Heilige Macht - Cornelia Born - E-Book

Heilige Macht E-Book

Cornelia Born

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Beschreibung

Ironisch - böse - vergnüglich Wenn das Licht der Heiligen Nacht alles Scheinheilige beleuchtet und "Schlaf in himmlischer Ruh!" grausame Wirklichkeit wird.

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Seitenzahl: 87

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Am Vormittag hatte es geschneit und Luisa blickte durch die großen Fenster der Villa ihrer Mutter auf die winterliche Terrasse oberhalb des Comer Sees. Von dem alten Plattenspieler schallte es durch den Raum:,Stille Nacht, heilige......acht...acht../. Die Platte war einfach schon zu oft abgespielt worden. ,Alles schläft', wieder ein Kratzen, ,...Schlaf in himmlischer Ruh...Ruh...Ruh!'

Dummes Ding, dachte Luisa. Was machte der Plattenspieler aus ihrem Lieblingslied? Das Lied war so schön, doch die Nadel schien ihre eigenen Wege zu gehen. Sie summte die Melodie einfach weiter, nichtsahnend, dass diese Nacht so gar nicht heilig werden würde und für einen Menschen den ewigen Schlaf bedeuten sollte.

Es war warm im Zimmer und draußen hatten die Schneeflocken unbemerkt von der Welt weiße Hauben auf die Buchskugeln gezaubert. Luisas Mutter Antonella hatte im Obergeschoss ihr Schlafzimmer, die anderen Räume dienten mittlerweile als Gästezimmer. Dorthin hatte sich Nonna, wie sie alle nannten, jetzt zurückgezogen.

Sie sah in den letzten Tagen etwas müde aus und Luisa machte sich Sorgen, dass Antonella dieses Weihnachtsfest nicht zu sehr anstrengen würde.

Denn das Fest mit der Familie zu verbringen, war zwar immer ein großes Glück für Nonna, doch der ungewohnte Trubel könnte ihrer angeschlagenen Gesundheit schaden. Ihren Schwestern hatte Luisa nichts von den Schwindelanfällen Nonnas erzählt. Der Hausarzt hatte streng ausgesehen, als er ihre Mutter zur Ruhe und Schonung ermahnt hatte. Seit dem Tod ihres Vaters kümmerte sich Luisa um ihre Mutter, sofern sie nicht unterwegs war. Das war sie leider ziemlich oft, doch sie hatte keine Wahl - in ihrem Beruf als freie Malerin gehörten häufige Reisen einfach dazu. Manchmal fühlte sich Luisa schuldig. Denn schließlich war sie die Einzige, die auch in Como wohnte und schnell zur Stelle sein konnte, um Nonna zu helfen. Sie schob ihre sorgenvollen Gedanken beiseite, doch zurückblieb ein ungutes Bauchgefühl. Luisa hasste dieses Gefühl, denn ihre Intuition hatte sie in ihrem Leben bisher selten getäuscht.

Als Luisa die Kartons zusammenräumte, in denen die silbernen Weihnachtskugeln gelegen hatten, die jetzt den stattlichen Tannenbaum schmückten, klingelte ihr Handy.

„Clara! Grüß' dich! Wo bist du?" Sie hatte den Anruf ihrer jüngeren Schwester erwartet.

„Bonjour, ma chère!", Clara lebte in Paris und führte dort seit Jahren eine kleine Buchhandlung.

„Ich bin in einer halben Stunde in Como San Giovanni. Du holst mich ab, n'est-ce pas?"

Luisa stolperte über eine kleine Box, die sie übersehen hatte, und konnte sich gerade noch fangen.

„Was ist los, Luisa? Bist du noch dran?" Luisa lachte. „Ich komme Clara, klar! Hier ist noch ein bisschen Chaos.... bis gleich!"

Schnell räumte sie alles zusammen, rückte alles an seinen Platz, wischte über einzelne Engel, die noch nicht so glänzten, wie Engel es normalerweise tun und sah sich im Zimmer um. Langsam ließ Luisa ihren Blick über den prächtigen Weihnachtsbaum, die Andenken und die vielen Familienfotos gleiten und war mit sich zufrieden. Ein warmes, weihnachtliches Gefühl durchflutete sie und der Tannenduft stieg ihr in die Nase. Bevor Luisa freudig das Haus verließ, schenkte sie der schlichten hölzernen Krippe auf der altmodischen modischen Kommode ihrer Urgroßmutter einen letzten Blick, ohne zu ahnen, dass die Familie aus Holz die einzige wirklich heilige Familie bleiben würde, die sich am Weihnachtsfest in diesem Haus versammeln sollte.

Die Fahrt zum Bahnhof von Como war nicht lang, doch Luisa musste aufgrund des Weihnachtsmarktes einen Umweg fahren. Sie liebte ihre Heimatstadt und kannte sie wie ihre Westentasche. Ihr Vater Richard hatte hier ein stattliches Unternehmen aufgebaut, das Seide verarbeitete und die schönsten Designs für die Modeindustrie produzierte. Nach seinem Tod vor einigen Jahren hatte ihre Familie das Unternehmen verkauft, stand aber noch immer in gutem Kontakt zu der neuen Geschäftsleitung und vielen Angestellten. Nonna hatte damals im kreativen Bereich der Firma gearbeitet und vielleicht war dies auch der Grund, warum Luisa Malerin geworden war. Immer mit schönen Dingen, Farben und Seide umgeben zu sein, das prägt. Jedenfalls war das Luisas Erklärung für ihre große Leidenschaft, die Kunst.

Als Luisa ihren Wagen auf dem Vorplatz des Bahnhofes parkte, hatte sie Glück, dass gerade ein Parkplatz frei wurde. Ihre Freude und Aufregung waren so groß, dass sie fast vergessen hätte, ein Ticket zu lösen und ins Auto zu legen.

Als sie am Gleis ankam, fuhr der Zug gerade ein.

„Clara!", rief sie laut. Wahrscheinlich hatte ihre Schwester sie nicht gehört, denn sie schaute nicht auf, als sie umständlich ihre antiken Ledertaschen und Koffer sortierte. Das war für Clara typisch: immer etwas chaotisch und unorganisiert. Auf dem Kopf trug Clara eine Baskenmütze, die so bunt war, dass sie fast als karnevalistische Kostümierung durchgegangen wäre. Sie bildete einen auffälligen Kontrast zu dem schwarzen langen Mantel. Extravagant und immer ein wenig verrückt, dachte Luisa schmunzelnd. Als sie näherkam, fiel ein Geschenk aus einer großen Beuteltasche auf den Bahnsteig. Clara stieß einen Fluch aus. Selbst Flüche klangenin französischer Sprache noch wie ein temperamentvoller Ausdruck von Lebensfreude.

„Sind die Geschenke alle für mich?", wollte Luisa wissen. Clara hatte ihre ältere Schwester immer noch nicht bemerkt und antwortete, nach einem kurzen Moment der Überraschung, freudestrahlend: „Aber klar....... alle......nur für dich!"

Sie umarmten sich herzlich und wollten sich gar nicht mehr loslassen.

„Wie viele Taschen hast du denn dabei?"

„Hmmm.... vier,.....nein, ich hatte noch eine.... es waren fünf", zählte Clara. „Gut, dann sind alle da." Voll bepackt gingen sie zum Auto.

„Da bin ich aber froh, dass du direkt hier einen Parkplatz gefunden hast."

„Scheint mein Glückstag zu sein!", frohlockte Luisa und startete.

„Wer weiß?", entgegnete Clara gedankenverloren und zögernd. Ihre Schwester sah sie von der Seite an.

„Alles gut bei dir?"

„Ja, ich merke nur gerade, wie müde ich eigentlich bin. Geht so....Doch jetzt bin ich hier und der Schnee zum Heiligabend ist sooo schön.... " Schweigend starrte Clara aus dem Fenster. Mit diesem kleinen Ablenkungsmanöver konnte Clara ihre Schwester nicht täuschen. Irgendetwas schien sie vor ihr zu verheimlichen. Jedenfalls scheute Clara das Gespräch, vielleicht war sie wirklich nur erschöpft.

„Welches Buch ist gerade ein Kassenschlager bei dir?"

Umständlich kramte Clara in ihrer Handtasche. Luisa verstummte, als sie keine Antwort erhielt und konzentrierte sich erst mal auf den regen Verkehr in Como.

Sie wollte gerade ihre Frage wiederholen, als Clara einräumte: „Ich weiß nicht.... läuft irgendwie nicht so recht......die Abverkäufe sind schlecht...momentan. Aber lass' uns über was Erfreuliches reden! Welche Plätzchen hast du gebacken? Oder ein neues Kuchenrezept? Ich habe mich dieses Jahr für Haferflockenkekse entschieden, natürlich ganz ohne Mehl."

Claras Glutenunverträglichkeit bescherte der Familien-Rezeptsammlung gesunde und mehlfreie Rezepte, die nicht minder schmackhaft waren. Luisa atmete innerlich auf, dass Clara zu ihrer gewohnten optimistischen Haltung zurückgefunden hatte und verdrängte das angedeutete finanzielle Problem ihrer Schwester für's Erste.

„Dieses Jahr habe ich Rezepte mit Macadamia-Nüssen entdeckt, daraus lassen sich leckere Plätzchen machen. Du weißt ja, dass ich die einfachen Dinge liebe", scherzte Luisa, als sie an einem Zebrastreifen anhielt, um eine ältere Dame über die Straße zu lassen. „Ach, natürlich noch die leckere Tiramisu, nach dem florentinischen Rezept meiner Freundin. Die hat Nonnaallerdings gemacht. Ich habe nur für das Rezept gesorgt."

„Was für leckere Aussichten!" Claras Stimmung hellte sich ersichtlich auf, so schnell konnte ihr normalerweise nichts die Laune verderben. Ihr sonniges Gemüt fehlte Luisa an manchen Tagen. Da bedauerte sie es, dass ihre Schwester so weit weg wohnte. Sooft es ging, versuchte sie Clara zu besuchen, einige Galerien hatten näheres Interesse an ihren Bildern signalisiert, so dass sie davon ausgehen konnte, öfters die schönen Seiten von Paris mit Clara genießen zu können.

Die Straße ließ ab und zu einen Blick auf den See zu, der, war man sich seiner gerade gewahr geworden, schon wieder aus dem Blickfeld verschwand, so dass nur die Erinnerung blieb. Just im Moment, als man dies bedauerte und ein traurig, ja wehmütiges Gefühl hinterlassen wollte, tauchte er wieder auf. So, als ob der See ein permanentes Wechselspiel zwischen Wehmut und Glücksgefühl hervorrief. Die Häuser glichen Bausteinen, dicht aneinandergereiht und sogar übereinandergestapelt. Schmale und steile Treppen führten die Berghänge hinauf und wie aus dem Nichts tauchten kleine, charmante Plätze auf, die winzige Läden oder Bars säumten. Wohnzimmerstuben öffneten sich und das Leben quoll heraus, direkt auf die Straße. Kirchen, so breit wie eine Tür, verbargen die Stille in ihren Mauern und waren in den Häuserreihen entlang der Straße kaum als solche zu erkennen. Ein Maler hätte sich keine bessere Komposition ausdenken können und ein Schriftsteller keine bessere Szenerie als diese natürliche Symbiose von Natur, Geschichte und Geschichten, von Menschen und ihrem Leben am See.

„Schau' dir die Berge an, wie sie jetzt glitzern mit dem Schnee drauf...... oben in Brunate liegt bestimmt schon viel. Oh, es ist immer wieder schön hier. Richtig zum Durchatmen. Heimat eben. Vraiment."

„Ja, selbst in dieser kalten Jahreszeit", ergänzte Luisa. „Aber Paris ist doch auch ein Ort, wo es sich gut leben lässt, oder?"

„Schon, wenn nicht alles so teuer wäre", seufzte Clara. Offensichtlich war es Clara peinlich, über ihre finanzielle Situation zu reden. Luisa nahm sich vor, in einer ruhigen Minute noch einmal darauf zurückzukommen, denn das Wohl ihrer Schwester lag ihr am Herzen.

„Stell' dir vor, Hannah bringt Adonis mit!"

„Adonis?" wiederholte Clara. „Ist das ihr neuer Lover?" Kaum hatte sie die Frage ausgesprochen, prusteten beide vor Lachen, denn die Haustiere ihrer ältesten Schwester hatten immer besondere Namen, der in diesem Fall eher an einen männlichen Verführer erinnerte als an einen Hund.

„Was ist es für eine Rasse?"

„Oh, du weißt, dass ich mir das nicht merken kann......... ein Hund eben, mit vier Beinen, einem wedelnden Schwanz und wahrscheinlich dem schrecklichen Drang, an Nonnas Buchsbäumchen zu pieseln."

Clara ließ nicht locker: „Eher ein Schoßhund oder ein richtiger?"

„Na, einen Schoßhund hat sie doch schon ....... ach, ich weiß es wirklich nicht."

Mit dem Schoßhund war Hannahs Mann Burkhard gemeint, der Hannah auf's Wort folgte. Das war jedenfalls Luisas und Claras Meinung, auch wenn sich beide hüteten, sich in die Ehe einzumischen. Hannah war eine herrschsüchtige Frau und duldete keinen Widerspruch. Aber egal, welches Haustier die Familie auch anschaffte, immer taufte Hannah dieses so, dass der Name förmlich einen Kommentar provozierte. Luisa war sich sicher, dass Adonis ihr zu Füßen lag und Burkhard mit ihm konkurrieren musste.

„Ein Labrador, glaube ich."

Clara zog verwundert die Augenbrauen hoch. „Ein Labrador? Das ist ja ein richtiger Hund, das hätte ich ihr gar nicht zugetraut!"

„Sei nicht so gemein, schließlich ist sie deine große Schwester!"