Heute bin ich Alice - Emma Kress - E-Book

Heute bin ich Alice E-Book

Emma Kress

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Beschreibung

"Kannst du bitte ein paar Schritte zurück gehen?" Meine Stimme klang schwach, fast schon unverständlich als ich mein Gesicht in meinem Schal vergrub. Schweigend drehte er sich um und lief zu der Bank die ein paar Meter von uns am See stand. "Du bist nichtmehr hier, oder?" Er sprach sehr leise, er wollte mir keine Angst machen. "Ich.. Ich bin irgendwo anders. Ich erkenne nichtsmehr. Weder Farben, noch Gesichter, noch Stimmen. Da ist einfach nichtsmehr." Ich nahm einen Stein und lächelte schwach als ich sah wie er leichte Wellen im Wasser hinterließ. "Bitte nimm mich mit. Lass mich ein Teil von ihr werden." Meine Augen füllten sich mit Tränen. "Du hast mir mein Herz gebrochen, Caleb. Deswegen bin ich nichtmehr hier. Deswegen lebe ich entfernt von den anderen Menschen. Weil ich sie nichtmehr verstehe. Weil ich DICH nichtmehr verstehe. Man kann sich kein zweites mal kennenlernen. Man kann sich nicht nochmal zum ersten mal in die Augen schauen. Man kann keine Fehler rückgängig machen & man kann kaputte Menschen nicht reparieren."

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Seitenzahl: 86

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Heute bin ich Alice

Titel Seite

Zwangsvernehmung

„Es hat geregnet, als ich nach hause kam. Das ist alles was ich noch weiß.“

Der Mann vor mir notierte sich, sichtlich genervt, etwas auf seinem Notizblock.

Geistesabwesend musterte ich den braunen Kaffe fleck der sich ekelhaft auf seiner Krawatte ausbreitete.

Er war ein für sein alter sehr gut aussehender Mann, doch offensichtlich zu arm um sich eine Waschmaschine   leisten zu können.

„Können sie sonst noch etwas, zu dem Tag an dem sich ihre Mutter das Leben nahm hinzufügen?“

Ich überlegte einen moment.

„Ah genau, ich habe mir von den 1,50 die sie mir jeden Monat gegeben hat einen Caffe gekauft.

Und wissen sie was? Das geld hat trotzdem nicht gereicht, doch der äußerst freundliche Mann der hinter der theke stand hat ihn mir trotzdem gegeben. Und warum?“

Fragend blickte er mich an.

„Weil er anscheinend im Bordell einer der häufigsten Kunde von meiner Mutter war! Ich hätte nie gedacht, das es noch so freundliche Menschen gibt wie ihn.

Es ist wirklich ein unbeschreiblich tolles Gefühl wegen so etwas einen Caffe geschenkt zu bekommen.“

Der Mann spürte meine Ironie und verdrehte genervt seine Augen.

„Mrs Fortan, ich bin mir sicher sie hatten keine einfache Zeit mit ihrer Mutter, doch wir müssen trotzdem wissen was an diesem Tag passiert ist.“

Die weißen Wände des Raumes kamen immer näher. Es war uneimlich, wie die Lampe die an der Decke hing vor sich hin flimmerte.

Seine Haut war glatt, nur ein paar falten unter seinen Augen warfen einen leichten Schatten auf sein Gesicht.

Ich setzte mich in meinem stuhl auf, griff nach dem Kulli der auf dem Tisch lag und wendete ihn zwischen meinen Fingern.

„Sie wollen also wirklich wissen wie weit ich mich noch an meine Mutter erinnere? Gut. Wissen sie, in meinem damaligem Alter wollen alle Mädchen doch immer so etwas wie Prinzessinen werden wenn sie alt sind, oder?“

Er nickte verwirrt.

„Wissen sie was ich damals wollte?

Ich habe, mit meinen mickrigen 8 Jahren, jeden Monat mein ganzes Taschengeld in eine Dose getan damit ich genug Geld habe um meiner Mutter den Entzug bezahlen zu können. Nach einem halben Jahr waren es 40 euro und ich schwöre ihnen, das ich noch nie so sehr für eine Sache gekämpft habe. Am nächsten Tag war das Geld weg. Und meine Mutter kam erst nach 3 Tagen völllig zugedröhnt wieder nach hause. Jedesmal wenn ich sie fragte ob sie denn wüsste wo das Geld hingekommen ist, lallte sie irgendetwas von einbrechern, und dass das böse Menschen waren.

Doch in unserem Haus war niemand. Nur ich. Und mit den Jahren habe ich langsam verstanden, wo das ganze Geld hingeflossen ist.

Direkt in ihre Adern.“

Er hörte mir so konzentriert zu, dass er sogar den Notizblock bei seite legte.

„Sie hat mir übrigens nichts hinterlassen als eine zwangsgeräumte Wohnung, schulden in der Höhe des empire state buildings und den gedanken daran, dass ich selbst den Postboten öfter gesehen habe als sie.“

Es schien, als hätte er zum ersten mal in seinem Leben wohl keine perfekte Antwort.

Ich atmete ein. „Jetzt hören sie mal zu, Officer. Ich habe sogut wie mein ganzes Leben auf der Straße verbracht, und im Gegensatz zu ihnen wartet kein Porsche vor meiner Haustür. Auch wenn sie jeden tag hunderte von Jugendlichen in ihren Untergang katapultieren die versuchen sich mit gras dealereien über Wasser zu halten, haben sie keine Ahnung wie dreckig man sich jeden Tag fühlen muss.

Wenn ich ihnen nun alles erzähle, von meiner ach so schlechten Vergangenheit, was bringt es ihnen dann?

Für sie sind das alles nur Geschichten, die schon am Tages ende wieder aus ihrem Kopf verschwunden sind. Ich denke nicht im geringsten, das dieses Gespräch auf irgendetwas hinauslaufen wird. Genauso wenig wie sie. Ich sehe die desinteresse in ihren Augen.“

Ich schnickte den Kulli weg.

Er schwieg und zunehmend konnte ich zusehen, wie er immer nervöser wurde.

Ich griff über den Tisch und zündete eine Zigarette an.

„Mrs Fortan, das hier ist ein Polizeilicher Verhörungsraum. Das Rauchen ist hier untersagt.“

Genüsslich atmete ich den warmen Rauch aus.

„Ahja, und der Whiskey in ihrem Caffe becher ist erlaubt?“

Er blickte nachdenklich in die Luft.

„Riecht man das so stark..?“

Ich schmunzelte.

„Naja, ich mach mit einem stetigem Alkoholproblem bin quasi gezwungen sowas zu riechen.

Er lachte. „Aber keine sorge, ich sage das nicht weiter. Als Polizist in so einer Gegend würde ich mich auch jeden Tag betrinken.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und atmete hörbar aus.

„Das stimmt. Diese Gegend hier ist sehr, sehr traurig.“

Wir schwiegen eine weile.

„Können sie mir eine Frage ehrlich beantworten?“

Er nickte verwirrt.

„Haben sie schonmal jemanden getötet?“

Er schwieg eine weile und richtete seinen Blick kalt auf den schwarzen Tisch.

„Naja..“

er atmete hörbar aus.

„Was blieb mir denn anderes übrig? Seine Waffe war auf mich gerichtet. Er.. er hätte mich eiskalt erschossen. Mir blieb nichts anderes übrig als abzudrücken.“

Er strich sich über das Gesicht.

„Zigarette? Sie sehen aus als würden sie eine brauchen.“

Er beugte sich lachend über den Tisch und nickte dankbar.

„Oh gott, zum Glück ist die Video kamera aus.“

Ich blickte ihn an.

„Jinny, ich weiß dass ich keine ahnung habe von dem was du durchmachen musstest.. Doch ich weiß, das jeder Mensch mit der zeit seine Farbe verliert. Risse bekommt. Außeinander fällt. Ich weiß wie es ist nicht einfach nur 'traurig' zu sein.“

Fragend legte ich meinen Kopf schief.

„Was meinen sie damit?“

Er atmete tief durch.

„Vor 4 Jahren, am 18.tem Oktober, hatte meine Frau einen schweren Autounfall. Sie überlebte, doch das Kind in ihrem Bauch nicht.

Es gibt einen Spruch der sagt 'Verliert ein Mann sein Kind, verliert er alles.'

Das stimmt. Doch das schlimmste an dieser Zeit war ihr Gesichtsausdruck.

Ihre Augen wurden Tag für Tag leerer und sie nahm immer mehr ab.

Mit der Zeit habe ich gedacht ich verliere sie.

Doch dann fing sie an sich zu verändern. Sie nahm wieder zu und sammelte Kraft.. Ich fragte mich dauernd wie das so schnell besser werden konnte. Und dann fand ich das Buch unter ihrem Kopfkissen.

Ein altes Tagebuch, nicht besonders groß, doch schön verziehrt.

'auf deiner Wolke' war quer eingraviert, und dieses kleine Buch gab mir 1000 antworten auf einmal.“

Er schwieg eine weile, um nicht komplett den Kopf zu verlieren.

„Es waren Briefe an unsere verstorbene Tochter. Meine Frau schrieb dort alle ihre sorgen, ihre Erlebnisse und ihren kummer rein. Als ich sie vorsichtig darauf ansprach nahm sie mich in den Arm und sagte dass sie somit das Gefühl hätte unser Kind immernoch hier zu haben weil jeden Tag dinge passieren die sie ihr gerne erzählen würde.“

Wie erstarrt blickte ich ihn an.

„Weißt du wo du heute nacht schläfst?“

Ich nickte schwach.

„Ich werde schon etwas finden..“ flüsterte ich, nahm meine Sachen und ging.

Gleichgültig

Tief entschlossen klammerte ich mich an meinen Treuen begleiter. Meinen Rucksack.

Seitdem meine Wohnung zwangsgeräumt wurde, ist er eigentlich das einzige was noch übrig ist.

Doch mit dem Gedanken Obdachlos zu sein werde ich mich garantiert nicht abfinden.

Ich nenne es lieber 'Wohnungsauszeit' oder 'Unbetreutes Wohnen'.

Ich blieb einen Moment stehen und zog die kalte Abendluft ein.

Plötzlich schien mir alles relativ gleichgültig zu sein.

Ich erschrak nicht, als mich ein Hund giftig anknurrte. Ich drehte mich nicht nach den Leuten um die mich in ihrer eile fast umrannten.

Denn in dieser Stadt sprach man nicht von der perfekten Idylle.

Und schon garnicht von Picknicken im Park.

Es ist eine Plastikstadt. Und sie wird hässlicher, je näher man kommt.

Ich spürte einen schlag an meiner Schulter.

„Entschuldige.“ flüsterte das Mädchen abwesend, doch plötzlich blickte sie mich ungläubig an.

„Jinny?!“ ihre Augen funkelten. „Wir haben uns ja ewig nichtmehr gesehen!“

keuchte sie mit begeisterung und umarmte mich grob.

„Erzähl mir alles! Was machst du denn hier? Du hattest doch vor ein paar Tagen geburtstag oder? Oh nein, ich habe dein Geschenk total vergessen!“

Hektisch fing sie an in ihrer Tasche zu kramen.

„Leonie, das ist wirklich kein Problem.“ Sie machte eine sehr komische Handbewegung und drückte mir 3 Geldscheine in die Hand.

„Ach papalapap! Geld kann man immer gut gebrauchen! Vor allem habe ich mittlerweile eh viel zu viel davon.“

Spielerisch warf sie ihre Haare hinter ihre Schulter und stieß ein Lachen aus, dass ich sonst nur in 90-ger Jahre filmen gehört hatte.

„Leonie, das sind 50 Euro. Du kannst mir das nicht einfach so schenken.“

Während ich das sagte, wanderte mein Blick auf das Hauptfach ihrer Ledertasche. Die kleine Ratte mit den ungesund herausstehenden Augen schielte mich hechelnd an.

Ich spürte, wie das Gefühl von Abscheulichkeit in mir hoch kam.

Ich verkroch mich in meiner Kapuze. Mir war das furchtbar peinlich.

Als wir beide 10 waren haben wir zusammen Süßigkeiten in dem Laden an der Ecke geklaut. Mitterweile könnte sie den ganzen Laden kaufen.

Warum muss die auch so einen verdammt reichen Vater haben?

„Ach schätzchen, seh es doch als Geschenk! Wir haben uns jetzt solange nicht gesehen. Ich muss jetzt aber leider schon wieder weiter. Mach's gut schätzchen!“

Dann kam das typische Bonzen ritual.

Küsschen rechts, küsschen links.

Sie winkte mir noch einmal strahlend zu bevor sie in der Menschenmenge verschwand.

Ich erschrak als ich bemerkte, wie gleichgültig mir alles zu sein schien.

Kein einziges mal drehte ich mich um wenn mich ein anzugträger anrempelte.

Nein. Ich beschwerte mich nichtmal. Normalerweise hört man dann so sätze wie: „Passen sie doch auf!“, aber nee. Ich behielt das lieber für mich.

Einmal erwischte ich mich dabei, wie ich einem Jungen hinterherblickte, der meine Schulter beim überqueren der Straße striff.

Doch auch das konnte ich mit dem Gedanken, das er wohl ein alter Klassenkamerade war rechtgertigen.

Augen rollend huschte mein Blick auf die 50 euro, die ich unsicher in meinen Händen hin und her wendete.

„Die kann'se mir ja ins Grab legen“ schnaubte ich trotzig.

Ich kann überhaupt nicht mit geschenken umgehen. Vielleicht aber auch deswegen, weil ich nie welche bekommen habe.

Doch eigentlich war ich dann doch ganz froh über das Geld.

Entweder ich konnte mir ein letztes mal etwas richtig gutes Essen kaufen, oder ich würde einfach nochmal etwas trinken gehen.

Ein paar straßen weiter war meine Stamm kneipe, und ich wollte Tommy wenigstens nochmal sehen bevor ich weg bin.