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Examensarbeit aus dem Jahr 1995 im Fachbereich Didaktik - Theologie, Religionspädagogik, Note: 1,0, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Sprache: Deutsch, Abstract: Was macht die Frauen und Männer der Bibel zu Helden und Heldinnen? Verglichen mit dem geläufigen Gesellschaftsbild recht wenig, denn die Helden und Heldinnen der Medien sind SportlerInnen und Models, MusikerInnen und Fernsehstars. Sie sind schöner, stärker und schneller als alle anderen, sie sind reich, erfolgreich und berühmt. Immer wieder tauchen vereinzelt aber auch "Alltags-Helden" oder "Alltags-Heldinnen" auf, deren Heldentum sich auf Mut und Stärke im Alltag bezieht. Ein solches „Alltags-Heldentum“ definiert sich durch den Mut, sich selbst zu finden und zu sich stehen, den eigenen Weg zu suchen und zu gehen, auch wenn dies auf Umwegen geschieht. Die Bibel ist reich an Geschichten über solche „Alltags-HeldInnen“, die ihren Weg gehen. Das Tröstliche an diesen Geschichten ist die Tatsache, dass alle Menschen darin Fehler machen, Umwege brauchen und letztendlich doch - mit Gottes Hilfe - ihren persönlichen Weg finden und gehen. In diesem Sinne wird die Lebensrelevanz der Bibel für die heutige Zeit deutlich, kann die „Frohe Botschaft“ erfahrbar werden. So verstanden, werden die biblischen Frauen und Männer zu HeldInnen, die auch uns als Vorbild und Identifikationsfigur dienen können. Wer vor allem nach den Heldinnen in der Bibel sucht, der muss sehr genau hinsehen und viel Zeit und Geduld mitbringen. Wer diese Mühe jedoch nicht scheut, wer bereit ist, sich die Frauen der Bibel ohne androzentrische Brille anzuschauen, der kann Heldinnen entdecken, die ein verkehrtes Frauenbild zurechtrücken und auch heutige Frauen zum Vorbild werden können. Im Religionsunterricht können diese Heldinnen auch den Schülerinnen Identifikationsmöglichkeiten schaffen, die diese selbst zu „Heldinnen“ werden lässt, zu Frauen, die mutig und selbstbewusst ihren Weg gehen, nicht trotz, sondern aufgrund ihres Christseins.
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Veröffentlichungsjahr: 2005
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INHALTSVERZEICHNIS
1. Vorwort - Erläuterungen zum Titel
2. Einleitung
3. Geschlechtsspezifische religiöse Sozialisation
3.1. Primäre geschlechtsspezifische religiöse Sozialisation
3.2. Geschlechtsspezifische Sozialisation in der Schule
3.3. Geschlechtsspezifische Sozialisation im Religionsunterricht
3.4. Konsequenzen für den Unterricht
4. Das Frauenbild der Bibel
4.1. Biblische Traditionsgeschichte
4.2. Weibliches Gottesbild
4.3. Das Frauenbild im Alten Testament
4.3.1. „Patroninnen“
4.3.2. „Mittlerinnen“
4.3.3. „Kriegerinnen“
4.4. Das Frauenbild im Neuen Testament
4.4.1. Frauen um Jesus
4.4.2. Frauen in der Urgemeinde
5. Biblische Frauengestalten im Religionsunterricht
5.1. Mirjam: Der Exodus aus der Sicht einer Frau
5.2. Wasti: Eine Geschichte vom Neinsagen
5.3. Die salbende Frau: Von Demut zu (De-)Mut
5.4. Die gekrümmte und die blutflüssige Frau: Jesus heilt, was patriarchale Strukturen Frauen antun
5.5. Frauen in der Urgemeinde
6. Religiöse Kinderbücher
6.1. Einzeluntersuchungen
6.2. Resümee
7. Nachwort
LITERATUR
„Heldinnen der Bibel“ - die Verknüpfung dieser beiden Begriffe mag zunächst irritieren. Zudem ist uns die weibliche Form - Heldinnen - wenig vertraut, da auch Frauen umgangssprachlich häufig als Helden bezeichnet werden.
Was also macht die Frauen und Männer der Bibel zu HeldInnen? Um diese Frage zu beantworten, ist es sinnvoll, zunächst den Begriff „HeldIn“ näher zu erläutern. Das vorherrschende Gesellschaftsbild einer Heldin / eines Helden läßt an die Superstars der Medien denken. Die heutigen HeldInnen sind SportlerInnen und Models, MusikerInnen und Fernsehstars. Sie sind schöner, stärker und schneller als alle anderen, sie sind reich, erfolgreich und berühmt. Die Wertschätzung, die ihnen zuteil wird, beschränkt sich allerdings auf das Äußere. Eine solche Definition hat meiner Meinung nach wenig mit „wahrem“ HeldInnentum[1] zu tun. Ich möchte ihr eine Interpretation gegenüberstellen, die sich auf innere Stärke und Schönheit bezieht, das Heldentum des „normalen“ Menschen beschreibt und im Alltag anzutreffen ist. Ein solches „Alltags-Heldentum“ definiert sich durch den Mut, sich selbst zu finden und zu sich stehen, den eigenen Weg zu suchen und zu gehen, auch wenn dies auf Umwegen geschieht. In diesem Sinne kann jeder Mensch zum Helden / zur Heldin - oder im religiösen Kontext zum/r Heiligen - werden und sich so dem Sinn des Lebens annähern.
Es ist jedoch nicht einfach, der Übermacht der „Medien-HeldInnen“ eine solche „HeldInnen-Definition“ entgegenzusetzen. So wird es uns heutzutage nur allzu leicht gemacht, es sich „leicht zu machen“. Es ist einfacher und bequemer, Ausflüchte zu finden, als Zivilcourage zu zeigen, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und bewußt den eigenen Weg zu gehen. Orientierungshilfe können hierbei Menschen sein, die diese Art des Heldentums für uns sichtbar gelebt haben. Martin Luther King, Mutter Theresa oder Mahtma Gandhi haben in diesem Sinne entscheidend auf die Lebenssituation zahlreicher Menschen eingewirkt und diese positiv verändert. Verglichen hiermit mag uns ein „Alltags-Heldentum“ bedeutungslos erscheinen. Dennoch zeichnen sich auch die oben genannten HeldInnen eben dadurch aus, daß sie mutig und konsequent ihren Weg gegangen sind. Ihr Tun mag bekannter und folgenreicher sein als das der „Alltags-HeldInnen“, „heldenhafter“ wird es jedoch dadurch nicht.
Die Bibel ist reich an Geschichten über solche „Alltags-HeldInnen“, die ihren Weg gehen. Das Tröstliche an diesen Geschichten ist die Tatsache, daß alle Menschen darin Fehler machen, Umwege brauchen und letztendlich doch - mit Gottes Hilfe - ihren persönlichen Weg finden und gehen. In diesem Sinne wird die Lebensrelevanz der Bibel für die heutige Zeit deutlich, kann die „Frohe Botschaft“ erfahrbar werden. So verstanden, werden die biblischen Frauen und Männer zu HeldInnen, die auch uns als Vorbild und Identifikationsfigur dienen können.
Wo finden sich aber die Heldinnen der Bibel? Helden sind uns hier wesentlich geläufiger. Gefragt nach Frauengestalten der Bibel[2] fällt vielen zunächst Maria, die Mutter Jesu ein. Wer sich besser auskennt, kann sich auch noch an Maria aus Magdala erinnern. Mehr erinnerungswürdige biblische Frauen gibt es in dem Bewußtsein vieler Menschen nicht. Ein Grund hierfür ist sicherlich darin zu suchen, daß die Hauptpersonen vieler biblischer Geschichten männlich sind. Dies wiederum läßt sich auf die patriarchal geprägte Geschichte der Bibelentstehung und -auslegung zurückführen. Vielen Frauen wird es somit erschwert, ihre eigene Wertigkeit in den biblischen Geschichten zu entdecken und Identifikationsfiguren für sich zu finden. Selbst die beiden allgemein bekannten Frauengestalten des Neuen Testaments - Maria, die Mutter Jesu und Maria aus Magdala - scheinen sich nur schlecht als Vorbilder zu eignen. Maria aus Magdala gilt aufgrund zahlreicher ebenso phantasievoller wie falscher (männlicher?) Interpretationen als Sünderin, derer sich Jesus gnädig erbarmt. Konträr hierzu steht die Vorstellung der „anderen“ Maria, die so gut ist, daß sie geradezu übermenschlich wirkt und nahezu göttliche Züge trägt. Die eine scheint zu schlecht, die andere zu gut zu sein, um heutigen Frauen eine Identifikationsmöglichkeit zu geben. Das Marienbild hat sich über die Jahrhunderte hinweg so ent-menschlicht und „verkitscht“, daß es viele Frauen sogar abschreckt. Andererseits deutet die vielfach übertriebene Marienverehrung auf die menschliche Sehnsucht nach der weiblichen Seite Gottes hin.[3]
Mir selbst eröffnete sich erste ein Zugang zu Maria, nachdem ich mit einem anderen Marienbild konfrontiert wurde, wie es beispielsweise das Musical „Ave Eva“ von Peter Janssens[4] vermittelt. Nach diesem „neuen“ Marienbild präsentierte sich mir Maria als ein junges Mädchen, daß unverheiratet schwanger wird und sich den damit verbundenen Schwierigkeiten im damaligen Israel stellen muß - als ein ganz „normaler“Mensch also, der mit (zunächst) ganz normalen Alltagsschwierigkeiten zu kämpfen hat.Hierdurch wurde ihr Schicksal für mich menschlich und nachvollziehbar. So bot sich mir die Identifikationsmöglichkeit, die ich vorher vermißt hatte. Wichtig ist für mich hierbei nicht der genaue historische Lebenslauf Mariens, sondern die Annäherung an eine Frau, die mit existentiellen Problemen konfrontiert wird und sich diesen - im Vertrauen auf Gott - mutig stellt. Maria ist ihren Weg gegangen und hat das ihr Mögliche getan. Das macht sie zur Heldin - zur „Alltags-Heldin“. Für mich ist diese „neue“ Maria zur Schlüsselfigur geworden, die mich immer wieder dazu ermutigt, meinen Weg zu gehen. Es wäre schön, wenn auf diese Weise auch die anderen Frauen der Bibel neu als „Heldinnen“ entdeckt und verstanden werden könnten, um so heutigen Frauen zu helfen, ihr Heldinnentum wahrzunehmen.
Die androzentrische Prägung des Christentums und vor allem der katholischen (Amts-)Kirche hat den Frauen - und ebenso den Männern - sehr viel vorenthalten von dem, was Jesus uns eigentlich ermöglicht hat. Immer wieder wurde die Bibel bewußt oder unbewußt, gezielt oder aber in bester Absicht mißbraucht, um Frauen systematisch klein zu halten. Über Generationen hinweg wurde (und wird) Frauen damit Leid zugemutet, das Wut erzeugt und das nur schwer wieder gut zu machen ist. Ein guter Anfang wäre es, ein Umdenken zuzulassen und zunehmend die „andere“ Seite der Kirche zu bestärken, in der immer noch etwas von dem Feuer der Urgemeinden brennt, wenn auch auf Sparflamme. Die Vergangenheit läßt sich nicht ändern, wohl aber die Zukunft. Es gilt, die Kraft, die aus der Wut entsteht, dafür einzusetzen, das Feuer wieder zu entfachen und neue Wege zu gehen, die Frauen mitgehen können.
Wer Heldinnen in der Bibel sucht, der muß sehr genau hinsehen und viel Zeit und Geduld mitbringen. Wer diese Mühe jedoch nicht scheut, wer bereit ist, sich die Frauen der Bibel ohne androzentrische Brille anzuschauen, der kann Heldinnen ent-decken, die das ver-kehrte Frauenbild zurechtrücken und uns Frauen heute zum Vorbild - auch in Bezug auf Emanzipation - werden können. Im Religionsunterricht können diese Heldinnen auch den Schülerinnen Identifikationsmöglichkeiten schaffen, die diese selbst zu „Heldinnen“ werden läßt, zu Frauen, die mutig und selbst-bewußt ihren Weg gehen, nicht trotz, sondern aufgrund ihres Christseins.
Eines der größten gesellschaftlichen Probleme unserer (und vergangener) Zeit ist mit Sicherheit ein falsch verstandenes Frauen- und Männerbild, daß den Menschen auf die gesellschaftliche Interpretation nur-männlicher bzw. nur-weiblicher Eigenschaften und Lebensentwürfe reduziert und festlegt. Solche eingefahrenen Rolleninterpretationen zu hinterfragen und zu überwinden, ist ein langwieriger und komplexer Prozeß, der viel Mut und Ausdauer erfordert.
Das Christentum könnte hierbei eine Vorreiterrolle übernehmen, insofern es - wie alle Religionen - Einfluß auf die gesamte Gesellschaft ausübt. Als Vermittler zwischen Gott und Mensch könnte es so eine neue und ganz andere, gesellschaftlich losgelöste Lebensinterpretation ermöglichen, die eine freie Rollenfindung zuließe. In der Realität erweist sich dies jedoch als problematisch, da jede Religion auch in die Vorstellungen der Gesellschaft eingebunden ist, innerhalb der sie sich begründet und entwickelt hat. Diese bestehenden Rollen- und Lebensinterpretationen sind in der wechselseitigen Beeinflussung von Christentum und Gesellschaft entstanden und bis heute weiterentwickelt worden. Somit gelten in der Realität für das Christentum ähnliche rollenspezifische Probleme wie für die Gesellschaft im allgemeinen. Diese äußern sich in einer patriarchalen Prägung der Gesellschafts- und Religionsstrukturen, die Frauen massiv benachteiligen, aber auch Männer negativ beschränken. Hierbei ist es nahezu unmöglich, im ganzheitlichen Sinne[5] ein Selbstbild zu entwickeln, das die Persönlichkeit umfassend berücksichtigt und den eigenen Möglichkeiten keine Grenzen setzt. Eine solche Befreiung von (negativen) gesellschaftlichen Zwängen zugunsten einer ganzheitlichen Selbstwerdung ist jedoch die Zielsetzung des christlichen Menschenbildes. So bleibt für das Christentum - mehr noch als für die Gesellschaft - der Auftrag und die besondere Chance bestehen, alte Strukturen neu aufzubrechen und Rollen- und Lebensentwürfe zu entwickeln, die den Menschen ihr Menschsein vollständig ermöglichen.
„Es geht“ - wie Helen Schüngel-Straumann sagt - „darum, wie eine lange verkehrte Interpretation verarbeitet, richtiggestellt und in ihren Auswirkungen unschädlich gemacht werden kann, und zwar nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer.“[6]
Zur Veränderung aufgerufen sind hier vor allem die christlichen Kirchen, durch die sich Christentum in erster Linie definiert. Besonders der katholischen Kirche fällt es hier jedoch schwer, sich von ihren jahrhundertealten patriarchalen Strukturen zu lösen. Dort, wo Kirche zu komplex, zu institutionalisiert und schwerfällig geworden ist, um kraftvoll eine so grundlegende Veränderung zu realisieren, müssen ihre Mitglieder aus der Anonymität und Passivität der Masse heraustreten und selbstverantwortlich aktiv werden. Das geschieht durch Frauen wie Helen Schüngel-Straumann oder Christa Muhlack, die ihre diesbezüglichen Gedanken und Untersuchungen durch zahlreiche Vorträge und Arbeiten öffentlich machen und so unüberhörbar werden.
Eine andere große Chance zur Veränderung bietet der Religionsunterricht, zumal die geschilderte Problematik hier doppelte Relevanz erhält. Zum einen sollte der Religionsunterricht meiner Meinung nach im besonderen Maße um Gerechtigkeit und Ganzheitlichkeit bemüht sein. Dies ergibt sich aus dem Selbstverständnis und dem Menschenbild des christlichen Glaubens. Zum andern kann das oft problematische Frauenbild der katholischen Kirche im Religionsunterricht noch zu einer Verstärkung der negativen Rollenklischees führen. Erschwerend ist in diesem Zusammenhang das oftmals fehlende Angebot an weiblichen Identifikationsmöglichkeiten in den religionsdidaktischen Themen. Mädchen können dies als Benachteiligung oder sogar Ausgrenzung empfinden, die ihnen die christliche Religion entfremdet. Die Tragweite solcher Unterrichtselemente ist nicht zu unterschätzen.
Der Religionsunterricht vermittelt Werte, die für die SchülerInnen lebensbestimmend sein können, insbesondere dann, wenn er die einzige Begegnung der SchülerInnen mit dem Christentum (und hierdurch möglicherweise auch mit Gott) darstellt. Hierin liegt die große Verantwortung, aber auch die große Chance des Religionsunterrichts.
In diesem Sinne möchte ich im folgenden Möglichkeiten aufzeigen, die Geschlechterrollen aus dem christlichen Verständnis heraus neu zu definieren und für den Religionsunterricht in der Grundschule anwendbar zu machen. In den Mittelpunkt meiner Überlegungen habe ich das christliche Frauenbild und dessen Bedeutung für Mädchen/Frauen gestellt. Ich möchte hier jedoch ausdrücklich darauf hinweisen, daß auch die Jungen/Männer unter den bestehenden Rollenzuweisungen zu leiden haben. An Untersuchungen zu dieser Problematik fehlt es zur Zeit sogar noch mehr als an mädchenbezogenen. Dennoch möchte ich mich im Rahmen dieser Arbeit auf die Mädchensozialisation beschränken, da ich ihr Anliegen für dringlicher halte. Aus ähnlichen Überlegungen heraus habe ich auch bei meiner Literaturauswahl Autorinnen bevorzugt. Eine Auseinandersetzung mit den Geschlechterrollen betrifft jedoch immer beide Geschlechter.
Eine Zielsetzung im oben beschriebenen Sinne erfordert eine kritische Reflexion der Lehrkraft über christliche und eigene geschlechtsspezifische Rolleninterpretationen. Ebenso ist es erforderlich, sich die Abläufe religiöser und geschlechtsspezifischer Sozialisation vor Augen zu führen, um bewußt auf eine Neudefinition eingefahrener Rolleninterpretationen hinzuwirken. Ich möchte daher zunächst einen Überblick über den Zusammenhang geschlechtsspezifischer und religiöser Sozialisation in Familie und Schule geben. Hierbei soll untersucht werden, inwieweit in der Schule und insbesondere im Religionsunterricht welche geschlechtspezifischen Rollendefinitionen vermittelt werden. Anhand dieser Überlegungen sollen dann mögliche Konsequenzen aufgezeigt werden.
Eine dieser Konsequenzen, die mir persönlich außerordentlich wichtig zu sein scheint, ist die vermehrte Thematisierung „heldenhafter“ christlicher und biblischer Frauen, sowie das Vorstellen weiblicher Gottesbilder. Gottes- und Frauenbild beeinflussen einander. An einem rein männlich gedachten Gott haben Frauen keinen Anteil. Ein Gottesbild hingegen, das männliche und weibliche Elemente in sich vereint, ist tatsächlich ein Gott, der Mann und Frau nach seinem Abbild schuf (vgl.Gen 1,27). Die christliche Interpretation von Gottes- und Frauenbild gründet sich auf die Bibel, deren Entstehungs- und (bisherige) Auslegungsgeschichte jedoch androzentrisch geprägt und entfremdet ist. Die Suche nach einem authentischen christlichen Frauenbild muß demnach mit der kritischen Hinterfragung bisheriger Bibelinterpretationen beginnen. Hierbei kann ein ganz neues, befreiendes Frauenbild der Bibel entdeckt werden. Es geht mir hierbei nicht um eine exegetische Beweisführung der Gleichwertigkeit der Frau - die sollte ohnehin außer Frage stehen -, sondern darum, durch ein neues Verständnis der biblischen Frauengestalten, sowie eines auch weiblichen Gottes, Bibel und Religion für Mädchen und Frauen wieder relevant zu machen.
Der Religionsunterricht darf sich aber nicht auf das Vorstellen frauenfreundlicher Gottes- und Frauenbilder beschränken, sondern muß darüber hinaus den SchülerInnen Hilfestellung bei der Suche nach einem eigenen Selbstbild geben. Grundlegend für jedes Selbstbild ist die Geschlechtszugehörigkeit, die besonders für Mädchen das vermittelte Frauenbild relevant macht. Entsprechendes gilt für das Männerbild, daß mit dem Frauenbild notwendig korrespondiert. Diesbezügliche Unterrichtsmodelle sollen im Kapitel: Biblische Frauengestalten im Religionsunterricht beispielhaft vorgestellt werden.
Das mangelhafte Angebot der an Mädchen orientierten Unterrichtsmaterialien kann beispielsweise durch religiöse Kinderbücher ausgeglichen werden. Da diese jedoch ebenfalls erst kritisch zu untersuchen sind, soll das letzte Kapitel einen Überblick über die zur Zeit erhältlichen religiösen Kinderbücher unter Berücksichtigung feministisch-theologischer Aspekte geben.
Zahlreiche Untersuchungen beschäftigen sich mit geschlechtsspezifischer bzw. religiöser Sozialisation, nicht jedoch mit dem Zusammenhang beider Aspekte. Dieser Zusammenhang ist jedoch entscheidend für die Entwicklung eines authentischen christlichen Frauen- und Selbstbildes. Ich werde daher im folgenden Kapitel immer wieder auf Materialien zurückgreifen, die sich lediglich auf einen dieser beiden Aspekte beziehen. Untersucht werden soll hierbei, inwieweit religiöse Sozialisation auf die geschlechtsspezifische Sozialisation einwirkt, sofern dies für den Religionsunterricht interessant ist. Die Lehrkraft sieht sich im Unterricht mit den Folgen primärer geschlechtsspezifischer und religiöser Sozialisation sowie geschlechtsspezifischer Sozialisation in der Schule konfrontiert, die sie hinsichtlich der gewünschten geschlechtsspezifischen Sozialisation im Religionsunterricht berücksichtigen muß. Aus diesen Überlegungen lassen sich schließlich Konsequenzen für den Unterricht ableiten.
Bei einer religiös orientierten Erziehung beeinflussen sich religiöse und geschlechtsspezifische Sozialisation gegenseitig. Die geschlechtsspezifischen Rolleninterpretationen werden hierbei stark von den entsprechenden religiösen Vorstellungen geprägt. Diese wiederum wirken sich auf das Gottesbild aus. Erste Instanz sowohl religiöser als auch geschlechtsspezifischer Sozialisation ist die Familie, insbesondere die Eltern. Kleine Kinder sehen ihre Eltern als universale Größen an. Dementsprechend verallgemeinern sie ihre Wahrnehmung der Eltern und leiten daraus Stereotype ab. Die erste - und vermutlich tiefgreifendste - geschlechtsspezifische Rollendefinitionen entwickeln Kinder also aus ihrem Erleben der Eltern, deren Umgang miteinander und deren - möglicherweise unterschiedlichem - Verhalten gegenüber weiblichen bzw. männlichen Familienmitgliedern heraus. Die Erwartungshaltung der Eltern dem Kind gegenüber sowie eine geschlechtsspezifisch differenzierte Erziehung - beispielsweise durch unterschiedliche Kleidung, Spiele und Aufgaben - vertiefen diese Erfahrungen. Ihr erstes Gottesbild leiten Kinder ebenfalls aus der Wahrnehmung ihrer Eltern ab. Ein autoritär erlebter Vater prägt ein anderes Gottesbild als ein liebevoller. Dennoch läßt sich das Vaterbild nicht einfach auf das Gottesbild übertragen, da für dessen Entwicklung auch zahlreichen anderen Aspekten eine wichtige Rolle zukommt. So lassen sich selbst in einem männlich dominierten Gottesbild weibliche, mütterliche Elemente beobachten. So wenig gesicherte Daten über religiöse Sozialisation es besonders in der deutschsprachigen Literatur auch gibt, so läßt sich doch eindeutig beobachten, daß Eltern-, Menschen- und Gottesbild einander beeinflussen. Als gesichert ist darüber hinaus anzusehen, daß immer Aspekte beider Elternteile in das Gottesbild mit einfließen, ebenso Aspekte der Elternideale, die wiederum vom Erleben geschlechtsspezifischer Elemente innerhalb der Familie beeinflußt werden. Darüberhinaus spielen außerhalb der Familie erfahrene religiöse Elemente eine bedeutende Rolle.[7] Ein Wandel in der Geschlechterdefiniton und dem traditionellen Vater- bzw. Mutterbild, wie er zur Zeit zu beobachten ist, führt somit auch zu einem Wandel des Gottesbildes. Festgehalten werden soll jedoch, daß das Gottesbild nicht statisch ist. Erfahrungen mit anderen Erwachsenen und der Kontakt mit Religion außerhalb der Familie können das kindliche Gottesbild vervollständigen oder verändern. Die äußeren Einflüsse gewinnen mit zunehmenden Alter an Bedeutung. Welche Elemente des vielschichtigen Angebots an Gottesbildern Kinder für sich übernehmen, hängt von zahlreichen Faktoren der jeweiligen Persönlichkeit sowie des entsprechenden Sozialisationsumfelds ab.
Untersucht man das Gottesbild von Jungen und Mädchen, lassen sich folgende Unterschiede beobachten. So interpretierte Heller in einer Studie von 1986 Kinderzeichnungen und Gespräche mit Kindern dahingehend, „daß die Unterschiede in den Gottesbildern von Mädchen und Jungen den unterschiedlichen Geschlechtsrollen entsprechen, wie sie den Kindern in Familie und Gesellschaft begegnen.“[8] Heller vermutet diesbezüglich, daß Jungen und Mädchen eine eher männliche Gottesvorstellung haben, die allerdings auch weibliche Aspekte enthält, wobei diese aber von Jungen und Mädchen ambivalent wahrgenommen und erlebt werden. Während Jungen eine weiblichen Gottesvorstellung eher als angsteinflößend erleben, fürchten sich Mädchen nach Hellers Untersuchungen vor allem davor, deren Existenz zuzugeben. Trotz einer überwiegend männlichen Gottesvorstellung erleben Mädchen demnach Gott als ihnen nahestehend, ästhetisch, künstlerisch orientiert und passiv, Jungen hingegen als ihnen eher fernstehend, wissenschaftlich orientiert, allwissend und handelnd.[9] Unterstützt werden Hellers Ergebnisse von einigen ähnlichen Untersuchungen, nach denen für Mädchen die Beziehung zu Gott und Jesus, für Jungen die Allmacht Gottes und die Lehrerfunktion Jesu im Mittelpunkt ihres Gottesbildes stehen.[10] Tamminen kommt zu entsprechenden Ergebnissen und belegt darüber hinaus das „stärker ausgeprägte[n] religiöse[n] Interesse der Mädchen (bei im übrigen auch geringerer Tendenz zu Kritik an theologisch-kirchlichen Lehren)“ und das unterschiedliche Gebetsverständnis von Jungen und Mädchen, nach dem Jungen eher zu Bittgebeten, Mädchen hingegen eher zu kommunikativen Gebeten tendieren.[11] Eine Verabsolutierung dieser Ergebnisse ist jedoch nicht möglich. So konnten andere Untersuchungen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede feststellen.[12] Wieder andere wiesen sogar darauf hin, daß Jungen und Männern weibliche Züge ihres Gottesbildes, Mädchen und Frauen hingegen eher männliche Züge betonen. [13] Allen Untersuchungen ist jedoch gemeinsam, daß die männlichen Züge kindlicher Gottesbilder in der Regel überwiegen.