Hellblaue Augen - N. Jakob - E-Book

Hellblaue Augen E-Book

N Jakob

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Beschreibung

Der zwölfjährige Alexander Medwedew kommt aus für ihn unbekannten Gründen ins sogenannte Institut. In der Kadettenschule, die lediglich für Knaben ist, findet der misshandelte Junge zum ersten Mal im Leben Freunde.

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EPUB
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Seitenzahl: 635

Veröffentlichungsjahr: 2024

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N. Jakob

Blaue Augen

 

Das Buch

Der zwölfjährige Alexander Medwedew kommt aus für ihn unbekannten Gründen ins sogenannte Institut. In der Kadettenschule, die lediglich für Knaben ist, findet der misshandelte Junge zum ersten Mal im Leben Freunde.

 

 

Über den Schreibmensch

Schon über ein halbes Leben schreibt N. Jakob (Pseudonym, geboren 1986 in Mittelfranken), um Figuren aus dem Kopf herauszubekommen.

Das begann um die Jahrtausendwende noch zur Schulzeit und nahm in den vergangenen zehn Jahren zum Bewältigen des Arbeitsalltags als Pflegefachperson zu. Sie fühlt sich in Drama und Phantastik wohl und greift gerne queere und psychosoziale Themen auf und lebt mit der Familie in Mittelfranken, arbeitet weiter im Gesundheitswesen und schreibt in ihrer spärlichen Freizeit.

N. Jakob beansprucht die Figuren, die Zeitlinie und die Geschichte der Protagonisten und ihrer Begleiter seit Jahren als geistiges Eigentum.

Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Geschehnissen und Personen sind möglicherweise Zufall oder auch nicht.

 

N. Jakob

Hellblaue AugenBand 1

Roman

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

1. Auflage, 2024

© 2024 N. Jakob

N. Jakob

c/o COCENTER

Koppoldstr. 1

86551 Aichach

[email protected]

Cover: N. Jakob

Illustrationen: N. Jakob mit PicsArt ohne AI

 

Druck und Distribution im Auftrag von N. Jakob:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

 

ISBN: Print: 978-3-384-08196-4; E-Book: 978-3-384-08197-1

»Natürlich wurden echt harte Kerle aus ihnen, aber sie blieben Blaue, also Schwule«

(Blaue Augen, Band 6, Kapitel 2)

 

 

 

 

 

Inhaltshinweise / Content Notes

 

Dieses Buch enthält fiktive Schilderungen von Erlebnissen, die ggfs. Auslösereiz bei Betroffenen sein können.

 

Diese homoerotische Liebesgeschichte für Erwachsene enthält unter anderem explizite Inhalte, BDSM, Gewalt (körperlich, psychisch), gesellschaftliche Queerfeindlichkeit, fraglichen Konsens, die Erwähnung von fehlendem Konsens in der Vorgeschichte, Drogenmissbrauch (Alkohol, Rauchen), Ableismus innerhalb der Wortwahl der Figuren, anteilig auch Rassismus in Äußerungen und Gedanken und durchaus nicht besonders einfache familiäre Verhältnisse inklusive psychischer Probleme (PTBS, Depression, Trauer nach Todesfall und Vergleichbares).

Eingleisige Gedanken bei Lebensmitteln sind aufgrund des Einkaufszettels(Code mit Insidern zwischen einigen Figuren)

durchaus auch möglich.

 

Gesondert zu nennen sind folgende Einzelhinweise:

 

Kapitel 1: Kindesmisshandlung, Kindesmissbrauch (sexuell, erwähnt), Alkoholismus, Suizidgedanken

 

Kapitel 2: sexueller Kontakt von Minderjährigen (konsent, miteinander), Mobbing, Missgendern

 

Kapitel 3: sexueller Kontakt von Minderjährigen (konsent, miteinander, mit Erwachsenem), Mobbing, Missgendern

 

Kapitel 4: Kindesmisshandlung (erwähnt), sexueller Kontakt von Minderjährigen (konsent, miteinander, mit Erwachsenem), BDSM (Bondage), Unfalltod (erwähnt)

 

Kapitel 5: konsenter, sexueller Kontakt von Minderjährigen und/mit Erwachsenen, analytische Geometrie, BDSM (Bondage, Impact Play, Dominance and Submission), Kindesmissbrauch (erwähnt), Missgendern

 

Kapitel 6: Alkoholismus, Verwahrlosung, Kindesmissbrauch (erwähnt), konsenter sexueller Kontakt zwischen Erwachsenen, BDSM (Primal-Play, Dominance and Submission, Bondage, Sensation Play), fraglicher Konsens

 

Kapitel 7: BDSM (Bondage, Impact Play, Dominance and Submission, Sensation Play, Tease and Denial), Mobbing (mit körperlicher Gewalt), konsenter sexueller Kontakt zwischen Erwachsenen

 

Kapitel 8: BDSM (Orgasmuskontrolle), Stalking (erwähnt), Alkoholismus, Verwahrlosung, Bruch mit der Familie

 

 

Siehe auch:

https://wasdnedsagsd.wordpress.com/2023/12/06/hellblaue-augen-reihe/

 

 

Allgemeine Hinweise zur Namensgebung im russischen Kulturkreis: Neben Vorname, Vatername und Nachname sind auch Doppelnamen nicht gänzlich unüblich.

Unterschieden wird die Schreibweise bei Vatername und Nachname mitunter durch das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht der Person.

Außerdem üblich sind Kurzformen und Verniedlichungen. Deshalb wird aus Alexei Aljosha, aus Ivan Vanya usw.

 

Zentrale Figuren im Band

ALEXANDER ALEXANDROWITSCH MEDWEDEW, SANYA

Sohn eines einfachen Angestellten, der aus vorerst für ihn nicht nachvollziehbaren Gründen im Institut landet.

 

PYOTR IVANOWITSCH NIKITIN, PETYA

Älterer Mitschüler, der zu Beginn als Pate und Aufpasser fungiert, sich dann aber mit Alexander anfreundet.

 

VALENTIN ALEXANDROWITSCH ILJIN, VALYA

Gleichaltriger Mitschüler, mit dem Alexander sich anfreundet.

 

VLADIMIR VIKTOROWITSCH MOROSOW, VOLODYA

Gleichaltriger Mitschüler, mit dem Alexander sich im Verlauf der Schulzeit anfreundet.

 

IVAN VIKTOROWITSCH MOROSOW, VANYA

Jüngerer Bruder von Vladimir.

 

VIKTOR ANDREJEWITSCH MOROSOW, VITYA

Vater von Vladimir und Ivan.

 

DIMITRI ROMANOWITSCH SUCHANOW, DIMA

Vetter von Volodya und Vanya.

 

ROMAN DIMITRIJEWITSCH SUCHANOW, ROMA

Vater von Dimitri.

 

VALERI ALEXEJEWITSCH LEGASSOW

Gleichaltriger Mitschüler, mit dem Alexander sich schließlich anfreundet.

 

KIRILL SERGEJEWITSCH SACHAROW

Geringfügig jüngerer Mitschüler, mit dem Alexander sich anfreundet.

 

ALEXANDER DIMITREJEWITSCH IVANOW, SASHA

Jüngerer Mitschüler, mit dem Alexander sich anfreundet.

 

DANILA OLEGOWITSCH POPOW

Gleichaltriger Mitschüler, der gerne Kleinere unterdrückt.

 

SAMUIL IOSSIFOWITSCH SMIRNOW

Gleichaltriger Mitschüler, der gerne Kleinere unterdrückt.

 

RURIK NIKOLAJEWITSCH SAIZEW

Hausvater und Aufsicht.

 

ANATOLI ANTONOWITSCH NOWIKOW, TOLYA

Sportlehrer und Aufsicht in den Ferien.

 

YAKOW ILJIN, YASHA

Unter anderem Besitzer einer Bar, wird im Verlauf Sanyas Mentor.

 

SERGEJ VALENTINOWITSCH BOGDANOW, SERJOSHA

Ehemaliger Kamerad von Petya, später Freund, Schüler von Yasha.

 

ARTUR MELNIKOW, ARTURTSHIK

Teil der Clique um Sergej und Yasha.

 

RODION MICHAILOW, RODYA

Teil der Clique um Sergej und Yasha.

 

FELIX SMIRNOW, FELYA

Teil der Clique um Sergej und Yasha.

 

EDUARD USTINOW, EDIK

Teil der Clique um Sergej und Yasha.

 

VSEVOLOD WOLKOW, SEWA

Türsteher von Yashas Bar.

 

Begriffsliste

Slangbegriffe

In jeder Sprache gibt es einen eigenen Slang. Das gilt auch für die Muttersprache der Figuren.

 

BLAUE (EIGENTLICH HELLBLAUE)

Bezeichnung für Schwule im russischen Kulturkreis.

 

ROSANE

Bezeichnung für Lesben im russischen Kulturkreis.

 

NEUE RUSSEN

Bezeichnung für eine neue soziale Klasse beziehungsweise ein Stereotyp, das zum Ende der Perestroika entstand.

Im Allgemeinen versteht man darunter erfolgreiche Geschäftsleute oder Besserverdienende in großen Unternehmen.

новый русский (nowy russki) könnte allerdings auch ein Wortspiel auf den französischen Ausdruck nouveau riche (Neureicher) sein.

Einleitende Worte

Wie fing das mit Alexander, Dimitri und Ivan eigentlich an? Das zu erzählen ist nicht einfach, aber zusammenfassend irgendwie möglich. Eine jahrzehntelange Männerfreundschaft, eine bunte Clique und mitunter absurde Erlebnisse.

Das Buch beginnt mit Alexander quasi relativ kurz nach dem Zerfall der UdSSR.

Wie wurde Alexander zu dem Mann, der er später ist, obwohl er als Kind dermaßen viel Gewalt erfuhr?

Es war nicht meine Absicht mit einer endlosen Schleife an Gewalt zu beginnen. Außerdem fand ich es unangemessen, über das Erleben von Jugendlichen in gewissen Situationen zu schreiben.

Seht es mir also nach, dass vieles zusammenfassend erzählt wird und teilweise größere Sprünge vorliegen. Manches hätte sich sonst irgendwann nur noch wiederholt, anderes wäre unpassend gewesen.

Szenen, wie man sie aus »Blaue Augen« kennt, wird man in Band 1 von »Hellblaue Augen« wahrscheinlich lange suchen. Ich habe mich aufgrund des Alters der Jungs dazu entschieden, es zu unterlassen. Es wird reichen müssen, wie es geschrieben wurde. Außerdem sind Jugendliche, wenn wir ehrlich sind, nicht unbedingt dafür bekannt, sich länger mit ihren sexuellen Erlebnissen aufzuhalten.

Band 1 beschreibt die Schulzeit von Sanya ab dem Tag, an dem er das Institut das erste Mal betreten hat. Er findet dort Freunde und ein Zuhause, genießt Sicherheit und eine gute Ausbildung, kehrt in den Ferien eine Zeit lang noch nach Hause zu seinem Vater zurück und dann nicht mehr. Auf diesem Weg begegnet er weiteren Personen, die ihm wichtig werden und einen gewissen Abschnitt begleiten.

Bis dann eben auch Dima und Vanya auftauchen.

Es war eine Herausforderung, die Geschichte zu schreiben. Vor allem deshalb, weil ich, egal wie grausam die Erlebnisse von Sanya waren, die Betonung nicht darauf legen wollte.

Auch in diesem Werk geht es, in erster Linie, um die Entwicklung der Figuren, Freundschaft und Wahlfamilie.

Na gut, und irgendwann Kink.

 

Kapitel 1

Neuanfänge und Veränderungen

Schulwechsel

Eine neue Schule war ja an und für sich schon immer etwas Aufregendes, doch ein Schulwechsel wie seiner alles andere als alltäglich. Warum sein Vater ihn ausgerechnet auf dieses Internat geschickt hatte, begriff er nicht, aber da stand er nun an jenem grauen Septembermorgen und fragte sich, wie dieser Tag und auch alles andere werden würde.

Als hätte der Umbau der Sowjetunion nicht schon genug verändert, hatte sein Vater jetzt wohl beschlossen, alten Zeiten ein wenig nachzueifern. Deshalb hatte er ihn zur Formung seines Charakters auf eine Kadettenschulen geschickt. Die waren immerhin über die Jahrzehnte selbst im Sozialismus erhalten worden.

Das Institut war eine reine Jungenschule und das bereitete ihm doch ziemliche Bauchschmerzen. Mädchen gab es zwar auch, aber auf dem Gelände daneben. Die würde er höchstens von Weitem sehen oder bei gemeinsamen Veranstaltungen. Welche auch immer das dann sein würden.

Er würde sich den Schlafsaal mit fremden Jungen teilen. Wie viele genau in dem Raum hausten, hatte ihm bisher keiner verraten. Irgendwie ahnte er schon jetzt, dass er es grauenvoll finden würde.

Es war im Institut üblich, dass die älteren Mitschüler wie Befehlshabende über den Jüngeren standen und auf sie achtgaben. Das zu wissen machte ihn ebenso nervös.

Um sein Unwohlsein irgendwie unter Kontrolle zu bekommen, kaute er recht verloren im Flur stehend auf seiner Unterlippe herum. Er stand vor dem Büro des Hausvaters und wartete auf den Paten, den man ihm zugeteilt hatte. Außer dem Namen wusste Alexander überhaupt nichts über den Kerl. Pyotr Nikitin hieß er und war im Abschlussjahr.

Deshalb war es wenig überraschend, dass der junge Mann, der auf ihn zukam, ein Stück größer war als er selbst. Er hatte dunkelblondes Haar, eine gerade Nase und ein kantiges Gesicht. Kaum stand er vor Alexander, blickte er ihn doch recht grimmig aus seinen stahlgrauen Augen an. Er wirkte alles andere als erfreut und das war nur verständlich, denn immerhin war er dazu verdonnert worden, auf den Neuzugang, also ihn, aufzupassen. Darauf hatte er selbst wahrscheinlich auch eher wenig Lust.

»Hallo«, meinte der, den er für Nikitin hielt, und seufzte beinahe theatralisch. »Du bist also Alexander Medwedew?«

Eingeschüchtert nickte er.

Das kann ja heiter werden, ging es ihm durch den Kopf. Er hat genauso viel Bock, sich um mich zu kümmern, wie ich ihn habe, hier zu sein. Hier soll ein echter Kerl aus mir werden? Am Ende so einer wie er? Er wirkt jetzt schon so eiskalt und reserviert. Wie sehr drillen die ihre Schüler hier? Ist das hier eine Soldatenschmiede? Für was? Der Sozialismus hat ja wohl verloren oder nicht?

»Mehr hast du nicht dabei?«, fragte der Kerl und Alexander schüttelte den Kopf.

Er hatte nur diese eine Tasche mit ein paar persönlichen Dingen bei sich. Sonst nichts. Allerdings besaß er generell nicht viel, da sein Vater bereits vor Jahren alles zu Geld gemacht hatte, was er verkaufen konnte.

Immer, wenn er zu betrunken und frustriert war, musste Alexander als Sündenbock herhalten. Die gebrochenen Rippen vom letzten Mal waren gerade wieder halbwegs verheilt. Wie er den ganzen Sport hier im Institut damit aushalten sollte, war ihm schleierhaft.

»Komm mal mit!«, forderte der Größere ihn auf. »Ich zeige dir, wo du deine Tasche abladen kannst und dann den Rest.«

Alexander zögerte und blickte ihn misstrauisch an. Skeptisch hob der andere die Brauen.

»Du bist schon Pyotr Nikitin oder?«, fragte er argwöhnisch nach und der Ältere grinste zum ersten Mal.

Jetzt wirkte der Kerl doch tatsächlich amüsiert. Offensichtlich fühlte er sich von seiner Frage bestens unterhalten.

»Ja, sonst würde ich dich ja wohl eher kaum hier abholen, Alexander Medwedew«, antwortete er spöttisch und nickte auffordernd in Richtung Flur, damit er endlich mitkam.

Er seufzte und folgte ihm.

»Der Hausvater hat sein Schlafzimmer direkt neben dem Büro«, plauderte Nikitin los, während sie ein paar Schritte gingen. »Er hat als Einziger ein eigenes Badezimmer. Wir teilen uns auf dem Gang die Waschräume mit allen, die dort wohnen. Der Schlafsaal der Neulinge ist gleich hier. Der Hausvater will alles möglichst unter Kontrolle haben.« Er machte eine kurze Pause und warf Alexander einen Seitenblick zu. »Mir ist erzählt worden, dass du dir vor ein paar Wochen ein paar Rippen gebrochen hast. Wie genau hast du das angestellt?«

Er seufzte einmal mehr. Nikitin blieb vor einer Tür stehen und sah ihn abwartend an.

»Kann meine Familiengeschichte warten?«, murmelte er und ärgerte sich, dass man ihm seinen Unwillen derart anhörte.

Der andere hob wieder eine Braue, nickte dann jedoch und öffnete die Tür zu einem großen Saal mit Stockbetten.

»Noch hast du freie Auswahl. Die meisten kommen erst heute Abend. Finde es schräg, dass du schon so früh da bist.«

»Du bist doch auch hier«, antwortete Alexander launisch.

Nikitin unterdrückte ein Lachen. »Da hast du recht. Hast du immer so eine freche Schnauze? Die bringt dir nur Ärger. Sei vorsichtig!« Er deutete auf einen der Schränke im Raum. »In jedem gibt es ein Fach für deinen privaten Kram und ansonsten die immergleichen Uniformen, wie sie hier alle tragen.« Der Größere zeigte auf das Bett, das am nächsten war. »Die haben immer auszusehen wie jetzt, solange du nicht drinliegst!«

Alexander nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte.

»Wir stehen hier zeitig auf und nach dem Laufen und dem Frühstück geht es gleich zum Unterricht. Nachmittags ist auch nochmal Sport. Hier wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass wir Ordnung halten, gute Noten und eine gewisse Ausdauer haben. Fürs Putzen und Saubermachen sind übrigens wir hier zuständig. Es kommt keiner, der das für uns übernimmt. Deine Uniform liegt im Schrank und auch die hat immer genauso drin zu liegen, wie du sie dort vorfindest. Ich kann dir das Falten und so am Anfang zeigen, bis du es begriffen hast. Gewöhn dich aber besser nicht dran, dass dir das auf Dauer jemand abnimmt. Wir hatten es alle schwer, aber du lernst das schon.«

Missmutig verzog Alexander das Gesicht und Nikitin blickte ihn aufmerksam an.

»Wie hast du dir die Rippen gebrochen?«

Einmal mehr seufzte er. Es würde keinen Sinn machen, es verheimlichen zu wollen. Spätestens, wenn er das erste Mal im Waschraum war, würden es ohnehin alle sehen.

»Mein Vater ist einmal zu viel ausgerastet«, nuschelte er. »Ich erfülle seine Erwartungen nicht. Ich weiß nicht, warum ich jetzt ausgerechnet hier bin.«

Der Ältere lächelte plötzlich bitter und deshalb hob er selbst eine Braue. »Hier sind einige, die mit ihren Vätern Probleme haben.« Der Tonfall kam Alexander seltsam vor. Er horchte sofort auf und jetzt war es der Größere, der ihn argwöhnisch ansah, da er es erkannt hatte.

»Bin auch hier, weil ich meinem Alten nicht gepasst habe«, erzählte er und das Lächeln wurde noch schmerzlicher. »Er wollte nicht, dass ich später in die Psychiatrie komme oder in den Knast. Aus mir soll gefälligst ein echter Kerl werden. Kein verweichlichter Blauer oder so.«

Darauf reagierte Alexander erstaunt und der andere blickte ihn an. »Du bist doch auch einer oder nicht? Du hast da irgendwas in deinem Gesicht, das dich verrät. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber es ist da.«

Empört schüttelte er den Kopf und sah den anderen gereizt an. Erbost ließ er seine Tasche auf den Boden fallen. »Hör auf mit dem Scheiß! Über sowas macht man keine Scherze!«

»Darüber würde ich nie scherzen, Alexander Medwedew«, zischte Pyotr Nikitin ihn gefährlich an. »Ich sehe es dir an und dein Vater hat es wahrscheinlich auch gesehen. Das ist bestimmt einer der Gründe, aus denen er so ausgeflippt ist. Oder etwa nicht? Was war denn sonst euer Problem?«

Grimmig blickte Alexander den Älteren an.

Natürlich war das Thema, dachte er säuerlich. Das geht dich aber nichts an! Nur, weil dein Vater Angst hatte, aus dir könnte ein Blauer werden, heißt das noch lange nicht, dass wir darüber so reden müssen! Dass ich eigentlich auf Kerle stehe und mit Mädchen nichts anfangen kann, geht dich nichts an! Ich kenn dich außerdem überhaupt nicht!

Nikitin schüttelte dann schmunzelnd den Kopf und machte eine ausschweifende Geste in den Saal hinein.

»Such dir ein Bett aus und zieh dich um! Danach zeige ich dir den Rest hier, bevor die anderen aufschlagen.«

Er wählte ein Bett in der hintersten Ecke des Saals und Nikitin fand das aus irgendeinem Grund zum Grinsen. Dass er sich auch noch das Untere zu eigen machte, unterhielt ihn offensichtlich besonders.

Widerwillig öffnete er die Schranktür des Schranks daneben und nahm sich einen Satz Kleidung heraus. Es handelte sich eindeutig um eine Uniform. Unwillig zog er sich das Hemd über den Kopf und streckte seine Hand nach dem anderen aus, um es sich anzuziehen.

Währenddessen spürte er die Blicke des anderen auf sich. Natürlich wusste er, was er gerade betrachtete. Es widerstrebte ihm, dass die Misshandlungen derart offensichtlich waren.

Vor ein paar Wochen war er sein Vater mit dem Gürtel auf ihn los. Die Striemen, die er auf dem Rücken davongetragen hatte, waren noch nicht richtig abgeheilt. Auch die Hämatome blassten nur langsam ab. Er wusste genau, wie er aussah.

»Verdammte Scheiße«, meinte Nikitin. »Sowas hab ich jetzt echt schon länger nicht mehr gesehen. Da sind doch auch ältere Narben dabei. Ist das öfter vorgekommen?«

Alexander seufzte erneut, da der andere anstrengend zu werden versprach.

»Meine Mutter ist vor ein paar Jahren an einer Blutvergiftung gestorben. Mein Vater hat das Saufen angefangen. Irgendwann das Kartenspielen. Er hat viel Geld verloren. Deshalb hat er noch mehr gesoffen. Er hat alles Mögliche verkauft, um seine Schulden abzubezahlen. Das Saufen und Spielen hat er aufgehört, aber das Prügeln leider nicht. Ich war neulich erst wieder in der Klinik. Keine Ahnung, wie ich danach hier gelandet bin. Eigentlich kann er sich das gar nicht leisten. Ich weiß nicht, wer da was gedreht hat. Er hofft jetzt, dass hier ein richtiger Kerl aus mir wird. Hat er zumindest gesagt.«

Nachdem er sich fertig angezogen hatte und zu Nikitin umwandte, stand der mit hochgezogenen Augenbrauen da. Mit der Ausführlichkeit hatte er offenbar nicht gerechnet. »Was hat dein Vater denn alles verkauft?«

Alexander blinzelte verwirrt.

Das ist das Einzige, was dich interessiert?, dachte er. Finde ich jetzt schon ein bisschen schräg. Sieht man mir das etwa an?

Nikitin hatte die Absicht, ihm bis zum Abend das komplette Gebäude und große Teile des Geländes gezeigt zu haben.

Im Anschluss wusste er, wo die Waschräume, die übrigen Schlafsäle, Klassenzimmer, Speisesaal und der Schulhof waren. Vor dem Abendessen trafen dann auch die anderen Schüler nacheinander ein. Ihnen gab der Ältere genauso eine ausführliche Einführung in die Abläufe und Räumlichkeiten im Haus. Den Rest wollte er heute nicht mehr zeigen. Es war wohl sein Glück, bereits so früh eingetroffen gewesen zu sein.

Die, mit denen er im Saal schlief, waren alle etwa in seinem Alter, manche aber ein Jahr jünger. Sie waren zu einem Jahrgang zusammengefasst worden und da er das Schuljahr wiederholen sollte, um mit dem Schulstoff und allem anderen mitzukommen, war er einer der Ältesten.

Im Anschluss ans Essen fiel nicht nur er erschöpft ins Bett und ihr Pate weckte sie am Morgen eher unsanft, als sie zu verschlafen drohten. »Gewöhnt euch lieber schnell daran, dass der Tag hier so früh anfängt! Ihr werdet es sonst sehr schwer haben. Seht zu, dass ihr aufsteht und euch anzieht, bevor es Ärger gibt! Ich habe euch gestern gesagt, wann ihr wo sein müsst! Jetzt kommt in die Gänge!«

Alexander quälte sich aus dem Bett, zog sich die Uniform an und Nikitin ließ es sich nicht nehmen, ihm den Kragen zu richten, als hätte er nie etwas anderes getan.

»Wenigstens hat er dir nicht ins Gesicht geschlagen«, konnte er den Größeren murmeln hören, während er den Schlafsaal in Richtung Flur verließ.

Wie meint er das denn jetzt?, fragte er sich und begab sich zum Schulhof, auf dem sie sich morgens einzufinden hatten.

Wie sie sich aufstellen mussten, hatte Nikitin ihm zum Glück erklärt, aber einige der übrigen Neulinge schienen es nicht recht zu wissen und machten es den anderen dann einfach nach. Wahrscheinlich lernten die meisten hier genau so: Durch Nachahmen.

Im Anschluss an eine Art Morgenappell, bei dem sie auch noch recht zügig zu marschieren hatten, wurden sie alle zum Frühstück geschickt und danach begann der grundlegende Schulunterricht.

Neben den üblichen Fächern würde es im Institut sehr viel Sport und Unterricht in strategischen Dingen, Waffenkunde und sowas geben. Alles, was der junge Mann von heute für eine spätere Laufbahn beim Militär brauchte. Wie auch immer das aussehen würde, nachdem die Sowjetunion spätestens seit dem Putschversuch gefährlich bröckelte. Wenigstens gab es die Kadettenschulen zurzeit noch. Andernfalls wäre er wohl unverändert zuhause bei seinem Vater. So war er weit weg, hatte Unterricht und genoss eine doch recht umfangreiche Schulbildung.

Die Lehrer verlangten ihnen einiges ab und er war nach den ersten Tagen echt dankbar, dass man ihn das Schuljahr wiederholen ließ. Ansonsten wäre er verloren gewesen.

Eines Abends hatte Alexander sich gerade unter seiner Decke eingerollt und war eigentlich schon im Begriff einzuschlafen, als er über sich ein lautes Ausatmen hörte. Irgendwie klang das verdächtig. Das Geräusch konnte er durchaus zuordnen, denn er selbst hatte vor ein paar Wochen auch erst Neues an sich entdeckt.

Holt sich da gerade etwa jemand einen runter?, dachte er irritiert. Es klingt so. Soll er ruhig, aber muss das hier sein? Denkt er, die anderen schlafen schon und bekommen es nicht mit? Laut ist er nicht, aber ich höre ihn trotzdem! Muss das sein?

Ihm wurde irgendwie seltsam und er schluckte gegen ein enges Gefühl in seinem Hals an. Zu allem Überfluss wurden auch seine Wangen heiß. Der Junge über ihm hieß Valeri Legassow und gab sich zwar echt Mühe, nicht laut zu sein, aber Alexander hörte es dennoch.

Er erwischte sich bei dem Gedanken, sich selbst anfassen zu wollen, und kniff fest die Augen zu. Stockend holte er Luft und versuchte, das Keuchen auszublenden. Das erstarb nun jedoch augenblicklich. Kurz darauf verließ der Kerl über ihm das Bett und schließlich den Raum.

Wo geht er hin?, fragte er sich. In den Waschraum etwa?

Alexander war zu erschöpft, um groß darüber nachzudenken, und atmete tief durch. Da war etwas mit seinem eigenen Körper passiert, das nun seine Aufmerksamkeit verlangte.

Verfluchte Scheiße!, dachte er grimmig. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich mit seinen Händen darum zu kümmern. Was ist nur los mit mir? Ich erkenne mich kaum wieder!

Im Anschluss versuchte er, sich selbst in den Waschraum zu begeben, um sich die Hände zu waschen, und lief dabei ausgerechnet beinahe Legassow in die Arme. Der sagte aber nichts dazu.

Vielleicht besser!, überlegte er beim Händewaschen. Eher unsicher begab er sich in den Saal zurück und schlüpfte wieder in sein Bett. Über ihm schlief der andere zu dem Zeitpunkt bereits tief und fest.

In den Nächten darauf mogelten sich auch andere aus dem Raum und er ahnte, weshalb. Allerdings bekam er genauso mit, dass einer irgendwann dem Hausvater bei einem nächtlichen Rundgang auffiel und der ihn doch recht harsch ins Zimmer zurückgeschickt hatte.

Ansonsten lief es richtig gut und sie kamen miteinander klar. Nikitin und die anderen passten auf sie auf. Die Älteren gaben ihnen Tipps, halfen bei den Hausaufgaben und waren auch sonst echt hilfsbereit. Binnen kürzester Zeit hatte nicht nur er gelernt, wie man die Wäsche ordentlich in den Schrank legte und Hausvater Saizew hatte bei den Kontrollen zum Glück nur noch selten etwas zu beanstanden.

Er war nach den ersten Wochen tatsächlich kurz davor, Nikitin einen Freund zu nennen, aber dafür kannten sie sich bislang eigentlich zu wenig.

Der Ältere hatte etwas von einem großen Bruder, der auf ihn aufpasste. Das fand Alexander wirklich angenehm, obwohl der andere zwischendurch auffällig distanziert zu ihm war. Dafür freundete er sich allerdings lose mit ein paar seiner Mitschüler an. Mit Valeri Legassow zum Beispiel. Sie waren beide im selben Alter und achteten ein wenig aufeinander. Das gehörte im Institut wohl dazu, wenn man sich ein Stockbett teilte.

Auch sonst existierte kaum Privatsphäre. Es gab ausschließlich Schlafsäle und Gemeinschaftsräume. Die Duschen hatten keine Türen, sondern nur Abgrenzungen. Einzig die Toiletten hatten eine Kabine. Wer später aus diesem Internat kam, würde es in der Kaserne garantiert nicht schwer haben. Davon waren sämtliche Lehrer im Institut überzeugt. Es gab keinen Luxus und kaum Rückzugsräume. Das war aber nicht weiter schlimm, da man das später bei der Armee auch nicht haben würde. Alles war darauf ausgelegt, die jungen Männer, die hier zur Schule gingen, auf ein solches Leben vorzubereiten.

Es blieb nicht aus, dass sie sich früher oder später alle nackt gesehen hatten. Die Vergleiche unterblieben ebenso wenig. Da die Pubertät recht individuell verlief, waren manche bereits etwas weiter als andere, die noch wesentlich knabenhafter aussahen. Sich gegenseitig zu mustern war nichts Ungewöhnliches. Es wurde Alltag zu hören, wie sie an sich selbst herumfummelten. Das blieb in ihrem Alter nicht aus.

In Ermangelung von Mädchen und aus Neugier kamen sich einige auch untereinander näher und fassten sich an. Entweder bekam ihr Hausvater das nicht mit oder es war ihm egal. Wahrscheinlich war das genauso irgendwie normal. Alexander kam es dadurch, wie die anderen damit umgingen, zumindest nicht ungewöhnlich vor.

Unter der Dusche gaben sich einige der Mitschüler sogar Ratschläge, wie man sich am besten einen herunterholte. Das fand er amüsant und manche der Empfehlungen waren gar nicht übel. Ein paar davon beherzigte er sogar selbst. Das galt ziemlich sicher auch für Legassow, der das Bett dann und wann leider damit zum Wackeln brachte.

Der Gleichaltrige war durchaus attraktiv. Er hatte aschblondes Haar, graublaue Augen und etwa die gleiche Größe wie er. Sie waren auch in ihrer Entwicklung ähnlich weit und irgendwie beobachtete er den anderen gerne einmal beim Duschen, sobald der sich so schnell wusch, wie er wollte.

»Du könntest mir ja schon helfen, wenn du eh andauernd gaffst«, murrte Valeri irgendwann. »Du übst ja auch fleißig!«

Er bekam heiße Wangen, weil der andere ihn derart direkt darauf ansprach. Das fand er dann doch irgendwie peinlich.

»Ja, was? Denkst du, ich krieg das nicht mit? Ich schlafe über dir, Medwedew! Ich höre dich! Da kannst du mich noch so unschuldig mit dunklen Augen ansehen! Ich weiß genau, dass du es nicht bist!«

Getroffen zuckte er zusammen. Valeri konnte es nicht wissen, doch die Aussage tat weh. Wie recht sein Mitschüler hatte, konnte der ja unmöglich ahnen.

Unschuldig war Alexander tatsächlich schon länger nicht mehr. Daran war sein Vater schuld. Auch wenn ihn danach wohl das schlechte Gewissen dazu gebracht hatte, mit dem Saufen und Spielen aufzuhören, war der Schaden bereits angerichtet gewesen. Irgendwie war sein Alter der Überzeugung, dass die Neigungen, die er an ihm beobachtet hatte, damit zusammenhingen. Deshalb hoffte er, dass das Institut die Sache wieder richtete. Ein Teil von ihm tat das auch, denn es war gesellschaftlich nicht akzeptiert, dass Männer sich zu ihresgleichen hingezogen fühlten. Nur, wie sollte das klappen? Wenn um ihn herum nur andere Jungen waren, konnte er unmöglich normal werden. Was auch immer das sein sollte.

Die Lehrer drillten sie gewaltig und waren streng, aber vor manchem verschlossen sie sicher bewusst die Augen. Sie mussten doch mitbekommen, dass die Jungs sich untereinander halfen, Erleichterung zu finden. Alles andere würde schon sehr große Ignoranz bedeuten.

»Was guckst du denn jetzt so?«, fragte Legassow und streckte die Hand nach Alexanders Handtuch aus.

Er schlug sie weg und schüttelte ablehnend den Kopf. »Lass das!«

Der andere nahm tatsächlich die Finger weg. »Du willst also echt nur gucken?«, fragte er feixend und wandte sich ab, um sich abzutrocknen. »Angebot steht, Medwedew.«

Nicht nur das, dachte Alexander und beeilte sich beim Anziehen. Dein Schwanz auch! Jede verdammte Nacht! Und meiner dann auch! Deshalb will ich das trotzdem nicht! Ich will nicht dein Spielzeug sein! Da wirst du dir schon jemand anderes suchen müssen. Nur, weil du Hilfe brauchst, weil dir deine Hände nicht reichen, kriegst du noch lang nicht meine!

Eilig verließ er die Duschen und lief dabei buchstäblich Nikitin in die Arme. Sie rasselten regelrecht ineinander und der Ältere hielt ihn fest, damit er nicht umfiel.

»Was hat dich denn so erschreckt, Medwedew? Du bist doch sonst nicht so! Gab es Ärger?«

Hastig schüttelte er den Kopf und er hörte, wie hinter ihm Legassow den vorderen Teil der Waschräume betrat.

»Brauchst du Hilfe?«

Wieder verneinte Alexander.

Darauf, das jetzt auch noch mit dir zu diskutieren, habe ich echt keinen Bock!, dachte er unwillig. Ganz sicher nicht!

Der andere machte tatsächlich Platz und ließ ihn passieren. Als er nochmal über die Schulter blickte, sah er, dass Legassow einen scharfen Blick von Nikitin zugeworfen bekam.

 

Freundschaften

Es gab Mitschüler, mit denen sich Alexander richtig gut verstand und jene, die ihm Schwierigkeiten bereiteten.

Mit Legassow kam er ja klar, aber mit Smirnow schon einmal nicht und Popow war auch ein echt seltsamer Zeitgenosse. Dafür hatte er sich bis Oktober mit Valentin Iljin angefreundet, der wohl sein Zwilling hätte sein können. Sie waren im selben Monat geboren, gleich groß, hatten beide dunkle Haare und Augen und waren sich auch ansonsten recht ähnlich.

Zu seinem Leidwesen hatte Legassow jemanden gefunden, der ihm half, den Druck loszuwerden und es war echt nervig, wenn das Stockbett zu allem Überfluss deshalb wackelte. Die Duschen boten kaum Raum zum Ausweichen und auf die Toiletten begrenzen konnten sich die beiden leider auch eher nicht.

Er war wohl einmal zu viel augenrollend beim Frühstück gesessen, denn irgendwann sprach Iljin ihn an, was sein Problem sei. Der gesamte Schlafsaal wusste längst davon. Privatsphäre gab es unverändert nicht.

»Mir ist echt egal, was die beiden treiben! Dass sie es über mir tun und das Bett deshalb wackelt, nervt! Ich kann deshalb nicht schlafen! Können die nicht einfach woanders hin?«

Iljin begann gackernd zu lachen und schüttelte den Kopf.

Von den Älteren blickten unter anderen Nikitin und Pikalow zu ihnen herüber. Der durchschnittliche, braunhaarige Andrei aus dem Abschlussjahrgang war etwa einen Kopf kleiner als Pyotr. Hässlich konnte man ihn nicht nennen, aber er war irgendwie durch und durch gewöhnlich.

Alexander hatte den Eindruck, dass die beiden Freunde waren.

»Wo sollen sie denn hin? Auf die Toiletten? Da werden sie nur erwischt! Irgendwer muss immer pinkeln! Die Duschen gehen auch eher nicht! Wir sind hier nirgendwo allein!«

Alexander rollte mit den Augen und seufzte. »Wo gehen denn die oberen Jahrgänge hin? Die haben doch bestimmt irgendein Versteck! Wo qualmen die eigentlich? Ich weiß, dass sie es tun. Sie saufen außerdem heimlich.«

»Woher weißt du das?«, fragte Iljin irritiert.

»Ich habe Augen im Kopf«, murrte er. »Ich kann den Rauch an ihnen riechen und die Fahne von Antonow am Wochenende hab ich auch gerochen. Die gehen da bestimmt auch zum Fummeln hin! Du kannst mir nicht erzählen, dass die das nicht mehr machen! Also die, die sich nicht heimlich mit Mädchen treffen. Die haben sicher ihre Tricks!«

»Du willst ihnen doch wohl nicht etwa nachspionieren?«, fragte Valentin skeptisch. »Dir ist schon klar, dass es sie anpissen wird? Die stehen über uns! Die werden garantiert sauer, wenn du ihnen hinterher schleichst!«

Da hatte der andere ziemlich sicher recht, aber es ließ ihm trotzdem keine Ruhe. Er war zu neugierig, um es nicht sein zu lassen. Irgendwann fiel ihm dadurch auf, dass sie sich heimlich auf dem Dachboden trafen.

In einer Freistunde forschte er aus, was dort zu finden war.

Neben Bier und Wodka fand er auch Aschenbecher. Die Zigaretten entdeckte er erst, als er den Raum betreten hatte.

Hinter ihm klappte die Tür zu und er fuhr erschrocken zusammen.

»Hast du gedacht, keiner bekommt mit, was du treibst?«, drang ausgerechnet Nikitins Stimme an seine Ohren.

Er schloss die Lider, atmete tief durch und wandte sich zu ihm um. »Habt ihr gedacht, keiner bekommt mit, was ihr treibt?«, konterte er und der Größere grinste belustigt.

Leider kam er auch noch geradewegs auf ihn zu und Alexander wich zurück, bis er die Wand im Rücken spürte.

»Lass mich!«

Er hasste es, wie panisch er klang.

Ebenso wie den Gesichtsausdruck hätte er gerade am liebsten auch seine Stimme besser im Griff.

Dass er eine Scheißangst vor Nikitin hatte, fiel dem allerdings selbst auf.

»Ich tu dir schon nichts«, meinte der und blieb stehen. »Du hast oft eine ziemlich freche Schnauze, aber dann fürchtest du dich doch. Aus dir werde ich echt nicht schlau, Medwedew. Was ist dir passiert? Das können unmöglich nur die Prügel von deinem Alten sein. Du kommst mir echt nicht wie ein Schisser vor, aber die Szene mit Legassow hab ich nicht vergessen. Deine Reaktion jetzt finde ich auch seltsam. Was ist da los?«

Alexanders Kehle wurde eng und er schluckte gegen das Gefühl an. Zu einer Antwort war er nicht in der Lage. Wie hätte er das erklären sollen? So gut kannten sie sich nun auch wieder nicht, dass er dem anderen seine komplette Leidensgeschichte anvertrauen wollte.

Allerdings jagte der ihm gleich den nächsten Schrecken ein, als er den Mund öffnete. »Wer war es? Wer hat dich angefasst, obwohl du es nicht gewollt hast?«

Oh, verflucht!, dachte Alexander und atmete tief durch.

Er brachte keinen Ton heraus und irgendwie war er echt seltsam erleichtert, als der andere sich nicht weiter näherte.

»Ich hab einen Blick dafür«, erzählte er. »Da ist irgendetwas an dir, was andere bevorzugt auf Abstand hält. Dabei bilde ich mir ein, dass du ein Blauer bist. Du kommst damit noch nicht klar. Bin ich in deinem Alter auch nicht. Doch das ist nicht der Grund, aus dem du niemanden an dich heranlässt. Du warst so panisch, als Legassow dich angemacht hat. Jetzt hast du auch Angst, weil ich dir die Tür versperre.«

Eine Pause entstand.

»Was ist passiert? Du hast erzählt, dein Vater hätte einiges verkauft, um seine Schulden zu bezahlen. Am Ende doch nicht etwa auch noch dich?«

Er war wie erstarrt. Damit, dass Nikitin ihn so direkt darauf ansprach, kam er gerade wirklich nicht klar. Er hatte keine Ahnung, was er auf die Fragen antworten sollte. Letztlich hatte der Größere ins Schwarze getroffen. Das machte ihn fast mehr fertig, als die Wahrheit.

Die blaugrauen Augen des anderen blickten ihn geradewegs an. Er wartete einfach und schwieg. Das war jetzt noch viel anstrengender. Die Fragen allein waren ja schon heftig gewesen, doch diese Stille war das Grauen.

Ich darf nicht vor ihm das Heulen anfangen!, ermahnte er sich und atmete sehr konzentriert, während er die Kiefer fest aufeinanderpresste.

Die Brauen des anderen zogen sich zusammen und dann schüttelte er den Kopf.

»Dein Alter ist ein Arsch«, fällte Nikitin sein Urteil. »Ich verstehe schon, dass da jemand drauf angesprungen ist. Du bist ein niedliches Kerlchen. Eine Schweinerei ist es trotzdem. Wann war das?«

Wieso er es geschafft hatte, die Zähne auseinanderzunehmen, wusste er danach auch nicht mehr.

»Ist jetzt ungefähr drei Jahre her«, nuschelte er und der andere schüttelte fassungslos den Kopf.

»So ein pädophiler Wichser Du bist echt weit für dein Alter, aber vor zwei Jahren warst du das sicher noch nicht.«

Jetzt komm ich nicht mehr mit, dachte Alexander irritiert und blickte ihn verdutzt an.

»Du bist zu jung, um zu saufen, und zum Rauchen auch«, meinte Nikitin.

Nun fühlte er sich gedanklich endgültig abgehängt. Das sah der Größere ihm wohl genauso an.

»Nach so einem Gespräch könnte ich ja immer eine Kippe oder einen Schluck Wodka brauchen«, erklärte er geduldig. »Ich finde mies, was dir passiert ist. Bist aber nicht der Erste hier. Der Letzte sicher auch nicht. Prügelnde Väter haben hier nicht gerade wenige, aber angefasst wurden eben genauso ein paar.«

Alexander war kurz davor den anderen zu berichtigen, doch so wie der ihn gerade ansah, kannte er seine Aussage schon. Seine Annahme wurde bestätigt, als Nikitin das Wort ergriff. »Und dann gibt’s natürlich noch die, bei denen es mehr war, Sanya.«

Verwirrt blickte er den Älteren an. So hatte man ihn bisher nie genannt. Er war unschlüssig, wie er den Spitznamen finden sollte, obwohl es eine mögliche Kurzform seines Namens war. Die meisten nahmen die Geläufigste und sagten Sasha.

»Ich will nicht darüber reden«, brachte er hervor.

Der Größere seufzte. »Dir ist aber schon klar, dass das nicht deine Schuld ist? Ohne Einverständnis hätte überhaupt nichts passieren dürfen. Von dir, meine ich. Eine Einwilligung ist wichtig, denn ansonsten ist es Vergewaltigung.«

»Ich bin kein Mädchen«, zischte Alexander gereizt.

»Das habe ich nicht behauptet«, erwiderte Pyotr und wich endlich einen Schritt zurück.

Leider nur, um sich an die Tür zu lehnen, die damit endgültig versperrt war. »Dass du ein Kerl bist, ändert nichts am Sachverhalt. Du bist nämlich garantiert nicht freiwillig dorthin. Das hat dein Alter entschieden und der andere hat gerne Ja gesagt oder andersherum. Als würde es nicht reichen, wie er dich zugerichtet hat. Will ich wissen, wie genau das abgelaufen ist? Hat er dich auch noch hin geprügelt?«

Alexander wurde speiübel.

»Ich will nicht darüber reden«, wiederholte er sich leiser und fühlte sich seltsam schwach.

Er schloss die Augen, in deren Winkeln sich Tränen sammelten. Heulen wollte er vor ihm sicher nicht. Die Blöße konnte er sich nicht auch noch geben. Nikitin wusste jetzt schon mehr über ihn, als er jemals jemanden im Institut hatte erzählen wollen.

»Du solltest aber mal mit irgendwem darüber reden, Sanya. Es frisst dich sonst auf. Du kannst nichts dafür, das ist dir hoffentlich klar. Es ist eine ziemliche Schweinerei, was dir da passiert ist. Es kann nämlich durchaus Spaß machen, wenn man es nicht mit einem Arschloch tut, das nicht weiß, was es da tut.«

Ungläubig sah Alexander ihn an. Er dachte einen Augenblick, er höre nicht richtig. Für ihn war es unvorstellbar, dass der andere recht mit seiner Aussage hatte. Der hörte sich allerdings erstaunlich überzeugt an. Er wollte gerade etwas sagen, da legte der Größere nach. »Ich könnte es dir bei Gelegenheit ja einmal zeigen.«

Da wich er entsetzt an die Wand zurück.

»Das wirst du nicht!«

Er fühlte sich, als wolle sein Herz ihm panisch aus der Brust springen.

Der andere schüttelte bitter lächelnd den Kopf. »So meinte ich das nicht«, erklärte er in beschwichtigendem Ton und gab die Tür frei. »Du kannst immer mit mir reden, Sanya. Sobald du darüber reden willst, meine ich.«

Alexander hatte nicht die Absicht, weitere Worte mit ihm zu wechseln. Stattdessen ergriff er lieber die Flucht. So schnell seine Füße ihn trugen, verließ er den Dachboden, hetzte die Treppe nach unten und flüchtete ins Gemeinschaftsbad. Ihm war elend. Deshalb eilte er in die erstbeste Toilettenkabine und erbrach.

»Wirst du krank, Medwedew?«, quatschte ihn Legassow an, als er sich am Waschbecken den Mund ausspülte. »Ich habe mir eingebildet, dich kotzen zu hören. Soll ich dich in die Krankenstube bringen oder so?« Heftig den Kopf schüttelnd lehnte er ab. »Du bist aber kreidebleich. Bist du dir sicher? Du siehst scheiße aus. Nicht, dass du den ganzen Saal ansteckst. Dann wird’s echt eng hier.«

»Nein, es ist alles in Ordnung«, nuschelte er »Mir ist nur was vom Essen nicht bekommen, denk ich. Manchmal hab ich das.«

Das war nicht einmal gelogen. Tatsächlich hatte er gelegentlich einen empfindlichen Magen. Zumindest, was Stress wie den eben anging.

Dass Nikitin ihn dermaßen zielsicher darauf angesprochen hatte, fand er besorgniserregend. Irgendwie hoffte er, dass das sonst niemanden auffiel. Er hatte nämlich wirklich wenig Bock, mit irgendwem darüber zu reden. Es ging keinen etwas an.

Er drängte sich an Legassow vorbei und verließ das Gebäude, um an die frische Luft zu gehen. Draußen bei den Bänken saß er nicht lange allein. Iljin entdeckte ihn und setzte sich dazu.

»Na, wie war dein Streifzug?«

Alexander sah ihn erstmal nur an. Unsicher, ob er Valya überhaupt davon erzählen konnte, sagte er vorerst keinen Ton. Nikitin hatte zwar nichts dazu gesagt, dass er herausgefunden hatte, wo die oberen Jahrgänge sich zum Rauchen und Saufen trafen, aber er wollte Valentin Ärger ersparen.

»Hast du überhaupt irgendwas entdeckt? Legassow hat gemeint, du hättest gekotzt. Was war los? Hast du etwa heimlich eine Kippe geraucht? Da sollen schon mehr gekotzt haben.«

Die Geschichte wollte er sich als mögliche Ausrede merken, falls ihn irgendwann nochmal wer auf das Kotzen ansprach. Jetzt jedoch hatte er die Absicht, seinem Freund wenigstens einen Teil der Fragen zu beantworten.

»Sie gehen auf den Dachboden«, nuschelte er. »Nikitin hat mich erwischt. Ihren Alkohol und die Kippen hab ich trotzdem gefunden. Na ja, bevor er mich erwischt hat.«

»Oh«, entfuhr es Iljin. »Gab’s Ärger?«

Die Frage ließ sich nicht ohne Weiteres beantworten. An und für sich hatte Pyotr nicht verärgert gewirkt.

»Eigentlich nicht. Er schien schon gewusst zu haben, dass ich versuche, es herauszufinden. Oder, dass generell jemand es versucht. Er hat sich so angehört.«

»Und warum hast du gekotzt? Hast du mit ihm eine geraucht oder was war los?«

Kopfschüttelnd verneinte er und blickte seinen gleichaltrigen Freund ernst an. »Nein, aber er hat das Talent, unangenehme Fragen zu stellen.«

Der andere reagierte irritiert, hob die Brauen und sah ihn fragend an. Er hatte es nicht erzählt und deshalb konnte er es auch nicht wissen. Ob er es ihm jetzt erzählen wollte, wusste er noch nicht. Allerdings hatte Nikitin vielleicht recht und er sollte wirklich einmal mit jemandem darüber sprechen. Nur wie würde Iljin darauf reagieren?

»Er hat mir an meinem ersten Tag alles hier gezeigt und war dabei, als ich mich umgezogen habe«, erzählte er murmelnd. »Er hat gesehen, wie mein Vater mich zugerichtet hat und angefangen, Fragen zu stellen. Ich habe sie ihm knapp beantwortet. Er hat den Rest einfach erraten, fürchte ich.«

Valentin schürzte die Lippen und rümpfte die Nase, ehe er darauf etwas erwiderte. »Deine Striemen kenne ich. Die blauen Flecken hab ich genauso gesehen. Was war denn da noch?«

Er zögerte und der andere hob argwöhnisch die Brauen.

»Nach dem Tod meiner Mutter hat mein Vater das Saufen und das Kartenspielen angefangen. Er hat oft verloren, wir waren pleite und er hat seinen Frust an mir ausgelassen. Irgendwann hat ihm ein Gläubiger ein Angebot gemacht, um ihm die Schulden zu erlassen. Er ist darauf eingegangen.«

Unverständnis zeichnete sich ab, ehe die Nachfrage kam. »Was war das denn für ein Angebot?«

Er begann mit seinen Fingern zu nesteln, auf der Unterlippe zu kauen und wich dem Blick seines Freundes aus. Der seufzte und wartete ab.

Es auszusprechen schaffte Alexander nicht. Seine Furcht davor, wie der andere darauf reagierte, war groß. Am Ende würde er sich vor ihm ekeln oder so.

Einen Freund zu haben tat gut. Er hatte Angst, dass Valentin das dann nicht länger sein wollte.

»Sasha?«

»Er hat meinem Vater gesagt, dass er ihm die Schulden erlässt, wenn er mich für ein Wochenende haben kann«, nuschelte Alexander. »Keine Ahnung, wie hoch die waren. Muss viel Geld gewesen sein, sonst wäre er nicht darauf eingegangen. Danach hat er dann irgendwie geschafft, damit aufzuhören. Er hat sich wohl endlich schlecht genug gefühlt.«

»Ich fürchte, ich verstehe nicht, was du da gerade erzählst. Was hast du denn an dem Wochenende bei dem Kerl gemacht?«

Alexander hob den Blick, sah ihm geradewegs in die dunklen Augen und kämpfte damit, nicht das Heulen anzufangen. Bei Pyotr hatte er es irgendwie gerade noch geschafft, die Kontrolle zu behalten, aber jetzt bei Valentin drohte er sie zu verlieren.

Die Verwirrung im Gesicht seines Freundes wich Entsetzen, als er begriff, was er nicht auszusprechen schaffte.

»Ach du scheiße!«, entfuhr es ihm. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst?«

Leider war es das. Es war die verdammte Wahrheit. Ihm wäre es auch lieb, wenn er sich all das nur ausgedacht hätte. An einen schlimmen Traum hatte er damals auch ganz gerne glauben wollen. Dafür war all das jedoch viel zu real und schmerzhaft gewesen. Zu grauenvoll, um sich einzureden, dass es gar nicht wirklich passierte.

Noch heute versuchte er, die Erinnerungen weit von sich zu schieben. Das schaffte er meist eher schlecht als recht. Seine ohnehin schon schwere Kindheit hatte an jenem Wochenende ein jähes Ende gefunden. Danach war nichts mehr wieder gewesen wie zuvor. Auch das Verhältnis zu seinem Erzeuger nicht. Der hatte im Anschluss zwar die Kurve gekriegt und mit dem Spielen aufgehört und schließlich auch nicht mehr gesoffen, aber letztlich war er der prügelnde Mistkerl geblieben.

Als Alexander begonnen hatte, sich eher für Jungs denn Mädchen zu interessieren, war es nur schlimmer geworden. Das hatte er Valentin wohl irgendwann auch einmal erzählt. Was das betraf, hatten sie beide etwas gemeinsam. Der alte Iljin hatte seinen Sohn ebenfalls zur Charakterbildung oder dergleichen aufs Institut geschickt, nachdem er die Neigungen nicht aus ihm hatte herausprügeln können.

»Glaubst du, dass du deshalb ein Blauer bist?«, fragte sein Freund.

Verdutzt blickte er ihn an. »Die Idee hatte mein Vater auch«, meinte er leise. »Er glaubt auch, dass es hier weggeht.« Dann stutzte er und sah Valentin irritiert an. »Wie kommst du drauf? Ist dir sowas auch passiert?«

Iljin schüttelte heftig den Kopf. »Nein, ich bin einfach nur so abartig.«

Das war eine interessante Art und Weise, es auszudrücken, aber er war gerade weder in der Stimmung, noch dazu in der Lage, intensiv darüber nachzudenken. Irgendwie hoffte er selbst auch, dass das Internat ihm half, normal zu werden. Dabei wusste er nicht einmal, was genau das sein sollte. Wenn es nämlich normal war, dass man als Vater seine Kinder verprügelte, damit sie gehorchten und sich zu dem entwickelten, was man von ihnen erwartete, dann wollte er das schon einmal nicht für sich. Es war für ihn ähnlich unvorstellbar, irgendwann eine Frau zu heiraten und eine Familie zu gründen. Wie das Institut ihm dabei helfen sollte, normal zu werden, wusste er selbst nicht.

An den geregelten Tagesablauf hatte Alexander sich gewöhnt. Die Lehrer waren allesamt streng, aber gerecht. Freistunden hatten sie eher selten und heute auch nur gehabt, weil irgendein hohes Tier von außerhalb zu einer Besprechung gekommen war.

»Übrigens hat sich Legassow mit Koslow in die Haare gekriegt. Dein Bett dürfte die nächste Zeit nicht mehr wackeln. Ich hab nicht mitbekommen, was los war, aber Koslow wollte wohl, dass da mehr draus wird. Ich hab sie streiten hören.«

Neugierig blickte Alexander den anderen an.

»Legassow hat gebrüllt, er sei kein Blauer und er soll still sein und ihn in Ruhe lassen.«

»Das heißt, er holt sich jetzt wieder allein einen runter?«, fragte er und war dankbar, dass Iljin das Thema gewechselt hatte. »Hauptsache, er macht mich nicht wieder an. Darauf kann ich verzichten.«

Der andere lachte und schüttelte den Kopf.

»Ich denke, das wird er nicht mehr tun. Er hat Ärger mit Nikitin bekommen, was ich so gehört habe. Außerdem betont er so sehr, dass er kein Blauer ist, dass er wohl doch wieder lieber nur seine eigene Hand nimmt. Auf noch mehr Drama hat er sicher keinen Bock. Koslow war wohl echt anstrengend. Zumindest haben sie vorhin echt laut im Waschraum gestritten.«

»Und ich dachte schon, du hättest sie belauscht«, nuschelte Alexander.

»Das war echt nicht nötig. Ich glaube, der halbe Saal hat sie streiten hören. Nikitin ist dann dazwischen gegangen und hat uns rausgeschmissen, um die beiden zusammenzufalten.«

»Bist du deshalb raus?«, fragte er leise und der andere nickte.

»Der kann echt laut werden«, erzählte Iljin. »Hätte ich nicht gedacht.«

Irgendwie konnte er sich das erschreckend gut vorstellen, aber er sprach es nicht aus. Nikitin wirkte auf ihn nämlich schon, als könne er richtig böse werden, wenn man ihn genug verärgerte. Dabei war er eigentlich immer ruhig und beherrscht. Außerdem hatte er das Gefühl, dass der Ältere ihn ziemlich früh durchschaut hatte. Anders konnte er sich nicht erklären, wieso er derart gezielt hatte nachfragen können. Die Art und Weise, wie Pyotr sich geäußert hatte, ging ihm allerdings erst jetzt nach dem Gespräch mit Valentin auf.

Eigentlich ergab sie nur Sinn, wenn Nikitin wusste, wovon er sprach. Vielleicht hatte er irgendwann auch einmal den Mut, ihn zu fragen.

 

Kälte

Zuletzt hatten einige Staaten ihre Unabhängigkeit verkündet und sogar im Institut hatten sie davon gehört. Die Weltordnung, die sie alle bislang gekannt hatten, zerfiel quasi direkt vor ihren Augen, während die Lehrer versuchten, eine gewisse Normalität zu erhalten. Das wurde zunehmend schwieriger, denn obwohl sie im Internat abgeschieden waren, blieb der Tratsch nicht aus. Mancher Kadett bekam eben doch etwas mit. Teilweise durch den Kontakt zu den Eltern oder anders.

Gleich zu Novemberbeginn passierte sehr vieles, was einige niemals für möglich gehalten hatten. Zum Beispiel wurde die kommunistische Partei verboten und der KGB aufgelöst.

Die oberen Jahrgänge waren es, die am besten informiert waren und es am beunruhigendsten fanden. Immerhin hatten sie sich darauf eingestellt, nach dem Institut direkt zum Militär zu gehen. Wie das werden würde, wenn die Sowjetunion endete, konnte sich niemand vorstellen. Aktuell zeichnete sich ab, dass es bald vorbei sein würde.

Alexander bekam mit, dass ihr Hausvater angespannt war. Saizew konnte er zunehmend häufiger mit Zeitungen beobachten. Manchmal sah er danach Nikitin mit den zerlesenen Seiten.

Wie der an sie herangekommen war, konnte er sich nicht erklären. Da half wohl nur, ihn zu fragen. Wie er das anstellen sollte, überlegte er eine Weile, doch ein paar Tage nach dem Verbot der Partei und der Auflösung des KGBs nahm er seinen ganzen Mut zusammen.

»Wie kommst du an die Zeitungen?«, fragte er Nikitin eines Abends im Waschraum.

Er war häufig einer der letzten Schüler, da er dem allgemeinen Gedränge gerne entging. Der Ältere sah immer nochmal nach dem Rechten. Für gewöhnlich sprachen sie dann kein Wort miteinander und schwiegen sich einvernehmlich an. Deshalb wandte der Größere sich ihm wohl auch irritiert zu.

»Saizew ist mein Onkel«, antwortete er lässig und Alexander blinzelte verdutzt. »Er ist der Bruder meiner Mutter und sein Sohn Adam ist noch recht klein. Er macht sich Sorgen, kauft Zeitungen ohne Ende und gibt sie mir, wenn er sie fertig gelesen hat. Wir geben sie im Saal dann weiter. Alle können sie lesen. Er meint, wir müssen wissen, was auf uns zukommt. Ausländische Presse wäre auch praktisch, aber da kommt er nicht ran.«

Die Information musste er erst verarbeiten. Das ein oder andere rückte dadurch in ein neues Licht.

»Warst du deshalb an meinem ersten Tag schon hier? Weil er dein Onkel ist?«

Nikitin verneinte kopfschüttelnd und die blaugrauen Augen waren für einen Moment voller Schmerz, ehe er eine Erinnerung beiseiteschob und sich abwandte.

»Ich wohne hier.«

Bitte was?, dachte Alexander verblüfft.

»Warum?«, sprach er den nächsten Gedanken laut aus.

»Weil meine Mutter ihn um Hilfe gebeten hat. Ich hab daheim rausgemusst. Rurik hat keinen Platz, hat aber ermöglicht, dass ich hier auch in den Ferien bleiben kann. War anfangs etwas schräg, doch ich habe mich daran gewöhnt.«

Er war zunehmend irritiert und das sah Nikitin ihm an. »Nicht nur dein Vater ist ein Arschloch, Medwedew.«

Das bezweifle ich nicht, begann er zu überlegen. Ich verstehe nur nicht, was du damit meinst!

»Sein bester Freund ist mir etwas zu nah gekommen und meine Mutter hat es echt scheiße gefunden, während er auf ihn gehört hat«, erzählte Pyotr. »Angeblich hätte ich ihn dazu verführt. Als würde ein Vierzehnjähriger es darauf anlegen, dass ein um so viel älterer Kerl ihn befummelt und flachlegt.« Alexander riss erschrocken die Augen auf. »Nie im Leben! Ich fand den Kerl echt widerlich und war verwirrt. Mein Alter hat mir nicht geglaubt und mich verprügelt. Ich hatte echt Angst, er bringt mich um. Meine Mutter wohl auch. Deshalb hat sie mit Rurik geredet und der hat dafür gesorgt, dass ich in den Ferien hierbleiben kann. Seitdem wohne ich hier.«

»So eine Scheiße«, murmelte Alexander.

Der Größere lächelte bitter.

»Ja, war es. Vielleicht bin ich deshalb darauf gekommen, was bei dir los war. Du versuchst, es dir nicht anmerken zu lassen und es zu überspielen, aber das gelingt dir nicht überzeugend genug. Ich habe dir angesehen, dass du mehr mit dir herumschleppst. Ich bin hellhörig geworden, als du das mit dem Zeug verkaufen erzählt hast. Irgendwie hat da für mich etwas in der Geschichte gefehlt. Vor allem, weil dein Vater kein Soldat ist.«

Verdattert sah er Nikitin an. »Wie meinst du das?«

»Eigentlich alle hier geben damit an, welchen Dienstgrad ihr Alter hat und wo er stationiert ist. Du tust das nicht. Iljins Vater ist Leutnant in Leningrad, also Sankt Petersburg. Du hast überhaupt nichts erzählt. Das war auffällig. Deshalb habe ich Rurik gefragt und der hat mir verraten, dass du eine der wenigen Ausnahmen hier bist und keinen Berufssoldaten in der Familie hast. Das kommt eher selten vor, weil die meisten, die nicht beim Militär sind, ihre Söhne dann doch lieber in andere Internate stecken.«

Ernst sah Alexander ihn an. »Ich weiß auch nicht, wer ihm das eingeredet hat. Er hat das im August irgendwie so entschieden.«

»Das ist das Nächste, was ich komisch finde. Dass du so kurzfristig aufgenommen worden bist. Rurik scheint da mehr zu wissen, hat’s mir aber nicht verraten. Alles sagt er mir dann doch nicht.« Sie blickten sich in die Augen. »Jemand hat da Beziehungen spielen lassen und dein Vater war es sicher nicht.«

»Ich hab dir doch gerade gesagt, dass ich es nicht weiß«, nuschelte er.

Pyotr lächelte schief.

»Das glaube ich dir. Du musst irgendeinen Gönner haben, der sich für dich eingesetzt hat.«

Er überlegte einen Moment.

»Der Gläubiger von deinem Vater war aber kein Soldat?«

Alexander wurde einmal mehr speiübel. Er hasste das Thema, weil es miese Gefühle bei ihm auslöste. Da es ihm die Kehle zuschnürte, schüttelte er einfach nur heftig mit dem Kopf. Falls er den Mund öffnete, würde er Pyotr garantiert vor die Füße kotzen.

Der Größere seufzte, machte völlig überraschend einen Schritt auf ihn zu und schloss ihn ohne Vorwarnung in die Arme.

»Jetzt bist du hier und damit sicher. Wenn dir einer Ärger macht, kommst du zu mir, verstanden?«

Erst stand er wie erstarrt da, doch als er die Worte verarbeitet hatte, nickte er.

»Mach ich«, murmelte er gegen die muskulöse Brust des Größeren.

»Ich pass auf dich auf! Vielleicht ein bisschen mehr als auf die anderen.«

Ohne zu ahnen, was das Gespräch für sein weiteres Leben bedeutete, beschloss er, dass sie jetzt wohl tatsächlich Freunde waren. Sie verband irgendwie etwas. Er wusste nicht, was es war. Dennoch war er sich sicher, dass es mehr war als ihre negativen Erfahrungen.

In irgendeiner Form verhielt sich Pyotr ihm gegenüber immer öfter wie ein großer Bruder. Na ja, vielleicht nicht ganz. Er nahm den Job des Paten sehr ernst. Die Älteren hatten generell wenig Interesse daran, dass es ernsthaften Streit gab, und schritten deshalb schnell ein, aber sobald es wirkte, als wolle irgendwer auf Alexander herumhacken, war er sofort als Beschützer zur Stelle.

Er fand es schön, solch gute Freunde zu haben.

Iljin war wie ein Zwilling und sie hatten echt viel gemeinsam. Mit Valeri kam er auch zurecht. Der hatte keinerlei Anstalten mehr gemacht, sich von irgendeinem seiner Mitschüler helfen zu lassen. Der Ärger mit Koslow hatte ihm gereicht. Auf ähnliche Verwicklungen hatte er offensichtlich keinen Bock mehr. Vielleicht hatte der Anschiss von Nikitin Eindruck hinterlassen. Was der Ältere im Detail gesagt hatte, wussten sie alle nicht, aber, dass es ein Gespräch gegeben hatte, war ihnen bekannt. Wahrscheinlich hatte er ihm gewaltig ins Gewissen geredet.

Es war nicht nur die Sowjetunion, die immer weiter zerfiel. Jugoslawien wurde ebenfalls von Konflikten heimgesucht. Einen Blick dafür, was dort passierte, hatte Alexander nicht, aber er wusste davon. Die politischen Geschehnisse waren wie ein Abbild dessen, was mit ihrer Heimat geschah. Absurderweise war es ein vergleichbarer Zerfall. Nicht erst dem Fall der Berliner Mauer wehte ein gewaltiger Wind der Veränderung durch die Länder, die einst dem Warschauer Pakt angehörten. Er tat es ebenso bei den Anrainern.

Nicht nur hinter vorgehaltener Hand sagten einige, dass der Kalte Krieg vom Sozialismus verloren worden war. Die Staaten zerlegten sich letztlich selbst, während es überall auf der Welt Auseinandersetzungen gab. Ruhe kehrte mit dem Ende des Kampfes der Systeme nicht ein. Stattdessen drängten sich andere Konflikte ins Scheinwerferlicht.

Seit dem Putschversuch rund um die Neuordnung der Union und den neuen Vertrag, der nicht unterschrieben worden war, hatten Estland, Lettland, die Ukraine, Moldawien, Kirgistan und Usbekistan ihre Unabhängigkeit erklärt. Parallel dazu geschah Vergleichbares in Jugoslawien. Das Wegbrechen ganzer Staaten innerhalb einstiger Vereinigungen machte vielen Angst. Furcht war allerdings ein schlechter Berater. Wahrscheinlich hätte man all das nur mit großer Gewalt verhindern können. Der Wind des Wandels blies heftig. Die Entscheidung, die Sowjetunion aufzulösen und stattdessen die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten zu gründen, war ein dicker Schlussstrich unter jene Ära. Der eigentliche Paukenschlag war jedoch der Rücktritt des Präsidenten und die Umwandlung in die Russische Föderation. Niemand wusste, wie es danach weiterging. Bis das Jahr vorbei war, gab es keine Sowjetunion mehr.

Allein wegen der ganzen Umbrüche wollten viele von ihnen nicht in die Ferien. Alexander hatte besonders wenig Lust darauf, zu Neujahr nach Hause zurückzukehren. Seinen Geburtstag dort zu verbringen war nichts, worauf er sich freute. Man ließ ihm allerdings keine Wahl.

Der Einzige, von dem er wusste, dass er nicht heimfuhr, war Nikitin. Der hatte jedoch angedeutet, stattdessen bei Onkel nebst Familie zu sein. Diese Option hatte er selbst leider nicht. Deshalb fand er sich tatsächlich in jener Woche um Neujahr genau dort wieder, wo er gar nicht mehr hinwollte. Viel lieber hätte er seinen Geburtstag mit Valentin im Institut gefeiert. Der hatte immerhin kurz nach ihm.

Die Unterhaltungen mit dem Alten waren verkrampft, doch er wollte wissen, wie es an der Schule lief. Er fragte Alexander über den Unterricht, den Sport und die Mitschüler aus. Was genau sein Erzeuger zu erfahren hoffte, wusste er nicht. Er erwähnte allerdings, dass er ein paar Freunde gefunden hatte, und erzählte von Petya und Valya.

Das schien auf Interesse zu stoßen. Über die beiden wollte der Alte gleich mehr hören und ihm dämmerte allmählich, warum er das tat. Recht sicher versuchte er, zu erfahren, ob sein ›abartiger‹ Sohn mit irgendwem näher in Kontakt gekommen war.

»Petya ist im Abschlussjahr und quasi mein persönlicher Pate«, begann Alexander beim Abendessen mit einer Erklärung. »Der Hausvater hat ihn gleich vom ersten Tag an auf mich angesetzt. Er verhält sich mehr wie ein großer Bruder. Valya kommt mir wie mein Zwilling vor. Er sieht fast aus wie ich und er hat ein paar Tage nach mir Geburtstag. Ich glaube, einige haben uns echt schon für Geschwister gehalten.«

»Was treibt ihr da in eurer Freizeit?«, fragte der alte Medwedew und er rollte genervt mit den Augen. Das brachte seinen Vater zum Brummen, da er es nicht leiden konnte, wenn Alexander respektlos war.

»Die Älteren rauchen und saufen heimlich«, plauderte er aus. »Wir spielen eher Brettspiele oder so. Allerdings haben wir nicht unbedingt viel Leerlauf.«

Sein Erzeuger wirkte zufrieden mit der Antwort. Sicher hatte er anderes befürchtet.

Was er ihm absichtlich verschwieg, war, dass seine Mitschüler sich teilweise doch anderweitig beschäftigten. Er wollte die Aufregung, die dadurch entstehen konnte, vermeiden. Eigentlich hatte er ja auch gar keine Lust, bei ihm zuhause zu sein. Immer war da die Sorge, dass der alte Medwedew ausflippen könnte.

»Hattest du schon Kontakt zu den Mädchen, die auf dem Gelände nebenan sind?«

Alexander schüttelte den Kopf. »In den letzten Wochen ist so viel passiert, dass ein paar der üblichen Veranstaltungen nicht stattgefunden haben, zu denen man sich sonst trifft.«

Der Alte nickte zustimmend und seufzte. Er arbeitete im Büro einer Firma, die Klopapier herstellte. Das war nicht spannend genug, um es den Mitschülern zu erzählen, deren Väter fast alle Offiziere oder dergleichen waren. Die Planwirtschaft war mit dem Ende der Sowjetunion Geschichte. Wie sich all das in Zukunft entwickeln würde, wusste noch niemand. Vielleicht würde es weitere Putschversuche geben oder größere Unruhen. Letztlich war alles ungewiss.

»Manche haben Angst, dass es das Institut nicht mehr lange gibt. Keiner weiß, wie es weitergeht. Petya wohnt dort. Er sagt es nicht, aber ich glaube, er hat echt Schiss.«

»Wieso wohnt er da?«

Die Frage war naheliegend und Alexander war nicht wirklich überrascht davon. Naiv wie er war, dachte er nicht darüber nach, bevor er antwortete.

»Er hat sich mit seinem Vater verkracht. Seine Mutter hat ihren Bruder um Hilfe gebeten. Der ist unser Hausvater, hat aber keinen Platz bei sich und irgendwie dafür gesorgt, dass es erlaubt wird.«

Der Alte blickte ihn argwöhnisch an.

»Wegen was hatte er solchen Ärger, dass er nicht mehr bei seinen Eltern wohnen kann?«

»Er ist ein Blauer«, antwortete Alexander knapp und sein Erzeuger hob sofort die Brauen.

»Du bist mit einem Blauen befreundet?«

Verunsichert schluckte er und nickte.

»Es gibt ein paar Blaue im Institut und du kannst dir sicher denken, warum«, nuschelte er. »Es gibt die, die von ihren Vätern hingeschickt werden, weil sie selbst dort waren und sich erhoffen, dass sie eine ähnliche Laufbahn einschlagen. Na ja, und die, die dort zu richtigen Kerlen werden sollen. Deshalb hast du mich doch auch hingeschickt oder nicht?«