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Zunächst lebt Liz wie die anderen Leute in ihrem Alter ein ganz normales Teenagerleben. Sie hat einen wundervollen Freund, Freunde und Familie. Was will man mehr? Nun ja, vermutlich keine Flügel. Aber genau das ist es, was passiert. Aber nicht nur ihre neuen federigen Gefährten stellen ihr Leben auf den Kopf, sondern auch die Tatsache, dass sie plötzlich ihren Bruder wieder sieht. An und für sich nichts Dramatisches, wäre dieser nicht bereits seit zwei Jahren tot. Und als wäre das nicht schon genug, geschehen plötzlich auch noch rätselhafte Morde. Kaum tauchen die ersten Phantombilder des herumwütenden Serienkillers auf, verschwindet auch Liz´ Freund sang- und klanglos. Liz versteht die Welt nicht mehr. Aber Gott sei Dank, gibt es da diesen geheimnisvollen neuen Schüler, der mehr zu wissen scheint. Eine Reise zum Ursprung allen Lebens und durch Parallelwelten erwarten Liz. Und nicht zuletzt auch noch eine Reise zu sich selbst, denn sie ist nicht die, die sie zu sein glaubt.
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Seitenzahl: 636
Veröffentlichungsjahr: 2020
Wenn aus Träumen Wirklichkeit wird.
„Is all that we see or seem
But a dream within a dream?“
Aus „A Dream Within a Dream“ Edgar Allan Poe
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Prolog
Vor einem halben Jahr
Er nimmt meine Hände in seine und schaut mir tief in die Augen. Ich glaube fast in diesen wunderschönen himmelblauen Augen zu ertrinken. Mein Herz beginnt zu rasen. Sein Gesicht kommt meinem langsam näher und ich rechne damit, dass er mich küssen wird. Kurz vor meinen Lippen hält er jedoch inne und flüstert in mein Ohr.
„Liz, ich liebe dich. Willst du meine Freundin sein?"
Mein Herz flattert in meiner Brust und ich spüre ein angenehmes Kribbeln im Bauch. Ich lächele ihn an und schaue ihm tief in die Augen.
„Ich hatte schon befürchtet, du würdest mich nie fragen. Ja, will ich."
Er strahlt mich an und küsst mich. Ich bin so glücklich. Endlich sind wir zusammen. Ich muss später unbedingt Jenett anrufen. Wir schauen uns weiter tief in die Augen und halten Händchen.
„Magst du noch ein wenig spazieren?"
Ich nicke. „Ja, sehr gerne."
So gehen wir im Mondschein bei sternenklarem Himmel spazieren.
„Vielleicht sehen wir ja sogar eine Sternschnuppe."
Eine Sternschnuppe? Das wäre so toll.
„Ich habe noch nie eine Sternschnuppe gesehen."
Er schaut mich erstaunt an. „Wirklich nicht?"
„Wirklich nicht. Dabei lag ich oft nächtelang draußen und habe in den Himmel geschaut. Im Winter war das allerdings nicht sehr angenehm."
Er lacht und streicht sich eine zerzauste blonde Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Das glaube ich dir. Heute Nacht wirst du eine sehen. Das verspreche ich dir."
Er drückt meine Hand und wir schlendern weiter den Waldweg entlang. An einer großen grünen Lichtung im Wald bleibt er stehen und legt sich hin. Vorsichtig lege ich mich neben ihn. „Jetzt müssen wir nur noch warten."
Er lächelt mich an und mein Herz macht wieder einen Satz. Ich liebe sein Lächeln. Immer wenn er lächelt, habe ich das Gefühl die Welt bliebe stehen und es gäbe nur noch uns. Seine Augen leuchten immer, wenn er lacht, und in seinem Blick ist immer so viel Liebe. Ich fühle mich wie die First Lady.
Während wir die Sterne beobachten halten wir Händchen und kuscheln. Wir reden über alles Mögliche, über die Schule, über Freunde und unsere Hobbies. Wir reden auch über unsere Familien und so wie ich, lebt auch er nicht mehr bei seinen Eltern. Seine Mutter starb früh und sein Vater, so sagt er, ist verrückt. Langsam werde ich schläfrig, aber ich habe zu große Angst möglicherweise eine vorbeifliegende Sternschnuppe zu verpassen, also zwinge ich mich meine Augen offen zu halten. Die Luft kühlt langsam ab und ich rutsche noch ein wenig näher zu Jack. Ich weiß nicht wie lange ich es noch schaffe wach zu bleiben und ich glaube, er merkt es auch.
„Einen Augenblick noch. Gleich kommt bestimmt eine."
Er nickt mir zuversichtlich zu und dreht sein Gesicht wieder zum Himmel. Es ist schön so bei ihm zu liegen. Dann geschieht es. Ich sehe meine erste Sternschnuppe. Sie leuchtet strahlend hell und ihr langer Schweif ist elegant gewunden. Ich staune, ehrfürchtig vor der Schönheit dieses Naturphänomens. Ihr Anblick raubt mir den Atem, aber leider verschwindet sie wieder genauso schnell wie sie erschienen ist.
„Wusstest du, dass man sagt, dass jedes Mal, wenn eine Sternschnuppe erscheint, ein Engel geboren wird?", fragt er gedankenverloren und mit leicht träumerischer Stimme.
Es scheint fast so, als erinnere er sich an etwas, das sehr weit zurückliegt.
„Wirklich? Das habe ich noch nie gehört. Das ist eine wirklich schöne Vorstellung."
Kapitel 1
Ich liege am See, der im Wald in der Nähe unseres Hauses ist. Dies ist der letzte Tag meiner Sommerferien. Es werden meine vorletzten Sommerferien sein, denn ab morgen werde ich die Oberstufe besuchen und in etwas mehr als zwei Jahren hoffentlich mein Abitur bestehen.
Ich genieße die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut und die Ruhe an diesem See. Nicht viele aus der Gegend kennen diesen Ort, weil er ziemlich gut versteckt im Wald liegt. Hoffentlich würde ich so viele Kurse wie möglich mit Jenett oder Jack zusammen haben. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und blicke auf die sich kräuselnde Wasseroberfläche des Sees.
Ich bin nun so alt, wie mein Bruder Luke es war als er starb. Der Unfall ereignete sich vor etwa zwei Jahren und mein Leben hatte sich schlagartig geändert. Mein Bruder und ich waren unzertrennlich und er war immer für mich da. Wir spielten zusammen und er half mir bei meinen Hausaufgaben. Meinen Bruder und mich verband immer ein ganz besonderes Band und er war sowas wie mein älterer Zwilling.
Ich habe noch zwei kleinere Schwestern, die Lilo und Jackie heißen.
Nach dem Tod meines Bruders wollten meine Eltern wegziehen, aber ich brachte es damals nicht über das Herz, denn es war der Ort an dem Luke und ich zusammen aufgewachsen waren. Meine Eltern zogen mit den Zwillingen nach Irland, während ich hierblieb und jetzt bei meiner Tante Caroline lebe. Außerdem kann ich so weiterhin Zeit mit meiner besten Freundin Jenett und unserem gemeinsamen Kumpel Kyle verbringen. Vor einem halben Jahr lernte ich dann Jack kennen. Diese vier Menschen sind mein Lebensinhalt. Ohne sie wäre ich längst nicht mehr hier. Ich drehe meinen Kopf zurück zum Himmel und beobachte die vorbeiziehenden Wolken. Der Himmel hat mich schon immer magisch angezogen. Mein größter Wunsch ist es zu fliegen. Nicht mit dem Flugzeug. Niemals. Ich habe nämlich Flugangst und Klaustrophobie. Nein, ich hätte gerne Flügel. Ich habe einmal Jenett davon erzählt, woraufhin sie mich eine Träumerin nannte. Tja, sie kennt mich eben zu gut.
Ich lasse eine Hand ins Wasser gleiten und beobachte die Wellen, die meine Berührung verursacht hat. Ich könnte den ganzen Tag auf diesem Felsen am Ufer liegen bleiben.
„Wusste ich doch, dass ich dich vermutlich hier finden würde."
Scheinbar hat Jack meine Gedanken gelesen. Ich richte meinen Blick gen Himmel und schaue in seine Augen.
„Hey." Er setzt sich auf den Felsen neben mich.
„Du bist aufgeregt wegen morgen, oder?"
Ich nicke. „Etwas, ja."
Er nickt ebenfalls nur.
Nach ein paar Minuten sagt er dann: „So schlimm wird es bestimmt nicht. Du hast viele Freunde. Außerdem haben wir vier ähnliche Leistungskurse gewählt. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass du immer einen von uns bei dir hast."
Er tätschelt meine Hand und lächelt mich zuversichtlich an. Mein Bauch kribbelt wohlig so wie immer, wenn Jack bei mir ist. Er gibt mir Kraft und Mut weiter zu machen und die Welt nicht nur in schwarz und weiß zu sehen. Ich rutsche etwas zu ihm auf und lege meinen Kopf auf seinen Schoß. Kann die Zeit nicht einfach stehen bleiben?
„Am liebsten würde ich einfach so hier liegen bleiben."
Jack lacht. „Wir könnten die Schule schmeißen und durchbrennen. In Las Vegas heiraten."
Jetzt muss ich lachen. Das ist wirklich eine lustige Vorstellung.
„Und den Ring ziehst du wahrscheinlich aus einem 50 Cent Kaugummiautomaten, oder?"
„Natürlich. Nicht. Für dich würde ich auch ganz Vegas nach einem 1-Euro Automaten absuchen."
„Wie reizend."
Ich stupse ihn lachend an, was dazu führt, dass wir uns gegenseitig necken und anstupsen. Plötzlich verliere ich aber mein Gleichgewicht und falle in den See. Das Wasser perlt an meinen Armen ab und ich fühle mich schwerelos. Schade, dass Menschen atmen müssen. Ich könnte für immer in dieser Schwerelosigkeit bleiben. Ich tauche auf und sehe Jack, wie er sich über den See beugt. Ich ergreife die Chance und ziehe ihn mit einem schnellen Griff zu mir ins Wasser.
„Na, warte du."
Er schaut mich verschmitzt an und spritzt mir eine Handvoll Wasser ins Gesicht. Wir liefern uns eine Wasserschlacht, die vermutlich in die Geschichte aller Wasserschlachten eingehen würde.
„Hey, vielleicht sollten wir rausgehen, deine Lippen sind ganz blau."
Jack macht sich immer Sorgen um mich. Er ist der fürsorglichste Mensch, den ich kenne. Ich nicke und wir schwimmen ans Ufer, wo wir unsere Klamotten ausziehen, bis auf die Unterwäsche, um sie in der Sonne trocknen zu lassen. Wir liegen wieder auf dem Felsen und genießen die letzten Sonnenstrahlen für diesen Tag. Inzwischen dämmert es bereits. Nun sind die Stunden bis zum ersten Schultag wieder etwas näher gerückt.
„Ich glaube, wir sollten langsam mal heimgehen. Es ist schon 20 Uhr.
Ein neues Schuljahr beginnt man am besten ausgeschlafen."
„Du hast Recht. Außerdem wartet Caro sicher schon auf mich."
Ich schwinge mich auf die Beine und schnappe meine Kleidung.
Schweigend ziehen wir uns an, während die Sonne am Horizont immer tiefer sinkt. Ich umarme Jack und gebe ihm einen langen Kuss.
Er streichelt mir sanft meinen Rücken.
„Wir sehen uns morgen. Mach dir keinen Kopf wegen morgen. Es wird ein toller Tag."
Ich nicke. „Ich liebe dich."
„Ich dich auch."
Unsere Häuser liegen in zwei verschiedenen Richtungen und so müssen wir uns trennen und jeweils allein nach Hause gehen. Wie erwartet, wartet Caro bereits auf mich und wir essen zu Abend.
„Wie war dein Tag so?"
„War ganz toll. Ich lag am See und habe die Sonne genossen und Jack kam noch dazu."
Sie nickt. „Das ist schön. Ich war mit einer alten Freundin im Café. Sie ist kürzlich Mutter geworden. Sie sah richtig fertig aus. Ohje, ich bin ja so alt geworden."
Sie lacht etwas und runzelt die Stirn.
„Quatsch. Du hast doch schon eine 17-jährige Tochter. Das reicht doch."
Ich zwinkere ihr zu. Wir müssen beide lachen.
„Ja ein richtiges Riesenbaby habe ich da."
Ja, das bin ich dann wohl. Ich muss in mich hineinlachen, denn sie hat wirklich Recht. Ich kann wie ein Baby sein und jammern. Manchmal in der Schule, wenn ich kaum geschlafen habe und keine Lust auf die Schule habe, kaue ich Jenett den ganzen Tag ein Ohr ab und heule sie voll. Ich stehe auf und bringe mein Geschirr in die Küche. Ich bin so müde.
Ich sage meiner Tante „Gute Nacht.“, und gehe ins Bad, um mich bettfertig zu machen.
Im Bett liegen fühlt sich so toll an, als schliefe man auf einer Wolke und alles ist perfekt. In meiner Traumwelt liegen überall nur Kissen und Decken. Und Mohnblumen. Ich habe keine Ahnung wieso, aber ich liebe diese Blumen. Ich drehe mich auf die andere Seite und falte meine Hände unter der Wange. Viel bequemer.
Okay, ich sollte langsam versuchen zu schlafen. Morgen wird ein aufregender Tag. Vermutlich würde ich lange Schule haben. Schule... Nur noch zweieinhalb Jahre dann würde ich arbeiten, studieren oder eine Ausbildung suchen müssen.
Plötzlich wünsche ich mir wieder ein kleines Kind zu sein. Mit meinem Bruder spielen und abends Disney-Filme schauen. Erwachsenwerden ist echt nicht einfach. Würde ich wirklich, wie Jack meinte, die meisten Kurse mit einem von ihnen haben? Was soll ich tun, wenn er Unrecht hat? Mein Magen fängt an zu rumoren. Ich fühle mich wieder wie am Abend vor meinem ersten Schultag. Hilflos und verloren. Aber ich bin nicht verloren, rede ich mir ein. Ich habe mir nie Feinde in der Schule gemacht, also dürfte ich mit jedem recht gut auskommen. Meine Augenlider werden langsam schwer und mein Körper träge. Meine Gedanken driften davon...
Ich werde von Jamie Campbell Bowers Stimme geweckt. Nein, er ist es nicht in Person. Dann wäre ich wohl immer noch am Träumen. Ich liebe sein Lied "Better Man" so sehr, dass ich es als Weckton gewählt habe. Müde drehe ich mich zu meinem Handy, um den Wecker abzustellen. Langsam und genüsslich strecke ich mich und gähne ausgiebig. Schwer lasse ich mich zurück in die Kissen fallen. Immer diese ersten Schultage und Montage. Beides zusammen eine echt anstrengende Kombination.
„Liz! Denk erst gar nicht daran, dich nochmal umzudrehen.", ertönt Caros Stimme, gerade als ich mich zur Seite drehen will. Genervt verdrehe ich die Augen und stöhne.
„Hatte ich gar nicht vor."
Ich höre wie sie lacht. Na gut. Das würde ein toller Tag werden. Ich gehe ins Bad, mache mich frisch und betrachte skeptisch mein Spiegelbild. Meine langen schwarzen Locken sehen ausnahmsweise mal nicht total zerzaust aus, sondern fallen schön über meine Schultern. Vielleicht ist das ja ein gutes Zeichen und der Tag wird perfekt. Schnell laufe ich in mein Zimmer, ziehe mir meine geliebten ausgewaschenen, schwarzen Hotpants an und ein rotes Top. Der Duft von frischen Pfannkuchen steigt mir in die Nase und ich merke, wie mir das Wasser im Mund zusammenläuft. Caro macht die besten Pfannkuchen der Welt. Ich schnappe meine Tasche und stürme die Treppen runter. Ich drücke meiner Tante einen Kuss auf die Wange und mache mich über die Pfannkuchen her. Ich bin im Paradies. Sie hat sogar daran gedacht, sie mit Schokocreme zu bestreichen.
„Ich habe dir eine kleine Lunchbox zubereitet für die Mittagspause.
Ich hoffe, es wird dir schmecken."
Sie lächelt und trinkt etwas von ihrem Wasser.
„Das wird es. Deine Kochkünste sind unschlagbar, Tantchen."
Ich grinse und esse meinen Pfannkuchen nun etwas langsamer, um länger in seinen Genuss kommen zu dürfen. Dieser Tag könnte durchaus gut werden. Leider hält kein Pfannkuchen für die Ewigkeit und auch die Zeit bleibt nicht einfach so stehen. Ich verabschiede mich von Caro und nehme meine Tasche.
„Ich wünsche dir einen wunderschönen Schultag."
„Danke, und du hab einen schönen Tag in der Redaktion.", rufe ich ihr über die Schulter hinweg zu.
Auf dem Weg zur Bushaltestelle sauge ich jedes Detail meiner Umgebung in mich auf. Das strahlende Grün der umliegenden Bäume, die Schmetterlinge auf den Blumen unserer Nachbarn und der Geruch nach Sommer. Der Wind ist angenehm warm und ich fühle mich unglaublich wohl. Ich will mich gerade zu den anderen Schülern aus meinem Ort stellen, als hinter mir ein schwarzer BMW hält. Ich drehe mich um und sehe wie Jack das Fenster öffnet.
„Hey. Du musst nicht mehr mit dem Bus fahren. Hast du das etwa schon vergessen?"
Er grinst und winkt mich zu sich ins Auto. Stimmt. Er hatte in den Sommerferien ja seine Führerscheinprüfung bestanden und er angekündigt, sich nach seinem achtzehnten Geburtstag von seinen Ersparnissen einen Gebrauchtwagen zu kaufen. Da hat er wirklich einen guten Griff gemacht. Ich lasse mich neben ihn auf den Beifahrersitz gleiten. Die anderen Schüler starren uns mit offenem Mund an. Das ist der einzige Nachteil oder gewöhnungsbedürftige Umstand an Jack. Er ist ziemlich beliebt und dadurch schenkt man uns so manche Aufmerksamkeit. Vermutlich auch, weil mir niemand zugetraut hätte, mit so jemandem wie Jack zusammen zu kommen.
Ich habe mit niemandem Probleme, aber ich bin auch nicht gerade angesagt und die meisten sehen mich eben eher als durchschnittlich, mich selbst eingeschlossen.
„Pass mal auf, was der draufhat!"
Ich schaue Jack an und merke wie euphorisch er schaut. Männer und ihre Autos. Als Jack aber Gas gibt komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Pünktlich würden wir auf jeden Fall ankommen, das ist mal sicher. Die Landschaft rast nur so an uns vorbei. Wir sind bald an der Schule und parken auf dem Schülerparkplatz. Wir dürfen unter keinen Umständen auf dem Lehrerparkplatz parken. Wenn doch - dann wird das Auto abgeschleppt. Jason aus unserer Stufe durfte das schon einmal erleben. Er sah damals nicht sonderlich glücklich aus.
Selbstverständlich musste er die Abschleppkosten auch selbst übernehmen.
Langsam rückt das Schultor näher heran und ich sehe schon Jenett und Kyle, sowas wie ihr Fast-Freund. Ich laufe mit ausgestreckten Armen auf meine Freundin zu und umarme sie. Sie stolpert etwas zurück und wir halten uns lachend in den Armen. Jack tritt neben uns.
„Mädchen. Dabei sehen sie sich doch mindestens dreimal die Woche."
Kyle nickt lachend und klopft Jack zur Begrüßung auf die Schulter.
Jenett und ich lösen uns aus unserer Umarmung und ignorieren die Jungs und ihre Kommentare.
„Hast du schon den Neuen gesehen?"
Jenett zieht fragend eine Augenbraue hoch.
Ein neuer?
„Nein. Du etwa?"
Sie schweigt kurz und antwortet dann.
„Nein, noch nicht. Aber Ashley hat ihn wohl schon gesehen. Er soll abnormal gut aussehen. Schwarzes Haar, braune Augen, groß und kräftig gebaut. Perfekt eben."
Sie zuckt mit der Schulter und sieht mich abwartend an. Bevor ich etwas antworten kann mischt Jack sich ein.
„Klingt ja wirklich heiß der Kerl. Also...wäre ich nicht hetero und hätte eine wundervolle Freundin..."
Ich stupse ihn lachend in die Seite. Jack und seine alberne Art. Ich gebe ihm einen Kuss und lächele ihn an. Der Schulgong ertönt. Unser Einsatz in die Schule zu gehen.
„Kyle und ich müssen in den Raum Bio 1, weil unsere Namen am Ende des Alphabets stehen. Du und Jack müsst in Physik 2. Wir bekommen dort alle wichtigen Informationen und unsere Stundenpläne."
Jetzt ist es also soweit. Die erste Stunde hat noch nicht angefangen und ich muss mich schon von meiner besten Freundin trennen.
Immerhin habe ich das Glück, dass Jacks Name, genau wie meiner mit M beginnt.
„Du bist immer so gut informiert, Jen. Ohne dich wäre ich definitiv verloren."
„Weiß ich doch. Deshalb gucke ich doch immer für dich mit."
Sie zwinkert mir zu und wir gehen ins Schulgebäude. Jack und ich halten uns an den Händen und er streichelt mit seinem Daumen sanft über meinen Handrücken. Er merkt wohl, dass ich nervös bin. Er ist wirklich feinfühlig. Wir gehen die Treppen hinauf zum Physikraum.
Auf dem Weg sehe ich viele bekannte Gesichter und ich grüße freundlich nickend zurück. Es ist ein seltsames Gefühl nach sechs Wochen Ferien wieder hier zu sein und so ahnungslos wie in der fünften Klasse. Der Raum ist schon ziemlich voll, aber Jack ergattert noch einen letzten Stuhl und nimmt mich auf seinen Schoß. Ein richtiger Gentleman. Hoffentlich tue ich ihm nicht weh. Jen meinte mal ich hätte echt harte Knochen am Po. Herr Hermes betritt den Raum und bringt uns zum Schweigen.
„Guten Morgen, liebe Schüler. Willkommen in der elften Klasse."
Die nächsten zwei Stunden versorgt er uns mit ausreichend Informationen über unser „kommendes Abenteuer“ und an manchen Stellen wird mir richtig flau im Magen. Jetzt ist er da, der Ernst des Lebens. Als wir den Raum verlassen, um in die große Pause zu gehen, sehe ich ihn. Alex. Sein Nachname ist Eleison, stelle ich fest, als er von einem Lehrer zu sich gerufen wird. Ich habe ihn nur kurz angesehen, jedoch muss er es sofort gemerkt haben und dreht sein Gesicht zu mir. Mir bleibt der Atem stocken. Er ist wirklich wunderschön. Jen hat nicht übertrieben. Eher noch untertrieben. Freundlich lächelt er mir zu und wendet sich dann dem Lehrer zu. Ich spüre ein Kribbeln an meinem Rücken zwischen den Schulterblättern. Merkwürdig.
„Alles gut bei dir?" Jack schaut mich fragend an.
Ich muss wirklich überrascht aussehen, denn er schaut in die Richtung, wo Alex steht. Er seufzt und schaut mich zweifelnd an.
„Bist du ihm schon verfallen oder bin ich noch im Spiel?"
Bitte was? Ich bin entsetzt.
„Jack, sag doch sowas nicht! Du bist der Junge, den ich liebe und den ich nie verlieren will."
Sein Gesicht erhellt sich und er grinst glücklich.
„Weiß ich doch, meine Hübsche. Ich wollte nur hören, wie du es sagst."
Er gibt mir einen Kuss auf die Wange und wir gehen Händchen haltend in die Pause. Dieser Frechdachs.
Draußen warten schon Jen und Kyle auf uns und wir vergleichen sofort unsere Stundenpläne. Jack hat Recht behalten. Ich habe tatsächlich in jedem Kurs mindestens einen der Dreien bei mir.
Wundervoll. „Warte mal Liz."
Ich schaue Jen fragend an.
„Bist du in Geschichte Leistungskurs 2?"
Mein Blick huscht auf meinen Stundenplan. Geschichte Leistungskurs 1. Enttäuschung breitet sich in mir aus. Ich schüttele den Kopf.
„Nein, Leistungskurs 1."
Jen verzieht das Gesicht. „Dann sind wir wohl beide auf uns allein gestellt in Geschichte."
Sie runzelt die Stirn und schaut unzufrieden.
„Nicht ganz. Ich bin bei dir in Geschichte, Jen." Kyle mischt sich ins Gespräch.
So ein Glück für Jen. Sofort hellt sich ihre düstere Miene auf, so als sei gerade die Sonne in ihrem Gesicht aufgegangen. Immerhin muss eine von uns nicht alleine sein. Ich würde schon Freunde finden für die Geschichtsstunden. Die Pause ist viel zu schnell vorüber und auch der restliche Vormittag vergeht schnell. In der Mittagspause sitzen wir draußen auf dem Schulhof unter einer Trauerweide und genießen die warme Sonne.
„Ich bin so müde. Ich will nur noch heim." Jen jammert und ihre Müdigkeit steht ihr wirklich ins Gesicht geschrieben.
Vermutlich hat sie die gesamte Nacht mit Kyle geschrieben. Wir haben noch zwei Stunden vor uns und das sind bei mir und Jen zwei Stunden Geschichte. Jack hat lieber Sozialkunde gewählt, leider.
„Willst du denn gar nichts essen, Liz?"
Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch und schaue Jack an.
„Ja. Doch."
Er grinst. „Dann würde ich an deiner Stelle mal damit anfangen. Du bist immer so verträumt."
Da hat er allerdings recht. Jen schaut mich amüsiert an und Kyle schaut sie verliebt an. Wie kann jemand nur so blind sein wie Jen. Es ist so offensichtlich, dass Kyle über beide Ohren in sie verliebt ist. Ich würde ihr das wohl nochmal klar machen müssen. Das hier kann man ja nicht mit ansehen. Schließlich öffne auch ich meine Lunchbox, die Caro mir eigenständig für heute kreiert hat.
„Ohh. Wie toll."
Ich grinse über das ganze Gesicht und könnte platzen vor Freude. In meiner Box liegen Pfannkuchen mit Schokocreme, Erdbeeren und ein Stück meines Lieblingskäses. Meine Freunde schauen mich an und lachen. „Liz und ihr Essen." Jen lacht und mopst sich eine meiner Erdbeeren. Jack lacht ebenfalls.
„Da hat Caro sich aber mal wieder selbst übertroffen."
Genüsslich beiße ich in einen der Pfannkuchen und fühle mich augenblicklich wie auf Wolke Sieben. Die Mittagspause endet viel zu schnell und ich muss zu Geschichte gehen. Jen umarmt mich kurz.
„Du packst das schon. Dich mag jeder. Du bist so ein typischer Sonnenschein-Mensch."
Ich nicke stumm und lächele.
„Sie hat Recht. Das wird schon." Jack beugt sich zu mir und gibt mir einen Kuss.
Sofort erfüllt sich mein Inneres mit Wärme. Ich drücke ihn und lege meinen Kopf an seine Brust. Tief sauge ich den Duft von seinem Aftershave in mich hinein. Sanft streichelt er über meinen Rücken.
Viel zu schnell ist die Umarmung vorüber und wir müssen uns trennen.
Eilig gehe ich zu dem Raum, wo ich nun die nächsten zwei Stunden allein sitzen würde. Es sind bereits Leute im Raum und ich erkenne nur wenige von ihnen als alte Klassenkameraden wieder und so setze ich mich an einen Platz am Fenster. Die anderen sitzen an den Plätzen bei der Wand. Ich fühle mich jetzt schon einsam und verloren. Ich hatte im letzten Schuljahr bereits einen langen Nachmittag, allerdings hatte ich da Jack und Jen bei mir, weshalb es niemals langweilig wurde und die Stunden sich nicht so sehr dahinzogen. Diese Stunde würde sich wohl jetzt dahinziehen. Hoffentlich ist der Lehrer nett und gestaltet den Unterricht gut genug, um mein Interesse zu wecken und mich zu beschäftigen. Wenn mich etwas nicht interessiert drifte ich automatisch, egal wie viel Mühe ich mir gebe, es nicht zu tun, mit den Gedanken davon.
Ich schaue aus dem Fenster und blicke sehnsüchtig in den Himmel.
Ich stelle mir vor wie ich in die Luft steige, mich frei von meinem schweren Körper mache und immer höher steige.
Plötzlich fängt wieder die Stelle an meinem Rücken an zu kribbeln, wie heute Morgen - nur dieses Mal stärker. Meine Beine stoßen gegen den Tisch und ich falle ein, zwei Zentimeter auf meinen Stuhl.
Was war das denn? Drehe ich jetzt völlig durch? Was zur Hölle ist das gewesen? Perplex starre ich auf meine Füße, die fest auf dem Boden stehen
„Ist neben dir noch frei?"
Ich schrecke auf und gucke überrascht den Jungen vor mir an. Der Neue hat mich gefragt, ob er sich neben mich setzen darf. Ich nicke schnell aus Angst unhöflich zu wirken.
„Ja, natürlich. Hier ist genug Platz." Ich lächele ihn an.
„Danke. Das ist freundlich von dir. Ich bin übrigens Alex. Alex Eleison."
Ja, ich erinnere mich an seinen Nachnamen.
„Ich bin Liz. Liz Mey."
Er nickt lächelnd mit dem Kopf. „Nett dich kennenzulernen, Liz."
„Ebenso."
Bevor wir ein richtiges Gespräch anfangen können, kommt der Lehrer ins Klassenzimmer.
Er stellt sich als Herr Zacharius vor und erklärt uns kurz das Fach Geschichte. Er hat eine wirklich interessante Art sich auszudrücken und ich hänge ihm sofort an den Lippen. Wir beginnen mit der Antike in Griechenland und da ich eine Leidenschaft für die klassische Mythologie empfinde, habe ich keinerlei Probleme mit zu arbeiten.
Einmal merke ich wie Alex mich bewundernd mit großen Augen ansieht und ich merke wie mich ein Gefühl von Stolz erfüllt. Ich schaue in dieser Stunde kein weiteres Mal aus dem Fenster, sondern lebe voll und ganz für den Unterricht, der sich vor mir abspielt.
Die Schulglocke reißt mich schließlich aus meinem Eifer und meiner Trance. Eine Welle der Enttäuschung breitet sich in mir aus. Es kommt nicht sehr oft vor, dass ich mir wünsche die Schulzeit würde langsamer vergehen. Ich packe meine Sachen ein und stelle meinen Stuhl hoch.
Als ich das Klassenzimmer verlasse, läuft Alex neben mir.
„Du bist wirklich schlau, Liz."
Ich merke wie ich rot werde und streiche mir verlegen eine Strähne meines Ponys hinter das Ohr. „Danke. Aber das liegt nur daran, dass ich mich einfach für das Thema interessiere."
Er schaut mich nachdenklich an und nickt. „Und?"
„Was denn?" Ich schaue ihn verwirrt an. Habe ich eine Frage von ihm überhört? Muss ich vielleicht zum Ohrenarzt?
„Glaubst du an Götter oder Gott? Oder sogar an Engel?"
Das ist wirklich eine interessante und gute Frage, auch wenn sie aus völlig heiterem Himmel kommt. Ich muss kurz über die Frage nachdenken.
„Naja. Was heißt glauben. Ich bin christlich erzogen worden, aber ich betrachte die Dinge gerne rational. Allerdings finde ich den Gedanken, dass es mehrere Götter gibt, besser als den, dass es nur einen gibt. Wir haben doch schon zu oft an unserer Geschichte gesehen, wie die Dinge verlaufen, wenn jemand allein die ganze Macht besitzt. Aber über Engel habe ich nie so richtig nachgedacht."
„Das ist in der Tat ein sehr gutes Argument. Also ich finde die Dramen und vor allem die Dichtungen von Ovid über die griechische Mythologie toll."
Als ich diesen Satz, diesen Namen von diesem Dichter höre, macht mein Herz einen Satz. Sofort denke ich an sämtliche Lateinstunden zurück, in denen ich Ovid übersetzt hatte.
„Ich liebe Ovid. Ich kenne nur wenige, die das genau so sehen. Die meisten aus meiner alten Klasse haben Latein abgewählt. Ich weiß nicht mal, ob irgendwer es beibehalten hat. Ich werde wohl erst morgen wissen, mit wem ich alles in Latein sitzen werde."
Jen hat es auf jeden Fall abgewählt und stattdessen Französisch weiter lernen wollen.
„Naja, also ich werde auf jeden Fall in deinem Latein-Kurs sitzen. So wie ich das verstanden habe, gibt es dieses Jahr ja nur einen."
Oh prima. ich würde nicht allein sein morgen. Alex ist wirklich freundlich. Mit ihm kann man sich bestimmt gut unterhalten und auch mal Späße machen.
„Ach wirklich? Ja, das habe ich auch schon gehört. Wir können uns ja nebeneinandersetzen, wenn du magst."
Ich schaue ihn an und bemerke wieder einmal seine intensiven braunen Augen. Sie ziehen mich wie einen Strudel in sich. Ich glaube in ihnen versinken zu können. Da wird mir bewusst, wie seltsam mein Blick sein muss und ich befreie mich aus meiner Trance.
Er nickt. „Klar, gerne."
Inzwischen sind wir draußen angekommen und ich stelle fest, dass mein Rücken noch immer kribbelt. Seltsam. Werde ich vielleicht krank? Mir fällt wieder ein, was mir zu Beginn der Geschichtsstunde passiert ist. Bin ich wirklich in der Luft geschwebt? Ich schaue wieder zum Himmel hinauf und merke, wie mein ganzes Inneres sich zu ihm hingezogen fühlt. Ich habe mich schon immer nach der Weite des Himmels gesehnt, jedoch war dieses Verlangen noch nie so stark wie jetzt.
„Liz. Da bist du ja endlich."
Ich suche die Stimme, die nach mir gerufen hat. Ich entdecke nur wenige Meter von mir entfernt Jack, Jen und Kyle.
„Na dann noch einen schönen Abend. Wir sehen uns dann morgen.
Liz." Alex winkt mir freundlich lächelnd zu und geht davon.
Der Junge ist wirklich atemberaubend. Ich gehe zu meinen Freunden und Jack nimmt mich sofort in den Arm.
„Und, wie war Geschichte?"
„Es war unglaublich. Ich habe noch nie einen so spannenden Unterricht erlebt."
Fröhlich, strahle ich vor mich hin und schenke meinen Freunden ein Lächeln. Jack erwidert es und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht.
„Das ist doch schön. Dann lass uns mal Heim fahren."
Ich nicke und drücke Jen zum Abschied.
Die Fahrt nach Hause geht schnell vorbei und zu Hause angekommen mache ich mich schnell auf den Weg zu Terrys Ranch. Dort steht sie.
Meine hübsche schwarze Araber Stute. Ich habe sie Tenshi genannt.
Es ist japanisch und bedeutet Engel. Immer wenn ich auf ihr reite, habe ich das Gefühl zu fliegen, wie ein Engel und so fühle ich mich nur bei ihr. Deshalb war und bin ich der Meinung, dass sie ein Engel ist.
Da Jack noch arbeiten muss nach der Schule, habe ich noch etwas Freizeit und kann mit Tenshi ausreiten. Ich schwinge mich auf ihren Rücken und sie setzt sich auf mein Zeichen hin in Bewegung, wobei es bei unserer Kommunikation nur weniger Zeichen benötigt. Meistens scheint sie genau zu wissen, was ich will. Sie wechselt in den Galopp und wir brausen durch den Wald. Gierig sauge ich die frische Luft in mich auf und genieße jeden einzelnen Sonnenstrahl auf meiner Haut.
Wir durchqueren eine Allee voller Kirschbäume und reiten durch einen Kirschblütenregen. Ich liebe Kirschblüten. Diese wunderschönen mit rosa Blüten gezierten Bäume erfüllen mein Herz mit größter Freude. Es ist immer wieder ein atemberaubender Anblick. Dieser Ausritt ist einer der schönsten Ausritte, die ich je erlebt habe. Unsere Ausritte haben immer etwas Besonderes an sich, doch dieser hier ist perfekt. Heute ist so ein schöner Tag. Ein Gefühl von endloser Freiheit breitet sich in meiner Brust aus. Das Trommeln von Tenshis Hufen auf dem Waldboden lässt meinen ganzen Körper vibrieren. Alles um mich herum erscheint mir so lebendig und auch ich fühle mich lebendiger denn je.
Wir bewegen uns immer schneller über die Landschaft und ich habe wieder das Gefühl zu fliegen. Wieder spüre ich das Kribbeln zwischen meinen Schulterblättern und wieder ist es etwas stärker als zuvor.
Was ist das nur? Trotz dieses bedenklichen Kribbelns schiebe ich diese Frage bald wieder nach hinten und konzentriere mich voll und ganz auf Tenshis und meinen Körper, die zusammen eine Einheit bilden.
Kurz bevor wir die Koppel erreichen, glaube ich einen schwarzen, langen Schatten vorbeihuschen zu sehen, aber als ich genauer hinsehen will, ist nichts zu sehen. Das einzig Ungewöhnliche, das ich wahrnehme, ist ein schwerer Duft nach Rosen, der mir irgendwie bekannt vorkommt.
Irritiert schüttele ich den Kopf und dirigiere Tenshi in Richtung Koppel. Bestimmt sind meine Sinne überreizt von den ganzen neuen Eindrücken heute.
Erst jetzt bemerke ich, dass die Sonne sich bereits langsam gen Westen bewegt. Ich schätze es ist etwa 19 Uhr. Ich putze meine geliebte Stute und gebe ihr ein paar Leckerlis.
Am Gatter hebe ich meinen Rucksack auf und mache mich wieder auf den Heimweg, nachdem ich Terry Auf Wiedersehen gesagt habe.
Ein köstlicher Geruch steigt mir in die Nase, als ich Zuhause ankomme. Caro ist am Kochen. Ich stürme ins Haus und werfe meine Tasche achtlos in eine Ecke und falle meiner Tante um den Hals.
„Wow-Wow. Immer langsam. Was ist denn mit dir los?"
Sie lacht überrascht auf. Ich drücke sie kurz bevor ich mich von ihr löse.
„Ach nichts. Nur den spannendsten Unterricht meines Lebens und den vermutlich besten Ausritt meines Lebens."
Caro lächelt und rührt etwas im Kochtopf um.
„Das habe ich mir ja beinahe schon gedacht. Geh und dusch dich.
Essen ist bald fertig."
Ich nicke eifrig und gehe die Treppen hoch zum Bad.
Die Klamotten sind so dreckig von dem Staub, den Tenshi bei unserem Ausritt aufgewirbelt hat, dass ich sie in die Wäsche tun muss. Das kühle Wasser erfrischt jede einzelne Faser meines Körpers und ich fühle mich wie elektrisiert. Völlig entspannt shampooniere ich meine Locken und seife meinen Körper ein. Das Wasser erinnert mich an prickelnde Brause auf der Zunge.
Schließlich stapfe ich aus der Dusche, trockne mich ab, ziehe mich an und gehe runter zum Abendessen. Caro stellt mir ein paar Fragen über die Schule, die ich ihr auch beantworte, und wir reden über ihren Tag in der Redaktion.
Letztendlich ergreift mich aber doch eine schwere Müdigkeit und ich gehe, nachdem ich mir die Zähne geputzt habe, ins Bett. Wohlig rolle ich mich unter meiner Decke ein und bin völlig glücklich. Dieser Tag hätte wirklich nicht besser sein können. Ich merke wie meine Augenlider schwer werden und ich wegdrifte.
Ich liege auf einem großen und weiten Mohnblumenfeld. Sanft weht mir eine Windböe durch das Haar. Ein kleiner prickelnder Schauder läuft mir über den Rücken. Die Luft riecht wundervoll erfrischend und erinnert mich an ein edles Parfüm. Es ist angenehm warm hier und ich liege so weich auf dem Boden. Ich schaue zum Himmelszelt hinauf, wie ich es so oft tue. Der Himmel ist azurblau und die Sterne funkeln wie tausende Diamanten. Wunderschön denke ich mir. Ich verschränke meine Arme unter meinem Kopf und suche den Himmel nach Sternbildern ab. Mein Bruder hatte sie mir als kleines Kind alle beigebracht und mir die Bedeutung ihrer Namen erklärt. Zwischen den ganzen Sternen sehe ich auf einmal zwei strahlende Gestalten mit prächtig schillernden Schwingen. Sie sehen aus wie Engel. Sie scheinen herumzualbern in der Luft. Die eine Gestalt ist etwas zarter und zierlicher als die andere und schlägt einen Salto nach dem nächsten. Mein Herz flattert bei diesem Anblick vor Freude und ich stelle fest, wie sehr ich mich danach sehne, mit ihnen zusammen dort oben zu sein. So nah bei den Sternen und völlig losgelöst von der Schwerkraft.
Kapitel 2
Vor fünf Monaten
Jack hat mich zu ihm eingeladen und ich bin auf dem Weg zu ihm.
Meine Füße berühren leicht den Waldboden unter meinen Füßen und ich kicke zwischendurch Steine aus dem Weg. Es ist früher Abend und der Wind streicht mir durch die Haare. Eine Strähne verfängt sich in meinem Gesicht und ich lege sie hinter mein Ohr. Dafür, dass der Frühling naht, ist es noch ziemlich kalt und ich ziehe den Kragen meiner Jacke höher. Mein Atem bildet kleine Wölkchen vor mir in der Luft. Langsam steigen sie in den Himmel und lösen sich auf.
Träumerisch blicke ich ihnen hinterher. Langsam kommt Jacks Haus näher und ich schlinge meine Arme enger um mich. Es ist wirklich verdammt kalt. Warm leuchtendes Licht strahlt durch die Glasfassade des zweiten Stockwerkes. Mir wird warm ums Herz als ich sehe, dass das Licht von einer Menge Kerzen herrührt. Ich gehe den Pfad zum Haus entlang. Im Türrahmen steht er. Jack. Mein Herz macht freudige Sprünge. Ein Meter trennt uns jetzt nur noch. Diese Nacht ist verzaubert. Das Firmament ist von Sternen hell erleuchtet und der Schnee glitzert im reinen weißen Licht des Vollmondes.
„Hey, meine Hübsche." Jack grinst mich an.
Er sieht atemberaubend aus. Er trägt eine schwarze Jeans und über seinem weißen Hemd ein blaues Karo Hemd. Eine blonde Strähne hängt ihm im Gesicht. Er sieht wunderschön aus und so unglaublich sexy mit diesem frechen Grinsen im Gesicht. Auf einmal höre ich ein Knacken irgendwo im Gebüsch. Außerdem könnte ich schwören, dass jemand geflucht hat. Verwirrt drehe ich mich um.
„Was ist denn los?", fragt Jack.
Ich runzele die Stirn. „Nichts. Ich dachte nur ich hätte etwas gehört."
„Hmm. Ich habe nichts gehört.“
Ich zucke kurz mit den Schultern.
„Wird wohl irgendein kleines Tier gewesen sein, wenn überhaupt."
Obwohl der plötzlich auftauchende schwere Duft nach Rosen mir etwas anderes sagt. Aber egal. Meine Aufmerksamkeit gilt wieder ganz Jack. Sanft nimmt er meine Hand in seine. Ich mache einen Schritt ins Haus und - er zieht mich hoch auf seinen Arm.
„Ich muss dich doch über die Schwelle tragen."
Unwiderstehlich lächelt er mich an und ich merke wie ich rot werde.
Mir ist unglaublich wohlig warm im Bauch.
„Aber wir haben doch gar nicht geheiratet."
Mehr fällt mir dazu einfach nicht ein. Irgendwie fühle ich mich unglaublich dumm wegen dieser Aussage. Wie konnte ich nur das Thema Hochzeit aufbringen. Oh Gott, würde er jetzt denken ich sei so eine neurotische Zukunftsplanerin, die ihren Freund unter Druck setzt?! Mist. Wieso habe ich das bloß gesagt. Ich hätte die Klappe halten sollen.
Jack unterbricht meine hysterischen Gedanken.
„Naja, aber ich hoffe doch, dass wir das eines Tages tun und dafür kann ich doch schon mal üben, oder nicht?"
Seine himmelblauen Augen schauen mich klar und ehrlich an. Ich bin sprachlos. Er hat das Thema selbst angesprochen. Diesem Jungen ist es wirklich ernst mit mir, da gibt es keinen Zweifel. Überglücklich gebe ich ihm einen Kuss. Zärtlich erwidert er ihn, während er mich über die Schwelle seines Hauses trägt und mit seinem Fuß die Tür hinter uns schließt. Im Haus setzt er mich nach einem weiteren Kuss vorsichtig ab.
Ein köstlicher warmer Duft umspielt meine Nase. Essen. Oh nein, ich denke ja wirklich nur ans Essen. Jack scheint meine Gedanken zu lesen, denn er fasst sich mit einer Hand hinter seinen Kopf an die Haare und lächelt verlegen.
„Nenn mich kitschig, aber ich habe für dich gekocht. Es - Also ehm. Nun ja, ich koche nicht sehr oft und ehrlich gesagt... Ich weiß nicht, ob es essbar ist. Aber ich habe mir wirklich Mühe gegeben! Ehrlich."
Seine plötzliche Verlegenheit und Unsicherheit lassen mich
unwillkürlich lachen. Der sonst so coole und unnahbare Jack ist verlegen.
„Jack. Es schmeckt bestimmt. Ich bin nicht sehr wählerisch. Das weißt du doch."
Ich gebe ihm einen Kuss auf seine Wange.
„Dann ist ja gut."
Lächelnd nimmt er meine Hand und führt mich ins Esszimmer. Ich bin überwältigt. Erleuchtet wird der Raum von einem gigantischen schwarzen Kronleuchter über dem Esstisch, der mit tausenden roten Kerzen übersät ist. Auf dem Tisch steht ein großer Strauß roter Rosen in einer Vase und der Duft der Blüten liegt schwer in der Luft. Das Geschirr ist aus Silber und - und ist das da wirklich Champagner?! Ich bin schockiert. Jack neben mir tritt unsicher von einem Fuß auf den anderen.
„Gefällt es dir nicht?"
Blitzschnell drehe ich mich um und schaue ihn an.
„Machst du Witze?! Es ist perfekt!"
Augenblicklich verschwindet die Sorge aus Jacks Gesichert und er lächelt glücklich.
„Ich hatte schon Angst, es könnte dir zu viel sein."
Ich schüttele den Kopf. Er führt mich an den Tisch und ich nehme Platz.
„Dann werde ich mal das Essen servieren."
Und schon ist er in der Küche verschwunden. Neugierig betrachte ich meine Umgebung näher. Die Ausstattung ist modern und die Wände sind mit wunderschönen Gemälden geschmückt. Auf einem ist ein Sonnenuntergang am Meer zu sehen und wieder auf einem anderen eine Wiese voller Mohnblumen unter einem azurblauen Himmel voller Sterne. Beim Betrachten dieser Gemälde fällt mir auf, dass er gar keine Familienfotos aufgehangen hat. Ich nehme mir vor ihn darauf anzusprechen. Später. Der verführerische Duft, den ich zuvor gerochen hatte, kommt näher und wird stärker.
Jack trägt zwei mit Essen vollbeladene Platten in den Raum und stellt sie auf dem Tisch ab. Jetzt nimmt auch er Platz. „Ladies first."
Ich schaue das Essen an, unschlüssig, womit ich anfangen soll. Die eine Platte ist voller Gemüse und die andere ist mit Fleisch beladen.
Genauer gesagt mit Braten.
„Oh. Du hast so ziemlich alles gekocht, was ich total gerne esse." Ich werde rot. Ich nehme mir etwas von dem Gemüse und etwas Braten.
„Jetzt sei bloß nicht bescheiden. Ich sehe doch auch in der Schule wie viel du verdrücken kannst und da ist es mir schließlich auch egal."
Er lacht und ich muss mitlachen. Da hat er in der Tat Recht.
„Na gut."
Ich nehme mir ein weiteres Stück vom Blumenkohl und eine weitere Scheibe Braten. Nachdem Jack sich ebenfalls bedient hat, fangen wir an zu essen. Das Essen ist eine wahre Geschmacksexplosion auf der Zunge. Das muss der Himmel sein. Beziehungsweise der Speiseplan des besten Restaurants im Himmel. „Du summst. Ich nehme an es schmeckt dir." Er grinst mich neckend an und ich lache.
Ich summe wirklich. Noch eine meiner Angewohnheiten: Ich summe beim Essen, wenn es mir schmeckt. „Ja, das Essen ist wirklich unglaublich. Ich engagiere dich als Koch."
Er lacht noch lauter. Wir essen und reden weiter und als wir schließlich den Großteil vertilgt haben, entschuldigt er sich für einen Augenblick. Vorsichtig tupfe ich mir mit der Serviette neben mir die Lippen ab. Kaum lege ich sie ab, ist Jack auch schon wieder da. Mit der nächsten Überraschung.
„Mousse au Chocolat für meine Praline."
Er grinst mich frech an.
Was weiß dieser Junge nicht über mich? Wir sind doch erst zwei Monate zusammen. Ich weiß nicht, was er alles gerne isst. Plötzlich fühle ich mich wie die schlechteste Freundin der Welt.
„Jack das ist viel zu viel."
Er gibt mir eine Schüssel und füllt sie mit der nächsten Köstlichkeit.
„Lass dich doch einmal von mir wie eine Prinzessin behandeln."
Verliebt schaue ich ihn an und er erwidert meinen Blick.
„Die einen füllen ihre Freundinnen mit Alkohol ab, und du füllst mich mit Essen ab, oder wie darf ich das verstehen?“
Lachend wirft er den Kopf in den Nacken.
„So ein Mist, jetzt hast du meine Taktik durchschaut.“
Dieser Kerl ist einfach unglaublich. Nach dem Dessert führt er mich ins Wohnzimmer. Hier ist die Glasfassade, die ich von draußen gesehen habe, als ich angekommen bin. Abgesehen von zahlreichen und vor allem gefüllten Bücherregalen, einem Sofa mit Tisch und einem Fernseher, wird der Raum zum größten Teil von einem Klavier gefüllt.
„Kannst du spielen?" Ich schaue ihn fragend an.
„Ja kann ich. Willst du etwas hören?"
Ich nicke und setze mich neben ihn ans Klavier, um ihm besser beim Spielen zuschauen zu können. Die ersten Töne erklingen und ich bekomme eine Gänsehaut. Claire de Lune. Wunderschön. Schnell und geschmeidig gleiten seine Finger über die Tasten. Ich lasse mich fallen und genieße die Musik und Jacks Nähe. Viel zu schnell ist das Lied vorbei.
„Sollen wir uns vielleicht noch einen Film anschauen?"
„Klar, warum nicht?", antworte ich ihm.
Wie ein Gentleman überlässt er mir die Auswahl, aber als meine Finger über einen Horrorfilmstreifen schweben, bemerke ich seinen sehnsüchtigen Blick. Ohje, mein Freund ist ein Horrorfilm-Liebhaber.
Ich nehme die DVD in die Hand und schaue mir den Titel an.
„Das Haus der Dämonen.", lese ich vor.
Jack räuspert sich.
„Der ist wirklich gut. Kann ich nur empfehlen."
Ich nicke. „Dann nehmen wir den."
„Okay."
Er legt den Film ein und wir machen es uns mit einer Schüssel Chips auf dem Sofa bequem. Ich schreibe Caro noch schnell eine SMS, dass es mir gut geht und wir einen Film schauen. Ich kuschele mich nah an ihn und er legt seine Arme um mich.
„Wenn es gruselig wird, verstecke ich mich aber."
Sage ich nervös lachend und er lacht mit.
„Keine Angst, ich beschütze dich."
Gegenwart
Ich wache vollkommen ausgeschlafen auf und strecke mich. Meine Laune könnte nicht besser sein nach diesem gelungenen ersten Schultag und dem Traum letzte Nacht. Schnell ziehe ich mir ein paar Sachen an und laufe ins Bad. Wenige Minuten später sitze ich auch schon in der Küche und genieße Pfannkuchen mit Erdbeeren. Ich liebe den Geschmack von Erdbeeren. Sie schmecken nach Sommer und ich liebe den Sommer.
„Du bist heute Morgen aber gut gelaunt.", stellt Caro fest.
Ich grinse breit. „Ja, schon."
Sie schaut mich fragend an. „Gibt es einen bestimmten Grund dazu?"
Ich denke nach und stelle fest, dass es eigentlich keine bestimmte Ursache für meine Laune gibt.
„Nein. Eigentlich nichts Besonderes. Ich hatte einfach einen schönen Tag gestern und einen wunderschönen Traum."
Ich seufze träumerisch und bette mein Kinn auf meine gefalteten Hände.
„Du Träumerin. Na dann. Ich muss jetzt schon in die Redaktion. Es gab hier in letzter Zeit mehrere merkwürdige Vorfälle und wir wollen darüber recherchieren und schreiben. Pass bitte auf dich auf, Liz." Sie bedenkt mich mit einem besorgten Blick und ich nicke.
„Was sind das denn für Vorfälle?"
Ich beobachte wie meine Tante ihre Stirn in Falten legt.
Sie zögert kurz.
„Ich weiß noch nicht viel darüber. Heute Abend kann ich dir sicher mehr und vor allem Genaueres sagen."
Na toll. Ich kann es nicht leiden auf später vertröstet zu werden, wenn ich neugierig bin. Ich atme tief aus.
„Na gut."
Sie nickt kurz. „Gut so. Hab einen schönen Tag."
Sie drückt mich kurz im Vorbeigehen und stürmt aus dem Haus.
Was sind das wohl für Vorfälle? Ich nehme mir vor, nach der Schule im Internet nach mehr Informationen zu suchen.
Kurz nachdem ich meinen Teller in die Spülmaschine geräumt habe, hupt Jack auch schon. Mit einem schnellen zielstrebigen Griff schnappe ich meine Tasche und laufe aus dem Haus. Wie ein Gentleman steht er da und öffnet mir die Tür. Ich lächele ihn verlegen an woraufhin sein charmantes Lächeln noch breiter wird.
„Bitte sehr, die Dame."
„Vielen Dank, der Herr."
Ich steige ins Auto und Jack schließt die Tür. Auf dem Weg zur Schule reden wir darüber, wie unser erster Schultag zu Ende ging und ich erzähle ihm nicht nur von dem wundervollen Ausritt mit Tenshi, sondern auch von meinem Traum letzte Nacht.
„Du sagst da waren Engel?" Er runzelt die Stirn.
Eifrig nicke ich. „Ja, sag ich doch. Sie waren so anmutig, obwohl sie am Herumalbern waren."
Irgendwie sieht er unzufrieden aus mit meiner Antwort, was ich aber nicht verstehen kann. Er ist doch sonst nicht so ernst und unzufrieden. Bisher war er immer heiter und sorglos.
„Alles okay, Jack?"
Sein Verhalten macht mir Sorgen. Schnell setzt er ein Lächeln auf.
„Ja, alles okay. Ich bin heute nur etwas nachdenklich."
Hmm. Nachdenklich also.
Den Rest der Fahrt schweigen wir und auch am Schultor angekommen bei unseren Freunden ist er ziemlich ruhig. Ich plappere munter mit Jenett und erzähle ihr von dem Ausritt und wir beschließen, sobald wie möglich noch einmal zusammen auszureiten.
Als der Schulgong ertönt drückt Jack mir einen Kuss auf die Lippen und winkt mir zum Abschied. Keine Worte, stelle ich irritiert fest. Ich schaue auf meinen Stundenplan: eine Doppelstunde Religion wartet auf mich. Leise stöhne ich innerlich. Das wird bestimmt mega langweilig. Den Kurs habe ich zusammen mit Jen und so setzen wir uns auch automatisch nebeneinander.
Kurz bevor die Lehrerin den Raum betritt, erscheint Alex in der Tür und schaut sich im Kurs um. Sein Blick bleibt schließlich an mir hängen und er sieht fragend auf den Platz neben mir. Ich lächele und nicke ihm freundlich zu. Augenblicklich erhellt sich sein Gesichtsausdruck und er nimmt neben mir Platz.
Jen neben mir zieht scharf die Luft ein und atmet mit einem leisen ,,Wow." die Luft wieder aus.
Sie schaut überrascht und ziemlich auffällig zu Alex, aber er packt gerade seine Sachen aus.
Da betritt auch schon unsere Lehrerin den Raum und stellt sich nach der Begrüßung als Frau Celeste vor. Wir reden über die Entstehung der Menschen und über ihre Vorgänger, den Engeln. Sie erzählt uns vom Engelssturz und ich hänge gebannt an ihren Lippen.
Während ihrem Vortrag merke ich, wie Alex mir immer wieder prüfende Blicke zuwirft. Mit jedem weiteren Wort ihres Vortrags beginnt mein Rücken heftiger zu kribbeln und ich habe das Bedürfnis aus mir heraus zu preschen. Ich sehne mich danach, mich von meinem Körper zu lösen. Mir fällt ein wie meine Ärztin mir einmal nach dem Tod meines Bruders erzählt hat, dass sich so Panikattacken ankündigen. Oh nein, ich werde jetzt doch wohl nicht vor all meinen Mitschülern hier eine Attacke bekommen, oder? Ich horche in mich hinein. Nein. Es fühlt sich nicht an wie eine Panikattacke. Alex schaut mich prüfend an.
„Ist alles in Ordnung?", er flüstert mir zu und schaut dabei ziemlich besorgt aus.
„Ich weiß nicht. Ich fühle mich irgendwie seltsam...Ich denke, mir ist einfach nur mein Frühstück nicht so bekommen."
Er runzelt die Stirn und nickt.
Eine Spur von Erkenntnis flackert in seinen Augen und ich frage mich, was das zu bedeuten hat. Die nächsten drei Stunden habe ich komplett mit Jack Unterricht und er benimmt sich mittlerweile auch wie immer. Vermutlich war er wirklich einfach nur nachdenklich vorhin.
„Schatz, ich habe jetzt noch eine Stunde Latein."
Ich will ihn nur ungerne allein lassen und vielleicht wird er ohne mich heimfahren.
„Kein Problem. Ich wollte ohnehin noch etwas besorgen. Ich habe eine Überraschung für dich. Ich hoffe du hast heute Nachmittag nichts vor."
Er schenkt mir ein breites Lächeln und küsst mich auf die Wange.
Ehe ich fragen kann, um was für eine Art Überraschung es sich handelt, ist er auch schon davongelaufen. Super. Noch einer mehr im Club der Ich-Mache-Liz-Neugierig-Und-Lasse-Sie-Dann-Stehen- Leute.
Schnell gehe ich zum Lateinraum und bin bereit meine letzte Schulstunde für den heutigen Tag anzutreten. Unsere Lehrerin, Frau Lucretia, führt uns in unsere erste Lektüre für dieses Schuljahr ein:
Ovid, Metamorphosen. Es handelt sich dabei um Dichtung und ...
Metamorphosen. Da dabei oft der Einfluss von Göttern im Spiel ist, fragt sie uns ein wenig über die griechischen Götter und die Mythologie aus. Natürlich bin ich voll in meinem Element und sie merkt es auch bald und schenkt mir einen anerkennenden Blick.
„Sie wissen wirklich so einiges Fräulein Mey."
Ich lächele nur verlegen. Von der Seite wirft Alex mir einen neugierigen Blick zu. Was hat das zu bedeuten? Er weiß doch, dass ich einen Freund habe. Das noch nicht lange verschwundene Kribbeln zwischen meinen Schulterblättern kommt zurück. Nach der Stunde fängt er mich ab.
„Du interessierst dich wirklich sehr für die Mythologie des klassischen Altertums, nicht wahr?"
Ich nicke stumm. Wieso stellt er immer so komische Fragen?
„Welcher ist dein Lieblingsmythos und wer dein Lieblingsgott?"
Ich muss nicht lange nachdenken.
„Orpheus und Eurydice und Morpheus ist mein Favorit unter den Göttern."
Er zieht verblüfft die Augenbrauen hoch. Was hat das nun schon wieder zu heißen?
„Wieso ausgerechnet Morpheus?"
Darauf kann ich ihm nicht direkt antworten. Wieso fasziniert er mich eigentlich?
„Er hält sich aus den Angelegenheiten des Olymps raus, schenkt den Menschen schöne Träume und strahlt Ruhe aus."
Wieder nickt er nur. „Interessant. Naja, ich muss mich beeilen. Ich muss noch etwas in der Stadt erledigen."
Lächelnd geht er davon und winkt mir noch zum Abschied. Auf einmal streift mich eine leichte Brise und es riecht nach Rosen. So stark, dass ich das Gefühl habe mitten in einem Rosengarten zu stehen. Seltsam.
Schon wieder. Ich sehe mich um, aber es ist nichts und niemand zu sehen, was wohl daran liegt, dass ich eine der letzten Schüler bin. Schnell laufe ich zu dem Schulausgang, da ich mich leicht beobachtet fühle. Draußen wartet bereits Jack im Auto. Endlich werde ich erfahren, was die Überraschung ist. Voller Neugierde und Spannung setze ich mich neben ihn und schaue ihn an.
„So. Was ist die Überraschung? Los erzähl schon."
Ich weiß, dass ich quengele, aber ich kann einfach nicht anders. Ich bin so furchtbar neugierig. Er wirft lachend den Kopf in den Nacken und gibt mir einen Kuss.
„Hab noch etwas Geduld."
Er startet den Motor und wir fahren los. Auf weitere Fragen meinerseits bezüglich der Überraschung geht er nicht mehr ein und quittiert sie mit einem Lächeln. Männer.
Nach etwa zwanzig Minuten haben wir unser Ziel erreicht. Es ist eine Lichtung tief im Wald und ein paar Meter weiter ist ein Wasserfall zu sehen. Der Anblick ist atemberaubend. Die Sonne strahlt warm auf uns herab und das Wasser glitzert. Alles wirkt so lebendig. Jack breitet eine Picknickdecke aus und stellt einen Korb dazu. Er richtet sich auf und nimmt mich an der Hand.
„Heute sind wir ein halbes Jahr zusammen und ich wollte dir eine kleine Freude bereiten."
Verlegen lächelt er mich an. Das ist wirklich verdammt süß. Ich kann nicht anders als ihm um den Hals zu fallen.
„Danke, das ist so süß."
Leise lacht er in sich hinein und er streichelt meinen Kopf.
„So dann wollen wir mal deinen Hunger, der wirklich pünktlich kommt, stillen."
Er lacht und öffnet den Korb, um die Gaben auf der Decke auszubreiten. Er hat Weißbrot, Frischkäse, Trauben und vieles mehr besorgt. Ein wahres Festmahl und mein knurrender Magen stimmt mir zu.
Nach dem Essen planschen wir im Wasser und genießen unseren freien Nachmittag. Wir haben heute kaum Hausaufgaben aufbekommen, also eine gute Gelegenheit sich an den letzten Sommertagen zu erfreuen. Die Sonne auf der Haut fühlt sich so gut an und das Wasser ist so schön warm.
„Wollen wir ein Wettschwimmen machen?", erwartungsvoll schaut er mich an und grinst dabei frech.
Er wittert eine Herausforderung, denn er weiß, dass ich eine ausgezeichnete Schwimmerin bin.
„Na klar.", antworte ich herausfordernd und werfe ihm ein kokettes Grinsen zu.
Wir schwimmen zum Wasserfall und wählen ihn als Startpunkt für unseren Wettkampf. Ziellinie bildet ein über den Fluss gefallener Baumstamm etwa hundert Meter entfernt von uns.
„Auf die Plätze, Fertig....LOS!"
Seine Stimme schallt laut über die Lichtung und mein angespannter Körper schießt los wie ein auf einem Bogen gespannter Pfeil. Mein Körper durchbricht die Wasseroberfläche und ich strenge jeden Muskel an. Jack und ich sind auf gleicher Höhe. Ich genieße das Gefühl der Schwerelosigkeit des Wassers und lasse mich völlig fallen.
Wieder spüre ich das Kribbeln zwischen meinen Schulterblättern. Ich schaue kurz zur Seite und erhasche einen Blick auf Jack, der weiter zurück liegt. Ich bin schneller denn je. Pure Euphorie erfüllt mein Herz und ich genieße jeden Schwimmzug, den ich mache. Schwimmen fühlt sich an wie Fliegen. Mein Körper wird immer leichter und ich schließe die Augen.
Wenige Sekunden später öffne ich meine Augen wieder, denn ein kühler Luftzug umspielt meinen Körper. Entsetzt schaue ich auf den Fluss unter mir. Was ist denn hier los?! Ich schaue mich panisch um und stelle fest, dass ich mich in der Luft befinde. Scheiße. Hier stimmt was ganz und gar nicht. Ich spüre Flügel auf meinem Rücken und betrachte ihre Schläge staunend. Ich drehe meinen Kopf und erblicke mächtige, schwarze blau schimmernde Schwingen. Ich bin völlig überfordert.
Mein plötzlicher und rasender Sturz auf den Fluss zu, reißt mich erst aus dieser Starre. Oh nein. Bitte alles nur das nicht. Ich schließe die Augen, um den Aufprall nicht zu sehen.
Doch anstatt hart auf die Wasseroberfläche zu prallen, lande ich in Jacks Armen, der mich ebenfalls entsetzt ansieht. Verdammt. Er muss mich für einen Freak halten. Womöglich hat er damit sogar Recht!
Wieso ist das eben passiert und wie? Erstmals lasse ich den Gedanken an das Gefühl in der Luft zurück. Ein Traum ist in Erfüllung gegangen. Ich bin überglücklich und mein Bauch fühlt sich wohlig warm an. Etwas in mir tobt. Das Adrenalin kocht wie Lava in meinem Blut.
Ich lasse meinen Blick schweifen und- mein Blick bleibt an Alex hängen. Er schaut mir tief in die Augen und läuft in den Wald. Mist. Er hat es gesehen. Gleichzeitig nehme ich schon wieder diesen verflucht aufdringlichen Geruch von Rosen wahr.
„Scheiße", murmele ich vor mich hin.
„Was ist denn los?"
Ich mache Anstalten mich aus Jacks Armen zu befreien und er lässt mich los.
„Alex war am Waldrand. Fabelhaft. Jetzt hältst nicht nur du mich für einen Freak, sondern auch er." Wütend kicke ich einen Stein aus dem Weg und stapfe ein paar Meter weg von Jack. Ich spüre seine warme Hand auf meiner Schulter.
„Ich halte dich nicht für einen Freak. Glaub mir ich bin der letzte, der das tun würde."
Er seufzt schwer. Was meint er damit?
„Wie meinst du das?"
Ich drehe mich langsam zu ihm um. Er schaut mich durchdringend an. Irgendetwas liegt in seinem Blick, aber was?
„Was verschweigst du mir?"
Ich entscheide mich dafür, dass er etwas wissen muss, dass ich nicht weiß.
„Nichts. Nur du bist eben meine Freundin und ich würde dich niemals für einen Freak halten, weil ich dich liebe."
Ich bin mir sicher, dass es nicht die ganze Wahrheit ist, jedoch frage ich nicht weiter nach. Ich bin einfach zu sehr durch den Wind.
Schweigen breitet sich zwischen uns aus.
Schließlich räuspert er sich.
„Alex wird schon nichts sagen. Wer würde ihm das bitte schön glauben?"
Ich denke nach und Jacks Aussage klingt plausibel.
„Du hast recht. Aber ich finde es trotzdem nicht gut, dass es passiert ist."
Jack sieht mich ernst an und legt die Stirn in Falten.
„Was ist denn eben genau mit dir passiert?"
Er wirkt unsicher und kaut nervös auf seiner Unterlippe. Sehr untypisch für ihn.
„Ich weiß es selbst nicht genau. Ich habe beim Schwimmen ans Fliegen gedacht und wie schwerelos ich mich im Wasser fühle und naja, den Rest hast du ja gesehen."
Auf einmal sieht er mich ernst an.
„Also ist dir das noch nie passiert? Oder etwas Ähnliches nicht Normales?"
Worauf will er bloß hinaus?
„Nein, noch nie."
Doch, Moment mal. Ich hatte wohl etwas Seltsames gefühlt in den vergangenen Tagen. Immer wieder hatte es zwischen meinen Schulterblättern so gekribbelt.
„Doch da war wohl etwas. Ich habe in den letzten Tagen immer wieder ein Kribbeln zwischen den Schultern gespürt und das Bedürfnis zu fliegen."
„Hmm. Das klingt äußerst mysteriös. Vielleicht bist du ja ein Engel?
Wenn es sowas gibt, dann musst du schon einer sein. Du sahst so wunderschön aus. Ich habe noch nie etwas so Schönes, so anmutiges gesehen. Ich schwöre, ich habe mich gleich noch einmal in dich verliebt."
Bei so viel Zuneigung und Liebe schmelze ich völlig dahin. Mir wird warm ums Herz und die Welt um mich herum wirkt nahezu märchenhaft.
„Ja. Die Flügel waren wirklich hübsch."
Ich stoße ihm neckend meinen Ellenbogen in die Seite und wir lachen.
„Lass uns heim gehen oder besser gesagt: Ich fahre dich heim."
Ich nicke ihm lächelnd zu und Hand in Hand gehen wir zurück zum Auto. Der Himmel ist wunderschön blau, doch am Himmel sieht man bereits die ersten lila Streifen, die die Dämmerung ankündigen. Ich lasse mich tief in den weichen und bequemen Sitz sinken und schließe die Augen. Tief atme ich ein. Das Auto ist erfüllt von Jacks wundervollem Geruch. Seine Hand umfasst zärtlich die Meine und er lässt sie nur zum Schalten los, aber sein in die Ferne gerichteter Blick wirkt nachdenklich. So als sei er mit den Gedanken ganz woanders.
Viel zu schnell kommen wir bei mir zu Hause an.
„Da wären wir."
Er parkt den Wagen in der Einfahrt und sieht mich an.
„Ich würde ja noch mit reinkommen, aber ich muss noch Chemie Hausaufgaben machen."
Ich nicke. „Ist okay."
Er küsst mich und ich schnalle mich ab.
„Morgen früh hole ich dich aber nicht wieder am Bus ab, sondern hier."
Er lächelt und ich erwidere es und steige aus. Die Luft ist etwas kühler und die Dämmerung ist eingebrochen. Ich winke Jack zum Abschied und gehe ins Haus.
„Liz? Bist du das?"
Die Stimme meiner Tante erklingt aus dem Wohnzimmer. Aber sie klingt nicht wie sonst, sondern irgendwie anders...panisch. Nervös.
Aufgeregt. Ängstlich.
„Ja. Wieso? Was ist denn?"
Sie stürmt in den Flur und drückt mich an sich. So einen Gefühlsausbruch ihrerseits habe ich noch nie erlebt. Leicht lege ich ihr meine Hand auf den Rücken und tätschele sie unbeholfen, in der Hoffnung sie so zu beruhigen. „Hey, was ist denn Caro?"
Ich höre wie sie schluchzt.
„Es ist so schrecklich."
Plötzlich klingt ihre Stimme schmerzerfüllt. Ich schiebe sie etwas von mir weg und schaue sie prüfend an. „Was ist passiert, Caro?"
Sie fasst sich ans Ohrläppchen und reibt es, so wie sie es immer tut, wenn sie nervös ist oder sie etwas beschäftigt.
„Ich habe dir doch heute Morgen von den Vorfällen erzählt."
Mir fällt unser Gespräch vom Morgen wieder ein und wie meine Tante mich auf den Abend vertröstet hatte.
„Naja, wirklich davon erzählt hast du mir ja nicht."
Ich runzele die Stirn. Sie atmet frustriert aus.
„Ist ja auch egal. Das spielt keine Rolle. Dann erzähle ich es dir eben jetzt."