17,99 €
Willkommen zur One-Man-Comedy-Show mit Friedwald Fröhlich aus Freudenstadt; heute jedoch nicht auf der Bühne, sondern in Buchform zum Lesen. Friedwalds Leben könnte so friedlich sein, wären da nicht die lieben Nachbarn … Mit Witz und Ironie lässt uns der Ich-Erzähler an seinen kuriosen Begegnungen teilhaben: Da hängt der berühmte Zweig über den Zaun, da wird der Schnee nicht korrekt geräumt, da schallt die Musik zu laut im Garten. Mal kommt die Sittenpolizei, weil sie ein Freudenhaus vermutet; mal kommt die Müllabfuhr, um den Sperrmüll einzusammeln; dann kommen Geister-Kammerjäger, um das ominöse Getöse in der Nacht aufzuklären. Hin- und hergerissen weiß Friedwald bald nicht mehr, was richtig oder falsch, erlaubt oder verboten ist, bis er schließlich feststellt: "Hilfe – ich bin die Pest".
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 428
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2025 novum publishing gmbh
Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt
ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0209-1
ISBN e-book: 978-3-7116-0210-7
Lektorat: Karolin Leyendecker
Umschlagabbildungen: Alinamd, Rixie, Rangizzz | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
01 Freiheit
Ich bin der Ausdruck von Freiheit. So wie ich lebe, so wie ich fühle, so wie ich einfach bin. Ich bin Freiheit, und dies ist einfach wundervoll und unbeschreiblich schön. Ich lebe in einem tollen Haus und fühle mich auch sauwohl darin. Meine Verwandten und auch die Nachbarn sagen, dass ich mir dieses Haus erschlichen habe, genauer gesagt erblich erschlichen. Zugegeben, ich habe es mir nicht erarbeitet oder erwirtschaftet. Es ist mir einfach zugefallen. Warum, weiß ich auch nicht. Ich weiß auch nicht, warum Großvater gerade mir dieses Haus und dieses Anwesen vermacht hat. Danke, Opa, für dein Vermächtnis, du siehst ja, dass ich es in Ehren halte und genau das lebe, was es verspricht, nämlich Freiheit.
Und genau hier beginnt diese Geschichte, die eigentlich einem Albtraum ähnelt. Es steht genau in diesem Augenblick die Kripo, auch Kriminalpolizei, genannt vor mir, und behauptet schlicht und einfach – sie müssten mich verhaften, da ich eine Gefahr darstelle. Meiner Nachfrage ausweichend, wie sie zu dieser Annahme kommen, ist dies nicht Gegenstand der Ermittlungen und auch nicht relevant. Doch ich weiß genau, woher diese Botschaft stammt. Genau, sie ist von meinen lieben Nachbarn, welche sich rührend um mich und meine Machenschaften kümmern und mich regelrecht überwachen. Eh nur zur Vorsorge, um das „Wohl aller“ nicht zu gefährden. Zugegeben, ihr Zugang oder ihre Lebensweise gleicht nicht ganz der meinen. Sie sind so etwas wie der „moralische Souverän“ unter den Lebenden. Das heißt, sie haben immer und überall Recht und führen ein vorbildliches Leben für sich und ihre Mitbewohner. Wie ich das bemerkt habe? Na, genauso!
Angefangen hat alles mit einem einfachen kleinen Zweig, welcher unbedingt den Weg in die Freiheit suchen wollte. Leider war der Spross an der falschen Seite des Baumes, des Stammes gewachsen, und so war die Richtung vorgegeben, und diese Richtung führte direkt in Nachbars Garten. In seinem unendlichen Drang nach Freiheit bündelte er sämtliche Energien. Magisch zog ihn das Licht an: „Hier und nirgends anders will ich hin!“, dachte sich der Zweig und wuchs enorm stark, lang und schnell. Fast über Nacht hatte er einen Meter geschafft, und dies war erst der Anfang. Wachstum und Entwicklung in voller Blüte stand auf der Tages- und Nachtordnung. Zuerst ist es mir gar nicht aufgefallen. Ich freue mich nämlich über meinen Garten, über das Geschenk der Natur. Bei mir kann sich jeder und jede Pflanze entfalten, hier gibt es keine Grenzen. Was ich nicht bedacht hatte, ist, dass ich und mein Garten nicht das Universum sind und meine, unsere Unendlichkeit Grenzen aufweist, und diese Grenze beginnt am Zaun zum Nachbarn. Als ich den entflohenen Zweig entdeckte, waren meine ersten Gedanken: „Hoffentlich hat er es noch nicht bemerkt!“ Schließlich will ich keinen Ärger, und schließlich kämpfe ich für Frieden in mir und in der Welt. In meinen Gedanken schmiedete ich schon den Rettungsplan: „Ich schleiche mich ganz leise mit meiner Zwickschere und Schnur an, unbemerkt sichere ich vorher den Zweig, damit er nicht auf den Boden fällt, und mit einem schnellen Schnitt schneide ich den Ausreißer ab, ziehe ihn mit der Schnur auf meine Seite, und er darf mir dann als Kompost dienen!“
Diesen Plan wollte ich in die Tat umsetzen, doch leider kam es nicht mehr dazu, denn schon zwei Meter vor der Grundgrenze wurde ich mit einem „Halt“ gestoppt. Bleiben Sie sofort stehen, und nähern Sie sich mir nicht. Mein Nachbar Klaus stellte mich und erklärte mir die Vorschriften und Regeln: „Eigentlich bin ich gar nicht so!“, begann er seine Ausführungen. „Aber das Gesetz schreibt es nun einmal so vor, oder wollen Sie etwa das Gesetz brechen?“, gab er mir die Frage zurück. Ich schüttelte nur meinen Kopf. „Also, dann sind wir uns ja einig“, sprach er weiter. „Da Sie ungeschützt sind, haben sie die Abstandsregel gebrochen, wissen Sie denn nicht, dass es eine 3-Meter-Abstandsregel zur Grundgrenze gibt und Sie diese mindestens um einen Meter überschritten haben, wozu gibt es Maßbänder?“, schüttelte er missbilligend seinen Kopf. „Doch ich will nicht so sein und dulde diese einmalige Überschreitung, was mir aber überhaupt nicht gefällt, ist dieser Ast, welcher sich unerlaubterweise in mein Grundstück gedrängt hat. Normalerweise sind mir solche Dinge egal, aber ich kann dies in diesem Falle nicht einfach so hinnehmen. Wissen Sie eigentlich, dass ich für diesen Zweig Steuern zahle, außerdem noch Müllentsorgungsgebühr und auch mehr Strom zahlen muss, da dieser Zweig mir Schatten auf meine Fotovoltaikanlage wirft und somit die Leistung verringert, würden Sie sich dies alles gefallen lassen?“, fragte er mich wieder. Ich will ihm gerade antworten, da fällt er mir gleich wieder ins Wort: „Eines habe ich noch vergessen, dieser Zweig verbraucht meinen Sauerstoff in meinem Garten, welcher nur mir und meiner Familie gehört, er ist sozusagen ein Räuber, der sich auf meine Kosten assimiliert, und dies kann und will ich nicht zulassen. Ich werde Sie wegen Besitzstörung, Raub und Nötigung anzeigen müssen, das verstehen Sie ja sicher, oder?“ Diese kurze Pause nutze ich und frage ihn mit diesen Worten: „Können wir dies nicht andersregeln?“ Die Antwort folgt prompt: „Und wie stellen Sie sich das vor?“ –
„Ich komme natürlich für sämtliche Schäden auf und würde sogar noch etwas drauflegen, um meinen guten Willen zu signalisieren!“ –
„Sie wollen mich also bestechen, damit ich von einer Klage absehe! Verstehe ich das richtig?“ –
„Nein, ganz und gar nicht“, antworte ich. „Ich will nur eine gute Nachbarschaft, und ich will schon gar niemandem Schaden zufügen.“ Es herrscht darauf eine kurze Stille, und mein Nachbar Klaus schaut mich ganz genau an, sein Blick wird ernst und düster und die darauffolgenden Worte sind es auch: „Sie lügen und behandeln mich rücksichts- und respektlos!“ –
„Warum?“, frage ich zurück. „Ja, fällt Ihnen nicht auf, dass Sie keine Maske tragen!“ –
„Warum soll ich auf meinem eigenen Grund eine Maske tragen?“, entgegne ich. „Bleiben Sie mir fern mit Ihren Erregern, und lesen Sie gefälligst die Vorschriften und neuen Regeln, für alle Ungeschützten gilt Maskenpflicht, und Sie müssen sich mehr als drei Meter von jeglichen Lebewesen fernhalten, und dies gilt auch am eigenen Grundstück.“
Nach einer kurzen Nachdenkpause weiche ich, ohne ein Wort zu verlieren, zurück. Beim Weggehen höre ich meinen Nachbarn noch schimpfen. Im Unterbewusstsein nehme ich seine Worte wahr: „Ich werde Sie melden müssen!“, dann verstummte er. Sofort gehe ich zu meiner Gartenhütte und mache das, was ich in so einer Situation immer mache. Als Erstes schalte ich mein Radio auf volle Lautstärke ein, dann nehme ich meine Sense und beginne zu mähen, dabei singe ich laut meine Lieblingslieder, spreche ohne Maske mit den Bienen und Schnecken und rocke so richtig ab. Mein „Sensenrapp“ ist eine Sensation und unverkennbar cool. Schön ist mein Garten, und gut ist meine Laune. Unter meiner Sonnenbrille verdunkle ich meine Sichtweise, und diese ist nur auf meinen eigenen Garten gerichtet. Die Welt rundherum interessiert mich nicht. Ach, ist das Leben nicht schön. Ich ziehe einen Streifen oder Schwaden genau neben meiner Grundgrenze, und niemand kann mich aufhalten. So bemerke ich lange nicht, was sich im Nachbarsgarten abspielt. Erst als ein Schuss fällt, stoppe ich abrupt meine Arbeit und schaue auf.
Und genau in diesem Moment befinden wir uns hier und jetzt. Ich Auge in Auge mit der Polizei. Wie sich herausstellt, haben sie den Warnschuss abgegeben. Eine ganze Meute von Demonstranten hat sich versammelt und beschwert sich wild über mein verantwortungsloses Verhalten. Sie fordern die Einstellung der Arbeit und fordern mein Verschwinden aus ihrer ruhigen und freundlichen Siedlung. Mit Worten: „Wo kommen wir da hin, wenn ein jeder tun kann, was erwill“ üben sie massiven Druck aus. Mir wird sogar ein Ultimatum gestellt. Ich habe die Wahl zwischen „Einsperren oder Verschwinden!“ Ein ewiges Verschwinden hat natürlich Vorrang.
Ich nehme die Petitionen entgegen, setze meine Kopfhörer auf, sodass nur ich meine Musik hören kann, wetze meine Sense und mähe weiter in meinem Takt, unbeirrt und ohne aufzusehen. In meinen Gedanken habe ich Bilder von einer friedlichen Welt, wo sich Menschen umarmen, zusammen singen und feiern, ich sehe eine Welt der Liebe. Dass dieses Verhalten das Fass zum Überlaufen bringt, habe ich erst später bemerkt, nämlich genau wieder in diesem Augenblick, als Polizeibeamte mich zu Boden werfen, meine Hände auf den Rücken ziehen und mir Handschellen anlegen. Sie zerren mich zu ihrem Polizeiauto. Beim Vorbeigehen höre ich meine Nachbarn noch rufen: „Sperrt ihn weg, er ist die Pest!“
Ach, wie schön, sie stehen Spalier und verschaffen mir so einen würdigen Abgang aus meinem eigenen Garten. Erst jetzt bemerke ich, dass die Beamten allesamt Handschuhe tragen und auch ihre Gesichter mit Masken verhüllt haben. Mein Wunsch, vorne im Auto sitzen zu dürfen, erfüllt sich nicht. Zu meinem Erstaunen muss ich im mitgeschleppten Quarantänefahrzeug allein Platz nehmen, trotzdem winke ich meinen lieben Nachbarn zu: „Ich komme bald wieder!“, gebe ich ihnen zu verstehen, danke, dass ihr mir diese Erfahrung ermöglicht habt. Ich werde euch dann genau über meine Vernehmung und den Arrest berichten. Ach, Herr Klaus, können Sie vielleicht in der Zwischenzeit meinen Zweig in Ihrem Garten abschneiden, da ich meine Steuererklärung schon abgegeben habe und dies nicht mehr berücksichtigen kann, danke vielmals, wir sehen uns.
02 Auf dem Revier
Das ist das Ende. Ich stelle mir gerade vor, wie ich einsam und verlassen in einer Gefängniszelle dahinvegetiere, wie sich der Tod langsam durch die Zellentüre anschleicht und mich schließlich dahinrafft oder erlöst.
Aus und Schluss, das ist nicht das Ende, es fängt gerade erst an. Die werden mich noch kennenlernen, ich freue mich schon auf diesen Spaß, auf diese Erkenntnis, schließlich bin ich nicht irgendwer, sondern ich bin anders, ich bin die Veränderung oder vielleicht doch der Albtraum, wer weiß!
Bei meiner Fahrt im Aufbewahrungsbehälter geht die Fantasie mit mir durch. So stelle ich mir das Polizeirevier vor. Ein modernes Department mit vielen Leuten, Polstermöbel und Raffstore sowie nette freundliche Cops, welche sich um die Menschen kümmern und helfen und sie nicht vorverurteilen. Sie bringen den Leuten Kaffee und Kuchen und versuchen mit ihnen dann die Tatsachen zu erheben und die Vorwürfe zu entkräften. Jeder Polizeibeamte macht sich dann selbst ein Bild vom Tathergang. Dadurch werden viele Missverständnisse aus dem Weg geräumt, man könnte vieles besser verstehen, nicht, dass man seiner Strafe entgeht, sondern einfach, um die Situation zu begreifen und den Betroffenen und seine Emotionen, seine Gefühle und den Grund seiner Tat besser zu verstehen. Nicht alle Rechtsbrecher sind radikal oder unberechenbare Mörder, vielleicht sogar Monster.
Dies sind meine Gedanken, und wir tuckern so geradewegs in Richtung Revier. Ein unsanfter Ruck reißt mich aus meiner Fantasiewelt und gibt mir zu verstehen, dass wir eingetroffen sind. Die Türe wird geöffnet, und durch lautes Brüllen sendet man mir die Botschaft, dass ich aussteigen solle. In meiner behutsamen Art und Weise nähere ich mich ganz langsam dem Ausstieg, worauf ich durch einen Stoß angetrieben werde, um meine Schritte zu beschleunigen. Mit einem Gummiknüppel im Kreuz werde ich ins Wachzimmer geschoben. Es ist ein steriler Raum mit harten Holzsesseln, nicht so wie in meiner Vorstellung. Als ich Platz genommen habe, wird mir zuerst Zeit gegeben, um mich auf die Umgebung einzustellen, das heißt, ich muss lange warten, ohne wirklich betreut zu werden. Dies macht mir aber nichts aus, so träume ich weiter vor mich hin und starre auf die kahlen Wände. Es ist ein Ort des Nichts, und so gibt es hier auch nichts zu spüren. So bemale ich in Gedanken diesen Raum mit einer bunten Blumenwiese mit vielen Schmetterlingen.
Jedes Warten hat schließlich ein Ende und so kommt nach zwei Stunden ein Inspektor mit seinem Betreuungspolizisten in meine Kammer. Der Inspektor nimmt mir gegenüber Platz, doch sein Gehilfe muss stehen. Nach einer kurzen Nachdenkpause beginnt der Kommissar zu sprechen: „Wissen Sie, warum Sie hier sind?“ Es folgt wieder eine kurze Nachdenkpause meinerseits und frisch und frei antworte ich wie folgt: „Weil ich meine Wiese gemäht habe!“ Es folgt wieder ein Moment der Stille, und mein Gegenüber sagt ganz emotionslos: „Siehalten sich für ganz schlau, oder?“ und beendet dies wiederum mit einer Frage. Nach einem Grübeln bemerke ich: „Ja, ich halte mich schon für intelligent!“ Die beiden Beamten schauen sich an und nicken und lächeln einander zu und fahren mit dem Verhör fort. „Da Sie dies anders sehen als ich“, beginnt Herr Columbo zu sprechen, „will ich Ihnen die Fakten vorlesen. Ihre Nachbarn bringen folgende Beschwerden gegen Sie vor:
‚Lärmbelästigung beim Mähen durch ultralautes Radiohören, Nichteinhaltungder Abstandsregeln an der Grenze, nächtliche Ruhestörung durch lautes Brüllen und Schreien bei offenen Fenstern sowie Selbstgespräche bei der Gartenarbeit, außerdem Landschaftsverschandelung durch nicht genügend Pflege und Verunreinigung Ihres Anwesens!‘“ – „Aha“, nicke ich verständnisvoll, „dies war mir gar nicht bewusst, ich werde mich bessern, darf ich jetzt gehen?“, gebe ich zurück.
Ein breites Lächeln schmückt nun das Gesicht des Herrn Inspektor: „Nein, Sie dürfen nicht gehen!“, gibt mir dieser zu verstehen und redet weiter: „Vorher müssen wir noch einiges klären, und das Erste ist einmal die Bestandsaufnahme, wie Sie heißen usw.?“ Selbstverständlich nicke ich wiederum und beantworte wie folgt die Frage: „Ich heiße Friedwald Fröhlich und wohne in der Glückseliggasse 7, 8540 Freudenstadt, ich bin geschieden, habe keine Kinder und habe das Haus und den Grund von meinem Großvater geerbt, mein Beruf ist Mentalist oder Bewusstseinslehrer, ich praktiziere von zu Hause aus, habe kein Auto, nur ein Fahrrad, besitze kein Handy, mein einziger Draht zur Außenwelt ist das Internet!“ Wohlwollend nickt der Kommissar wieder und beendet die Ruhe durch seine Kopfbewegung mit einer gezielten Frage: „Sind Sievorbestraft?“ – „Nein“, antworte ich schnell und ohne zu zögern. Diese Antwort ist dem Sheriff nicht genug, er bohrt sofort nach: „Haben Sie irgendwelche Straftaten begangen?“ Da muss ich jetzt aber nachdenken. Ich beginne meine Ausführungen so: Mir fällt tatsächlich etwas ein, und offenherzig erzähle ich Columbo, dass ich als Kind einmal aus einem Kaugummiautomaten Kaugummi gestohlen habe, außerdem habe ich illegal aus dem Müllcontainer Sachen entwendet und einem Hund seine Wurst abgenommen, doch dieser wollte sie sowieso nicht fressen. Von oben bis unten schaut mich darauf der Kommissar an, erhebt sich von seinem Platz und beginnt laut zu brüllen:
„Sie sind schlechter als die Pest, Sie sind der Virus, der sichin unsere Gesellschaft frisst und den keiner haben will, Sie sind der Abschaum für die Menschheit, und wenn Sie so weitermachen, werden Sie scheitern. Noch ist die Gesetzeslage so, dass ich Ihnen nur eine Mahnung aussprechen darf, aber schon bald wird es dazu kommen, dass wir Sie wegsperren, doch vorher werde ich Sie im Auge behalten, und sollten Sie nur den geringsten Ansatz der allgemeinen Belästigung betreiben, kommen wir und holen Sie, und dann kommen Sie nicht so leicht davon!“
Es herrscht wieder friedliche Stille im Verhörzimmer, und lange starren wir uns gegenseitig nur an. Gehilfe Inspektor spricht dann ganz ruhig zu mir: „Wollen Sie darauf etwaserwidern“ Die Zahnräder in meinem Kopf drehen sich wieder und meine Gedanken wägen ab, will ich etwas sagen oder nicht, und so beginne ich zu sprechen: „Ich will Sie weder ärgern noch belästigen, ich will einfach nur mein Lebengestalten, wie ich es mir vorstelle, ich will auch keine Nachbarn stören oder ihnen Schwierigkeiten bereiten, ich lebe an meinem Platz und kämpfe für meinen gesunden Garten, eine friedliche Welt und für fröhliche Menschen, und diese Freude schreie ich manchmal in den Himmel hinauf, das ist alles!“
Nach Beendigung meiner Antwort herrscht wieder absolute Stille. Am roten Gesicht des Inspektors kann man feststellen, dass ihm meine Worte nicht gefallen haben, außerdem beginnt er mit den Füßen am Boden zu scharren. Um meinen guten Willen zu zeigen, ergänze ich meine Ausführungen:
„Lieber Herr Inspektor, ich merke, dass Sie überarbeitet sind undnicht völlig entspannt ihrer Arbeit nachgehen, deshalb möchte ich Sie in meinen Garten einladen, um Ihre Blockaden zu lösen, darauf bin ich spezialisiert und deshalb biete ich Ihnen dies vollkommen kostenlos und ohne Gegenleistung an, dann können Sie sich ja selbst ein Bild meiner Arbeit und meines Wirkens machen!“
Daraufhin schlägt der Beamte mit den Fäusten auf den Tisch, macht dasselbe mit dem Kopf, stampft noch wilder in den Boden und beginnt laut zu schnaufen. Danach höre ich ihn folgende Worte sprechen:
„Sie glauben, ich bin überarbeitet, Sie laden mich zu sichnach Hause ein und bieten mir eine Behandlung an, jetzt platzt mir aber der Kragen, und Sie werden jetzt einmal mit meiner Behandlung vorliebnehmen müssen! Und diese lautet wie folgt:
„Bestechung von Beamten, falsche Zeugenaussage und Widerstand gegen dieStaatsgewalt“, liest mir der Herr Inspektor die Anschuldigungen vor und so weiter. „Dafür kommen Sie erst einmal in Untersuchungshaft. Los, sperrt ihn weg“, befehligt er seinen Adjutanten und beendet damit seine Amtshandlung.
So sitze ich nun in einer Gummizelle ohne Fenster und Aussicht. Ich werde ohne Grund festgehalten und habe nun genug Zeit für mich. Ich beginne mit der neuen Gartenplanung, und auch das Haus will ich umgestalten. In meiner Fantasie sehe ich die Bilder vor mir, wie ich mir dies vorstelle, und sie sehen herrlich aus, ich bade gerade nur so in Euphorie und Freude über meine Ideen, welche nur so aus mir herausquellen. Ich schaffe mir ein Reich des üppigen Wachstums, der Gesundheit, und ebenso schaffe ich mir eine Tankstelle zur geistigen Aufladung. Meinen Nachbarn gebe ich nichts davon ab, so werde ich die Grenze isolieren, vielleicht mit Elefantengras oder so, um sie zu schützen. In meinem Traum schlummere ich so dahin, bis mich ein Wachbeamter weckt und sagt:
„Die Zeit ist um, Sie können gehen!“
„Danke“, sage ich, wie schnell doch die Zeit manchmal vergeht. Freundlich verabschiede ich mich im Revier und wandere singend nach Hause zu meinem Haus und meinem Garten. Bevor ich mein Anwesen betrete, rufe ich noch schnell zu meinem Nachbarn hinüber: „Grüße Sie, Herr Nachbar, ich bin wieder da und danke, dass Sie mir diese Zeit geschenkt haben, vielen Dank!“ Ernsten Blickes und ohne ein Wort zu sagen verabschiedet sich dieser darauf ins Haus, um in Stille die Dankbarkeit anzunehmen.
Ich höre ein lautes Brüllen im Nachbarhaus – was wird das wohl sein?
03 Die Quarantäne
Wenn dich deine Nachbarn lieben, dann liebe sie auch, und wenn sie dich nicht lieben, dann liebe sie trotzdem, denn oft wissen sie nicht, was sie tun. Auch ich weiß oft nicht, was ich tue. Manches mache ich einfach, ohne nachzudenken und gerade dies ist oft der Grund für Schwierigkeiten, wenn man unbedacht etwas macht. Oft merkt man dies erst an den Folgen und Auswirkungen, wie in meinem Fall, aber dazu erst später.
Ach, was für ein großartiger neuer Tag, denke ich bei mir und öffne dabei die Fenster meines Hauses. Danke, Großvater, rufe ich hinaus, danke für dieses Geschenk, für diesen schönen Platz. Gut gelaunt bereite ich mir mein Frühstück und presse mir meinen eigenen Multivitaminsaft aus, fast ausschließlich aus eigener Erzeugung, und genau das liebe ich so an meinem neuen Leben, diese Eigenständigkeit, diese freien Entscheidungen und das Genießenkönnen im eigenen Haus und im Garten.
Lange sitze ich beim Frühstück und blicke durch das Fenster hinaus in und auf meinem Naturgarten. Er ist nicht perfekt, doch ich arbeite dran und schaffe mir meine eigene Wohlfühloase. In meiner Welt bin ich glücklich, und dass da nicht immer alles geregelt und in perfekter Ordnung und in einer symmetrischen Einteilung ist, stört mich nicht. Ich liebe das Chaos und die vielen Möglichkeiten, welche daraus entstehen können, und dies erfüllt mich mit Freude. Ich weiß, dass mich viele Menschen als Spinner bezeichnen, als Aussteiger, der nur durch die Erbschaft etwas besitzt und hat und es deshalb leicht hat, dies zu verbrauchen und gar zu versauen. Sie sehen mich auch als Störenfried in ihrer perfekten Welt, oft sogar als Schandfleck inmitten einer funktionierenden Gesellschaft. Dies alles stört mich nicht, denn ich baue mir meine eigene Welt, ohne dabei die äußere Welt zu bewerten oder zu diffamieren, was ich gerade getan habe. Ich lasse sie in Ruhe und will auch meine Ruhe haben.
Fröhlich heiße ich, und fröhlich zwitschere ich ein Liedchen vor mich hin. Ich freue mich schon auf den heutigen Tag und mache mir einen Plan, was ich so machen werde. Da ich heute nur einen Termin habe, also einen Besucher oder einen Patienten, welcher meine Dienste in Anspruch nehmen will, habe ich genug Zeit, um mit der Umgestaltung meines Gartens zu beginnen. Ich beschließe, erst einmal die Umrandung zu fixieren, den Abstand zu den Grenzen einzuhalten. Dazu steche ich mit dem Flachspaten eine Kante in die Wiese, um die Abgrenzung deutlich zu machen. Dann besorge ich Pflanzen für meine Elefantengrashecke. Ich freue mich schon, wenn das Gras so über zwei Meter hoch ist, dann bin ich ganz in meinem Reich und störe meinen Nachbarn nicht mit Bild und Ton. Ich habe dabei ein gutes Gefühl. Da ich mit Freude dabei bin, geht mir die Arbeit leicht von der Hand. Ich habe sogar noch eine zusätzliche Idee, welche auch sofort umgesetzt wird. Großvater hat noch so viel Flachblecheisen in seiner Garage liegen und genau diese biege und schneide ich mir zurecht und grabe sie als Rasenkante ein. Der Rost darauf stört mich nicht, sondern ganz im Gegenteil, dieser gefällt mir außerordentlich gut.
In meinen Gedanken will ich schon das Radio aufdrehen und mit Liedern meine Freude der Umwelt kundtun oder kundsingen, doch „Stopp“, dies lasse ich heute lieber bleiben, um mein Umfeld nicht zu provozieren. Wenn sie es ruhig haben wollen, dann sollen sie es ruhig haben, ist voll und ganz in Ordnung, habe kein Problem damit. In diesem Moment startet mein Nachbar seinen Rasenmäher-Traktor und rattert mit Vollgas über seine zwei Zentimeter hohen Gräser. Bei ihm hat alles System, und alles wird kurzgehalten und das ständig und immer. Das Leben muss seine Ordnung haben, ist seine Aussage. Mein Nachbar ist wirklich fleißig, denn nach einer Stunde Rasenkosmetik startet er nun seine Akku-Heckenschere, um die wilden Ausreißer abzuschneiden und ein rechteckiges oder quadratisches Erscheinungsbild zu schaffen. Voller Hingabe wendet er sich all dem zu, was nicht erwünscht ist, und nach einem kurzen Grrrr … und rrrr … ist alles gleich und waagerecht, dafür benutzt er sogar seine Wasserwaage, um die Natur lotgerecht einzuwiegen. Jedem das seine, denke ich so bei mir.
In der Zwischenzeit habe ich mir meine Ohrenschützer aufgesetzt und mir „Vivaldis vierJahreszeiten“ in den Soundtrichter gestellt, so genieße ich Natur und Musik, ab und zu summe ich die Melodie nach und tanze dazu sogar im richtigen Takt. Schön, dass jeder in seiner Welt leben darf. Hier vergesse ich Raum und Zeit, ich freue mich, wenn sich ein Schmetterling auf meine Schultern setzt und in stimmiger Art und Weise mir seine Freude vermittelt. Danach summen diese Butterflies vor meinem Gesicht eine Runde und bedanken sich auf ihre Weise dafür. Ich tiriliere, ich pfeife, voller Schwung und Elan hebe ich Spaten für Spaten aus, lege die Erde in den Schubkarren, bringe das Eisen in Stellung, klopfe es mit dem Gummihammer fest und fixiere es durch das Stampfen an beiden Seiten. Meter für Meter arbeite ich mich vor und habe großen Spaß dabei. Ich bin ganz in meiner Welt, ohne meine Umgebung wahrzunehmen.
So bin ich ganz erschrocken, als plötzlich mein Nachbar vor mir steht und laut brüllt und schreit: „Was hast du wieder angestellt?“ Erstaunt nehme ich meine Kopfhörer ab, lasse aber die Musik weiterspielen und gebe meine Unwissenheit durch Achselzucken kund. Auf und ab rennt mein Nachbar, tritt sogar Furchen in meine Wiese und flucht laut vor sich hin: „Du Parasit, du Virenschleuder, du hast meine Frau verseucht!“ – „Was habe ich?“, frage ich zurück. „Frag nicht so blöd“, antwortet er prompt und spricht weiter: „Du hast, was weiß ich woher, Viren oder Bakterien mitgebracht und damit meine Frau angesteckt, ihr Gesicht und ihr ganzer Körper sind voll mit diesem Ekzem, du gehörst in Quarantäne, und du musst sofort isoliert werden, du hast eine ansteckende Krankheit!“ Ich erkläre meinem Nachbarn, dass ich kerngesund bin, weder eine ansteckende Krankheit habe noch Viren verbreiten möchte. Unbeirrt fordert er mich auf, sofort ins Haus zu gehen und dieses nicht mehr zu verlassen, bis die Ansteckungsgefahr vorbei ist, damit ich keinen Schaden mehr anrichten kann.
In der Zwischenzeit hat mein Nachbar sogar eine Mund-Nasen-Maske aufgesetzt und sich Einweg-Handschuhe angezogen. Mit einem zwei Meter langen Stock will er mich in mein Haus treiben. So spielen wir „Seuchen-Fangen“ und rennen dabei meinen ganzen Garten ab. Ein lustiges Spiel, das ich bisher noch gar nicht gekannt habe. Unverrichteter Dinge zieht dann mein Lieblingsfreund ab, bekommt unter seiner Maske kaum noch Luft, muss diese keuchend und schnaufend abnehmen, um nicht eines Erstickungstodes zu sterben. Daraufhin zieht er sich in seine Gemäuer zurück.
Doch es liegt etwas in der Luft, das spüre ich. Es zuckt mein linkes Auge, und der große Zehennagel stellt sich auf. Ich habe allen Grund zur Vorsicht. Vorausschauend versorge ich schnell meine Tiere mit genügend Futter, wie den Hasen, die Katzen und meine frei lebenden Vögel. Kurz nehme ich meine Arbeit wieder auf, als echte „Außerirdische“ meinen Garten stürmen. Voll Vermummte, Männchen oder Frauchen kann ich nicht erkennen, umzingeln mich, besprühen mich mit Desinfektionsmittel, und mittels Lautsprecher geben sie mir ihre Botschaft bekannt:
„Sie stehen ab sofort unter Quarantäne. Bis wir den unbekannten Virus oder Erreger geortet und bestimmt haben, folgen Sie uns ohne Widerstand in den Seuchenwagen und zur Seuchenstation!“ Durch das scharfe Desinfektionsmittel muss ich niesen und husten, worauf die isolierte Truppe zurückweicht und voller Angst ein Fangnetz über mich wirft. Gefangen im Netz, frage ich, ob ich mir wenigstens meine Jacke holen dürfte, was mit einem klaren „Nein“ sofort abgeschmettert wird. Um nicht mit mir in Kontakt zu kommen, werde ich nun mit einer Seilwinde zum Wagen gezogen oder besser gesagt geschliffen. Dort öffnen sich die Schleusen, und sofort werde ich mit einer netten Empfangsdusche begrüßt. Einzigartig, die neue heutige Technik, von allen Seiten öffnen sich Düsen, und wie in einem Whirlpool werde ich gereinigt und gepflegt, die Augenbrille schützt mich vor roten brennenden Augen, und gratis bekomme ich noch ein heißes Dampfbad dazu. So werde ich zur Seuchenstation gebracht, ohne Kontakt und isoliert von der Außenwelt.
Durch einen Lüftungsschlitz sehe ich noch, wie meine Nachbarin voller Krätze und Pickeln auf einer Bahre in den nächsten anderen Seuchenwagen geschoben wird, gut versorgt von den isolierten Marsmännchen-Frauchen. Ich wünsche ihr alles Gute und baldige Genesung und vor allem ein reines Gesicht und das schönste Lächeln.
Dann fahren wir ab und ohne Umwege direkt ins Seuchenzentrum „Saubere reine Umwelt“, wo ich ohne Aufzahlung ein Einzelzimmer bekomme und bis auf Weiteres meine Zeit in Quarantäne verbringen muss. „Habe ich wirklich die Pest?“
04 In der Schleuse
Die Pest war eine mittelalterliche Seuche und wurde auch Schwarzer Tod genannt. Es handelte sich dabei um eine bakterielle Infektionskrankheit, welche vor allem durch Ratten übertragen wurde. Äußere Erscheinungsbilder waren Fieber und Beulen am Körper. Meinen Nachforschungen zur Folge könnte dies wirklich zutreffen. Meine Nachbarin hat Krätze und Beulen, und für meine Nachbarn bin ich eine Ratte. Hilfe, die Pest ist wieder da!
Mit meinen Schleusenwärtern läuft es recht gut. Sie werden immer zutraulicher und nähern sich schön langsam an mich heran. Ich bin nicht mehr das wilde Tier, das ansteckende Parasit, sondern ein optimales Forschungsobjekt. Es entsteht sogar so etwas wie eine Freundschaft, es ist eher eine Probenfreundschaft. Aus sicherer Entfernung und mit einem robotergesteuerten Arm werden nämlich Proben bei mir entnommen. Ich bin so dankbar, denn ich werde wirklich auf Herz und Nieren geprobt. Aus mir wird alles herausgezogen, eine Speichelprobe, Blutprobe, Urinprobe, Kotprobe,Darmprobe, Hautprobe, Haarprobe, Nagelprobe, Schweißprobe, Zahnprobe, Spermaprobe, Augenprobe, Ohrenprobe, Muskelprobe, Knochenprobe, Lungenprobe, Herzprobe, Nierenprobe, Leberprobe, Bauchspeicheldrüsenprobe, Schilddrüsenprobe, Pilzprobe, Bakterienprobe, Virenprobe, Hirnprobe, Wachprobe, Schlafprobe, Schnarchprobe, Singprobe, Brüllprobe, Reaktionsprobe, Zwinkerprobe, Riechprobe, Tastprobe, Empfindungsprobe, Gedächtnisprobe, Vernunftprobe, Schwiegermutterprobe, obwohl ich derzeit gar keine habe, und zuletzt noch eine esoterische Auraprobe, um auch meine Umgebungskörper nicht auszuschließen.
So fühle ich mich wirklich gut betreut, und freiwillig nehme ich an diesen Versuchen und Auswertungen gerne teil, da es um die Sicherheit geht, nicht nur für mich selbst, sondern besonders für meine Nachbarin und natürlich auch für die ganze Welt mit ihrer Bevölkerung. So ein Probelabor hat schon etwas an sich. Hier geht es wirklich ums Eingemachte, hier wird nichts übersehen, hier wird auch nichts dem Zufall überlassen. Den ganzen Tag und die ganze Nacht wird geprüft, ausgewertet, analysiert, alle Möglichkeiten werden in Betracht gezogen, es wird auch getestet und verglichen mit Daten aus der ganzen Welt. Ist das nicht herrlich und perfekt, ich bin so etwas von dankbar, dass ich der Welt helfen darf. Ich merke mit zunehmender Auswertung, dass meine Analytiker immer weniger Abstand zu mir einhalten und sogar ein Gespräch mit mir suchen und führen dürfen. So werde ich gefragt, auf was ich alles reagiere und wie ich dies dann bemerke. Meine Antwort lautet:
„Ich bleibe meistens inmeiner Ruhe und reagiere nur ganz selten auf etwas, was mich aber schon zum Beben bringt, sind Lärm und Geräusche von Rasenmäher-Traktoren, welche mich in meiner Meditation stören, doch dies ist nur ein Lernprozess, ich weiß eh, dass ich darüber hinwegsehen muss und es wegschalten darf und es überhaupt nicht hören sollte!“
Unzufrieden mit meiner Antwort haken die Forscher nach und geben mir zu verstehen, auf welche Dinge ich allergisch reagiere und ob mein Körper oder meine Haut Ausschläge bzw. Ausbeulungen zeigt. Ich nicke und schildere meine „Spezialgemisch-Allergie“, hervorgerufen durch das Spezialbenzin meines Nachbarn, worauf ich wie folgt reagiere:
„Ich niese,bekomme geschwollene Augen und einen roten Kopf, aber sonst vertrage ich das Zeug rechtgut!“, beende ich meine Ausführungen. Ratlos wird alles auf notiert, und die Experten ziehen sich zu Beratungen zurück. So habe ich wieder Zeit, um nachzudenken und um ganz in mich zu kehren. Ich kehre wieder zurück in meine Welt.
In meinen Gedanken bin ich in meinem Garten und reche gerade das Laub zusammen. Ich gestalte etliche Haufen und baue daraus einen Unterschlupf für meine Igelfreunde. Ich säubere auch den Weg, der sich schlängelnd durch meinen Garten zieht. Es ist nur grober Kies, doch ab und zu ist es gut, die Steine umzudrehen, außerdem wird dadurch die Festigkeit gefördert. Ich kehre in meiner Garage, ich kehre im Keller, ich kehre im Haus und im Dachboden, und nicht zuletzt kehre ich in meinem Unterbewusstsein und schmeiße alles raus, was ich nicht mehr brauche, dies sind Dinge wie Groll und Hass und meine Nachbarn.
Ganz besonders die Vorurteile gegenüber meinem Nachbarn Klaus und seiner Frau, wie die Generalverurteilung einer schlechten Menschheit. In meinen Gedanken werfe ich alles in einen Wasserfall und schaue ob alles wohl weggeschwemmt wird. Ich spüle sogar nach, damit nichts davon übrig bleibt. Zurück kann es ja sowieso nicht mehr. Schön und heil ist meine Welt, und ein Lächeln breitet sich über meinem Gesicht aus. Aus diesem Grund kann ich auch diese paar Tage Quarantäne gut überstehen und bin dabei immer gut gelaunt.
Dann ist es so weit, die Testreihe ist endlich abgeschlossen, die Schleusen werden geöffnet, und der Rat der Experten kommt zu mir in meine Zelle. Der Oberprofessor schüttelt mir sogar die Hand ohne Handschuhe und berichtet freudestrahlend das Ergebnis: „Herr Fröhlich, Sie sind vollkommen gesund und frei von allen Keimen und Viren sowie Bakterien dieser Welt, Sie sind ein rundum vitales Exemplar des ‚Homo sapiens‘. Mit Ihren Genen wären Sie geschaffen, 120 Jahre und älter zu werden, herzliche Gratulation!“, beendet der Herr Professor sein Analysenprotokoll. Seine Kollegen und er applaudieren gemeinsam, und daraufhin umarmen wir uns und sind „eins“ im ewigen Kreis. Zum Schluss bemerkt der Professor noch euphorisch: „Sie können gehen, Herr Fröhlich!“
Ich will schon abziehen, da drehe ich mich um und sage: „Ich habe da noch eine Frage?“ – „Bitte fragen Sie nur“, kommt mir der Professor entgegen. „Was hat dann eigentlich meineNachbarin?“, lautet kurz und ohne Umschweife meine Frage. Worauf ein lautes Gelächter ausbricht und dieses Lachen steckt auch mich an. „Sie hat …, sie hat …, sie hat eine ‚Hasenzahnallergie‘“, antwortet der Experte mit lautem Lachen. Beruhigt verlasse ich das Schleusencenter.
Auf dem Nachhauseweg überfällt mich jedoch ein schlechtes Gewissen. Ich mache mir trotzdem große Vorwürfe. Ich will, auch meiner Nachbarin keinen Schaden zufügen, und ich will auch nicht schadenfroh sein. Ich weiß aber auch, dass genau einer von meinen Hasen einen Zahn verloren hat und ich diesen achtlos über die Häuser bzw. über die Hecke geworfen habe, ohne die Folgen zu bedenken.
Wie konnte ich auch nur wissen oder ahnen, dass dieser Zahn solche Auswirkungen hat. Arg drückt mich mein sorgloses Verhalten. Was soll ich jetzt tun? Gar nichts zu machen, ist am besten und meinen Kopf in den Sand zu stecken und schadenfroh über den Ausschlag und die Beulen meiner Nachbarin zu lachen. Nein, das kann ich nicht, und das will ich nicht. Ich sinniere so dahin und schlendere Richtung Heimat. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten, entweder ich lasse alles, wie es ist, mit einer Wahrscheinlichkeit, dass dies wieder einmal passiert, oder ich lasse meine Hasen schlachten und schalte dieses Risiko total aus. Schon bei dem Gedanken, meine Hasen schlachten zu müssen, beginne ich zu schluchzen und zu weinen. Nein, das bringe ich nicht übers Herz. Gleichzeitig will ich aber auch alles ausschließen, was meine Nachbarin gefährden könnte. Wie ich so den Kopf hängenlasse, habe ich plötzlich eine Eingebung, und die ist wirklich brillant.
Ich habe genug Gespartes auf der Kante, und ich werde meinen Hasen sprichwörtlich die Zähne ziehen lassen und sie diesmal ordnungsgemäß entsorgen.
Als „Danke“ bekommen sie dann Implantate, also völlig neutrale und sterile Zähne, und dann sind sie in ihrer Lebensweise uneingeschränkt. Freudestrahlend lenke ich meine Schritte nach Hause und organisiere alles für die bevorstehende Transplantation. Ich kann mir sogar spezielle Nagezähne für meine Lieblinge aussuchen. Der Eingriff ist zwar schmerzhaft, und ich muss die Nagetiere in dieser Zeit flüssig ernähren, doch die Sicherheit meiner Nachbarin ist mir wichtiger. Aber schon nach einiger Zeit fangen die Hasen wieder selbstständig zu fressen an, und gerne schaue ich ihnen dabei zu. Besonders gefallen mir die langen weißen Schneidezähne, welche nur so in der Sonne blitzen. Sie sind die ersten Hasen mit künstlichen Zähnen in unserer Gegend, und darauf bin ich stolz. Ich zeige meine Lieblinge sogar meinen Nachbarn, welche erstaunt über meine Fürsorge sind, aber auf der anderen Seite den Kopf schütteln und meinen: „Wie kannman nur so blöd sein, soviel Geld für die Zähne seiner Hasen auszugeben!“
Schließlich kehrt wieder Ruhe und Frieden in unsere nachbarschaftliche Beziehung ein, und meine Hasen dürfen ohne Scheu und ohne Zaun im Garten spielen und fressen, nach dem Motto: „Geht es den Hasen gut, geht es uns allen gut!“
05 Wo bleibt die Müllabfuhr
Ein Grund für den Ausbruch der Pest war sicherlich die mangelnde Hygiene und verunreinigtes Wasser, hervorgerufen durch echte Schweine unter den Menschen. Nein, zu diesen will ich nicht gehören, obwohl ich schon ein ziemliches Durcheinander habe. Verteilter Müll stört mich nicht, obwohl die Beurteilung, was Müll und Unrat ist oder besser gesagt nicht ist, auch wieder eine Betrachtungsweise darstellt, und da gehen Anschauungen weit auseinander.
Dies ist gerade mein Gemütszustand. Ich kann und darf mich nicht beklagen, auch mit meinen Nachbarn läuft es so gut wie schon lange nicht mehr oder vielleicht noch nie vorher. Darum will ich diese gute Energie auch unbedingt beibehalten. Ich halte die Abstände ein, drehe die Lautstärke meiner Musik zurück, und auch meine Hasen, Katzen, Mäuse, Läuse usw. halten sich an die aufgestellten Regeln. Nur so kann ich, aber auch die Welt, ihren Frieden finden. Viele Menschen nehmen auch meine Dienste in Anspruch, es sind meist Gestrandete des Lebens, welche nicht mehr weiterwissen, es sind aber auch Ausgeschlossene, welche sich von der Menschheit und der Welt bedroht und isoliert fühlen, es sind aber auch Neugierige dabei, welche einfach alles ausprobieren wollen. Mir soll es recht sein, denn ich will nur helfen. Meine ausgefallenen Behandlungsmethoden haben sich längst herumgesprochen, und viele Menschen schütteln dabei nur so den Kopf, was mich aber nicht weiter stört. Hier sei kurz meine Therapiemethode erklärt.
Als erstes muss sich bei mir jeder erden, das heißt Schuhe ausziehen und eine halbe Stunde lang im Garten gehen und spüren, danach hinsetzen, Augen schließen und dabei tief in die Sonne schauen, solange, bis man sein eigenes Licht entdeckt, erst dann komme ich „persönlich“ ins Spiel, meine Patienten müssen sich dabei auf den Massagetisch legen. Ich berühre sie aber nicht mit meinen physischen Händen. Ich fühle nur in sie hinein und weiß dann sofort, wo es zwickt und hapert. Meist sind es geistige, seelische Dinge, aber auch körperliche Verspannungen, Schmerzen und Botschaften. Als nächstes folgt wieder ein Zurückziehen meinerseits. Ich kehre ganz in mich und stelle dabei den Therapieplan für meine Patienten im Geiste auf. Diese sind ganz verschieden, oft müssen sie nur einen Gartenschlauch auslegen und wieder aufrollen, solange, bis sie keinen Stress mehr dabei empfinden. Manche müssen auch auf meine im Garten stehende Linde kraxeln, um so ihre Höhenangst zu überwinden, andere wiederum dürfen bei mir graben, und dies so lange, bis sie ihren Schatz gefunden haben, vielleicht eine Leiche, oder alles freigelegt haben, was sie für ihr weiteres Leben brauchen. Meine Aufgabe besteht nur darin, sie zu begleiten. Meinen Patienten gebe ich ab und zu einen Therapietipp und lotse sie wieder auf den rechten Weg. Eigentlich könnte sich jeder Mensch selbst heilen, doch zu sehr ist ihr Geist geblendet und manipuliert und wird zu viel vom Verstand geführt. Mir soll dies recht sein, ich lebe sehr gut davon und mehr brauche ich nicht. So betreibe ich meine Praxis in meinem Seelengarten und dieser ist voll von Dingen und Gegenständen, welche für die meisten wertlose Sachen, eigentlich nur Müll, sind. Doch für mich und meine Hilfesuchenden sind es wahre Schätze, um ihr Leben zu ordnen oder um sie einfach glücklich zu machen. Auch ich brauche ab und zu noch ein paar Ratgeber und so platziere ich viele Sachen von Großvater in meinem Garten.
Die Platzierung erfolgt ohne Plan, nur nach Gefühl. Ich werfe und schmeiße fast nichts weg, da man viele Dinge immer wieder verwenden kann.
So hat es mich gewundert, dass ich ein Schreiben von unserer Gemeinde erhalten habe, in dem ich aufgefordert werde, meinen Müll ordnungsgemäß zu entsorgen. Ich hätte gar nicht gedacht, dass unsere Gemeinde so vorausschauend agiert, denn ich wollte gerade sowieso meine Garage entrümpeln und auch das ganze Haus von so manchem Unrat befreien. Die Gemeinde gibt mir auch einen zeitlichen Rahmen von vier Wochen, innerhalb der dies erledigt sein muss. Ich habe nichts dagegen, ich brauche manchmal wirklich Druck, um unangenehme Dinge anzupacken, die ich nicht so mag. Nach der Fertigstellung soll ich dies bei der Gemeinde anzeigen, das geht aus dem Schreiben hervor. Wie sich unser Bürgermeister und die Gemeinderäte um ihre Bürger kümmern, ist wirklich vorbildhaft, und so starte ich meine „Entmüllungsaktion“ gleich am nächsten Tag. Meine Sortierung schaut wie folgt aus: Restmüll in den dafür bereitgestellten Sack. Sperrmüll auf den Anhänger, welcher dann anschließend beim Bauhof abgegeben wird, Papier, Plastik, Glas in den Container, und wertvolle Sachen vom Großvater werden zuerst gereinigt und dann gemeinsam mit seiner Energie im Garten verteilt. Es mag seltsam klingen, doch ich bespreche diese Dinge lieber alle gleich mit meinem Großvater (Selbstgespräche), um die Sachen später nicht wieder entfernen zu müssen. In ein paar Tagen habe ich alles erledigt, und ich bin stolz auf mich selbst, was man alles schaffen kann, wenn man Freude daran hat und die Energie passt. Das „Müll-Qigong“ hat bei mir voll und ganz eingeschlagen. So melde ich meine Arbeitsverrichtung auch der Gemeinde und lege noch ein paar Bilder dazu, um die Beweissicherung zu gewährleisten.
Jetzt habe ich mir aber wieder einmal eine Pause und viel Ruhe verdient. Heute verschiebe ich ein paar Behandlungstermine und nehme mir ganz für mich und meinen Garten Zeit. Ich platziere meinen Liegestuhl inmitten von Großvaters Dingen, lege mich hin und genieße in voller Ruhe und Entspannung mein Werk und lass es auf mich einwirken. „Hab’ich das nicht gut gemacht, Großvater?“, stelle ich die Frage in den Garten. Es ist, als ob er antworten würde, denn es fährt mit einem Male ein Windstoß durch denselben, und fast hört es sich wie ein „Ja“ an.
Leider war meine Wahrnehmung falsch, es war nicht mein Großvater, sondern der städtische Müllwagen, welcher mitsamt fünf Leuten in meine Einfahrt einbog und so die Windböe verursacht hat. Obermüllmann „Dreck-Weg“ hielt mir ein Schreiben der Gemeinde unter die Nase, aus dem hervorgeht, dass sie berechtigt sind, den Müll aus meinem Garten zu entfernen. Es steht noch ein kurzer Nachsatz dabei: „Durch eine anonyme Anzeige ist die Gemeinde verpflichtet, das An- und Aussehendes Gemeindegebietes zu reinigen, und hier besteht Gefahr in Verzug, hier steht Gemeinwohl vor Einzelinteressen“, so die Begründung der Gemeindevertretung, „mit Liebe, Ihr Bürgermeister!“
Weinenden Herzens muss ich mit ansehen, wie die Müllmänner die wertvollen Sachen meines Großvaters aufspüren und in das Müllauto legen. Stück für Stück wird entfernt, um den Vorschriften gerecht zu werden. Ich versuche noch, ein paar Dinge zu retten und will besondere Stücke zurück ins Haus und in die Garage bringen, doch es ist zu spät. Auch diese Dinge werden mir aus der Hand gerissen, ich kämpfe sogar mit den Entsorgungsspezialisten darum. Sie sagen nur: „Geben Siees auf, es ist ja sowieso nur Müll, und es lohnt sich nicht diesen Plunder zu behalten!“ Doch ich gebe mich nicht so einfach geschlagen, nein …, nein, nicht das rostige Eisenbett. Mit einem herumliegenden Kabelbinder hänge ich mich ans Bett und versuche es zu retten. Jeder Versuch, mich zu entfernen, scheitert, und so werde ich gemeinsam mit dem Bett verladen. Auf der eisernen Trage sehe ich noch einige Nachbarn, welche, sogar mit Feldstechern ausgerüstet, dem Treiben in meinem Garten zusehen. Man kann fast ihr schelmisches Lächeln spüren, und so denke ich bei mir: „Sind das meine anonymenVerschwörer?“ Nur nicht so schlecht denken, überkommt mich sofort wieder mein inneres „Ich“. So lasse ich mich als Müll abtransportieren und habe dadurch die Gelegenheit, den Müllplatz von innen kennenzulernen.
Beim Eisenplatz werde ich fachgerecht und müllgetrennt abgeladen und darf wieder nach Hause gehen, geben mir die Müllhaufenwürmer zu verstehen. Doch ich will noch gar nicht gehen, denn hier und gerade da sehe ich so viele schöne Sachen, welche ich gut gebrauchen könnte. Also gehe ich nur schnell nach Hause, hole mein Auto mit Anhänger und lade viele wertvolle Dinge wieder auf. Hier habe ich große Auswahl und so tauche ich ein in den größten Müllberg aller Zeiten und noch dazu bekomme ich die Sachen alle geschenkt. Was ich nicht mitnehme, wird dann in der Schrottpresse zerkleinert. Zu Hause wieder angelangt, fällt mir erst auf, wie groß mein Garten eigentlich ist und wie viel Platz dieser zu Gestaltung bietet und sofort beginne ich damit und lasse mir wirklich für jedes Stück genügend Zeit.
Meine Nachbarn sind sogar von meiner Aktivität so begeistert und fotografieren mein Wirken und mein Gestalten. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Ich hätte nie gedacht, dass Müll so anziehend sein kann. Ich stelle meinen größten Schatz wieder auf. Es ist Großvaters Eisenbett, das jetzt in voller Größe am Nussbaum lehnt und einfach so vor sich hin rosten kann. „Ja, wer rastet, der rostet!“
06 Der Schnee
Wenn Nachbarn wüssten, wie sehr ich auf Schnee stehe, dann würden sie … Oh je, sie wissen es und überhäufen mich damit im Überfluss. Siehst du auch überall „Weiß und Schnee“, dann willkommen im „Winter-Wonderland“.
Gerade stehe ich nach einer erholten Nacht auf und blicke wie immer aus meinem Fenster. Meine Mundwinkel ziehen sich sofort nach oben. Freude überkommt mich. Ich beginne zu springen, richtig in die Höhe zu springen: „Hurra, es hat geschneit!“ Die weiße Pracht umhüllt die Natur, umhüllt meinen Garten, umhüllt meine Siedlung, umhüllt die ganze Stadt. Für mich ist Schnee wie ein Geschenk, es ist die Reinigung von allem Staub, Schmutz und sonstigen lästigen Dingen. Der Schnee reinigt die Luft, den Weg, den Garten, das Dach. Ich öffne das Fenster und atme tief durch, damit ich diese Reinheit inhalieren kann, so werden auch meine Lungen, mein Herz und auch mein Blut damit gereinigt. Still stehe ich da und lasse diese Reinheit, diese Schönheit und vor allem diese unglaubliche Romantik auf mich wirken. Meine Gedanken verraten mir, dass der Schnee nicht nur säubert sondern auch beschützt. Durch sein Zudecken isoliert er den Boden vor der Kälte, dadurch haben es die Tiere darunter warm und gemütlich. Er wärmt auch die Samen, damit sie im Frühjahr wieder austreiben und keimen können. Außerdem ist der Schnee ein großer Wasserspeicher, durch seine Kristalle wird Wasser gefroren und gespeichert und bei Tauwetter langsam an den Boden abgegeben. So geht nichts verloren. „Ach, wie ist die Natur großartig“, rufe ich in die Welt hinaus. Ich liebe den Schnee und mache gleich ein paar Fotos, um dieses Gefühl festzuhalten. Natürlich werden diese auch auf meinem Status und im Internet gezeigt, um sie mit anderen, ja mit der ganzen Welt zu teilen. Die ganze Welt freut sich darüber! Die ganze Welt?
Nein, es gibt da Menschen, welche Schnee mehr als Belastung und unnötigen Ballast sehen, als Feind, als Eindringling, welcher sich unerlaubt Zutritt in ihren Bereich verschafft hat. Dazu gehören wahrscheinlich auch meine Nachbarn, welche bereits um 3 Uhr früh die Schneefräse starten, um den Eindringling wieder zu entfernen. Die Wege werden sofort geräumt und freigemacht, alles wird einfach auf die Hauptstraße entsorgt, wo dann die Gemeinde in ihrer Zuständigkeit agiert. Teilweise wird der Schnee sogar auf meine Seite gefräst und geblasen, nur um ihn wieder loszuwerden. Doch der Schnee ist heimtückisch, er zerbröselt und lässt sich nicht so einfach wegschieben und fräsen. Teilstücke von ihm bleiben liegen und am Weg kleben. Dies kann natürlich nicht so einfach akzeptiert werden. Sofort wird mit Streusalz entgegengewirkt, damit der Schnee schmilzt und weg rinnt. Es ist sogar egal, dass dadurch die Pflanzen im Nahbereich verbrennen und braune Schäden davontragen. Dies kann man dann im Frühjahr entlang der Wege genau erkennen. Verstehen kann ich dies nicht, aber mir macht diese Einstellung nichts aus. Ich kann gar nicht genug Schnee haben, deshalb rege ich mich über diesen Zuwachs auf meiner Seite auch nicht auf. Ich habe bei der Schneeräumung keine Eile und lasse ihn oft tagelang gleich und unberührt liegen. Ich liebe auch das Schneestapfen und Spuren in den Schnee zu machen, wie dies auch meine Hasen und Katzen tun. Mein Anwesen sieht jetzt wie ein Schneepalast aus, inmitten einer säuberlich geräumten Gegend.
Auch meine Einfahrt haben meine Nachbarn voll mit Schnee zugeschaufelt. Selbst der örtliche Schneepflug hat sein Bestes dazu beigetragen. Momentan bin ich eingesperrt und kann meinen Schneepalast nur zu Fuß verlassen, was mich aber nicht besonders stört, da ich gerne zu Hause bin und dies genieße ich in vollen Zügen. Meine Patienten müssen, bevor sie zu mir kommen, Schneeberge und Täler überwinden. Sie machen sozusagen eine Schneeschuhwanderung und werden dafür mit einer Schneeballschlacht empfangen und belohnt. Dies geht meinen Nachbarn anscheinend zu weit, deshalb bin ich angerufen und aufgefordert worden, mein Hausdach abzuschaufeln, um Passanten vor den Dachlawinen zu schützen. Wie besorgt doch meine Nachbarn sind.
Ich bedanke mich natürlich höflich für diese Erinnerung und erkläre meinen nachbarlichen Freunden die Lage, dass der Absturzwinkel meiner Dachlawinen im geschützten Bereich erfolgt, sprich der Schnee landet im „unausgeschaufelten“, mit Schnee angehäuften Areal, wo sowieso Betretungsverbot meinerseits besteht. Ohne meine Ausführungen zu Ende anzuhören, wird die Verbindung unterbrochen und der Hörer aufgelegt.
Nach dieser kurzen Unterbrechung meiner Ruhe genieße ich weiter meine Schneelandschaft. Im Geheimen wünsche ich mir, dass dies den ganzen Winter anhalten und bleiben soll. Jetzt sehe ich auch ein Eichhörnchen, welches sich in den verschneiten Zweigen im Schneeweitflug übt. Man spürt, wie diese Tiere diese akrobatischen Übungen lieben und ich auch. Vieles kann man mit Schnee machen, doch eines habe ich schon lange nicht mehr getan und dies werde ich jetzt gleich in meinem Garten machen. Ich baue einen riesengroßen Schneemann. Genug Material habe ich ja, und irgendwann muss ich ja sowieso meine Einfahrt räumen, um wieder Kontakt zur Außenwelt zu erlangen. Ich beginne also inmitten meines Gartens mit dem Grundgerüst, dafür schweiße ich ein Eisengestell zusammen, das einerseits die große Last aushält und anderseits die Stabilität garantiert. Danach wird dies mit Schnee angefüllt. Ich schaufle und verdichte, damit es später kein Nachsitzen mehr gibt. Durch die Größe habe ich im Nahbereich den Schnee bereits verbraucht, so muss ich für den Rumpf, dieser soll dick und ausladend sein, den Schnee mit meinem Schubkarren hertransportieren. Das integrierte Holzgerüst formt den Bauch und auch die Arme. Da mein Großer schon einige Meter hoch ist, installiere ich einen Flaschenzug, damit ich den Schnee auf diese Höhe bringen kann. Es werden auch Rohre als Knöpfe gebohrt, und ein Spanngurt dient als Gürtel. Und weiter geht es. Den Kopf forme ich gleich bei meiner Einfahrt auf meinen Anhänger. Eine riesige Styroporkugel dient dabei als Form und ein großer runder Müllcontainer als Hut. Da ich nicht so lange Möhren habe, schnitze ich aus Holz eine Nase, welche eingebohrt und angeschraubt wird. Die Verschraubung brauche ich als Sicherheit, und auch um sie in der richtigen Höhe anbringen zu können. Ein kaputter Autoreifen dient als Mund, und aus der Poolplane schneide ich große Augen aus, sodass mein Schneemann himmelblaue Augen hat und diese leuchten weit in den Himmel hinein. So transportiere ich den Schädel in den Garten zur kopflosen Statue. Doch wie setze ich jetzt den Kopf auf den Rumpf? Dafür bereite ich ein Halsgewinde vor, um den Schädel einfach an den Körper anzudrehen.
Am großen Kirschbaum befestige ich eine Umlenkrolle, befestige beim Kopf zwischen Nase und Ohren das Seil, ziehe es durch die Rolle, befestige es an meinem Auto, und durch langsames Vorfahren wird der Kopf in die Höhe gehoben, auf die Gewindestange eingerichtet, die Drehrichtung bestimmt, aus der Umlenkrolle geklinkt, und durch einen schnellen Ruck schraubt sich mein Kopf selbst in den Körper hinein. Er bleibt auch richtig mit der Nase vor dem Bauch stehen. Ich muss sagen, Planung, Bau und Fertigung waren perfekt, und ich bin sehr stolz auf meinen Riesenschneemann.
So habe ich ein Kunstwerk im Garten stehen, und gleichzeitig ist der Schnee von meiner Einfahrt weggeräumt. Gerne teile ich das Meisterwerk mit der ganzen Welt. Viele Schaulustige kommen daher und sind erstaunt und fasziniert von der Größe und der Ausführung. Weit über mein Haus ragt mein Gigant hinaus, und mit einem Lächeln blickt er über die Dächer, über unsere Straße, den Ort hinaus in die Welt. Viele Fotos werden gemacht und auch gepostet. Ich schaffe es, mit meinem Schneemann sogar in die Zeitung zu kommen. Ich, stellvertretend auch für meinen Großvater, bin hocherfreut und lasse dies auf mich wirken. Danach mache ich Glühwein und proste darauf mir selbst zu.
Diese Freude währt leider nur kurz. Man hört ein Donnern und ein lautes Quietschen. Die Erde bebt beim Heranrollen der Panzerdivision, und sie ist fest entschlossen, sich dem Feind zu stellen, ihn zu zerstören und dabei keine Gefangenen zu machen. Feuer frei, heißt es, und ohne zu zögern wird mein Schneemann beschossen. Die Fetzen bzw. der Schnee fliegt und mein „Frostie“ wird wieder in kleine Schneekristalle zerlegt. Kurz dauert das Manöver, und mit der Siegesfahne rollen die Panzerfahrzeuge wieder ab.
Ich erkundigte mich natürlich nach dem Grund dieses Militäreinsatzes und dieser lautete wie folgt: „Anonyme Anrainer haben den Schneemann alsBedrohung für sich und ihre Kinder empfunden!“