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Ein roter Fels im sturmgepeitschten Meer. Darauf Deutschlands abgeschiedenster Polizeiposten. Hier ist ihre neue Dienststelle. Hier war ihr Zuhause. Bis der Albtraum über Anna Krüger hereinbrach. Kaum jemand weiß von ihrer Rückkehr nach Helgoland. Doch schon an ihrem ersten Arbeitstag erwartet sie eine grausame Überraschung, die Anna klarmacht, dass es keine Flucht vor der Vergangenheit gibt. Nicht für sie. Nicht an diesem Ort. "Hell-Go-Land ist so atmosphärisch dicht, wie man es sich von einem Krimi nur wünschen kann. Der Fall ist etwas Besonderes, die Aufklärung logisch, die Konstruktion perfekt und der Stil fesselnd" Frauke Kaberka, dpa "Tim Erzberg beschert Polizistin Anna Krüger und uns schlaflose Nächte" BUNTE "Tim Erzberg [...] hat ein düsteres, beklemmendes Kammerspiel geschaffen, das sehr lange rätselhaft bleibt." BRIGITTE 21/2016 "Megaspannend!" Andrea "Kossi" Kossmann "Hell-Go-Land vereint die archetypische Konfrontation zwischen Mensch und Natur mit einem überzeugenden Personeninventar und einem klassischen whodunit-Plot, der den Leser lange rätseln lässt. Das Ganze unter Umständen, die nicht anders als mit dem Wort klaustrophobisch zu beschreiben sind... Dieses Buch hätte ich doch recht gerne geschrieben. " Stephan M. Rother
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Seitenzahl: 470
Tim Erzberg
Hell-Go-Land
Roman
HarperCollins®
HarperCollins® Bücher
erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2016 by HarperCollins
in der HarperCollins Germany GmbH
Copyright © 2016 by Tim Erzberg
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln
Umschlaggestaltung: cornelia niere, münchen
Redaktion: Thorben Buttke
Titelabbildung: plainpicture/C.Müller
ISBN eBook 978-3-95967-603-8
www.harpercollins.de
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
„Bist du verrückt geworden?“
„Im Gegenteil. Jetzt kann ich endlich ein paar Dinge in Ordnung bringen.“
„In Ordnung bringen? Was soll das heißen? Mach mich sofort los!“
„Ganz ruhig. Niemand kann dich hören.“
„Was ist das?“
„Nur ein Messer.“
„Was hast du vor? Mach mich los! Sofort!“
„Du solltest deine Kräfte sparen. Du wirst sie brauchen.“
„Was soll das? Willst du mir Angst machen? Du? Mir?“
„Aber nein. Wozu sollte ich dir Angst machen.“
„Leg das Messer weg.“
„Das werde ich gleich wieder tun. Vorher müssen wir nur noch etwas erledigen.“
„Stopp! Es reicht! Schluss mit dem Wahnsinn.“
„Es ist kein Wahnsinn. Aber vor allem ist es erst der Anfang. Und jetzt ganz still halten bitte, sonst wird es noch viel schmerzhafter.“
„Was? Wie? Lass mich sofort …“
Das Meer lag vierzig Meter unter ihr. Doch sie konnte es in jeder Pore ihrer Haut spüren, schmeckte das Salz auf ihren Lippen. Es war alles durchdringend und unbezwingbar. Mit der Macht der Urgewalten donnerten die Wellen an den tiefroten Felsen. Die Gischt bäumte sich turmhoch über dem Wasser auf, der Lärm war überwältigend. Wenn sie hier in die Tiefe stürzte, würde sie nie gefunden werden. Alles andere war unvorstellbar. Und doch stimmte es nicht. Man fand die Körper wieder. Irgendwann. Fast immer.
In den späten Nachmittagsstunden waren Tag und Nacht nicht mehr zu unterscheiden, alles verschwamm in einer gnadenlosen Düsternis. Aber sie liebte diese Stimmung. Es war wie ein Mantel, der sie umhüllte und nahezu unsichtbar machte: Niemand war unterwegs bei diesen Witterungsverhältnissen. Alle verkrochen sich in ihren Häusern, schlossen die Läden, sperrten den Sturm aus. Und Anna. Doch davon wussten die wenigsten. Denn sie war erst am Vortag wieder zurückgekehrt. Freiwillig, ja, aber nicht ohne Ängste. Schon als vor sechs Wochen das Angebot gekommen war, den offenen Posten in der kleinen Polizeistation zu übernehmen, waren die Bilder von damals wieder vor ihr aufgetaucht. Und als sie dann auf der Fähre stand und die Insel sich aus dem Nebel herausgeformt hatte, hatte Anna fest damit gerechnet, dass die Kopfschmerzen wiederkommen würden.
Doch sie waren nicht gekommen. Bis jetzt. Bis zu dem Moment, in dem sie hinabgeblickt hatte in das tiefgraue Meer und den wütenden Schaum. Eisig war es und sah doch aus, als würde es dort unten von einem Höllenfeuer zum Kochen gebracht. Im Augenblick der Begegnung mit dem zornigen Gott des Meeres waren sie aufgeflammt, hatte es hinter ihren Augen zu pochen begonnen. Zunächst hatte es sich angefühlt, als packe eine eisige Faust ihren Sehnerv und zöge ihn mit Gewalt in den Schädel. Dann schien das Blut zu pulsieren und gegen die Schläfen zu drücken. In wenigen Minuten würde sie zu nichts mehr fähig sein, vielleicht nicht einmal dazu, wieder zurückzugehen und sich ins Bett zu legen. Tränen rannen ihr über die Wangen, vielleicht des Schmerzes wegen, vielleicht aus Wut und Enttäuschung. Doch sie hatte es ja gewusst. Und es war gekommen, wie sie es erwartet hatte. Alles, alles war wieder da. Nichts hatte sich verändert.
Doch. Sie.
Katarina Loos durchsuchte die Taschen der Hosen und Hemden, ehe sie sie in die Waschmaschine gab. Das gehörte zu ihren Aufgaben und war manchmal ganz interessant. Einmal hatte sie in einer Windjacke eine Karte eines Clubs in Hamburg gefunden. Dass alleinstehende Herren solche Etablissements aufsuchten, war ihr klar. Doch in dem Fall war sie überrascht. Und sie fragte sich, ob das eine Folge der Trennung von seiner Frau war – oder vielleicht eine Ursache dafür. Immerhin hatte sie ihn vor einigen Jahren so plötzlich verlassen, dass selbst Katarina Loos verblüfft war: Sie kannte ihre Arbeitgeber, vor allem diejenigen, für die sie schon längere Zeit tätig war; manchmal kannte sie sie besser, als irgendjemand vermuten konnte. Deshalb sah sie Krisen auch schon mal, bevor sie überhaupt offen ausbrachen. Diese Krise hatte sie nicht kommen sehen. Katarina Loos war, wie jede Woche, am Mittwoch zur Arbeit erschienen, hatte ihren Kittel angezogen und sich die Sachen zum Bügeln hergerichtet, da war Dr. Strecker plötzlich im Hauswirtschaftsraum aufgetaucht und hatte gesagt: „Meine Frau hat mich übrigens verlassen, Frau Loos. Aber keine Sorge, für Sie ändert sich nichts. Sie kommen bitte weiterhin wie bisher und kümmern sich um das Haus. Vielleicht werde ich Sie gelegentlich bitten, etwas zu kochen. Aber dafür macht ein Einpersonenhaushalt ja sonst weniger Arbeit, nicht wahr?“
Sie hatte nur genickt. Das hatte ihr die Sprache verschlagen. Nie wieder hatten sie über Frau Strecker gesprochen. Katarina Loos hatte auch nichts von einer Scheidung gehört oder davon, wohin die Frau gegangen war. Seltsam war ihr vorgekommen, dass alle ihre Sachen noch monatelang im Haus geblieben waren. Alle Kleidung, auch die Unterwäsche, aller Schmuck und die Kosmetika. Die Schuhe. Die Papiere (es gab eine stets verschlossene Schublade an Frau Streckers Schreibtisch, die sich aber mit dem Schlüssel von Dr. Streckers Schreibtisch ebenfalls öffnen ließ). Alles war noch da gewesen, zunächst. Nur die Frau war weg. Bis eines Tages auch der größte Teil ihrer Sachen verschwunden war. Doch auch dazu hatte der Doktor nichts gesagt, und Katarina Loos sprach es von sich aus nicht an. Eine gute Haushaltshilfe dachte mit – und sie dachte sich ihren Teil.
In einer der Hosentaschen steckten ein paar Münzen, die sie nachher im Flur auf die Kommode legen würde. Eine der nachtblauen Socken war dreckverkrustet. Katarina Loos seufzte und nahm sie mit zum Waschbecken. Die würde sie vorbehandeln müssen. Sie gab ein wenig Waschpulver darauf und drehte den Wasserhahn auf. In was um alles auf der Welt war der Doktor getreten, ausgerechnet er, der immer so sorgfältig war. Als sie die Socke unters Wasser hielt, stockte ihr der Atem: Der Fleck, der ihr auf dem Stoff schwarz oder zumindest dunkelbraun erschienen war, er färbte das Wasser tiefrot. Wie Blut.
„Gut, dass Sie erst am Montag anfangen“, sagte Dr. Strecker. Routiniert nahm er die Kanüle von der Spritze und warf sie in den Papierkorb unter dem Schreibtisch. „Zwei Tage Ruhe und Sie sind wieder fit.“
„Es ist Migräne, Doktor Strecker“, sagte Anna. „Das kann eine Woche dauern oder länger.“
„Kann. Muss aber nicht. Ich habe Ihnen ein starkes Mittel gegeben. Das wird den Schmerz nicht ganz beseitigen. Sie werden immer noch einen dumpfen Druck im Kopf spüren. Aber Sie werden schlafen können. Und das sollten Sie auch.“
Anna nickte. Der Arzt meinte es gut. Ob er auf der Insel überhaupt gelegentlich Migräne behandeln musste? Vielleicht. Vielleicht auch nicht, bei den paar Einwohnern. Und selbst wenn: Diese Krankheit war ein Schicksal, nicht therapierbar, man musste die Attacken einfach durchstehen. Und das würde sie. Natürlich. Auch diesmal. Sie wollte sich hochkämpfen, doch der Arzt legte ihr mit sanftem Druck seine Hand auf die Schulter. „Lassen Sie mal, ich finde schon raus. Machen Sie die Augen zu und denken Sie an was Schönes.“
Anna war dankbar, dass er sich umwandte und seine Tasche packte. So sah er nicht, wie ihr erneut die Tränen in die Augen schossen. An was Schönes denken. Wie gerne hätte sie das getan. Doch seit sie den Fuß auf die Insel gesetzt hatte, konnte sie an nichts anderes mehr denken als an damals. Einen Moment lang zog das Handy ihre Aufmerksamkeit auf sich. Eine Nachricht blinkte auf:
Willkommen. Genieße diese Woche.
Sie versuchte, den Absender zu erkennen, was vor lauter Kopfschmerzen kaum noch möglich war, doch die Nummer schien ihr völlig unbekannt. Egal. Sie wollte ohnehin nur noch ihre Ruhe haben.
„So“, sagte der Arzt. „Ich bin weg. Gute Besserung.“ Nur ganz entfernt hörte sie noch, wie die Tür ins Schloss gezogen wurde, das Mittel wirkte unglaublich schnell. Und schon war sie in einen willenlosen Schlaf gesunken, aus dem sie nur von Zeit zu Zeit aufschreckte, wenn sich seine Augen aus den diffusen Träumen heraushoben, diese wunderschönen grauen Augen, über die sich der trübe Schatten des Todes gelegt hatte.
Am Montag hatte sich der Schmerz gerade so weit zurückgezogen, dass Anna, wenn sie sich Mühe gab, nicht ganz absonderlich auf andere Menschen wirkte. Sie hatte den Wecker auf sechs Uhr dreißig gestellt und hätte beinahe verschlafen. Immer noch wirkten die Medikamente spürbar nach. Sie dämpften den Schmerz und verursachten leichten Schwindel. Vor allem jedoch hatte Anna das Gefühl, als wäre ihr Sichtfeld eingeschränkt. Aber das konnte auch von der Migräne selbst kommen, die sich immer noch hinter dem Schleier der Betäubung in ihrem Schädel festkrallte.
Sie würde das jetzt durchziehen. Es war mehr als freundlich gewesen, dass man ihr diese Stelle angeboten hatte. Immerhin hatte sie nur ein paar Jahre Berufserfahrung. Da war die stellvertretende Leitung der Polizeidienststelle Helgoland ein großer Vertrauensvorschuss. Nun gut, es gab natürlich auch nur drei ständige Beamte und ein oder zwei Hilfskräfte. Trotzdem, sie war dankbar, und sie wollte ihren Job gut machen. Sie würde ihn gut machen. Und deshalb würde sie an diesem Montag auch Punkt acht Uhr zum Dienst erscheinen, egal ob sie zu fünfzig Prozent einsatzfähig war oder nur zu vierzig.
Gleich nach ihrer Ankunft am Donnerstag war sie bereits einmal kurz vorbeigegangen, doch da hatte sie nur Polizeiobermeisteranwärter Marten David Weber angetroffen. Es war ein eher gezwungener Small Talk über alte Zeiten gewesen: Marten war zwei Klassen unter ihr zur selben Schule gegangen. Immerhin war sie ziemlich überrascht gewesen, woran er sich noch erinnern konnte. Ihre Zahnspange, die weißen Jeans, die sie zwei Sommer lang buchstäblich jeden Tag getragen hatte (und die tatsächlich ziemlich sexy gewesen waren), ihre Lieblingsfächer, natürlich Leo … „Du bist jedenfalls der Richtige, um bei der Polizei zu arbeiten, Marten“, hatte sie gesagt, als das Gespräch auf Marten gekommen war. „Dein Gedächtnis ist ja der reinste Polizeicomputer. Wenn hier mal was passiert, müssen wir nur dich losschicken, um die Zeugenaussagen aufzunehmen.“
„Wenn hier mal was passiert?“ Marten hatte gelacht. „Hier passiert nichts. Das weißt du doch, Anna. Helgoland ist so aufregend wie ein toter Fisch im Watt.“
Helgoland. Das einzige Land mit fast hundert Prozent Selbstmordrate. Denn wer hierblieb, brachte sich ums Leben. Hier gab es nichts, was es wert gewesen wäre, auf der Insel zu versauern. Das Klima war zwei Drittel des Jahres fies und menschenfeindlich. Es gab keine Konzerte (wenn man mal vom Inselfest im Juli und der Kurmusik im Pavillon absah), kein Theater, nicht mal ein richtiges Kino. Die Kneipen waren von Touristen verseucht oder, wie jetzt außerhalb der Saison, geschlossen oder Säufertreffs. Nichts an der Insel war jung, und nichts war so alt, dass man es mit Stolz betrachtet hätte. Außer vielleicht der Insel selbst. Dass es sie noch gab, war ein Wunder. Gegen all die Sturmfluten und all die Bomben hatte sich der Fels in der Nordsee gehalten, zerbrochen zwar in zwei Teile und übersät mit Kratern, aber doch unverrückbar, stur wie die Menschen, die auf ihm hausten. Wie Anna, für die es wenige Gründe gegeben hatte, zurückzukehren, aber viele Gründe dagegen.
Sie hatte sich zuerst gewundert, dass sie das Angebot nicht sofort abgesagt hatte. Wollte sie sich wirklich antun, all die alten Wunden wieder aufzureißen, wollte sie ihr bisschen Leben, das sie sich im tausendmal größeren Hamburg erkämpft hatte, an der Gangway einer Nordseefähre zurücklassen, um auf dieses armselige Eiland zurückzukehren? Wofür sollte sie das? Eine Nacht lang hatte sie wach gelegen und sich gefragt, weshalb es sie dorthin zog. Dann hatte sie es gewusst: Sie wollte ihre eigene Vergangenheit überwinden, um endlich eine Zukunft haben zu können. Und dazu musste sie sich den Schatten stellen, die über ihrem Leben hingen.
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