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»Ein wutentbrannter Donnerschlag, der die Mythen in Stücke reißt, die dem männlichen Machterhalt dienen« Daily Mail
Edinburgh, 4. Dezember 1591. Es ist die letzte Nacht im Leben von Geillis Duncan: Als Hexe verurteilt, in einem Verlies tief unter der High Street von Edinburgh, weiß sie, dass der Henker sie erwartet. Da erscheint eine geheimnisvolle Besucherin in der Zelle: Iris, die behauptet, sie käme aus einer Zukunft, in der Frauen immer noch dafür verfolgt werden, wer sie sind und woran sie glauben. Während die Stunden vergehen und die Morgendämmerung heraufzieht, erzählt Geillis von ihrer Verhaftung, der brutalen Folter, ihrem Geständnis und dem Prozess, während Iris ihr Trost spendet.
Basierend auf historischen Tatsachen zeigt uns »HEXE« schonungslos, was passiert, wenn eine Gesellschaft von Angst, Aberglauben und Misstrauen geprägt ist, und wie der unnachgiebig und mit brutaler Gewalt geführte Feldzug eines Königs gegen Frauen bis in die Gegenwart hinein spürbar ist.
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Seitenzahl: 112
Veröffentlichungsjahr: 2024
Edinburgh, 4. Dezember 1591. Es ist die letzte Nacht im Leben von Geillis Duncan: Als Hexe verurteilt, in einem Verlies tief unter der High Street von Edinburgh, weiß sie, dass der Henker sie erwartet. Da erscheint eine geheimnisvolle Besucherin in der Zelle: Iris, die behauptet, sie käme aus einer Zukunft, in der Frauen immer noch dafür verfolgt werden, wer sie sind und woran sie glauben. Während die Stunden vergehen und die Morgendämmerung heraufzieht, erzählt Geillis von ihrer Verhaftung, der brutalen Folter, ihrem Geständnis und dem Prozess, während Iris ihr Trost spendet.
Basierend auf historischen Tatsachen zeichnet Hexe schonungslos auf, was passiert, wenn eine Gesellschaft von Angst, Aberglauben und Misstrauen geprägt ist, und wie der unnachgiebig und mit brutaler Gewalt geführte Feldzug eines Königs gegen Frauen bis in die Gegenwart hinein spürbar ist.
Jenni Fagan ist preisgekrönte schottische Romanautorin und Lyrikerin. Nach der Veröffentlichung ihres viel beachteten Debütromans Das Mädchen mit dem Haifischherz wurde Jenni Fagan in die Granta-Liste der besten jungen britischen Romanautoren aufgenommen. 2016 wurde sie bei den Herald Culture Awards als Scottish Author of the Year ausgezeichnet. Fagan ist Mitglied der Royal Society of Literature. Hexe ist ihr erster Roman, der bei btb erscheint. Jenni Fagan lebt mit ihrem Sohn in Edinburgh.
JENNI FAGAN
ROMAN
Aus dem Englischenvon Werner Löcher-Lawrence
Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel»Hex« bei Polyfon/Birlinn Ltd, EdinburghDer Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
Deutsche Erstausgabe Dezember 2024
Copyright der Originalausgabe © 2022 by Jenni Fagan
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024 by btb Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Covergestaltung: semper smile, München
nach einem Entwurf und einer Illustration
von Clare Stacey/headdesign.co.uk
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
MK · Herstellung: han
ISBN 978-3-641-28799-3V001
www.btb-verlag.de
www.facebook.com/penguinbuecher
Für Geillis Duncan
MitternachtEine offene Einladung (über eine Séance):Am 1. August 2021, in einer Zelle an der High Street am 4. Dezember 1591Elemente: Luft + Leere
Ich war draußen im Nichts. In der Ewigkeit, so schien es. Ich war körperlos und formlos, bis verschiedene Dinge zu erscheinen begannen. Eine Reihe mit Öl betriebener Straßenlaternen. Eine abschüssige, gepflasterte Straße. Der Mond mit einem dünnen Lächeln. Stadtbäume, die ihre Äste so weit zurückbiegen! Dieser Wind, verrückt! Hohe Mietshäuser säumen die Straße nach Castlehill.
Am Morgen wird hier eine Hexe sterben.
Ich steige volle drei Stockwerke unter Edinburgh in einen niedrigen, gemauerten Gang mit gewölbter Decke hinab. Eine Wache hockt in einer Nische und späht in die Düsternis. Der Mann muss weg, damit ich zu dir komme. Ich sammle mich direkt neben seinem Ohr und flüstere: »Geh schon, hinaus ins Nichts, geh, dein Körper ist so schwer.«
»Wer ist da?«
Ich kann nicht sagen, woher ich weiß, wie man das macht, aber ich weiß es. Das habe ich schon immer. Sanft helfe ich seinem Bewusstsein, sich von seinem Körper zu trennen.
»Es ist nur ein Traum …«
Ich sage es in sein Ohr, leise, wieder und wieder, bis sich seine Augen schließen und sein Kopf zur Seite kippt. Um so etwas tun zu können, musst du lernen, niemanden in der Nähe zu haben, der deine Energie trinkt. Ich habe das auf die harte Tour gelernt und als Kind Licht weggegeben, als wäre es nichts. Wer keines hatte, füllte sich bei mir mit all der guten Energie, als wäre ich eine unerschöpfliche Quelle. Das reinste Licht zieht die undurchdringlichste Finsternis an. Große, riesige Totenkopfschwärmer fliegen des Nachts darauf zu. Überall auf der Welt. Sie ersticken alles Licht, bis nur noch eine leere Hülle da ist. Ich werde den Preis dafür bezahlen. Das ist der Lauf der Welt.
Mit zitternden Händen, die sich ganz und gar nicht fest anfühlen, ziehe ich ihm die Stiefel aus und würge. (Kann sich ein Geist erbrechen? Ja, ja, ja, der Gestank muss nur schlimm genug sein.) Er hat hornige gelbe Fußnägel, dick und verpilzt. Ich werfe seine Stiefel in einen engen, winzigen Schacht. Wenn er aufwacht, kommt er nur langsam voran. Du brauchst Zeit, um dich vorzubereiten, Geillis Duncan. Am Morgen werden sie dich hinrichten.
Reiß ein Streichholz an!
Wir haben so wenig Zeit.
Ich muss mich beeilen.
00:37 UhrDer offenen Einladung gefolgt (per Astralreise):Am 1. August 2021, in einer Zelle an der High Street am 4. Dezember 1591Elemente: Luft + Leere
Deine Zelle liegt tief unter der Stadt. Tief unter dem Treiben des Alltags, unter Tavernen und Wohnungen, unter Betten, Küchen, Umarmungen und Hoffnungen, unter Kirchen, Gebeten, Freiheit, Lachen und Luft, unter verschlossenen Fenstern und vor Kaminen schlafenden Hunden. Sie liegt so tief unter den Jahreszeiten, dass es sie genauso gut gar nicht geben könnte. Hier herrscht nur eine Art Wetter – eisig kalt und in Dunkelheit gehüllt. Die Luft steht. Ich muss eine Minute warten. Mich versichern, dass die Wache tief schlummert. Das Letzte, womit ich fertig würde, wäre, dass der Kerl wieder zu sich kommt. Du bist irgendwo hier unten, Geillis Duncan. Ich bin bereit, so weit zu gehen, wie ich muss – du bist also nicht allein in der letzten Nacht deines Lebens. Ich rufe nach dir, im Äther.
Ich habe noch nie so direkt jemanden heraufbeschworen, ich hatte viel zu viel Angst davor.
Bin mein ganzes Leben gereist.
Geister sind zu mir gekommen, durch mich hindurchgeschwebt, haben mich aus meinem Körper geholt und nächtelang durch Räume und Decken geworfen. Halb nackt war ich eine von ihnen, kam frisch aus dem Bad und hielt ein großes Messer in der Hand. Gehört habe ich sie und bei mir aufgenommen, noch bevor ich Worte zu formen wusste oder lächeln konnte. Für dich jedoch war ich in der Leere. Habe gewartet. Unsicher, was das für meine Gesundheit oder mein Leben bedeutet. Werde ich zurückkönnen? Fünfhundert Jahre liegen zwischen uns, Geillis Duncan, und doch ist es ein so kleiner Sprung.
Ein Gespräch zwischen zwei Hexen durch die Zeiten.
Ich bin nervös.
Ich vermisse dich.
Frage mich nicht, warum ich das so empfinde, denn ich weiß es nicht.
Manche Leute mögen denken, dass es nicht sein kann, jemanden so verzweifelt zu vermissen, den man noch gar nicht kennt, oder ein Zuhause, das man nie gehabt hat, aber mir geht es so. Mein Leben lang schon. Ich vermisse Menschen, die ich nie gesehen habe. Betrauere sie. Sogar noch heftiger als diejenigen, die mir bereits einer nach dem anderen genommen wurden.
Der Henker wird bei Sonnenaufgang hier sein.
Ich greife nach den Schlüsseln der Wache.
Er hat sie mit einem Vorhängeschloss an einen Metallring hoch an der Wand festgekettet. Bei Hexen wird kein Risiko eingegangen. Stell dir vor, der Henker könnte deine Zellentür geöffnet vorfinden. Staub, der durch einen matten Lichtstrahl wirbelt. Auf dem Boden eine einzelne Feder. Auf dem Absatz würde er herumfahren. Den Gang hinunterstürzen. In den Hof und hinaus auf die High Street, wo sich bereits die Ersten mit ihren frisch gesäuberten Morgengesichtern einfinden, um Geillis Duncan sterben zu sehen.
»Sie ist geflohen!«
»Was?«
»Die Gefangene, die Hexe, sie ist weg!«
»Wohin?«
»Der Teufel hat sie geholt, oder eine Vertraute. Die Wache liegt reglos da, verhext, der Mann ist kaum bei sich …«
»Idiot …«
Wie gern würde ich den Aufruhr hören. Aber wer würde sich trauen, eine gute Hinrichtung zu stoppen? Alle Frauen, die ich kenne, würden es. Jede einzelne von uns! Wir alle kämen her und würden es mit Freuden tun. Die Ermordung Geillis Duncans erfolgt für den Staat, den König, den Beamten, der sie angeklagt hat. Sie wird für die Gottesfürchtigen, die einfachen Leute getötet, die eine gute Hinrichtung schätzen. Für die, die andere hassen müssen. Um sich selbst über die Verhassten zu erheben. Würdest du morgen nicht gehängt, Geillis, wie viele Leute gingen dann mit dem Gefühl nach Hause, betrogen worden zu sein? Enttäuscht, dich nicht vor ihren Augen sterben gesehen zu haben? Sie wollen sagen können, dass sie dabei waren, als Geillis Duncan ihr Leben ließ. Um die Geschichte jahrelang auskosten zu können. Es gab da eine Hexe, und wir haben gesehen, wie sie getötet wurde! Ich gehe den hinteren, winzigen, sich windenden Gang entlang – ganz am Ende, da irgendwo musst du sein. Deine Ermordung ist eine Botschaft an die Massen. Die Feinde von König James werden erzittern. Und seine Frau? Anne ist vierzehn und mit einem Mann verheiratet, der Männer mag und unter der Wahnsinnsangst leidet, dass es herauskommt. Über dreihundert Schneider haben an Annes Hochzeitskleid gearbeitet. Alles wird zum Spektakel. Hochzeiten, Geburten, Hinrichtungen. Dem Mensch wohnt eine Mordlust inne. Sehen wir zu, wie ein Mädchen aufgehängt wird! Der König demonstriert seine ganze Macht. Wer würde gegen einen Mann ankämpfen, der den Teufel selbst besiegt hat? König James hat diese spezielle Hexenjagd nicht angefangen, aber er wird sie ganz sicher zu Ende führen. Wie kämpft er gegen den Teufel an?
Nun, jetzt fragst du!
Durch junge Mädchen!
Tut das nicht jeder?
Wir verfolgen den Teufel durch Gebärmutterträgerinnen, sie haben eine Schwäche für ihn!
Witwen!
Erbt sie?
Eine Frau?
Alleinstehend?
Ist sie groß?
Ist sie hässlich?
Hat sie Zuckungen?
Ist sie zu klug?
Hat sie einem Mann direkt in die Augen gesehen?
Hat sie ein Schwein geheilt?
Hat sie ein Kind geboren, das gestorben ist?
Hat sie – unfreundlich geredet?
Nein! Das werden sie nicht tolerieren.
Die Stimme einer Frau ist ein Fluch. Sie muss lernen, die Männer ständig zu lobpreisen. Tut sie es nicht, ist sie eine Bedrohung. Eine Dämonenhure, eine Hexe – das sagen alle, auch das Gesetz. Das sagt der König, sagt seine Wache. Die Hexenprüfer und ihre sadistischen Freunde, die ihre Opfer mit Nadeln traktieren, sagen es. Die Ehemänner, die Neider, die Frauen, die Töchter, die Gottesfürchtigen, ständig versuchen Dämonen, sie zu töten, und so wissen sie Bescheid. Und so sagt es auch der Henker, der mit der Bibel in der Hand zu Bett geht.
Da ist deine Zelle, Geillis Duncan! Endlich. Es hat so lange gedauert herzukommen, dass ich nicht weinen darf. Ich recke die Arme in die Höhe. Eine Staubwolke sinkt herab – und ich habe endlich wieder eine etwas festere Form gefunden. Deine Zelle ist winzig und dunkel. Du bist wirklich noch ein Kind.
»Wer ist da?«
»Kannst du mich sehen, Geillis?«
»Pssst. Wenn er dich hört, muss ich es ausbaden. Nein, ich kann dich nicht wirklich sehen, es ist zu düster. Wer bist du? Ein Dämon?«
»Ich heiße Iris.«
»Bist du verrückt? Weißt du, was sie tun, wenn sie dich hier finden, Iris? Wie bist du hereingekommen?«
»Ich bin durch die Zeit gereist.«
»Du lügst.«
»Doch, um zu dir zu kommen.«
»Warum?«
»Damit du nicht gerade in dieser Nacht ganz allein bist.«
Du trittst ein Stück näher, etwas weniger verängstigt als noch vor einer Minute.
»Bist du eine Vertraute?«
»Nein.«
Fast am Gitter, siehst du mich direkt an.
»Bist du sicher?«
Ratten scharren in der Ecke.
Du wendest den Blick nicht von mir ab. Drehst den Kopf, hältst die Augen aber auf mich gerichtet. Der Hauch von Mondlicht zeichnet den Umriss deiner Nase, von Stirn und Kinn nach. Du siehst aus wie das Silbergesicht auf einer Zehn-Pence-Münze.
»Nein, ich glaube nicht, dass das möglich ist, Geillis. Ich meine, ich habe das …«
»Noch nicht überlegt?«
»Nein.«
»Ich verstehe. Wie genau wirst du zurück nach Hause kommen, Iris aus dem Äther?«
»Ich weiß es nicht.«
Da lächelst du, ein leises Kichern. Du hast ein Grübchen im Kinn, weiche Haare an den Schläfen, und deine Haut ist so dünn, dass es unsicher scheint, ob sie Blut, Knochen, Organe, Herz und Seele in sich halten kann.
»Denkst du an mein Inneres, meine liebe, fremde Besucherin?«
»Nein.«
»Du lügst.«
»Und?«
»Du weißt, dass sich mein Inneres jede Minute auf den Boden ergießen mag – vor deine Füße. Dann sitzt du in meinem klebrigen Blut, mein Herz wird neben meiner Leber, meinen Nieren schlagen, meine Augen werden in einer purpurnen Lache rotieren, dich anstarren, und mein Mund – ist weit offen und lacht!«
»Geillis …«
»Was? Du dachtest, ich gäbe hier das nette Mädchen? Sag mir, wie mein Bewacher heute Nacht aussieht. Ich muss wissen, ob es der ist, der vor Tagesanbruch immer in meine Zelle kommt. Ich glaube nicht, dass ich ihn noch einmal ertrage, auch nicht ein letztes Mal.«
Deine Faust ist fest geballt.
Du beißt die Zähne zusammen, hast ein Kinn aus Marmor.
Deine Augen sind von Dunkelheit verschleiert, und du bist so voller Angst, dass es nach faulen Birnen riecht.
»Der Kerl wacht heute Nacht nicht wieder auf, versprochen.«
»Für mich hast du das getan?«
»Ich habe es versucht, Geillis. Was du über eine Vertraute gesagt hast? Ich war die, die nach dir gerufen hat, aber hast du …?«
»Ich weiß es nicht, Iris, habe ich?«
Unsere Gedanken ticken wie mechanische Uhren.
»Der Henker wird früh kommen.«
»Ich weiß.«