Herzflüstern - Wind and Waves - Gabriella Sander - E-Book
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Herzflüstern - Wind and Waves E-Book

Gabriella Sander

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Beschreibung

Ein Neuanfang am Meer Alles, was Jesper im Kopf hat, ist das Surfen: raus aufs Meer, nur er und die Wellen und das Gefühl von Freiheit. Doch als er auf einer Busfahrt an der dänischen Küste die junge Majvi trifft, ist er sofort fasziniert. Irgendetwas an ihr ist anders, das spürt er sofort. Was ist der Grund, warum sie noch nicht mal ein Handy besitzt und sich von der Welt, wie er sie kennt, abzuschotten scheint? Warum hat sie ihr Medizinstudium abgebrochen und hilft nun in einem Seniorenheim aus? Jesper begreift: Wenn er Majvi kennenlernen will, dann muss er ungewöhnliche Wege gehen. Schließlich fühlen beide, dass ihre Herzen in der Gegenwart des anderen viel leichter werden – trotz oder gerade wegen ihrer vielen Unterschiede. Doch auch Jesper hütet ein Geheimnis, das alles verändern könnte … und die Schatten der Vergangenheit drohen beide bald einzuholen.  »Fließend und atmosphärisch … Es gelingt der Autorin, mit wenigen Worten tiefe Emotionen zu wecken.« Empfehlung einer Leserin auf Amazon Ein mitreißender New-Adult-Roman über Hochsensibilität und mit »he falls first«-Trope für Fans von Nikola Hotel und Gabriella Santos de Lima. Als Printbuch bei Bookapi erschienen und auch als Hörbuch bei Argon erhältlich.

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Seitenzahl: 317

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

 

Alles, was Jesper im Kopf hat, ist das Surfen: raus aufs Meer, nur er und die Wellen und das Gefühl von Freiheit. Doch als er auf einer Busfahrt an der dänischen Küste die junge Majvi trifft, ist er sofort fasziniert. Irgendetwas an ihr ist anders, das spürt er sofort. Was ist der Grund, warum sie noch nicht mal ein Handy besitzt und sich von der Welt, wie er sie kennt, abzuschotten scheint? Warum hat sie ihr Medizinstudium abgebrochen und hilft nun in einem Seniorenheim aus? Jesper begreift: Wenn er Majvi kennenlernen will, dann muss er ungewöhnliche Wege gehen. Schließlich fühlen beide, dass ihre Herzen in der Gegenwart des anderen viel leichter werden – trotz oder gerade wegen ihrer vielen Unterschiede. Doch auch Jesper hütet ein Geheimnis, das alles verändern könnte … und die Schatten der Vergangenheit drohen beide bald einzuholen.

eBook-Neuausgabe September 2025

Copyright © der Originalausgabe 2024 Bookapi Verlag e.K. Theodor-Heuss-Str. 5, 89340 Leipheim

Copyright © der eBook-Ausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nina Hirschlehner

eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (cdr)

 

ISBN 978-3-69076-091-1

 

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people . Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

 

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Gabriella Sander

Herzflüstern – Wind and Waves

Roman

 

dotbooks.

Für alle, die viel fühlen:

Ihr seid genau richtig.

 

Und für Lini, Laura und Gini.

Weil ihr mit euren goldenen Herzen die Welt zum Leuchten bringt.

Your sensitivity is your strength. The way you feel and love, your vulnerability and rawness – that is your power, your purpose.

Marisa Donnelly

Prolog

 

Majvi

 

Ich öffne meinen Instagram-Feed und erstarre. Der Post von gestern Abend. Die Buchstaben wirbeln vor meinen Augen herum wie ein Mückenschwarm. Bohren sich wie giftige Pfeile in meine Seele. Mein Blick verschwimmt. Mein Atem stockt. Was zum Henker ist hier los?

Einatmen. Ausatmen.

Ich versuche, mich selbst zu beruhigen. In der Hoffnung, dass dies hier nur ein schlechter Traum ist. Ich gleich aufwache. Doch ich bin so dermaßen wach, dass mir mein hämmerndes Herz fast aus der Brust hüpft. Ich bin kurz davor, eine Panikattacke zu bekommen.

 

»Was bist du denn für ein Alien?«

»Heulsuse«

»Mimimimi«

»Du willst doch nur Mitleid.«

»Ich lach mich schlapp, die Alte hat ’nen Schuss!«

»Wie peinlich kann man sein?«

 

Alles Blut weicht aus meinem Kopf. Sackt schwer in meine Füße. Mir wird schlecht. Ich lasse mich auf mein Bett fallen, während gleichzeitig mein Handy dauervibriert.

Das kann doch alles nicht wahr sein, oder?

Emma schickt mir im Sekundentakt Nachrichten, in denen sie mich fragt, was los ist. Ob ich das auf Instagram gesehen habe. Und wie ich das habe. Hilfe!

Mit zitternden Fingern versuche ich ihr zu antworten, mein Kopf kann keinen klaren Gedanken fassen. Hunderte haben unter meinem Post kommentiert, um sich jetzt auf die feige Art über mich kaputt zu lachen. Die wenigen Kommentare der Personen, die wirklich verstehen, was ich mit diesem Post sagen wollte, überlese ich. Hängen bleiben nur die vernichtenden Worte, die sich in meinen Gedanken und, was noch schlimmer ist, in meiner Seele einbrennen und dort Feuer legen. Feuer, von welchem ich nicht weiß, wie ich es jemals wieder löschen soll. Ob ich es löschen kann.

Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es verdammt nochmal besser wissen müssen. Danke für nichts, Social Media. Ich hasse dich für immer.

Kapitel 1

 

12 Monate später

Jesper

 

Der Bus ruckelt los, während ich in mein Handy starre und meine Nachrichten checke.

»Was willst du heute essen?«, fragt Pepe und ich tippe: »Keine Ahnung. Sag du«, zurück.

Pepe ist mein Mitbewohner mit italienischen Wurzeln und sorgt immer dafür, dass ich nicht verhungere. Seit ein paar Wochen teilen wir uns eine kleine Wohnung mit knarzenden Dielen und schiefen Wänden, aber das stört uns nicht, denn die Hauptsache ist, wir sind endlich selbstständig. Zumindest tun wir so, auch wenn ich manchmal den Eindruck habe, ich weiß noch nicht so wirklich, wie das mit dem Erwachsensein funktioniert. Es gibt vieles zu beachten, was sich früher von selbst erledigt hat – oder besser gesagt, mein Vater hat die Dinge erledigt. Doch jetzt bin ich für mich verantwortlich. Ich, ganz allein. Das fühlt sich zeitgleich gut und beängstigend an und es wundert mich, dass ich bisher nicht verhungert bin. Denn plötzlich muss ich einkaufen gehen, der Kühlschrank füllt sich nicht von selbst, auch wenn ich ihn noch so sehr hypnotisiere. Außer Pepe hat die Muse geküsst und er will unbedingt kochen, was öfter mal passiert und wovon ich wirklich profitiere.

Wenn ich nicht wasche, ist der Kleiderschrank eines Morgens halt leer. Oder der Wäschekorb. Oft schafft es meine Wäsche nicht weiter als bis dorthin, was mich aber nicht stört. Denn das ist der schöne Teil am selbstständig sein, dass einem keiner mehr reinquatscht oder erklärt, man müsse sein Zimmer aufräumen, die Socken beseitigen, die man abends vor der Couch fallen gelassen hat, oder sonst irgendwelche Vorschriften macht.

Was ich damit sagen will, ist, dass ich es liebe, mein eigener Herr zu sein und ich liebe unsere Bude, die ich mir mit Pepe und Theo teile. Pepe, den ich seit der Fünften kenne und er mich, seit ich meine Pickel mit diversen Mittelchen bekämpft habe. Und wir uns auf dem Schulhof geprügelt haben wegen Stina, bevor wir beste Freunde wurden, denn sie wollte dummerweise keinen von uns beiden haben. Als wir das geklärt hatten, stand unserer Freundschaft nichts mehr im Wege. Die Pickel waren Gott sei Dank irgendwann auch Geschichte.

Die Wohnung, in der wir unser Unwesen treiben, gehört Theos Eltern. Ihn kenne ich erst, seit er in der Oberstufe in unsere Klasse kam.

Ich schließe den Chat, als der Bus anhält und ich kurz aufblicke, wie ich es oft tue, wenn jemand zusteigt. Meine Aufmerksamkeit ballt sich schlagartig in Richtung eines extrem süßen rothaarigen Mädels, das den Bus betritt und ich ertappe mich dabei, wie mein Blick an ihr haften bleibt. Bis sie sich in die Reihe auf der anderen Seite des Ganges neben mich setzt. Ihr blumiger Duft steigt mir angenehm in die Nase.

Verwirrt schüttle ich den Kopf und blicke bewusst wieder in mein Handy. Nicht, dass sie mein Starren noch bemerkt. Doch kurz darauf schaue ich erneut verstohlen in ihre Richtung. Warte, dass sie, wie eigentlich fast alle Anwesenden im Bus, in ihr Handy abtaucht, aber nichts dergleichen passiert. Sie blickt einfach nur verträumt zum Fenster hinaus, den Kopf an die Scheibe gelehnt, während der Regen von außen dagegen peitscht. Allem Anschein nach stört sie das nicht, im Gegenteil. Sie wirkt eher, als würde sie sich dabei entspannen. Ich weiß nicht, was genau hier passiert, und außer mir bemerkt es offenbar niemand, da alle im Bus mit ihren Handys oder anderweitig beschäftigt sind. Es ist erschreckend normal geworden, sich ständig abzulenken. Außer für sie. Sie macht bei diesem Spiel nicht mit. Deswegen starre ich.

Da blickt sie für einen Moment rüber und lächelt mich flüchtig an. Sekundenbruchteilgleich. Fast denke ich, ich hätte es mir nur eingebildet, doch das warme Gefühl, welches sich kurz darauf in meinem Bauch ausbreitet, ist Beweis genug, dass es keine Einbildung gewesen ist.

Und da ich weiß, dass ich in spätestens zehn Minuten aussteige, muss ich ihre Nummer haben. Ich muss! Sonst werde ich es für immer bereuen. Es ist so sonnenklar, wie mir nicht viele Dinge bisher in meinem Leben klar waren. Trotzdem bekomme ich weder meinen Arsch hoch noch meine Stimme zum Laufen. Alles, was ich tue, ist dumm dazusitzen, während die Zeit gegen mich läuft. Was ist los mit mir? Als ich nach Minuten immer noch zögere, nimmt sie ihre Tasche und steht auf, während der Bus an der Haltestelle zum Stehen kommt.

Verdammt!

»Halt, warte!«, höre ich mich sagen und schüttle meinen Kopf, irritiert darüber, dass meine Stimmbänder offensichtlich wieder funktionieren.

Sie bleibt stehen, legt eine Hand auf ihren Brustkorb und blickt mich mit großen himmelblauen Augen verwundert an.

»Meinst du mich?«

Ich nicke, wie automatisch.

»Okay?« Die Verwunderung schwingt immer noch in ihrer Stimme mit, die angenehm weich und melodisch klingt. »Ich muss bloß gleich raus, worum geht es denn?«

Definitiv, sie hat die klassische Telefonstimme und würde sie bei mir anrufen, könnte sie mir alles verkaufen. Wirklich! Ich schwöre. Sogar Klopapier. Ich würde ihr einfach alles abkaufen. Bin ich plötzlich übergeschnappt? Mein Verstand zeigt mir den Vogel und ich ringe nach den passenden Worten.

»Ich weiß, es klingt vielleicht schräg, aber ich beobachte dich schon seit du eingestiegen bist, und als du kurz gelächelt hast, war mir klar, ich muss dich ansprechen. Gott, das klingt tatsächlich wie die schlechteste Anmache ever, oder?«

O Gott, Jesper, das hier ist jetzt nicht dein Ernst, oder?

Sie lacht und sagt: »Nicht ganz. Aber nah dran.«

Dann öffnen sich die Bustüren und ihr wunderschönes, flüchtiges Lächeln bewirkt eine Art Mutausbruch in mir. Sie dreht sich um und steigt aus.

»Bekomme ich deine Handy-Nummer?«, rufe ich hinter ihr her. Mit verwundertem Blick schaut sie mich an und schürzt die Lippen.

»Ich habe keine«, höre ich sie noch sagen, dann schließen sich zischend die Türen. Der Bus setzt sich in Bewegung und ich blicke hinter der süßesten Rothaarigen her, die ich je gesehen habe. Wie ein fünfzehnjähriger schmachtender Teenager, nur drei Jahre zu spät. Als mir mein Alter schlagartig wieder bewusst wird, lehne ich mich seufzend in meinen Sitz zurück und sehe, wie der bärtige Mann gegenüber hinter seiner Zeitung hervor grinst.

»Sie sitzt fast jeden Tag um diese Zeit im Bus«, sagt er und zwinkert mir verschwörerisch zu. »Wir Männer müssen doch zusammenhalten, oder?«

Während ich irritiert nicke, taucht er wieder hinter seiner Zeitung ab.

Ich blicke auf meine Uhr. Memo an mich: Morgen um diese Zeit werde ich wieder in diesem Bus sitzen.

Kapitel 2

 

Majvi

 

Der schwarze Nachthimmel legt sich wie ein dunkles Tuch vor mein Fenster. Ich liege auf meinem Bett, starre auf all die Kartons, die sich auf dem Boden türmen. Findus rollt sich neben mir ein, fängt an, wie ein kleiner Motor zu schnurren. Ich drehe mich ebenso zur Seite, will das Chaos nicht sehen. Den Berg aus Klamotten, Büchern und sonstigem Kram. Theoretisch bin ich gerade dabei zu packen. Praktisch ist es wohl eher so, dass mich die Aufbruchstimmung in meinem Zimmer übermannt, ich vor lauter Frust nicht mehr weiß, an welcher Ecke ich zuerst weitermachen soll. Deshalb mache ich erstmal gar nichts. Vermeidungstaktik nennt man das, glaube ich.

»Ach Findus, kann ich nicht du sein?«, murmle ich leise in das weiche Fell meines Katers, der unbeeindruckt neben mir weiterschläft. Tief seufzend stehe ich auf, packe weiter, während draußen gefühlt die Welt untergeht.

Der Herbst in Dänemark ist immer rau, dieses Jahr scheint er sich so richtig ins Zeug zu legen und wird seinem Ruf mehr als gerecht. Der Regen peitscht gegen die Fensterscheibe, läuft dann in Bächen hinab. Der Wind, der in Dänemark so gut wie immer vorhanden ist, heult ums Haus. Rüttelt an den Zweigen des Baumes vor meinem Fenster. Die Stimmung draußen spiegelt meine Gemütslage wider. Es herrscht Sturm in meiner Seele. In mir ein Meer aus Emotionen. Und ich ertrinke ein bisschen darin.

Vor ein paar Wochen habe ich mein Medizinstudium abgebrochen, weil es mich komplett überfordert hat. Dieses Studium, das ich in Wirklichkeit nie wollte. Meine Eltern dafür umso mehr. Seit ich denken kann, haben sie mir die Idee eingepflanzt, ebenfalls Ärztin zu werden. So lange, bis ich selbst geglaubt habe, Medizin studieren zu wollen. Das komische Gefühl im Magen, je näher das Studium rückte, hatte ich gekonnt ignoriert. Und jetzt? Habe ich es nach einem läppischen Semester hingeschmissen.

Meine Eltern sind innerlich am Kochen. Sie denken, ich würde es nicht bemerken. Ausgerechnet ich, die Emotionen wie Schwingungen in der Luft wahrnimmt. Nach außen wahren sie den schönen Schein und säuseln Worte wie: »Ach Majvi, das ist doch nicht so schlimm. Dann studierst du halt etwas Anderes.« Logisch. Für sie gibt es keine andere Option als ein Studium. Was sollen denn die Leute denken?

Doch auch den Gefallen tue ich ihnen nicht. Weil ich gar nicht weiß, was ich studieren soll. Zugegeben, ein wenig notgedrungen war es schon, dass ich mich für ein soziales Jahr im Seniorenheim entschieden habe nach meinem Abbruch. Ich hätte es mir nicht erlauben können, erstmal nichts zu machen. Das hätten mir meine Eltern nie im Leben durchgehen lassen. Und Seniorenheim deshalb, weil ich meine Oma über alles geliebt habe. Und sie mir immer leidtat, so allein im Heim. Außerdem mag ich alte Menschen. Vielleicht, weil ich bei Oma ich selbst sein durfte und mich nicht verstellen musste. Gefühlt war sie die Einzige in meiner Familie, die mich verstanden hat.

»Sie ist halt ein Sensibelchen«, wurde mir ständig erklärt, wenn ich mit scheinbar normalen Situationen nicht zurechtkam. Neuanfänge zum Beispiel. Meine Eltern nannten mich dann Prinzessin auf der Erbse, fanden sich dabei unheimlich intelligent und witzig und merkten nicht, wie sie mich verletzten. Und mir das Gefühl gaben, dass mit mir etwas nicht stimmen würde.

»Papperlapapp«, hat Oma dann immer gesagt, während sie über den Rand ihrer Lesebrille hinwegsah.

»Majvi ist besonders, nur ihr könnt das nicht sehen. Ihr habt die falsche Brille auf.«

Manchmal komme ich mir vor wie ein kleiner, zerbrechlicher Käfer zwischen Elefanten, der aufpassen muss, dass er nicht zertrampelt wird. Eindrücke sammle ich wie manche Menschen Dinge. Werden es zu viele, fühle ich mich von ihnen erschlagen und ich kann nicht mehr abschalten. Dann muss ich den Pausenknopf drücken, damit meine Welt sich wieder langsamer dreht. Meine Akkus lade ich auf, indem ich mir all die gesammelten Eindrücke von der Seele schreibe. Gedankendownload nenne ich das. Ich brauche das, um all das Erlebte zu verarbeiten. Oder am Strand entlang gehe. Nur ich, meine Gedanken, die oft so laut sind und dort vom Rauschen des Meeres leiser werden. Es ist fast so, als würden sie davon verschluckt werden. Oft sitze ich stundenlang nur da, schaue den Wellen beim Kommen und Gehen zu. Lausche ihrem Klang, während mein Inneres dabei ruhig wird. Und das wirkt für viele in meinem Alter schon ziemlich seltsam.

Wo andere jedes Wochenende Party machen, mag ich es überschaubar. Am liebsten hänge ich mit meiner besten Freundin ab. Da kann ich sein, wie ich bin, ohne mir vorher überlegen zu müssen, was ich erzähle. Wo Gespräche tiefer gehen als nur bis zur Oberfläche. Denn ich hasse Smalltalk. Oder sagen wir, ich beherrsche ihn nicht. Dieses wahllose Aneinanderreihen von Sätzen, die nichts bedeuten und einen dann leer zurücklassen.

Und nun sitze ich hier, zwischen den gepackten Kisten, schlucke die anrollenden Tränen herunter, kann sie doch nicht aufhalten.

Morgen ziehe ich aus. Damit ich nicht abends spät nach der Schicht im Seniorenheim noch so weit raus aufs Land muss und auf die schlechten Busverbindungen dorthin angewiesen bin. Meine neue Mitbewohnerin habe ich schon kennengelernt. Sie hat nett gewirkt. Trotzdem ist mein Magen seit Tagen unter Hochspannung und ich habe keinen Appetit. Wegen des Schrittes. Der für andere klein ist, für mich ein großer Sprung. Ins eiskalte, tiefe Wasser. Und ich hoffe in diesem Fall so sehr, dass ich schwimmen kann.

Die Alternative wäre nicht besser, als notfalls unterzugehen. Meinen Eltern jeden Tag unter die Augen zu treten, mit ihren »Sie schmeißt ihre Zukunft weg und wofür hat sie überhaupt Abitur gemacht?«-Gesichtern. Das halte ich keinen einzigen Tag länger aus.

Gott sei Dank kann ich Findus mitnehmen. Ohne ihn würde ich sterben. Wenigstens habe ich dann einen Vertrauten in meiner neuen Bleibe. Meinen Fellengel.

Ich staple meine liebsten Bücher in eine Kiste, trage sie ein Stockwerk nach unten. Später, falls es irgendwann aufhört, wie aus Eimern zu schütten, werde ich sie ins Auto laden, damit mein Vater mich morgen mit meinem ganzen Zeug ins Wohnheim fahren kann. Allerdings möchte ich davor zur Uni. Ich habe noch Papierkram abzuholen und muss mein Schließfach leeren, was ich mit dem Bus erledigen werde. Denn ich glaube nicht, dass mein Ach-so-beschäftigter-Vater noch die Zeit hat, einen Umweg zu fahren. Das würde an ein Wunder grenzen. Und Wunder erlebe ich in Bezug auf meine Eltern eher selten.

Kapitel 3

 

Jesper

 

Als ich den Schlüssel in die Haustür stecke und sie öffne, weht mir ein Duft aus italienischen Kräutern entgegen.

Meine Tasche werfe ich in die Ecke im Flur und während sich in meiner Erinnerung der Satz: »Räum dein Zeug da weg, Jesper!«, zu einem Befehl formt, grinse ich und zeige ihm in Gedanken den Mittelfinger. Zufrieden gebe ich der Tasche noch einen kräftigen Tritt, der wohl in Wirklichkeit eher dem Ordnungszwang meiner Mutter geschuldet ist.

Ich folge dem Duftgemisch aus Oregano, Basilikum und Knoblauch in die Küche. Pepe steht hinter dem Herd und steckt sich gerade einen Löffel mit Tomatensoße in den Mund, als er mich wahrnimmt und sich zu mir umdreht.

»Eeeeendlich! Ich bin kurz vorm Verhungern.«

Er stellt den Topf neben die Penne, die dampfend auf dem Tisch stehen. »Ich dachte, du kommst gar nicht mehr. Wie war dein Tag, Liebling?«, frotzelt er, während er sich einen Löffel mit Nudeln und Tomatensoße aus dem Topf direkt in den Mund schiebt.

»Lass mich doch erstmal reinkommen, bevor du mit deiner Fragerei startest.« Ich koste mit dem Finger von der vegetarischen Soße.

Pepe klopft auf meine Hand und streckt mir einen Löffel entgegen.

»Deine Bakterien will ich nicht in der Soße haben.«

»Booooah Pepe. Du hast schon fast die Allüren meiner Mutter, echt«, meckere ich zurück.

Schuldbewusst zuckt Pepe mit den Achseln. Sein Lächeln verrutscht.

»Alles gut, war ein Scherz«, füge ich schnell hinzu, als ich seinen betroffenen Gesichtsausdruck sehe.

»Erzähl mal, wie war’s bei dir heute?« Er steht auf, um den Parmesan aus dem Kühlschrank zu holen.

»Wo ist Theo überhaupt?«, frage ich, ohne auf seine Frage einzugehen.

»Zu seinen Eltern gefahren. Seine Oma wird heute sechzig. Und jetzt erzähl schon.«

»Hmmmm …« Während ich schweigend mit der Gabel die Penne aufspieße, grinse ich verlegen hinter meinem Teller hervor. Werde ich etwa rot? Scheiße!

Pepe scheint etwas zu bemerken.

»Was denn? Was ist los mit dir? Du grinst wie ein Lama auf Ausflug?«

Ich zucke nur kurz mit den Schultern.

»Okay, ich geb’s auf. Du willst nicht reden. Auch in Ordnung.«

»Da war so ein Mädchen im Bus.« Warum klingt meine Stimme so aufgeregt?

»Okay? Und was genau willst du mir jetzt damit sagen?« Seine Stirn liegt in Falten. »Geht’s auch ein bisschen präziser? Es ist ja nicht so, dass täglich Mädels mit dem Bus von A nach B fahren«, frotzelt er. »Und überhaupt, du hast noch gar nichts zu meiner sensationellen Soße gesagt. Vegetarisch, extra für dich.«

»Lecker«, erwidere ich.

»Echt jetzt, was ist los mit dir? Du lässt dir heute echt alles aus der Nase ziehen, oder?«

»Keine Ahnung, Mann, wenn ich es doch selbst nicht weiß. Dieses Mädchen. Sie stieg ein und kennst du das, wenn jemand sich so komplett anders verhält als alle anderen? Du denkst so, was ist anders an der Person? Und du wirst schon allein deswegen aufmerksam.«

»Okayyyy? Endlich hast du deine Sprache wiedergefunden. Ich dachte schon, dein Tag heute bei den Senioren war so scheiße.«

»Ich hab sie angesprochen«, falle ich ihm ins Wort.

»Du hast, was? Okay Mann, du hast echt Mumm.«

»Ich konnte nicht anders.« Überrascht angesichts meiner eigenen Courage zucke ich mit den Schultern.

»Ja, ich hab sie nach ihrer Handynummer gefragt.«

»Und?« Pepe wartet auf meine Antwort, während er die Augenbrauen nach oben zieht und mich erwartungsvoll anblickt.

»Sie hat gesagt, dass sie kein Handy hat.«

Nun lässt er die Gabel, die er gerade zum Mund führt, wieder sinken. »Sie hat kein … waaaaas? Kein Handy? Echt jetzt? Wie alt ist sie denn?«

»Ich denke mal, unser Alter«, erkläre ich schulterzuckend.

»Okay, das ist krass!«

Pepe futtert weiter. Ich denke schon, das Thema ist für ihn erledigt, als er schließlich nachhakt.

»Und was hast du jetzt vor?«

»Na, Bus fahren. Also morgen dann. Um dieselbe Zeit wie heute. Anscheinend sitzt sie da fast jeden Tag drin. Das meinte zumindest so ein älterer Mann, der mir im Bus gegenüber saß.«

»Na dann, ist ja alles geritzt.« Pepe lächelt und steckt mich damit an.

»Und du so?«, frage ich schnell, um von mir abzulenken. Außerdem will ich ihm nicht das Gefühl geben, ich hätte kein Interesse an dem, was ihn so beschäftigt.

»Ach du, Uni halt. Ich weiß noch nicht so ganz, ob ich mit Informatik das Richtige gewählt habe. Ich lass mich mal überraschen, was ich zum Ende des Semesters darüber sage.«

»Das klingt nach einem Plan, finde ich. Vor allem wenn du zum Ausgleich zu all der Kopfarbeit so lecker kochst«, erkläre ich grinsend. Schiebe den leeren Teller von mir und lehne mich im Stuhl zurück, während ich absichtlich meinen Bauch streichle.

»Das glaub ich dir sofort, du alter Fresssack.« Pepe knufft mir leicht mit der Faust in die Seite.

»Nachtisch?«

»Nachtisch!«, sagt Pepe und lacht.

Ich werde wohl für immer der Vielfraß in unserer WG bleiben.

 

Als ich am nächsten Tag in den Bus steige, breitet sich ein leichtes Kribbeln in meiner Magengegend aus. Es steigt nach oben Richtung Herz, welches augenblicklich beginnt schneller zu schlagen. Ich setze mich auf den Platz, an welchem ich das letzte Mal schon saß, hoffe inständig, dass mir das Glück bringt. Während der Bus losfährt, erkenne ich den Mann hinter der Zeitung, der kurz aufschaut und einen Daumen nach oben hält.

»Viel Glück«, murmelt er und ich lächle flüchtig.

»Danke«, höre ich mich sagen und als der Bus kurze Zeit später an der Haltestelle stoppt, halte ich vor Anspannung für einen Moment die Luft an. Bis ich sie draußen stehen sehe. Ihr rotes Haar leuchtet unter einer dicken weißen Wollmütze hervor. Sie ist tatsächlich da.

Als sie einsteigt und mich erkennt, meine ich, für einen Moment Verlegenheit in ihrem Gesicht aufblitzen zu sehen, welche sofort von einem warmen Lächeln abgelöst wird. Plötzlich bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich mir Ersteres nur eingebildet habe.

Sie kommt langsam näher und ich wage nicht, zu hoffen, dass sie sich neben mich setzt, doch genau das tut sie. In Gedanken recke ich die Hände zu einer Art Siegerpose in die Luft. Sie nimmt auf der anderen Seite des Ganges Platz, aber immerhin neben mir. Während sie sich die Mütze vom Kopf zieht, wickelt sie ihren Schal vom Hals und lächelt unsicher.

»Hi!«, sagt sie in meine Richtung gewandt. Es ist das schönste »Hi«, das ich je gehört habe. Mein ›Hi‹ stolpert etwas brüchig aus meinem Mund und ich spüre, wie Hitze in meine Wangen steigt.

Ich werde doch jetzt nicht ernsthaft rot? In einer Art Übersprunghandlung schüttle ich den Kopf und bevor ich meinen Mut ganz verliere, frage ich: »Das mit dem Handy. Dass du keines hast. Wie war das gemeint?«

»So, wie ich es gesagt habe.« Sie zuckt mit den Schultern, lächelt und blickt mich an.

»Okay? Du hast tatsächlich kein Handy? Echt jetzt? Ich meine … okaaay? Also, … ähm … warum? Ich glaube, ich kenne keine Person in meinem Alter, die kein Handy hat.«

Immer noch verwundert über ihre Aussage, ziehe ich die Stirn in Falten und merke, wie mein Hirn fieberhaft beginnt, Erklärungen dafür zu finden. Gleichzeitig frage ich mich, warum ich in ihrer Nähe so stümperhaftes Zeug von mir gebe, doch mein Mund ist nicht beeindruckt genug von meiner Blödheit und plappert weiter.

»Ich meine, wie kann man dich kennenlernen, wenn du kein Handy hast?«, frage ich, überfordert angesichts des Umstands, dass es Menschen gibt, die ohne Handy zurechtkommen.

»Uuuund … wie heißt du überhaupt?«, holpert meine Frage noch hinterher.

Das Lächeln, das sich jetzt auf ihr Gesicht legt, sieht verdammt ehrlich aus.

»Majvi. Ich heiße Majvi. Und keine Ahnung, denk dir was aus. Vielleicht schreibst du mir ja. Nur … anders?« Die absolute Selbstverständlichkeit in ihrer Stimme bewirkt, dass ich mich frage, ob ich etwas verpasst habe. Vielleicht bin ich ein Alien und habe nicht mitbekommen, dass ich auf einer Erde gelandet bin, in der man sich nicht per Handy verabredet, kennenlernt, connectet oder was auch immer.

»O-okay.« Ich blicke sie irritiert an, verwundert, dass ich überhaupt Worte finde. Ich schlucke trocken. Während ich mich in Gedanken schon über einem weißen Blatt Papier brüten sehe, unterbricht ihre melodische Stimme mich in meinem Wirrwarr im Kopf.

»Ich weiß, es klingt ein bisschen altmodisch, oder?« Sie schürzt die Lippen, offenbar kann sie auch noch Gedanken lesen. »Gründe habe ich dafür mehrere, aber da ich gleich aussteigen muss, kann ich dazu jetzt nichts mehr sagen. Vielleicht ein anderes Mal, ja?«

Hektisch beginne ich in meinem Rucksack nach Papier und Stift zu wühlen. »Schreibst du mir dann vielleicht deine Adresse hier drauf?«, frage ich schnell und strecke ihr beides entgegen. Gott, ich bin so peinlich. Wie aufdringlich kann man sein? Jesper: Ja.

Sie blickt mich an, nimmt mir Kuli und Zettel aus der Hand, schreibt und gibt mir beides mit einem warmen Lächeln zurück. Offenbar habe ich sie nicht erschreckt mit meiner offensiven Art.

»Okay, bye«, sagt sie, steht auf und ist auch schon ausgestiegen, während mein »Bye«, ihr noch hinterherfliegt und ich wie hypnotisiert auf den Zettel mit der schön geschwungenen Handschrift schaue, auf dem ihr Name und ihre Adresse steht.

»Ich bin übrigens Jesper«, murmle ich vor mich hin, doch natürlich ist sie längst weg und der Bus ruckelt weiter.

Eine Weile starre ich ihr durch die Scheibe hinterher, nicht sicher, ob ich gerade träume und sie vielleicht nur eine Fee aus einem Märchen ist.

Ich werde schreiben. So richtig. Mit Papier und Stift. Per Post. Meine Motivation dafür ist auf einen Schlag rekordverdächtig in die Höhe geschnellt.

Grinsend halte ich den Zettel mit der Adresse so fest, als wäre er der Heilige Gral, den es zu beschützen gilt.

Kapitel 4

 

Jesper

 

Seit einer halben Stunde sitze ich nun schon hier an diesem hölzernen Esstisch in unserer WG Küche. Über diesem doofen leeren Blatt Papier, das mich stumm verhöhnt. Ich kaue auf dem Kugelschreiber in meiner Hand, der sich einfach nicht über das Blatt bewegen will. Mein Kopf ist wie leergefegt und es gelingt mir nicht, Sätze aufzuschreiben, die nicht wie die Versuche eines Erstklässlers klingen.

 

Liebe Majvi,

 

wie geht es dir? Mir geht es gut.

 

Liebe Grüße!

Dein Jesper

 

So etwas in der Art habe ich als Grundschüler auf Ansichtskarten gekritzelt, doch jetzt reicht das einfach nicht mehr aus.

Ich grabe also tiefer und überlege, was ich denn von Majvi erfahren will. Vielleicht finden die Buchstaben ja so den Weg aus meinem Kopf heraus und formen sich zu einem Brief. Während ich darüber nachdenke, bewegt sich meine linke Hand plötzlich mit dem Kugelschreiber aufs Papier. Mein kontrollierender Verstand schaltet sich aus, mein Herz an und ich beginne zu schreiben, während mein innerer Kritiker auf meiner Schulter sitzt und mir versucht einzureden, dass ich es besser lassen sollte. Doch der Idiot kann mich gerade mal. Ich will das hier so sehr, dass ich ihm in Gedanken den Mittelfinger zeige, damit er endlich mal für ein paar Minuten die Klappe hält. Und dann funktioniert es plötzlich wie von allein und die Worte fließen aus mir heraus aufs Papier .

 

Liebe Majvi,

 

ich hoffe sehr, dass ich das mit dem Briefeschreiben irgendwie hinbekomme, denn wie gesagt, ich habe absolut keine Übung mehr darin. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich mit dem Briefe schreiben auch nicht so tolle Erfahrungen gemacht, aber das ist eine andere Geschichte. Hoffentlich ist es wie mit so vielen Dingen: Man wird besser, je mehr man übt. Sei also nicht so hart mit mir und denk daran: Ich bin definitiv noch in der Aufwärmphase. Nicht, dass du gleich den Korrekturstift rausholst beim Lesen und meine Fehler rot markierst. Scherz! Ich schätze dich gar nicht so ein, als würdest du das tun. Aber vielleicht habe ich ein wenig Angst davor, dass du mein Geschreibe stümperhaft findest. Ein bisschen sehr. Egal! Ich werde diesen Brief auf jeden Fall abschicken und hoffen, dass du ihn trotzdem liest.

Was mich brennend interessieren würde, ist, warum du kein Handy besitzt, weil das so absolut ungewöhnlich ist, finde ich. Aber ich will jetzt auch nicht mit der Tür ins Haus fallen, was ich vermutlich schon getan habe. Haha.

Vielleicht erzähle ich erstmal etwas von mir, wenn du magst? Zumindest könnte ich mich ja mal vorstellen. Ja, das wäre doch ein Plan, oder? Ich bin Jesper, neunzehn Jahre alt und wohne seit ein paar Wochen in einer WG mit meinen Kumpels Pepe und Theo. Pepe kenne ich, seit wir zusammen in die fünfte Klasse kamen. Und Theo kenne ich etwas über ein Jahr, also noch nicht so lang. Pepe ist mein bester Freund, seit ich mich erinnern kann.

In meiner Freizeit liebe ich es, zu surfen, und ich liebe Musik und gutes Essen. Zum Glück kocht Pepe so gerne. Haha!

Ich glaube, das wär’s fürs Erste. Ich will dich ja nicht gleich beim ersten Brief langweilen. Deswegen warte ich mal ab, ob du mir auch was über dich erzählen magst. Ich bin sehr gespannt auf eine Antwort von dir und werde jetzt mal ganz oldschool zur Post marschieren, denn so jemand wie ich hat natürlich – Überraschung – keine Briefmarken zu Hause. Ich denke, ich decke mich mal mit einer Menge davon ein, denn vermutlich brauche ich die ja nun öfter mal.

Jesper

 

Einigermaßen zufrieden lehne ich mich zurück, atme tief durch und lese meine Zeilen nochmal, bevor ich den Brief zusammenfalte und in einen Umschlag stecke.

Gut, einen Schreibwettbewerb werde ich damit nicht gewinnen, aber ich bin stolz genug, überhaupt etwas zustande gebracht zu haben. Und der gute Wille zählt doch auch, finde ich. Also werde ich nachher auf dem Weg zu meinen Omas und Opas den Brief wegbringen und gespannt auf eine Antwort warten.

Kapitel 5

 

Majvi

 

Ich sitze zwischen unausgepackten Kartons in meiner neuen Bleibe und weiß nicht so wirklich, ob ich lachen oder weinen soll. Fast ist es so, als würde ich mich inmitten all der Pappe verstecken. Vor mir, der Überforderung, meiner Angst. Meine Gefühlslage befindet sich irgendwo zwischen Panikmodus und Erleichterung.

Einerseits bin ich froh, von zu Hause wegzukommen, aber die Angst vor allem Neuen ist wieder mal übermächtig und steht mir wie ein Betonklotz im Weg. Meine Seele meldet dauernd Gefahr, weil der Weg, auf den ich zusteuere, neu und fremd ist, ich damit so schlecht umgehen kann. Mein Verstand versucht verzweifelt, sie davon zu überzeugen, dass es gut werden wird, weil ich nicht mehr ständig in die enttäuschten Gesichter meiner Eltern schauen muss. Doch die Angst schreit lauter als mein Verstand und Unruhe hämmert von innen gegen die Wände meiner Seele. Ich scheitere kläglich im Versuch, sie beiseitezuschieben.

Während ich in all dem Gefühlswirrwarr dabei bin, meine Kisten auszupacken, klopft es leise an meine Zimmertür. Ich drehe mich um, sehe, wie Linn vorsichtig den Kopf herein streckt. Den Strudel aus Emotionen versuche ich hinter einem Lächeln zu verbergen, will nicht, dass meine neue WG-Mitbewohnerin mich am ersten Tag gleich so sieht.

»Willst du auch einen Tee?«, fragt sie und bewirkt mit ihrem warmen Lächeln, ein wenig das flaue Gefühl in meinem Magen zu vertreiben.

Als wir eine Weile später bei mir auf dem Fußboden zwischen den Umzugskartons sitzen und unsere Hände an den Tassen wärmen, während draußen der Sturm ums Haus heult und an den Rollläden rüttelt, fühle ich mich einen Funken erleichtert. Es hat etwas von einem Zuhausegefühl, wenn einem jemand Tee kocht, finde ich, und Linn lächelt mich an und meint: »Schön, dass du jetzt da bist. War etwas einsam hier, so allein.

Musst du denn morgen gleich anfangen zu arbeiten?«

Seufzend nicke ich, spüre sofort diese kleinen fiesen Adrenalinstöße, die durch meinen Körper rauschen, um dann in meinem Kopf den Alarmknopf zu drücken.

»Das wird schon, du wirst sehen«, beruhigt Linn mich, als würde sie meine Angst spüren. »Ich hab vor meinem ersten Tag an der Uni auch fast nicht geschlafen vor Aufregung. Und jetzt fühlt es sich fast schon normal an, zu studieren.« Linn bläst in ihre Tasse, nippt dann genüsslich an ihrem Tee und schaut sich um. Ihr Blick bleibt an den Kartons hängen. »Die packst du heute aber nicht mehr alle aus, oder?«

Ich schüttle den Kopf.

»Ich hoffe, du hast recht«, murmle ich dann. »Damit, dass ich das morgen packe, meine ich. Denn wenn nicht, rasten meine Eltern bestimmt aus. Für sie ist das sowieso schon die volle Katastrophe, dass ich mein Studium abgebrochen habe. Noch mehr Drama darf ich mir nicht leisten, sonst werde ich vermutlich auf der Stelle enterbt.«

»Ernsthaft jetzt?« Linn schüttelt den Kopf. »Also nicht die Tatsache, dass du dein Studium abgebrochen hast, sondern das andere.«

Ich blase die angestaute Wut und Enttäuschung aus und zucke leicht resigniert mit den Schultern. »Bei meinen Eltern weiß man nie. Sie sind maßlos von mir enttäuscht, auch wenn sie das versucht haben zu überspielen. Vermutlich denken sie wirklich, ich hätte nichts gemerkt. Ich bin bloß froh, dass jetzt alle Erwartungen auf meinem Bruder liegen.«

Das entspricht nicht ganz der Wahrheit, denn eigentlich bin ich enttäuscht. Weil ich ab jetzt neben meinem ach-so-erfolgreichen Bruder, der auch Medizin studiert und im Gegensatz zu mir nicht abgebrochen hat, komplett Luft für meine Eltern bin.

Ich kicke mit meinem Fuß gegen eine der herumstehenden Schachteln, mein Tee schwappt über den Tassenrand auf meine Hose. Findus kriecht irritiert unter meinem Bett hervor, unter welchem er sich seit Stunden versteckt hat. Sein vorwurfsvoller Blick lässt mich unerwartet kichern, ich stecke Linn damit an. Schutzsuchend klettert er auf meinen Schoß, um sich dort wie eine Schnecke zusammenzurollen und zu schnurren. Während ich über sein samtweiches Fell streichle, rede ich beruhigend auf ihn ein.

»Alles wird gut«, wiederhole ich im Takt meiner streichelnden Bewegungen und hoffe, dass ich damit recht habe. Er scheint mir zu glauben, denn er entspannt sich sofort. Kater müsste man sein.

 

Am Morgen werde ich vom Klingeln meines Weckers wach. Ich schrecke hoch, bin für einen Moment orientierungslos, weil ich mich nicht in meinem gewohnten Umfeld befinde. Ich blinzle ins Dunkel und schalte die Nachttischlampe an, kneife meine Augen zusammen angesichts der Helligkeit, die jetzt den Raum erfüllt.

Findus, der zusammengerollt neben mir liegt, blinzelt ebenfalls kurz, dreht sich dann auf die andere Seite, um weiter zu schlafen. Ich küsse ihn ins warme Fell, strecke mich und stehe auf, um ins Badezimmer zu tapsen. Als ich wieder herauskomme, streckt Linn mir einen Thermosbecher mit Kaffee entgegen. Ich lächle sie müde, aber unendlich dankbar an.

Ich packe mir etwas Essbares in meine Tasche. Schon beim Gedanken an Essen wird mir übel. Um diese Uhrzeit bekomme ich nicht einen Bissen herunter. Generell so früh morgens nicht. So nervös, wie ich bin, gleich zweimal nicht. In meinem Magen rumort es.

 

Eine Weile später betrete ich den Eingangsbereich des Seniorenheims. Ich atme tief durch und melde mich wie ausgemacht an der Rezeption.

Du schaffst das, Majvi, mache ich mir in Gedanken selbst Mut.

»Hallo!«, sage ich so selbstbewusst wie möglich, als ich in das stark geschminkte Gesicht der Frau hinter der Theke blicke. Im Gegensatz zu ihr habe ich es heute Morgen nicht einmal geschafft, Wimperntusche aufzutragen. Die ist noch im Chaos der Umzugskartons verschwunden. Vermutlich sehe ich aus wie eine Vierzehnjährige, die zum Praktikum kommt.

»Guten Morgen«, erwidert die bemalte Frau. Dann: »Wie kann ich Ihnen denn helfen?«

»Ich bin Majvi Friis und beginne heute mein Freiwilliges Soziales Jahr hier.«

»Wie schön. Herzlich willkommen.« Sie lächelt hinter dicken Schichten von Make-up hervor, ihre Gesichtszüge wirken augenblicklich weicher. »Sie dürfen sich bei Frau Jensen melden, vierter Stock, im Pflegestützpunkt.« Mit manikürten Fingernägeln zeigt sie in Richtung Aufzug.

»Danke«, erwidere ich nickend und mache mich auf den Weg.

 

»Vierter Stock«, meldet die monotone Tonbandstimme im Aufzug.

Oben angekommen schlendere ich den langen Flur entlang. Kahle, weiße Wände. Es riecht nach Desinfektions- und Reinigungsmittel, das graue Linoleum quietscht unter meinen Sneakern. Irgendwo scheppert ein Geschirrwagen. Eine Bewohnerin schleicht mit einem Rollator an mir vorbei.

»Hallo«, sage ich ein wenig scheu, augenblicklich beginnt sie zu strahlen.

In Gedanken verschönere ich die Wände mit Bildern, denke darüber nach, dass die Bewohner es bestimmt auch mögen würden. Ich muss ein Seufzen unterdrücken.

Ich kann es einfach nicht lassen. Diese Sehnsucht, die Welt zu einem besseren, schöneren Ort zu machen, ist tief mit meinem Inneren verwoben. Mein Herz ist eines, das sich nach Schönheit sehnt. Schöne Dinge sammelt. Aufsaugt. Mein Herz ist ein Schwamm. Ein Herzschwamm.

An der Eingangstür des Pflegestützpunkts hängt ein großes Blatt Papier. Die Ecken abgegriffen, vergilbter Tesafilm hält es an der Tür fest, die Anweisung darauf mit drei Ausrufezeichen gerahmt: »!!!Bitte anklopfen und erst nach Aufforderung eintreten!!!«

Ich schlucke. Klopfe. Warte, bis ein junges Gesicht im Türrahmen erscheint, welches von blonden Haaren gerahmt wird und mich mit einem warmen Lächeln begrüßt. Erst dann bemerke ich, dass ich die Luft angehalten habe.