Herz über Bord: Ein Weihnachtsmann fällt ins Wasser - Amelia Lemon - E-Book

Herz über Bord: Ein Weihnachtsmann fällt ins Wasser E-Book

Amelia Lemon

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Beschreibung

Wenn ein Millionär mit Erinnerungslücken auf deiner Couch schläft, kannst du sämtliche Pläne für ein ruhiges Weihnachtsfest über Bord werfen. Krankenschwester Amber hat einiges auf dem Herzen und wenig auf dem Konto. Als sie bei einer Jachtparty auf Pierce trifft, den reichsten Grinch aller Zeiten, ist es Abneigung auf den ersten Blick. Doch das ist erst der Anfang! Ein kleiner Schubs von Pierce … und beide tauchen kopfüber ins Meer. Im Krankenhaus treffen sie erneut aufeinander. Allerdings hat Pierce sein Gedächtnis verloren, und Amber, die rachsüchtige Retterin, nimmt ihn kurzerhand mit zu sich nach Hause. Soll der Millionär doch mal erfahren, was Armut bedeutet! Was folgt, ist ein amüsanter Abstieg in den Alltag von Amber und ihren beiden Töchtern. Doch Amber kann das Geheimnis nicht ewig verbergen, vor allem, da Pierces echtes Leben gerade so richtig den Bach runtergeht. Die Spannung steigt, die Lügen fliegen, und plötzlich gibt es weiße Weihnachten in Florida! Doch was wird aus Pierce und Amber, wenn ihre Welten letztendlich kollidieren?    Eine herzerwärmende Liebeskomödie, die zeigt, dass das Leben die besten Überraschungen bereithält – auch wenn sie im Weihnachtsmannkostüm daherkommen!  

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herz über bord

EIN WEIHNACHTSMANN FÄLLT INS WASSER

AMELIA LEMON

Für alle, die Goldie Hawn genauso lieben wie ich

eins

SCHUBLADEN UND ALLES DAZWISCHEN

Es gibt Menschen mit Geld.

Es gibt Menschen mit viel Geld.

Und es gibt die Schnösel mit zu viel Geld.

Gut zwei Dutzend von diesen Snobs, die die Welt echt nicht braucht, hatten sich auf dieser schwimmenden Villa versammelt. Die Yacht war so groß, dass sie nicht mal richtig an den Ankerplatz ihres verträumten Hafenstädtchens Wintervern, an der Küste Floridas, passte. Die Gangway war ein schwankender Steg, so steil wie ein Ski-Abhang. Die Gäste würden in Port Banes wechseln, dort war man eher auf solche überdimensionalen Kähne, nur ein Level unter dem Kreuzfahrtschiff, vorbereitet. Drei Tage würde die Jamaika vor der Küste kreuzen, IT-Girls, Influencer und wusste der Kuckuck nicht noch alles sich gegenseitig hochleben lassen und mit Elektronikzeugs beworfen werden.

So hatte es zumindest Amber verstanden.

Das hier war eine dreitägige Party, organisiert von einem Tech-Millionär, der sein neuestes Produkt an ausgesuchte feine Pinkel verschenkte und darauf spekulierte, dass die es auf ihren Instagram- und TikTok-Accounts bewarben.

Obwohl die letzten Gäste gerade mal vor einer Stunde eingetroffen waren, hämmerte die Musik aus den Boxen und wurde trotzdem von dem Gegröle der ersten Betrunkenen übertönt. Welche, die sich für besonders witzig hielten, hatten sich Weihnachtsmützen und Rentierohren aufgesetzt oder sogar ein Elfenkostüm angezogen. Auch die Yacht war weihnachtlich geschmückt, mit grünen Girlanden und Tannenbäumen. Echten Tannenbäumen. Nicht solchen mickrigen Palmen, wie sie Amber zu Hause mit Kugeln behängte, weil in Florida nun mal keine Tannenbäume wuchsen und diese hier vierhundert Dollar kosteten.

Was genau hatte Amber in ihrem Leben bloß falsch gemacht, um nun aufpassen zu müssen, dass sturzbetrunkene D-Promis nicht von der Yacht ins Wasser fielen?

Ach ja, sie gehörte nicht in diese Kategorie Mensch. Sie besaß keinen Instagram-Account und gerade in den letzten Tagen eines Monats fast immer einen negativen Kontostand.

Sie konnte froh sein, dass der Veranstalter so vernünftig gewesen war, eine Handvoll Rettungsschwimmer zu buchen. Wenn sie ihrem Boss Robert glauben durfte, zahlte ihr Auftraggeber einen irrsinnig hohen Stundensatz dafür, dass die Rettungsschwimmer die ganzen drei Tage an Bord blieben. Es war übrigens nach ihrer Sicht kein Gehalt. Es war Schmerzensgeld. Vielleicht auch Schweigegeld.

Amber war sich ziemlich sicher, dass hier einige handfeste Skandale stattfinden würden.

Dort knutschte eine Blondine, die mit ihrer auftoupierten Frisur aussah, als wäre sie direkt aus den Achtzigern getürmt, mit einem vorhin noch eher distinguiert wirkenden Mittfünfziger herum. Daneben stand der Typ, von dem Amber glaubte, dass er der Ehemann der Achtzigerjahre-Blondine war, und legte dem älteren Herrn die Hand auf den Hintern, während dieser wiederum was im Ausschnitt der Blondine zu suchen schien. Dabei drückten sie sich an die Reling. Amber beugte sich zur Seite, um zu sehen, ob sie Gefahr liefen, in ihrem Fummelwahn über das Geländer zu kippen.

»Man könnte genauso gut den Pornokanal anschalten«, sagte plötzlich eine Stimme neben ihr, und Amber machte einen erschrockenen Satz. Sie stieß mit der Hüfte gegen die Brüstung und rieb sich die malträtierte Stelle.

»Ich weiß nicht, warum sie den Kahn ›Jamaika‹ getauft haben, wenn ›Sodom‹ oder ›Gomorrha‹ so viel passender wären«, murmelte Amber.

Shanna zuckte die Schultern. »Immerhin kann ich wegen denen Weihnachtsgeschenke kaufen, ohne dabei in jedem Laden vor Hysterie über die Kreditkartenabrechnung in Ohnmacht zu fallen.«

Das war wohl der Grund, warum überhaupt jemand von ihnen zugesagt hatte. Amber sah ihren Chef Robert auf ein Pärchen einreden, damit sie gefälligst wieder hinter die Reling kamen. Die hielten sich nämlich gerade für Leonardo DiCaprio und Kate Winslet.

»Ich bin die Königin der Welt«, kreischte ›Kate‹, und Robert schwang sich über das Geländer, packte sie kurzerhand um die Taille und hievte sie zurück. Sehr zum Unmut von ›Leo‹, der so gar nicht wie Leo aussah. Eher wie sein glatzköpfiger Bruder.

»Lass sie los, sonst erlebst du, dass ein Eisberg ’ne Rutschbahn gegen mich ist!«, brüllte der kahle Leo.

»Sollten wir ihm helfen?«, fragte Shanna und klang dabei so lustlos, wie sich Amber fühlte.

Allerdings wurde Robert von dem schwankenden Leo am Kragen gepackt, und nun löste sich Amber widerwillig aus ihrer Starre.

»Pass auf die auf«, sagte sie zu Shanna und deutete auf das knutschende Dreier-Gespann, bevor sie sich an denen vorbeidrückte.

Die konnten froh sein, dass sie annahm, die Hand, die ihr prompt am Hintern fummelte, hätte sich verirrt, sonst musste sie heute wirklich ins Wasser springen und jemanden retten – weil sie ihn hineingeworfen hatte!

Amber stieg über kreuz und quer hingeschobene Sonnenliegen, umrundete einen Haufen Erbrochenes und wich einem Bediensteten aus, der Eimer und Mopp heranschleppte. Spontan überkam Amber Dankbarkeit, lediglich eine Rettungsschwimmerin und keine Kellnerin zu sein.

›Leo‹ versuchte immer noch, mit Robert zu ringen. Doch Robert hielt ihn von sich weg, wich den Fäusten aus, und seiner geballten Hand nach zu urteilen, konnte er nur mühsam gegen den Drang ankämpfen, das Ganze mit einem Hieb auf das Kinn des Glatzköpfigen zu beenden.

»Jetzt reißen Sie sich zusammen!«, befahl er.

»Ich habe gesehen, wie du Sarah belästigt hast, du kleiner Baywatch-Gnom!«, donnerte ›Leo‹.

Robert wurde blass, aber bestimmt nicht, weil er sich schämte. Sie kannte Robert lang genug – er schäumte vor Wut. »Ich habe sie nicht belästigt. Ich habe sie aus der Gefahrenzone gezerrt, ich –«

»Er hat mir an die Titten gefasst«, schrillte Sarah.

»Hat er nicht«, widersprach Amber und zwang ihre Stimme, ruhig zu bleiben. »Ich habe die ganze Zeit zugesehen, außerdem –«

»Außerdem steckt ihr alle unter einer Decke«, behauptete Sarah.

»Das fehlte noch«, entfuhr Amber. Die nahmen ihr das mit der Decke hier zu wörtlich. Sie hatte einen Blick in die Kabinen geworfen, und selbst ein Puff war dezenter dekoriert.

»Was ist hier los?«, schnarrte eine tiefe Stimme, die in Amber ein unwillkürliches ›Ach‹ auslöste. Sie liebte volltönende Männerstimmen, aber meistens konnten besagte Männer nicht mit der Attraktivität ihres Basses mithalten. Also rechnete Amber wirklich nicht mit dem, was sich ihr bot, als sie sich umdrehte.

Vor ihr stand Santa Claus. Er trug einen weinroten Anzug mit Schnallen, die mit Smaragden besetzt waren. Es waren garantiert nicht nur grüne Steine. Nein, wer sich hier als Santa Claus verkleidete, schleppte so viel Geld an seinem Körper mit sich herum, wie er als Gegenwert nicht mal im Geschenkesack hatte. Nur hatte er nicht wie die meisten Santas eine Plauze, und die Mütze hatte er auch vergessen. Sein Bart war nicht lang und weiß, sondern kurz und braun. Seine Augen, bei allen Weihnachtswundern, diese Augen. Dunkel wie Holzkohle und sichtlich genervt. Eine Emotion, mit der sie sich spontan verbrüderte.

»Deine Aufpasser sind verdammte Spielverderber, Pierce«, beschwerte sich ›Leo‹.

»Er wollte den Eisberg nicht nur als Erstes knutschen, sondern hinschwimmen«, petzte hingegen Amber.

Pierce runzelte die Stirn. »Was?«

»Den Eisberg zuerst knutschen und hinschwimmen«, wiederholte Amber.

Santa Claus starrte sie verständnislos an. »Wir sind in Florida. Es gibt hier keine Eisberge. Sind Sie betrunken?«

Der Typ hatte jedenfalls schon mal keinen Humor. Als dieser Pierce sich vorbeugte, um an ihr zu schnüffeln, trat sie instinktiv zurück und atmete dabei versehentlich seinen Duft ein. Holzig. Mehr konnte sie nicht feststellen, denn der Blick in seine Augen ließ ihren Magen einen Salto hinlegen, und das war genauso unangenehm, wie es sich anhörte.

»Bisschen schlechter Atem, aber von Alkohol keine Spur«, stellte er fest. »Also vielleicht Drogen?«

Ehe Amber wusste, was ihr geschah, umfasste er ihr Kinn und kam ihr noch näher. Seine Nasenspitze berührte beinahe ihre, sein Atem strich über ihre Lippen, und sie stieß ihm mit aller Kraft die Hände gegen die Brust. Er musste sie loslassen, und beim Zurücktaumeln prallte er mit Sarah zusammen.

»Ihr Atem sollte Ihnen mehr Sorgen machen als meiner«, presste Amber heraus. »Wir versuchen, unseren Job zu machen. Wir sorgen für die Sicherheit.«

Santa, äh, Pierce rückte sich die Jacke zurecht, und wenn sie richtig gesehen hatte, dass zwischen den Knöpfen seine gebräunte Haut zum Vorschein kam, dann trug der nichts drunter!

»Sie sollen natürlich für die Sicherheit sorgen, aber Sie sollen nicht die Gäste behelligen«, erklärte er ihr mit einer solchen Herablassung in der Stimme, dass sie ihn am liebsten nach seiner Rute gefragt hätte. Damit sie ihm den Popo vollhauen konnte!

»Wenn jemand von Ihren Gästen über die Reling klettert, ist es unsere Aufgabe, sie zu behelligen. Oder sollen wir zusehen, wie sie ins Wasser fallen, und sie dann erst rausholen?«

»Sie sollen diskreter sein und weder die Gäste noch den anbrüllen, der Sie engagiert hat.« Er sagte es so ruhig, dass Amber sich einen Moment lang fragte, was er überhaupt meinte. Und dann fiel es ihr auf. Inzwischen starrten wirklich alle zu ihnen und das mit Sicherheit nicht, weil sie sich in normaler Lautstärke stritten. Amber wusste, wie laut sie manchmal werden konnte. Mist, verfluchter. Dieser Kerl war ihr Auftraggeber. Er war der, der sie bezahlte.

Zum Glück schob sich Robert vor sie und hob die Hände. »Es tut mir leid, dass Amber Sie angeschrien hat, sie meint es nur gut. Sie macht sich Sorgen um Sie und Ihre Gäste«, redete Robert begütigend auf diesen selbstgefälligen Kerl ein. »Einigen wir uns darauf, dass einfach alle hinter der Reling bleiben. Wir müssen immerhin drei Tage miteinander auskommen.«

»Sie meinen wohl, dass Sie und Ihre Leute drei Tage mit uns auskommen müssen, andernfalls sieht keiner von Ihnen einen Cent.«

Amber ballte die Fäuste und biss sich so fest auf die Lippe, bis sie das Blut schmeckte. Sie platzte sonst mit allen Beleidigungen heraus, die ihr in den Sinn kamen. Sie machten ihren Job, verflucht noch eins. Und dafür sollten sie sich nicht rechtfertigen müssen. Sollten sie die Idioten hier mit einem Glas Schampus hinter die Reling zurücklocken, oder wie? Da waren ihr ja Affen lieber, die nahmen wenigstens Bananen und fragten sie nicht danach, ob die wirklich Bio und auf einer goldenen Plantage geerntet worden waren, Herrgott noch eins.

zwei

REICHTUM IST KEIN ZUCKERSCHLECKEN

Vielleicht – nur vielleicht – war er zu hart gewesen. Pierce schluckte jegliche weitere Beschwerde hinunter und drehte den Rettungsschwimmern den Rücken zu. Er überquerte das Deck, um in den Schatten der Kabinen zu kommen. Die Sonne knallte regelrecht vom Himmel, und in dem Kostüm war ihm einfach nur elend heiß, aber so schnell kam er aus dem Ding nicht raus. Vor allem musste er es morgen wieder anziehen!

Wer brauchte bitte schön drei Tage lang Bescherung? Es war ja nicht mal Weihnachten, sondern erst der achtzehnte Dezember. Er hätte nicht gedacht, dass etwas so Langweiliges wie Rasierapparate zum Lifestyle-Produkt gemacht werden musste. Entweder man rasierte sich oder eben nicht. Und entweder man nahm dafür einen guten Rasierer oder eben nicht.

Nur widerwillig hatte Pierce zugelassen, dass seine Marketingabteilung das neueste Modell des bisher zuverlässigsten Elektrorasierers ihrer Marke als ›Prestige Shaver ZZ9000‹ bezeichnete und den Preis auf neunhundert Dollar festlegte, obwohl die Herstellungskosten nicht mehr als fünfzig Dollar betrugen. Genauso irrsinnig hatten sie die Preise für die anderen Produkte festgesetzt und versuchten nun, Thornington Shaving als Hersteller für Luxus-Pflegeartikel zu vermarkten.

Er konnte kaum beschreiben, wie sehr er es hasste, diesen blöden Anzug tragen zu müssen. Oder wie innig er solche Partys verabscheute. Aber wenn man sie schmiss, hatte man wenigstens ein wenig Einfluss darauf, wie arg sie entgleisten. Gleichzeitig war es, wie einen Sack Flöhe hüten zu müssen. Flöhe auf LSD. Hoffentlich hatte diesmal niemand Drogen an Bord geschmuggelt. Pierce hatte keine Lust, schon wieder die Cops bestechen zu müssen. Bisher hatte er immer Glück gehabt und war nicht auf Beamte getroffen, die es mit den Vorschriften zu genau genommen hatten.

Dafür schien die Rettungsschwimmerin umso mehr die Oberlehrerin heraushängen zu lassen. Er brauchte Sicherheitspersonal und keine Moralapostel.

Es reichte, wenn er sich diesen Irrsinn ansehen musste, da wollte er ihn sich nicht als Vortrag aufbereitet anhören. Das hier war ihr Job. Wenn die alle in der Nacht komplett aufdrehten, fiel sie doch in Ohnmacht und musste dann selbst aus dem Pool oder dem Ozean gefischt werden.

Warum zum Teufel regte er sich überhaupt so auf? Die Rettungsschwimmer würden ihren Job machen. Die Party würde in drei Tagen vorbei sein, und er konnte sich endlich wieder in New York verkriechen. Fernab von diesen geballten Eitelkeiten.

Ein Kellner nahte mit einem Tablett, auf dem er ein einzelnes Glas Whiskey mit Eis balancierte. Pierce lehnte es mit einer Handbewegung ab und bedeutete ihm, wieder zu verschwinden.

Wenn der Garçon darüber beleidigt war, dass Pierce seinen vorauseilenden Gehorsam nicht würdigte, ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Der wusste, wie man sich als Angestellter benahm.

Pierce richtete seinen Anzug und wollte sich durch die Tür unter Deck davonstehlen, als sich zwei Frauenarme um seinen Hals schlangen. Eine Wolke duftenden Parfums – Rosen und Patschuli – umwehte ihn, und ein weicher Körper schmiegte sich an seinen. Sie trug ein Elfenkostüm, dessen Rock ihr gerade mal über die Pobacken reichte, hohe dunkelgrüne Stiefel und ein ebenso grünes Bikini-Oberteil mit weißem Flausch.

»Das wird so cool«, meinte Jacky seufzend, die eigentlich Jaqueline Rosewood hieß. »Ich hoffe nur, Violet kommt endlich!«

Pierce lächelte verkniffen. Er konnte Violet nicht leiden, und Jacky wusste das nur zu gut. Die Aussicht, drei volle Tage mit ihr auf diesem Kahn eingesperrt zu sein, bescherte ihm nervöses Zucken im Augenlid.

»Warum machen wir das noch mal?«, fragte er.

Jacky stupste ihm gegen die Brust. »Ach, Dummchen. Wie oft muss ich es dir denn erklären? Was ist? Hat sich dein Gehirn in ein Sieb verwandelt?«

Sie küsste ihn neckend auf den Mundwinkel, und er lachte. »In der Hinsicht schon. Immer wieder frage ich mich: Warum das Ganze? Die Erklärung kenne ich, schwachsinnig finde ich es trotzdem.«

»Du willst also sagen, dass meine Pläne Schwachsinn sind.« Jackys neckender Tonfall hatte sich verloren, stattdessen klang sie schnippisch. Pierce verkniff sich mit Mühe ein abgrundtiefes Seufzen. Jacky nahm immer alles persönlich. Als er das erste Mal gesagt hatte, dass er ihren Plan mit der Party auf der Yacht grauenhaft fand, hatte sie eine Woche lang nicht mehr mit ihm gesprochen. Dabei hatten ihre Argumente durchaus Hand und Fuß. Das war ja das Furchtbare daran. Sie hatte recht, und es ging ihm gewaltig gegen den Strich.

»Du musst der Welt endlich dein Gesicht zeigen«, sagte Jacky und wiederholte damit das, was sie ihm schon so oft gesagt hatte. »Du hast ein so hübsches Gesicht. Du musst im Fokus der Gespräche stehen, damit deine Firma in den Mittelpunkt rückt.«

Pierce’ Vater hatte das geschafft, ohne sein Privatleben an die Öffentlichkeit zerren zu müssen. Er hatte sogar dafür gesorgt, dass es keine Bilder von Pierce gab, bis dieser sich selbst für ein Leben vor aller Welt entscheiden würde. Bisher hatte das Pierce nie getan. Aber weil die Verkaufszahlen seiner Firma besorgniserregend rückläufig waren, musste er etwas ändern. Die Werbewelt hatte sich geändert. Statt Kataloge gab es Influencer. Und von denen waren zwanzig auf der Yacht. Sie würden an drei Häfen anlegen, und jedes Mal würden diese ach so hippen Online-Markenbotschafter von Bord gehen und andere dazukommen. Jeden verflixten Tag würde er diese ›Bescherung‹ machen. Er würde den überteuerten Elektrorasierer als Geschenk verteilen, und besagte Influencer hoffentlich so enthusiastisch auf ihren Kanälen davon erzählen, dass ihm die Konsumenten das Zeug aus den Händen rissen. Obwohl sie sich von dem Geld eigentlich Essen, neue Klamotten oder einfach ein besseres Leben kaufen könnten. Eine Strategie, die Jacky inzwischen nahezu perfektioniert hatte. Er gab es nur ungern zu, aber an ihren ständig steigenden Umsätzen sah man, dass sie recht hatte.

»Das nächste Mal besorge ich mir einen Doppelgänger«, brummte er.

Jacky drückte sich an ihn. »Schlag dir das mal aus dem Kopf, Pierce. Es sei denn, du willst, dass der auch in meinem Bett deine Rolle einnimmt.« Sie legte den Kopf schief, und ihre Augen funkelten. »Oder noch besser, ich habe dich dann einfach zweimal in der Kiste.«

Pierce hob die Hand. »Okay, für dich mag die Aussicht einen Reiz haben. Für mich ist das ja schlimmer als der Nussknacker in der Horrorversion.«

Sie lachte, legte ihm die Hand in den Nacken und gurrte ihm ins Ohr. »Ich verspreche dir, das werden die besten drei Tage deines Lebens.«

Na, ihr Wort auf Santas Wunschzettel.

Jacky klopfte ihm auf die Brust und deutete auf den Sack, der hinter der Tür stand. »Und jetzt raus mit dir. Wir legen bald ab, und es wird Zeit für die erste Runde der Bescherung.«

Ganz toll. Warum hatte er nicht seine Firma verkauft, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte? Ach ja, weil er dann einfach das Lebenswerk seiner Eltern verscherbelt hätte, und immerhin hatte ihm die Geschichte eine Freundin eingebracht, die in Sachen Marketing mehr von der modernen Welt verstand als er. Und was als Zweck-Partnerschaft begonnen hatte, mündete schlussendlich im Bett. Jacky war eine schöne Frau. Sein Vater hätte ihm zu dieser Wahl gratuliert. Seine Mutter hingegen hätte nur den Kopf geschüttelt. Sie hatte Jacky schon nicht gemocht, als sie beide noch im Sandkasten gespielt hatten.

Seufzend hievte er sich den Sack über die Schulter. »Okay, Weihnachtselfe, dann fangen wir mal an, die Hyänen zu füttern.«

Jacky rückte ihre Mütze zurecht und richtete den gewagten Ausschnitt ihres Kostüms. Als er durch die Tür gehen wollte, hielt sie ihn allerdings auf. »Warte noch. Wir müssen ein bisschen was optimieren.«

Und mit diesen Worten riss sie an seiner Jacke, dass die Knöpfe absprangen und seine Brust freilag.

»Findest du nicht, dass du ein wenig übertreibst?«, fragte er unbehaglich.

Jacky grinste. »Sex sells, erst recht bei einem solchen Body.«

Sie versetzte ihm einen Schubs und drängte ihn gegen die Tür. Immerhin konnte er sie aufziehen, bevor Jacky ihn in ihrem Übereifer womöglich noch mit der Nase dagegen donnerte. Hoffentlich wurde diese rüde Art nicht zur Gewohnheit, sonst musste er seine Unfallversicherung anpassen. Zahlten die auch bei häuslicher Gewalt? Pierce sah seine Mutter vor seinem inneren Auge den Kopf schütteln, und einen Moment lang war es so real, als stünde sie wirklich vor ihm und hielte von Jacky nicht das Geringste. Es versetzte ihm einen Stich. Seine Mutter hatte immer davon gesprochen, dass sie eines Tages sehen wollte, wie er heiratete. Nun würde sie es nicht mehr erleben. Denn so praktisch eine Beziehung mit Jacky war, er würde sie im Leben nicht heiraten wollen. Alles, was sie taten, sah auf den Bildern in den sozialen Netzwerken romantisch aus, in Wahrheit war es eine lose Affäre, von der sie beide profitierten. Es war nur ein Spektakel, und er hasste es, dass er eine der Hauptrollen spielen musste.

drei

BESCHERUNG MIT GÄNSEHAUTFAKTOR

Amber saß auf dem Hocker, auf dem sie Robert abgeladen hatte. Sie hockte dicht an der Reling und hatte einen ausgezeichneten Blick über das Oberdeck. Nach seinen Worten sollte sie sich erst von ihrem Platz rühren, wenn wirklich jemand ins Wasser fiel, und wehe, sie warf demjenigen den Rettungsring nicht zu, sondern aus Frust an den Kopf.

Als ob sie so etwas machen würde.

Aber Robert stellte sich an, als hätte sie jemanden tätlich angegriffen. Hatte er Angst, dass ihm weitere Aufträge dieser Art entgingen, wenn Pierce Thornington vielleicht auf irgendeiner Champagner-Party beiläufig erwähnte, Robert hätte ungezogene Angestellte? Der erinnerte sich bestimmt schon in diesem Moment nicht mehr an die Episode. Als hätte kurz ein Stein in seiner Sohle gesteckt und er hatte ihn abgestreift. Nun saß besagter Stein auf der Strafbank und durfte sich keinen Millimeter von seinem Fleck wegbewegen. Selbst wenn Amber auf das Geld pfeifen könnte, käme sie ohnehin nicht hier weg. Der Hafen entfernte sich zunehmend, sie könnte höchstens schwimmen.

Es war das erste Mal, dass Amber auf einer Yacht mitfuhr. Normalerweise überwachten sie Strände, manchmal private Partys. Aber dann waren es Partys halbwegs vernünftiger Menschen und vor allem der normalen Mittelschicht. Sie wollten jemanden, der auf die Kinder aufpasste, wenn diese durch den Pool tobten.

Mittlerweile siedelten sich allerdings immer mehr Schwerreiche in der Gegend von Wintervern und Port Banes an. Die Sandstrände waren genauso weich und fein wie in Miami Beach. Doch sie lagen weit abseits der Touristenhochburgen, ein wenig versteckt und waren bisher nur als Geheimtipp bekannt gewesen. Ein Geheimtipp, den irgendein idiotischer Immobilienmakler der oberen Zehntausend für sich entdeckt hatte. Weil die Promis keine Lust mehr auf überlaufene Gegenden und ungebetene Besucher auf ihren Privatstränden hatten, zogen sie jetzt hierher. Die sonst eher verlassenen Klippen und Buchten waren inzwischen nahezu alle zu Privatgelände erklärt worden. Nur ein paar waren von der Stadt unter Naturschutz gestellt worden oder zumindest für die Allgemeinheit freigehalten.

SUVs, Mercedes, Teslas – immer mehr protzige Autos kurvten durch den Ort, und die Läden wurden von Angestellten frequentiert, die Kaviar und Champagner einkaufen wollten.

Die Miete der wenigen Wohnungen hier erhöhte sich oder sie wurden gleich in Eigentumswohnungen umgewandelt. Es war nicht mehr die Gegend, in der Amber groß geworden war. Wahrscheinlich konnte sie es sich bald nicht mehr leisten, hier zu leben, wenn sie nicht solche Aufträge wie diesen hier annahm.

Vielleicht sollte sie sich einfach bei Pierce Thornington entschuldigen. Er putzte sie herunter, plusterte sich auf, bis ihm die heiße Luft den Santa-Anzug aufblähte, und verzieh ihr. Robert konnte sich beruhigen, und sie büßte nur ganz wenig ihrer Selbstachtung ein. Aber was machte das schon, wenn man Geld brauchte?

Dieser Thornington war vor einigen Minuten unter Deck gegangen, vielleicht erwischte sie ihn ohne einen seiner betrunkenen Freunde.

Amber hielt nach Robert Ausschau, doch der redete gerade auf eine Frau ein, die sich einen Rettungsring über den Kopf gezogen hatte und damit posierte, als wäre sie ein Model.

Der war beschäftigt. Amber ging zu der Tür, in der Thornington vorhin verschwunden war, und griff nach der Klinke. Just in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen, und es stolperte jemand heraus. Amber konnte nicht rechtzeitig ausweichen. Dieser Jemand stieg ihr auf den großen Zeh, im Gegenzug krallte sie sich haltsuchend in seine Brust. Seine nackte Brust. Ihre Finger rutschten nach unten. Zu seinem straffen Bauch. Das war nicht besser, nicht im Geringsten.

Amber schloss die Augen, um nicht loszuschreien.

»Sie schon wieder!«, fauchte Pierce Thornington.

»Könnten Sie von meinem Fuß runtergehen?«, bat sie mit erstickter Stimme. Könnten Sie sich bitte was anziehen?, hätte sie am liebsten hinterhergeschoben.

Immerhin nahm er sein Gewicht von ihren lädierten Zehen.

»Ich will mich entschuldigen –«, setzte sie an.

»Dafür haben wir jetzt keine Zeit«, knurrte er und drückte sich an ihr vorbei. Sie bekam diesen blöden Sack gegen die Wange geknallt, und hinter ihm schwebte – im Ernst? – eine nuttige Elfe? Diese warf Amber einen desinteressierten Blick zu und schaute sie lediglich eine Sekunde lang direkt an, bevor sie schon wieder woanders hinsah. Als wäre Amber kein weiteres Stück ihrer Aufmerksamkeit wert.

Die Elfe bewegte sich auf den Heels so grazil, als wäre sie auf den Dingern geboren worden. Damit passte sie ja wunderbar zu Sixpack-Santa. Denn natürlich hatte dieser Thornington ein Sixpack. Wahrscheinlich aufgepolstert, also gab es absolut keinen Grund, darüber nachzudenken, wie es sich unter ihren Fingern angefühlt hatte.

Sie hatte sich entschuldigen wollen, verflixt noch eins. Und jetzt stand sie keinen Meter von Dirty Santa und Miss X-Mas-Fairy entfernt. Santa stieß einen schrillen Pfiff aus, und alle drehten sich zu ihm um. Stille trat ein oder zumindest das, was die hier unter Stille verstanden. Das Rauschen des Meeres mischte sich mit dem Klirren von Gläsern und manchem Räuspern und Getuschel.

»Äh, hallo …«, sagte Pierce, und wenn man Amber fragte, hätte er besser die Rolle des Wichtels übernommen. So klang doch kein Weihnachtsmann!

»Das heißt ›Hohoho‹«, nuschelte sie genervt, und Pierce drehte sich zu ihr um.

»Ja, Hohoho«, wiederholte er. Solche Blicke gehörten übrigens bei einem Weihnachtsmann verboten. Als würde er sie gleich zu Fischfutter verarbeiten wollen.

Seine Elfe stieß ihm den spitzen Ellenbogen in die Seite, was ihm ein Knurren entlockte, aber immerhin wieder seinen Blick zu den Gästen lenkte.

»Willkommen auf der Jamaika, der größten Yacht in diesem Ozean und dem Flaggschiff der Familie Thornington …« Er verstummte.

»An Ihnen ist schon mal kein Redner verloren gegangen.« Amber wusste selbst, dass sie die Klappe halten sollte, aber es gelang ihr einfach nicht. Der Kerl war dermaßen aufgeblasen, dass es sie regelrecht befriedigte, ihn jetzt so stocken zu sehen.

»Sie halten jetzt die Klappe«, entfuhr Pierce, und das Getuschel in den hinteren Reihen verebbte. Die drängelten sich alle näher, als würden sie ja nichts von dem sich anbahnenden Streit verpassen wollen. Robert starrte sie an, als überlegte er, wie geschäftsschädigend es wohl war, wenn er sie einfach ins Wasser schubste.

»Was soll das?«, zischte die Elfe.

»Sie nervt«, knurrte Pierce.

»Wer ist das überhaupt?«, zischelte seine Elfe.

»Niemand.«

»Dieser Niemand ruiniert alles.«

Was? Amber ruinierte überhaupt nichts. Sie würde ja liebend gern abhauen, aber die kreisten sie allesamt an den Kabinen ein.

»Jedenfalls hoffe ich, ihr wart alle brav, denn in meinem Sack warten große Geschenke«, redete Pierce einfach weiter, und Amber drückte die Finger gegen ihre Schläfen. Auf der Fremdschämskala arbeitete sich Pierce mit jedem Wort zur Zehn vor. Und der schien das zu wissen. Er knallte Amber beinahe erneut den Sack gegen den Kopf, als er sich zu ihr herumdrehte. »Machen Sie sich nützlich und verteilen Sie das.«

»Nein, Schatz, das solltest du selbst tun«, mischte sich die Elfe ein und drückte Santa den Sack wieder in die Hand. »Du weißt doch, so viele Bilder wie möglich.«

Pierce lächelte so verkniffen, dass der langsam keine Lippen mehr hatte, wenn er sie weiter so zusammenpresste.

Amber tat es ihm gleich, allerdings um jeden unqualifizierten Kommentar in ihrem Mund zu behalten.

»Ihre Gedanken sieht man so deutlich, Sie könnten sie einfach aussprechen und dazu stehen«, schnarrte er, und sie warf die Hände in die Luft.

»Wenn ich was sage, ist es falsch, und wenn ich nichts sage, ist es auch falsch«, schnappte sie.

»Ganz genau.«

»Das ist inkonsequent.«

»Das ist die Wahrheit. Sie gehören zu denen, die alles vermasseln.«

»Wo ist Ihre Rute?«, fragte sie. Sie würde ihm das Ding nämlich liebend gern um die Ohren hauen!

»Wenn ich sie finde, werde ich Sie mit Freuden von Bord prügeln«, fauchte Thornington. »Sie werden dieses Boot verlassen, sobald wir Port Banes erreichen.«

»Passen Sie auf, dass Sie nicht während der Fahrt über Bord gehen. Jeder hier wird Sie mit Freude untergehen lassen«, giftete Amber, und Pierce hob die Mundwinkel zu einem freudlosen Feixen.

»Als ob ich einen weiteren Beweis gebraucht hätte, dass Sie nicht professionell sind.«

»Als ob ich noch einen Beweis brauche, dass mit wachsendem Kontostand die Intelligenz nachlässt«, fauchte Amber.

»Amber«, schnarrte Robert. Ups. »Du kannst nicht unsere Kunden beleidigen!«

Amber wusste selbst, dass er recht hatte. Er wusste allerdings genauso gut, dass es sonst nicht ihre Art war. Sie wusste aber auch nicht, was sie an diesem Kerl dermaßen fertigmachte.

»Schaffen Sie sie mir aus den Augen«, fauchte Thornington ihren Chef an.

»Nicht nötig, das Personal geht von selbst.«

»Am besten über die Planke«, maulte Thornington.

»Setzen Sie mich doch auf die Liste der bösen Mädchen.«

»Darauf können Sie Gift nehmen!«

Ehe Amber etwas erwidern konnte, zerrte Robert so stark an ihrem Arm, dass sie glaubte, er würde ihr ihn gleich auskugeln. Sie hörte auf, sich dagegen zu wehren, und ließ sich mitziehen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass dieses Intermezzo von zig Handykameras gefilmt worden war.

»Du wirst in Port Banes von Bord gehen«, wiederholte Robert die Worte Thorningtons.

»Mit Vergnügen. Wenn die tagsüber schon so drauf sind, will ich nicht wissen, was nachts passiert. Die bringen es fertig und fallen während einer völlig unrealistischen Kamasutra-Position aus dem Bullauge.«

Leider ging Robert überhaupt nicht auf ihre Worte ein. Er schloss nur die Augen und redete umso lauter weiter. »Bete, dass ich mich bei Thornington wieder einschleimen kann. Wenn mir wegen dir Aufträge entgehen, dann …«

Er sprach es nicht aus, er musste es nicht aussprechen. Robert ließ ihre Hand los und sah atemlos auf sie herab. »Warum kannst du dich nicht zusammenreißen?«

Amber holte tief Luft. Die Wahrheit war, dass sie es selbst nicht so richtig wusste. Oder na ja, sie hatte einen Verdacht, aber es war keine Entschuldigung. Gerade war sie wirklich ein böses Mädchen. Dabei war sie verflucht noch eins eine von den Guten. Sie rettete Leben. Wenn es sein musste, sogar das eines schnöseligen Santas.

vier

GROSSE REDEN SCHWINGEN SICH NICHT VON ALLEIN

Fast – aber nur fast! – bedauerte es Pierce, als diese Souffleuse des Grauens, äh, Rettungsschwimmerin von ihrem Chef weggezogen wurde. Sie hatte seine Rede unterbrochen, bevor sie noch schwachsinniger wurde. Er war nie ein guter Redner gewesen. Das Santa-Kostüm kam ihm wie ein schlechter Witz vor, er hatte keine Lust, und zusammenreißen konnte er sich offensichtlich genauso wenig.

»Wenn das nur einer postet, verklag ich euch«, drohte Pierce und bekam im nächsten Moment einen Knuff von Jacky versetzt. Sie lächelte ihn strahlend an, als hätte er einen Witz gemacht, aber er sah die unterdrückte Wut in ihren Augen blitzen.

»Das war natürlich alles nur ein kleines Highlight für euch«, flötete sie laut. »Auch Santa Claus muss sich mit unfähigem Personal herumschlagen.«

Ein paar lachten, und Pierce hätte sich am liebsten zu dieser Amber umgedreht, um zu sehen, was sie dazu zu sagen hatte oder wie sich ihr hübsches Gesicht verfinsterte. In einem waren sie sich einig – in der Abneigung gegen diese Veranstaltung. Aber das war auch das Einzige, was sie verband.

Adam, sein Social-Media-Manager, stieß Pierce in die Seite. »Also, bei Reden brauchst du echt noch Nachhilfe«, raunte der ihm zu. »Jetzt halt bloß den Mund und lass Jacky ran.«

Inzwischen starrten ihn seine Gäste wieder an, in Erwartung darauf, dass er diese blöde Rede fortsetzte. Pierce war zwar der Chef von Thornington Shaving, aber vor seinen Bereichsleitern zu sprechen war etwas anderes, als den Weihnachtsmann für Erwachsene geben zu müssen. Und dabei eloquent zu verbergen, dass es für Bescherungen zu früh war, und trotzdem seine Produkte an den Mann und die Frau und alles dazwischen zu bringen. Er war heilfroh, dass Jacky tatsächlich das Reden übernahm. Diese riss den Sack an sich, kramte ein Paket heraus und warf einen Blick auf das Etikett. Sie wirbelte zu einer sonnengebräunten Brünetten mit mintgrünen, sehr langen Fingernägeln herum und hielt ihr das Päckchen unter die Nase. »Ashley, das ist für dich. Es wird dich umhauen, das verspreche ich dir.«

Das nächste ›Geschenk‹ war für eine Jasmine.

»Du wirst seidenweiche Beine haben, nicht mehr diese komischen Pickel«, jauchzte Jacky regelrecht, als sie Jasmine das Paket in die Hand drückte. Jasmine nahm es mit einem starren Lächeln entgegen und spähte anschließend unauffällig auf ihre Beine. Doch Jacky machte weiter. Ein immerwährendes Quietschen, Flöten, Zwitschern, wie bei einem Singvogel. Und wie bei Singvögeln ging es einem irgendwann gewaltig auf den Geist, vor allem wenn man nur überflüssig danebenstand.

»Chris, wie geht’s dir?« Jacky küsste besagten Chris auf beide Wangen. »Ich freu mich so, mit dir dann plaudern zu können, aber vorher musst du das hier unbedingt probieren. Wir haben es extra für dich ein wenig optimiert. Wenn es dir nicht gefällt, werde ich in Tränen ausbrechen, so wahr ich hier stehe.«

Es war kein Wunder, dass die hier alle wie auf einer römischen Orgie tranken, wenn die den ganzen Tag so miteinander umgehen mussten. Eine etwas frischere Brise strich über seinen Bauch und seine Brust und erinnerte ihn daran, dass seine Jacke offen stand. Jacky warf sich an ihn, legte die Arme um seinen Hals und drehte seinen Kopf zu sich, um ihn zu küssen. Aber nicht wie sonst mit Liebe oder Verlangen, sondern es wirkte so unecht, dass er beinahe zurückgezuckt wäre.

»Ja, nochmal«, rief jemand, und jetzt sah er auch die Handys, die zu ihnen zeigten. Die machten Fotos.

Jacky ließ von ihm ab und drückte Pierce dann ein Päckchen in die Hand. Einen Elektrorasierer, den irgendjemand so gepimpt haben musste, dass er eher aussah wie ein Ufo, und sie selbst hielt einen Rasierhobel aus echtem Rose-Gold in der Hand. Sie hob den Rasierhobel in Brusthöhe, winkelte ihr Bein an und küsste ihn erneut.

»Du machst das großartig, Darling«, gurrte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Dann zückte sie ihr eigenes Handy und machte von ihnen ein Selfie. »Das ist für unseren Instagram-Kanal«, sagte sie zufrieden.

»Du meinst für deinen.«

»Nein, für unseren.« Sie drückte auf ihrem Display herum und zeigte ihm ein Profil mit dem Namen ›TheThorningtons‹. Das Bild, das sie eben geschossen hatte, erschien dort als Beitrag, und Pierce’ Blick wanderte zu den Zahlen neben dem Profilbild. Zehn Komma fünf Millionen Follower?

»Wenn jetzt jeder Zehnte den Rasierhobel kauft, bist du so gut wie aus dem Schneider«, sagte Jacky zufrieden, und Adam nickte wild, bevor er Pierce schmerzhaft auf die Schulter klopfte und ihm beschwörend in die Augen sah.

»Du wirst dich niemals von ihr trennen, hast du verstanden?«

Pierce riss sich von ihm los und wollte es zumindest. Adam hatte einen verdammt starken Griff, und manchmal fragte sich Pierce, ob Adam nicht glaubte, ihm gehöre die Firma, nur weil er die verfluchten Social-Media-Accounts betreute. Als ob man die Macht automatisch in den Händen hielt, sobald man steuerte, was nach außen getragen wurde.

Pierce ließ ihn stehen. Bloß weg von dieser Meute, die gerade die Geschenke auspackte. Sie alle beschäftigten sich nicht mal ansatzweise mit dem, was sie in den Händen hielten. Sie suchten sich auf dem Kahn einen Ort, wo das Licht günstig war, zerrten diejenigen mit, die die Fotos schießen und Videos drehen sollten, und ratterten dann mit überzogener Begeisterung die Produktdetails herunter, die in den Packungen gesteckt hatten.

Das hielt er nicht aus. Er sollte in seinem Büro sitzen und etwas Vernünftiges machen. Der einzige Platz, an dem nichts los war, war das Heck. Pierce zog sich dorthin zurück, und wenn man richtig Pech hatte, was fehlte einem dann noch, damit die Laune langsam den Erdmittelpunkt erreichte? Natürlich eine Rettungsschwimmerin, die ihm mit verschränkten Armen entgegenstarrte. Nun ja, sie starrte eher auf seinen Bauch, bevor sie den Blick hob.

Pierce lehnte sich wortlos an die Reling, und man konnte ihr ansehen, dass ihr etwas auf der Zunge lag. »Spucken Sie es aus, ich vermute mal, Robert hat Sie bereits gefeuert.«

»Ganz bestimmt nicht!«

Pierce hob die Augenbrauen. »Er hat Sie nicht gefeuert?«

Respekt, an Roberts Stelle hätte er eine solche Angestellte schon kielgeholt.

Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder und presste die Lippen zusammen. Schließlich schnappte sie nach Luft. »Doch, ja, er hat mich gefeuert. Jedenfalls für diesen Job.«

»Wenn er was auf sich hält, dann auch für alle anderen.«