. Im Hintergrund waren nur das Rauschen des Meeres und die Geräusche der Schiffsmotoren zu hören. Am Morgen hatte der Tag normal begonnen. Wie immer eigentlich. Halb sieben hatte ihr Wecker geklingelt. Das war schon immer eine ihrer großen Schwächen gewesen: Sie war kein Frühaufsteher und konnte grundsätzlich nicht nach dem ersten Klingeln aufstehen, sondern musste ihren Wecker mindestens noch ein- oder zweimal weiterstellen, um noch für einige Minuten länger ihren Kopf zwischen die Kissen zu stecken, bevor ihr der Alltag aufwartete. Als sie es Punkt sieben Uhr endlich geschafft hatte, aus dem Bett zu kommen, hatte sie wie jeden Morgen die Kaffeemaschine angestellt und war unter die Dusche gesprungen. Sie hatte anschließend mit einem Handtuch umwickelt vor ihrem Kleiderschrank und gleichzeitig ihrem zweiten morgendlichen Problem gestanden: der Auswahl ihres Outfits. Sie hatte Unmengen an Klamotten und es fiel ihr grundsätzlich schwer, sich für etwas zu entscheiden. Ihr Kleidungsstil war eher sportlich. Sie trug gerne bequeme Jeans und dazu einen schlichten Pulli, doch in ihrem Job war das nicht möglich. Sie beschränkte ihre Geschäftskleidung dennoch auf schlichte Blazer, einfarbige Blusen und dunkle Hosen. Letztendlich hatte sie sich an diesem Morgen für einen klassischen schwarzen Hosenanzug entschieden, kombiniert mit einer hellen Bluse und einer langen goldenen Kette. Ihre Haare hatte sie locker nach hinten gebunden. Halb acht hatte sie das Schlafzimmer endlich verlassen und sich ihre Tasse Kaffee geholt. Normalerweise trank sie zu dieser Jahreszeit ihren Kaffee morgens auf dem Balkon, doch an diesem Morgen hatte das Wetter nicht mitgespielt. Es war regnerisch und trüb gewesen, genau wie ihre Stimmung. Schließlich hatte sie ihre Wohnung verlassen und war mit dem Auto losgefahren. An diesem Morgen war es besonders stressig gewesen. Es hatte viel Verkehr und jede Menge rote Ampeln gegeben. Alles hatte zusammengepasst: ihre schlechte Stimmung, das trübe Wetter, der stressige Verkehr. Und plötzlich hatte es in ihrem Kopf ‚klick‘ gemacht. Es war wie bei einem Vulkan gewesen, der seit Jahren im Inneren brodelte, von außen aber keine Anzeichen gab, bald auszubrechen. Dieser Zeitpunkt war erreicht. Sie musste ausbrechen. Sie hatte ihren roten BMW bei der nächsten Gelegenheit angehalten, das Radio ausgestellt und überlegt, was sie tun sollte. Nach etwa zehn Minuten hatte sie den Motor schließlich wieder gestartet und war zurück nach Hause gefahren. Von dort aus hatte sie Anna angerufen.

„Guten Morgen, Anna! Hör zu, ich nehme mir eine Auszeit. Ich muss für ein paar Tage weg von hier. Du hattest Recht damit! Ich packe ein paar Sachen zusammen, komme dann aber nochmal kurz ins Büro.“

Sie wollte ihr Leben wieder in den Griff bekommen, es war nun Zeit dafür. Sie war viel zu oft vor etwas davongelaufen. Manchmal ließ sie sogar den Gedanken zu, dass ihre Entscheidung für Frankreich auch nur eine Flucht gewesen war. Nach dem kurzen Telefonat mit Anna hatte sie schließlich einen Koffer aus dem Schrank geholt und schnell ein paar Sachen eingepackt. Viel brauchte sie nicht. Sie hatte einen letzten prüfenden Blick in alle Räume geworfen und anschließend ihre Wohnung verlassen, um zum Verlag zu fahren. Dort hatte sie in ihrem Büro ebenfalls die wichtigsten Sachen zusammengepackt, die sie mitnehmen wollte. Auch in ihrem Büro hatte sie sich nochmal intensiv umgeschaut, als wäre sie zum letzten Mal dort gewesen. Anschließend war sie zu Anna an die Rezeption gegangen und hatte ihr von ihrem Vorhaben erzählt, an den Flughafen zu fahren und sich spontan für ein Reiseziel zu entscheiden.

„Sagst du bitte den anderen Bescheid?“, hatte Elisa sie gebeten. „Und bitte grüß Giorgio von mir, wenn du heute bei ihm essen gehst! Ich melde mich, sobald ich angekommen bin, wann und wo auch immer das sein wird. Wir telefonieren, okay? Etwas will ich aber unbedingt noch wissen: Wie war dein Date mit Marc gestern?“

Anna hatte gestrahlt. „Sehr schön!“

„Das freut mich! Du erzählst mir später die Details in aller Ausführlichkeit!“ Elisa hatte ihr zugezwinkert.

„Was ist mit Sébastien?“, hatte Anna wissen wollen.

„Ich melde mich von unterwegs bei ihm. Wir haben seit vorgestern nicht mehr miteinander gesprochen.“

Die beiden hatten sich noch einmal fest umarmt, bevor Elisa ihre Tasche genommen hatte und im Fahrstuhl verschwunden war. Sie war anschließend zur Bank und danach zum Flughafen gefahren. Im erstbesten Reisebüro hatte sie sich nach Last-Minute-Angeboten erkundigt. Der Süden würde ihr guttun, hatte sie gedacht. Dort würde es noch warm sein, den ganzen Tag die Sonne scheinen und vor allem wäre das Meer in ihrer Nähe. Ihre Wahl war schließlich tatsächlich auf Korsika gefallen, eine Insel, ein Stück Land inmitten eines weiten Meers, ein Ort der Ruhe, genau der richtige Platz für sie im Moment, um Abstand zu gewinnen und ihr Leben zu ordnen. Zumindest wollte sie das versuchen. Die Zeit bis zum Abflug hatte Elisa genutzt, um endlich Sébastien anzurufen, obwohl es ihr sehr schwergefallen war.

„Was soll das heißen, du bist am Flughafen?“, hatte Sébastien irritiert gefragt, als Elisa ihm von ihren Plänen erzählt hatte.

„Ich brauche eine Auszeit. Es tut mir leid! Das hat sich kurzfristig ergeben. Bitte versteh mich!“

„Elisa, wie soll ich dich verstehen? Deine Kurzschlusshandlung, heute spontan zu verreisen und dir eine Auszeit zu nehmen, spiegelt genau dein Verhalten wider, das im Grunde unsere ganze Beziehung kaputt gemacht hat. Du denkst nur an dich und teilst weder Gefühle noch Gedanken mit den Menschen, die dich lieben! Du lässt niemanden an dich heran! Alles ist so oberflächlich zwischen uns geworden und ich kratze bei dir nur noch an deiner äußeren Schale!“

Elisa hatte für einen längeren Moment geschwiegen. Diese Vorwürfe hatte sie noch nie von Sébastien in dieser Deutlichkeit gehört. Er hatte zwar einiges kritisiert, dabei oft aber nur ringsherum geredet.

„Sébastien, ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Ich weiß, dass ich viele Fehler gemacht habe, aber genauso hast du auch Fehler gemacht. Diese Vorwürfe höre ich heute zum ersten Mal von dir. Ich muss gestehen, dass mich das sehr verletzt!“

„Hör zu, Elisa, ich liebe dich und möchte dich nicht verletzen! Das weißt du. Aber du gibst mir zu wenig! Ich möchte mehr von dir! Aber ich möchte das nicht erzwingen. Wenn du nicht bereit dazu bist, macht das alles keinen Sinn!“

„Es tut mir so leid! Glaub mir das bitte! Es war nie meine Absicht, dir weh zu tun! Deshalb gib mir bitte die Zeit, um über alles nachzudenken! Ich habe sehr viel gearbeitet in der letzten Zeit und dich und unsere Beziehung vernachlässigt. Es ist einfach passiert und als ich es bemerkt habe, war es zu spät. Es stimmt, ich habe dich nicht mehr an mich herangelassen. Ich habe selbst nicht bemerkt, wie wenig Zeit ich mir gegeben habe, um mir über ein paar Dinge klar zu werden.“

„Elisa, es ist traurig, dass wir das am Telefon besprechen müssen. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass du nach unserem Streit einen Schritt auf mich zukommst! Ein einziges Mal! Aber stattdessen packst du deine Sachen und verschwindest.“

„Verzeih mir! Ich kann nicht anders!“

„Du musst deinen Weg gehen! Wenn dieser nicht mehr mit mir in dieselbe Richtung verläuft, muss ich das akzeptieren. Elisa, ich werde nicht länger versuchen, dich bei mir zu halten. Du bist frei und ich lasse dich gehen!“

„Sébastien…“

„Nein, sag bitte nichts! Es ist vorbei! Es ist aus mit uns! So schwer es mir fällt, aber das ist der einzig richtige Weg. Solltest du tatsächlich eines Tages zurück zu mir finden, bin ich gerne bereit, einen Neuanfang mit dir zu wagen. Aber nur, wenn du endlich im Reinen mit dir bist. Ich wünsche dir alles Gute, Elisa! Pass auf dich auf!“

Noch ehe Elisa darauf hatte antworten können, hatte Sébastien bereits aufgelegt. Alles, was er gesagt hatte, stimmte. Sie hatte ihn trotz seiner Bemühungen emotional nicht mehr an sich herangelassen. Das war ihr in diesem Moment klarer geworden als je zuvor. All die Streitereien zwischen ihnen waren nur ein Kampf seinerseits um ihre Liebe und Zuneigung gewesen. Sie hatte nicht den Mut und die Kraft aufgebracht, mit ihm Schluss zu machen und hätte es noch ewig so weiterlaufen lassen. Sie wusste, dass die Zeit, die sie sich von ihm erbeten hatte, um sich über alles klar zu werden, nur eine Ausrede gewesen war. Tief im Inneren war ihr schon lange klar gewesen, dass die Beziehung längst vorbei war. Sie liebte ihn nicht mehr und wahrscheinlich hatte sie ihn nie richtig geliebt. Die Trennung tat ihr dennoch unheimlich weh. Sie hatte einen lieben Menschen sehr verletzt und fühlte sich verdammt schlecht, dass sie ihm diese schwere Aufgabe überlassen hatte, weil sie selbst zu feige dazu gewesen war. Er hatte Recht, dass es der einzige und vor allem richtige Weg war, sich aus dieser unglücklichen Beziehung zu lösen. Es funktionierte nicht. Leider war es nicht das erste Mal, dass sie das traurig am Ende einer gescheiterten Beziehung feststellen musste. Wie jedes Mal konnte sie sich nicht erklären, wie es so weit gekommen war und warum sie nicht rechtzeitig vorher eingegriffen hatte. Warum war das immer so bei ihr? Die Gedanken, die nach dem Telefonat in ihr aufgekommen waren, hatten sie mit tiefer Traurigkeit erfüllt. Sie hatte wieder eine längere Zeit ihres Lebens nur vermeintlich glücklich verbracht und dies mit Entsetzen erst festgestellt, als es längst zu spät gewesen war. Unwiderrufliche Lebenszeit, die sie besser hätte nutzen können.

Nach dem Telefonat war alles mechanisch abgelaufen. Sie war durch einige Geschäfte geschlendert, ohne sich jedoch etwas anzuschauen, und war anschließend zur Sicherheitskontrolle gegangen. An Gate sechsundzwanzig hatte sie sich auf eine Bank gesetzt und gewartet, bis ihr Flug aufgerufen wurde. Beim Einchecken hatte sie sich für einen Fensterplatz entschieden. Elisa hatte bereits auf ihrem Platz gesessen, aus dem Fenster geschaut und gerade beobachtet, wie die Koffer verladen wurden, als ein junger Mann neben ihr Platz genommen hatte. Er war groß gewesen, hatte dunkelblonde Haare, blaue Augen und einen durchdringenden Blick gehabt, erinnerte sie sich. Nachdem er es sich bequem gemacht hatte, war kurze Zeit später eine kleine, dicke Frau aufgetaucht und hatte ihn angesprochen.

„Ich glaube, dass Sie auf meinem Platz sitzen!“

„Pardon, Madame, was sagen Sie?“

„Ich habe Platz 8C. Das ist dieser Platz hier.“

„Oh, Verzeihung! Einen Moment bitte!“ Elisa hatte beobachtet, wie er seine Bordkarte aus seiner Hosentasche gekramt und überprüft hatte. „Es tut mir leid, Madame! Sie haben Recht! Ich habe Platz 18C. Ich muss wohl die 1 übersehen haben.“

Er war aufgestanden, hatte seine Sachen zusammengepackt und noch einmal zu Elisa geschaut, die das Gespräch mitverfolgt hatte, bevor er seinen Platz im hinteren Teil des Flugzeuges angesteuert hatte.

Der Flug war schnell vergangen. Elisa hatte versucht, das Chaos in ihrem Kopf zu sortieren, war damit aber erfolglos geblieben. In Nizza hatte sie einen Zwischenstopp gehabt. Sie hatte sich an einen wunderschönen Sommer zurückerinnert, den sie als Studentin dort verbracht hatte. Von dort aus sollte die Fähre um halb elf Uhr abends ablegen und am nächsten Morgen gegen sieben Uhr in Bastia, dem nordöstlichen Hafen Korsikas, ankommen. Sie hatte die verbleibende Zeit in Vieux Nice, der Altstadt, verbracht und anschließend am Hafen zu Abend gegessen.

Gegen zehn Uhr stand sie nun auf dem Deck der Fähre und schaute in die Nacht hinaus. Sie zitterte, denn es war sehr kühl geworden und sie hatte sich keine Jacke übergezogen. Sie lehnte sich gegen die Reling und beugte ihren Kopf nach vorne, um die Wellen zu beobachten, die gegen das Schiff schlugen. Sie liebte das Meer, dessen Unbeständig- und Mächtigkeit. Sie schmunzelte, denn trotz allem freute sie sich auf die kommenden Tage. Sie würde sich endlich erholen und in aller Ruhe über ihr Leben nachdenken können.

Sie machte sich auf den Weg zu ihrer Kabine, die sie für die Nacht reserviert hatte. Als sie durch die Halle lief, sah sie den jungen Mann aus dem Flugzeug.

„Guten Abend, Monsieur! So schnell sieht man sich wieder. Sie wollen also auch nach Korsika?“