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Als der erst Fünfjährige William Godfrey in Gefangenschaft gerät, wird er Zeuge der letzten großen Schlacht im peretanischen Erbfolgekrieg. Von seinem eigenen Vater ignoriert, wird er dabei von einem edlen Ritter gerettet. Jahre später ist es genau dieser Mann, der ihn als einzigen Freund nach Beauvin begleitet, wo er seine Ausbildung zum Ritter beginnen soll. William, der als zweitgeborener Sohn lediglich eine Karriere als einfacher Soldat erwarten kann, beginnt einen Weg, der ihn direkt an die Seite des peretanischen Königshauses führen wird. Doch bevor er dort seinen Platz im Adel einnehmen kann, erlebt er Intrigen, Geheimnisse und einen Kreuzzug ins Heilige Land. Trotz aller Widrigkeiten vergisst er dabei niemals die Lehren seines alten Freundes. Die Geschichte basiert auf dem historisch belegten Leben von William Marshal 1. Earl of Pembroke, welcher unter anderem an der Seite des berühmten Richard Löwenherz kämpfte. Philipp Klaiber vermischt dabei Geschichte und Fiktion zu einem Werk, das einen der für uns unbekanntesten und doch wichtigsten Ritter dieser Zeit ein wenig mehr ins Rampenlicht stellt.
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Seitenzahl: 476
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Philipp Klaiber
Helden der Zeit
Band 1
Anmerkung des Autors:
Dieser Roman wurde für die Printversion im Taschenbuchformat optimiert.
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Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printversion
Lang lebe der König
Entscheidungen
Versager
Ritterschlag
Missachtung von Befehlen
Das Turnier des Königs
Ein Fest wie kein anderes
Geständnis
Diebe, Ritter und die Ehre
Ritter auf der Brücke
Gefangen
Das Erbe eines Fürstentums
Heimkehr
Wiedersehen mit einem Toten
Henry
Ein Krieger in einem Garten
Menschlichkeit und Moral
Hügel im Sand
Engpässe
Schulden der Ehre
Pfeile, die die Sonne verdunkeln
Der Stolz eines Bären
Familie kann man sich nicht aussuchen.
Der Sturm auf Beauvin
Mein Name ist William Cavelier
Die Herrin ist zurückgekehrt
Duell um die Krone
Abschied
Vielen Dank an:
Jutta
Stephan
Besonderer Dank geht an:
Daniela
Für die, von Hand gezeichneten Kapitelbilder
Dieses fiktive Werk basiert auf historischen Personen und Ereignissen, weist jedoch jeden Anspruch auf historische Korrektheit von sich.
Inspiriert durch das Leben von
William Marshal, 1. Earl of Pembroke
Philipp Klaiber
Helden der Zeit
Der Ritter von Beauvin
Impressum
Texte: © 2024 Copyright by Philipp Klaiber
Umschlag:© 2024 Copyright by Philipp Klaiber
Verantwortlich
für den Inhalt:Philipp Klaiber
Josef-Henle-Straße 9D
89257 Illertissen
Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
William hatte Angst. Er verstand nicht, weshalb ihn diese Soldaten als Geisel hielten. Man hatte ihn gefangen genommen, nachdem das Gehöft seines Vaters überfallen wurde. Seine Mutter Agnes hatte versucht, zusammen mit dem Jungen und seinen Geschwistern zu fliehen, denn die wenigen zurückgebliebenen Soldaten waren bei der Verteidigung gefallen. William war, ohne dass es seine Mutter bemerkte, zum Gehöft zurückgekehrt. Er hatte sein Lieblingsspielzeug, eine Stoffpuppe, zurückgelassen und versuchte, sie zu holen. Dabei war er den Soldaten direkt in die Arme gelaufen. Seit diesem Tag waren fast drei Monate vergangen. Er fragte sich, ob seine Familie an ihn dachte. Ob sie sich Gedanken machten, wo er war. Er selbst dachte jede Sekunde an seine Mutter. William zuckte zusammen, als ein grob aussehender Soldat das Zelt betrat, in dem der Junge saß.
»Komm mit!« Der bewaffnete Mann packte William unsanft am Arm und schleifte ihn aus dem Zelt. Selbst, wenn er versucht hätte, sich zu wehren, so war er doch nur fünf Jahre alt. Was konnte er schon gegen einen Erwachsenen ausrichten? Noch dazu einen trainierten Soldaten?
»Wo bringt Ihr mich hin?« William versuchte, selbstbewusst zu klingen, doch seine zittrige Stimme verriet ihn.
»Zum König. Er will dich deinem Vater präsentieren.« William kämpfte mit den Tränen. Der Griff des Soldaten war so fest, dass es ihn schmerzte, und niemand war da, um ihm zu helfen. Er wollte am liebsten zu seiner Mutter. Die Männer des Königs beobachteten die beiden, während sie aßen, tranken, oder einfach nur neben ihren Zelten saßen.
William wusste nicht, wie lang die Belagerung bereits dauerte, doch es mussten mittlerweile einige Wochen sein. Die Soldaten mit ihren Rüstungen und Schwertern, Piken und Hellebarden, sowie Bögen, machten William noch mehr Angst, doch auf irgendeine Art löste es eine seltsame Faszination in ihm aus. Der Mann des Königs führte ihn weiter durch das Lager und William sah einige Verletzte. Es hatte wohl mehrere Versuche gegeben die Burg zu erstürmen, doch wie es aussah, hatte sein Vater alles abwehren können, was der König ihm entgegenwarf. Sie kamen schließlich zum größten Zelt.
Zwei schwerbewaffnete Wachen standen davor und nickten dem Mann zu, als dieser mit William das Zelt betrat.
»Hier ist der Junge, nach dem Ihr gefragt habt, eure Majestät.«
»Sehr gut.« Der König überprüfte seine Rüstung, die ihm soeben von einem Diener angelegt worden war. William fand, dass er genau so aussah, wie er es sich immer vorgestellt hatte. Die kurzen schwarzen Haare und der gepflegte Bart gaben ihm ein majestätisches Aussehen. Die Rüstung war nicht nur praktisch, sondern der Glanz des Metalls und der wehende Umhang unterstrichen die Macht, die dieser Mann besaß. William verstand jetzt, weshalb all diese Männer dem König folgten. Wäre er alt genug gewesen, hätte er es ihnen wohl gleichgetan. Wieso sein Vater es nicht tat, war ihm schleierhaft.
»Meint Ihr, Godfrey wird darauf eingehen?« In der Stimme des Soldaten waren Zweifel zu hören.
»John Godfrey ist sicherlich vieles, aber ich denke, dass ihm das Leben seines Sohnes wichtiger ist, als die Treue zu der Thronräuberin Madeleine la Vache.« Der König schaute zu William, der zitterte und aussah, als ob er nichts lieber tat, als zu weinen. »Zumindest hoffe ich es.« William wurde erneut gepackt und gezwungen dem König zu folgen. Diesmal brachten sie ihn in Richtung der Burg. Einige Soldaten warteten neben einem Katapult und verbeugten sich, als der Regent näher kam. William wurde gezwungen, direkt neben dem Herrscher zu stehen.
»Godfrey! Ich habe hier etwas, das Euch interessieren dürfte.« Der König brüllte, so laut er konnte. Es dauerte ein wenig, bis von der Mauer eine Reaktion kam, doch nach einiger Zeit tauchte der Kopf von Williams Vater und ungefähr ein Dutzend Soldaten auf. »Wir haben Euren Sohn!«
»Welchen?« John Godfreys Stimme war gut zu verstehen, trotz des Abstandes, den die beiden Gesprächspartner hatten. Der König sah irritiert zu dem Jungen.
»William.« Die Stimme des Jungen zitterte und seine Kehle zog sich zu, als wäre sie zugeschnürt.
»Wir haben William.«
»Den könnt ihr behalten.« Die Männer auf der Mauer lachten.
»Ist das sein Ernst?« Der König konnte nicht glauben, was er da hörte. »Ich rate Euch, ergebt Euch, oder der junge William wird mit Hilfe dieses Katapults zu Euch kommen.« Der König lief demonstrativ zu dem Belagerungsgerät. Der Soldat, der William gepackt hatte, setzte ihn auf die Schaufel, auf die normalerweise Steine geladen wurden. William versuchte, sich zu wehren, doch er hatte keine Chance. Er schaffte es nicht, sich länger zu beherrschen und die Tränen brachen aus ihm heraus. Er wollte noch nicht sterben.
»Macht ruhig. Der Junge ist sowieso eine hoffnungslose Heulsuse. Seine Mutter hat ihn gehörig verzogen.« William traute seinen Ohren nicht. Er wusste, dass es seinem Vater nicht gefiel, dass er so oft weinte, oder dass er statt mit einem Holzschwert lieber mit seiner Stoffpuppe spielte. Doch es tat weh, zu hören, dass es seinem Vater scheinbar egal war, dass er gleich sterben würde. »Ich habe immer noch den Hammer und den Amboss, um noch mehr und bessere Söhne zu schmieden.«
Die Soldaten auf der Mauer lachten erneut, während Williams Vater eine obszöne Geste machte, als würde er eine unsichtbare Frau begatten. Der König knirschte mit den Zähnen und ballte die Fäuste.
»Was sollen wir tun?« Der Soldat wartete auf ein Zeichen, doch der König schüttelte nur den Kopf.
»Bringt den Jungen zurück in sein Zelt. Es liegt keine Ehre darin, ein Kind zu töten. Vor allem dann nicht, wenn es dem Vater vollkommen egal ist.« Der Mann packte William und nahm ihn vom Katapult herunter. Der König und seine Soldaten begaben sich auf den Rückweg zu ihrem Lager.
»Was ist los Charles? Hast du etwa nicht die Eier ein kleines Kind zu töten?« Der König ignorierte die spöttische Bemerkung und jede weitere, die John ihm hinterherrief. William schluchzte, während er immer weiter von der Mauer fortgebracht wurde. Erst als er in seinem Zelt war, in dem man ihn gefangen hielt, brach es erneut aus ihm heraus. Die Tränen flossen über seine Wangen und leise rief er nach seiner Mutter.
»Was ist mit meinem Jungen?« Agnes kam auf John zugerannt. Sie war drei Tage vor dem Beginn der Belagerung in der Burg Dornham angekommen. Es hatte ihr das Herz gebrochen, als sie erkannte, dass William fehlte, doch so sehr sie nach ihm suchen wollte, so musste sie trotz allem ihre anderen Kinder schützen. Seitdem gab es keine Sekunde, in der sie nicht an ihren geliebten Sohn dachte.
»Keine Sorge. Der kleinen Heulsuse geht es gut.« John stieg die Stufen hinab, die von den Zinnen der Burg herabführten. »Charles wollte ihn mit einem Katapult in die Burg schießen.«
»Er wollte WAS?« In Agnes breitete sich ein Gefühl der Verzweiflung aus.
»Keine Sorge. Charles hat nicht den Willen ein Kind zu töten. William geht es gut.« John stöhnte, als ihn eine schallende Ohrfeige von Agnes traf.
»Ich schwöre dir bei Gott, wenn deine Rebellion...«
»Es ist nicht MEINE Rebellion.«
»...daran schuld ist, dass mein Sohn stirbt, dann bringe ich dich eigenhändig um.« Agnes hatte den Protest ihres Mannes ignoriert. Sie hatte ihn nie gemocht.
Ihre Hochzeit war rein politischer Natur gewesen. Agnes erfüllte ihre ehelichen Pflichten, was John zu genügen schien. Ihre ganze Liebe galt ihren beiden Söhnen Robert und William und ihrer Tochter Aveline.
»Reg dich ab! William wird nichts passieren.« John rieb sich die Wange. Er würde sein Weib später dafür bestrafen, dass sie ihn vor seinen Mannern derart gedemütigt hatte. Seit Tagen trug er seine Rüstung, die schon so manchen Pfeil oder Schwerthieb abgefangen hatte. Jetzt ausgerechnet von einer Frau geschlagen zu werden, verletzte seine Ehre mehr als seinen Körper. »Dazu ist Charles viel zu weich. Außerdem habe ich schon vor Tagen eine Brieftaube an Madeleine geschickt. Ihre Armee sollte bald hier sein.« Für John war das Gespräch beendet. Sein Plan war simpel, aber gut. Alles, was er tun musste, war zu warten. Sobald Madeleines Männer erst einmal da waren, würde Charles sich auf offenem Feld gegen eine übermächtige Armee wiederfinden. John würde daraufhin einen Ausfall aus der Burg anführen, um den König in die Zange zu nehmen. Wenn William dadurch befreit werden konnte, wäre es gut. Falls der Junge dabei sterben sollte, dann war es so. Für John zählte nur, dass sein erstgeborener Sohn Robert überlebte. William würde als Zweitgeborener höchstens eine politisch motivierte Ehe schließen können, mehr aber auch nicht. John war auf dem Weg in den Burgfried, als ein Soldat auf ihn zukam.
»Herr! Am Horizont sind Banner zu sehen. Es ist die Armee von Lady la Vache.« Der Moment auf den John gewartet hatte, war endlich gekommen.
»Na endlich!« John grinste »Macht euch bereit Männer! Es wird Zeit, einen König zu stürzen.«
Willian weinte bitterlich. Er wollte nichts weiter, als nach Hause zu gehen. Der Junge schnappte nach Luft, nachdem er mit weinen aufgehört hatte. Irgendetwas geschah außerhalb seines Zeltes. Er wollte wissen, was da passierte, doch er traute sich nicht heraus. Er wäre sowieso nicht weit gekommen, denn vor dem Eingang stand eine Wache. William bemerkte in diesem Moment, dass der Wachmann nicht auf seinem Posten war. William hörte auf einmal Schreie und Kampfgeräusche. Er bekam ein ungutes Gefühl. Er sah sich um, ob er etwas finden konnte, wo er sich hätte verstecken können.
In diesem Moment schlugen einige Pfeile durch den Stoff des Zeltes. Die Geschosse brannten und steckten somit das Zelt in Brand. William begann zu schwitzen. Sein Herz raste und sein Atem wurde schnell und kurz. Der Junge beschloss, aus einem Impuls heraus, loszurennen. Er stürzte durch den Zelteingang und fand sich mitten in einer Schlacht wieder. Ein Pfeil schlug neben seinem Fuß ein und William schrie kurz auf. Er hatte keine Ahnung, wo er hinsollte, doch instinktiv rannte er zur Burg. Er wusste, dass dort sein Vater und seine Männer waren. Vielleicht würden sie ihm ja helfen, wenn sie sahen, dass er entkommen konnte? William rannte um sein Leben, als ein Soldat neben ihm auf den Boden aufschlug. Voller Panik sah William den zertrümmerten Schädel des Mannes. Er wandte seinen Blick ab und versuchte sich, auf den Weg vor sich zu konzentrieren. Es war gar nicht so weit, doch kam es ihm vor, als musste er mehrere Kilometer zurücklegen. William wich einem galoppierenden Pferd aus und rannte, so schnell er konnte. Er hatte die Schlacht fast hinter sich gelassen und das Tor der Burg erreicht, als sich dieses öffnete.
Mit aufgerissenen Augen sah William, wie eine Gruppe Ritter auf ihn zupreschte. Allen voran ritt sein Vater, der von William keine Notiz zu nehmen schien. William drehte instinktiv um, denn er sah keinen anderen Ausweg, um nicht von den Hufen der Pferde zerquetscht zu werden. Der Junge stürzte und landete im Matsch, der inzwischen das Schlachtfeld bedeckte. Er drehte sich auf den Rücken und voller entsetzen sah er, wie sich das Pferd seines Vaters aufbäumte. Die Hufe des Tieres hingen über William wie ein bedrohliches Damoklesschwert. Wie gelähmt sah der Junge zu, wie die Hufe herabsausten und er spürte, wie sie nur wenige Zentimeter neben seinem Kopf auf dem Boden aufschlugen. William wartete nicht ab, bis das Tier erneut auf die Idee kam seinen Huf zu heben und am Ende doch noch auf seinem Kopf zu platzieren. Er rollte sich herum und kroch, so schnell er konnte unter dem Pferd hervor. In dem Moment, in dem er aufstehen wollte, schlug erneut der Körper eines toten Soldaten neben ihm auf dem Boden auf. Diesmal blickte William in die Augen des Ritters, der ihn noch vor kurzem aus dem Zelt geholt und zum König geführt hatte.
William spürte, wie ihm sein Herz bis zum Hals schlug und er suchte krampfhaft nach einem Ausweg aus dieser Situation. Er schrie, als sich ein kräftiger Arm um ihn schlang und vom Boden hob. Wild um sich schlagend versuchte er, sich zu befreien.
»Ruhig William! Ich bin es. Raimund.« William brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass dieser Ritter ihm helfen wollte. Es war Raimund Cavelier, ein Ritter, der schon seit vielen Jahren an der Seite seiner Familie war. Der Mann ging bereits auf die Fünfzig zu und war einer der besten Kämpfer, die John Godfrey zu bieten hatte, doch das Alter begann seine Spuren zu hinterlassen. Raimund hielt den jungen William fest im linken Arm, während er mit der rechten Hand sein Schwert führte. Raimund brachte William, der sich an den Körper des Ritters klammerte, zurück zur Burg, damit der kleine Lord in Sicherheit war. William spürte den kalten Stahl der Rüstung an seinem Gesicht, doch kam es ihm vor, als würde er nie etwas Schöneres fühlen. Raimund und William hatten es fast geschafft, als ein Pfeil eine Lücke in der Rüstung des Soldaten fand.
Die metallene Spitze des Geschosses bohrte sich in das Fleisch der rechten Schulter Raimunds. Der Ritter schrie vor Schmerz und ließ sein Schwert fallen, doch hielt er William so fest, wie er nur konnte. Raimund lief weiter und endlich erreichten sie den rettenden Burgeingang. Raimund ließ William los. Der rannte sofort in die Arme seiner Mutter, die genauso wie William in Tränen ausgebrochen war.
»Ich danke dir Raimund.« Agnes drückte William fest an sich.
»Ich habe ihn da draußen gesehen und wusste, dass es meine Pflicht war, ihn zu retten.« Raimund versuchte zu lächeln, allerdings verzog sich sein Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse. »Doch jetzt muss ich meine Pflicht Eurem Gatten gegenüber erfüllen.« Raimund drehte sich um, um zur Schlacht zurückzukehren.
»Warte! Du bist verletzt. Du kannst nicht weiterkämpfen.« Agnes protestierte, doch stieß es bei Raimund auf taube Ohren.
»Ich habe Eurer Familie meine Treue geschworen und ich beabsichtige nicht, diesen Schwur zu brechen, weil ich eine kleine Fleischwunde habe.«
Raimund brach den Schaft des Pfeiles ab und zog das restliche Stück aus seiner Schulter heraus. Der Ritter schnaufte dabei und biss die Zähne zusammen. William bewunderte Raimund. Er wünschte, dass er ebenfalls so mutig gewesen wäre, doch alles, was er konnte, war Weinen und wegrennen. Er vergrub sein Gesicht im Gewand seiner Mutter und ließ die ganze Anspannung der letzten Tage heraus.
William hatte sich beruhigt. Die Schlacht war vorüber und Johns und Madeleines Truppen hatten gesiegt. Die wenigen überlebenden Soldaten des Königs, sowie der König selbst waren nun Gefangene. Williams Vater war blutverschmiert und voller Dreck, genauso wie viele andere Soldaten. Lady la Vache hingegen war sauber und trug ein schickes Kleid. Neben ihr ritt ein junger Mann, der kaum älter als zwanzig Jahre sein konnte. Sein schulterlanges, welliges Haar war schwarz wie die Nacht und er trug teuer aussehende Kleidung. Er erinnerte ihn an eine jüngere Version von König Charles, doch William erkannte ihn als den Sohn der Lady la Vache.
Sein Name lautete Geoffrey und er war der Grund für diese Rebellion.
»Ihr habt gut gekämpft Lord Godfrey.« Madeleine la Vache hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht. »Euer Plan war grandios.«
»Ich danke Euch Milady. Es war ein Leichtes für mich, die Strategie unseres Feindes vorherzusehen. Ich war lang genug ein Ritter von König Charles, um zu wissen, dass er nicht mit solch einer Falle rechnen würde.« John grinste ebenso und zu dritt traten sie vor König Charles, der ebenfalls blutverschmiert und gefesselt neben seinen eigenen Rittern stand.
»Mein lieber Charles. Wir haben uns lange nicht gesehen.« Madeleine musterte den geschlagenen König und grinste erneut. »Leider nicht lang genug. Diese Affäre mit dir war der größte Fehler, den ich je begangen habe.« Der König spuckte Lady la Vache ins Gesicht. Geoffrey, sowie einige andere Männer griffen sofort nach ihren Schwertern, doch Lady la Vache hob den Arm, um sie zu stoppen.
»Da hast du ausnahmsweise einmal Recht.« Lady la Vache wischte sich die Spucke des Königs aus dem Gesicht. »Es war der Erste einer Reihe von Fehlern, die uns nun genau zu diesem Punkt gebracht haben.« Zärtlich strich Lady la Vache über die Wange des Königs, der sie nur angewidert anstarrte. »Doch jetzt ist es vorbei. Du hast verloren.« Lady la Vache gab dem König einen Kuss auf die Wange, die sie soeben noch gestreichelt hatte. In diesem Moment wechselte der trotzige Blick des Königs zu einem ungläubigen Ausdruck. »Lang lebe der König.« Lady la Vache grinste, als sie den Dolch aus der Brust von Charles zog. Der König brach zusammen und lag tot zu Füßen von Madeleine la Vache. Lady la Vache bückte sich, um die Krone aufzuheben, die sie daraufhin ihrem Sohn Geoffrey aufsetzte. »Der König ist tot! Lang lebe König Geoffrey, der Zweite seines Namens!« Die gesamte Burg jubelte. Hunderte Ritter und Soldaten hatten für diesen Moment gekämpft und sie alle verbeugten sich vor ihrem neuen Herrscher. Auch John kniete vor Geoffrey nieder.
»Steht auf Lord Godfrey!« John sah zu Geoffrey, als wolle er sich vergewissern, dass er tatsächlich die Erlaubnis aufzustehen erhalten hatte. »Ihr habt wie ein Löwe dafür gekämpft, meinen Thron zu gewinnen. Ihr sollt daher auch belohnt werden.« Geoffrey sprach mit lauter, fester Stimme, sodass jeder Anwesende ihn gut verstehen konnte. »Wie mir meine Mutter erzählte, habt ihr euer einziges Gehöft durch einen Angriff verloren?«
»Das ist richtig, Eure Majestät.« William hatte seinen Vater selten so erlebt. Sonst war John Godfrey ein lauter und selbstbewusster Mann, der gern zeigte, wer er war. Jetzt hatte William das Gefühl, dass sein Vater um einiges kleiner wirkte.
»Dann soll meine erste Amtshandlung als König Folgendes sein.« König Geoffrey hob erneut die Stimme und William staunte, wie dieser junge Mann, der gerade einmal zwei Jahrzehnte lebte, derart selbstbewusst auftrat. »Ich ernenne euch hiermit zum Earl über die Grafschaft Dornham. Euch sollen fortan sämtliche Ländereien, sowie die Burg gehören und zum Erbe eurer Familie werden.« John konnte nicht glauben, was er da hörte.
William musste kichern, als er seinen Vater mit halb geöffnetem Mund dastehen sah. Sein Blick wanderte über die anwesenden Ritter, auf der Suche nach Raimund. William bekam ein flaues Gefühl im Magen, als er ihn nirgendwo sehen konnte. William wandte sich von dem Spektakel ab und begann nach seinem Retter zu suchen. Erst als König Geoffrey und Lady la Vache mit ihren Rittern die Burg verlassen hatten, konnte William Raimund entdecken. Der verletzte Soldat hatte sich zurückgezogen, um seine Wunden zu versorgen. Es war Zufall, dass William ihn in einer kleinen Nische zwischen dem Stall und der Mauer der Burg entdeckte.
»William? Was macht Ihr denn hier?« Raimund hatte nicht damit gerechnet, dass ihn der Junge so sehen würde.
»Ich habe dich gesucht.« William schaute auf die Wunde, die in Raimunds Schulter klaffte. Der Ritter hatte seinen Oberkörper frei gemacht, damit er die Verletzung besser behandeln konnte. Ein Verband lag bereits blutgetränkt auf dem Boden vor Raimund.
»Ich hatte Angst, dass du gestorben wärst. Wenn ich so mutig wie du wäre, dann hätte ich es allein zurückgeschafft und du wärst nicht verletzt worden.« William schossen wieder die Tränen in die Augen.
»Macht Euch um mich keine Sorgen, mein Herr.« Raimund lächelte verständnisvoll und legte einen neuen Verband an. »Das ist nur eine harmlose Verletzung und ganz sicher nicht meine Erste.« Als Raimund sein Leinenhemd anzog, verzog er vor Schmerz das Gesicht und William ahnte, dass der Ritter nicht die Wahrheit sagte. »Und es ist ganz normal Angst zu haben. Jeder Mensch hat Angst.«
»Du etwa auch?« William bekam große Augen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Raimund jemand war, der jemals Angst verspüren würde.
»Natürlich. Sehr oft sogar.« Raimund, der zuvor auf einem umgedrehten Eimer gesessen hatte, war aufgestanden und kniete jetzt vor William. Er legte seine rechte Hand auf Williams Schulter und erneut unterdrückte er ein schmerzverzerrtes Gesicht, bevor er mit sanfter Stimme weitersprach.
»Ich hatte zum Beispiel Angst um Euch, als ich Euch auf dem Schlachtfeld gesehen habe. Ich hatte Angst, dass ich es nicht schaffen würde Euch aus dem Schlachtgetümmel zu bringen und ich hatte Angst, dass ich fallen würde, bevor wir die Burg erreicht hätten.« Raimund lächelte erneut und William wischte sich eine Träne weg. Raimund war ihm von allen Rittern seines Vaters der Liebste.
»Aber warum bist du dann wieder zurückgegangen? Du hättest bei uns bleiben können. Du bist doch verletzt.« Raimund antwortete nicht sofort. Er versuchte, die richtigen Worte zu finden, um es William erklären zu können.
»Als Ritter ist es meine Pflicht, Euch und Eure Familie zu beschützen und ihr zu dienen. Ich habe Eurem Vater vor Jahren einen Eid geschworen und es würde gegen meinen eigenen Kodex verstoßen, wenn ich diesen Eid brechen würde.« Raimunds Blick wurde ernst. Unterbewusst griff er zu seiner Verletzung. »Es ist für mich das Wichtigste, dass ich an der Seite Eures Vaters kämpfe und falls notwendig, für ihn sterbe. Ganz gleich, was ich persönlich von seinen Entscheidungen halte. Außerdem lohnt es sich für seine eigenen Überzeugungen zu kämpfen, selbst wenn das bedeutet, dass man dabei sein Leben aufs Spiel setzt.« William dachte darüber nach, auch wenn es ihm schwerfiel den Sinn hinter den Worten zu erkennen.
»Aber warum? Ich verstehe es nicht.«
»Keine Sorge junger William. Ihr werdet es verstehen, wenn Ihr älter werdet.« Raimund stand auf und streckte William eine Hand entgegen. »Kommt! Lasst uns gehen! Eure Mutter sucht bestimmt schon nach Euch.« William griff nach Raimunds Hand und gemeinsam liefen sie zurück zum Burgfried.
Entscheidungen
»Darf es noch ein wenig Tee sein, Lord William?« Aveline bot William einen Becher aus Holz an. Der Junge griff zu und setzte ein Lächeln auf.
»Sehr gerne, Lady Aveline.« William trank den imaginären Tee und beendete das Ganze mit einem herzhaften Schmatzen. Acht Jahre waren vergangen, seit König Geoffrey den Thron bestiegen und John Godfrey zum Earl von Dornham ernannt hatte. Die Burg war seitdem gewachsen und ein Dorf hatte sich an der Stelle gebildet, an der damals die Schlacht mit König Charles und seinen Truppen stattgefunden hatte. William erinnerte sich oft an diesen Tag, wenngleich er mittlerweile weniger Angst dabei empfand. Er saß mit seiner vier Jahre jüngeren Schwester Aveline im Garten der Burg und sie taten so, als ob sie zu Gast am Hofe des Königs waren und an einem imaginären Bankett teilnehmen würden.
»Na was seh‘ ich denn da? Die kleinen Kinder spielen Teeparty.« Roberts Stimme hatte einen spöttischen Ton. Der zwei Jahre ältere Bruder von William kam gerade vom Kampftraining. Robert wurde von den besten Mannern seines Vaters in der Kunst des Krieges ausgebildet.
In wenigen Jahren sollte er zum Ritter geschlagen werden und Earl Godfrey hoffte, dass er seinem Sohn einen Platz am Hofe König Geoffreys beschaffen könnte. Seit er mit seiner Ausbildung begonnen hatte, waren William und er immer öfter aneinandergeraten.
»Wir sind keine kleinen Kinder.« William reagierte empfindlich auf die Sticheleien seines Bruders. Immer wieder ließ er sich provozieren, was dazu führte, dass sie sich fast regelmäßig prügelten.
»Ach nein? Was seid ihr denn dann? Also Erwachsene ganz sicher nicht.« Robert lachte und in Williams Magengegend wurde es heiß. Alles an Robert brachte ihn zur Weißglut. Sein Lachen, sein Bart, der an manchen Stellen zu wachsen begann, seine schwarzen Haare, die auf einer Seite kurzrasiert und auf der anderen länger waren. Sein ganzes Auftreten machte William rasend.
»Du bist doch selbst noch nicht erwachsen.« William ballte die Fäuste.
»Das stimmt, aber ich bin erwachsener als du.« Robert grinste.
»Hört auf! Bitte.« Aveline mochte es nicht, wenn ihre Brüder stritten. Sie versuchte zu schlichten, doch es half nichts.
»Was denn? Es stimmt doch. William hat ja noch nicht mal ein Holzschwert in der Hand gehabt, geschweige denn ein Echtes.« Robert zog sein Schwert aus der Scheide und begutachtete es. William wusste, dass es ein stumpfes Übungsschwert war, aber dennoch hatte er Respekt vor der Waffe aus Stahl.
»Wenn du das benutzen kannst, dann kann es ja nicht so schwer sein.« William verschränkte die Arme und rollte mit den Augen.
»Ach ja? Du hast eine ganz schön große Klappe für jemanden, der noch nicht Mal Bartwuchs hat.« Williams Plan funktionierte. Robert würde ihn angreifen und sich mit ihm prügeln. Er war sich sicher, dass Aveline bestätigen würde, dass Robert zuerst zugeschlagen hatte und dann würde sein Bruder Ärger bekommen.
»Ich brauch keinen Bart, um mit dir fertig zu werden.«
»Na warte! Das werden wir ja sehen.« Robert steckte das Schwert weg und kam mit geballter Faust auf William zu.
Der machte sich bereit, doch in dem Moment, da Robert zuschlug, warf sich Aveline zwischen die beiden Streithähne. Roberts Faust traf das Mädchen und Aveline stolperte, sodass sie direkt in Williams Arme fiel. Sie begann zu weinen und Robert stand nur mit überraschtem Blick da.
»Jetzt sieh dir an, was du angerichtet hast! Sie blutet.« William versuchte, die weinende Aveline zu trösten, doch die Tränen kullerten nur so zu Boden.
»Ich ...« Robert schnappte nach Luft. »Das wollte ich nicht.« Es tat ihm offensichtlich leid, was soeben passiert war, doch William interessierte das nicht.
»Mir reicht es! Ständig schikanierst du uns.« William zeigte anklagend auf Robert, der nun wieder eine abwehrende Körperhaltung einnahm, indem er selbst die Arme verschränkte. »Wir regeln das jetzt! Ein für alle Mal!« Aveline hatte sich etwas beruhigt und schluchzte nur vor sich hin. William war inzwischen auf Robert zugegangen und bohrte ihm seinen Zeigefinger in die Brust. »Wir beide kämpfen gegeneinander. Mit echten Übungsschwertern. Wenn ich gewinne, dann lässt du uns in Ruhe, kapiert?«
»Einverstanden. Aber wenn ich gewinne, dann wirst du ein Jahr lang das tun, was ich dir sage. Ohne Widerrede!« Robert hielt William die Hand entgegen und wartete darauf, dass sein Bruder das Angebot annahm.
»William! Tu’s nicht!« Aveline machte sich Sorgen um ihre Brüder. Sie wollte nicht, dass die beiden miteinander kämpften. Schon gar nicht, wegen ihr. Ihr fiel jedoch nichts ein, um die zwei aufzuhalten.
»Abgemacht.« William schlug ein und schüttelte Roberts Hand. Der grinste und William bekam ein ungutes Gefühl in der Magengegend.
»Sehr gut. Dann lass uns zum See hinter der Burg gehen.«
»Zum See? Wieso?« William verstand nicht, weshalb Robert nicht gleich hier mit ihm kämpfte.
»Glaubst du Idiot, Mutter würde uns gegeneinander kämpfen lassen, sobald sie davon etwas bemerken würde?« William musste zugeben, dass Robert in diesem Punkt Recht hatte. Die beiden Jungen machten sich auf den Weg. Robert besorgte ein weiteres Übungsschwert, damit sie miteinander kämpfen konnten.
Nachdem sie den See erreicht hatten, reichte Robert seinem jüngeren Bruder die stumpfe Waffe und begab sich selbst in Position. Das Schwert war schwerer, als William erwartete, und er fragte sich, ob er den Mund nicht doch etwas zu voll genommen hatte. Aber es war zu spät. Es gab kein Zurück mehr. Robert machte sich bereit. Er hielt das Schwert vor seinen Körper, so wie er es gelernt hatte. Sein linkes Bein stand weiter vorn, als das rechte und er war bereit zuzuschlagen. Er grinste, als er sah, wie unbeholfen William dastand. Williams Grundstellung hatte keinerlei Gleichgewicht, da sich seine Beine direkt nebeneinander befanden. Sein Schwert hielt er genau vor seinen Körper, so wie es Robert tat, aber der Ältere der Brüder erkannte, dass Williams Griff nicht fest genug war. Keiner der beiden bewegte sich. Robert wartete, dass William den ersten Schlag ausführen würde, während William darauf wartete, dass Robert angriff. Williams Herz klopfte wie verrückt. Sein Atem ging schnell und flach und er versuchte, auf jede Bewegung seines Bruders zu achten. Jedes Zucken eines Muskels versetzte ihm einen Adrenalinstoß, in dem Glauben, dass es ein Zeichen für den Schlag war.
Schweiß brach auf seiner Stirn aus und er fragte sich, wie lang sie schon regungslos dastanden. Nach einer gefühlten Ewigkeit entschied Robert, dass es Zeit war, anzugreifen. Er machte einen Schritt nach vorn und stach mit dem Schwert zu, in der Absicht seinen Bruder aus dem Gleichgewicht zu bringen. William reagierte, doch seine Unerfahrenheit war ein Nachteil. Er konnte den Stich abwehren, doch musste er sein Gleichgewicht zurückgewinnen. Robert nutzte die Situation aus und ließ mit einer schnellen Drehung seines Handgelenkes einen Schlag auf Williams Kopf folgen. Der jüngere Bruder wehrte den Schlag erneut ab, doch verlor er die Kontrolle über sein Schwert. William versuchte, es zu fangen, doch stolperte er und fiel zu Boden. Er fing sich ab und drehte sich um. In diesem Moment sah er Robert über sich stehen. Der war bereit, erneut zuzuschlagen. Er hob das Schwert über seinen Kopf, in der Absicht William einen Denkzettel zu verpassen. Er war überzeugt, dass seinem Bruder schon nichts passieren würde. Das Schwert war schließlich stumpf. William sah mit weit aufgerissenen Augen, dass Robert bereit war, ihn zu verletzen.
Er kniff die Augen zusammen und erwartete den Schmerz, der in wenigen Sekunden seinen Körper einnehmen würde. Robert schwang die stumpfe Waffe und ließ sie direkt auf Williams Kopf herabsausen. Kurz bevor das Metall William erreichen konnte, schlug die Klinge auf etwas Hartes. Ein Geräusch, das so klang, als ob Stahl auf Stahl traf, ließ William die Augen öffnen, zumal der von ihm erwartete Schlag nicht kam. Roberts Schwert wurde von Raimund aufgehalten. Neben dem alternden Ritter stand Aveline. Sie musste Raimund alles erzählt haben. William war dankbar, dass sie es getan hatte, denn so blieb ihm eine schmerzhafte Niederlage erspart.
»Was zum...? Du erhebst das Schwert gegen deinen Herren? Ich könnte dich dafür hängen lassen!« Robert blickte Raimund aus zusammengekniffenen Augen heraus an. Der blieb unbeeindruckt und mit einer kurzen Bewegung entwaffnete er Williams Bruder.
»Da habt Ihr Recht, mein Herr. Doch Ihr könntet ebenfalls ernsthafte Probleme bekommen, wenn Ihr euren eigenen Bruder tötet, und sei es nur aus Versehen.«
Raimund hatte William inzwischen wieder auf die Beine geholfen. Aveline umarmte ihn und begann direkt erneut zu schluchzen.
»Das ist ein stumpfes Schwert. Da passiert schon nichts.« Robert rollte mit den Augen und streckte Raimund die Hand entgegen, als Zeichen, dass er seine Waffe zurückhaben wollte. Raimund reagierte jedoch nicht.
»Auch ein stumpfes Schwert kann einen Schädel spalten, wenn es mit genügend Kraft geschwungen wird.« William war erstaunt, wie ernst Raimund klang. So hatte er ihn noch nie erlebt.
»Na und? Dann wäre William vielleicht etwas hübscher geworden.« Robert lachte, doch blieb ihm das Lachen im Hals stecken, als Raimund ihn am Arm packte. »Hey! Was soll das?«
»Kommt mit! Eure Eltern werden bestimmt erfahren wollen, was hier vorgefallen ist.« Raimunds Blick wanderte nun zu William. »Und Ihr ebenfalls Herr. Das war heute keine Glanztat, die Ihr da vollbracht habt.«
»Aber ich habe doch nur...« William verstummte, als er Raimunds Blick sah.
Er war streng, doch nichts Böses lag darin. William sah darin vielmehr eine tiefe Enttäuschung. Er fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Sie gingen zurück zum Burgfried und trafen auf Agnes, die mit einer Dienerin sprach.
»Natürlich Herrin. Ich werde mich gleich darum kümmern.« Die Dienerin verbeugte sich vor Agnes und lief zurück zum Eingang der Burg. Agnes schaute ihr hinterher und William fragte sich, ob er es sich nur einbildete oder ob seine Mutter wirklich aussah, als ob sie weinen wollte.
»Raimund?« Agnes wischte sich eine Träne aus dem Gesicht und rang nach Fassung. »Was hat das zu bedeuten?«
»Eure Kinder haben Euch einiges zu erklären Milady.« Raimund lockerte den Griff um Roberts Arm, was dieser sofort nutzte, um sich zu befreien.
»Mutter! Dieser dreiste Ritter hat es gewagt sein Schwert gegen mich zu erheben.« Robert spuckte vor Wut. Er war es nicht gewohnt, dass er von niedriger Gestellten derart behandelt wurde.
»Stimmt das?« Agnes sah mit fragendem Blick zu Raimund.
»Der Herr sagt die Wahrheit, doch vielleicht wäre es gut, wenn er die ganze Geschichte erzählen würde.« Raimund und Robert tauschten Blicke aus, die hätten töten können. Die Worte waren nicht an William gerichtet, doch erweckten sie in ihm ein schlechtes Gewissen, sodass er anfing, alles zu erzählen.
»Robert und ich haben uns gestritten.« William konnte seiner Mutter nicht in die Augen sehen, deshalb schaute er auf ihre Schuhe.
»Halt’s Maul!« Robert versuchte William Angst zu machen, damit dieser aufhörte, alles zu verraten. William beachtete ihn jedoch nicht und sprach einfach weiter.
»Wir wollten uns prügeln, aber Aveline ist dazwischen gegangen und Robert hat sie getroffen.« Aveline drückte Williams Hand, die sie seit dem See nicht losgelassen hatte. »Ich wollte dann gegen Robert kämpfen, damit er uns in Ruhe lässt, aber ich habe mein Schwert verloren. Wäre Raimund nicht in letzter Sekunde aufgetaucht, dann hätte Robert sein Schwert auf meinen Kopf geschlagen.«
William spürte, wie sich ein Knoten in seiner Brust formte. Er wollte seine Mutter nicht enttäuschen, aber er wusste, dass er es soeben getan hatte.
»Du mieser Verräter.« Robert zischte und sein Blick war hasserfüllt.
»Robert! Auf dein Zimmer! Sofort!« Agnes Stimme bebte. Robert wollte protestieren, doch er erkannte, dass er verloren hatte. Er stampfte an William vorbei in die Burg und schlug ihm zur Strafe auf den Oberarm. Der Schmerz trieb William sofort die Tränen in die Augen, aber er konzentrierte sich darauf, seinem Bruder nicht auch noch diese Genugtuung zu gönnen. »Und ihr beide geht ebenfalls auf eure Zimmer.« Agnes sprach jetzt mit gemäßigterem Ton zu William und Aveline. Die beiden Kinder widersprachen nicht und folgten mit ausreichendem Abstand ihrem Bruder in die Burg. Nachdem die beiden Geschwister verschwunden waren, wandte sich Agnes an Raimund. »Ich danke dir.«
»Selbstverständlich, Herrin.« Raimund verbeugte sich vor Agnes.
»Ich muss John von diesem Vorfall erzählen. Begleitest du mich?« Agnes schaute Raimund mit flehendem Blick an.
»Natürlich Herrin. Geht voraus.« Agnes war dankbar für Raimunds Begleitung. Sie waren schon früher gute Freunde, doch nachdem er vor acht Jahren ihren Sohn gerettet hatte und verletzt worden war, hatte sie viel Zeit mit dem Ritter verbracht. Er war zu alt und seine Wunde war nie richtig verheilt, sodass er nicht mehr als Kämpfer an Johns Seite in die Schlacht zog. Stattdessen blieb er als persönlicher Leibwächter von Agnes und den Kindern in der Burg. Raimund war dadurch für Agnes zu einem Fels in der Brandung geworden. Die beiden liefen durch das Gebäude und erreichten das Arbeitszimmer von John. Agnes klopfte nicht an, sondern öffnete die Tür und betrat den Raum.
»Agnes? Was soll das? Ich bin mitten in einer Besprechung.« John zog eine Augenbraue nach oben, während der Diener, von dem Agnes wusste, dass es ein Bote war, mit irritiertem Blick von John zu Agnes blickte.
»Es geht um Robert. Er hat sich mit William geprügelt und hätte ihn fast verletzt, wenn nicht sogar getötet.
Wenn Raimund nicht dazwischen gegangen wäre, dann...« Agnes schluckte »Oh ich will mir gar nicht vorstellen, was dann passiert wäre.« Agnes fasste sich mit einer Hand vor den Mund. John seufzte.
»Dann wird es umso mehr Zeit, dass der Junge zum Ritter ausgebildet wird. Wenn er kämpfen könnte, dann hätte Robert zumindest etwas Training bekommen.« John zeigte dem Boten mit einer Handbewegung, dass er verschwinden sollte. Der Bote verneigte sich und machte sich auf den Weg, seine Botschaft an wen auch immer zu überbringen.
»Ist das alles, was dich interessiert? Hauptsache Robert trainiert?« In Agnes brodelte es. »Ich weiß nicht, ob du mir gerade zugehört hast. Dein Sohn hätte fast deinen anderen Sohn umgebracht.«
»Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun? Das sind Jungs. Die prügeln sich halt. Ist doch nichts passiert, oder?« Agnes traute ihren Ohren nicht. Sie hätte am liebsten geschrien. »Aber das Ganze hat sich sowieso demnächst erledigt. Mein Entschluss steht fest. Sobald ich jemanden gefunden habe, der seine Ausbildung übernimmt, wird William zum Ritter ausgebildet.«
John lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme.
»Ich kann nicht glauben, dass du unseren Sohn einfach wegschicken willst.« Agnes war wieder den Tränen nah.
»Ich will ihn nicht wegschicken, sondern ihn ausbilden lassen.« John war aufgestanden und zu einem kleinen Fenster an der Wand gegangen. »Der Junge muss lernen, wie man sich als Mann verhält, sonst wird er nie eine gute, reiche Frau finden, die er heiraten kann. Wer weiß, vielleicht wird aus ihm ja sogar ein ganz passabler Schwertkämpfer. Aber zuerst müsste ich jemanden finden, der geeignet ist.«
»Wieso lässt du ihn nicht mit Robert zusammen unterrichten?« Agnes wischte sich eine Träne vom Gesicht. Sie wollte nicht, dass John und Raimund sahen, wie sehr es ihr naheging, dass ihr geliebter Sohn sie verlassen sollte.
»William hier ausbilden lassen? Ich bin doch nicht verrückt und riskiere, dass Roberts Ausbildung darunter leidet.« John drehte sich um und lehnte nun gegen die Mauer neben dem Fenster.
»Kommt gar nicht in Frage! Er wird der Knappe eines anderen Lords.« Raimund räusperte sich.
»Entschuldigt mein Herr, aber dürfte ich vielleicht einen Vorschlag machen?« John drehte sich zu Raimund und schaute ihn an, als hätte er ihn eben erst bemerkt.
»Nur zu. Sprich!« John war gespannt auf das, was Raimund ihm sagen wollte.
»Ich denke, dass es vielleicht das Beste wäre, wenn der junge William zum Bruder von Lady Agnes gehen würde.«
»Du meinst Reginald?« John überlegte, doch es war zu erkennen, dass er diesem Gedanken nicht abgeneigt war. »Es wäre zumindest ein Sprungbrett für Williams Karriere. Wie ich hörte, soll er in letzter Zeit engeren Kontakt zur Königin pflegen.« Agnes witterte ihre Chance, William in der Familie zu halten.
»Vielleicht wird die Königin ja auf William aufmerksam, Reginald kann mit Sicherheit etwas arrangieren.« John machte einen zufriedenen Ausdruck. Der Gedanke, dass William in den Dienst der Königin treten könnte, gefiel ihm.
»Ich bin einverstanden. Agnes, meine Liebste, würdest du bitte deinem Bruder einen Brief schreiben?« Agnes musste sich beherrschen nicht loszujubeln. Sie hatte es geschafft, dass William nicht an einen wildfremden Hof geschickt wurde. Ihr Bruder Reginald würde sich gut um ihren Jungen kümmern, dessen war sie sicher. Er war zwar nicht mehr in ihrer Nähe, aber sie wusste zumindest, dass es ihm gut gehen würde. »Natürlich. Was soll ich ihm sagen, wie viele Diener William mit sich bringen wird?«
»Gar keinen. Der Junge muss lernen, allein zurechtzukommen.« Agnes‘ Gesichtszüge entgleisten, als sie das hörte.
»Das ist ein Scherz, oder? Wenn es Robert wäre, über den wir hier sprechen, dann würdest du eine Armee an Dienern zur Verfügung stellen.« Agnes reichte es. John hatte Robert schon immer bevorzugt. Er war der Erstgeborene und Agnes hatte es akzeptiert, dass er besondere Privilegien erhielt, doch William so benachteiligt zu sehen schmerzte sie. Das hatte der Junge nicht verdient.
»Ich diskutiere nicht mit dir darüber. Ich habe nicht genug Diener, um jemand für Williams Komfort zu entbehren.« John wurde rot. Er mochte es nicht, wenn Agnes ihm Widerworte gab.
»Aber ...« Agnes setzte erneut zu einer Beschwerde an, doch Raimund fiel ihr ins Wort.
»Entschuldigt, wenn ich mich erneut einmische, aber dürfte ich noch einen Vorschlag vorbringen?« John nickte und er, sowie Agnes warteten auf den Gedanken, den Raimund vorbringen wollte. »Wenn Ihr es erlaubt, würde ich gern freiwillig den jungen Herrn begleiten.«
»Du?« John zog eine Augenbraue hoch.
»Lasst es mich erklären. Ich wurde vor acht Jahren verwundet und die Wunde ist nie richtig ausgeheilt.« Raimund hielt seine Hand an seine rechte Schulter, genau an die Stelle, an der ihn der Pfeil durchbohrt hatte. »Auch das Alter setzt mir zu, weshalb ich nicht mehr der Krieger bin, der ich einst war. Wenn ich jedoch Eurem Sohn helfen kann, selbst ein starker Ritter zu werden, dann würde mich das mit Ehre erfüllen. Ich habe Eurem Vater damals ein Versprechen gegeben und auf diese Art könnte ich es erfüllen.
Außerdem bin ich für Euch selbst nutzlos.« Agnes fand, dass Raimund viel zu hart mit sich selbst ins Gericht ging, doch es würde ihr besser gehen, wenn sie wüsste, dass ihr bester Freund auf ihren Sohn aufpassen würde.
»Na schön. Wenn das dein Wunsch ist, Raimund. Sobald Reginald William als Knappen akzeptiert, verlässt er uns.« John hatte das letzte Wort gesprochen und weder Agnes noch Raimund wollten an dieser Entscheidung etwas ändern.
William saß auf seinem Bett und dachte über den Tag nach. Er hasste es, wenn Robert sich derart verhielt. Noch mehr hasste er es jedoch, dass er selbst nicht stark genug war, um seinem Bruder zu zeigen, dass er nicht alles mit William oder Aveline tun konnte, was er wollte. Er wollte nicht mehr der kleine Junge sein, den alle in ihm sahen. William schaute zur Tür seines Zimmers, als diese sich langsam öffnete. »Darf ich reinkommen?« Es war Aveline.
»Was machst du hier? Wir sollten doch auf unseren Zimmern bleiben.«
Aveline wartete nicht auf eine Antwort, sondern betrat Williams Zimmer und schloss die Tür hinter sich. »Was ist, wenn Mutter dich hier erwischt?«
»Keine Angst. Ich sag einfach, dass ich eingeschlafen bin und schlecht geträumt habe. Da habe ich Angst bekommen und wollte zu dir.« Aveline grinste. William schüttelte jedoch mit dem Kopf.
»Das glaubst du doch selbst nicht, dass Mutter dir das abnimmt.« Auch wenn William nicht wollte, dass seine kleine Schwester Ärger bekam, so war er doch froh, nicht allein zu sein.
»Und wenn schon. Mutter kann uns eh nicht lang böse sein.« Aveline kicherte und William musste ebenfalls grinsen. »Wie geht es dir?«
»Die Frage ist doch eher, wie geht es DIR?« William zeigte auf Avelines Nase. Das Mädchen hatte weit mehr abbekommen als William.
»Ach, alles halb so wild. Es tut zwar noch ein bisschen weh, aber wenigstens blutet es nicht mehr.« Aveline war auf Williams Bett gestiegen und begann darauf herumzuspringen.
»Los, lass uns was Lustiges machen.« William stellte sich ebenfalls auf sein Bett und hüpfte mit Aveline herum. Die Geschwister lachten jedes Mal, wenn sie sich gegenseitig beim Hüpfen umrissen und über das Bett kugelten. Doch als sich Williams Zimmertür öffnete, bekamen beide einen Schreck. Ihre Mutter kam herein.
»Mama! Ich wollte...« Aveline stammelte vor sich her.
»Schon gut. Ich habe sowieso damit gerechnet, dass ihr beiden nicht lang allein auf euren Zimmern sitzen werdet.« Agnes lächelte, was William beruhigte. Dennoch war da etwas, was ihm Gedanken machte. Wieso hatte seine Mutter geweint, als sie mit der Dienerin sprach? »William, ich bin hier, weil ich dir etwas sagen muss.« William bemerkte den ernsten Tonfall in der Stimme seiner Mutter. »Dein Vater hat beschlossen, dass es Zeit für dich ist als Ritter ausgebildet zu werden. Ich habe gerade einen Brief an deinen Onkel Reginald geschickt. Sobald der Bote zurückkehrt, wirst du mit Raimund nach Beauvin reisen und dort die Kunst des Krieges erlernen.« Nachdem Agnes die Botschaft überbracht hatte, herrschte Stille.
Die Kinder mussten zuerst verarbeiten, was sie soeben gehört hatten. Aveline war die Erste, die protestierte.
»Nein! Das geht nicht! William darf nicht weggehen.«
»Ich will es auch nicht, aber euer Vater hat klar gemacht, dass er nicht mit sich diskutieren lässt.« Agnes wischte sich erneut eine Träne aus dem Gesicht. Ihre Kinder waren alles für sie. William hunderte von Kilometern fortzuschicken brach ihr das Herz.
»Nein! Das ist unfair! Wieso kann William nicht von einem von Papas Rittern ausgebildet werden, so wie Robert?« Die Tränen kullerten nur so über Avelines Gesicht, doch gleichzeitig war es vollkommen rot und sie stampfte mit den Füßen. William realisierte erst jetzt, was das alles zu bedeuten hatte. Jetzt erkannte er, wieso seine Mutter bereits vorher geweint hatte.
»Du hast es gewusst, nicht wahr?« William fühlte, wie sich sein Magen verkrampfte, doch seltsamerweise verspürte er auch eine ungewöhnliche Freude. Freude auf das, was nun vor ihm lag.
»Ja. Ich wusste es schon seit heut Morgen. Es tut mir leid, dass ich es dir erst jetzt sage.«
»Ist schon gut. Ich freue mich.« William grinste. Aveline schaute ihn hingegen ungläubig an. »Ich freue mich darauf, zu lernen, wie man kämpft. Und wenn ich erst ein Ritter bin, dann werde ich Vater und Robert zeigen, dass ich nicht der ängstliche, kleine Junge bin, den sie in mir sehen.« Williams Entschlossenheit spiegelte sich in seinem Blick und Agnes konnte nicht anders, als ihn zu umarmen. Sie war noch nie so stolz auf ihren William, wie in diesem Moment.
Drei Monate später war es so weit. Raimund und William hatten ihre wenigen Habseligkeiten gepackt und auf ihren Pferden verstaut. Williams Familie und einige Diener waren im Hof der Burg versammelt, um sich von ihnen zu verabschieden. Nur Robert war nicht dabei.
»Und vergiss nicht, dass du jederzeit zu deinem Onkel gehen kannst, wenn du Probleme hast.« Agnes umarmte ihren Sohn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. William drückte sie von sich.
»Ich weiß, Mutter. Das hast du mir schon hundert Mal gesagt.« William lächelte und Agnes erwiderte es.
William umarmte seine Schwester, die seit der Botschaft, dass William gehen musste, schlechte Laune hatte. »Ich hab dich lieb, kleine Schwester. Lass dich nicht von Robert ärgern.« William wollte Aveline wieder loslassen, doch das Mädchen vergrub sein Gesicht in Williams Brust und schluchzte leise.
»Ich hoffe, es ist alles klar. Sobald ihr den Hafen von Portleigh erreicht habt, werden eure Begleiter die Pferde übernehmen und ihr fahrt mit dem Schiff aufs Festland.« John reichte Raimund die Hand, welcher sie ergriff und schüttelte. »Natürlich, Herr«< Raimund verbeugte sich vor John und anschließend vor Agnes und Aveline. »Kommt, junger Herr! Es ist Zeit aufzubrechen.« Raimund half William auf das Pferd, das eigentlich viel zu groß für ihn war. Gemeinsam mit drei Dienern des Earl ritten sie los, William winkte zum Abschied und folgte Raimund durch das Dorf Dornham. Von den Dorfbewohnern wusste niemand, dass William fortging, doch jeder verbeugte sich vor dem vorbeireitenden Adligen.
Als das Quintett das Dorf verließ, folgten sie der Straße nach Portleigh und ritten einen kleinen Hügel hinauf, der durch ein angrenzendes Waldstück führte. Bevor er in den Wald ritt, schaute William ein letztes Mal zurück auf seine Heimat. Er versuchte sich, das Dorf, die Burg und alles darum herum genauestens einzuprägen. Denn ihm war bewusst, dass er diesen Anblick für sehr lange Zeit nicht mehr sehen würde.
»Lord William?« Raimund und die Diener warteten auf ihn. William holte tief Luft und wandte seinen Blick von der Vergangenheit ab. Es war Zeit, den Weg in die Zukunft anzutreten.
Portleigh war der größte Hafen, den das Königreich Peretanien zu bieten hatte. Jeder, der die Insel Peretanien verlassen und auf das Festland übersetzen wollte, kam in diese Stadt. Die Mischung aus Händlern, auffällig gekleideten Fremdländern, den Geräuschen, die es in Dornham so nicht gab und der salzigen Luft, die in Williams Nase kitzelte, erweckte in dem Jungen eine Abenteuerlust, die er so zuvor nicht kannte. Die Diener seines Vaters hatten sie schon bald verlassen und so liefen William und Raimund zu Fuß durch die Straßen der Stadt.
»Kommt, mein Herr! Unser Schiff wartet nicht ewig auf uns.« Raimund hatte nur den Hafen vor Augen. Er hatte die Stadt und den ganzen Trubel bereits hunderte Male gesehen und war nicht annähernd so begeistert, wie William.
»Ich komme!« William gab einem Händler eine Kette zurück, die dieser an den Jungen zu verkaufen versuchte. Der Mann war nicht erfreut darüber, dass Raimund ihm soeben das Geschäft vermasselt hatte. William nahm seinen Sack mit den wenigen Habseligkeiten hoch und lief dem Ritter hinterher. Er hatte lediglich Kleidung eingepackt.
Er wusste nicht, was er sonst mitnehmen sollte. Seine geliebte Stoffpuppe, mit der er immer gern gespielt hatte, hatte er seiner Schwester geschenkt. Zum einen wollte er, dass sie ein Erinnerungsstück besaß. Zum anderen wollte er dieses Kapitel seines Lebens hinter sich lassen. Sie hatten den Hafen erreicht und vor ihnen lagen die Schiffe des Königs vor Anker. William betrachtete das größte von ihnen mit staunendem Blick. Das hölzerne Monstrum war größer, als alles, was William je gesehen hatte. Das Schiff verfügte über drei Masten, an denen weiße Segel aufgerollt waren. Der größte von ihnen besaß ein Krähennest, eine Art Anbau, auf dem ein Ausguck nach Feinden oder anderen gefahren Ausschau halten sollte. Im hinteren Teil des Schiffes befand sich ein Aufbau aus Holz, der als Unterkunft des Kapitäns diente. Direkt darüber war das Steuerrad, von dem William sich nicht vorstellen konnte, dass so ein kleines Ding dieses riesige Gefährt steuern sollte. »Fahren wir mit so einem Schiff?« William war noch nie auf dem Festland gewesen. Die Vorfreude auf ein großes Abenteuer verdrängte die Angst vor dem Unbekannten fast vollständig.
»Nicht ganz. Das ist eines der Schiffe der königlichen Marine.« Williams Vater hatte öfters gesagt, dass es der König in den letzten Jahren geschafft hatte, die Marine des Königreiches Peretanien zu einer Weltmacht aufsteigen zu lassen. William hatte nicht verstanden, was das bedeuten sollte, doch nachdem er diese massiven Gefährte gesehen hatte, wurde ihm klar, was sein Vater meinte. »Wir fahren mit diesem da.« Raimund zeigte auf ein kleineres Schiff, das William jedoch nicht weniger beeindruckte. Es verfügte nur über einen Mast. Der hölzerne Aufbau fehlte, aber dennoch war es größer, als William es sich vorgestellt hatte, Raimund ging auf den Kapitän zu und verwickelte ihn in ein Gespräch. William hingegen stand direkt am Rand des Hafenkais. Ein weiterer Schritt und er wäre ins salzige Wasser des Meeres gefallen. Erst jetzt bemerkte er das Geschrei einiger Möwen. Es klang seltsam, denn bisher kannte er nur das Zwitschern der Vögel, die morgens vor dem Fenster seines Zimmers saßen. William dachte an sein Zuhause und in ihm stieg ein Gefühl von Heimweh auf. Die anfängliche Euphorie war verflogen und das kalte Gefühl der Angst kroch in seinem Innersten hervor.
Er fragte sich, ob er für diesen Schritt überhaupt bereit war. »Mein Herr?« Raimund stand auf einer Planke, die dazu diente das Schiff zu betreten. Sein Blick sagte William, dass er auf ihn wartete.
»Was? Ah ... Ja, ich bin auf dem Weg.« Williams Gedanken kreisten immer noch um sein altes Leben. Kurz bevor er die Planke betrat, stockte er. Ein Schritt weiter und es gab kein Zurück mehr. William nahm all seinen Mut zusammen, schüttelte seine Gedanken ab und mit einem erleichterten Seufzer betrat er die Planke und stieg auf das Schiff.
Die Überfahrt auf das Festland dauerte einen Tag. Die See war ruhig und es gab keine Komplikationen, was jeden an Bord erleichtert zurückließ.
»Land in Sicht!« Der Ausguck in seinem Krähennest rief, so laut er konnte, damit man ihn an Deck verstand. William rannte zum Bug des Schiffes und tatsächlich erkannte er am Horizont das Festland.
»Ich bin sicher, Euer Onkel wartet bereits auf Euch.« Raimund war zu William gekommen.
»Meinst du? Er ist der Fürst von Beauvin. Er hat sicher Besseres zu tun, als auf seinen Neffen zu warten.«
»Ich denke, Ihr werdet überrascht sein, sobald wir ankommen.« Raimund lächelte. Das Schiff kam dem Hafen immer näher. Nachdem sie angelegt hatten, wurde erneut die Planke ausgelegt, sodass Raimund, William und einige andere Passagiere von Bord kamen.
»William! Schön dich zu sehen!« Ein älterer Mann kam auf William zu. Er trug einen schwarzen Gambeson, der mit goldenen Fäden durchzogen war. Die ebenfalls schwarze Leinenhose steckte in ledernen Schuhen und an seinem Gürtel hing ein Schwert, in dessen Knauf ein Adler mit zwei Köpfen eingeprägt war. Um die Schultern trug der Mann einen roten Umhang. Die Kapuze lag locker auf dem Rücken seines Trägers. William rannte auf den Mann zu, den er als seinen Onkel Reginald erkannte.
»Onkel Reginald!« William umarmte den Fürsten.
»Hallo! Du bist aber groß geworden. Das letzte Mal habe ich dich gesehen, da gingst du mir bloß bis zu den Knien.« Reginald hielt seinen Neffen eine Armlänge von sich, um ihn zu begutachten.
»Fürst Leblanc von Beauvin, es ehrt uns, dass Ihr uns persönlich begrüßt.« Raimund verneigte sich vor dem Fürsten. Dieser hatte seinen Neffen losgelassen und streckte nun Raimund die Hand entgegen.
»Raimund, du alter Gauner. Wann kapierst du endlich, dass du mich nicht so förmlich ansprechen sollst?« Reginald grinste und packte Raimunds Arm. Er zog den Ritter an sich heran und umarmte ihn, wie einen alten Freund, den er lange nicht gesehen hatte. »Ich hoffe, die Reise war angenehm?«
»Das war sie, Herr. Wie ist die Lage auf dem Festland? Ich habe Gerüchte gehört.« Raimund begutachtete die bewaffneten Männer hinter Reginald, die das gleiche Adlerwappen auf ihren Schilden und Rüstungen trugen, wie der Fürst von Beauvin.
»Ich würde sagen, die Stimmung ist gereizt. Seit letztem Jahr hat das Königreich Falani einen neuen König. Louis Tremaux macht keinen Hehl daraus, dass er die alten Gebiete seines Reiches zurückhaben möchte.« In Reginalds Gesicht spiegelte sich ein Hauch von Sorge.
»Das ist ja nichts Neues, dass die Falanischen Könige darauf aus sind die Ländereien zurückzuerobern, die wir ihnen vor Jahren abgenommen haben.«
Raimund versuchte, unbeschwert zu klingen, doch William bemerkte einen Anflug von Sorge in seiner Stimme.
»Das stimmt, doch seit Louis den Thron bestiegen hat, umgarnt er die grenznahen Grafen, die sich schon immer der falanischen Kultur näher fühlten, als der unseren.« Reginald führte die beiden Reisenden vom Hafen fort. Sein Ziel waren einige, etwas abseits stehende Diener, die mehrere Pferde bereithielten.
»Muss ich mich um die Sicherheit des jungen Herrn William sorgen?« Raimund blieb neben einem schwarzen Pferd stehen, das für ihn vorgesehen war.
»Zum jetzigen Zeitpunkt? Nein.« Reginald war, genauso wie seine Rittereskorte, auf sein Pferd gestiegen. »Was die Zukunft bringt, kann ich dir nicht sagen.« Reginald wartete, bis Raimund und William auf ihre Pferde gestiegen waren. William hatte ein, für seine Körpergröße, passendes Pony erhalten.
Die Eskorte setzte sich in Bewegung und gemeinsam ritten sie zum Fürstentum Beauvin.
Die Burg von Beauvin und das dazugehörige Dorf waren größer als Dornham. Das lag daran, dass das Fürstentum länger existierte, als das Earltum von Williams Vater. Das Dorf lag in einem kleinen Tal, entlang eines Flusses, der sich quer durch die Siedlung schlängelte. Es gab einen Markt, auf dem viele Händler ihre Waren anboten, und ein Marktschreier verkündete die aktuellsten Nachrichten. Ein Mann war an den Pranger gestellt worden, zur Strafe für seinen Betrug beim Verkauf von Fleisch. Die Häuser in Marktplatznähe waren aus Stein und gehörten den wohlhabenderen Bürgern. Je weiter man sich vom Marktplatz entfernte, umso ärmer wurde die Bevölkerung. Doch selbst die Ärmsten unter ihnen hatten ein Dach über dem Kopf und einen Herd, an dem sie sich wärmen konnten. Auf einem Hügel lag die Burg, die alles überblickte. Ein Weg führte vom Marktplatz aus dem Dorf heraus, verlief über eine Steinbrücke, die den Fluss überspannte und schlängelte sich den Hügel hinauf, bis man durch ein Tor ritt, das zum Innenhof der Burg führte. Das Gebäude bestand aus einem Haupthaus, welches direkt gegenüber des Eingangstores lag. Seitlich des Hauptgebäudes stand ein Turm, der in eine Mauer mit Wehrgang überging. Auf der anderen Seite waren die Quartiere der Bediensteten und der Wachsoldaten, sowie ein Stall, in dem die Reisenden ihre Pferde unterbrachten.
»Ich habe euch beiden zwei Zimmer im Haupthaus vorbereiten lassen.« Reginald übergab sein Reittier einem Stalljungen. »Ich denke, das ist nur standesgemäß.«
»Ich danke Euch, aber ich kann mir ein Quartier bei den Bediensteten...« Raimund wurde von Reginald unterbrochen.
»Jetzt mach dich nicht lächerlich Raimund. Du bist vielleicht nur der Bastardsohn des Grafen Cavelier, aber dennoch bist du ein adliger Ritter. Noch dazu der Beste, den ich kenne.« Reginald setzte einen Blick auf, der andeutete, dass er in diesem Punkt nicht mit sich reden ließ.
»Diese Zeiten sind längst vorüber. Dennoch danke ich Euch.« Raimund verneigte sich vor Reginald, als Zeichen des Dankes und der Ehrerbietung gegenüber der Gastfreundschaft des Fürsten.
Reginald seufzte bloß und zuckte mit den Schultern. William schaute sich inzwischen den Innenhof der Burg an. Es gab einen kleinen Garten, der dem in Dornham ähnlich war. Ein paar Büsche standen neben einem Brunnen mit einer Steinfigur, aus der Wasser sprudelte. Einige Blumenbeete begannen zu erblühen und den Frühling zu begrüßen. Doch den größten Teil des Hofes beanspruchte ein freier Platz. William vermutete, dass dort seine Ausbildung stattfinden würde. Ein Kribbeln machte sich in seinem Magen breit, als er daran dachte, wie er nach Hause zurückkehren und Robert im Zweikampf besiegen würde. Doch fürs Erste folgte er seinem Onkel ins Innere der Burg. Die Reise war lang und anstrengend und er sehnte sich nach nichts anderem als einem weichen Bett.
Am nächsten Tag begann die Ausbildung zum Ritter. William freute sich den ganzen Morgen darauf, endlich etwas zu lernen. Nach dem Frühstück hatte er erfahren, dass außer ihm noch drei weitere Jungen als Knappen des Fürsten in der Burg Beauvin die Ausbildung absolvierten. Gemeinsam standen sie zu viert im Innenhof und warteten auf den Mann, der sie trainieren sollte.