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Sylvia und Maël erwarten die Geburt ihres lange ersehnten Kindes. Da holt Maël seine familiäre Vergangenheit ein: Seine Mutter, zu der er fast 30 Jahre lang keinen Kontakt hatte, ist schwer erkrankt. Obwohl Sylvia ein ungutes Gefühl befällt, reist Maël ab. Wenig später wütet eine verheerende Sturmflut an der bretonischen Küste. Die Kamelieninsel nimmt schweren Schaden und Sylvia erleidet einen gefährlichen Unfall ...
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Seitenzahl: 492
Veröffentlichungsjahr: 2019
Sylvia und Maël erwarten die Geburt ihres lange ersehnten Kindes. Da holt Maël seine familiäre Vergangenheit ein: Seine Mutter, zu der er fast 30 Jahre lang keinen Kontakt hatte, ist schwer erkrankt. Obwohl Sylvia ein ungutes Gefühl befällt, reist Maël ab. Wenig später wütet eine verheerende Sturmflut an der bretonischen Küste. Die Kamelieninsel nimmt schweren Schaden und Sylvia erleidet einen gefährlichen Unfall …
Tabea Bach war Operndramaturgin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Sie wurde in der Hölderlin-Stadt Tübingen geboren und wuchs in Süddeutschland sowie in Frankreich auf. Ihr Studium führte sie nach München und Florenz. Heute lebt sie mit ihrem Mann in einem idyllischen Dorf im Schwarzwald, Ausgangspunkt zahlreicher Reisen in die ganze Welt. Die herrlichen Landschaften, die sie dabei kennenlernt, finden sich als atmosphärische Kulisse in ihren Frauenromanen wieder.
T a b e a B a c h
HEIMKEHR AUF DIE
KAMELIENINSEL
Roman
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Originalausgabe
Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Titelillustration: © www.buerosued.de; © Arcangel/Ildiko Neer;© Matthijs Wetterauw/Alamy Stock Photo
Umschlaggestaltung: www.buerosued.de
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-6081-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Einen Moment lang herrschte erwartungsvolle Stille. Dann erfüllte ein rhythmisches Klopfen den Untersuchungsraum, gedämpft, so als käme es aus der Tiefe des Meeres.
»Ist das …« Sylvias Kehle war mit einem Mal wie ausgetrocknet.
»Ja, das ist der Herzschlag Ihres Kindes«, beantwortete die Frauenärztin ihre unausgesprochene Frage. Maëls Hand schloss sich liebevoll um die Sylvias.
»Unser Mädchen«, flüsterte er.
»Ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, wollten Sie ja nicht wissen, oder?«, wandte die Gynäkologin schmunzelnd ein. »Jedenfalls ist alles in bester Ordnung, Madame Riwall«, fügte sie an Sylvia gewandt hinzu. »Auch die Lage des Kindes. In gut vier Wochen ist es so weit.« Sie warf einen Blick auf Sylvias Patientenakte und stutzte. »Tiens«, sagte sie lächelnd. »Heute ist Ihr Geburtstag? Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!«
Während der Heimfahrt hielt Maël weiter Sylvias Hand, wann immer es der Verkehr erlaubte. Sie sprachen wenig, doch das war überhaupt nicht notwendig, das Glück füllte sie beide aus – von der großen Zehe bis zu den Haarspitzen. Wenn Sylvia daran dachte, wie turbulent das vergangene Jahr gewesen war und wie lange es gedauert hatte, bis sie endlich schwanger geworden war, konnte sie es kaum glauben. Obwohl sie schon Ende dreißig war, hatte sie eine völlig problemlose Schwangerschaft, und trotz ihres beträchtlichen Bauchumfangs fühlte sie sich selbst jetzt noch fit genug, um sich um die Geschäfte der Inselgärtnerei zu kümmern.
Je näher sie der Küste kamen, desto klarer wurden die Farben. Es war ein herrlicher Frühlingstag Mitte April, die Luft prickelnd wie Champagner und der Himmel von einem so leuchtenden Blau, als wölbte sich ein riesiger Saphir über die bretonische Landschaft und das Meer. In der Ferne schimmerten die Granitfelsen der Kamelieninsel in der Mittagssonne wie altes Silber.
»Den Rest des Tages machen wir aber frei, ja?«, schlug Maël vor. Seine meerblauen Augen blitzten, als er sie angrinste. »Oder hast du etwa vor, heute zu arbeiten?«
Sylvia lachte. »Sag bloß«, gab sie zurück, »du lässt deine Kamelien im Stich? Musst du nicht mehr ins Labor?«
»Nein«, antwortete Maël. »Meine Frau hat heute Geburtstag! Und es ist ihr letzter Geburtstag ohne Kind.«
»Was ist mit Noah?«, fragte Sylvia fröhlich. »Zählt er etwa nicht? Schade, dass der Junge erst morgen kommen kann«, fügte sie bedauernd hinzu. Maël warf ihr einen zärtlichen Blick zu. Noah war Maëls Sohn, die Frucht einer früheren Beziehung. Es war gerade mal ein Jahr her, dass Chloé völlig überraschend mit dem Kleinen auf der Kamelieninsel erschienen war. Das war nicht nur für Sylvia ein Schock gewesen, sondern vor allem für Maël, der bis dahin nichts von der Existenz seines Sohnes geahnt hatte. Acht Jahre zuvor hatte ihm diese Frau beinahe das Herz gebrochen, als sie von einem Tag auf den anderen einfach aus seinem Leben verschwunden war. Was er damals für die große Liebe gehalten hatte, war für Chloé nichts weiter als ein Urlaubsflirt gewesen.
Dass die junge Pariserin aus reichem Hause von ihm schwanger geworden war, hatte sie Maël verschwiegen. Ob Chloé wirklich geglaubt hatte, wie sie behauptete, ihr damaliger Verlobter Alain sei Noahs Vater, oder ob sie ihm das Kind bewusst untergeschoben hatte, das würde wohl für immer ihr Geheimnis bleiben. Erst Jahre später, als sich kein weiteres Kind einstellen wollte, hatte Alain Dufèvre erfahren, dass er unfruchtbar war und nicht Noahs Vater sein konnte. Tief verletzt hatte er sich nicht nur von Chloé getrennt, sondern auch von dem Jungen losgesagt, den er all die Jahre für seinen Sohn gehalten hatte, was für den damals Siebenjährigen kaum zu verkraften gewesen war.
Mittlerweile hatten sich die Wogen geglättet. Zwar hatte Chloé versucht, Maël wieder zurückzugewinnen, doch sie hatte einsehen müssen, dass das aussichtslos war, denn Maël liebte Sylvia über alles. Noah besuchte auf eigenen Wunsch ein Internat in England, wo seine Mutter inzwischen lebte. Die schulfreie Zeit verbrachte er stets bei Maël und Sylvia. Nun standen die Frühjahrsferien bevor.
»Vielleicht hätten wir eine Party organisieren sollen«, meinte Maël und warf ihr einen kurzen, prüfenden Blick zu. »Hätte dir das gefallen?«
»Eine Party?«, fragte Sylvia überrascht. »Mit wem denn? Sie sind ja alle so weit fort. Nicht einmal Vero hat Zeit.«
Ja, ein bisschen enttäuscht war sie schon. Es müsste ja nicht gerade ein großes Fest sein, überlegte sie. Und doch hätte sie gern mit den Menschen, die ihr lieb und teuer waren, den Tag verbracht. Das hätte sie schön gefunden, zumal ihr Geburtstag im vergangenen Jahr in der Aufregung um Noahs Ankunft völlig untergegangen war. Aber so war das nun einmal. Jeder hatte sein eigenes Leben.
Und zu ihrem großen Bedauern hatte ihre engste Vertraute Solenn, die eigentliche Besitzerin des Jardin aux Camélias, die einst gemeinsam mit Sylvias Tante Lucie die Gärtnerei aufgebaut hatte, vor einem halben Jahr die Insel verlassen. Was keiner für möglich gehalten hatte, war eingetreten: Nach Lucies Tod hatte sich Solenn tatsächlich noch einmal verliebt. Mit ihrer neuen Partnerin Aaltje lebte sie jetzt in den Niederlanden. Sie hatte Sylvia zwar versprochen, zur Geburt ihres Kindes zu kommen und einige Wochen zu bleiben. Doch heute, an ihrem Geburtstag, hatte sie keine Zeit …
Sie hatten die Auffahrt zu dem schmalen Fahrdamm erreicht, der die Kamelieninsel mit dem Festland verband. Die Ampel stand auf Rot, und Sylvia sah erfreut, dass ihnen einige Autos entgegenkamen, Besucher, die den Morgen zu einem Abstecher in den Jardin aux Camélias genutzt und in der Inselgärtnerei oder im Laden des Besucherzentrums hoffentlich gut eingekauft hatten. Schließlich erreichte der letzte Wagen das Festland, und die Ampel sprang auf Grün.
Die Flut lief zwar ein, doch der Damm war noch befahrbar. In knapp einer Stunde würden die ersten Wellen den Damm überspülen, dann war die Insel bis zum Abend nur per Boot erreichbar.
»Pierrick, wie immer bei der Arbeit«, bemerkte Maël und wies auf ein altes Baggerboot an der Flanke des Dammes. »Jedes Jahr ist es mehr oder weniger dieselbe Stelle, an der die Winterstürme das Fundament aushöhlen. Hoffentlich ist es diesmal nicht so schlimm.«
Der Damm war der Überrest einer Landzunge, mit der die Insel vor langer Zeit mit dem Festland verbunden gewesen war. Die Gezeiten hatten im Lauf der Jahrhunderte so lange an ihr genagt, bis dieser schmale Fahrweg übrig geblieben war. Pierrick, der schon auf der Insel gelebt hatte, als sie noch im Besitz einer Fischerfamilie gewesen war, besserte ihn Frühjahr für Frühjahr aus. Ohne seine außergewöhnlichen Kenntnisse der Strömungen wäre die Verbindung zur Küste wohl längst dem Atlantik zum Opfer gefallen.
»Wer ist denn der junge Mann bei Pierrick?«, erkundigte sich Sylvia, als sie das Baggerboot passierten.
»Das ist Tristan, der jüngste Sohn von Brioc«, antwortete Maël. »Er ist mit seinem Militärdienst fertig. Sein Vater möchte ihn gern am Hafen beschäftigen. Dafür müssen ihm die Behörden allerdings erst eine neue Stelle bewilligen. Solange hilft er Pierrick.«
»Sie scheinen fertig zu sein«, sagte Sylvia erstaunt, die im Rückspiegel beobachtete, wie das Baggerboot die Schaufel einholte und Kurs auf die Insel nahm. »Wieso bringen sie das Monstrum denn nicht zum Festland wie sonst?«
»Keine Ahnung«, meinte Maël und warf ihr einen raschen Blick zu.
Auf beiden Seiten der Fahrstraße schlugen die Wellen heran, und Sylvia war wie vom ersten Tag an fasziniert von diesem kühnen Zufahrtsweg mitten durch das Meer. Nun hatten sie die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, und die Einzelheiten der Insel wurden immer deutlicher erkennbar.
Seitlich des Fahrdamms befand sich der Naturhafen, in dem die inseleigenen Boote vertäut lagen und wo das Wassertaxi, das bei Flut zwischen dem Festland und der Insel verkehrte, anlegen konnte. Eine steile, in die Klippen gehauene Treppe führte zum höher gelegenen Parkplatz vor dem Herrenhaus des Jardin aux Camélias, einem stattlichen Gebäude mit zwei Stockwerken, das schon so manchem Wetter getrotzt hatte.
Sie erreichten das Ende des Damms, und Maël lenkte den Wagen die steile Auffahrt zur Insel hoch. Sylvia lebte nun seit drei Jahren hier, und doch schlug ihr Herz jedes Mal höher, wenn sie zu diesem herrlichen Fleckchen Erde mitten im Atlantik zurückkehrte. Sie konnte sich kaum noch vorstellen, dass sie vor gar nicht so langer Zeit in einer Großstadt wie München gelebt hatte. Als gefragte Unternehmensberaterin war sie rund um die Uhr unterwegs gewesen, ihr Privatleben hatte stets zurückstehen müssen. Das hatte sich vollkommen geändert. Nach wie vor besuchte sie zwar ihre treusten Kunden, wenn diese sie brauchten, doch das war inzwischen zur Ausnahme geworden. Sylvia hatte die Geschäftsleitung der Inselgärtnerei in die Hand genommen und den vor sich hin dümpelnden Betrieb zu einem tragfähigen Unternehmen ausgebaut. Diese Aufgabe füllte sie vollständig aus.
»Würdest du bitte kurz halten?«, bat sie Maël, als sie am Besucherzentrum gegenüber dem Jardin aux Camélias vorbeifuhren. »Ich möchte Suzanne gern fragen, ob die Proben aus der Kosmetikmanufaktur angekommen sind.«
»Hat das nicht Zeit bis morgen?«, fragte Maël, doch als er Sylvias erwartungsvolles Gesicht sah, hielt er schmunzelnd an.
»Ich bin sofort wieder zurück«, beteuerte Sylvia und stieg aus dem Wagen, als Suzanne, die den Laden des Besucherzentrums führte, schon aus der Tür trat – einen kleinen Karton in den Händen.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, rief sie und küsste Sylvia auf beide Wangen. »Hier sind die Proben. Vor einer halben Stunde sind sie gekommen. Ach, ich bin ja so gespannt.«
»Hast du sie noch gar nicht geöffnet?«, fragte Sylvia.
Die zierliche junge Frau schüttelte ihre dunklen Locken. »Nein«, antwortete sie mit einem herzlichen Lächeln. »Ich dachte, dass du das sicher lieber selbst tun möchtest, n’est-ce pas?«
»Du bist ein Schatz, Suzanne«, sagte Sylvia. »Warum kommst du später nicht runter zu uns? Dann sehen wir uns die Proben gemeinsam an. Bei Flut sind ohnehin keine Besucher zu erwarten.«
»Gern«, antwortete Suzanne und versuchte ein Grinsen zu unterdrücken.
»Was ist?«, fragte Sylvia.
»Nichts, überhaupt nichts«, wehrte Suzanne ab. »Ich hab nur gerade an was Lustiges denken müssen. Bis später also!« Und damit kehrte sie zurück in den Inselladen.
»Am liebsten würde ich es sofort öffnen«, erklärte Sylvia, als sie wieder im Wagen saß.
Statt durch das imposante hölzerne Tor in den Hof einzubiegen, über dem ein riesiges Holzschild hing mit dem Schriftzug LEJARDINAUXCAMÉLIAS – BIENVENUS, folgte Maël einem unbefestigten Weg, der außen an der hohen Mauer entlangführte, die das gesamte Anwesen umschloss. Sie war wie das Herrenhaus im vorletzten Jahrhundert aus dem grauen Gestein der Insel erbaut worden und schützte den Park des Kameliengartens vor den rauen Atlantikwinden. So behütet gediehen hier uralte Kamelienbäume, die noch aus den Zeiten der Vorbesitzer, der wohlhabenden Fischerfamilie Kerguénnec, stammten, sowie jüngere Exemplare aus Maëls Züchtung.
Dank seiner Gabe, außergewöhnliche Sorten zu kreieren, und nicht zuletzt dank Sylvias umsichtigem Management hatte sich die Kamelieninsel zu einer wahren Touristenattraktion an der bretonischen Atlantikküste entwickelt. Hatten früher vor allem Spezialisten und Sammler den weiten Weg auf sich genommen, um seltene Sorten zu finden, so kamen inzwischen Blumenliebhaber aus aller Welt an dieses äußerste Ende Europas, um sich an der Schönheit der Winterblüher zu erfreuen. Anders als die meisten anderen Pflanzen entfalteten die Kamelien nämlich von November bis ins Frühjahr hinein ihre außergewöhnlichen Blüten. Im Augenblick standen die allerletzten Sorten in voller Pracht.
Sie hatten das untere Ende des Parkgeländes erreicht, und Maël hielt vor einem einfachen Eisentor. Gleich dahinter lag das Ti Bag, ihr Zuhause. Ti Bag bedeutete »Bootshaus« auf Bretonisch, und es hieß deshalb so, weil hier einstmals die Fischkutter der Kerguénnecs instand gehalten worden waren. Maël hatte das frühere Werkstattgebäude zu einem großzügigen Wohnhaus umgebaut.
»Vielleicht hätte ich doch rasch im Büro vorbeischauen sollen«, meinte Sylvia schuldbewusst und sah auf ihre Armbanduhr. Es war kurz nach ein Uhr. »Oh, und wartet nicht Elise oben mit dem Essen?«
»Heute nicht. Komm nur ins Haus, chérie. Das Büro hat wirklich Zeit bis morgen.«
Sylvia folgte ihm widerstrebend. In Gedanken war sie bei einem schwierigen Kunden, der für eine Betriebsfeier am Wochenende unbedingt zwei Dutzend rot blühende Kameliensträucher geliefert haben wollte. Das war an sich kein Problem, nur neigte sich die Blütezeit der Kamelien gerade dem Ende entgegen, und …
»Joyeux Anniversaire!«, schallte es ihr vielstimmig entgegen. »Alles Gute zum Geburtstag!«
Verblüfft sah Sylvia sich um. Die große Halle, wie sie ihren loftähnlichen Wohnraum nannten, in dem einmal Fischerboote mit einer Länge von bis zu zwölf Metern Platz gefunden hatten, war voller Menschen. Bunte Girlanden waren von der Galerie bis zur gegenüberliegenden Seite gespannt, Trauben von Luftballons schmückten die Decke, und Wunderkerzen versprühten ihre silbernen Strahlen. Verwirrt blickte sie in die Gesichter jener Menschen, die ihr in den vergangenen Jahren zur Wahlfamilie geworden waren, und die sie an diesem Tag weit weg geglaubt hatte.
»Solenn!«, rief sie und nahm ihre Freundin in die Arme. Sie war Anfang sechzig, von kleiner, ein wenig gedrungener Gestalt. In ihrem dunklen, wie immer kurz geschnittenen Haar entdeckte Sylvia die ersten silbernen Fäden. »Was machst du denn hier?«, fragte sie gerührt. »Ich denke, du und Aaltje, ihr seid verreist.« Die resolute und doch so feinfühlige Bretonin war einst die Lebensgefährtin von Sylvias verstorbener Tante Lucie gewesen. »Mein Gott, Solenn, du hast mir so gefehlt!«
Dann entdeckte Sylvia den feurigen Lockenschopf von Veronika, ihre Freundin aus Studienzeiten, mit ihrer knapp zweijährigen Tochter Lilianne auf dem Arm. Die Kleine mit den leuchtend roten Korkenzieherlocken strahlte über das ganze Gesicht.
»Du hast gesagt, du hättest keine Zeit«, beschwerte sich Sylvia lachend, drückte ihre Freundin und gab der kleinen Lili, ihrem Patenkind, bisous.
»Ich habe ja auch keine Zeit«, antwortete Veronika. »Meine beste Freundin hat heute Geburtstag. Alles Gute, Sylvia!«
Jemand zupfte an Sylvias Pullover, und als sie sich umsah, glaubte sie, ihren Augen nicht zu trauen. Vor ihr stand ein Junge mit dunkelbraunem Wuschelhaar.
»Noah«, rief sie aus. »Ich denke, du kommst erst morgen!«
»Du hast doch heute Geburtstag«, entgegnete der Kleine, dessen Ähnlichkeit mit Maël unübersehbar war. »Happy Birthday!«
»Ich kann es nicht fassen«, brach es aus Sylvia gerührt heraus, als sie erst Noah und dananch Morgane umarmte, die Schulleiterin auf dem Festland war. »Über eines sprechen wir aber noch«, fügte sie dann mit gespielter Empörung hinzu, während sie herzlich ihre Assistentin Gwen und all die anderen Mitarbeiter begrüßte. »Ihr habt mich alle angeschwindelt! Die einen haben behauptet, verreist zu sein. Und die anderen konnten sich vor Arbeit nicht retten …«
»Ach, das gehört doch dazu«, erklärte Coco grinsend, die seit vielen Jahren als Gärtnerin bei ihnen arbeitete. »Sonst ist es ja keine Überraschung!«
»Genau!«, pflichtete Gurvan, der Maëls engster Mitarbeiter war, seiner Kollegin bei. »Schneide lieber den Geburtstagskuchen an. Ist das etwa ein deutsches Rezept, Elise? Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.«
»Den Kuchen gibt es erst zum Dessert«, wies ihn Elise, die Hauswirtschafterin, zurecht und legte fürsorglich den Arm um Sylvia. »Wie war die Untersuchung? Ist alles in Ordnung mit der Kleinen?«
»Ich habe keine Ahnung«, entgegnete Sylvia amüsiert, »woher ihr alle zu wissen glaubt, dass es ein Mädchen ist. Die Ärztin sagt …«
»Ach was, die Ärzte«, unterbrach Pierrick sie, der soeben mit Tristan gekommen war, und Sylvia begriff jetzt, warum es das Baggerboot so eilig gehabt hatte, ihnen zu folgen. »Die haben doch keine Ahnung. Deiz-ha-bloaz laouen!«, sagte der alte Bretone feierlich und nahm Sylvia in seine knorrigen Arme.
»Fest steht«, mischte sich Morgane ein, »dass Sylvia einen ziemlich spitzen Bauch hat. Und meine Mutter sagt immer, ein spitzer Bauch gibt ein gewitztes Mädchen.«
Gelächter brandete auf.
»Sylvie hat keinen spitzen Bauch«, erklärte die kleine Lili empört. »Ihr Bauch ist rund. Weil da ein Baby drin ist!«
»Ganz genau.« Maël hob die Kleine liebevoll hoch und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Und bald bekommen wir so ein gewitztes Mädchen wie dich!«
»Egal, was es ist«, sagte Solenn mit Nachdruck, »wir lieben es bereits. So, und jetzt endlich zu Tisch! Elise hat sich heute nämlich mal wieder selbst übertroffen.«
Das ließ sich die Geburtstagsgesellschaft nicht zweimal sagen und nahm an der riesigen Tafel Platz, die Maël gemeinsam mit Pierrick einst aus alten Schiffsplanken geschreinert hatte.
Es gab Elises Spezialität Poulet à l’armoricaine, Hähnchen in einer wundervollen Sauce, deren Rezept die Hauswirtschafterin nicht preisgeben wollte, sooft Sylvia sie auch danach fragte. Als Vorspeise hatte sie eine riesige Platte mit überbackenen Austern auf den Tisch gebracht, die hier an der Küste gesammelt worden waren, und Maël entkorkte einige Flaschen Sauvignon Blanc.
»So schön, dass du schon jetzt gekommen bist«, sagte Sylvia zu Solenn und drückte ihre Hand. »Du bleibst doch bis zur Geburt?«
»Nein, Sylvie«, erklärte Solenn bedauernd. »Die ist ja erst in einem Monat. Aaltje hat nächste Woche einen Termin in der Augenklinik. Der graue Star. Das ist zwar eine Routine-OP, aber sie wünscht sich trotzdem, dass ich bei ihr bin.«
»Natürlich«, antwortete Sylvia ein wenig enttäuscht. Einmal mehr fühlte sie, wie die ältere Freundin ihr fehlte.
»Sie hat den Termin extra so gelegt, dass bis zur Geburt alles vorbei ist«, fügte Solenn beruhigend hinzu. »Und dann bin ich zur Stelle, keine Sorge! Außerdem ist meine Schwester ja auch noch da. Wo steckt Rozenn überhaupt? Hat ihr etwa keiner Bescheid gesagt?«
»Doch, natürlich«, versicherte ihr Gwen. »Sie muss auf Übernachtungsgäste warten und kommt ein bisschen später.«
Solenns jüngere Schwester Rozenn war Keramikerin und wohnte auf dem Festland in einem verwunschenen Haus, außerdem vermietete sie Zimmer an Sommergäste.
»Kann ich noch etwas Brot haben?«, fragte Noah und angelte sich zwei Scheiben von Elises hausgebackenem pain breton, das halb aus Weichweizen- und halb aus Vollkornmehl bestand. Durch die Zugabe von ein wenig gesalzener Butter im Teig schmeckte es herrlich saftig und mürb. Elise beobachtete mit Freuden, wie Noah sich eine weitere Auster nahm.
»Was gibt es denn im Internat so zu essen?«, erkundigte sie sich. Bevor Elise zu ihnen gekommen war, hatte sie die Küche eines Internats in Nordfrankreich geleitet.
»Och«, meinte der Junge, »das Essen ist schon in Ordnung. Aber Austern hat es noch nie gegeben.«
Die Erwachsenen lachten.
»So gut wie hier bei uns isst du nirgendwo, mein Junge«, erklärte Pierrick. »Wollen wir die Tage mal wieder miteinander zum Angeln gehen und ein paar schöne Fische fangen?«
»Klar«, erklärte Noah mit einem Strahlen. »Gleich heute Nachmittag?«
»Jetzt mal sachte«, meinte Pierrick mit einem breiten Grinsen. »Du bist ja gerade erst angekommen.«
»Bald kommt Alain mich besuchen«, berichtete Noah eifrig, und Sylvia horchte auf. Noahs Ziehvater wollte wieder Kontakt zu dem Jungen aufnehmen?
»Hat er sich denn bei dir gemeldet?«, fragte Sylvia.
Noah hatte sich gerade die zweite Scheibe Brot einverleibt und nickte mit vollem Mund.
»Er hat mir geschrieben«, erklärte er, nachdem er geschluckt hatte. »Stell dir vor, er möchte auf die Insel kommen. Dann zeig ich ihm, wie gut ich segeln kann.«
Sylvia dachte an den smarten Jungpolitiker mit der vielversprechenden Zukunftsperspektive, der bei ihren Begegnungen stets so unnahbar gewirkt hatte. Wie konnte man einen Jungen, den man sieben Jahre lang für seinen Sohn gehalten hatte, einfach so aus seinem Leben streichen? Sie hatte das bedauert und gehofft, dass Alain Dufèvre es sich irgendwann anders überlegen würde. Offenbar war dies nun der Fall.
»Wann kommt er denn? Und … sag mal, wer hat dich eigentlich vom Flughafen abgeholt?«, fragte Sylvia, einen Moment lang besorgt wegen Maëls Aufsichtspflicht dem Jungen gegenüber.
»Wir haben ihn am Pariser Flughafen eingesammelt«, erklärte Solenn. »Das lag ja auf unserer Strecke. Maël hat alles bestens organisiert.«
Staunend betrachtete Sylvia ihren Mann. Normalerweise war sie diejenige, die alles bis ins kleinste Detail organisierte. Vielleicht nahm sie ihm immer zu viel ab? Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte sie. Wenn das Kind erst einmal da war, würde sie sich nicht mehr um alles kümmern können. Es war so gut, Maël an ihrer Seite zu wissen. Er würde auch bei der Entbindung dabei sein, das hatte von Anfang an festgestanden. Erst in der vergangenen Woche hatten sie die Geburtsklinik besucht.
Rozenn erschien mit einem riesigen Blech Kouign Amann und wurde mit großem Hallo empfangen. Elise nahm ihr den berühmten bretonischen Butterkuchen ab und trug ihn hinüber zur offenen Küchenzeile.
»Wo hast du denn Maart gelassen?«, erkundigte sich Pierrick.
»Der hat leider zu tun«, antwortete Rozenn und hob Lili hoch, um ihr Küsschen zu geben. »Ich soll euch alle schön grüßen. Vor allem dich, Sylvie.«
»Wer ist denn Maart?«, fragte Veronika erstaunt.
»Ach, habt ihr euch noch nie getroffen?«, fragte Rozenn.
»Maart ist Rozenns Winterliebe«, antwortete Pierrick an ihrer Stelle. »Sie kennen sich schon seit ihrer Jugend, doch damals wurde nichts aus den beiden. Er ist einer der erfahrensten Lotsen hier an der Küste.«
»Was ist denn eigentlich das für ein Wagenrad hier?«, erkundigte sich Elise und wies auf einen großen Käselaib, der einen Teil der Arbeitsfläche beanspruchte.
»Den hab ich aus Holland mitgebracht«, sagte Aaltje und lachte verlegen. »Ich weiß, Käse nach Frankreich zu bringen ist ein bisschen wie Eulen nach Athen zu tragen. Aber so ein durchgereifter, zwölf Jahre alter Gouda ist schon etwas Besonderes.«
»Und ob er das ist«, stimmte Sylvia ihr zu. »Ganz lieben Dank! Ihr habt wirklich einen ganzen Laib davon mitgebracht?«
Suzanne, die inzwischen zu ihnen gestoßen war, half Elise, den Käse anzuschneiden, ihn auf mehreren Brettern anzurichten und zu Tisch zu bringen. Lili griff gleich mit beiden Händen nach Aaltjes Gouda und knabberte andächtig an einem Stück, und selbst Noah, der außer dem einheimischen Palet de Chèvre, den ein alter Freund von Pierrick herstellte, kaum Käse mochte, fand den Gouda akzeptabel.
Elise hatte gerade all die vielen kleinen Kerzen auf Sylvias Geburtstagskuchen, einem überdimensionalen Frankfurter Kranz, angezündet, als das Telefon läutete.
»Das ist sicher jemand, der dir gratulieren will«, meinte Noah und lief, um Sylvia den Hörer zu bringen.
»Zut alors«, maulte Coco. »Ausgerechnet jetzt, wo Sylvie die Kerzen ausblasen muss!«
»Ich mach’s kurz«, beschwichtigte Sylvia sie und nahm das Gespräch an.
»Bonjour, Madame«, erklang eine förmliche Männerstimme. »Kann ich mit Monsieur Riwall sprechen? Maël Riwall?« Sylvia reichte den Hörer weiter. »Das ist ohnehin nicht für mich«, sagte sie fröhlich in die Runde und wandte sich den vielen Kerzen zu.
»Wer ist es denn?«, wollte Maël wissen.
»Ein Kollege, nehme ich an«, sagte sie. »Oder ein Kunde.«
Maël runzelte die Stirn. »Der uns auf unserer Privatnummer anruft?«
Er nahm den Hörer, und während Sylvia es tatsächlich schaffte, alle Kerzen mit einem einzigen Atemzug auszublasen, und ihre Gäste damit zum Jubeln brachte, zog er sich ins Schlafzimmer zurück.
Maël kam erst zurück, als alle anderen ihren Kuchen bereits aufgegessen hatten, und zeigte kein Interesse an seinem eigenen Stück.
»Wer war es denn?«, fragte Sylvia leise und musterte ihn besorgt. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Er wirkte geradezu verstört.
»Ich erzähl es dir später«, antwortete er ebenso leise.
»Du siehst aus, als ob jemand gestorben wäre«, sagte Solenn und betrachtete ihn genau.
Es gab nur wenige Menschen, die Maël so gut kannten wie sie. Schließlich hatte sie ihn gemeinsam mit Lucie großgezogen, nachdem er eines Tages im Alter von zwölf Jahren bei ihnen aufgetaucht war. Aller Augen wandten sich nun ihm zu.
»Niemand ist gestorben«, antwortete er unwirsch. Er wollte sich Kaffee einschenken, doch die Kanne war leer. »Es ist alles in Ordnung. Soll ich noch mal Kaffee machen?«
»Mais non«, erklärte Elise und erhob sich. »Das erledige ich.«
»Willst du deinen Kuchen nicht?«, erkundigte sich Noah mit Blick auf Maëls unberührten Teller.
Da endlich lächelte er. »Möchtest du ihn haben?«, fragte er. »Nimm ruhig und lass ihn dir schmecken.«
Er legte den Arm um Sylvia, und sie konnte seine Anstrengung fühlen, an der allgemeinen guten Laune teilzuhaben. Etwas war nicht in Ordnung, sie spürte deutlich, dass Maël sich Sorgen machte. Und was ihn betraf, das ging auch sie etwas an. Sie wechselte einen Blick mit Solenn, die offenbar Ähnliches dachte. Beide kannten Maël allerdings gut genug, um abzuwarten, bis er von selbst anfing zu berichten.
»Möchtest du jetzt mein Geschenk öffnen?«, riss Noah Sylvia aus ihren Gedanken. Er reichte ihr ein flaches, rechteckiges Päckchen.
»Das ist ja ganz schön schwer«, sagte Sylvia erstaunt.
Noah nickte eifrig und bekam rote Wangen. »Gib acht, es ist zerbrechlich«, warnte er sie. »Ich hab es den ganzen Flug über auf dem Schoß behalten, damit nichts passiert.«
Sylvia löste das Klebeband und mehrere Lagen Papier. Zum Vorschein kam eine bemalte Glasscheibe, und als sie sie vorsichtig mit beiden Händen hob und gegen das Licht hielt, konnte sie einen Ausruf der Bewunderung nicht zurückhalten.
»Glasmalerei«, rief sie aus. »Wie zauberhaft! Hast du das gemacht?«
»Ja«, antwortete Noah vor Stolz strahlend. »Gefällt es dir?«
»Und wie! Es ist wunderschön«, erklärte Sylvia bewundernd.
»Lass mal sehen«, bat Pierrick, zu dem der Junge als Erstes Vertrauen gefasst hatte, als ihn seine Mutter ein Jahr zuvor ohne Vorwarnung aus Paris auf die Insel gebracht hatte. »Dis donc, ist das etwa ein Boot?«
Noah nickte stolz. »Es ist die La Brise. Und an Bord, da stehen wir alle: Du, Sylvie, Maël und ich.« Gerührt betrachtete Sylvia die Malerei. Das Boot war gut getroffen, und auch die vier kleinen Gestalten konnte man deutlich erkennen. »Es ist früh am Morgen«, fuhr Noah fort, »seht ihr? Da hinten geht gerade die Sonne auf.«
»Dafür müssen wir einen besonderen Platz finden. Was hältst du von dem Fenster hier, das nach Osten zeigt?«, schlug Sylvia vor. »Dann sehen wir beim Frühstück, wie die ersten Morgenstrahlen dein Bild erleuchten.«
Noah nickte zustimmend und begleitete Pierrick, um das nötige Werkzeug zu holen. Während die beiden die bemalte Scheibe vor das Fenster hängten, packte Sylvia noch weitere Geschenke aus. Eine praktische Babywippe von ihrer Freundin Veronika. Einen federleichten und doch kuschelwarmen Bademantel mit passenden Pantöffelchen aus einem Wolle-Seide-Gemisch von Solenn und Aaltje.
»Gefällt dir die Farbe? Man nennt sie Rosenholz, glaube ich«, erkundigte sich Aaltje gespannt.
»O ja«, antwortete Sylvia.
»Die steht dir ausgezeichnet«, stimmte Veronika zu. »Sie passt perfekt zu deinem dunkelblonden Haar und bringt deine blauen Augen zum Leuchten. Damit wirst du die eleganteste Mutter der Entbindungsstation sein, Sylvia!«
»Das ist sie sowieso«, bemerkte Maël stolz.
Die größte Überraschung bereitete ihr Pierrick. Er hatte auf dem Dachboden des Herrenhauses eine antike bretonische Wiege gefunden und wieder hergerichtet, ein wunderschönes Stück aus Kastanienholz mit geschnitzten Seitenteilen und gedrechselten Griffen.
»Die gehörte bestimmt zu einem lit clos«, erklärte er, »so wie man es hier üblicherweise hatte.« Er erzählte Sylvia, dass man früher in der Gegend in einer Art Schrankbett schlief, das aussah wie ein Himmelbett, nur dass Dach und Seitenwände nicht aus Stoff, sondern aus geschnitztem Holz waren, und mit einer Schiebetür statt Vorhängen. »In diesen alten Häusern zog es fürchterlich, besonders im Winter«, erzählte Pierrick und schmunzelte. »Außerdem schliefen alle in ein und demselben Raum. Da war es praktisch, ein Bett mit einer Tür zu haben, die man schließen konnte.« Von einem lit clos hatte er allerdings auf dem Speicher nichts mehr entdecken können. »Viele dieser alten Kästen hat man später zu begehbaren Schränken umgebaut«, erklärte er. »Oder man zerlegte sie und verwendete ihre Einzelteile anderweitig. Und so manch eines landete wohl auch als Brennholz im Kamin, wer weiß.«
Sylvia lauschte ihm aufmerksam und fuhr mit der Hand über die feine Schnitzarbeit der Wiege, deren Holz Pierrick mit Leinöl aufpoliert hatte.
»Was für ein wundervolles Geschenk«, sagte sie. »Vielen Dank, Pierrick! Wer wohl früher in diesem Bettchen gelegen haben mag?«
»Vielleicht Nolff, der Letzte aus dem Clan der Kerguénnecs«, sinnierte Pierrick. »Er war mein Freund, und er würde sich gewiss freuen, wenn er wüsste, dass jetzt euer Kind darin schlafen wird.«
»Bevor es so weit ist«, ergriff Gwen das Wort und reichte Sylvia einen Umschlag, »solltest du unser Geschenk öffnen. Es ist von uns allen.«
Sylvia öffnete das Kuvert und zog eine Doppelkarte daraus hervor.
»Was ist das?«, fragte sie erstaunt. »Ein Gutschein für ein Wochenende in einem Hotel?«
»In einem fabelhaften Wellnesshotel«, korrigierte Gwen sie. »Für euch beide. Ich war einmal dort, es ist ein Traum.«
»Ihr solltet den Gutschein unbedingt vor der Geburt einlösen«, warf Morgane ein, »denn danach wird es aus sein mit der Ruhe, fürchte ich.«
Der Klang von Metall gegen Glas ließ sie alle verstummen.
»Wir wollen euch etwas mitteilen«, erklärte Coco, die mit ihrer Gabel gegen ein Glas geklopft hatte. Sie stupste Gurvan leicht in die Rippen, worauf er sich erhob.
»Die Sache ist die«, begann er verlegen und suchte nach den richtigen Worten, was noch nie seine Stärke gewesen war. »Ich meine, Coco und ich, wir kennen uns ja seit einer ganzen Weile. Und da … na ja, da dachten wir …«
»Herrje«, unterbrach ihn Coco und verdrehte die Augen. »Mach’s kurz, Gurvan. Kurz und bündig.«
»Wir … wir wollen heiraten«, brach es aus dem Gärtner hervor. Er ließ sich erleichtert zurück auf seinen Stuhl fallen.
Für eine Millisekunde war es still in der großen Halle. Obwohl die beiden Tag für Tag zusammen arbeiteten, war nicht einmal Elise, von der man sagte, dass sie das Gras wachsen höre, darauf gekommen, dass die beiden, die sich tagtäglich kabbelten und zankten, ein Paar werden könnten. Dann redeten alle gleichzeitig los, sprangen auf und schlossen Coco und Gurvan in die Arme. Wenn Sylvia es sich recht überlegte, passten sie ausgezeichnet zueinander, und das nicht nur, weil sie beide ihr stoppelkurzes Haar in leuchtenden Farben trugen, Coco in Karottenrot und Gurvan in Neongrün. Der dritte im Bunde, der Auszubildende im zweiten Lehrjahr, Iven, der seinen Haarschopf zitronengelb gefärbt hatte, frotzelte: »Na, wenn da mal nichts im Busch ist«, und erntete prompt eine schmerzhafte Kopfnuss von seiner Chefin.
»Ja, wir erwarten was Kleines«, erklärte Coco stolz und funkelte Iven zornig an. »Attends un peu!«, fügte sie halblaut hinzu, nachdem der allgemeine Jubel über diese Neuigkeit verebbt war. »Ich weiß jetzt schon, wer morgen Glashaus IV putzt. Und zwar ganz allein.«
»Dann feiern wir heute also auch Verlobung«, sagte Maël und erhob sich. »Darauf müssen wir unsere Gläser erheben. Elise, bist du so lieb und holst uns die Sektkelche? Ich geh mal nachsehen, ob ich einen passenden Tropfen finde.«
Während sie ausgelassen miteinander anstießen, die Schwangeren und Kinder mit Mineralwasser und alle anderen mit einem erlesenen Crémant Brut aus Maëls Spezialreserven für besondere Anlässe, beobachtete Sylvia nicht ohne Sorge, wie ihr Mann trotz der fröhlichen Stimmung abwesend vor sich hin starrte.
»Alors, les enfants«, rief Solenn schließlich, der das ebenfalls nicht entgangen war. »Sylvie ist müde. Wir lassen die beiden jetzt ein bisschen in Ruhe. Und wisst ihr was? Ich leg mich ebenfalls ein Stündchen hin. Wir treffen uns wie jeden Abend um sieben oben im großen Haus. D’accord?«
Es dauerte eine Weile, bis jeder seine Siebensachen beisammenhatte. Pierrick schlug Noah vor, mit ihm in sein kleines Häuschen auf der anderen Seite des Gartens zu kommen, um den Seewetterfunk abzuhören, was dieser für sein Leben gern tat. Elise wiederum erklärte, nicht eher zu gehen, bevor sie den Tisch abgedeckt und das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine geräumt hatte.
»Und wenn ich schon dabei bin, kann ich auch noch rasch die große Halle durchfegen«, fügte sie hinzu.
In der Zwischenzeit zeigte Sylvia ihrer Freundin Veronika und Lili die Kammer neben ihrem Schlafzimmer, die sie für das Baby hergerichtet hatten. Sie war gerade groß genug für ein Kinderbett, eine Wickelkommode und einen bequemen Sessel unter dem quadratischen Fensterchen, durch das man direkt aufs offene Meer hinausblickte.
»Das ist zauberhaft geworden«, schwärmte Veronika. Und angesichts der zartrosa gestrichenen Wände fügte sie hinzu: »Wie ich sehe, rechnet ihr tatsächlich mit einem Mädchen?«
Sylvia lachte, und Lili klatschte in die Hände.
»Maël ist davon nicht abzubringen, das stimmt«, meinte sie. »Aber ich wollte ohnehin diese Farbe, egal, ob es ein Junge wird oder ein Mädchen. Ich habe nämlich gelesen, dass Babys im Mutterleib das Tageslicht durch den Bauch hindurch schimmern sehen. Stell dir vor, sie sehen alles wie durch eine rosarote Brille! Vielleicht kommt die Redewendung ja daher. Deswegen wirkt diese Farbe auf jeden Fall beruhigend auf Neugeborene, egal ob Mädchen oder Junge. Es erinnert sie an ihre ersten visuellen Eindrücke vor der Geburt.«
»Wie interessant! Das wusste ich gar nicht«, sagte Veronika staunend. »Wie gefällt dir die Farbe?«, fragte sie Lili.
»C’est joli!«, antwortete sie ernsthaft.
Sylvia öffnete eine Schublade der Wickelkommode. Zum Vorschein kamen winzig kleine, aus feinem weißem Garn gehäkelte Jäckchen, Mützen, Schühchen und Fäustlinge. Lili griff nach einer Mütze und versuchte, sie überzuziehen, merkte jedoch gleich, dass sie viel zu klein für sie war.
»Die Sachen sind für Sylvias Baby«, erklärte Veronika. »Komm, wir legen sie zurück zu den anderen.«
»Das sind alles Geschenke von den Frauen aus der Handarbeitsgruppe, die damals die Spitze für mein Brautkleid geklöppelt haben«, sagte Sylvia glücklich. »Du weißt ja, sie haben mich quasi adoptiert. Ich glaube, sie hoffen, dass ich eines Tages ihrer Gruppe beitrete und selbst mit dem Häkeln und Klöppeln anfange.«
Veronika lachte schallend. »Da können sie lange warten«, prustete sie.
»Wer weiß«, sagte Sylvia und kicherte. »Vielleicht wenn ich mal alt bin und mich langweile?«
»Ich werde schon dafür sorgen«, gab Veronika zurück, »dass du dich niemals langweilst.« Dann wurde sie ernst. »Ist alles in Ordnung mit Maël?«, erkundigte sie sich. »Er sieht so besorgt aus.«
»Das stimmt«, pflichtete Sylvia ihr bei und schloss die Schublade. »Seit diesem Anruf heute Mittag. Ich habe keine Ahnung, wer das war.«
»Wir lassen euch jetzt mal ein bisschen allein, nicht wahr, Lili? Wollen wir bei dem schönen Wetter einen Spaziergang machen und nach den Blumen sehen? Weißt du noch, wie die heißen?«
»Die heißen … Kamele«, antwortete Lili, und brachte Sylvia und Veronika erneut zum Lachen.
Mit einem Seufzen ließ sich Sylvia auf das Sofa fallen und legte die Beine hoch.
»Willst du dich nicht in deinen Schaukelstuhl setzen?«, fragte Maël fürsorglich.
Sylvia winkte ab. »Seit ein paar Tagen fürchte ich, dass ich dann nicht mehr hochkomme«, sagte sie schmunzelnd. »Das Gesetz der Schwerkraft.« Maël lachte und breitete eine Decke über Sylvias Beinen aus. »Komm«, bat sie, »setz dich zu mir. Magst du mir die Beine massieren?«
Er nahm neben ihr Platz, legte ihre Beine über seine Knie und begann, mit der Handfläche vorsichtig von unten nach oben über sie zu streichen. Sylvia legte sich zurück, genoss seine Berührung und schloss die Augen.
»Du hast ja das Päckchen mit den Cremes gar nicht ausgepackt«, sagte er. »Soll ich es dir bringen?«
Doch sosehr Sylvia sich darauf gefreut hatte, die ersten Proben ihrer eigenen Kosmetikserie mit dem Namen Jardin aux Camélias zu prüfen, Cremes, die das kostbare Öl von Kameliensamen der Insel enthielten – im Augenblick beschäftigte sie etwas ganz anderes.
»Danke, das hat Zeit bis später«, antwortete sie. »Möchtest du mir nicht erzählen, wer das vorhin am Telefon war?«
Maëls Miene verdüsterte sich. Seine Hände hielten mitten in der Bewegung inne.
»Es geht um meine Mutter«, sagte er.
Sylvia stockte der Atem. Maël hatte seine Mutter das letzte Mal gesehen, als er von zu Hause weggelaufen war. Noch nie hatte er sie ihr gegenüber erwähnt. Das wenige, was Sylvia wusste, hatte ihr Solenn erzählt, die ihn gemeinsam mit Lucie aufgenommen hatte. »Sie war nicht sonderlich interessiert an ihrem Sohn«, hatte sie gesagt, als sie schilderte, wie sie Fabienne Riwall ausfindig gemacht hatte, um mit ihr die Angelegenheit zu regeln. »Sie hat uns, ohne zu zögern, das Sorgerecht überlassen und sich nie wieder nach ihm erkundigt.« Und nun sollte diese Frau der Grund des Anrufs gewesen sein?
»Willst du mir davon erzählen?«, bat sie behutsam, denn sie wusste nur zu gut, wie schmerzhaft das Thema seiner Herkunft für Maël war. »Wer war der Mann am Telefon?«
»Ein Polizeibeamter«, antwortete Maël. »In der Küche meiner Mutter hat es gebrannt. Es ist niemand zu Schaden gekommen, aber offenbar war es nicht das erste Mal. Die Nachbarn haben sie angezeigt.«
Maël schwieg und sah zum Fenster hinaus.
»Und jetzt?«, fragte Sylvia nach. »Was will die Polizei von dir?«
»Sie wissen nicht, was sie mit ihr tun sollen«, erklärte er. »Sie sagen, man kann sie nicht mehr allein wohnen lassen. Es sei zu gefährlich.«
»Wie kommt es, dass es schon mehrfach bei ihr gebrannt hat?«, fragte Sylvia erstaunt. »Ist sie … ich meine, ist sie verwirrt?«
Maël zuckte die Schultern. »Keine Ahnung«, antwortete er niedergeschlagen und seufzte tief. »Offenbar lebt sie allein. Ich möchte wissen, wo dieser verdammte Kerl geblieben ist, mit dem sie damals zusammen war und der sie nach Strich und Faden ausgenutzt hat.«
Es war kühl geworden. Maël schob sanft ihre Beine von seinem Schoß, erhob sich, ging zum Kamin und begann Holzscheite aufeinanderzustapeln. An der Heftigkeit seiner Bewegungen konnte Sylvia erkennen, wie sehr ihn die Sache mitnahm.
»Wo lebt Fabienne überhaupt?«, fragte Sylvia.
»In Le Havre. Wie es scheint, noch immer in derselben Wohnung wie damals.« Maël entzündete ein Streichholz, doch seine Hand zitterte dermaßen, dass er drei Hölzchen benötigte, um das Feuer in Gang zu bringen. Als es endlich brannte, richtete er sich auf und starrte in die Flammen. »Sie wollen, dass ich komme und mich um sie kümmere.« Er wandte sich zu ihr um und sah sie an, als verlangte man etwas Ungeheuerliches von ihm.
»Nun«, sagte sie sanft, »sie ist deine Mutter. Oder nicht?«
»Meine Mutter?«, brüllte er so heftig, dass Sylvia zusammenfuhr. So zornig hatte sie ihn nie zuvor erlebt. »Fabienne ist seit Langem nicht mehr meine Mutter. Sie hat mich … Ach was, lassen wir es dabei.« Er wandte sich heftig atmend ab, die Erinnerungen wühlten ihn sichtlich auf. Endlich fasste er sich wieder. »Tatsache ist«, fuhr er schließlich fort, »ich kann das nicht, Sylvie. Es ist einfach unmöglich. Nach allem, was war, bin ich der Letzte, der sich um sie kümmern kann.«
In diesem Moment klingelte das Telefon erneut. Maël stand einen Atemzug lang da wie erstarrt. Dann griff er nach seiner Jacke und verließ fluchtartig das Haus.
Sylvias erster Impuls war, ihm nachzueilen, doch sie war viel zu schwerfällig, und als sie die Haustür endlich erreichte, war von Maël nichts mehr zu sehen.
Das Telefon verstummte.
Es war später Nachmittag, der Kameliengarten lag friedvoll vor ihr, ein paar Vögel flogen aus den Baumkronen auf, von ferne hörte Sylvia das sanfte Rauschen des Meeres. Es hatte keinen Sinn, die Insel nach ihrem Mann abzusuchen. Wenn er allein sein wollte, musste sie das respektieren. Sylvia schloss die Tür und wollte sich gerade wieder hinlegen, als das Telefon abermals zu läuten begann. Zuerst wollte sie es einfach ignorieren. Als das Klingeln nicht verstummte, nahm sie den Hörer endlich doch ab. Es war ja nicht gesagt, dass es die Polizei aus Le Havre war.
Es war auch nicht die Polizei, sondern eine Ärztin aus der Aufnahme einer psychiatrischen Klinik.
»Wir sind dazu verpflichtet, die Angehörigen zu informieren«, erklärte sie Sylvia, nachdem sie sich vorgestellt hatte. »Und um ehrlich zu sein, Madame, ist es mir in diesem Fall ein persönliches Anliegen. Denn ich finde nicht, dass Ihre Schwiegermutter in der geschlossenen Abteilung unserer Einrichtung verbleiben sollte.« Sylvia hielt den Atem an. So weit war es bereits? »Wenn Ihr Mann nicht binnen der nächsten vierundzwanzig Stunden herkommt und für eine geeignete Unterbringung sorgt«, fuhr die Ärztin fort, »wird genau das geschehen.«
Sylvia schluckte. »Worunter leidet Fabienne Riwall?«, erkundigte sie sich.
»Um das herauszufinden, hat man sie eingewiesen«, lautete die Antwort. »Aber man könnte sie natürlich ambulant untersuchen, wenn sie ein Zuhause hätte. Was ich Ihrem Mann unbedingt sagen möchte: Nach meiner Erfahrung ist die Einweisung in eine geschlossene Abteilung eine Einbahnstraße. Es ist sehr schwierig, wieder entlassen zu werden, wenn man erst einmal dort ist. Ich muss leider sagen, dass die Umgebung und das Miteinander mit psychisch weit schwerer betroffenen Patienten meist einen negativen Einfluss auf die Entwicklung von leicht verwirrten Menschen hat. Bitte richten Sie ihm das aus. Sie sitzt mir übrigens gegenüber. Möchten Sie mit ihr sprechen?«
Sylvia schnappte nach Luft, doch ehe sie etwas antworten konnte, hatte die Ärztin den Hörer offenbar weitergereicht.
»Ich will nach Hause«, hörte sie eine heisere Stimme verzweifelt sagen. »Âllo? Wer ist dran? Bitte! Ich will nach Hause …«
»Sie wirkt meiner Einschätzung nach vollkommen normal«, hörte Sylvia erneut die Stimme der Ärztin. »Ein bisschen durcheinander. Wer wäre das nicht nach einem Brand und Stunden auf der Polizeiwache. Was sie bräuchte, wäre ein liebevolles Zuhause. Damit man sie in Ruhe untersuchen und herausfinden kann, was ihr Problem ist.«
Ein liebevolles Zuhause. Wie sollte sie dieser Ärztin, die es mit Sicherheit gut meinte, erklären, dass es genau das war, was Maël seiner Mutter wohl schwerlich bieten konnte?
»Mein Mann hatte seit rund dreißig Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter«, sagte sie leise.
»Richten Sie es ihm aus«, insistierte die Ärztin. Dann gab sie den Namen der Klinik und ihre Telefonnummer durch.
Seufzend erhob Sylvia sich, schlüpfte in einen Poncho aus bretonischer Schafswolle – Jacken und Mäntel passten ihr längst nicht mehr – und verließ das Haus. Vielleicht würde sie Maël finden. Und wenn nicht, würde ihr ein Spaziergang nach diesem Gespräch guttun. Noch immer hatte sie Fabiennes ängstliche Stimme im Ohr. Mein Gott, dachte sie, kann man einen Menschen in dieser Situation wirklich allein lassen?
Draußen sog sie tief die prickelnde Atlantikluft in sich ein und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie kehrte dem Park den Rücken und ging durch das Metalltor, durch das sie hereingefahren waren. Kaum hatte sie den Jardin aux Camélias hinter sich gelassen, umfing sie der Atlantikwind, wirbelte ihr das Haar um den Kopf und zerrte an ihrem Poncho.
Sie stellte sich mit dem Gesicht zum Wind und schloss die Augen. Wie wohl das tat! Seit einiger Zeit schlief sie nicht mehr gut. Sie wusste nicht, wie sie liegen sollte, Veronika hatte erklärt, das sei normal gegen Ende der Schwangerschaft. Wenn Sylvia an die Geburt dachte, klopfte ihr Herz vor Freude und Nervosität. Sie empfand die Tatsache, Mutter zu werden, als ein unverhofftes Geschenk und ein Abenteuer zugleich.
Als hätte das Kind ihre Gedanken gehört, regte es sich. Sie blieb stehen, legte eine Hand auf die Stelle, wo sie das neue Leben spürte, und wurde von großer Zärtlichkeit für dieses Wesen, das da in ihr heranwuchs, erfüllt. Du bist so willkommen, dachte sie.
Unwillkürlich musste sie an Fabienne denken, und ihr Glücksgefühl erstarb. Auch sie hatte Maël unter ihrem Herzen getragen, ihn in sich gespürt, hatte ihn zur Welt gebracht und in ihren Armen gehalten. Was um alles in der Welt war nur passiert, dass das unsichtbare Band zwischen Mutter und Kind reißen konnte? Oder war das alles nur Gerede, diese tiefe Verbindung nichts weiter als das romantisierende Idealbild davon, wie eine Mutter zu fühlen hatte? Sah die Wirklichkeit womöglich ganz anders aus?
Als die sanften Bewegungen in ihrem Bauch nachließen, setzte Sylvia den vertrauten Weg an der Küste entlang fort. Viele Male war sie ihn schon gegangen, und doch verzauberten sie auch heute der Anblick der zerklüfteten Klippen und das Schauspiel der anstürmenden Wellen, das Aufschäumen der Gischt und der strudelnde Rücklauf der Brandung. Denn ar Mor Atlantel, wie der Atlantik von den Bretonen genannt wurde, verwandelte sich unablässig unter dem steten Wechselspiel des Lichts, der Wolken und der Gezeiten.
Und dann sah sie Maël. Sylvia blieb beinahe das Herz stehen. Er stand auf dem schmalen Grat einer steil emporragenden, von Wasser umspülten Klippe, die der Steilküste vorgelagert war. Sylvia hätte nicht sagen können, wie man zu dieser Stelle überhaupt gelangte, ohne sein Leben zu riskieren. Sie beschloss, nicht zu rufen, sondern abzuwarten, darauf vertrauend, dass Maël wusste, was er tat. Und den Weg zurückfand. Zu ihr. Zu ihrem Kind. Zurück ins Leben.
Schließlich bewegte sich die einsame Gestalt auf dem schroffen Felsen. Sylvia hielt den Atem an. Da begann Maël, als wäre es das Einfachste von der Welt, an der Flanke des steilen Granitblocks entlang hinunterzusteigen. Knapp über dem Meeresspiegel wartete er einen Moment, bis sich die Welle, die gerade an den Fels schlug, wieder zurückzog, setzte mit einem kühnen Sprung über das Wasser und verschwand unterhalb der Steilküste aus Sylvias Blickfeld.
Es dauerte nicht lange, und er erschien einige Hundert Meter von Sylvia entfernt auf dem Küstenpfad. Als sie einander gegenüberstanden, klopfte ihr Herz noch immer vor Schreck. Sie holte tief Luft, um von dem Gespräch mit der Ärztin zu erzählen, doch ehe sie etwas sagen konnte, nahm er sie in die Arme und verschloss ihr die Lippen mit einem Kuss.
»Lass uns zu Solenn gehen«, sagte er und griff nach ihrer Hand. »Sie wird wissen, was zu tun ist.«
»Was sagst du da?« Sylvia kannte Solenn lange genug, um zu wissen, dass es wenig gab, was sie aus der Fassung bringen konnte. »Man hat sie in eine Nervenklinik gebracht?«
»In ein psychiatrisches Krankenhaus«, korrigierte Maël sie gereizt. »Oder nicht, Sylvie? Zur Beobachtung. Weil sie nicht wissen, was sie sonst mit ihr anfangen sollen. Was macht man mit Menschen, die versuchen, das Haus samt seiner Bewohner abzufackeln? Sie hätten sie genauso gut ins Gefängnis stecken können. Ich finde, sie hat unverschämtes Glück.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, wandte Aaltje ein. »Ist es denn eine geschlossene Abteilung?«
Sylvia wollte etwas sagen, doch Maël kam ihr zuvor. »Was weiß ich«, antwortete er verärgert. »Ich habe keine Lust, mich darum zu kümmern. Hat sie sich etwa um mich gekümmert all die Jahre?«
Ein unbehagliches Schweigen entstand. Sylvia kam es so vor, als könnte sie die unerfreulichen Gedanken knistern hören, die sie alle beschäftigten. Sie hatten sich in Solenns Privaträume zurückgezogen, während die anderen in der geräumigen Küche des Herrenhauses Sylvias Geburtstag weiterfeierten.
»Was passiert, wenn du dich weigerst zu kommen?«, fragte Solenn.
Maël fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und stöhnte. Er zuckte mit den Schultern.
»Ich fürchte«, sagte Sylvia vorsichtig, »dann kommt sie dort nicht so schnell wieder raus. Jedenfalls hat das die Ärztin gesagt.«
»Na und? Dann ist es eben so. Es ist mir gleichgültig!«
Sylvia war sich nicht sicher, ob es ihm tatsächlich egal war, oder ob er sich nur gegen das Unvermeidliche wehrte.
»Und wenn ich mit dir fahre?«, schlug sie vor.
Maël sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
»Das kommt überhaupt nicht infrage«, erklärte er. »So kurz vor der Geburt …«
»Bis dahin ist es noch ein ganzer Monat«, unterbrach ihn Sylvia. »Solange wird es ja hoffentlich nicht dauern, den geeigneten Aufenthaltsort für Fabienne zu finden.« Schließlich, dachte sie, haben wir in der Vergangenheit ganz andere Probleme gelöst. »Es muss geklärt werden, was mit ihr ist. Die Ärztin sagt, wir brauchen eine Diagnose. Wir müssen ein Pflegeheim finden, das …«
»Ich will das alles nicht«, unterbrach Maël sie heftig und schlug mit der flachen Hand auf den hübschen Beistelltisch vor Solenns Sofa, dass es nur so klirrte. »Diese Frau darf keinen Platz in unserem Leben einnehmen. Ich will nicht, dass du dich um sie kümmerst. Ich will keinesfalls, dass unser Kind, und sei es in deinem Bauch, mit dieser … dieser … Frau in Berührung kommt. Hörst du? Ich will das einfach nicht!«
Die Stille, die nun folgte, lastete schwer auf ihnen. Sylvia fühlte, wie sich das Kind in ihr regte, sanfte Tritte gegen ihren linken Arm, den sie wie zum Schutz um ihren Bauch gelegt hatte. Sie legte beruhigend ihre Hand auf die Stelle.
»Du wirst dich dieser Pflicht nicht entziehen können«, erklang Solenns ruhige, tiefe Stimme. »Glaub mir, ich hege keine freundlichen Gefühle Fabienne gegenüber. Aber sie ist nun mal deine Mutter. Sie hat niemanden mehr außer dir. Und wenn du sie jetzt im Stich lässt, wirst du es eines Tages bereuen.« Maël wollte aufbegehren, doch Solenn fasste ihn sanft am Arm und brachte ihn damit zum Schweigen. »Denn dann«, fuhr sie fort, »verhältst du dich keinen Deut besser als sie damals.« Sylvia hielt die Luft an. So etwas hätte sie niemals zu sagen gewagt. Und doch stimmte es. Offenbar wusste das Maël. In seinem Gesicht zuckte und bebte es in einer Weise, wie sie es nie an ihm gesehen hatte. Er presste seine Lippen und die Augen fest zusammen und rang verzweifelt um Selbstbeherrschung. »Ich bin ganz deiner Meinung«, fuhr Solenn fort, »dass Sylvie hier bei Noah bleiben sollte. Es wäre ein gefundenes Fressen für Chloé, wenn ihr ihn in seinen Ferien allein lassen würdet.«
Sylvia gab ihr im Stillen recht. Noahs Mutter war das gute Verhältnis zwischen ihnen und dem Jungen ohnehin ein Dorn im Auge. Es war mühsam genug gewesen, mit ihr eine gütliche Einigung über das geteilte Sorgerecht zu erzielen.
»Ich habe als junges Mädchen einmal einen Sommer lang in einer solchen Einrichtung gejobbt«, meldete sich jetzt Aaltje zu Wort. »Es war das Schrecklichste, was ich jemals erlebt habe. Die Zustände waren fürchterlich. Als Pflegepersonal hatten wir überhaupt nicht die Zeit, uns angemessen um diese Menschen zu kümmern. Zeigte jemand auch nur die geringste Form von Aggression, wurde er fixiert oder durch Medikamente ruhiggestellt. Und wenn ich ehrlich bin, unter den Umständen dort wäre sogar ich aggressiv geworden.« Aaltje schüttelte sich allein bei der Erinnerung. »Ich habe jede Nacht geweint damals«, fügte sie leise hinzu. »Das ist zwar viele Jahre her, und inzwischen mag sich manches gebessert haben, aber trotzdem: Lass nicht zu, dass man deine Mutter in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik unterbringt. Egal, was sie getan hat. Denn das wünschst du nicht einmal deinem schlimmsten Feind.«
Maël ließ mit keiner Regung seiner Miene erkennen, ob er Aaltje überhaupt zugehört hatte. Sylvia konnte jedoch sehen, wie seine Wangenknochen zuckten, so als presste er die Kiefer fest aufeinander.
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. Es war Rozenn, die zum Abendessen bat.
»Was ist denn bei euch los?«, fügte sie erschrocken hinzu, als sie die ernsten Mienen sah. »Ist etwas Schlimmes passiert?«
»Nein«, antwortete Maël und erhob sich. »Alles bestens. Du hast recht, Rozenn, wir sollten uns um unsere Gäste kümmern. Kommst du, Liebes?«
Es fiel Sylvia schwer, den Rest des Tages zu genießen. Elise hatte es besonders gut gemeint und in Erinnerung an die bayerische Herkunft des Geburtstagskindes Sauerkraut mit Eisbein gekocht, dazu Kartoffelknödel, was Veronika, die ebenfalls aus München stammte, zu wahren Begeisterungsstürmen hinriss. Sylvia hingegen, ohnehin keine Anhängerin der deftigen Küche ihrer Heimat, aß kaum etwas, die Neuigkeiten um Fabienne hatten ihr den Appetit verdorben.
Wenn ich nur wüsste, überlegte sie, während sie Noah einen zweiten Kartoffelknödel auf den Teller legte und für sich selbst eine weitere Portion Sauerkraut ablehnte, wie man diese Sache am besten lösen könnte. Am liebsten würde sie selbst nach Le Havre fahren. Sie war sich sicher, dass sie im Nu eine geeignete Unterbringung für Maëls Mutter finden würde. Für sie wäre es leichter, da sie emotional kein bisschen voreingenommen war, sie kannte ihre Schwiegermutter ja nicht einmal. Und doch war klar, dass sie sich nicht in Maëls Familienangelegenheiten einmischen durfte, ganz besonders nicht in diesem Fall. Sie wusste nicht, was zwischen ihm und seiner Mutter vorgefallen war. Sylvias Herz wurde schwer bei dem Gedanken, welch eine unglückliche Kindheit der Mann, den sie liebte, gehabt haben musste, dass er einen solchen Groll gegen seine Mutter hegte.
Nach dem Essen verschwanden Gurvan, Coco, Iven und Pierrick samt Tristan nach draußen, sie wirkten wie eine kleine Bande von Verschwörern. Noah rutschte von seinem Stuhl und lief ihnen nach.
»Was führen die denn im Schilde?«, fragte Solenn amüsiert.
»Eine Überraschung.« Rozenn schmunzelte und begann, den Tisch abzuräumen. »Wer möchte noch Kaffee? Oder lieber eine tisane?«
»Ich hätte gern einen Kräutertee«, antwortete Sylvia und warf Maël einen besorgten Blick zu.
Während des gesamten Abendessens hatte er kein Wort gesprochen. Schon seit einer Weile drehte und wendete er einen Salzstreuer zwischen seinen Fingern. Sylvia war sich ziemlich sicher, dass er gar nicht bemerkte, was er tat. Er sah nicht einmal auf, als Rozenn ihm eine Tasse Kaffee, stark und schwarz, wie er ihn am liebsten trank, hinschob.
Da platzte Noah wie ein Wirbelwind in die Küche. »Ihr könnt jetzt kommen!«, schrie er ausgelassen. »Sylvie, los, beeil dich! Es ist so weit!«
»Nun mach mal halblang, Junge«, ermahnte ihn Elise, doch Noah beachtete sie nicht. Eifrig griff er nach Sylvias Hand und zog sie mit sich.
Es war bereits kurz vor zehn, eine samtige Dunkelheit hatte sich über die Insel gelegt.
»Wir müssen raus zum Parkplatz«, sagte Noah aufgeregt und führte sie durch das große Tor. Im ersten Moment konnte Sylvia kaum etwas erkennen, eine dichte Wolkendecke verhüllte den Mond. Auf einmal erfüllte ein Zischen die Luft, und dort, wo der Fahrdamm an die Insel stieß, schoss ein ganzer Strauß bunter Feuerwerkskörper in die Höhe. Vielfarbiges Licht erleuchtete den Himmel, silberner Sternenregen ergoss sich verschwenderisch über Land und Meer.
»O mein Gott, ist das schön!«, rief Sylvia aus und fühlte sich von hinten sanft umfangen. Es war Maël, und als Sylvia sich umblickte, sah sie, dass ihnen alle anderen gefolgt waren. »Du hast das gewusst, nicht wahr?«, flüsterte sie ihm zu, und er drückte sie stumm an sich.
»Das war erst der Anfang«, hörte sie Noah sagen, als die vielfarbigen Lichter erloschen. Kurz blieb es dunkel, dann stiegen blaue Feuerwerksraketen auf und liefen einige Hundert Meter den Damm entlang wie eine Kette aus Licht, gefolgt von weißen und roten.
»Was für Patrioten!«, bemerkte Solenn amüsiert. »Das sind die Farben der französischen Flagge!«
»Jetzt kommt das Schönste«, verriet Noah und hüpfte von einem Bein auf das andere vor Erwartung. »Du musst da rüberschauen, Sylvia!«
Er wies zu dem Fahrweg, der zum Inselinneren anstieg. Sylvia kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen. Huschten dort nicht ein paar Gestalten in der Dunkelheit herum? Plötzlich flammte rotes Feuer auf, bildete einen Buchstaben, einen zweiten, und schließlich formten die Flammen einen Namen, ihren Namen: S – Y – L – V – I – E.
»Ist das …?«
»Das nennt man bengalisches Feuer«, platzte es aus Noah heraus. »Lauter einzelne Fackeln sind das. Ist es nicht schön?«
»Wunderschön«, flüsterte Sylvia, bis zum Äußersten gerührt. »Wer hatte nur all diese fantastischen Einfälle?«
»Maël«, ließ sich die knarzige Stimme des alten Pierrick vernehmen. »Es war seine Idee.«
»Nur die Idee«, entgegnete Maël. »Umgesetzt hat sie Pierrick.«
»Wir alle zusammen«, wehrte der Bretone bescheiden ab. »Alle haben mitgeholfen!«
Im Schein der bengalischen Fackeln wirkte das Gesicht des alten Mannes wie das eines Zauberers, geheimnisvoll und verschmitzt.
»Schade«, sagte Noah in die Stille hinein, »dass das Baby das nicht sehen kann.«
»Wer weiß«, antwortete Sylvia. »Vielleicht kann es das ja.«
»Durch deinen Bauch hindurch?«, fragte Noah zweifelnd.
Und dann sahen sie alle schweigend zu, wie die Buchstaben langsam erloschen. In ihrem Rücken fühlte Sylvia die Wärme ihres Mannes, und noch immer hielt Noah ihre Hand. Eine große Zuneigung zu ihrem Stiefsohn erfüllte sie.
Ein schwieriges Jahr lag hinter ihnen, und Sylvia war froh, dass sich mittlerweile alles zum Guten gewendet hatte. Wirklich alles? Auf einmal hatte sie wieder die heisere, verängstigte Stimme im Ohr. »Ich will nach Hause«, hatte Maëls Mutter gesagt. Wenn sie daran dachte, wurde ihr mitten in diesem wunderschönen Fest das Herz schwer.
»Du machst so ein besorgtes Gesicht«, sagte Veronika am anderen Morgen, als sie im Gästezimmer des großen Hauses ihre Sachen packte. »Ist es wegen der Geburt? Hab keine Angst, es wird alles super laufen, da bin ich mir sicher.« Sie zog energisch den Reißverschluss ihrer Reisetasche zu und wandte sich ihrer Freundin zu. »Oder möchtest du, dass ich herkomme?«, fragte sie. »Ich müsste Lili mitbringen«, fuhr sie fort. »Wenn dich das nicht stört …«
»Danke«, unterbrach Sylvia sie. »Das ist total lieb von dir. Solenn wird kommen und ein paar Wochen hierbleiben.«
»Hast du eine gute Hebamme?«, erkundigte sich Veronika.
»Ja, Vero«, beruhigte Sylvia ihre Freundin. »Armelle ist großartig. Sie hat mir alles erklärt und Übungen für die Geburtsvorbereitung gezeigt.«
»Und? Machst du sie?«
Sylvia lachte. »Klar! Keine Sorge.«
Ihre Freundin warf ihr einen langen, forschenden Blick zu. »Und warum bist du dann so angespannt?«
Sylvia seufzte. Sie sank auf das Bett und begann, ihrer Freundin die Sache mit Fabienne zu schildern.
»Mir ist klar geworden«, schloss sie, »dass ich nicht die geringste Ahnung habe, was Maël während seiner ersten zwölf Lebensjahre widerfahren ist. Er hat nie darüber gesprochen.«
Veronika pfiff leise durch die Zähne. »Die Gespenster der Vergangenheit«, sagte sie nachdenklich und setzte sich neben Sylvia. »Weißt du was? Es ist womöglich ganz gut, dass er sich damit endlich auseinandersetzen muss. Vielleicht kann er ja eines Tages seinen Frieden damit machen?«
»Das wäre schön«, meinte Sylvia skeptisch. »Ich hab da allerdings meine Zweifel. Manchmal ist es besser, nicht an alte Wunden zu rühren.«
»Glaubst du wirklich?« Veronika schien überrascht. »Denk nur daran, wie es dir mit Tante Lucie erging. Im Nachhinein hättest du dir doch gewünscht, sie vor ihrem Tod noch einmal gesprochen zu haben. Oder nicht?«
Sylvia blickte ihre Freundin schmerzerfüllt an. Veronika hatte einen wunden Punkt berührt. Es stimmte. Sie hatte sich nie die Zeit genommen, ihre Tante hier in der Bretagne zu besuchen, immer war etwas anderes wichtiger gewesen. Trotz der vielen Briefe, die Lucie ihr geschrieben hatte, war sie nie gekommen. Bis es zu spät gewesen und ihre Tante durch einen Hirntumor viel zu früh aus dem Leben gerissen worden war. Davon hatte Sylvia erst erfahren, als es hieß, sie sei die Erbin der Kamelieninsel. Es blieb ihr größter Schmerz, Lucie seit ihrer frühsten Kindheit nicht mehr wiedergesehen zu haben.
»Du hast recht«, antwortete sie betroffen. »Ich hab mir das bis heute nicht verziehen. Aber ist das nicht etwas vollkommen anderes? Lucie war ein Engel. Während Fabienne …«