Heisse Fracht - Dan Kavanagh - E-Book

Heisse Fracht E-Book

Dan Kavanagh

0,0

Beschreibung

Beim Luftfrachtunternehmen Hendrick Freights am Londoner Heathrow Airport fällt so oft ein Karton von der Palette und verschwindet, dass Newtons Gravitationsgesetz nicht alleine schuld daran sein kann. Der Boss vermutet, dass einer von seinen Leuten kräftig nachhilft. Duffy, wie immer in Geldnöten, ist gerne bereit, das faule Ei im Nest zu finden. Dass aus dem Auftrag kein lahmer Nadel-im-Heuhaufen- oder Auf-dem-Hintern-sitzen-und-die- Augen-offenhalten-Fall wird, liegt nicht nur daran, dass Duffy bei jedem der über die Lagerhalle donnernden Jumbo angsterfüllt denkt, die Maschine würde gleich abstürzen: Das Luftfrachtgeschäft entpuppt sich als so heiß, dass man sich daran nicht nur die Finger verbrennen, sondern gleich für immer einpacken kann.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 277

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Dan Kavanagh

Heiße Fracht

Duffy Zweiter Fall

Roman

Aus dem Englischen von Michel Bodmer

Kampa

Für Craig und Li

Am Tag, als man McKay abschoss, war sonst wenig los auf der M 4. Zumindest nicht auf dem Abschnitt zwischen Heathrow und Chiswick; westlich davon, das war nicht mehr ihr Revier – wen kümmerte das also? Zumal es einer von diesen warmen, dunstigen Augustvormittagen war, an denen die Streifenwagen auf ihren speziellen Rampen an der Autobahn wie Echsen in der Sonne liegen; wenn jene paar Meter über der Fahrbahn ein sorgloses, unbemerktes, mützenbeschirmtes Nickerchen gestatten. Und dann wurde vielleicht, so gegen halb zwölf, das Pffft und Knistern des Funkgeräts etwas leiser gedreht und schließlich übertönt von dem winzigen Transistorradio in der blauen Uniformtasche, das auf die Sportübertragung geschaltet war.

Und die Autos machten ja auch keinen Ärger. Bis um zehn hatten sich auch die letzten Pendler in einer Schwade von Nikotin und übler Laune gen Osten verzogen; die würden frühestens in sechs Stunden wiederkommen. Die Laster, die Schwergewichte, die Zwanzigtonner verhielten sich ungewohnt gesittet; das hatte bestimmt irgendwas mit der Sonne zu tun. Und die Zivilisten: Na ja, auf dem Weg zum Flughafen hatten sie so viel Angst davor, sich den Urlaub zu vermasseln, dass sie nicht schneller als sechzig fuhren; und auf dem Rückweg waren sie vom Linksverkehr noch so verwirrt, dass sie oft bis zum Londoner Ende der Autobahn im dritten Gang blieben.

Und so waren die Jungs in Blau nicht allzu erbaut, als McKay abgeschossen wurde, als ein Taxifahrer, der es gesehen hatte – na ja, gesehen hatte er eigentlich nichts, nur ein Autowrack und die mit Lack verschmierte Leitplanke –, per Funk seine Zentrale verständigte, die das nächste Polizeirevier informierte, das in Heathrow anrief, von wo es an die in Uxbridge weitergeleitet wurde, die es beim dritten Versuch (8 Punkte, 1 Mann draußen für England; Boycott mit 2 Punkten von Chappell eliminiert: selbst dieser Teil des Tages lief gut) schafften, eine schläfrig einsilbige Funkstreife zu erreichen. Und die waren nicht allzu erbaut von McKay, der ihnen damit den Morgen versaute. Fast so, als hätte er es absichtlich getan.

Was an der Leitplanke klebte, hätte Lack sein können, war aber keiner. An McKays Wagen gab es etwas Rot, aber so viel auch nicht. Es war ein Cortina, Sonderausführung mit Tigermotiv. Vorne ein Trompe-l’œil-Kühlergitter, dessen senkrechte Stangen die Zähne des Tigers bildeten; an der Seite prangte ein Blitzgewitter von schwarzen und goldenen Streifen; hinten war auf der Stoßstange ein Tigerschwanz aufgemalt, und darüber (McKay konnte sich kaum halten vor Stolz auf seinen Einfall) ein Paar Tigerhinterbacken, die an dem Punkt zusammenliefen, wo der zentral montierte Spezialauspuff mündete. Im Betrieb redeten sie ihn, wie geplant, als »Tiger« an; wenn er nicht da war, nannten sie ihn eher den »Furzkater«. Manchmal sahen sie zu, wie er wegfuhr, und lachten gemeinsam über die erste blaugraue Rauchwolke, die den Hinterbacken des Tigers entquoll.

McKay verließ den Internationalen Frachthof West und wandte sich ostwärts, Richtung London. Wie ein Tiger fuhr er aber nicht. Nach einem kleinen Kavalierstart auf quietschenden Reifen (bei der Arbeit gab es doch immer Zuschauer, und wenn es nur ein Straßenfeger und sein Besen waren) machte er sich’s auf der Autobahn mit ruhigen siebzig bequem. Er hatte nicht im Sinn, den Motor vorzeitig ausbrennen zu lassen. Außerdem war ihm wohl in seinem Wagen – je länger der hielt, desto besser. Echt wie in einem Sultanspalast, pflegte er zu sagen. Die Stereoanlage; die Batterie von Miniaturflaschen im »Cocktail-Kabinett«, wie er hochtrabend sein Handschuhfach nannte; das kleine gepolsterte Lenkrad – Stahl und schwarzes Leder; der üppige Teppichboden unter den Füßen; die Lammfellsitzbezüge (»Die macht dem Tiger seine Alte aus den Schafen, die er platt fährt«, erklärte er immer); selbst die Hutablage war mit Lammfell ausgelegt. Auf dieser Ablage rekelte sich – für McKay eine weitere besonders hübsche Note – ein großes Stofftier. Ein Tiger natürlich. McKay störte es, dass die Farben des Stofftigers nicht mit denen der Karosserie übereinstimmten, und um ein Haar hätte er den Spielzeugverkäufer verprügelt, der ihm zu versichern suchte, dass die Farben ganz bestimmt authentisch seien (als wären das die Farben seines Cortinas nicht). Immerhin war McKay imstande, aus dieser Not eine Tugend zu machen, falls jemand darauf hinwies. »Es gibt nun mal Tiger in allen Schattierungen«, witzelte er, in aller Bescheidenheit auch auf sich selbst anspielend.

McKay blickte auf, an dem allzu blassen Spielzeugtiger vorbei auf den Verkehr in seinem Rücken. Bloß ein Bus, gut zwanzig Meter hinter ihm. Er drehte den Kopf ein wenig und musterte sein Spiegelbild. Das breite, leicht verschwitzte Gesicht, der volle Kussmund, der gelassene Blick – all das gefiel McKay wie immer. ›Zack, zack‹, dachte er bei sich. Lässig zupfte er an seiner Halskette, bis ein dünnes silbernes Hakenkreuz von etwa fünf Zentimeter Durchmesser aus seinem Hemd auftauchte. Die Außenkanten waren messerscharf geschliffen: ohne besonderen Grund, ihm hatte damals die Idee einfach gefallen. Und später hatte es sich ab und zu als nützlich erwiesen. Etwa als er im Café gesessen hatte und dieser Pakistani ihn anzuglotzen begann. Nichts machte, natürlich – das wagten sie ja nicht; die glotzten nur. Da hatte McKay ein Streichholz genommen, sein Hakenkreuz hervorgepult und direkt vor der Nase des Pakis begonnen, das Streichholz anzuspitzen. Dann ließ er seinen Anhänger baumeln und stocherte langsam in seinen Zähnen, ohne den Typen dabei aus den Augen zu lassen. Dem Paki war dermaßen die Lust vergangen, dass der seinen Nachtisch stehen ließ.

McKay drehte das Hakenkreuz in seiner Rechten, suchte einen Arm davon aus und begann damit forschend in seinem linken Nasenloch zu stochern. Das war noch ein Grund, um bei ruhigen siebzig zu bleiben; obschon man freilich mit so einem Rennlenkrad auch bei 110 mit dem bloßen kleinen Finger steuern konnte, wenn man mochte. Wie er den Leuten gerne erzählte.

Er arbeitete methodisch an seinem Nasenloch und schnippte gelegentlich einen Popel auf seine Jeans. Ein Lastwagen setzte zum Überholen an. Ein paar Sekunden fuhr er neben ihm her, dröhnend und ratternd, dann fiel er wieder zurück. McKay blickte in den Rückspiegel, um zu sehen, wohin er verschwunden war, aber er sah nur wieder denselben Bus wie zuvor; er war etwas näher als das letzte Mal, vielleicht zehn Meter hinter ihm.

Typisch diese Scheißlaster, fand McKay. Wenn’s bergab geht, donnern sie an dir vorbei, schwenken vor dir ein, sowie sie eine Handbreit Platz sehen, und bei der nächsten Steigung musst du sie dann wieder überholen. Lächerlich; die sollte man zwingen, in der Kriechspur zu bleiben, wo sie hingehören. Dauernd setzen sie zum Überholen an und überlegen sich’s dann anders, bloß weil eine zweiprozentige Steigung kommt.

McKay prüfte nicht nach, ob es eine zweiprozentige Steigung gewesen war, die den Laster hatte zurückfallen lassen. Er nahm es einfach an, wie jeder andere das auch getan hätte; nur war seine Annahme in dem Fall eben falsch. Er drehte bloß das Hakenkreuz in seiner Hand, wählte einen neuen Arm – er war doch kein Schweinigel, er wechselte ja auch ab und zu das Bettzeug – und begann sanft in seinem rechten Nasenloch zu pulen. Kaum hatte er damit angefangen, ging neben ihm wieder das Dröhnen und Rattern los. Wäre McKay nicht anderweitig beschäftigt gewesen, hätte er sich mit dem Laster vielleicht auf ein kleines Spielchen eingelassen: gerade so viel beschleunigt, um vor ihm zu bleiben, und gebremst, wenn der Laster bremste, um dem so richtig auf die Titten zu gehen. Bei Lastern machte er das gern. Aber es war ein schöner Morgen; McKay war ungewohnt gutmütiger Stimmung; er machte eine Routineauslieferung; und außerdem war er gerade beim Popeln. Er warf also nur einen Blick geradeaus (da vorn kam eine Brücke) und einen in den Rückspiegel – der Bus war immer noch da; komisch, jetzt kroch der ihm schon in den Auspuff – und lehnte sich zurück, um den Laster vorbeiziehen zu lassen.

Es war gut geplant; aber schließlich waren die Männer auch nicht billig gewesen: Sie nahmen nur Einzelaufträge an und gaben sich nicht mit Popelkram ab. Sie waren stolz auf ihre Arbeit; das heißt stolz auf deren professionelle Ausführung. Sie wussten genau, wo es das, was sie brauchten, zu stehlen gab; sie scheuten sich nicht, ein paar Tage für Recherchen dranzugeben; sie führten auch keine verräterischen Alben mit Zeitungsmeldungen über ihr Treiben – obschon sie in ihrer stillen Art auch schon für Schlagzeilen gesorgt hatten.

Der Lastwagen, ein neunachsiger Sattelschlepper, dick mit Planen und Seilen vermummt, kam etwa dreihundert Meter vor der Brücke mit McKay gleichauf. Zentimeterweise schob er sich an ihm vorbei, bis das Heck des Anhängers auf der Höhe der Fondtür des Cortinas war; dann schien er nur so dazuhocken, ächzend und rülpsend, außerstande, ganz vorbeizuziehen. Ist dem Ficker mal wieder die Puste ausgegangen, dachte McKay.

Der Bus hatte sich inzwischen noch näher rangeschoben. Wer hinter den drei Fahrzeugen herfuhr, musste annehmen, dass es nur deren zwei waren – ein Laster, der unklugerweise einen Bus zu überholen versuchte; der Cortina war vollkommen verdeckt. Und von vorne – na ja, für den Gegenverkehr auf ihrer Höhe würde der Laster den Cortina abschirmen; und der Rest, nahmen sie an, würde durch die Brücke abgedeckt. So hatten es die Männer geplant; und die Männer waren nun mal nicht von der billigen Sorte.

Als das Führerhaus des Lasters jenseits der Brücke wieder ans Licht kam, riss der Fahrer das Steuer herum und trat gleichzeitig auf die Bremse, sodass sein Fahrzeug einen kontrollierten Schlenker vollführte. Das Heck des Anhängers scherte plötzlich nach links aus und rammte den Cortina in die Flanke. »Nur so ’n kleinen Stupser«, hatte der Fahrer das genannt, als er die erste Hälfte des Geldes entgegennahm; aber schließlich hatte er schon immer zu Untertreibungen geneigt.

Die erste Wirkung von dem kleinen Stupser war, dass die geschärfte Kante des Hakenkreuzes die fleischige Außenwand von McKays rechtem Nasenloch durchschnitt. McKay setzte zu einem Fluch an, aber dann wurde er von den Ereignissen recht eigentlich überrollt. Und wäre er zum Fluchen gekommen, so hätte er all seine besten Kraftausdrücke vielleicht schon verbraucht gehabt, bevor ihm noch weit Unangenehmeres zustieß als eine aufgeschlitzte Nase; und das wäre doch eine Verschwendung gewesen.

Als der Laster gegen den Cortina krachte, wechselte der Bus in die mittlere Fahrbahn hinüber, um allen weiteren Ereignissen auszuweichen. Das Auto wurde diagonal über den Seitenstreifen geschleudert. Der linke hintere Richtungsanzeiger war das Erste, was an der Leitplanke zerbrach: Aber angesichts der Schlussbilanz war dieser Schaden für den Cortina etwa so schlimm wie McKays verletzte Nase, verglichen mit dem Rest seines Körpers.

Leitplanken erfüllen ihren Zweck, solange der Aufprallwinkel innerhalb eines gewissen Bereichs liegt. Der des Cortinas lag außerhalb. Der Wagen prallte gegen die Leitplanke, stand einen Moment auf dem Heck – wobei die Türen aufplatzten und McKay hinausgekippt wurde –, hüpfte dann über die Leitplanke und purzelte Rad schlagend eine Böschung hinunter. McKay selbst hinterließ an der metallenen Abschrankung eine rote Spur von einer Länge, die keiner so recht verstehen konnte. Denjenigen, die als Erste überhaupt anhielten, kam es vor, als hätte er ganz furchtbar übertrieben: Wenn man aus dem Wagen geschleudert wurde, warum landete man da nicht einfach auf der Leitplanke und blieb da liegen, darübergebreitet wie ein Teppich, bereit zum Frühjahrsklopfen? Warum sah es so aus, als hätte jemand oder etwas den armen Kerl die ganze Leitplanke entlanggeschmiert? »Schatz, nein, Schatz … nicht hinsehen.« Natürlich war der bestimmt nicht angeschnallt gewesen, aber selbst dafür war es ein bisschen viel. »Schatz, ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht hinsehen. Schatz, ist dir … dann aber schnell – da drüben, ins Gras … Ach, du lieber Gott.« Warum hielt man bei Unfällen auch an; warum machte man es nicht wie alle andern?

Niemand hatte gesehen, was passiert war. Oder besser gesagt, niemand meldete sich und sagte, er hätte gesehen, was passiert war. Nur etwa eine Stunde später, als eine DC-8 der Alitalia nach Palermo abflog, gab es eine gedämpfte Diskussion darüber, was denn da eigentlich genau passiert sei, und diese Riesenlaster dürfte man einfach nicht mehr auf die Straße lassen, hab ich doch immer schon gesagt, meinst du, wir hätten anhalten sollen, ich hoffe nur, es hat sich keiner unsere Nummer gemerkt, ach, wie kämen die dazu, die wussten doch gar nicht, dass wir da zugesehen haben; und nach zehn Tagen eines Thomson-Pauschalarrangements mit Sonne, Drinks und nicht allzu vielen Ruinen war der ganze Vorfall mehr oder weniger vergessen. Nichts als eine kleine Delle in der Erinnerung, nicht größer als die Delle in der Leitplanke ein paar Meter hinter der Brücke.

Die Polizisten fanden sich damit ab, dass sie nicht mehr zu dem Kricket-Match zurückkommen würden, bis es 63 Punkte bei 4 Mann draußen stand; es stand immer 63 bei 4, wenn England gegen Australien zuerst am Schlag war, und so dachten sie, sie könnten den Rest des Morgens als bekannt voraussetzen. Die wenigen Automobilisten, die überhaupt angehalten hatten, wurden routinemäßig abgefragt, aber keiner hatte etwas gesehen. Die Fahrer des Lasters und des Busses nahmen die nächste Ausfahrt und ließen ihre Fahrzeuge auf einem Lastwagenparkplatz in der Nähe der U-Bahn-Station Gunnersbury stehen: Beide mussten die District Line nehmen, und wieso hätten sie umsteigen sollen, besonders nachdem sie einen Auftrag erledigt hatten. Die Einzelheiten ihrer Vormittagsarbeit vergaßen sie schon bald, und sie sahen sich nie mehr veranlasst, über den Abschuss länger nachzudenken.

Die Einzigen, die darüber nachdachten – abgesehen von McKay natürlich, wenn er sich in späteren Jahren im Rollstuhl durch die Gegend schob –, waren die beiden Polizisten in dem Streifenwagen und die Ärzte im Uxbridge Hospital. Auf der Rückfahrt zu ihrer Echsenrampe knipste der eine der beiden Gendarmen das Funkgerät aus und sagte:

»Weißt du was, wir könnten ein kleines Geschäft machen.«

»…?«

»Den Wagen da muss doch jemand abschleppen, stimmt’s? Ich meine, irgendeine Werkstatt. Ich meine, das wär doch ein Geschäft, nicht? Ist ja kein Umstand für uns, wenn wir bei einer Werkstatt vorbeischauen und denen einen Tipp geben, wenn es wo geknallt hat. Die würden sich doch bestimmt erkenntlich zeigen.«

Sein Kollege grunzte.

»War schon mal.«

»Ach ja? Wo … hier in der Gegend?«

»Nicht hier. An der M 1 vor’n paar Jahren. Riesenstunk. Paar vorzeitige Pensionierungen. Hat nichts gebracht.«

»Hmmm. Na ja, vielleicht waren die zu gierig oder so; vielleicht haben die sich einfach übernommen. Ich wette, wir könnten das hinkriegen. Du musst nur die richtige Werkstatt aussuchen. Und es nicht zu oft machen. Nicht zu viel Erkenntlichkeit verlangen.«

Sein Kollege grunzte nur und schaltete das Funkgerät wieder ein. Könnte man ja mal ein paar Gedanken dran verschwenden.

Währenddessen verschwendeten im Uxbridge Hospital die Ärzte einiges mehr an Gedanken. Sollten sie mit den Beinen anfangen oder mit dem Becken? Eines der Beine sah richtig zermatscht aus; das musste vielleicht ganz weg. Andererseits wusste man bei einem Becken nie, was man da noch alles finden würde, wenn man erst mal darin herumstocherte. Und dann sah es aus, als würde der Rücken auch noch einiges zu tun geben. Ach Gott, war das lästig mit diesen Verkehrsunfällen – man wusste nie, wo man anfangen sollte. Der Oberarzt blickte auf McKays breites, sonnengebräuntes Gesicht. Warum mussten die denn um Himmels willen immer so rasen? Also dann, ans Werk, das war wohl das Beste. Der Narkosearzt fing seinen Blick auf und nahm McKay behutsam die Sauerstoffmaske vom Gesicht. Der rechte Nasenflügel war etwa einen Zentimeter tief aufgeschlitzt. Die Blutung hatte aufgehört. Schön, das wenigstens konnte warten.

1

Drei Monate zuvor hatte Duffy im Alligator an der Bar bei einem Drink gesessen und zu entscheiden versucht, welche von zwei Alarmanlagen er einem Kunden empfehlen sollte: diejenige, die besser funktionierte, bei der er aber einen schlechteren Schnitt machte; oder jene, die weniger gut funktionierte (an dieser Lichtschranke kam jeder Scotchterrier vorbei, ebenso wie jene Burschen mit Abitur, die heute in die Branche einstiegen), aber bei der er einen besseren Schnitt machte. Eigentlich, dachte er, gab es da gar keine Frage: Der Kunde war ihm derart zuwider gewesen – wie der Bursche ihm automatisch ein Bier bestellt hatte, während er selbst einen Sherry nahm (nicht dass Duffy Sherry gemocht hätte), die hochnäsige Art, wie er Duffy geduckt hatte, als es um die wahrscheinlichste Methode ging, wie sich ein Einbrecher Zutritt verschaffen würde. Er würde also Folgendes tun …

»Ich nehm eine frigide Jungfrau.«

Duffy blickte auf. Ein pausbäckiger Mann mit deutlichem Bartschatten schob sich eben auf den benachbarten Barhocker. Er hatte einen käsigen Teint und sah nicht sehr fit aus. Duffy wandte sich wieder seinem Whisky zu. Er würde Folgendes tun: erst mal für das Haus des alten Sacks einen seiner speziell kompliziert aussehenden Schaltpläne zeichnen, dann die Anlage empfehlen, bei der er den besseren Schnitt machte, auf die Rechnung etwas mehr als üblich draufschlagen und das Beste hoffen. Im Grunde war Einbruch bloß Glückssache: Wenn ein geschickter Langfinger mit Handschuhen in der Nacht zugange war, so ließ sich der nicht aufhalten; bei einem Azubi oder einem Hosenscheißer oder einem, der das nur machte, um mal von seiner Alten wegzukommen, da genügte schon ein großer weißer Kasten mit ein paar Drähten dran, und schon verpissten die sich zum nächsten Haus.

»Ich sagte, ich nehm eine frigide Jungfrau, alter Junge.«

Duffy blickte kein zweites Mal hin. Er war nicht in der Stimmung, sich aufgabeln zu lassen; und schon gar nicht in der Stimmung, einen auszugeben. Er hatte am Morgen seinen Bankauszug bekommen. Und so hob er bloß sein Glas in Richtung Barkeeper und sagte, als der herüberkam:

»Ich glaube, der Herr zu meiner Rechten möchte sich einen ausgeben.«

Da hörte er ein Glucksen:

»Frigide Jungfrau und noch mal dasselbe für meinen Freund hier, was immer er da in seiner Pfote hält, ich heiße Leonardo.«

Duffy starrte weiterhin in seinen Whisky. Wenn Pausbäckchen ihm einen Drink spendieren wollte, dann war das Pausbäckchens Sache. Er drehte sich um und schnappte vom Nachbarhocker einen Blick hastiger Erwartung auf.

»Leonardo … Jungfrau … ach, was soll’s. Barkeeper, kippen Sie da einen Wodka rein, ja? Einen Großen.« Dann wandte er sich wieder Duffy zu. »Schade, das wäre für dich eine schmerzlose Runde geworden. Nach der ersten bin ich nicht mehr so billig zu haben.«

»Ich will sie nicht haben«, sagte Duffy.

»Eric Leonard«, sagte der Neuankömmling.

»Duffy«, sagte Duffy.

»Sonst noch was? Sir Duffy.«

»Da gibt’s noch einen Nick.«

»Den gibt es meistens. Mein lieber Nick«, wiederholte Leonard den Namen unnötigerweise und ein bisschen schmeichlerisch. Duffy erkannte sich fast nicht wieder. Bei der Arbeit war er Duffy; für seine engen Freunde war er Duffy; die Einzigen, die ihn Nick nannten, waren Bekannte, die es nicht besser wussten – oder nichts Besseres durften. Also war das für den Augenblick ganz in Ordnung.

»Und Ihr sollt mich Eric nennen.«

»Ich werd’s mir überlegen.« Duffy war immer misstrauisch bei Leuten, die keinen richtigen Familiennamen hatten. Zwei Vornamen: Das gehörte sich nicht; das war nicht … anständig.

Duffy fragte sich, was Leonard wollte. Außer mit ihm ins Bett gehen, natürlich. Was freilich alles andere als eine ausgemachte Sache war. Meistens ging man zwar in den Alligator, um nicht allein nach Hause zu gehen, klar; aber manchmal ging man auch nur der Atmosphäre wegen hin, um beim Trinken Gesellschaft zu haben, und dann machte man sich mit einem »Ein andermal vielleicht« wieder davon. Das war etwas, was Duffy am Alligator gefiel. Es war kein heißer Hahnenstall; es war kein Lokal, wo die Leute Überschallknall auf Fall ihr Coming-out im Concorde-Tempo auslebten; es war auch kein Lokal für Klischee-Typen – das Holzfällerhemd, der kleine Schnauzer, die breite Cordjeans; es war auch kein Lokal für Leder und Ketten und »Augenblick, ich geh nur schnell mal auf die Klappe meine Faust schmieren«. Es war ein ruhiges, ordentliches Lokal für ruhige, ordentliche Leute wie Duffy. Es war sogar, vermutete er, ein bisschen bürgerlich.

Und darum war Eric Duffy etwas ungeschliffen vorgekommen. Die aufdringliche Art, die Anzüglichkeiten – das war doch alles so passé; so passé wie Hinterntätscheln. Du magst ja schwul sein, dachte Duffy bei sich, aber das ist ein Ausgangspunkt, kein Endziel. Duffy war nicht prüde, aber vielleicht war er etwas puritanisch veranlagt. Er hätte gerne gewusst, was Eric für einen Beruf hatte; aber er wollte es auch nicht so dringend wissen, dass er ihn danach gefragt hätte.

Eric wiederum hatte Duffy in die gleiche Kategorie eingeordnet. Er war noch nie im Alligator gewesen und fand das Lokal deprimierend konventionell. Man hätte ebenso gut in einer Singles-Bar im mittleren Manhattan sein können, dachte er. All die blauen Blazer, die gestreiften Hemden und Schlipse, du lieber Himmel! Und mittendrin dieser untersetzte Bursche im Blouson mit einem großen Plastikreißverschluss vorne, einem Rollkragenpullover und einer ausgewachsenen Bürstenfrisur. Als er auf den Barhocker geglitten war, hatte Eric das breite, kräftige Gesicht mit dem etwas klein geratenen, schmalen Mund bemerkt; auch die Hände wirkten sehr stark, mit kantigen Stummelfingern. Als Duffy sich das erste Mal ihm zuwandte, bemerkte Eric den Goldstecker im linken Ohrläppchen. Du kommst mir gerade recht, dachte er, du kommst mir gerade recht, mein kleiner ungeschliffener Freund.

Bloß kam er dann eben nicht. Als Eric seinen Drink, der zu einer Bloody Mary geworden war, ausgetrunken hatte, beugte er sich hinüber und sagte:

»Nun denn, Sir Duffy, wollen wir in den Sattel steigen?« Doch der Bursche stellte nur sein Glas hin, schüttelte den Kopf und sagte: »Nein.«

Und so war Duffy nach Hause gewandert, deprimiert vom Gedanken an seinen Bankauszug und deprimiert von der Tatsache, dass er um ein Haar nicht Nein gesagt hätte.

Eric bereute inzwischen den Drink, den er spendiert hatte. Was Drinks anging, hatte er eine Regel: die Lex Leonard, wie er sie für sich nannte. Jenen, die reicher sind als du, sollst du stets mehr Drinks spendieren als nötig; aber bei denen, die ärmer sind, sollst du stets schmarotzen. So verschaffst du dir auf beiden Seiten Respekt.

Das Merkwürdige war nur, dass es bei diesem Duffy nicht geklappt hatte. Der hatte offenbar kein Bedürfnis nach Schmarotzern. Zweifellos irgendein psychologischer Knacks. Vielleicht, dachte Eric, hätte er dem Burschen mehr persönliche Fragen stellen sollen. Das zog bei denen immer.

Zwei Wochen später schaute Leonard wieder im Alligator rein. Als er Duffy diesmal erblickte, legte er eine etwas andere Platte auf, gab sich etwas gewöhnlicher, ging sogar so weit, ihn nach seinem Beruf zu fragen.

»Ich leite eine Firma.«

»Aha, in welcher Branche?«

»Sicherheitstechnik.«

»Hab ich vielleicht schon mal von der Firma gehört?«

»Schon mal von Duffy Security gehört?«

»Nein.«

»Dann haben Sie wohl noch nie davon gehört.«

Eric war plötzlich etwas schärfer darauf, mit Duffy ins Bett zu gehen. Einen Polizisten hatte er schon mal gebumst, aber einen aus der Sicherheitsbranche noch nie. Er hatte einen vagen, nur halb entwickelten Ehrgeiz, mit einem von jeder Branche und Berufsgattung einmal zu schlafen (mit gewissen Ausnahmen natürlich wie Bankiers und Börsenmakler und Rechtsanwälte; aber schließlich war man ja nicht umsonst ein linker Journalist: Manchmal konnte man nicht verhindern, dass einem die eigenen Prinzipien in die Quere kamen). Einen Sicherheitsexperten zu bumsen, das war etwas Neues. Was er Duffy freilich nicht auf die Nase binden würde.

Duffy wiederum ließ nicht durchblicken, dass er eine bloße Ein-Mann-Firma war; dass sein Büro aus einem Anrufbeantworter bestand; dass sein Lieferwagen sechs Jahre alt war; dass er nicht einmal einen Hund hatte. Nicht dass er jemals einen Hund gebraucht hätte; manche Leute meinten nur eben, dass sie einen gewissen Status verliehen. Aber Eric fragte nicht nach Einzelheiten; seine Neugier war inzwischen mehr oder weniger erschöpft. Stattdessen fragte er:

»Kannst du mich nach Hause bringen?«

Und Duffy erwiderte:

»Also gut.«

Schließlich gingen sie dann in Duffys Wohnung, das Erdgeschoss einer Doppelhaushälfte an der Goldsmith Avenue in Acton. Zuerst erschien Eric die Wohnung sehr ordentlich; dann wurde ihm klar, dass sie nicht so sehr ordentlich war, sondern leer. Was an Einrichtung da war, wirkte aufgeräumt, aber der Gesamteindruck grenzte ans Mönchische.

»Waren die Einbrecher da?«, fragte er, im Glauben, dass ein Sicherheitsexperte eine solche Bemerkung witzig finden könnte. Aber Duffy erwiderte nichts. Stattdessen deutete er auf das Badezimmer und sagte:

»Uhr da rein.«

»Urda?«

»Leg deine Uhr da rein.«

Ach so. Na ja, wenn er es so haben wollte. Eric spazierte ins Badezimmer und sah dort eine viereckige Tupperware-Box mit einem Aufkleber. Auf dem Aufkleber stand Uhren. Eric schälte also seine Armbanduhr ab und ließ sie in die Box fallen; dann, verwirrt, aber irgendwie nachsichtig gestimmt, schnallte er auch noch sein silbernes Namensarmband ab, dessen »EL« von den eingravierten Schnörkeln fast verdeckt wurde, und ließ das auch noch hineinfallen. Vielleicht war es so, wie wenn man seine Wertsachen beim Platzwart deponierte. Er würde Duffy danach fragen müssen.

Hätte er das getan, so hätte ihm Duffy vielleicht von seiner Uhrentickphobie erzählt. Aber Eric fragte nicht danach. Als er das Schlafzimmer erreichte, lag sein Gastgeber bereits im Bett. Eric blickte vage um sich, um zu sehen, wo er seine Kleider hinlegen sollte. Duffys eigene waren nirgends zu sehen. Auch das aufgeräumt. Ach ja, dachte er, das gehörte wohl alles dazu, wenn man das Volk kennenlernen wollte.

Am nächsten Morgen ging Eric mit den üblichen gemischten Gefühlen. Er hatte seine Liste um einen Sicherheitsexperten ergänzt, das war immerhin etwas. Andererseits war es nicht viel anders, Duffy zu bumsen, als jemanden zu bumsen, der kein Sicherheitsexperte war: Wenn man die Augen zumachte, dachte man nicht gleich, ich bin in den Händen eines Mannes, der sich in Geldtransporten, Alarmanlagen und Personalüberprüfungen auskennt. Das kam einem nicht in den Sinn. So machte es für Eric in gewisser Weise sehr viel aus, dass Duffy ein Sicherheitsberater war, und gleichzeitig auch überhaupt nichts. Na ja, dass man halt mal danebenlag, war beim Sex ja nichts Neues, dachte er.

Irgendwie hatte er Duffy ganz gerne gemocht – soweit das bei solchen Gelegenheiten möglich war (und dieses Mögen war oft schwer zu trennen von der Erleichterung, dass alles gut abgelaufen war, und der Hoffnung, dass sich keine bakteriellen Nachwirkungen einstellen würden). Beim Abschied war er sogar so weit gegangen, dass er sagte:

»Auf ein andermal.«

»Nein«, hatte Duffy höflich geantwortet, und Eric ertappte sich beim Gedanken: Ich wusste gar nicht, dass ich so schlecht bin. Aber Duffys Ablehnung hatte mit der vergangenen Nacht nichts zu tun; sie hatte ausschließlich mit Carol zu tun und mit den Ereignissen vor vier Jahren und mit einer langen Vorgeschichte, die er den Einnachtsfliegen gewiss nicht auftischen würde.

Und im Augenblick gab es in Duffys Leben nur Einnachtsfliegen. Einnachtsfliegen beiderlei Geschlechts, übrigens; aber selbst wenn sie als Liebhaber noch so kompetent waren oder sauber oder interessant oder ganz einfach nur nett, durften sie ihre Uhren doch nur einmal in seine Box fallen lassen. Carol, Ex-Kollegin von der Polizeiwache West Central, Ex-Freundin (nein, Freundin eigentlich immer noch, irgendwie) und Ex-Verlobte (nein, auch nicht ganz. Sie hatte ihn gefragt, und er hatte Nein gesagt) – sie war die einzige Ausnahme; und das war die bittere Ironie der Sache: Carol war die einzige Person, bei der Duffy im Bett Erfolg haben wollte – und die einzige Person, bei der er automatisch versagte, schon so oft versagt hatte, dass er es mittlerweile gar nicht mehr versuchte. Bei Carol potent zu sein, hatte Duffy längst entschieden, war das Luftschloss eines Idioten. Da konnte man ebenso gut an den Himmel glauben.

»Ich nehme immer noch eine frigide Jungfrau«, raunte ihm drei Monate später im Alligator eine vertraute Stimme ins Ohr. »Wo seid Ihr gewesen, Sir Duffy?«

Duffy gab dem Kellner ein Zeichen und dolmetschte:

»Tomatensaft, viel Eis.«

»Ach so, altes Haus, wenn du die Runde zahlst …« Eric hielt den Kellner mit einem Zucken seiner Augenbraue zurück. »Versenken Sie doch noch zwei Wodka darin, wenn Sie schon dabei sind.«

»Nein, du zahlst«, sagte Duffy, der sich stets hartnäckig gegen solche Tricks zur Wehr setzte.

»Mein Gott, kein Wunder, dass man dich Geldtransporte überwachen lässt, wie?« Eric ächzte theatralisch. »Egal, ich komme gleich zur Sache.«

»Nein«, sagte Duffy. »Kein zweites Mal, hab ich gesagt, stimmt’s?« Warum meinten die Leute immer, »Nein« hieße »Ja, bald«?

»Moment. Momentchen auch. Job. Willst du einen Job?«

»Vielleicht.«

»Deswegen hab ich dich gesucht.«

»Ich steh im Telefonbuch.«

»Stimmt, aber es macht eben viel mehr Spaß, hier zu sitzen und sich einen Drink spendieren zu lassen, als durchs Telefon mit deiner Sekretärin zu quatschen, nicht wahr?«

Duffy ließ eine der beiden Bemerkungen durchgehen, nahm die andere aber auf.

»Zahlen wirst immer noch du.«

»Ein Freund eines Freundes … hat gewisse Schwierigkeiten.«

»Das überrascht mich nicht.« Dieses bleiche Gesicht und gleichzeitig dieses heitere Getue hatten für Duffy etwas Irritierendes. Sei eins oder das andere, dachte er.

»Immer bösartig, wie?« (Auch das ließ Duffy durchgehen.) »In seinem Unternehmen wird offenbar geklaut.«

»Da gibt’s so ’ne ganz nützliche Abteilung der öffentlichen Dienste, die man für so was eingerichtet hat, weißt du? Nennt sich Polizei.«

»Na ja, er hat da offensichtlich seine Gründe.«

»Und die wären?«

»Es ist ein kleines Unternehmen – gut ein halbes Dutzend Angestellte. Allgemein gutes Betriebsklima, nur ist offenbar ein faules Ei darunter. Wenn er jetzt zur Polizei ginge, kämen die doch mit ihren Quadratlatschen da reingetrampelt, würden alles auf den Kopf stellen und erst mal jeden verdächtigen, stimmt’s?«

»Das könnte der Klauerei ein Ende machen.«

»Und so hat er sich gedacht, er holt einen Privaten rein, lässt ihn ein bisschen rumschnüffeln. Kann doch nichts schaden, oder?«

»Nein. Kann ihn nur Geld kosten. Warum hast du mich vorgeschlagen?«

»Na ja, du leitest doch eine Firma für Sicherheitstechnik, nicht?«

»In der Beziehung kennst du mich aber gar nicht.«

»Nein, aber unsereins muss doch zusammenhalten, stimmt’s?«

Aha, dachte Duffy: Schwule als die Freimaurer von heute – sind wir jetzt so weit gekommen? Würde er bald einen neuen Händedruck lernen müssen? Er war irritiert. Wenn man Solidarität nicht nötig hatte, ärgerte man sich, wenn sie einem aufgedrängt wurde.

»Erzähl weiter.«

»Er heißt Hendrick. Er betreibt eine Speditions- und Lagerfirma vom Flughafen Heathrow aus. In letzter Zeit ist ihm etwas zu viel von seinem Zeug abhandengekommen.«

»Wie würde er mich erklären? Mit einem Moppstiel in der Hand wirke ich nicht sehr überzeugend.«

»Einer seiner Männer hatte neulich einen Autounfall. Der wird eine Weile ausfallen.«

»Wie praktisch. Und was hab ich zu tun?«

»Das wird er dir schon sagen.«

»Ich berechne …«

»Duffy«, fiel ihm Eric ins Wort, »ich bin kein verfickter Arbeitsvermittler. Mach das selbst mit ihm aus. Was du verdienst, ist mir egal. Wenn du den Job willst, schaust du bei ihm vorbei.« Eric war verärgert. Erst stellte sich Duffy so an, als wollte man ihn vergewaltigen; dann wurde er auch noch pampig. Eric kritzelte auf den oberen Rand einer Zeitung. »Das ist sein Londoner Büro. Ruf an, sag, du würdest dich wegen der Papayas melden.«

»Wegen der was?«

»Der Papayas. Die Frucht. Tropisch. Das ist ein Kennwort, Duffy. Wir dachten, es wäre keine gute Idee, wenn du anrufst und sagst, du würdest dich melden, um die Diebstähle aufzuklären.«

»Geschnallt.«

»Das will ich hoffen.« Eric glitt von seinem Barhocker. Er fühlte sich falsch eingeschätzt. Er hatte Duffys »Nein« ganz bestimmt nicht als »Ja, bald« aufgefasst. Sondern bloß als »Vielleicht später mal«.

»Ach, noch zwei Dinge.«

»Ja?«

»Wer ist dein Freund?«

»…?«

»Der Freund, der der Freund ist in ›der Freund eines Freundes‹.«

»Ach, das spielt keine Rolle.«

»Woher weißt du das?«

»Weil er die Firma seines Freundes nicht beklaut hat, darum. Und was ist das Zweite?«

»Oh – vergiss nicht, die Drinks zu bezahlen, wenn du gehst.«

 

Duffy saß Roy Hendrick gegenüber, in einem Büro von der Größe eines Wartehäuschens, in der Nähe der Euston Road. Seine Sekretärin hatte ein Zimmer vom Umfang eines großen Kühlschranks. Hendrick schien sich nicht sehr behaglich zu fühlen. Vielleicht war ihm das Büro nicht so vertraut – vielleicht hatte er es nur aus Steuergründen oder um seine Kunden mit einer Londoner Filiale seines Unternehmens zu beeindrucken. Vielleicht fühlte sich Hendrick auch aus einem anderen Grund unbehaglich; vielleicht belog er Duffy. Das taten Kunden oft.

Hendrick, ein fleischiger, düsterer Mann mit schmierig blondem Haar und einem schlabbernden Anzug, den ihm jemand vererbt haben mochte, erklärte sein Problem.

»Ich bin kein Engel, Mr Duffy, und ich erwarte auch nicht, dass andere sich wie Engel benehmen. Aber es gibt doch Grenzen.«

»M-hm.«

»Wenn Sie die Möbelpacker bestellen, wenn Sie umziehen, da rechnen Sie ja damit, dass einiges verloren geht, nicht wahr? Ich meine, wenn Sie vernünftig sind, dann verpacken Sie die Sachen, die Ihnen wichtig sind, persönlich und bringen sie selbst hin, und sind auch nicht weiter überrascht, wenn sich die Möbelpacker im Laufe der Arbeit auf Ihre Kosten zu einem kleinen Bonus verhelfen. So läuft das doch, nicht wahr?«

»Wenn Sie meinen.« Die einzigen Möbelträger, mit denen Duffy je zu tun gehabt hatte, waren Einbrecher gewesen. In seiner letzten Wohnung war zweimal eingebrochen worden: Das zweite Mal hatten sie alles mitgenommen, einschließlich seines Häufchens Six-Pence-Münzen und seines elektrischen Wasserkessels; sie hatten sogar seine Topfpflanze mitlaufen lassen. Geblieben waren ihm nur ein paar Aschenbecher, ein Bett und ein Teppich. Dafür hatte er keinen Möbelwagen mehr gebraucht, als er in eine andere Wohnung umzog.

»Nun, im Speditionsgeschäft läuft es ähnlich. Wenn Sie per Luftfracht expedieren, müssen Sie damit rechnen, dass dies und das abhandenkommt. Das Zeug geht durch so viele Hände, muss vom Zoll geöffnet werden – na ja, da gibt es mehr Versuchungen, als Adam je begegneten, wenn Sie verstehen, was ich meine.« (Duffy wirkte auf Hendrick nicht sonderlich bildungsfreudig.) »Und wissen Sie, was man über Heathrow sagt?« Hendrick hielt inne. Aus Duffys Miene ging klar hervor, dass er nicht wusste, was man über Heathrow sagte. »Wer dort arbeitet, muss nie Obst und Gemüse einkaufen. Ich hab mir sagen lassen, dass es dort im Umkreis von mehreren Meilen kaum einen Gemüsehändler gibt. Jeder, der in der Gegend seine Frau dabei ertappt, wie sie versucht, ein Pfund Äpfel oder dergleichen zu kaufen,