Herr Rusterholz mag keine Zwiebeln - Jürg Bolliger - E-Book

Herr Rusterholz mag keine Zwiebeln E-Book

Jürg Bolliger

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Beschreibung

Die Geschichten in diesem Buch handeln von Menschen, ihren Eigenarten, ihren Macken. Zum Beispiel Herr Rusterholz. Er arbeitet seit dreiundzwanzig Jahren beim Bundesamt für Statistik, sammelt Briefmarken und geht Zwiebeln aus dem Weg. Er ist ein Eigenbrötler. Und dann, an einem Freitag im November, geschieht etwas, das noch nie geschehen ist: eine Frau spricht ihn an.

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Seitenzahl: 64

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Jürg Bolliger

Herr Rusterholz mag

keine Zwiebeln

und andere Geschichten

Books on Demand

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“

Die Personen und Handlungen der Geschichten in diesem Buch sind frei erfunden.

Herr Rusterholz mag keine Zwiebeln

Nein, Mama

Kurmanns Tod

Irgendwann

Kaffee schwarz mit Zucker

Diana

ICE 73

Die App fürs Leben

Auf dem Gleis

Warum Stehaufmännchen hinfallen müssen

Herr Rusterholz mag keine Zwiebeln

Herr Rusterholz mag keine Zwiebeln. Er hatte sie noch nie gemocht. Auch damals, als er noch ein Kind war, nicht. Seine Mutter hatte die Verordnung erlassen, alles, was auf den Tisch komme, sei zu essen. Und Zwiebeln waren nicht selten auf dem Esstisch der Familie Rusterholz. Meistens klein gehackt und vermischt mit den restlichen Speisen. Mutter versuchte so, ihm Zwiebeln unterzujubeln. Er hatte es immer bemerkt. Er musste sie immer essen. Widerstand war zwecklos. Mutter verfügte über die absolute Souveränität in der Familie. Vater machte keine Anstalten, ihr dies streitig zu machen.

Seit der Kindheit waren etliche Jahre vergangen. Herr Rusterholz durfte nun selbst über sein Leben bestimmen. Auch darüber, was auf seinen Teller kam und darüber, wieviel er davon zu essen hatte. Noch nie hatte eine Zwiebel den Weg in seine Dreizimmerwohnung gefunden. Ein zwiebelfreies Leben, das war für Herrn Rusterholz gleichbedeutend mit einem glücklichen Leben.

Schon dreiundzwanzig Jahre arbeitete er beim Bundesamt für Statistik. Die Arbeit begeisterte ihn nicht sonderlich. Seit dreiundzwanzig Jahren half er mit, Statistiken zu erstellen, deren Nutzen er nicht kannte. So verdiente er das Geld, mit dem er sein Leben finanzierte. Er hatte keine Idee, was er sonst arbeiten könnte. Deshalb würde er wohl bis zu seiner Pensionierung mithelfen, Statistiken zu erstellen, deren Nutzen er nicht kannte.

Am Mittag ging er nie mit seinen Kollegen essen. Im Sommer, bei schönem Wetter aß er draußen auf einer Parkbank ein Sandwich. Sonst wärmte er mitgebrachtes Essen in der Mikrowelle, die das Bundesamt im Pausenraum zur Verfügung stellte, und setzte sich alleine in eine Ecke des Raums, um die aufgewärmte Mahlzeit zu verzehren. Außer von ihm und ein paar Lehrlingen wurde der Pausenraum während der Mittagszeit nicht benutzt. Die Lehrlinge hatten es lustig miteinander und kümmerten sich nicht um den in der Ecke sitzenden Herrn Rusterholz. Und er nicht um sie.

Die Wochenenden verbrachte er vor dem Fernseher und mit seiner Briefmarkensammlung. Manchmal sah er auch einfach aus dem Fenster und fragte sich, was die Nachbarn in ihren Wohnungen wohl machten, wenn sie keine Briefmarkensammlung besaßen und nicht fernsahen.

Nun geschah es, dass er an einem Freitag im November eine Frau sah. Er befand sich auf dem Heimweg im Eisenbahnabteil, das er sich ausgesucht hatte. Meist gab es keine leeren Abteile mehr, wenn er den Zug bestieg. Er suchte sich dann Mitreisende aus, bei denen das Risiko, in ein Gespräch verwickelt zu werden, möglichst klein war. Diesmal war es ein schlechtrasierter Mann um die Dreißig, der im Zug Schlaf nach- oder vorholte. Das war ein Glückstreffer, so musste Herr Rusterholz nicht fragen, ob der Platz, auf den er sich setzen wollte, noch frei sei. Schlafende fragt man nicht.

Beim nächsten Halt stieg sie ein. Die große, schwarzhaarige Frau, deren Gewicht sich, wie sein eigenes, an der oberen Grenze des Ideals befand. Herr Rusterholz hatte noch nie eine Freundin gehabt. In den meisten weiblichen Geschöpfen sah er das Bild seiner Mutter, die ihn genötigt hatte, Zwiebeln zu essen. Und nun saß er dieser Frau gegenüber, die ihn leicht verlegen betrachtete. Erst hatte er seinen Blick diskret abgewendet, so getan, als merke er nicht, dass sie ihn ansah. Sie ließ sich nicht davon abhalten, ihn zu betrachten. Obwohl es ihm unangenehm war, fühlte er sich von ihr angezogen. Er konnte sich nicht erklären, woran es lag, doch er wusste, wenn es eine Frau für ihn geben sollte, dann war es sie. Er hatte nie gelernt, wie man Frauen anspricht. Und es gehörte nicht zu seiner Art, Neues auszuprobieren.

Der Zug hielt, Herr Rusterholz erhob sich und stellte sich in die Menge, die langsam Richtung Ausgang quoll. Erst draußen auf dem Perron bemerkte er, dass die schwarzhaarige Frau den Zug auch verlassen hatte. Plötzlich stand sie neben ihm. Sie heiße Marlen, meinte sie unvermittelt. Herr Rusterholz erschrak über so viel weibliche Direktheit. Sie sprach weiter, bevor er etwas dazu sagen oder sich vorstellen konnte. Ob er an Liebe auf den ersten Blick glaube, wollte sie wissen. Er könne das nicht beurteilen, antwortete Herr Rusterholz. Sie glaube, sie habe sich in ihn verliebt, meinte Marlen weiter. Etwas umständlich erwiderte Herr Rusterholz, er fände sie durchaus auch sympathisch. Sie einigten sich darauf, sich zu verabreden, um sich besser kennenzulernen.

Als Marlen einen gemeinsamen Besuch des Berner Zibelemärits1 vorschlug, war die sich anbahnende Beziehung vorzeitig beendet..

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1 Der Zibelemärit (Zwiebelmarkt) ist der grösste Markt in Bern, der jeweils am vierten Montag im November stattfindet. Ein grosser Teil des Sortiments besteht aus Zwiebelzöpfen, Zwiebelkränzen und Zwiebelfiguren.

Nein, Mama

Nein, Mama, ich habe keine Zeit.“

In seiner Stimme klingt wenig Überzeugung und kaum hat er den Satz in sein Mobiltelefon gesprochen, melden sich Stimmen in seinem Kopf.

Du darfst doch deiner Mutter nicht widersprechen. Was meinst du eigentlich, wer du bist? Sie hat dich großgezogen. Du bist undankbar. Und du bist schuld, wenn es ihr jetzt schlecht geht.

Seine Mutter schweigt, was die Wirkung der Stimmen verstärkt. Er weiß, wie ihr Gesicht nun aussieht. Gerunzelte Stirn, Augen, die tiefste Verachtung ausdrücken, und Lippen, die sich zu einem Schmollmund geformt haben.

Soll er sich einem Wunsch seiner Mutter widersetzen? Zum ersten Mal in seinem Leben. Bisher hat er ihre Forderungen erfüllt. Immer. Meist mit wenig Lust und viel Widerwillen, doch er hat ihr gehorcht. So wie er es schon als kleiner Junge getan hatte.

An seinen Vater, der früh verstorben ist, kann er sich nicht erinnern. Die Erinnerungen an Mutter sind dafür umso präsenter. Wollte er etwas, das ihr nicht in den Kram passte, bekam sie Kopfschmerzen oder ein anderes Leiden. Und sie verstand es, ihn spüren zu lassen, dass er der Auslöser ihrer Schmerzen war. Kein Kind will, dass seine Mutter leidet. Und kein Kind will schuld daran sein. So lernte er früh, sein Leben nach den Wünschen seiner Mutter auszurichten.

Mit fünfundzwanzig zog er von zu Hause weg. Er hatte einen Job in Zürich gefunden. Mutter gab ihre Einwilligung nur, weil er ihr versprochen hatte, sich täglich telefonisch bei ihr zu melden. Dieses Versprechen hat er bis heute eingehalten - während bald vier Jahren.

Nun verlangt sie, dass er mit ihr am Samstag Onkel Arthur besuchen gehen soll. Onkel Arthur, Mutters älterer Bruder, liegt nach einer Darmoperation im Krankenhaus.

Onkel Arthur mochte er noch nie. Trotzdem würde er diesen Besuch mit seiner Mutter machen – keine Frage. Wäre da nicht Denise. Er hat sie vor einer Woche kennengelernt und sich zum Abendessen verabredet - für Samstag. Zum ersten Mal in seinem Leben ist er verliebt. Mindestens fühlt er etwas, das er bisher noch nie gefühlt hat und das er als Verliebtsein interpretiert.

Und jetzt sind da die Stimmen in seinem Kopf, die er nur zu gut kennt: Du darfst nicht… Du musst…

Sein Herz kämpft gegen diese Stimmen an. Leider hat er wenig Erfahrung im Umgang mit der Stimme seines Herzens. Daher ist es fraglich, ob sein Herz den verzweifelten Kampf gegen die kritischen Stimmen in seinem Kopf gewinnen wird. Vielleicht. Und wenn nicht heute, dann ein andermal.

Kurmanns Tod

„Der alte Kurmann ist die Treppe runtergefallen. Tot.“