Himmel, Herrgott, Portugal – Der portugiesische Jakobsweg - Herbert Hirschler - E-Book

Himmel, Herrgott, Portugal – Der portugiesische Jakobsweg E-Book

Herbert Hirschler

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Beschreibung

Herbert Hirschler hat nach seinem Überraschungserfolg "Himmel, Herrgott , Meer, Musik" über den nordspanischen Küstenweg jetzt einen neuen Volltreffer gelandet: "Himmel, Herrgott , Portugal". In seiner bekannt amüsanten Art erzählt er darin von seiner Pilgerschaft über 750 Kilometer entlang der portugiesischen Atlantikküste. Als erster deutschsprachiger Pilger überhaupt ist er im Frühjahr 2016 die komplette Küstenvariante von Lissabon über Porto bis Santiago de Compostela marschiert. Neben der äußerst unterhaltsamen Beschreibung einer außergewöhnlichen Reise auf traumhaft schönen Wegen stehen auch wieder die teilweise sehr absurden Situationen und Begegnungen im Mittelpunkt seines Reisebuches, das somit auch für absolute Pilgermuffel bestens geeignet ist. Vor dem Elevador in Lissabon stehen einige Personen und warten auf den Aufzug. Genau die richtige Gelegenheit, mein zähfließendes Portugiesisch auszuprobieren. "Bom dia – Tudo bem?" Dieses wahrscheinlich nicht wirklich akzentfreie Kauderwelsch, das "Guten Morgen! Wie geht's?" heißen sollte, wird von einem der drei Männer mit einem "Wos hat er g'sogt?" quittiert und er schaut dabei fragend seine Kumpels an. Lissabon – Porto – Santiago de Compostela Trilho das Areias – Caminho da Costa 27 Tage Abenteuer entlang der portugiesischen Küste

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Herbert Hirschler

Himmel, Herrgott, Portugal

Der portugiesische Jakobsweg

Lissabon – Porto – Santiago de Compostela

Trilho das Areias – Caminho da Costa

27 Tage Abenteuer entlang der portugiesischen Küste

Leykam

Mögest du in deinem Herzen dankbar bewahren

die kostbare Erinnerung der guten Dinge in deinem Leben.

Altirischer Segenswunsch

Für Mama und Papa

Vorwort von Anne Chantal

Lieber Herbert,

du bist der erste deutschsprachige Pilger, der den gesamten (!) Trilho das Areias vollständig gegangen ist! Diese Pionierleistung hast du dann auch bei uns in der Facebook-Gruppe „Caminho Português“ für alle zu einem Erlebnis gemacht, indem du regelmäßig über jeden Tag deiner Pilgerreise berichtet hast. Humorvoll, poetisch und sehr einfühlend hast du uns damit auf deine Reise mitgenommen.

Es war eine wunderbare Reise mit dir, Herbert, denn du hast uns damit an deinen Freuden & Leiden teilhaben lassen, über die du uns in deinem ganz unverwechselbaren Berichtstil wie einst Robert Byron ­erzählt hast.

Mit deinem neuen Buch „Himmel, Herrgott, Portugal“ bringst du nun wie der Vorgenannte eine völlig neue Art von Reisebericht hervor! Wir haben uns mit dir gefreut und haben mit dir gelitten, haben viel gelacht und auch so manche Träne vergossen – und genau das erwartet jetzt die Leser dieses ganz besonderen Buches. Vielen Dank dafür!

„Bom Caminho!“ – auf allen deinen Wegen und immer mit Sonne im ­Herzen!

Anne Chantal

Anne Chantal, der Engel des „Caminho Português“, ist die Gründerin der Facebook-Gruppe „Jakobsweg – Caminho Português“, die mehrere Tausend Mitglieder umfasst und eine einzigartige Anlaufstelle zur Planung und Durchführung des ­Caminho darstellt. Anne sitzt im Rollstuhl und hat den Großteil ihrer Sehfähigkeit verloren, sie lässt sich davon aber nicht unterkriegen und war in den letzten Jahren auf allen Jakobswegen dieser Welt unterwegs. Die längste Tour führte sie über 3800 Kilometer von Dänemark über Deutschland und Frankreich bis nach Santiago de Compostela. Wer auch immer vorhat, auf einem portugiesischen Weg zu pilgern – bei Anne Chantal und ihrem Facebook-Forum findet man alle nur denkbaren Informationen über den Caminho nach Santiago de Compostela.

Schnallen Sie sich an …

Fernwandern boomt! Wenn man den vielen Berichten in Zeitschriften und Lifestyle-Magazinen glauben darf, gibt es eine neue Trendsportart – Wandern. Und wenn man das dann auch noch für längere Zeit macht und vielleicht sogar auf einem Jakobsweg oder auf einem anderen der unzähligen Wallfahrtswege, dann nennt man das Pilgern. So gesehen bin ich – wahrscheinlich zum ersten Mal in meinem Leben – so etwas wie voll im Trend. Und mit mir Millionen von Pilgern, die schon seit Jahrzehnten auf außergewöhnlichen, aber anstrengenden Wegen nach Santiago de Compostela, Rom, Jerusalem oder auch ganz woandershin unterwegs sind.

Ich kann mich noch gut erinnern, als ich zum ersten Mal ein Buch über den Jakobsweg in meinen Händen hielt und es begeistert verschlang – lesetechnisch natürlich. Es sollten noch viele andere folgen, ehe ich dann 2010 erstmals selbst auf dem Weg war, um auf dem nord­spanischen Küstenweg nach Santiago zu pilgern. Diesen Reiseberichten habe ich es zu verdanken, dass mich der Pilgervirus gepackt hat. Und es wäre eine große Freude für mich, wenn es Ihnen genauso gehen würde. Wenn auch Sie beim Lesen dieses Buches die unbändige Lust verspüren würden, sofort die Wanderschuhe zu schnüren, um augenblicklich los­zumarschieren.

Aber auch all jenen, die (noch) nicht geplant haben, auf einem Jakobsweg zu pilgern, sei dieses Buch ans Herz gelegt. Denn es soll auch zeigen, dass man sich die meisten seiner Träume erfüllen kann, wenn man nur fest daran glaubt. Egal, ob es sich dabei um einen Jakobsweg handelt oder um eine andere Herzensangelegenheit, die man immer wieder verschiebt, weil man sich nicht gut vorbereitet fühlt, keine Zeit dafür findet oder irgendetwas anderes dagegenspricht. Es gibt bestimmt 1000 Gründe, etwas nicht zu tun, aber vielleicht schenkt Ihnen dieses Buch den Mut, einfach mal auszubrechen aus dem Alltag und ein neues Abenteuer zu wagen. Denn wenn es ein nicht wirklich sportlicher, etwas zu füllig gewordener Bürohengst aus Österreich schafft, Hunderte Kilometer auf dem Camino zu wandern, dann können Sie das bestimmt auch.

Absolute Pilgermuffel sollten bei diesem (Reise-)Buch genauso auf ihre Kosten kommen wie Liebhaber von skurrilen Geschichten und schrägem Humor. Denn wer sagt, dass man eine Pilgerschaft immer tierisch ernst nehmen muss? Irgendwie dürfte ich die Gabe haben, immer wieder in die aberwitzigsten Situationen zu schlittern, es gab jedoch auch berührende Momente und außergewöhnliche Begegnungen auf meinem Weg.

Bitte beachten Sie, dass „Himmel, Herrgott, Portugal“ kein Reiseführer im herkömmlichen Sinn ist. Besonders für die Strecke ab Porto gibt es spezielle Literatur mit Wegbeschreibungen und Etappenplänen auf dem Markt. Der Trilho das Areias ab Lissabon dagegen ist literarisch noch sehr unterentwickelt, und ich habe meine diesbezüglichen Informationen großteils im Internet recherchiert. Im Kapitel „Obrigado, muchas gracias, danke schön und mehr …“ sind die wichtigsten Informationsquellen und Links aufgelistet.

Ich hoffe auch, dass Sie mir die oftmalige Verwendung von unterschied­lichen Schreibweisen, zum Beispiel von Caminho und Camino, verzeihen – in Portugal wird dieses Wort für „Weg“ mit „h“ geschrieben, in Spanien ohne, in beiden Ländern aber habe ich wunderschöne Etappen auf den unterschiedlichsten Wegen zurückgelegt, ohne dass mich dieser kleine sprachliche Unterschied gestört hätte. Oder auch Cerveja und Cerveza, beides steht für „Bier“, und ich konnte mich diesbezüglich in beiden Ländern mit Bravour verständigen. Oder die nicht immer ganz korrekte Groß- oder Kleinschreibung der fremdsprachigen Ausdrücke, die dem leichteren Lesen dienen soll … So gibt es noch viele Beispiele, die darauf zurückzuführen sind, dass jede Sprache ihre Eigenheiten hat. Dass ich auch ab und zu einfach mal wieder ein neues Wort erfinde, das man in dieser Form in ­keinem Wörterbuch dieser Welt finden kann, nennt man angeblich künstlerische Freiheit.

Zur Gattung „künstlerische Freiheit“ gehören auch meine sogenannten Pilgerweisheiten mit diversen Checklisten und sonstigen Ratschlägen, die ab und zu an irgendeiner x-beliebigen Stelle im Buch auftauchen. Bitte nehmen Sie diese nicht allzu ernst! Auch wenn meist ein Körnchen Wahrheit dahintersteckt, sollen sie in erster Linie zur Auflockerung und Unterhaltung dienen. Pilgern soll ja auch Spaß machen.

Die Erfahrungen und Eindrücke auf diesem Weg sind genauso viel­fältig und gegensätzlich wie die Pilger selbst, die darauf wandern. Meine Wegbeschreibungen, Hotelbewertungen und sonstigen Erlebnisse geben meine persönlichen Eindrücke wieder. Andere Pilger haben vielleicht ­andere Erfahrungen gemacht, aber jeder erlebt den Weg auf seine Art. Und das ist gut so!

Jedem, der Interesse an diesem Jakobsweg hat, sei die schon im Vorwort erwähnte Facebook-Gruppe „Jakobsweg – Caminho Português“ ans Herz gelegt. Die Gründerin Anne Chantal ist körperlich schwer gehandicapt, doch sie ist eine Kämpferin, die niemals aufgibt und stets für andere da ist. Ich habe selten so eine starke Frau erlebt. Für jedes Anliegen hat sie ein offenes Ohr, und selbst wenn Pilger sie um Mitternacht per Facebook kontaktieren, wo es eine offene Herberge geben könnte, setzt sie alle Hebel in Bewegung, um zu helfen. Ihre Lebensgeschichte wäre es wert, verfilmt zu werden. Anne hat das Buch „Ein Kämpferherz gibt nicht auf“ geschrieben, das ich sehr empfehlen kann. Egal, ob Neuling oder Profi, Annes Facebook-Gruppe ist so etwas wie ein Online-Caminho-Coach, in dem neben Etappenplänen, Unterkunftsverzeichnissen und jeder Menge anderer wichtiger Informationen vor allem die persönliche Betreuung durch Anne und die Forum-Teilnehmer im Vordergrund steht. Immer wieder hat Anne ihre Verbindungen in Portugal und Spanien spielen lassen und zum Beispiel nach Unfällen verletzte Peregrinos nach Deutschland zurückgeholt. Man kann diesen Engel des Caminho jederzeit persönlich kontaktieren, den Link finden Sie im Anhang.

Also, schnallen Sie sich an und stellen Sie das Rauchen ein. Wenn Sie sich jedoch trotzdem eine Zigarette anzünden wollen – bitte! Pilger sind in der Regel sehr tolerant, Sie können selbst entscheiden, wie Sie mich auf meinen 750 Kilometern von Lissabon nach Santiago de Compostela begleiten möchten. Ich freue mich, dass Sie dabei sind!

„Bom Caminho!“

Es ist wieder so weit …

„Das schaffst du nie!“ He, das hatten wir doch schon. „Na, fällt dir nichts Neues mehr ein?“ Ich sehe schon die fragenden Gesichter einiger Leserinnen und Leser, wenn sie bemerken, dass auch mein zweites Buch mit demselben Satz beginnt, der schon mein Erstlingswerk „Himmel, Herrgott, Meer, Musik“ über die Ruta del Norte, den Jakobsweg auf der nordspanische Küstenvariante, eingeleitet hat. Tu ich aber trotzdem, irgendwie passt es auch diesmal wieder ganz genau. Doch nicht so wie damals! Ich habe zwar alle auf dem Nordweg verlorenen 15 Kilo wiedergefunden, habe sogar noch einige zusätzliche dazu aufgebaut, die ich gar nicht verloren hatte, aber trotzdem wird mir von meinen Freunden und Bekannten mittlerweile doch zugetraut, wieder so eine Mammutwanderung durchzuziehen.

Nein, diesmal bin ich mir selbst nicht ganz sicher, ob das wieder so klaglos abgehen wird wie das letzte Mal. Denn da lief ja wirklich alles problemlos. Okay, bis auf die klitzekleinen Schmerzen in fast sämtlichen Körperteilen, die schlaflosen Nächte aufgrund von Muskelkrämpfen in Bereichen, wo ich zuvor nicht mal wusste, dass ich da Muskeln hatte, die Terrorschnarcher und Durch-die-Nacht-Quatscher oder auch die Dauerbeschallung durch meine lebende PPT – Pilgerplaudertasche – Kathi. Obwohl sie mir damals sehr oft auf die Nerven gegangen ist, gehört Kathi doch zu den positiven Erinnerungen an diesen Weg, denn sie konnte aufgrund ihres ausgeprägten Helfersyndroms gar nicht anders, als mir permanent mitzuteilen, wo der nächste Mercado ist, wie’s zum Strand geht, warum man da vorne nicht nach links marschieren soll, dass es ganz in der Nähe Cola zu kaufen gibt, was man gegen Hunde, Gelsen, Sonnenbrand und Durchfall so machen muss und vieles andere mehr. Wer braucht Wikipedia, wenn es Kathi gibt? Nur dass Wikipedia keine Wäsche waschen kann, das hat Kathi manchmal nämlich auch für mich gemacht. Schade, dass wir uns in der Zwischenzeit aus den Augen verloren haben, ein paar Anrufe und Mails haben wir noch geschafft, aber dann war sie plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Ich hoffe, es geht ihr gut. Wahrscheinlich hat sie aber den Job gewechselt und ist jetzt als Mediatorin in irgendeiner Redekommune voll ausgelastet. Kathi ist also nicht der Grund, warum ich diesmal etwas Federn habe vor diesem Weg. Nein, da gibt’s etwas anderes.

Ich war zwar in den letzten Jahren hin und wieder mal unterwegs, aber nie länger als acht Tage am Stück. Ein Jahr nach dem Norte konnte ich meine Moni sogar dazu überreden, mit mir nach Santiago zu düsen und von dort aus nach Finisterre zu pilgern. Unter der Voraussetzung, dass wir die normalen Herbergen großräumig umgehen würden, willigte sie damals ein – denn leider habe ich ihr natürlich von den Stinkesocken und Schnarchweltmeisterschaften auf meinem letzten Camino erzählt. Und ich war sehr überrascht, wie geländegängig meine Frau war. Hätte ich ihr gar nicht zugetraut! Es war eine wunderschöne Woche, wir sind zusammen insgesamt fast 130 Kilometer von Santiago nach Finisterre und dann weiter nach Muxia gewandert. Übernachtet haben wir in Hotels und Pensionen. Und wenn gerade keine Unterkunft am Weg lag, gab’s einen Anruf beim Taxidienst, und ein netter Fahrer brachte uns in das Quartier und am nächsten Tag auch wieder zurück auf den Weg. Ich wollte mal sehen, wie sich das Pilgerfeeling mit einem geliebten Menschen anfühlt. Ob Moni und ich auch gehtechnisch kompatibel sind, auch wenn aufgrund unseres doch erheblichen Höhenunterschieds und der damit zusammenhängenden Beinlänge jeder sein eigenes Wohlfühl-Pilgertempo hat? Ich kann nur sagen: Experiment gelungen! Auch wenn ich sie ihrer Meinung nach mit einer Falschinformation auf den Weg gelockt habe. Da ein schwerer Rucksack und Moni niemals gute Freunde werden können, hatte sie vorgeschlagen, sich einen Reisetrolley zu besorgen, den sie bei Bedarf hinter sich herziehen könnte. Ich konnte ihr diese Schnapsidee dann doch ausreden und habe ihr versichert, dass ich auf meinen gesamten 1100 Kilometern auf dem Küstenweg kein einziges Mal einen Pilger mit einem Trolley gesehen habe! Und dann – was passiert am ersten Tag unserer gemeinsamen Tour? Ein lustiger Franzose kommt uns entgegen, grüßt freundlich und marschiert pfeifend weiter – einen Trolley hinter sich herziehend. Ha, mehr habe ich nicht gebraucht!

„Hast du nicht gesagt …?“

Das war dann auch die einzige kritische Situation in unserer Pilgerbeziehung, die ich aber mit einer besonders liebevollen Nackenmassage am Abend schnell wieder beseitigen konnte.

Ein Jahr danach hatte Moni einen einwöchigen Kurs irgendwo in den endlosen Tiefen des Waldviertels, und ich dachte mir, bevor ich traurig und weinend zu Hause warte, bis sie wiederkommt, nutze ich die Zeit gleich für ein kleines Jakobswegerl – diesmal in Österreich. Der Weststeirische Jakobsweg führt durch die Steiermark nach Kärnten, er beginnt in Thal bei Graz und endet in Lavamünd. Thal ist übrigens der Geburtsort von Österreichs berühmtestem Kraftlackl, der steirischen Eiche Arnold Schwarzenegger, und in der Nähe des Schwarzenegger-Museums startet dieser Weg auch. Nach Kathi und Moni hatte ich auch auf meinem dritten Jakobsweg natürlich wieder weibliche Begleitung dabei – meine Golden-Retriever-Lady Sandy, die es sichtlich genoss, mit mir durch die steirischen Berge zu wandern. In Sachen Geländegängigkeit war sie sogar meiner Moni überlegen, aber mit ihrem Vierfußantrieb ist das ja auch verständlich. Apropos verständlich – Sprachprobleme dürfte es wohl keine geben, auf einem Jakobsweg in Österreich. Zumindest habe ich mir das damals so gedacht. Aber als ich am Stammtisch in einem kleinen Ort mit ein paar weststeirischen Eingeborenen ein paar Bierchen zwitscherte, war ich mir oft nicht wirklich sicher, was sie mir sagen wollten. Dabei liegt das alles nur geschätzte 150 Kilometer von meinem Heimatort entfernt, aber sprachlich ist es eine ganz andere Welt. Doch die Menschen waren ausnahmslos nett, gemütlich und hilfsbereit. Und die Strecke war abwechslungsreich und wunderschön. Landschaftlich zwar völlig anders als meine Wanderungen in Spanien, denn statt am Meer entlang wandert man dort über weiche, saftig grüne Almwiesen inmitten einer sensationellen Berglandschaft. Es geht hinauf auf den höchsten Punkt aller europäischen Jakobswege, auf den Großen Speikkogel – mit seinen 2140 Metern zugleich auch der höchste Gipfel der Koralpe –, von dem man einen grandiosen Ausblick auf die umliegende Bergwelt hat. Meine Sandy hat den Weg geliebt! Kein noch so kleines Gebirgsbacherl war vor ihr sicher, am Abend durfte sie in meinem Zimmer schlafen, und die weststeirischen Hospitaleros verwöhnten sie nach Strich und Faden.

Vor drei Jahren wollte ich dann den portugiesischen Küstenweg ab Porto in Angriff nehmen. Und ich hatte sogar meine Moni dazu gebracht, wieder mitzupilgern, und ihr hoch und heilig versprochen, wieder nur in Hotels oder Pensionen zu übernachten. Denn wie erwähnt – Herbergen sind nicht so wirklich das, was sie sich unter einer Monigerechten Unterkunft vorstellt. Auf jeden Fall war schon alles geklärt, die Flüge gebucht.

Bis mir mein bis dahin sehr sympathischer persönlicher Haus- und Hofarzt plötzlich ein Knochenmarksödem im rechten Knie diagnostizierte und ich drei Wochen mit Krücken unterwegs war. Also mussten wir die Flüge verfallen lassen, und aus war’s fürs Erste mit dem Traum vom portugiesischen Jakobsweg, gemeinsam mit meiner Moni.

Ein paar Monate später waren wir für drei Tage in einer Therme, und plötzlich gab es in meiner rechten Hüfte eine Messerstecherei wie in einer Mafiakneipe in Palermo. Ich konnte keinen Schritt mehr machen, ohne diesen beißenden Schmerz im Hüftgelenk, und watschelte daher wie Donald Duck nach seinem dritten Schlaganfall dahin.

„Irgendwann in den nächsten Jahren werden Sie eine neue Hüfte brauchen!“

Na super, nach diesen Worten des Orthopäden waren meine Jakobs­wegambitionen in noch weitere Ferne gerückt. Ich bekam jede Menge Injektionen mit Hyaluronsäure und andere Behandlungen, aber es dauerte ein halbes Jahr, bis ich nahezu schmerzfrei war.

Aber kaum war ich wieder so einigermaßen hergestellt, kam der kleine Floh zurück, der mir permanent ins Ohr flüsterte: „Jakobsweg, ­Jakobsweg …“ Wenn die mir schon eine neue Hüfte verpassen wollen, dann kann ich die alte ja noch mal so richtig strapazieren. Der Orthopäde fand das aber gar nicht so lustig, er meinte, sobald ich sie zu sehr belasten würde, würde der Schmerz wiederkommen. Bergaufgehen dürfte kein Problem bereiten, aber bergab zu marschieren sollte ich eher vermeiden. Na, wie jetzt, soll ich mit dem Hubschrauber vom Berg runterfliegen? Damals hat mich, und ich glaube, auch meine Hüfte, der Ehrgeiz gepackt, und schon zwei Tage später sind wir beide (also die Hüfte und ich) auf meinen Hausberg gewandert, um auszuprobieren, wie sich das so verhält, wenn man dann über den steilen Weg wieder runterkraxelt. Und – alles okay, wir hatten keine Probleme. Mittlerweile war ich sogar auch wieder laufen, ohne Schmerzen. Aber das mache ich nur selten, denn so richtig übertreiben möchte ich es eigentlich auch nicht. Laufen wird erst wieder interessant, wenn ich auch gewichtsmäßig wieder dazu geeignet bin.

Auf dem nordspanischen Jakobsweg habe ich 2010 wie gesagt 15 Kilo liegen gelassen und das Gewicht auch fast ein Jahr lang gehalten. Aber jetzt ist zum Glück alles wieder drauf, wäre ja schade drum. Jo-Jo halt, wie schon in meinem ersten Buch beschrieben. Apropos Buch – da es sehr wenig Pilgerliteratur über den Norte gab und gibt, wollte ich diesem Missstand ein Ende setzen und habe darüber mein erstes Buch „Himmel, Herrgott, Meer, Musik“ verfasst. Bisher hatte ich ja an die 600 Texte quer durch den Gemüsegarten der Schlager- und Volksmusik geschrieben, aber dass es je zu einem Buch reichen würde, hätte ich nie gedacht. Zur Präsentation in der Raiffeisenbank Neunkirchen kamen 400 Menschen, und ich weiß noch heute, dass ich mir fast ins Hoserl gemacht habe, als ich dort das erste Mal vor so einem großen Publikum von meinem Jakobsweg erzählen durfte. Es folgten Präsentationen in ganz Österreich, und auch nach Südtirol und Bayern wurde ich mehrmals eingeladen. Mittlerweile habe ich das fast lähmende Lampenfieber der ersten Stunde vollkommen abgelegt. Im Gegenteil, ich freue mich auf jeden Vortrag, denn in diesen eineinhalb Stunden, die diese Mischung aus Lesung, Musik und meinem Geschwafel dauert, bin ich in Gedanken wieder mittendrin auf meinem Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Aber eben nur in Gedanken, in mir aber brodelt jetzt schon lange wieder unaufhaltsam ein Virus, den viele Pilger kennen: das Jakobswegfieber!

Und weil mittlerweile Knie und Hüfte ebenfalls von diesem Virus befallen sind und alles dransetzen, mir keine Probleme zu machen, habe ich einen neuerlichen Versuch unternommen, mit meiner Moni über den portugiesischen Küstenweg zu sprechen. Aber unter uns – das war eigentlich nur der Form halber. Mir war schon lange bewusst, dass ihr eine derart lange Marschiererei nicht wirklich am Herzen liegt. Wir haben oft darüber gelacht, wenn sie so nebenbei in Gesellschaft erwähnte, dass sie mir nachts das eine oder andere Mal ins Knie getreten habe und so eigentlich die Ursache für mein Knochenmarksödem gewesen sei – nur damit sie nicht mitpilgern muss. Moni war wenig überraschend nicht wirklich begeistert von dem Gedanken, jetzt doch von Porto nach Santiago zu marschieren, aber sie meinte, dass sie mich sehr gerne von zu Hause aus unterstützen würde, wenn ich das allein durchziehen wolle. Yeah, das ist meine Moni! Ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, wenn eine Frau ihrem Mann erlaubt, sich einfach für eine Zeitlang allein seine Träume zu erfüllen. Natürlich kommt es auch auf die Träume drauf an, aber dafür kennt sie mich und meine Wünsche zu gut, als dass sie sich da bestimmte Sorgen machen müsste. Mein Traum ist wieder mal der Jakobsweg.

„Danke, Moni! Und du wirst sehen, wie schnell so ein Monat vergeht!“

„He, warum eigentlich ein Monat, als wir zusammen gehen wollten, waren das grade mal zehn Tage?“

Okay, dann beichte ich halt, dass ich in der Zwischenzeit sehr oft über die Möglichkeit nachgedacht habe, nicht von Porto aus, sondern bereits in Lissabon zu starten. Der normale Jakobsweg führt von dort durch das Landesinnere nach Porto, es gibt aber eine Variante direkt am Meer entlang – den Trilho das Areias. Es ist eigentlich kein echter Jakobsweg, sondern eine Kombination aus verschiedenen Wegen. Angeblich gibt es dort nur bedingt Markierungen, ein Fernwanderweg führt teilweise über diese Strecke, und manchmal ist man auch auf dem Pilgerweg nach Fatima unterwegs. Luis Freixo, ein Spanier aus Galicien, hat den gesamten Weg GPS-mäßig aufgezeichnet und das Kartenmaterial im Internet zur Verfügung gestellt. Dazu gibt es die Facebook-Gruppe „Jakobsweg – Caminho Português“, in der man jede nur denkbare Information über die portugiesischen Jakobswege und das Pilgern im Allgemeinen erhalten kann. Anne Chantal ist das Herz dieser Gruppe, sie hat mir während meiner Vorbereitung alle meine Fragen mit Engelsgeduld beantwortet und mich bestärkt, diesen Weg zu nehmen.

Moni sieht ein, dass der Weg von Lissabon bis Santiago bereits zu tief in meinem Herzen eingebrannt zu sein scheint und es nicht viel Sinn machen würde, mir den wieder auszureden. Obwohl – wenn sie nicht damit einverstanden wäre, würde ich zu Hause bleiben. Das kann ich mit bestem Gewissen sagen. Aber da sie nun mal so ein Engel ist, gibt es diesbezüglich keine Probleme. Auch mit der Firma habe ich alles geklärt, das war zwar etwas schwieriger als mit Moni, aber wir haben dann doch eine Lösung gefunden, mit der alle zufrieden sein können.

Meinem Weg von Lissabon über den Trilho dasAreias nach Porto und ­weiter auf der Küstenvariante des portugiesischen Jakobswegs, dem ­Caminho da Costa, nach Santiago de Compostela steht also nichts mehr im Wege. Ein Traum fängt wieder an zu leben. Und alles ist gut! Alles? Nicht ganz, denn leider können meine Eltern nicht mehr miterleben, dass ich jetzt das zweite Mal nach Santiago unterwegs bin. Aber das ist meine ganz persönliche Geschichte …

Arriva – auf geht’s!

16. April 2016: Wien – Lissabon

Heute geht es los! Knapp vor 15 Uhr startet mein Flieger nach Lissabon. Ist es wirklich schon sechs Jahre her, seit ich auf „meiner“ Ruta del Norte marschiert bin? Am 11. April 2010 habe ich mich auf die erste Etappe von Hendaye nach Pasaia gemacht – und jetzt beginnt ein neues Abenteuer, jetzt geht’s wieder zurück ans Meer, und das einen ganzen Monat lang. Ich liebe das Wasser, und ich liebe das Wandern – wo also kann man diese beiden Vorlieben besser vereinen als auf einem Weg, der fast 600 Kilometer meist direkt am Atlantik entlangführt. Zuerst von Lissabon bis Porto auf einem nicht offiziellen Jakobsweg, aber als Pilger muss man halt auch etwas flexibel sein. Erst von Porto nach Santiago bin ich dann quasi ein echter Peregrino, aber ich denke, so wichtig ist es nicht, ob man auf einem Caminho oder einem Wanderweg unterwegs ist. Wichtig ist, dass man es einfach macht! Und dass man sich auf dem Weg nicht verirrt, obwohl ich mir nie ganz sicher sein kann, nicht doch den einen oder anderen Umweg zu machen, denn ich bin nach wie vor ein großer Orientierungsdilettant. Manchmal finde ich nicht mal den Weg nach Hause. Das liegt dann meist auch daran, dass ich gerade mit Freunden bei einem Bierchen sitze und gar nicht nach Hause will – aber es ist schon so, dass ich sehr oft Probleme mit den Himmelsrichtungen und deren richtiger Deutung habe.

Meine Familie ist vollzählig angetreten, um mich am Flughafen Wien-Schwechat zu verabschieden. Nur Sandy musste ich zu Hause schon verraten, dass ich diesmal wieder mal ohne sie losmarschiere. Ich weiß nicht, ob sie das wirklich verstanden hat, auf jeden Fall habe ich trotzdem ein sehr feuchtes Bussi mit ihrer Schnauze mitten ins Gesicht bekommen. Sie ist jetzt mit ihren zehn Jahren schon eine ältere Lady, und meine Trainingstouren musste ich immer öfters ohne sie machen. Ja – diesmal habe ich trainiert, und zwar bestimmt mehr als vor meinem ersten großen Jakobsweg! Zwar trotzdem nicht wirklich ausgiebig, aber es stecken doch ein paar Touren um die 25 bis 35 Kilometer in meinen Füßen, und auch die Schuhe mit den neuen Einlagen wurden ausgiebigst getestet. Es kann also nicht viel schiefgehen. Außer vielleicht … Hüfte und Knie … Aber daran denke ich jetzt einfach nicht. Trotzdem spüre ich ein Kribbeln in der Magengegend, als ich meiner Familie zum letzten Mal zuwinke, bevor ich in den langen Gängen des neuen Flughafengebäudes verschwinde.

„Tschüss. Hab euch lieb! Passt auf euch auf!“

Mit dem letzten Abschiedskuss hat mir meine Moni auch eine Karte in die Hände gedrückt, auf der sie mir ihre Wünsche und Gedanken für meinen Weg zusammengeschrieben hat. Die Zeit bis zum Boarding verbringe ich ganz allein mit einem Papiertaschentuch, weil mich ihre Worte dermaßen berühren, dass sie direkt durch die Augen auf die Wangen ­tropfen. In der hl. Messe letzten Sonntag hat der Pfarrer, der nichts von meinem bevorstehenden Jakobsweg wusste, einen Segensspruch benutzt, der treffender nicht hätte sein können. Moni hat ihn mir, neben einigen ganz persönlichen, besonders liebevollen Zeilen, aufgeschrieben, er beginnt folgender­maßen:

„Segne mir die Erde, auf der ich jetzt stehe!Segne mir den Weg, auf dem ich jetzt gehe!Segne mir das Ziel, für das ich jetzt lebe!“

Ich vermisse Moni und meine Familie schon jetzt, obwohl ich noch gar nicht gestartet bin. Na, das kann ja was werden …

Die Flugbegleiterinnen tragen eine coole Uniform, da im Flieger der portugiesischen Airline TAP. Ein schwarzer Hut am Kopf und eine breite, rote Schärpe um die Taille, die schwarzen Rock und weiße Bluse dezent trennt. Die etwas mehr als drei Stunden Flug verbringe ich mit ein bisschen Recherche über die ersten Tage meiner Wanderschaft. Ich bin ja immer noch nicht der große Planer, aber das Kartenmaterial von Luis Freixo und einige Wegbeschreibungen habe ich zu Hause auf das iPhone geladen. Kamera habe ich diesmal keine dabei, die Fotos möchte ich alle mit dem Handy schießen. Die Qualität dieser neuesten Generation von Smartphones ist schon so ausgezeichnet, da spare ich mir wieder einiges an Gramm für meinen Rucksack. Der trotzdem an die zwölf Kilo wiegt. Aber – eine ungeschriebene Pilgerregel besagt, dass ein Rucksack zehn Prozent des Körpergewichts nicht übersteigen soll. Und da ich halt doch einiges mitzuschleppen habe, zum Beispiel mein kleines Notebook mit 700 Gramm oder auch den überdimensionierten Schlafsack mit 1,5 Kilo, weil ich mit meiner körperlichen Ausdehnung unmöglich Platz in einem leichten Mumienschlafsack finde, und einiges anderes mehr, habe ich meine eigene Methode entwickelt, um diese Regel einzuhalten. Ich habe einfach einige Kilo raufgefuttert und schaffe so die zehn Prozent ganz easy, ohne etwas von meinen lebensnotwendigen Pilgersachen zu Hause zu lassen. Ob das aber eine nachahmenswerte Methode für die gesamte Camino-Welt ist, darüber lässt sich wahrscheinlich streiten.

So, Lissabon – angekommen … Und erstes Problem aufgetaucht, mal abgesehen davon, dass ich eine halbe Ewigkeit gebraucht habe, um meinen Rucksack von dem Plastikschutz zu befreien, in den er in Wien eingewickelt wurde. Das Taschenmesser ist innen verstaut, die Stöcke in den Außenschlaufen, aber eben alles unter dem zentimeterdicken Foliensack. Mit meinen Fingernägeln befreie ich das Ding von seiner Umhüllung und bin der mit Abstand Letzte, der die Kofferhalle verlässt. Und jetzt stehe ich da vor dem Ticketautomaten für die U-Bahn und schaffe es nicht, mir eine Karte zu besorgen. Okay – ich hab’s halt nicht so mit Computern, mach das ja nur beruflich, aber irgendetwas stimmt da nicht. Meine Euro-Münze fällt immer wieder durch, und auch die Beschriftung kann ich nicht richtig lesen. Am Nebenautomaten braucht ein Engländer für die gesamte Prozedur ungefähr acht Sekunden, dann erbarmt er sich meiner und schenkt mir ein Zwei-Euro-Stück. Mit dem funktioniert plötzlich auch mein Automat – wahrscheinlich nimmt das Gerät nur portugiesische Euros? Fängt ja wieder gut an, aber eigentlich so wie immer: Bei Problemen auf dem Jakobsweg wird einem sofort geholfen.

„Many thanks!“

Weil ich den Ausstieg versäumt habe, muss ich jetzt etwas länger durch die Stadt schlendern. Die Sonne scheint vom blauen Himmel, und nichts erinnert mehr an das grausliche Wetter, das die letzten beiden Wochen geherrscht hat. Ich habe aus rein sentimentalen Gründen das Hotel „De Norte“ gebucht, und als ich dem jungen Rezeptionisten erkläre, dass ich nach Santiago pilgern möchte, begutachtet er mich mit skeptischem Blick von oben bis unten. Abgesehen davon, dass er gar nicht so schauen muss, weil auch er nicht wirklich wie ein Athlet daherkommt, ist er sehr sympathisch – und schenkt mir einen Euro. Denn schon wieder verweigert mir eine portugiesische Maschine ihre Dienste und lässt meine Münzen durchfallen – mit der Spende funktioniert der Getränkeautomat neben der Rezeption dann aber einwandfrei. Bin ich in „Versteckte Kamera“ oder was?

Danach geht’s zum Zimmer.

„Lift oder Stiegen? Ist aber im dritten Stock!“

Natürlich Stiegen! Jetzt bekommt der Hotel-Boy große Augen und meint, ob ich für die Olympischen Spiele trainiere oder nur den Jakobsweg gehen möchte. Ha, Olympische Spiele – wenn, dann höchstens Special Olympics! Obwohl – diesen superlustigen Schmäh würde ich gern sofort wieder zurückziehen, denn was die Athleten dort leisten, ist unwahrscheinlich und überhaupt nicht vergleichbar mit meinem Spaziergang nach Santiago. Aber wenn ich in einer Disziplin olympiareif bin, dann im Reden vor dem Denken! Das kann ich weltmeisterlich, die Fettnäpfe, in die ich dadurch schon reingesprungen bin, kann man gar nicht mehr zählen. Aber was soll’s, so bin ich halt …

Das Zimmer ist klein und nicht ganz so fein, aber rein – und das ist wichtig. Und reimt sich! Ich habe das manchmal so in mir, dass mir die absurdesten Reime einfallen. Manche der abenteuerlichsten werden dann zu Songs. Durch mein erstes Buch und die interessanten Ausflüge in eine neue Sparte der Schreiberei habe ich das Liedertexten in den letzten Jahren etwas zurückgesteckt, aber doch sind einige schöne Projekte entstanden. Und dann im Advent 2014 die große Überraschung, als ich auf Facebook mitbekam, dass Helene Fischer im Duett mit Ernie, Bert und Elmo in der „Sesamstraße“ eine deutsche Version von „Let it snow“ zum Besten gegeben hat. Ich habe vor Jahren für einen befreundeten Sänger einen deutschen Text zu diesem Weihnachtsklassiker geschrieben, auch Andy Borg hat diese Version in seinem „Weihnachtsstadl“ gesungen, und jetzt war ich neugierig, welchen Text sich das Team von Helene Fischer einfallen lassen hatte. Und ich hörte – meinen Text! Gesungen von der besten und erfolgreichsten Sängerin im deutschsprachigen Raum. Dass ich da zumindest finanziell nichts davon habe, weil bei Übersetzungen von internationalen Hits die Rechte immer beim Original-Verlag bzw. den Urhebern bleiben, spielt keine Rolle, aber für das eigene Ego war’s schon eine tolle Sache. Auch für diverse andere Texte, unter anderem für Marc Pircher, Pfarrer Franz Brei, die jungen Zillertaler und erstmals auch für die Kastelruther Spatzen fand ich neben Familie, Job und Buchpräsentationen Zeit, um sie in meinem Texterzimmer unter dem Dach unseres Hauses niederzuschreiben.

Apropos Zimmer – bei den Fenstern in meinem Hotelzimmer ist es völlig egal, ob sie offen oder geschlossen sind, man hört in beiden Fällen jedes Geräusch von draußen rein. Und da gibt es viel zu hören, ich bin mitten in der Stadt. Optimale Lage also, und ein idealer Ausgangspunkt für eine nächtliche Sightseeingtour. Mein persönlicher Olympiatrainer hat mir ­einen Tipp für ein Fado-Restaurant gegeben, von denen es in Lissabon ja jede Menge geben soll. Ich mag diese Musik, die so melancholisch und melodiös klingt und trotzdem eine unbändige Lebensfreude ausstrahlt. In 20, 30 Minuten sollte ich in der Alfama, der Altstadt von Lissabon, sein, und dort am Anfang sei auch gleich ums Eck die empfohlene Fado-Bar, hat er mir erklärt. Das muss doch schneller zu schaffen sein, denke ich mir, denn im Reiseführer steht was von 15 Minuten. Da ich ja derzeit gehtechnisch so etwas von austrainiert bin, brauche ich bestimmt nur zehn. Okay – nach 45 Minuten habe ich das Fado-Restaurant immer noch nicht gefunden, aber da ist direkt vor mir eine kleine Bar, aus der Musik auf den Gehsteig rausklingt. Nehme ich halt die, wenn sich die andere nicht blicken lässt – selbst schuld!

Ein gut gebräunter Portugiese mit grauem Schnauzbart führt mich zu einem Platz in dem winzigen Lokal, und plötzlich haben an die zehn Gäste hinter mir erhebliche Sichtprobleme, weil ich die direkte Aussicht auf die kleine Bühne versperre. Ich mache mir leider auch im Theater oder im Kino ganz selten Freunde in den Reihen hinter mir. Zwei etwas überwutzelte Gitarrenspieler stimmen ihre Instrumente an, und eine zarte, ganz in Schwarz gekleidete Sängerin singt mit rauchiger Stimme ein etwas traurig klingendes Lied. Aber schon aus der nächsten Melodie höre ich pure Lebenslust raus, die Gitarreros klampfen, was das Zeug hält, und das gesamte Lokal schaut und hört staunend zu. Nach einigen Liedern legen die beiden Musiker die Gitarre zur Seite, die Sängerin bindet sich eine weiße Schürze um und bedient die Gäste. So geht das hier also.

Ein junger Mann wird auf den Platz mir gegenüber geführt und von mir gleich mal mit „Boa tarde!“ angequatscht. Durch einen sehr ausführlichen Online-Kurs habe ich mir ganze zwölf Wörter auf Portugiesisch antrainiert, zwei davon kann ich gleich mal verwenden. Hätte ich aber jetzt gar nicht gebraucht, denn der Neuzugang kommt ursprünglich aus Griechenland, lebt aber seit vielen Jahren schon in Holland. Er stellt sich als Karl vor und bestellt, ohne zuvor in die Speisekarte geschaut zu haben, beim Kellner etwas zu essen. Gute Idee – ich schau mir die Karte aber sicherheitshalber an, kann jedoch nichts wirklich entziffern – außer Tosta Mista. Nach ein paar Minuten bekommt Karl Bacalhau serviert, den berühmten portugiesischen Stockfisch. Mir bringt der Kellner einen hundsordinären Schinken-Käse-Toast, und Karl meint nur lakonisch, ob das eine typische portugiesische Speise sei, die ich da am Teller habe. Ha, ha, lustig! Ich erkläre ihm lachend, dass ich noch einen ganzen Monat Zeit dazu haben würde, etwas Gescheites aus diesem Land zu essen, heute sei ich einfach noch nicht so weit.

Neben mir sitzt ein Pärchen, das ich bisher für stumm gehalten habe, aber plötzlich fangen die beiden zu plaudern an. Sie sind aus der französischen Schweiz und sprechen etwas Deutsch. Wir unterhalten uns köstlich. Ich kann zwei Wörter perfekt auf Französisch, nämlich Lavoir und Rollo, und sie kennen Marcel Hirscher. Ich versuche, ihnen zu erklären, dass der noch viel erfolgreicher wäre, wenn er ein „L“ im Nachnamen hätte. Pfuh, nicht einfach, aber irgendwann verstehen sie, dass ich Hirschler heiße (mit „l“), mit unserem österreichischen Ski-Hero aber sonst nix zu tun habe – außer dass ich ein Riesenfan von ihm bin.

Plötzlich bestellt der französische Schweizer irgendwas mit Porto, so ganz kann ich ihn in dem jetzt doch etwas lauten Lokal nicht verstehen. Der griechische Holländer deutet auf dasselbe, und weil mir gerade nichts Besseres einfällt, tue ich das auch. Schon trinken wir alle eine Runde Portwein. Und weil wir uns so gut verstehen, werden daraus drei, man gönnt sich ja sonst nichts. In der Zwischenzeit hat die Kellnerin ihre Schürze wieder hinter den Tresen geworfen und singt Fado vom Feinsten – ich liebe Portugal! Und den Fado! Und den Portwein!

Irgendwann kommt jedoch die Zeit, aufzubrechen – ich habe ja morgen noch was vor. Meine Portwein-Mitvernichter haben denselben Gedanken, und nach einer kurzen, aber innigen Verabschiedung machen wir uns alle auf den Weg in unser Quartier, jeder in eine andere Himmelsrichtung. Komisch ist nur, dass mir auf dem Rückmarsch, der diesmal noch etwas länger dauert als vor drei Stunden in die andere Richtung, immer wieder die französischen Schweizer über den Weg laufen. Zweimal kommen sie lachend aus einer Seitengasse von links raus, einmal von rechts – immer wieder gibt es ein Riesen-Hallo, so als ob wir uns nach langer Zeit endlich mal wiedersehen würden. Schon lustig, das wird ja nicht am Portwein liegen? Irgendwann schaffe ich es aber trotzdem in mein Hotel, pfeife auf die Stiegen (sieht mich ja eh keiner) und fahre mit dem Lift in mein Zimmer. Gute Nacht, Lissabon!

Hirschis Pilgerweisheiten – Wünsch’ dir was …

Bevor die NSA, Wikileaks und Amnesty International Wind bekommen von meinem erneuten Vorhaben einer wochenlangen Pilgerschaft entlang der Küste Portugals und Spaniens, habe ich gleich selbst den Weg in die Öffentlichkeit gesucht und das folgende Abschiedsmail an meine Freunde verfasst:

Liebe Freunde, der Countdown läuft – ab Samstag, dem 16. April, werde ich mich für fünf Wochen wieder auf den Jakobsweg machen – oder fast halt …

Diesmal geht’s ca. 800 Kilometer von Lissabon auf der Küsten­variante nach Porto und weiter nach Santiago de Compostela. Da mein letzter großer ­Jakobsweg bereits vor 15 Kilo war – genauer gesagt im ­Frühjahr 2010 –, freue ich mich schon wahnsinnig darauf, für fünf ­Wochen wieder die ­Natur genießen zu können, direkt am Meer entlangzuwandern, Stress und Hektik hinter mir zu lassen und einfach den Körper auf das Wesentliche runterzufahren (und mein Körper hat genug Kapazität, bis er am Wesentlichen ist ;-))

Ich bedanke mich für die vielen gut gemeinten Ratschläge meiner allerliebsten Freunde („So richtig trainiert schaust aber net aus!“) und für all die unzähligen Wünsche und sogar Geschenke, die mir für den Weg mitgegeben wurden.

Vielleicht finde ich unterwegs mal Zeit, euch ein paar Fotos mit kurzen Reiseberichten zu senden – ansonsten: Wir sehen/hören/lesen uns wieder in fünf Wochen! Eine schöne Zeit euch allen !!!

P. S.: Sollte noch jemand Sünden haben, die er mir mitgeben ­möchte – bis Freitag habt ihr Zeit, diese bei mir abzuladen :-)

Kaum zu glauben, welche Antworten ich erhalten habe:

M. und G. S. aus R. C., Niederösterreich

An unseren liiiieben Herbert! Auch aus R. C. die allerbesten Wünsche für dein Vorhaben. Ich wäre ja gerne mitgekommen, aber leider ist es mir in meinem Leben noch nicht gelungen, die erforderlichen Sünden anzuhäufen. Also bitte ich dich, meine eineinhalb kleinen Vergehen mitzutragen. Ich werde es dir bei deiner Rückkunft gerne mit einem Gläschen Mineralwasser vergelten.

S. H. aus W., Niederösterreich

Lieber Hirschi, was sollen wir dir auf den Weg mitgeben? Sünden nicht, vielleicht hast du selber viel zu tragen.

Wir geben dir mit: ein gutes Schuhwerk, ein ordentliches Lunchpaket, Empfang für deinen Laptop oder Handy, um Fotos und Berichte senden zu können, eine ausgiebige Erste-Hilfe-Ausrüstung für deine eventuellen Schmerzen, die eh nicht kommen, wundertolles Wetter, eine gute Ausdauer, viel Gesundheit, mentale Reinigung und einen Schutzengel, der über dich wacht, Herbert!

AAAAAAAlles Gute und komm gut heim – wir denken an dich!!

W. R. aus M., Deutschland

Lieber Herbert, toll, was du wieder vorhast. Wenn man will, dann findet man die Zeit. Ich bin Pensionär und könnte mich im Moment nicht für fünf Wochen freimachen. Ich freue mich schon heute wieder auf deine netten Nachrichten und werde gedanklich mit dir gehen. Die Route versuche ich dann auf der Landkarte zu verfolgen.

Wir wünschen dir von ganzem Herzen einen erfolgreichen Jakobsweg, und wenn du dann in der Kirche in Santiago de Compostela bist, dann denke bitte auch an uns, wir werden dir ebenfalls unsere Gedanken schicken. Komme wieder gut heim, alles, alles Gute für dich!

H. W. aus M., Deutschland

Lieber Herbert! Deine freudige Botschaft zur inneren Einkehr hat mich eben erreicht. Wünsche dir alles erdenklich Spannende, Lust und Freude und interessante Begegnungen und Eindrücke auf deinem Pilgerweg.

Mit meinen gewichtigen Sünden möchte ich dich nicht beladen. So ich mich nicht bereits von sämtlich Erdrückendem befreit haben sollte, folge ich der – vielleicht nur eine Illusion – Maxime: Alles, was ich habe, trage ich bei mir! Also geh unbeschwert drauflos!

A. T. aus G., Steiermark

Hallo Hirschi, alles Gute und viel Spaß. Bist leider zu früh unterwegs, ab 16. September sind wir in Porto, aber ich werde deine Spuren (leere Portweinflaschen, verwirrte Mädels, tiefe Eindrücke auf den Wegen …) eh sehen.

V. J. aus Ö., Tirol

Hallo Herbert! Abladen will ich bei dir nix! (Meine Sünden behalt i bei mir … hihi …)

Bewundere dich immer wieder – wenn i amol Zeit hab, möchte i a so eppes machen, vielleicht nit so lang. Hab erst kürzlich dein Buch wieder gelesen und krieg gleich wieder Lust!

Ich wünsch dir alles Gute und eine tolle Wanderung (dass dir nix passiert).

E. L. aus I., Tirol

Lieber Herr Hirschler, freut mich zu hören, dass Sie sich wieder auf den Weg machen – einmal Pilger, immer Pilger – so geht’s mir halt …

Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute für die nächsten fünf Wochen, und folgende „Dinge“ würde ich Ihnen gerne mit auf den Weg geben: bestes Wanderwetter – nicht zu nass und nicht zu heiß, viel Kraft, Freude und Ausdauer, tolle Eindrücke, schöne Bekanntschaften, wunderbare Landschaften etc.

„Buen Camino“, und ich freue mich, von Ihnen zu hören bzw. zu lesen.

E. T. aus T., Niederösterreich

Lieber Herbert, alles Gute für deine lange Reise! Du schaust nicht untrainiert aus, sondern nur gut vorgesorgt für dein Abenteuer. Pass auf di’ auf und berichte uns, wenn’s geht. Finger und Mund werden bei dir eh net miad …

R. H. aus P., Südtirol

Lieber Herbert, ooohhh, ich freue mich für dich, in Gedanken gehe ich einfach mit. Schon den ganzen Winter gehe ich jeden Abend ein paar Etappen mit verschiedenen Autoren mit. Einmal Jakobsweg schnuppern, immer ­Jakobsweg. Ich freue mich auf dein nächstes Buch!

Anstatt der Sünden lade ich dir tausend gute Wünsche, vor allem gutes ­Wetter und gesunde Füße auf, denn die Sünden von uns allen könnten dich wahrscheinlich erdrücken.

H. G. aus M., Deutschland

Lieber Herbert, ein großartiges Unternehmen, das du wieder vorhast!

Viel Freude, Glück und Besinnungsmomente dabei! Ich weiß, auch ohne diese meine guten Wünsche werden sich für dich bemerkenswerte Dinge ­ereignen …

Meine Hauptsünden sind alle süßer Natur, in Form von ca. 20 Kilo. Danke, dass ich sie bei dir abladen darf und du sie mit auf deine spirituelle Reise nimmst. Komm wieder gut heim!

Alles Liebe, Gottes Segen und herzliche Grüße!

M. P. aus P., Niederösterreich

Lieber Herbert Hirschi Hirschler, du wirst mir jetzt aber schon ein wenig unheimlich mit deinen Marathonmärschen durch Europa.

Da hat unsereiner ja ein schlechtes Gewissen und einen erheblichen Erklärungsnotstand gegenüber der Gesellschaft: „Do schau den Hirschi an, was der alles macht, und du?“

Sünden hab ich, die brauchst aber nicht noch zusätzlich auf- und abladen, ich wünsche dir innerliche Einkehr, so dass du mit dem Wesentlichen gut zurechtkommst!

Auf ein paar Reiseberichte mit Fotos und ein Bier, wennst wieder da bist, freue ich mich schon. Alles Gute, und komm gesund wieder zurück!

Trilho das Areias

Lissabon – Porto

Die Welt ist ein Dorf

1. Tag – 17. April 2016: Lissabon – Cascais, 32 km

Wetter: Nach einigen Wochen Sauwetter starte ich bei strahlendem Sonnenschein.

Strecke: Vorbei an vielen Sehenswürdigkeiten zuerst am rechten Ufer des Tejo, dann auf Strandpromenaden und Gehwegen direkt am Atlantik entlang.

Sonstiges: Endlich wieder auf dem Weg, Asphalt und Kopfsteinpflaster lassen meine Fußsohlen glühen.

Quartier: Hotel „Cascais“, schönes Businesshotel, 50 Euro. Übrigens: ­Einen Link zu alternativen Unterkünften gibt es im letzten ­Kapitel des Buches „Obrigado, muchas gracias, danke schön und mehr …“.

Die Nacht war etwas kurz, weil mich der Fado gepackt hat. Aber zum Glück hat er mich nicht traurig und melancholisch gemacht, sondern das Gegenteil ist der Fall – ich spüre eine unbändige Lust am Leben. Der Caminho wartet – auch wenn man ihn in Portugal mit „h“ schreibt und es vorerst gar kein richtiger ist. Hauptsache, ich bin wieder unterwegs – immer am Meer entlang.

Der erste Stempel von meinem schmucken Startquartier ist etwas ­überdimensioniert und erstreckt sich im Pilgerpass über zwei Spalten. Ob es da verschiedene Stempel gibt, immer angepasst an die Gewichts­klasse des Pilgers? Wenn das so weitergeht, brauche ich in Porto eine ­Passerweiterung. Doch egal, der erste Stempel darf ruhig etwas hervor­stechen, er zeigt den Startpunkt eines neuen Abenteuers an.

Nach einer kurzen Verabschiedung von meinem Hausherrn, der mich gestern noch bei den Olympischen Spielen sah, heute aber aufgrund der etwas tieferen Augenringe in meinem blassen Pilgerstartgesicht seine ­Meinung bestimmt revidieren möchte, mache ich mich auf den Weg. Doch bevor’s richtig losgeht, steht der berühmte Elevador de Santa Justa auf meinem Besichtigungsplan. Dieser Personenaufzug ver­bindet die beiden Stadtteile Baixa und das etwas höher liegende Chiado, und man soll von dort oben eine grandiose Aussicht über Lissabon haben. Und was für ein Glück, der liegt sogar mitten auf dem Weg – brauch ich also gar keinen Umweg gehen, ich mag das Marschieren ja eh nicht so.

Es ist knapp vor neun – vor dem Aufzug stehen einige Personen und warten so vor sich hin. Ha, genau die richtige Gelegenheit, um mein zäh fließendes Portugiesisch auszuprobieren.

„Bom dia! Tudo bem?“

Dieses wahrscheinlich völlig akzentfreie Kauderwelsch, das „Guten Morgen! Wie geht’s?“ heißen soll, wird von einem der drei Männer in der Gruppe mit einem „Wos hot er g’sogt?“ quittiert, und er schaut dabei fragend seinen Kumpel an. Oh – die sprechen deutsch. Und nicht nur deutsch – nein, das klingt genauso wie zu Hause! Das gibt’s jetzt aber nicht?

In Sekundenschnelle lasse ich meine Tarnung als Portugiese auffliegen: „Griaß eich! Wo kommt’s denn ihr her?“

Erstaunte Gesichter schauen mich an, bis einer meint: „Aus Zöbern!“

Für alle Leser, die jetzt nicht so wirklich in den geografischen Gegebenheiten meiner näheren Heimat bewandert sind – Zöbern liegt rund 30 Kilometer Luftlinie von meinem Heimatort entfernt. Die Welt ist ein Dorf, und die ersten Menschen, die ich am Beginn meiner Pilgerschaft perfekt ungekonnt anquatsche, kommen aus Niederösterreich, nicht mal 30 Minuten von mir entfernt. Der Vizehäuptling der Zöberner Feuerwehr ist mit seiner Frau und einigen Freunden übers Wochenende nach Lissabon geflogen – um dort bei ihrem ersten Besuch einer der vielen Sehenswürdigkeiten gleich auf einen etwas stämmigeren Pilger aus der näheren Umgebung zu treffen, der versucht, ihnen auf Portugiesisch einen schönen Tag zu wünschen. Und sie können es kaum glauben, dass ich vorhabe, bis Porto und dann sogar noch weiter bis Santiago zu pilgern.

„Der spinnt …“

Der Aufzugsverwalter verlangt von mir 5,50 Euro, was gar nicht mal so wenig ist, finde ich. Sehr gescheit war ja wieder mal, dass ich 20 Minuten vorher meine U-Bahn-Karte von gestern weggeschmissen habe, denn damit wäre die Fahrt gratis gewesen. Aber was tut man nicht alles, um die armen Portugiesen zu unterstützen.

Jetzt düse ich gemeinsam mit dem Zöberner Pilger-Empfangskomitee Richtung Himmel. Dort genießen wir in 45 Metern Höhe den wunderschönen Ausblick über Lissabon und die Tejo-Bucht, an deren rechtem Ufer ich bald Richtung Meer losmarschieren werde. Fast vergesse ich die Zeit da oben, das Panorama ist einfach zu schön. Doch irgendwann muss ich dann trotzdem losstarten, außerdem habe ich Hunger, und das Café über uns schaut sehr geschlossen aus. Also kurze, aber herzliche Verabschiedung von meinen ersten Pilgerbekanntschaften, und los geht’s – auf meinem Weg nach Santiago.

„Der geht wirklich …“

Weit komme ich jedoch nicht, weil mir schon nach 100 Metern ein äußerst betörender Duft in die Nase steigt – und da kann ich einfach nicht vorbei. Eine Padaria lockt mich mit unlauteren Mitteln in den Verkaufsraum, der anscheinend gleich auch als Backstube dient. Und überraschenderweise gibt’s da Frühstück in allen Varianten – mir läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn ich in die vier Meter lange Vitrine schaue, aus der mich die tollsten Spezialitäten anlachen. Ich entscheide mich für ein portugiesisches Kipferl, das hier bestimmt anders heißt, mit Schinken und Käse, dazu frisch gepressten Orangensaft und einen Kaffee – und das Ganze um 2,60 Euro, mitten in Lissabon. Dass diese Kipferl auf der Iberischen Halbinsel meist süß sind, habe ich seit meinem letzten Jakobsweg längst schon vergessen. Aber beim ersten Bissen kommt die Erinnerung wieder, und ich finde, dass süße Croissants mit Wurst und Käse gar nicht so schlecht zusammenpassen.

So, jetzt aber wirklich – und selbst wenn jetzt so ein Jakobsweg durch die vier Meter lange Vitrine der Padaria auch seinen Reiz hätte, muss ich doch weiter. Es geht ein paar 100 Meter durch die Stadt, und dann bin ich dort, wo ich immer hinwollte – direkt am Meer. Und das verlasse ich jetzt die nächsten 25 Tage nicht mehr, zumindest nicht freiwillig. Wer es noch nicht wissen sollte – ich liebe das Wasser! Schon wenn ich die ersten Wellen auch nur höre, fängt mein Herz zu jodeln an. Und so einen richtigen Juchatza gibt es dazu, wenn wie heute die Sonne scheint – und das nach drei Wochen Weltuntergangsstimmung in dieser Region. Zumindest habe ich das von meinen Pilgerkollegen in den Facebook-Foren so mitbekommen. Da war alles dabei, von Hagel, Sturm bis zu einem Tornado in Finisterre – aber heute, am ersten Tag meines Marsches, hat sich das Wetter beruhigt. Was heißt beruhigt, es könnte schöner gar nicht sein – die Sonne brennt vom Himmel, und ich schmiere mir zur Sicherheit gleich mal die Sonnencreme in die Augen. Das brennt zwar am Anfang höllisch, aber es tut gut, wenn der Schmerz nachlässt. So haben mich meine Eltern immer getröstet, wenn ich mir vor – bist du narrisch – mehr als 40 Jahren wieder mal ­wehgetan habe. Und das kam ziemlich oft vor. Leider können sie mich damit nicht mehr beruhigen, Mama ist 2013 und Papa fast genau ein Jahr nach ihr für immer eingeschlafen. Was würden die beiden wohl sagen, wenn sie wüssten, dass ich wieder auf dem Jakobsweg bin? Aber ich bin mir sicher, sie wissen es. Und ich bin mir auch sicher, dass sie auf mich aufpassen und mich beschützen. Denn dieses Gefühl haben sie mir mein ganzes Leben lang gegeben. Es war ziemlich hart für mich, als ich beide innerhalb eines Jahres verlor. Irgendwie geht etwas von der jugendlichen Unbeschwertheit verloren, wenn man seine Eltern nicht mehr hat. Selbst wenn man schon an die 50 ist. Ich vermisse sie jeden Tag und gehe diesen Weg eigentlich auch für sie.

Während ich voll Liebe und Sehnsucht an meine Eltern denke, marschiere ich direkt am Wasser hinaus aus der Stadt, mit Tränen in den ­Augen. Es geht vorbei an kleinen Bootswerften, an Hafenanlagen und an trendigen Klubs, wo man noch heute Morgen sieht, dass gestern Nacht die Party abging, weil sich die Pappbecher und Müllberge vor den Eingangsportalen türmen. Auf einer Bar steht in großen Buchstaben „DOUBLE HH“ – das ist aber nett, dass da jemand ein Transparent mit meinen Anfangsbuchstaben aufgehängt hat. Die Portugiesen haben sich sehr gut vorbereitet auf meinen Durchmarsch. Nur – was soll das „Double“ heißen, die werden ja nicht auf mein Gewicht anspielen …

Lange schon sehe ich vor mir die berühmte Brücke, die Ponte 25 de Abril, die mit mehr als 2,2 Kilometern Länge die zweitlängste Hängebrücke der Welt mit Straßen- und Schienenverkehr ist und über den Tejo führt. Obwohl ich noch nie dort war, erinnert mich das rote Eisenungetüm an die Golden Gate Bridge in San Francisco. Vor der Brücke würden einige Cafés zum Rasten einladen, aber ich bin ja noch nicht mal eine Stunde unterwegs, da kann ich nicht schon Pause machen.

Darum gehe ich weiter – Richtung Belém, zum bekannten Seefahrerdenkmal, von dem an die 30 berühmte Persönlichkeiten auf die Hafeneinfahrt rausschauen – ganz vorne Heinrich der Seefahrer, dahinter unter anderem Vasco da Gama und viele andere, mir allerdings völlig unbekannte portugiesische Eroberer und Entdecker. Rechts, auf der anderen Straßenseite, sieht man das Mosteiro dos Jerónimos, das Hieronymuskloster, in dem einige der vorhin gerade noch auf den Tejo schauenden Seefahrer ihre letzte Ruhe gefunden haben. Weiter geht’s durch eine parkähnliche Anlage, wo direkt am Meer wieder eines der vielen Wahrzeichen Lissabons auftaucht, der Torre de Belém. Angeblich gab es auf der anderen Seite des Tejo einen Zwillingsturm, der wurde jedoch durch das große Erdbeben 1755 zur ­Gänze zerstört. Seither muss der Turm von Belém ohne seinen Bruder auf dem gegenüberliegenden Ufer die Hunderttausenden Besucher jährlich ertragen, die von seiner Aussichtsplattform in 35 Metern Höhe runter­gucken.

Torre de Belém

Langsam ist es dann vorbei mit den Sehens­wür­dig­keiten. Ich mar­schiere weiterhin direkt am Wasser zu der Hafeneinfahrt, zwischen mir und der Hauptstraße befinden sich die doppelten Gleise der Linha de Cascais, der Bahnverbindung nach Cascais, wo heute Abend mein erstes Etappenziel sein wird. Die Häuser an der Haupt­straße haben jetzt etwas an Glanz ­verloren, einige sind ­graffitiverschmiert, bei anderen hat der normale Verfall die Außengestaltung übernommen. Da hängen Fensterläden windschief in ihren ­Angeln, der Verputz blättert ab, und das Wort „Fuck“ dürfte auch im Portugie­sischen irgendwie eine Bedeutung haben.

Trotzdem genieße ich jeden Meter, ich hoffe nur, dass ich nicht von ­einem der Hunderten Jogger niedergemäht werde, die jetzt überall um mich herum keuchen. Ich schaffe es gerade noch, einem Bewegungssüchtigen auszuweichen, der anscheinend mehr mit seiner Pulsuhr beschäftigt ist als mit der Orientierung. Es dürfte Marathon-Time sein, in Lissabon. Überall – links, rechts, vor und hinter mir – wieseln Läufer aller Alters- und Gewichtsklassen über den roten Radweg, auf dem ich mich Richtung Westen kämpfe. Ich wackle anscheinend mitten auf der Trainingsstrecke durch die Gegend, auf der sich die Läufer aufwärmen oder eventuell nach dem absolvierten Wettkampf wieder auslaufen. Die Hauptstraße auf der anderen Seite der Schienen ist gesperrt, dort quälen sich gerade die letzten Wettbewerbsteilnehmer ins Ziel. Elegant ist irgendwie anders, aber ich werde wahrscheinlich auf so manchen langen Etappen in den nächsten Wochen auch nicht gerade eine anmutige Erscheinung abgeben.

Irgendwann unterquere ich die Schienen und wandere auf einem Fußweg neben der Hauptstraße dahin. Weit vor mir sehe ich die Halbinsel von Cascais, und wenn ich zurückschaue, merke ich, dass die Ponte 25 de Abril immer mehr zur Liliputbrücke wird. Nach drei Stunden erreiche ich den Strand von Oeiras, und weil da zufällig einige Bars einfach so herumstehen, meldet sich mein Hungerzentrum: „He, Pilger, gib Futter!“ Na gut, wenn’s denn sein muss – bestelle ich halt einen Thunfischsalat, mehr haben wir uns noch nicht verdient, mein Zentrum und ich. Da ich zuvor noch kurz mal für junge Pilgertiger muss, lasse ich mir von der Kellnerin zeigen, wo das WC ist. Irgendwie bringe ich die Tür aber nicht auf, die hat wahrscheinlich jemand fest verschlossen. Zurück zur Theke – und her mit der netten Dame. Hoffentlich hat sie einen Schlüssel? Braucht sie aber nicht, denn mit einer Hand öffnet sie das Schloss, indem sie den Knauf einfach kraftvoll nach rechts dreht. He, das habe ich vorhin auch probiert, da hat’s nicht geklappt. Da ist sicher ein Trick dabei, um die Touristen zu verstören. Egal, sie zieht ab, und ich kann endlich machen, was ich muss. Sehr erleichtert schließe ich die Tür hinter mir. Aber jetzt will ich es doch wissen und probiere noch einmal, dieses komische Häusltürl allein aufzubringen. Aber was ich auch mache, ich schaffe es nicht. Bin ich schon so ausgemergelt von den ersten drei Stunden auf dem Jakobsweg, der nicht mal ein Jakobsweg ist? Das gibt’s doch nicht – ich muss dringend was essen.

Der an und für sich sympathischen Kellnerin zeige ich natürlich mit keiner Regung, wie es in mir ausschaut, ich denke mir nur, dass sie unter Umständen gar nicht so nett ist, weil sie mir ein sehr überlegen dreinschauendes und sogar leicht arrogant wirkendes Lächeln über den Tresen schickt. Vielleicht haben die hier Kameras aufgebaut bei der Klotür, und alles wird live am gesamten Strandabschnitt und vielleicht auch im Internet übertragen. Und jetzt weiß die halbe Welt, dass ich es nicht schaffe, eine Klotür aufzubringen. Das fängt ja schon gut an.

Nach einer Vitaminbombe namens Thunfischsalat schaut die Welt wieder anders aus. Ich verabschiede mich mit einem perfekten „Obrigado“, werfe noch ein „Bom dia!“ nach und schleiche mich, von der Kellnerin unbemerkt, über einen Umweg an die Klotür ran. Und dann – gestärkt vom Thunfischsalat und zwei Eistee Mango … Nix, ich bring die verdammte Tür nicht auf. Kurz schaue ich noch, ob irgendwo Kameras versteckt sind, und dann mache ich mich so schnell wie’s geht vom Acker. Was ist nur los mit mir? Aber – ich bin ja nicht da, um Häusltüren aufzumachen, sondern zum Pilgern, also vergesse ich diese persönliche Niederlage am besten gleich wieder und gehe einfach weiter. Aber irgendwie kommt es mir vor, als ob die vielen Möwen über mir lauthals lachen würden …

Die Strecke ist wunderschön, die Sonne freut sich mit mir, und alles ist in Ordnung. Bis auf die Sache mit dieser Tür vielleicht, aber die ist auch schon lang vergessen, als ich nach einem Leuchtturm direkt am Fort São Julião da Barra vorbeigehe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man diese Befestigungsanlage aus dem 16. Jahrhundert jemals einnehmen konnte, so massiv und trotzig, wie sie da am Ufer des Meeres steht.

Danach wird der weiße Sandstrand breiter, ich bin anscheinend mitten im Surfzentrum angelangt. Viele Burschen und Mädls in Neoprenanzügen versuchen, sich auf den Wellen zu halten, aus den Bars klingt laute, trendige Musik, und im warmen Sand stecken Surfbretter in allen Größen. Voll cool da …

São Julião da Barra

Knapp vor Estoril, das man von den früheren Formel-1-Grand-Prixs kennt, geht es über schöne Holzstege und schmale Felsenwege direkt am Meer entlang, bis sich dann wieder der Sandstrand in voller Breite zeigt. Hunderte Jugendliche liegen im Sand und genießen die Sonne. Ich treibe den Altersdurchschnitt ganz schön in die Höhe, während ich mich mit meinem Rucksack durchzwänge. Und weil’s gerade gar so schön ist und alles passt, genehmige ich mir in einer Strandbar auch gleich mein erstes Pilgerbier. Der Kellner bringt mir dazu nicht bestellte Erdnüsse – und die Welt ist in Ordnung. Das muss ich natürlich sofort festhalten, daher quatsche ich einfach zum Nachbartisch rüber, und schon wird ein Foto von mir und Bier und Nüssen gemacht – das ich natürlich sofort meiner Moni whatsappe. Erster Tag fast erledigt – so kann’s bleiben! Das Pilgern macht Spaß!!!

Ich bin aber noch nicht am Ziel, doch nach Cascais sind es nur mehr wenige Kilometer, die schaffe ich unfallfrei über die wunderschöne Strandpromenade, und marschiere durch enge, autofreie Gassen ins Zentrum. Wenn ich auf das Straßenpflaster schaue, fühle ich mich, als hätte ich drei Flaschen Portwein gesoffen – alles verschwimmt vor mir, und irgendwie macht es mich völlig kribbelig und unrund. Seekrankheit ist gar nix dagegen. Die haben die Pflastersteine so angeordnet, dass sie sich scheinbar wellenförmig ausbreiten, und man hat das Gefühl, als ob man sich auf einer Berg- und Talbahn befinden würde. Ob das sicherheitstechnisch das Gelbe ist vom Ei? Ich kann mir das nicht vorstellen, aber bitte.

Ich habe gestern auf booking.com mal nachgeschaut, was so die Hostels und Hotels hier kosten. Herbergen gibt es ja keine auf dieser Strecke, die Pilger eigentlich nur vom Hörensagen kennt. Was es gibt, sind Schlafsäle für Surfer und andere Wassersportler, aber da ich nicht vorhabe, schwimmend nach Santiago zu kommen, werde ich mir übernachtungstechnisch etwas anderes genehmigen. Diese Pilgerreise wird dadurch zwar bestimmt etwas teurer als mein Norte, aber was soll’s … Ich hoffe, dass ich danach trotzdem noch meine Familie ernähren kann und mein Hund auch weiterhin gescheites Futter kriegt. Und außerdem – man gönnt sich ja sonst nix. Und so habe ich das Businesshotel „Cascais“ gefunden, das mit 50 Euro gerade noch erträglich ist für knappe Pilgerkassen. Mein Business heißt Pilgerschaft, und für 30 Tage heißt es „Business as usual“, daher passt diese Unterkunft ganz genau zu mir.

Beim Empfang frage ich gleich, ob die Zimmer eine Minibar haben, denn ich bin schon etwas mehr als unterhopft und brauche in den nächsten Minuten ganz dringend ein Ankunftsbierchen. Der Junge hinter dem Tresen merkt sofort, dass mein drohender Zusammenbruch nur mehr eine Frage der Zeit ist, und bringt mir ein Bier aus dem Kühlschrank des Büros, aus dem er zuvor gekommen ist. Minibar gebe es leider keine, aber das Bier sei gratis, meint er auf Englisch. Ich sag nur noch kurz „Obrigado“, und schon führt er mich in den ersten Stock, wo ein schönes Zimmer auf mich wartet. Ich komme nicht mal dazu, das Bier in meiner Hand anzurühren, aber dazu habe ich später noch genügend Zeit. Zuerst muss ich meine erste Herberge inspizieren – das Klo und die Dusche hätten beide ungefähr auf einer Briefmarke Platz. Viel zu klein für einen Pilgergoliath wie mich, aber ich darf mich nicht beschweren, das Zimmer ist schön und das Doppelbett riesengroß. Daher beschließe ich, nur kurz zu duschen und dafür gleich mal länger in der Horizontalen auf dem Bett zu verbringen.

Die erste Etappe liegt hinter mir. Ich habe keine Schmerzen. Okay, fast ­keine – die Fußsohlen brennen ganz schön, und hin und wieder gab es heute einen stechenden Schmerz im rechten Knie, der mich jedes Mal zusammenzucken ließ. Aber wenn ich danach den Fuß einfach ausschüttelte, dann war der Schmerz genauso schnell verschwunden, wie er gekommen war. Mit dem kann ich leben. Vor allem, wenn ich daran denke, was schmerztechnisch bei meinem ersten Jakobsweg 2010 los war. Da war schon am ersten Tag die rechte Hüfte mehr als beleidigt, die Knie haben beide gemeint, ob ich nicht etwas verrückt sei, weil ich ihnen diese Qualen antue, und die Muskelkrämpfe in den Waden und Oberschenkeln waren auch nicht ohne. Davon ist heute nichts zu spüren, obwohl man mir vor zwei Jahren eine künstliche Hüfte angedroht hat. Auch das Knochenmarks­ödem ist längst vergessen – und wenn ich meinen rechten Fuß richtig am Boden aufsetze, dann spüre ich überhaupt nichts mehr. Ich habe halt doch richtig gut trainiert diesmal …