HIMMELSKRIEGER - Daniel Leon - E-Book

HIMMELSKRIEGER E-Book

Daniel Leon

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Beschreibung

Dieser hochbrisante Politthriller spielt in zwei Realitäten, und zeigt, wie sehr ein Krieg in einer verborgenen Dimension die Geschehnisse auf unserer Erde beeinflußt: "Befreie meine Braut", schrie er mit heiserer, sich überschlagender Stimme. "Befreie meine Auserwählte", brüllte er wie ein Tier, während verzweifelte Tränen seine hohlen Wangen hinunterliefen. (...) Vor seinen Füssen brach der Mensch zusammen, und mit einem peitschenden Geräusch fiel sein Körper leblos in den glühenden Sand der Wüste ... Draußen, in einer anderen Welt. Jerusalem 1967: Am Vorabend des Sechstagekriegs entdeckt ein Wissenschaftler ein System von uralten Gängen unter dem Tempelberg in Israel, dem heiligsten Ort der Erde. Erste Untersuchungen weisen bis in die Zeit einer riesigen Flutkatastrophe. Aus welcher Epoche stammen sie, und zu welchem Zweck wurden sie gegraben? Deutschland 2007: Vierzig Jahre später nimmt sich Esther, die Tochter jenes Wissenschaftlers - seit dem rätselhaften Suizid ihres Vaters schwer traumatisiert - aus Schmerz das Leben; während der Journalist Dennis Meyer, ihr einstiger Verlobter, von einer islamistischen Terrorzelle namens ArmDesJihad quer durch Europa gejagt wird. Als er fliehen kann, drohen sie der Bundesrepublik mit dem Einsatz einer nuklearen Bombe. Warum ist dieser Mann so wichtig, dass sie bereit sind, unzählige Menschen für ihn zu opfern? Doch dann geschieht das Unfassbare – Esther überlebt den Tod! Und nur langsam ahnen sie, dass diese Ereignisse nur Kulisse sind für einen anderen Krieg. Einem Krieg, der unser aller Schicksal bestimmt ... Denn der Schleier der Welt ist am Zerreißen. Um ein Geheimnis zu offenbaren, größer als die Wirklichkeit ...

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Seitenzahl: 628

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Ein kosmisches Ringen unvorstellbaren Ausmaßes tobt hinter den Kulissen der sichtbaren Welt. Es sind Engel, die gegen Dämonen kämpfen, und dieser Kampf ist es, der letztlich die Geschicke der Welt lenkt. Das Schlachtfeld sind Gedanken, der Preis unbezahlbar: Die Seele des Menschen.

Doch die Geschehnisse um einen Professor, seine Tochter und ihren Verlobten, um Israel und den Tempelberg, sind nicht minder real.

Ein Politthriller, der in zwei Realitäten spielt:

Atemlos, Brisant und – WIRKLICH!

Daniel Leon wurde 1973 in München geboren, und ist Pädagoge. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich seit seiner Jugend für Geschichte, Politik, Israel und den Nahostkonflikt zu interessieren.

Daniel Leon

Himmels +++

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbiografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Himmelskrieger – Die größere Wirklichkeit

Daniel Leon

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

© 2012 Daniel Leon

ISBN 978-3-8442-2679-9

Und der Diener des Propheten stand früh auf,

und trat hinaus. Da lag ein mächtiges

Kriegsheer um die Stadt, mit Rossen und

vielen Streitwagen. Sein Diener schrie:

Oh, mein Herr! Was sollen wir tun?

Er erwiderte: Was fürchtest du dich?

Sind nicht die, die mit uns sind

mehr, als die, die bei jenen sind?

Und er schrie zum Himmel:

Eljon, öffne seine Augen, dass er sieht!

Da wurden ihm die Augen geöffnet,

und er sah: Da war der Berg voll

feuriger Rosse und Wagen um sie her.

Das vergessene Buch

– Viertes Buch der Königreiche –

In dieser Gestalt ging er hin,

Prolog

Das Universum, vor 2.000 Jahren

Als der Fürst Gottes in das flammende Meer blickte, das den Planeten umgab, ihn bekleidete wie ein blutgetränktes Gewand, packte ihn blankes Entsetzen. Aber nach kurzem inneren Kampf schloss er die Augen, umfasste Ruach, sein Schwert fester, und durchschritt die feurige Atmosphäre. Rauch benebelte seine Sinne, Feuer verbrannte sein Herz, und Vergessen hüllte ihn ein.

Doch in seinem Geist erblickte er die Gipfel der Erde, deren ewiges Eis wie Diamanten im Morgenlicht funkelt; auch schaute er die leuchtend grünen Täler, deren schweigende Wälder den Schmerz der Menschen umarmen …

»Nun werde ich leben!«, flüsterte er mit letzter Kraft.

Während er benommen seine Augen öffnete, erblickte er eine schier endlose Fläche riesiger Sandberge. Spitze Felszacken erhoben sich drohend am flimmernden Horizont, und ihn schwindelte vor Entsetzten:

Gefängnis der gefallenen Geister, so wurde dieser Ort schon seit Urzeiten genannt. Er blinzelte, und schüttelte seinen Kopf, um sich Mut zu machen, und vielleicht, um sich zu vergewissern, wie sich Leben anfühlt. Der Turm aus porösem Fels, auf dem er sich befand, war jedenfalls hoch genug, um nach ihm Ausschau zu halten, der da kommen sollte.

Nur mit größtem Widerwillen sah er sich um.

Eine glühende Sonne brütete über über der Oberfläche aus rissigem Granit; heißer, träger Wind bedeckte ihn mit einer feinen Staubschicht. Diese Wüste war öde und leer.

Ihn schauderte. Leerer noch als die wirren Visionen, die ihn in letzter Zeit geplagt hatten. Aber nicht die Abwesenheit des Lebens war das Grauenhafte, sondern die Anwesenheit des Todes. Denn der süßliche Gestank verwesenden Fleisches kroch aus der Ebene herauf und machte jeden Atemzug zu einer quälenden Überwindung. Er spürte, wie ihn etwas Geisterhaftes belauerte, er fühlte sich gefangen wie eine Fliege in einem kunstvoll gesponnenen Netz. Nur, er sah die Spinne nicht.

Und doch war ein Teil seines Wesens fasziniert:

Das also ist das Zauberwerk des Widersachers, dachte er dumpf, bis ihn rasende Wut ergriff:

Warum nur dieser verfluchte Planet? Sollte er elend zu Grunde gehen, wie alle vor ihm, die hierher gekommen waren?

Urplötzlich zerriss ein Schrei die Stille, so dass er heftig zusammenzuckte. Ein Krächzen, dicht über seinem Kopf. Ein dunkler Schatten glitt aus dem Nichts über ihn hinweg, nur um mit heiserem Gelächter am weiten Horizont zu verschwinden. Ein Gefallener, ein Nephil.

Als wäre er aus einem düsteren Traum erwacht, wusste Dor wieder, warum er hier war, und wer ihn gesandt hatte. Triumphierend blickte er sich um, und der Hass über seinen Feind verlieh ihm neue Kraft. Sein Wille bäumte sich auf, und er brüllte in rasendem Zorn und ohnmächtigem Schmerz.

Tausendfach hallte dieser Schrei von den fernen Bergen zurück, ein gewaltiges Echo, und die einzig mögliche Antwort auf eine tödliche Herausforderung.

Wie sehr sehnte er sich nach seiner Heimat!Seligkeit durchströmte ihn, als er sich daran erinnerte, und er trank vom Jubel des Geistes wie von einer sprudelnden Quelle, und die mächtigen Worte erklangen tosend in den lichten Hallen seiner Seele:

Dor, Geliebter!

Du bist gesandt an den Ort des Vergessens.

Durchbrich das Tor des Todes, und Leben ist dein Lohn!

Alleine sende ich dich, vereint kehrst du wieder.

Warte dort auf den Sterblichen, den ich erwählt habe!

Warte! Verzage nicht, sei kühn, sei stark, bis aufstrahlt der

Morgenstern, leuchtend in den Tiefen der Nacht!

Aber dann überlegte er: Ich soll auf den Sohn des abtrünnigen Geschlechts warten? Jeder in den himmlischen Welten weiß doch, wie schwach diese Geschöpfe sind! Wie sollte ausgerechnet ein Sterblicher in dieser Hölle überleben können, wenn schon ich, ein Mächtiger in Raum und Zeit, bedrängt werde?

Eljon ist zu erhaben. Zu naiv. Ich werde ihn aufklären müssen: Da sendet er seinen höchsten Feldherrn, um eines der geringsten Geschöpfe zu retten!

Sie hatten es sich dochselbst gewählt.

Niemand war grundlos hier, jeder der Geächteten verdiente den Tod!

Doch ungeachtet dieser kalten Gedanken verharrte Dor, Fürst derweißen Adler, für Stunden in der trägen Glut, und blickte unverwandt in die Leere, bis der weite Horizont zu einem Meer aus Tränen verschwamm.

Langsam wurden die Schatten der steinernen Türme länger, um bald darauf bizarre Muster auf den rotglühenden Wüstenboden zu werfen.

Mit Entsetzten nahm er wahr, wie Betäubung ihn beschlich. Todesangst packte ihn, und er fühlte sich so unendlich müde. Einem weiteren Kampf war er nicht gewachsen.

Endlich!

Nur ein kleiner Fleck jenseits der schmalen Linie des Horizontes. Dort, wo Himmel und Erde im Dunst verschwammen. Aber es genügte.

Der Schatten war weit entfernt, vielleicht fünfzig Meilen, doch es war ein Sterblicher. Minuten wurden zu Stunden, denn er humpelte, und kam nur langsam voran.

Es war eine zerlumpte Gestalt, ausgezehrt und dürr, ein Gebannter. Abergläubische Furcht befiel Dor.

Einer derer, die sich des ewigen Todes schuldig gemacht hatten.

Doch was für eine elende, was für eine geschundene Gestalt! Langsam wankte sie vorwärts. Zögernd setzte er einen Fuß vor den anderen, um nicht in den Bergen aus Sand zu versinken, was seinen sicheren Tod bedeutet hätte. Wie ein Schilfrohr im Sturm, der mörderischen Wut seiner Peiniger schutzlos ausgeliefert.

Hautfetzen hingen von seinem Gesicht. Lippen, die nicht mehr als solche bezeichnet werden konnten. Blutige Linien im Gesicht.

Mitleid regte sich in ihm.

Er sah auf die Schwärme von Geiern, von Nephilim, die hoch über der einsamen Gestalt kreisten, und wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie niederstießen, um das tote Fleisch zu zerreißen.

Trotzdem – er musste einen Ausruf des Erstaunens unterdrücken - eine geheimnisvolle Kraft schien von dem Adamssohn auszugehen, denn sie wagten sich nicht näher heran.

Das war ungewöhnlich, denn die Verbannten stellten die Hauptnahrung dieser Kreaturen dar.

Ohne das er es verhindern konnte, drängten sich Bilder in sein Bewusstsein. Erinnerungen an eine zurückliegende Epoche.

Dor hasste die Nephilim aus tiefstem Herzen. Dass sie und er einst den gleichen Ursprung besaßen, vermochte er nicht zu begreifen. Einst waren sie mächtige Engel, gewaltige Wesen, nur untertan dem Herrn der Mächte, und sie waren seine Brüder.

Dann kam die große Finsternis; der lange und schreckliche Bruderkrieg, der die Zeiten überdauerte, und an dessen Ende die Welten für immer verändert waren.

Davor – Seligkeit.

Doch nur flüchtige Ahnungen davon durchbrachen manchmal die

Zeit, wie die Sonne, wenn sie den Nebel zerreißt.

Das waren seine schönsten Erinnerungen.

Nach 3.000 Jahren hatte die Armee des Lichts den Sieg errungen, und der Feind wurde hinabgeworfen in das Herz der Dunkelheit.

Aber es war ein bitter erkämpfter Sieg gewesen, und seit dieser Zeit, dem Beginn der adamitischen Epoche, kämpften Dor und seine Streitmächte um die Sicherung des Reiches. Denn obwohl der Feind empfindlich getroffen war, vernichtet war er nicht. Immer wieder hatte er sich erhoben, und jedes Mal war er zurückgeschlagen worden. Dochin letzter Zeit waren die Angriffe anders geworden.

Exakter, und – tödlicher.

Und so wurde in den Winkeln des Reiches von einer tödlichen Bedrohung geflüstert, die sich erhob – und von einem Ereignis, das die Fundamente von Allem für immer verändern sollte.

Um was es sich dabei handeln sollte, wusste er nicht. Doch die Leute redeten viel, wenn die Zeiten finsterer wurden. Ja, je dunkler die Nacht, desto verworrener das Gerede. Es war weise, nicht auf alles zu hören, sagte er sich immer, wenn ihn diese Gedanken beschlichen. Aber nicht zuletzt dieser Angelegenheit wegen, die nur Unruhe in die Herzen vieler säte, war er hier.

Der Adamit war jetzt nahe genug für seine Augen, und er sah das Blut, das hinter ihm auf den Sand sickerte.

Fasziniert starrte er darauf. Langsam, als wehre es sich dagegen, den Mann zu verlassen. Träge in dieser Hitze, aber stetig. So rann es auf den glühenden Sand, aus unzähligen Wunden; und zerklumpte, als es sich mit ihm verband, und teilte sich auf in viele kleine Rinnsale, so dass es aussah, als flösse ein winziger Strom durch die Wüste, der mit der roten Sonne zu konkurrieren schien. Ein blutroter Bach, der lebendig war, und der doch ahnen ließ, dass ein Mensch nicht lange überleben konnte in dieser feindlichen Welt.

Lange und nachdenklich blickte der Adler auf die klebrige Spur, und Barmherzigkeit erfüllte ihn. Denn dieses Blut schien direkt in sein Herz zu tropfen, und mit einem plötzlichen Schrei ohnmächtiger Wut schoss er in die Höhe, und tötete Dutzende Geier mit seinen Klauen, und Hunderte mit den gewaltigen Schlägen seiner Schwingen.

Doch es mussten wohl Tausende und Abertausende sein, wie Schwärme von Heuschrecken hatten sie bald einen großen Teil des Himmels verfinstert, und er wusste, dass es aussichtslos war. So glitt er in weitem Bogen zurück, und betrachtete den Menschensohn noch eingehender als zuvor: Kräftig musste er einst gewesen sein, und etwa 1,80 Meter groß. Eher noch größer, denn er ging sehr gekrümmt. Das schwarze, lockige Haar war blutverkrustet.

Er trug nur Lumpen am Leib. Auch die Füße waren in dieses grobe Tuch gewickelt, doch hier und dort fehlten Stücke, wie mit roher Gewalt herausgerissen; und da, wo man bloßes Fleisch erwartete, sah er getrocknetes Blut. In der rechten Hand hielt der Mann den einfachen Stab eines Hirten. Blut rann über ihn auf den Boden; seine Hände mussten ebenfalls blutig sein.

Auf diesen Stab stützte er sich bei jedem Schritt, und diese Krücke war das Einzige, was ihn an einem raschen Tod hinderte.

Warum bin ich hier, fragte sich er sich erneut.

Warum hatte Eljon ihn auf diesen sterbenden Planeten gesandt, um einem halbtoten Menschen beim Sterben zusehen zu müssen?

Wäre es nicht sinnvoller, zu kämpfen, die Pläne des Feindes zu vereiteln, die Finsternis zurück zu drängen? Sie hatten nicht mehr viel Zeit!

Doch sofort tadelte er sich für diese Gedanken. Stolz war überall gefährlich, hier konnte er tödlich sein.

Und überhaupt – ob er seine Titel wirklich verdiente, wusste er nicht genau, denn meist war sein Leben nicht durch eigene Kraft gerettet worden.

Entscheidend war, dass er die große Schlacht überlebt hatte, und auf wessen Seite, und dies war mehr als genug.

Weil er so viel Totes gesehen hatte, wusste er auch, wie stark das Lebende war. Dies hatte er erwählt – unfassbare Schmerzen hatte er dafür auf sich genommen; mit der ganzen Kraft seines Wesens hatte er darum gerungen, um die ›Krone des Lebens‹.

Und angesichts der tiefen Einsamkeit, die ihn jetzt umgab, erneuerte er noch einmal den Bund mit Eljon.

Wenn er sterben würde, gut, dann würde er sterben. Für das Reich, für die Auserwählten.

Diese Hingabe öffnete seinen Blick für das Eigentliche in diesem Mann. Auch wenn dessen Hülle verfiel. Das wirkliche Leben, das Leben dahinter, versuchte er, zu beschützen. Und in diesem einzigartigen Augenblick erkannte er alles deutlicher als je zuvor. Er war nicht nur hier, um die Pläne des Feindes zu erkunden, er war nicht hier, um das Reich zu sichern – er war ein Bote des Lebens selbst!

Heller Jubel erfüllte ihn, als er das begriff.

Doch warum nur erinnerte er sich daran, wer er war, wenn er diesen Mann betrachtete?

Dieser ungewöhnliche Gedanke beschäftigte ihn, als der Mensch plötzlich stehen blieb, und seinen Kopf hob, was ihn sichtliche Kraft kostete. Er hatte ihn bemerkt, denn er blickte in seine Richtung.

Als hätte ihn ein Blitz getroffen, taumelte Dor zurück.

Feuer verzehrte seine Seele, ein rasendes, alles verbrennendes Feuer. Der Funke sprang über, auf seinen Geist, bis er die Flamme nicht mehr ertrug.

Um einer Ohnmacht zu entgehen, wandte er seine Augen ab.

Denn etwas unsagbar Großes verbarg sich in diesem Blick, der ihm mit stiller Autorität gebot, ihn erneut anzublicken. Und mit welcher seltsamen Mischung aus Freude und Schmerz der Mann ihn jetzt ansah! Es war Dor, als blicke er hinter den Vorhang seiner Seele, ja, als hätte er ihn schon immer gekannt. Das war nicht schlimm; vielmehr löste es eine unerklärliche und freudige Erregung in ihm aus.

Was aber das Seltsamste war – da war keinerlei Überraschung in diesen Augen, es schien fast, als hätte der Mann ihn – erwartet! Furcht ergriff ihn bei diesem Gedanken – doch konnte er seinen Blick nicht lösen. Er zwang sich zu mehr Nüchternheit, er benötigte einen klaren Verstand, und so versuchte er verzweifelt, dieses Gesicht einzuordnen.

Die Augen des Menschen ruhten still und klar in einem männlichen Antlitz, dass ihm nun markant und kühn erschien. Dor studierte es, er las darin wie in einem Buch, und erblickte eine Weisheit, die lange Zeitalter zurückreichte. Sogar vor alle Zeit, meinte er. Doch das war natürlich unmöglich.

Diese Weisheit war eingemeißelt, sichtbar, und doch verborgen in jedem einzelnen dieser Züge, und selbst Schmerz und Mangel hatten daran nichts ändern können. Vielleicht, überlegte er in dem kläglichen Versuch, dies Geheimnis zu begreifen, vielleicht hatte der Schmerz genau das Gegenteil bewirkt.

Dann musste er wider Willen lächeln:

Da versuchte er, einen halbtoten Menschen zu retten, in der entsetzlichsten aller Welten – und dann erfrischte ein Blick aus dessen Augen ihn mehr als ein klarer Gebirgssee nach einer heißen Schlacht; dieser Gedanke hatte etwas Erheiterndes inmitten aller Trostlosigkeit.

Dann dachte er nichts mehr.

Denn Liebe bannte sein Herz.

Und Augen, die vor Freude strahlten, weil sie ihn nach langer Trennung erblickten. Das wusste er.

Ein Blick voller Schönheit und Anmut hieß ihn willkommen, vergleichbar nur mit wildem Schäumen der Brandung an felsiger Küste. Freude und Stärke, aber auch eigenartige Trauer verschmolzen in diesen Augen, und das erinnerte ihn an etwas, was er nicht fassen konnte, so sehr er sich auch bemühte.

Dann war da noch etwas. Beinahe hätte er es nicht beachtet, denn es wirkte so fehl am Platz: Hoffnung und Zuversicht leuchteten ihm aus diesem Gesicht entgegen.

Das endlich zerbrach alles in ihm, und mit einem Mal hatte er das lächerliche Bedürfnis, sich einem Menschen vor die Füße zu werfen, und zu weinen.

Aber nun fing der Mann an zu laufen, ja, zu rennen. Ein verzweifeltes Rennen war es, ein irrwitziger Lauf.

Mit letzter Anstrengung öffnete er den Mund:

»Befreie meine Braut«, schrie er mit heiserer, sich überschlagender Stimme. »Befreie meine Auserwählte«, brüllte er wie ein Tier, während verzweifelte Tränen seine hohlen Wangen hinunterliefen.

Er stand still. Er spürte nicht, wie etwas Nasses seine weiße, gefiederte Brust hinunterlief.

Nur ein Schmerz brannte in ihm.

Der Schmerz des Menschensohnes.

Voller Verlegenheit senkte er den Blick vor ihm, er sah ihn laufen wie in Zeitlupe, unfähig, sich zu bewegen.

Jetzt erstürmte er den steinigen Pfad. Es waren nur noch hundert Meter. Fünfzig. Er sah seine Beine. Dors Kopf dröhnte, alles drehte sich. Bald würde er ihn erreichen, und dann …

Die Beine des Mannes knickten einfach weg.

Im Delirium nahm Dor es wahr, und für einen qualvollen Augenblick meinte er, zu ersticken: Vor seinen Füssen brach der Mensch zusammen, und mit einem peitschenden Geräusch fiel sein Körper leblos in den glühenden Sand der Wüste.

TEIL I

Der Gottesfürst

Der du machst Winde zu deinen Boten,

und Feuerflammen zu deinen Dienern.

Das vergessene Buch

1

Schwach und dünn, doch getragen von einer eigenartigen Sehnsucht stieg der Gesang der kleinen Gemeinde zum Himmel empor. Doch nur in einzelnen Stimmen lag mehr als die Hoffnung auf einen harmonischen Tag nach dem wöchentlichen Kirchgang.

Es war angenehm kühl in der steinernen Kirche, angenehm kühl an einem heißen Mittag auf einem idyllischen Fleckchen Erde, und weit weg von Stress und Hektik, dachte Esther, während sie krampfhaft versuchte, das Zittern ihrer Finger unter Kontrolle zu bringen.

Sie erinnerte sich daran, was Dr. Schramm, ihr Psychiater, letzte Woche gesagt hatte:

»Ich kenne da eine kleine Kirchengemeinde in der Nähe, außerhalb der Stadt, sehr idyllisch gelegen, gehen sie da mal hin. Das beruhigt die Nerven. Ich bin zwar bekennender Atheist, und glaube an solchen Hokuspokus nicht, aber für gebeutelte Seelen, die Erlösung brauchen, ist dies ein durchaus passabler Ort. Eine fundamentalistische Gemeinde, die glauben noch an den Teufel, aber um die innere Ruhe wiederzufinden, genau das Richtige«, lachte er amüsiert.

Diesen Rat hatte sie beherzigt.

Und er hatte recht behalten. Es war wirklich ruhig hier, und immerhin hatte noch niemand eine dumme Bemerkung über ihre abgekauten Fingernägel gemacht.

Esther war gerade erst neunundzwanzig geworden, doch sie fühlte sich uralt. Denn ihr Leben war beendet worden, ehe es richtig begonnen hatte. Und während die Gemeinde weitersang, wanderten ihre Gedanken weit zurück in die Vergangenheit, zu einem einsamen Haus in einer mondklaren Nacht.

»Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen, deine Tochter braucht dich. Und ich schließlich auch!«, schleuderte ihr Vater mit brüchiger Stimme der Mutter entgegen. Sie hatte schon geschlafen, als ihre Eltern anfingen, sich zu streiten. Schon wieder, dachte sie voller Angst, nachdem sie durch den lauten Wortwechsel aufgeschreckt war. Und da sie jetzt sowieso nicht mehr einschlafen konnte, war sie hinunter geschlichen, saß zusammen gekauert auf der kalten Holztreppe, und hörte, wie über ihre Kindheit verhandelt wurde.

»Josef, ich liebe dich nicht mehr«, sagte Mutter gerade.

»Versteh das bitte. Und das mit Mike, das hat sich halt ergeben. Wo die Liebe hinfällt, du müsstest das eigentlich wissen!«, fuhr sie anklagend fort, doch es klang so, als wolle sie ihr Gewissen beruhigen, fand Esther, die ihren Vater innig liebte.

Mutter liebte sie natürlich auch, aber die war immer so streng, wollte immer, dass sie alles perfekt machte. Bei Papa konnte sie so sein, wie sie war, dachte sie gerade, als er Mami eine schallende Ohrfeige gab.

»Josef, du besoffenes Schwein, anders kannst du dir wohl nicht mehr helfen«, schrie sie ihm wütend und voller Verachtung entgegen.

»Mike schlägt mich nie! Er hat es nicht nötig, er ist ein Mann! Und morgen«, fügte sie triumphierend hinzu, »verlasse ich dich endgültig!«

Kurz darauf hörte sie die schwere Haustür ins Schloss fallen.

Gespenstische Ruhe erfüllte das Haus.

Laut schluchzend brach ihr Vater zusammen, und ließ sich hart auf die selbst gebaute Holzbank in der Küche fallen. Und in der grenzenlosen Einsamkeit des großen Hauses weinte er hemmungslos.

Still und ohne Tränen weinte seine Tochter mit ihm.

In dieser Nacht träumte sie schlecht. Ihr war, als lege sich etwas Dunkles, Schweres auf ihre Brust, und sie konnte kaum atmen.

Nach Luft ringend wachte sie auf, schweißüberströmt. Panische Angst ergriff sie, und sie wimmerte leise, als sie sich schutzsuchend, und so tief es ging, unter ihrer Bettdecke vergrub. Aber da konnte sie noch weniger atmen, und so zog sie die Decke wieder vom Gesicht. Der volle Mond schien hell und silbern durch die Gardinen, bizarre Schatten werfend, und sie sah, dass die große Uhr über ihrer Zimmertüre auf die drei zuging.

Es war so ruhig.

Endlich raffte sie all ihren kindlichen Mut zusammen, stieg aus dem Bett, und tapste so schnell sie konnte, aus ihrem Zimmer, die steilen Holzstufen einen Stock höher zum Schlafzimmer der Eltern. Kalt war das Holz, und es knarrte und stöhnte unter ihren nackten Füßen. Als könne es die Last der Bewohner nicht länger ertragen. Atemlos klopfte sie an der großen weißen Tür.

Kein Laut. Leise wisperte sie.

»Papa, Papa! Mama, Papa! Ich hab` solche Angst!«

Als sich nichts rührte, drückte sie die Klinke herunter.

Dunkelheit und Stille empfing sie. Grabesstille.

Wie auf einem Friedhof, fuhr es ihr durch den Kopf.

Ein nicht fassbares Grauen schüttelte sie, während sie in panischer Hast nach dem Lichtschalter tastete. Mit ihren zitternden Händen fand sie nur den Schalter für die kleine Stehlampe, die links vom Türrahmen stand, und so erhellte spärliches Licht den Raum.

Das Doppelbett in der linken Ecke war leer!

Müde, und mit angstgeweiteten Augen irrte ihr Blick durch das große Zimmer. Schließlich, in der Mitte des Raumes, blieb er an etwas Dunklem, Langen hängen.

Sie nahm nur ein Zucken wahr, ein heiseres Röcheln.

Dann blickte sie in leblose Augen, und in ihnen erkannte sie den Abgrund der Hölle. Ihre Beine versagten den Dienst, während sie mit einem würgenden Geräusch zu Boden stürzte.

Gnädig erlöste sie die Nacht.

So hatte ihre Mutter sie gefunden, als sie um zehn Uhr morgens das Haus betrat, um die restlichen Sachen zu packen. Zusammengesunken auf den Holzdielen des gemeinsamen Schlafzimmers, der Vater am Kronleuchter über ihr hängend.

Ruhig und gefasst hatte sie reagiert, und nach dem Alarmieren der Polizei und des Rettungsdienstes ihre Tochter in ein Krankenhaus gefahren.

»Ein posttraumatisches Belastungssyndrom«, hatte der Arzt gemeint. »Wir geben in der Akutphase Beruhigungsmittel, danach muss sie noch einige Zeit zur Beobachtung bei uns bleiben. Wir werden sie informieren, sobald es ihr besser geht.«

Das Bestattungsinstitut hatte ihren Vater gegen zwölf Uhr abgeholt, erzählte Mutter später. Trotz ihrer Fassungslosigkeit war sie wütend gewesen, dass ihr Mann es nicht einmal geschafft hatte, die Tür abzusperren.

»Wenn er schon so etwas Verantwortungsloses macht, muss er wenigstens wissen, wie verstörend es auf ein elfjähriges Mädchen wirken muss, ihren eigenen Vater so zu sehen«, hatte sie später einmal zu ihrer Tochter gesagt, und Esther hatte ihr ohne Zweifel recht geben müssen.

Esther erwachte aus ihrem dumpfen Brüten, als eine Frau sich zu ihr umdrehte, sie anlächelte, um sich dann wieder dem Gesang zu widmen. Unsicher ließ sie ihren Blick durch die kleine Kirche schweifen. An der hinteren Wand über dem Altar, der eigentlich nur aus einem Holzkreuz bestand, stand in großen Lettern geschrieben:

Denn ein anderes Fundament kann niemand legen, außer dem, das gelegt ist, welches ist Jesus Christus.

An beiden Seiten der Decke entdeckte sie breite Risse im Gemäuer. Wie passend, dachte sie voller Zynismus, für diesen lächerlichen Glauben und für mein glorreiches Leben.

Als sie etwa neun war hatte sie einmal mit ihrem Vater über den Glauben gesprochen. Zugegeben, er war schon damals ein latenter Alkoholiker, seit die Anschuldigungen ihrer Mutter angefangen hatten, aber, warum bitte schön, entschuldigte sie ihn eigentlich?

»Ein Schöpfer«, hatte er damals wie aus weiter Ferne gesagt, »ein Schöpfer existiert nicht. Ich habe in meinem Leben zwar Dinge erlebt, die andere Menschen wahrscheinlich als Wunder bezeichnen würden, und ich selbst habe eine Zeit lang an einen Gott geglaubt; aber die Bosheit und der Schmerz dieser Welt haben mich überzeugt, dass wir alleine sind. Gott ist nicht mehr als eine alberne Selbsttäuschung geplagter Menschen. Eine Übertragung ihrer absurden Wünsche nach Bedeutung und Glück. Ich jedenfalls habe ihn gesucht, und nicht gefunden.«

Ob er damals wahrgenommen hatte, wie hoffnungslos und verzweifelt seine Stimme klang, dachte sie?

***

Den riesigen Adler, der unsichtbar die hintere Kirchenwand ausfüllte, und der sie völlig hingerissen betrachtete, bemerkte sie nicht.

Denn als Dor in dieses hoffnungslose Gesicht blickte, meinte er ein Brausen zu hören, eine Stimme aus dem Echo der Zeit:

Befreie das Mädchen, befreie die Auserwählte …

Sein Kopf drehte sich. Seine Gedanken überschlugen sich, und sein Geist befand sich in höchster Erregung. Hatte er dieses Mädchen nicht schon irgendwo einmal gesehen? Irgendwann?

Verzweifelt versuchte er, sich zu erinnern:

2

Mit schmerzenden Augen blickte er auf den toten Körper, der zu seinen Füssen lag. Bleierne Müdigkeit ließ ihn taumeln. Wild drehte sich sein Kopf, fiebernde Kälte blockierte seinen Verstand, und er brach zusammen.

Stille legte sich über das sterbende Land.

Wie ein Leichentuch, so sanft, als sollten die Gräuel, die hier begangen wurden, für immer vergessen sein. Er hieß sie willkommen, und zärtlich begrub ihn das Schweigen, und für eine köstliche Ewigkeit träumte er davon, tief zu schlafen, um nie mehr zu erwachen.

Doch dann vernahm er ein heiseres Flüstern, und ein böser Geist stand kichernd über ihm:

Ja, er hatte richtig gehört.

»Hier werde ich elend zu Grunde gehen«, wiederholte er dumpf.

Abergläubische, rätselhafte Furcht überwältigte ihn, und trieb sein Herz mit schrecklicher Gewalt dem tobenden Meer der Finsternis entgegen.

Adonaj! – Adamssohn!

Wie ein Donnerschlag zerriss ein Schrei mit seiner brutalen Kraft die tote Stille.

War das nicht die Stimme Eljons?

War es nicht ein Schrei des Zorns? Ein Brüllen der Verzweiflung, ein Stöhnen der Trauer? Furcht krallte sich in sein wundes Herz, denn jetzt wusste er: SEIN gerechter Zorn war entflammt, einer brennenden Fackel gleich, wer würde ihm entrinnen? Lange hatte er es gefürchtet, dass dieser Tag kommen würde, der Tag des Gerichts, der Tag der Rache für seine bösen Gedanken, für seine lästernden Reden.

Und so klang es für ihn wie der tosende Lärm der Schlacht, wie der Kriegsschrei des grimmigen Kämpfers, den er fürchtete, und der erbarmungslos auszog, alles zu vernichten, was unheilig, wertlos war.

Eine Fanfare zum Angriff war es, als hätte der Kosmosseit ewigen Zeiten auf diesen einen Augenblick gewartet.

Die Schöpfung hielt den Atem an –

Und wurde zusammengerollt wie eine alte Schriftrolle.Schneller und schneller. Unter dieser Spannung zerriss die Zeit.

Zerfressen wie ein unbrauchbarer Vorhang, voller Motten und Staub. Denn dieses Zeitalter war nun zu Ende – und so verging die Welt, die er sah, in einem Erdbeben:

Krachend und voller Wut stürzten sich die Felsspitzen in tiefe Schluchten. Wie Donnergrollen wurde das Inferno von den steinernen Türmen der Berge aufgenommen, nur um mächtiger zurückzurollen.

Mit dem Bersten der Felsen, deren versprengte Blöcke bis zu dem leblosen Körper im Sand rollten, verhüllte schlagartige Finsternis die Sonne.

Es schien, als wäre sie ausgelöscht, einer leuchtenden Fackel gleich, im Meer des Zorns ertränkt; dichte, dunkle Wolkenmassen drängten sich drohend an ihre Stelle, und gewaltige Blitze zuckten darin, die die Berge spalteten wie riesige, goldglänzende Äxte.

Krachender Donner zerriss den Erdboden, und ganze Felsformationen versanken in gigantischen Schluchten.

Eiskalter Wind erhob sich nun, und jagte die fernen Felshänge herunter, nein, ein Orkan, der grausame Stimmen in sich trug. Gellende, hohe Schreie, voller Todesangst und Qual. So laut, und so panisch, dass es schien, die Berge zersplitterten allein dieser Schreie wegen. Immer höher und greller wurden sie, so betäubend, so wahnsinnig, dass selbst Dor, der sie schon einmal vernommen hatte, schutzsuchend den Kopf unter seinen weiten Schwingen verbarg.

Noch in dieser Haltung sah er einen riesigen Feuerball, der am fernen Horizont wie ein Komet in ein Meer jenseits der Grenzen stürzte.

Dann war alles still, so plötzlich wie es angefangen hatte.

Zitternd hob er den Kopf.

Die Landschaft hatte sich verändert. Nur das klare Licht der Sterne erhellte silbergleissend die kalte Wüste. In bizarrer Schönheit floss das Licht von sieben Monden über die weißen Felsen.

Doch das war in weiter Ferne.

Aber dahinter, jenseits des Meeres, sah er ein lebendiges Feuer.

Direkt vor ihm jedoch zerwühlte schwarzer, peitschender Regen eine Welt im Todeskampf, und verwandelte diesen Ort der Hölle in eine endlose Ebene aus tiefem Morast.

Mit ausdruckslosen Augen betrachtete er den Regen, bis er endlich begriff, dass dies kein Wasser war, und der Morast kein Morast.

Es waren Nephilim, die in dichten Trauben tot zur Erde fielen.

Bald war die Gegend um den Felsenturm meterhoch mit schwarzen, zuckenden Kadavern bedeckt, und unglaublicher Gestank stieg aus dem Tal empor. Der Gestank der Hölle.

Komischerweise war der Felsvorsprung, auf dem er kauerte, von dieser Zerstörung völlig unversehrt geblieben.

Ihn fröstelte trotz seines dichten Gefieders, und in stummer Qual und stiller Ergebung wartete er auf den Tod. Denn er spürte, wie der Geist des Lebens aus ihm floss.

Aber in den letzten Sekunden vernahm er ein leises Flüstern, fast nicht wahrnehmbar, das ihm versicherte, dass dies unmöglich wäre. Wilde Hoffnung regte sich in ihm, und mit aller Willenskraft setzte er sich auf und lauschte, doch er hörte nur den Orkan heulen. Es war wohl nur eine weitere Täuschung seiner zerstörten Seele gewesen. Aber kaum hatte er dies gedacht, stürzte sich Betäubung erneut auf ihn, wie sich die Geier auf Aas stürzen mögen.

Doch mit einer letzten verzweifelten Anstrengung seines Geistes schüttelte er sie ab, und erhob sich zu seiner vollen Größe, und entschied mit aller Kraft, die in ihm war, der Hoffnung zu glauben. Mit größter Konzentration blickte er in die Finsternis vor ihm, und unverhofft durchdrangen seine Augen sie so mühelos, als wäre sie nicht. Sein fiebernder Blick durchforschte die Gebirgskulisse, die diese Gegend begrenzt hatte, aber erfasste nur eine endlose Trümmerlandschaft.

Dichte Wolken drängten sich drohend vor die kalten Sterne.

Die Finsternis wurde so dicht, dass er nichts mehr sehen konnte, und seine Konzentration ließ nach.

Panik ergriff ihn.

Urplötzlich ließ lautes Dröhnen die Luft vibrieren.

Tief unten in der Erde bewegte sich etwas.

Er kannte das Geräusch, und er wusste, er hatte nur wenig Zeit. Schon entstanden erste Risse im Boden, die in rasender Geschwindigkeit zu Spalten wurden, dann zu Abgründen.

Er sah flammende Berge, die sich aus dem Nichts vor ihm erhoben, glühende, gewaltige Felsen von sich schleudernd.

Trauer und Verzweiflung marterten sein Herz, als er erkennen musste, dass die Heere des Todes gesiegt hatten.

Er hatte geahnt, dass es so kommen würde, und immer gefürchtet, und nun hatte die Furcht ihn gefunden.

Heiser und voller Bitterkeit lachte er auf.

Doch nur ein trockenes Krächzen war hörbar, in der toten Luft.

Furcht verhöhnte seine Seele, und mit einem Mal fühlte er sich unendlich allein. Ein kleiner, hilfloser Adler, der sich verflogen hatte, der in eine Falle gelockt wurde, und den der Geist des Lebens verlassen hatte!Ein langer Schrei voller Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht drang aus seinem gebundenen Herzen, während seine Augen wie abgetrennt von seinem Innersten durch die Dunkelheit stolperten, um endlich zu erblicken, was sie die ganze Zeit ersehnt hatten.

Denn dort, zu seinen Füßen, lag der leblose Körper des Mannes, der in seinem getrocknetem Blut auf dem leergefegten, kalten Felsen lag. Er starrte in das tote Gesicht.

Dann, aus den Augenwinkeln sah er etwas, was er noch niemals zuvor gesehen hatte: Um den Körper herum wurde ein Kreis in den Fels gemeißelt. Massiver Fels wurde vor seinen Augen von unsichtbarer Hand zerschnitten! In die ringförmige Spalte, die entstand – es war ihm, als reiche sie hinab bis zum feurigen Kern des Planeten, – floss flüssiges, reines Gold, bis der übrige Fels und das Gold auf einer Höhe waren, und sich der Kreis schloss.

Der so entstandene Ring hatte eine Stärke von dreißig Zentimeter gediegenen Goldes, sein Durchmesser betrug etwa zehn Meter.

Überwältigt sank er zu Boden, und sein Geist erbebte vor Ehrfurcht, obwohl sein Verstand nichts von dem begriff, was er gesehen hatte. Heiligkeit wehte über ihn hinweg, und Herrlichkeit hüllte ihn ein. Er spürte, wie sein Herz fest wurde, während er von einem unerklärlichem Frieden trank.

Fast widerwillig hob er den Kopf. Während sich die Welt in ein Inferno aus Feuer und glühendem Stein verwandelte, blickte er staunend zu dem entstellten Körper, der sicher im Zentrum des Kreises lag. Alles, was sich im Inneren befindet, ist heilig, dachte er in seltsamer Scheu. Er wartete auf das Kommende.

Denn alles verging nun.

Und so war dies das Seltsamste, was Dor jemals in seinem außerordentlichen Leben gesehen hatte: Ein toter Mann, innerhalb eines Kreises aus glänzendem Gold, der alle Dunkelheit vertrieb.

Fest und unerschütterlich ragte der Fels, auf dem sie sich befanden, aus dem Flammenmeer empor.

Als er noch immer gebannt zu dem Kreis starrte, durchdrang Weisheit sein Herz. Ein einziger Gedanke stieg aus der Tiefe in sein Herz, voll atemberaubender Klarheit, voll kristallener Schärfe:

Dies ist das Ende des Alten – und der Beginn alles Neuen.

Dann durchströmte dieser eine Gedanke seinen Geist mit unsäglicher Freude, so wie er es erst einmal erlebt hatte – im Morgengrauen des ersten Tages.

»Jetzt erinnere ich mich«, schrie er voller Begeisterung.

»Für den ewig Liebenden!«, flüsterte er, trunken vor Glück, während er sich aufsetzte und hörte. Die Antwort war klar und ohne jeden Schleier, und er wusste, was er zu tun hatte.

Behutsam betrat er den inneren Kreis. Eine gewaltige Kraft wehte ihn an. Er kniete sich über den toten Körper, der da entstellt und zerbrochen am Boden lag. Er ergriff die ausgezehrte Gestalt, und bettete sie sanft im dichten Gefieder seiner Brust.

3

Immer schneller flog er in die ewige Nacht. Und während er kraftvoll der Kälte des Raums trotzte, veränderte sich sein Aussehen. Licht ging von ihm aus, strahlende Helligkeit. Die Dunkelheit konnte ihm nichts mehr anhaben, sie floh vor ihm, wie die Nebelschleier, vor der Sonne fliehen.

Seine Augen leuchteten wie feurige Fackeln, und sein Leib wurde ein Komet, der mit glühendem Schweif das All durchschneidet.

Plötzlich zerriss das schwarze Kleid des Universums mit der Strahlkraft von tausend Sonnen. Leuchtend hell wurde die ewige Nacht um ihn. Die Luft bebte, und die Druckwelle ließ ihn erzittern.

Er wandte sich um, und sah den dunklen Planeten in einer gigantischen Explosion vergehen. Sein Herz triumphierte, doch im selben Augenblick war die Leere um ihn von wisperndem, bösem Kreischen erfüllt. Er wusste, was es bedeutete.

Das waren die Dämonen, die einst unter der Oberfläche dieses Planeten gehaust hatten, von ihm in einem letzten Akt der Bosheit ausgespien. Durch die zerstörte Atmosphäre drang das Dröhnen der Explosion erst nach einiger Zeit zu ihm.

Aber noch lange klang das Kreischen der Brut hinter ihm her, die hasserfüllt den Verlust ihrer gewohnten Behausung beklagte.

Dann ließ er auch das hinter sich, und es wurde still.

Schneller und schneller wurde er, ein weißer Blitz, und es gab nichts, was ihn aufhalten konnte. So flog er zwei Tage und zwei Nächte durch die Leere der Räume und die Dauer der Zeiten. Er bereitete sich vor, auf den schicksalhaften Kampf, dem er nicht entrinnen konnte, und den er fürchtete. Er fühlte keine Müdigkeit, keine Erschöpfung, denn eine geheimnisvolle Kraft umwehte ihn, der Gestalt an seiner Brust entströmend. Er verstand es nicht, doch etwas tieferes als sein Verstand sagte ihm, das dieser Auftrag bedeutender sei als alles, was er je zuvor vollbracht hatte.

Jedes mal, wenn er sich der Gestalt, die wie ein Kind an seiner Brust ruhte, zu wandte, schwieg jeder Zweifel, und über dem Frieden der ihn durchdrang, verstummten alle Fragen. Kraft erfüllte ihn dann, wie einen Verdurstenden, der lebendiges Quellwasser trinkt. Und er wurde stärker und stärker.

So näherte er sich dem Tor der Welten.

Dann lag es vor ihm.

Unsichtbar und mächtig trennte eine gigantische Tür den Raum. Ein Wall, der Licht und Finsternis voneinander schied. Dieses Tor, errichtet vor Urzeiten, geschmiedet aus Wort und Geist war dauerhafter als jedes Bauwerk aus Stahl oder Stein.

So undurchdringlich war diese Barriere, dass sogar Eljon selbst sie erst einmal durchschritten hatte.

»Bel, Fürst der Dunkelheit, zeige dich«, rief er in die Stille hinein.

Stumm lag das stoffliche Universum vor ihm.

»Komm heraus, Verräter, oder hast du es nicht gehört? Vor zwei Tagen ist deinem Reich ein tödlicher Schlag versetzt worden. Hast du es denn nicht vernommen?«

Höhnisches Lachen füllte den Raum, Abgründe von Bosheit lagen darin, und Dor fing an, entsetzlich zu frieren. Minuten vergingen, Stunden. Tage.

Demütigend war es, und unerträglich.

»Deine Zeit ist gezählt, du weißt es!«, brüllte er schließlich in bebender Wut, »lass mich hindurch, denn ich habe einen Auftrag!«

Nach langem und toten Schweigen ertönte die Antwort, die Dor schon kannte. Ein Flüstern erhob sich in den Tiefen, sich langsam und berechnend steigernd zu einem brüllenden, alles vernichtenden Orkan, schmerzend in seiner Abscheulichkeit:

»Die Antwort, auf die du so geduldig gewartet hast, lautet NEIN. Denn niemals mehr wirst du dieses Reich verlassen. Dröhnendes Gelächter aus tausend Stimmen erfüllte die giftige Luft um ihn.

»Allerdings muss ich mich fragen: Woher nimmst du nur den Mut, mir, dem Herren der Zeit, etwas befehlen zu wollen? Hat sich das kleine Adlerjunge verflogen, und findet den Weg nicht mehr? Denn du weißt so gut wie ich, dass du es nicht schaffen kannst! Ich bin mächtiger als du, und du hast keine Autorität über mich. Denn als Fürst vor allen anderen wurde ich erschaffen, und es dauert nicht mehr lange, da erschaffe ich mich selbst, und bin unerschaffen, und werde herrschen über ALLES!«

Dor wusste es, und sein Herz zerbrach.

Höhnisches Lachen, kalt und unbarmherzig, grell und dröhnend zerrüttete seine Seele. Es gellte laut in seinen Ohren und verwirrte sein Denken. Hatte dieser schreckliche Fürst nicht recht? Bel war tatsächlich mächtiger als er. Was machte er an solch einer Stätte, mit einem schwachen, toten Menschen an seiner Brust?

Doch in einem letzten Akt der Hingabe, und in Erinnerung an das Zeichen, dass er gesehen hatte, befahl Dor mit zitternder Stimme, seine Furcht bezwingend:

»Du weißt, unter wessen Befehl ich stehe, und in SEINEM Namen fordere ich: Halte mich nicht länger auf, und lass mich das Tor passieren!«

Langsam verhallte diese unerhörte Herausforderung.

Doch dann – während einzelne Schatten aus dem Dunkel stürzten, zückte Dor voller Zorn sein Schwert, und in flammendem Blau leuchtete die Klinge sichtbar und majestätisch in der Finsternis. Und während er sie betrachtete, erfüllten Kraft und Klarheit seinen Geist.

So schrecklich aber war sein Anblick, dass selbst der Fürst der Lüfte zurückkroch in seine Schwärze. Denn Mut hatte den Adler erfüllt, als er seines Auftrages gedachte, und eine lodernde Hoffnung angesichts der Dunkelheit.

Und er war gehorsam bis in den Tod, bereit, sein Leben zu geben.

»Dor, du schwächlicher Knecht eines kraftlosen Königs«, höhnte Bel, doch Dor bemerkte das Zittern in seiner Stimme, »wann erkennst du endlich, dass es dein größter Fehler war, mir nicht zu folgen. Ein Fehler, den du auf ewig bereuen wirst?!«

»Wann erkennst du, Scheusal, dass Eljon dich richten wird! Wann erkennst du, dass deine Anmaßung niemals in Vergessenheit geraten kann?«

Und der Geist der Wahrheit erfüllte ihn, er erhob seine Stimme in Kraft, und verkündete das Urteil:

»Bel, du Sohn der Finsternis, ins Totenreich wirst du hinabstürzen in deiner Pracht, und das Rauschen deiner Harfen wird verklingen!Maden werden dein Lager sein, und Würmer deine Decke. Du, der du einst sprachst in deinem Herzen: In den Himmel will ich steigen, meinen Thron erheben über die Sterne des Heiligen, und mich setzen auf den Berg der Versammlung in der äußersten Mitternacht. Dich, ja dich hörte ich deutlich, als du prahltest vor den Thronen: Ersteigen will ich die Höhen der Wolken, mich gleichstellen dem Allerhöchsten.

In den Abgrund bist du gestoßen, in die tiefste Gruft!

Wer dich dann noch erkennt, der wird auf dich schauen, der wird dich genau betrachten:

Ist das der Mann, der die Erde erzittern ließ, der Königreiche erschütterte? Soll das der sein, der den Erdkreis zur Wüste machte, und seine Städte zerstörte, der seine Gefangenen nicht nach Hause entließ? Und sie werden jubelnd auf dich schauen, und sagen: Wie bist du vom Himmel gefallen, Glanzstern, Sohn der Morgenröte! Wie bist du zu Boden geschmettert, Völkerbezwinger!«

Voller Zorn, und gereinigt im Schmerz, schleuderte ihm Dor diese Worte entgegen:

»Denn du, Feind der Menschheit, Verächter der Wahrheit, wirst keine Väter mehr in den Tod treiben. Du, Verräter, wirst für deinen Verrat bezahlen. Aus dir wird das Blut fließen, dass in langen, wahnsinnigen Schlachten vergossen wurde. Du wirst die Strafe tragen für Mord und Tod. Für Lüge und Dummheit, für Zauberei und Verführung.

Und endlich wirst du erkennen, was dein schwarzes Herz schon immer wusste, um sich doch dagegen aufzulehnen:

Du wirst nicht entkommen!!!

Weder in Raum noch in Zeit.

Denn siehe, was ich hier durch dein Reich trage!«

Und beinahe zärtlich wandte er sich der Gestalt zu, die noch immer an seiner Brust ruhte.

Da ertönte ein Schrei voll tödlicher Angst und blinder Wut. Ein geronnener Albtraum aus den Tiefen des Abgrundes. Raum und Zeit prallten aufeinander, und Schockwellen von geballter Energie pulsierten durch den Kosmos.

»Dafür«, kreischte es grell von allen Seiten, »dafür werde ich die Nation zerstören, immer und immer wieder … die Nation, deren Schoß dieses Kind entstieg … ich werde sie entehren, und sie sei verflucht vor allen Völkern wegen des Knaben an deiner Brust … verflucht sei sie, von nun an, bis ihr Blut die Erde von ihrer Befleckung erlöst … «

Aber leiser und leiser wurde die Stimme, bis sie ganz verstummte. Denn Bel hatte sich in sein dunkles Herz zurückgezogen, unüberwindbar und mächtig, und er ballte Regionen der Schwärze um sich, die so dicht waren, dass auch das Licht der fernsten Sterne aufgesogen wurde.

Doch nur ein Gedanke erfüllte Dor:

Nicht vor ihm war Bel geflohen, sondern vor dem Sohn eines schwachen Menschen, der friedlich an seiner Brust schlummerte, und über dessen Haupt nun sieben Sterne leuchteten! Überwältigt von der Gnade, die ihm, dem einsamen Krieger, zuteil wurde, blickte er lange in dieses außergewöhnliche Gesicht.

Dann wandte er entschlossen seinen Kopf, und begann seine Reise durch die große Leere. Er war nun bedeutend schneller als Licht, und mit einem Jubelschrei durchbrach er die Pforten des Todes am Rand des sichtbaren Universums.

Sofort stiegen Bilder von Leid und Schmerz in ihm auf. Es war auf der Erde gewesen, bevor er sich auf den toten Planeten gestürzt hatte.

Er war Zeuge einer Hinrichtung geworden:

Schmerzend spürte er die rasende Bosheit der Menge.

»Er soll bluten, er soll bluten«, kreischten sie immer und immer wieder. Er vernahm die kräftigen Hammerschläge, die wie wuchtiger Donner seinen Geist erzittern ließen, und die mit roher Gewalt einen rostigen Nagel durch einen nackten Fuß trieben.

Hysterisch und in wilder Ekstase wogte der Mob vor ihm auf und nieder. Speichel traf den Verurteilten von allen Seiten, von Aussätzigen wie von Gesunden. Blut rann in seine Augen, es strömte von seinem Kopf, aus einer Vielzahl von Wunden.

Es muss brennen wie Feuer, dachte Dor, während er geifernde Dämonen sah, die rasend um den Mann herum tanzten. Sie verspotteten ihn, und jubelten, in wilder Erwartung seines nahenden Todes, in zügelloser Vorfreude ihres Triumphs.

»Du Verräter deines Volkes, du Verbündeter Satans«, brüllte ein Mann mit hasserfülltem Gesicht, »ich verfluche dich, ja ich verfluche dich!« – »Dein Tod wird ein Freudenfest für das heilige Volk, ein blutiges Festopfer«, kreischte eine hässliche Frau, das Gewand über und über mit teuflischen Fratzen bedeckt.

Das Werk war vollendet, und der letzte Schlag, der die Hand des Mannes an den Holzbalken nagelte, verhallte lange in der schaurigen Stille.

Unter Ächzen und lautem Fluchen der Soldaten wurde das Symbol der Folter aufgerichtet. Keine gnädige Ohnmacht erlöste den am Kreuz hängenden, und doch tat er seinen seinen Mund nicht auf. Furchtsam blickte er auf das Blut, das seinen Körper verließ.

Aber seine wirkliche Qual, das wusste Dor, war der Schmerz eines Mannes, der von denen verraten wurde, die er geliebt hatte.

Die Sonne brannte erbarmungslos vom stählernen Himmel, und einige Geier kreisten hoch über der Stätte des Todes.

Aber plötzlich sah Dor mit den Augen dieses Mannes:

Er erblickte die Stiere, die den Gemarterten umringten, er sah ihre todesgierigen Gesichter, sie umkreisten den Mann, und senkten die Hörner zum Angriff. Dann erschien ihr Fürst, ein widerwärtiger Löwe mit einem riesigen Kopf auf seinem winzigen, zusammengeschrumpften Körper. Weißer, tollwütiger Schaum tropfte aus seinem geöffneten Rachen. Wie ein aberwitziger General für seine groteske Armee, so stolzierte er torkelnd – denn seine dürren Beine trugen kaum den aufgedunsenen Kopf – hin und her. Aber die Menge huldigte ihm, und warf sich vor seine Füße.

»Wie Wasser bin ich ausgeschüttet,« stöhnte der Mann, »und wie Wachs zerschmilzt mein Herz …«

»Reißt ihn in Stücke, dieses Tier«, gellte es.

»Meine Gebeine zertrennst du langsam, und meine Kraft ist vertrocknet wie die eines Insekts! Meine Zunge klebt mir am Gaumen, und in den Staub des Todes hast du mich geworfen. Warum lässt du dies zu, Eljon, warum?«, stöhnte er laut.

Die, die bei ihm standen, zischten ihm ins Ohr:

»Es gibt keinen Eljon, dafür haben wir gesorgt, er kann dir nicht mehr helfen! – Niemand mehr, denn bald fressen dich die Geier!«

»Eljon kann«, flüsterte er so leise, dass sie ihn nicht hören konnten. Dann bäumte er sich auf, und schrie mit lauter Stimme:

»Mein Vater wird mich vor dem Löwen retten!«

Und in den Sekunden vor seinem Tod streiften diese Augen jene Stadt, vor deren Toren sich heute das Schicksal der Welt erfüllen würde. Dor folgte dem Blick.

Und dort, am flimmernden Horizont, verwandelte sich die Stadt, die der Mann so geliebt hatte, in eine atemberaubende junge Frau. Sie trug das Diadem einer Königin, und voller Anmut schritt sie zu dem entstellten Körper, der da blutend und zitternd an einem Kreuz hing.

Ehrfürchtig sank sie vor seine Füße und küsste sie voller Liebe, während Tränen aus ihren dunklen, zärtlichen Augen sie benetzten.

»Vergäße ich dein, oh Jerusalajim«, flüsterte er sanft, bevor er starb. Dies waren seine letzten Worte, doch sie gingen unter im Jubel der Menge.

Und so war er, der Verachtete, vor einem Adler gefallen.

Draußen, in einer anderen Welt.

Dor war so in diese Erinnerung versunken, dass er nicht bemerkte, dass er alleine war. Da war keine Gestalt mehr an seiner Brust.

Doch die Umgebung hatte sich verändert! Licht durchflutete seine Seele. Herrliches, unbeschreibliches Licht. Er sog es ein wie eine Ertrinkender, und in einem Taumel der Freude betrachtete er das Reich.

Gigantische Bögen aus Licht erhellten in flammenden Farben die ewige Nacht. Mächtige Kathedralen aus Rubinen und Saphiren breiteten ihre Schwingen aus im schwarzen Gewölbe Dunkelheit.

Sterne funkelten wie Brillanten in schwarzem Samt, und brachen das Licht des Lebens in immer neuen, immer satteren Farbtönen.

Halb verdurstet sog er diese Herrlichkeit tief ein, bis sie sein gesamtes Sein durchdrang. Er legte seinen Kopf in den Nacken, und begann, zu lachen. Er lachte und lachte, und dazwischen weinte er.

Er lachte – bis die Weiten widerhallten von seinem Jubel.

So lag das stoffliche Universum dunkel und grenzenlos vor ihm, doch der geistliche Raum war erfüllt mit dem strahlenden Glanz der Ewigkeit.

Tausende von Lichtjahren und doch nur ein winziger Augenblick angesichts der Fülle der Zeit.

Sein Herz jubelte, denn er hatte überwunden!

Nur er und Eljon wussten, wen er bezwungen hatte.

Er schwebte, nein er tanzte mit den Sternen.

Sein Herz triumphierte, und siegestrunken schoss er durch sein Reich. Denn alles hatte Sinn und Ziel. Ausgelassen wie ein Kind, tobend wie ein Fürstensohn in seinem Gut, erhob er sich zu seiner wahren Größe, und er fing an zu singen.

Und so erfüllte zum zweiten Mal in der Geschichte der Zeit Gesang die ewigen Hallen.Die Sterne hatten erst ein Mal so etwas Wunderbares vernommen, am Tag ihrer Geburt war es gewesen.

Und als sie wiederum Musik hörten, da verbeugten sie sich ehrfürchtig, und verhüllten ihr Haupt. Dann strahlten sie umso heller vor lauter Freude, und der Raum wurde gleißend hell von ihrem Licht. Denn ein Lied war es, wie es niemals zuvor gehört wurde und wie es niemals mehr erklingen wird.

Voller Schönheit und Kraft entwickelten sich seine Themen. Leise, begann es, fast zärtlich, doch kräftiger wurde es, bis es überaus mächtig war, gebietend.

So durchdrang es alles Seiende.

Zu Beginn der Zeit wurde es gehört, wie es auch am Ende zu hören sein wird. Und Lichtjahre hörten auf, zu existieren.

Für diesen Augenblick.

Und als das Lied erklang, vernahm es alles Lebende, und niemand, der es hörte, konnte sich seiner Macht entziehen:

Durchbohrt der Schild,

zerbrochen das Schwert

Im Tode er liegt,

der Völkerbeherrscher

Lüge entlarvt, durch

Wahrheit besiegt

Dies ist der Tag des Lichts.

Fesseln gelöst, Bande gesprengt

Licht bricht hervor aus Todesnacht

Mächte entkleidet, Fürsten besiegt

Dies ist der Tag des Lichts

Dem Morden der Heere

ist Einhalt geboten,

Dem Tode die Beute

Lachend entrissen

Dies ist der Tag des Lichts

Und das ist ein Sieg

Auf ewig errungen

Und dies ist sein Siegel:

Er hat es vollbracht!

4

Die Gemeinde hatte aufgehört zu singen. Lange Zeit war alles still. Nur das Zwitschern der Vögel auf den Bäumen, die um die Kirche standen, war zu hören.

Sie singen noch weiter, dachte Esther, selbst wenn die Menschen verstummen.Während sie den Vögeln lauschte, erfüllte mit einem Mal unerklärlicher Friede ihre gepeinigte Seele. Instinktiv wollte sie das Gefühl abwehren, denn es war ihr so unbekannt, so fremd, doch nach kurzen Besinnen, dass sie das ja eigentlich gesucht hatte, ergab sie sich.

Denn war es nicht das, was sie unter einer himmlischen Atmosphäre verstand? So sanft, so friedlich?

Nie hatte sie Ähnliches empfunden. Heilend war der Friede. In Wellen kam er, und reichte tiefer als ihr Verstehen und Begreifen. Denn ihr Leben war ein Scherbenhaufen, mühsam zusammengehalten durch einen schwachen und rissigen Willen, der keine weitere Kraftprobe mehr würde ertragen können...

Doch dann hatte sie nicht mehr das Bedürfnis, zu verstehen, um die Schwere ihres Schicksals zu ermessen.

Sie ließ los, und sie empfing. Und ahnte zum ersten Mal in ihrem Leben, dass da mehr war. Viel mehr!

Etwas, dass tiefer reichte als der Zerbruch ihrer Seele, eine Macht, die ihr Herz vor dem Dunkel bewahren konnte. Warum hatte sie es nicht schon früher gesehen? Hatte sie zu sehr auf ihre Verletzungen gesehen?

Und während sie das alles erwog, wurde der Friede tief und schön. Wie ein sanfter Strom, wunderte sich die junge Frau. Dann erstarb alles in ihr. Denn etwas Hartes und Unsichtbares zerbrach, und der Schmerz kehrte zurück, mit größerer Wucht als je zuvor, so dass sie meinte, zu vergehen.

Aber auch diese Qual wurde fortgerissen von dem Strom, und mit ihr die Furcht. Dann wurde das Gefühl intensiver, und eine süße, köstliche Schwere legte sich wie ein wärmender Umhang um sie. Sie trank in tiefen Zügen, und sie war glücklich.

Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit.

Plötzlich hatte sie das dringende Bedürfnis, zu weinen.

Einige Sekunden versuchte sie, diesem lächerlichem Impuls zu widerstehen, dann gab sie auf. Zitternd stand sie auf, und setzte sich scheu in die hinterste Reihe der Kirche.

Sie, die krampfhaft Starke, sie, die erbärmlich Schwache spürte, dass sie die Kontrolle über sich verlor. Spürte, dass etwas geschah, was sie nicht mehr beiseite schieben konnte, etwas, dass seit ihrem Tod vor achtzehn Jahren nicht mehr geschehen war.

Nicht mehr geschehen durfte.

Dann, auf dem hintersten Stuhl der Kirche, den Kopf an die Wand gelehnt, brachen die Tränen, die ihrem Willen nicht mehr gehorchen mussten, aus ihr hervor.

Das Leid bahnte sich einen Weg, es kämpfte sich ins Freie, unaufhaltsam, und die Panzerung zerbrach.

Dämme, die sie lange und kunstvoll errichtet hatte, rissen.

Rüstungen, in einsamen Nächten geschmiedet, um den Schmerz zu vermauern, ihn zu verdrängen, ihn mit einem Lächeln zu überspielen, ihn in Anfällen der Wut zu zertrampeln – sie zerschellten.

Und dann erkannte sie: Nicht alle Tränen waren von Übel.

Denn in den Tränen lag auch Trost. Und Befreiung von großer Qual. So saß sie da, vielleicht dreißig Minuten, und weinte hemmungslos.

Zum Glück hatte die Gemeinde angefangen zu beten, für interne Anliegen wohl. Nach einer Zeit, die viel war, als diese dreißig Minuten, setzte sie sich auf und trocknete sich mit einem Taschentuch die Augen.

Verstohlen blickte sie sich um. Zum Glück schienen die Leute sie nicht weiter beachtet zu haben. Sie holte tief Luft, in dem kläglichen Versuch, das Erlebte einzuordnen.

Na ja, es war schon ein wichtiges Ventil, weinen zu können. Und schlecht war diese Erfindung der Natur sicherlich nicht. Also gut, sie würde das Ganze schließlich als eine tolle, emotional wichtige Erfahrung verbuchen, eine Erfahrung, die sie wohl auch ihrem Psychiater erzählen sollte.

Mehr aber nicht.

Gerade erhob sich ein älterer Herr mit kurzem, graumelierten Haar, ging zur Kanzel und stellte sich als der Prediger des heutigen Tages vor.

»Liebe Geschwister«, begann er – und alleine diese Anrede kam ihr aufgesetzt und albern vor – »ich heiße Henrik Lois, und man hat mich gebeten, heute einen kleine Rede zu halten. Ich hoffe sehr, niemandendabeiaufzuwecken.«

Dabei blickte er so verschmitzt in die Versammlung, dass Esther widerwillig schmunzeln musste.

»Ich möchte heute zu einem Thema kommen, das geheimnisvoll ist, und seit beinahe zweitausend Jahren die Phantasie der Menschen beflügelt hat. Es geht um einen Satz aus dem apostolischen Glaubensbekenntnis:

Und hinabgestiegen in das Reich des Todes.

Diese Aussage der Kirchenväter stützt sich auf Texte aus dem ersten Petrusbrief. Wir wollen heute diese zwei Textstellen etwas näher betrachten:

Zuerst 1. Petrus 3,19: In diesem (seinem Geist) ist er auch hingegangen, und hat den Geistern im Gefängnis gepredigt, die einst ungehorsam gewesen waren, als der Langmut Gottes in den Tagen Noahs abwartete; sowie 1. Petrus 4,6: Denn dazu ist auch den Toten die gute Botschaft verkündet worden...

Über die Bedeutung dieser Aussagen ist sich die Theologie und die Christenheit bis heute nicht einig …«

Dann folgte die Predigt des Herrn Lois, von der Esther nicht allzu viel mitbekam, denn sie betrachtete fasziniert sein Gesicht:

Er hatte strahlend blaue Augen, Heiterkeit und Würde lagen darin. Er lachte gerne, aber sie erkannte auch, dass ihn dunklere Tage nicht verschont hatten, denn die Furchen auf seiner Stirn, die leichten Schatten unter seinen Augen, und die markanten Züge um seinen Mund verrieten etwas davon.

Doch schmälerte das in keinster Weise die Ausstrahlung von Güte, diediesen Mann umgab.

Ja, insgesamt gesehen vervollständigten sie doch auf feine Art und Weise das Gesamtbild seiner Persönlichkeit.

So auch seine Gesichtszüge: Für sich alleine wirkten sie vielleicht kantig und streng, aber dieser Eindruck wurde abgemildert durch die Augen, welche Freundlichkeit und Herzlichkeit vermittelten.

Doch zweifelte sie keinen Augenblick daran, dass sie auch zornig funkeln konnten – voll gerechtem Zorn natürlich – und in ihrer weiblichen Intuition erkannte sie, dass Unnachgiebigkeit und Härte ebenfalls dazugehörten.

Eben sprach er zum Beispiel mit leiser, klarer Stimme, um dann den selben Satz in einem leidenschaftlichen Appell zu beenden.

Er rührte etwas in ihr, was sie nicht begreifen konnte.

Eine Väterlichkeit vielleicht, die ihr Angst machte, die aber eine eigenartige Faszination auf sie ausübte.

Dann war da noch etwas:

Er erinnerte sie – und diese Erinnerung löste in ihr Herzrasen und Schweißausbrüche aus – an ihren Vater!

Schmerzverzerrt wandte sie ihr Gesicht ab.

Ihr wurde schwindelig, ihr Magen krampfte sich zusammen, und die vertraute Übelkeit kroch aus ihrem Unterleib herauf.

Den Rücken ganz gerade, setzte sie sich auf ihren Stuhl.

Ruhig versuchte sie zu atmen, ruhig und tief.

Langsam, ein, aus, ein, aus, ein, aus …

»Denn das«, hatte Dr. Schramm gesagt, »ist wichtig, wenn so eine Attacke kommt, und sie kommt bestimmt.«

Und daran hielt sie sich. Doch alles Gefühl in ihr war erstorben, und kalt und empfindungslos saß sie auf ihrem Platz in der hintersten Reihe der Kirche.

***

Aber die Pläne Eljons sind tiefer, flüsterte Dor, und er wusste, dass es noch jemanden gab, zu dem er gesandt war.

Und diese zwei würden die Welt verändern.

5

Dennis Meyer war achtunddreißig Jahre alt, und nicht sehr erfolgreich nach den Maßstäben der Menschen, die ihn kannten. Er hatte keine besondere berufliche Karriere vorzuweisen, und war auch sonst nicht allzu ehrgeizig, was ihm eine gewisse Flexibilität verlieh, wirklich das zu tun, was ihm wichtig war.

Doch diese Haltung hatte schon in der Schule den Ärger und die Verachtung anderer erregt, die seine Unbekümmertheit nicht verstanden, und daher mit einer subtilen Art von Spott belegten, den er sehr wohl wahrnahm.

Weil es ihn verletzte, und er sein Herz verschloss, um den Schmerz zu ertragen, weinte er sich oft in den Schlaf.

Da er also in vielen Dingen ungebundener war als viele, die nach Erfolg und Anerkennung strebten, hatte er in langen, harten Jahren – in der Auseinandersetzung mit sich selbst und seinen Mitmenschen, was ihn oft an sich selbst hatte verzweifeln lassen –, gelernt, auf seine innere Stimme zu hören, und, was noch wichtiger war, zu erkennen, dass er geführt wurde.

Er war auserwählt, wobei ihm nicht klar war, warum und wofür.

Er wusste in seiner kindlichen Einfalt nur, das dies so war.

Da er dies erkannt hatte, und dieses Wissen schon immer, erst unbewusst, dann Stück für Stück klarer, in seinen Geist gelegt wurde, lernte er Dor kennen.

Und nur wenige seiner Zeit kannten ihn so, wie Dennis, da nur wenige die Schmerzen ertrugen, die er ertrug, und nur wenige kämpften wie er kämpfte.

Damals begann er, ihn zu sehen:

Als seine Not am größten war.

Denn in seinem Schmerz hatte er von den mächtigen Adlern gehört, hoch oben, über den höchsten Gipfeln, nahe der ewigen Sonne, die allein ihm in seiner Angst helfen konnten. In seiner kindlichen Phantasie hatte er alles begierig aufgesogen, was andere darüber gesagt hatten, obwohl er weder wusste, wer sie waren, noch woher sie kamen.

So hatte er ihren Fürsten kennen gelernt. Seinen verborgenen Namen kannte er nicht, noch auf welche Weise er zu ihm kam, doch spürte er stets den tiefen Frieden, der ihn begleitete, und die verborgene Kraft, die ihn ankündigte.

Dann weinte er oft in seinem Bett vor Erleichterung, wenn seine aufgewühlte Seele nach langen Kämpfen endlich Ruhe fand.

Und so berichtete er später:

Ab dem Alter von zehn Jahren besuchte ihn der dunkleHerrscherregelmäßig des Nachts in seinen Träumen. Eine laute Stimme war in seinem Kopf, die unerbittlich und kalt immer dies Eine forderte:

Bete mich an, falle nieder vor mir!

Dennis ahnte damals mehr, als dass er verstand, dass er dieser Stimme nicht nachgeben durfte, um keinen Preis, denn sonst würde er in das Reich der Schatten sinken, und seinen Auftrag und sein Schicksal verleugnen, sowie denjenigen, von dem er ahnte, er stünde hinter allem.

Wenn so der dunkle Herrscher ihn rief, und Dennis ihm mit einem hilflosen ›Nein‹entgegentrat, dachte er, wahnsinnig zu werden. Die Grenzen der Realität verschoben sich, bizarre Ängste flößten ihm Furcht ein, und blankes Entsetzen umgab ihn. Er dachte, zu ertrinken, und Grauen marterte sein wild klopfendes Herz.

Übelkeit überfiel ihn, und er zitterte wie ein dürrer, blattloser Baum in einem Orkan.

In seiner Angst lud er Schuld auf sich, weil der Schmerz so groß war, doch das verdoppelte nur sein Leid und verdreifachte seine Qual.

Doch das Erbarmen des Himmels war über ihm, und der Segen des Geistes ruhte auf ihm.

Aber das konnte er damals nicht sehen, denn sein Herz war gebunden in Verzweiflung, und gefangen in Sklaverei.

Das waren die Nächte, doch die Tage waren ebenso schlimm:

Es begann in frühester Kindheit, und vielleicht, so meint er heute, wurde damals die Gabe in ihn hineingelegt, die ihn vorbereiten sollte auf das Kommende. Das aber sein Leben zerstört werden sollte, war offensichtlich.

Denn wenn er mit seinen Eltern im Auto fuhr, sah er oft abseits gelegene Bauernhäuser. Bei diesem Anblick erfasste ihn tiefes Grauen, das mit einem eigenartigen Gefühl von Einsamkeit und Melancholie einherging.

Es war etwas durch und durch irrationales. Seine Wahrnehmung veränderte sich – bei vollem Bewusstsein und wachem Verstand – und er meinte in einer ›verwunschenen‹ Welt zu sein.

Einer Welt voller Dämonen, Hexen und Geister.

Er spürte das Nichtige und Böse, das Giftige und Hässliche, und es verwirrte seine Gefühle und beeinflusste sein Denken. Dann fragte er sich voller Bangen, ob er gerade in eine fremde Welt eintauchte, die andere nicht wahrnehmen konnten.