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Im 24. Jahrhundert hat der Mensch das Sonnensystem besiedelt, die Bevölkerung der Erde überschreitet die dreißig Milliarden-Grenze. Platz und Ressourcen werden knapp und er ist gezwungen, den großen Sprung zu wagen und in den interstellaren Raum vorzudringen. Im Rahmen der geheimen Mission ›Projekt Eden‹, erhält Commander Davidé Pascal den Auftrag, Lebensmöglichkeiten auf Proxima Centauri b, unserem nächsten Exoplaneten, zu erkunden und dort einen menschlichen Vorposten zu errichten. Durch eine seltsame Katastrophe an Bord des Raumschiffs hat es zunächst den Anschein, als habe er seine gesamte Besatzung verloren, und er sieht sich einer furchterregenden Macht gegenüber: Jenseits unseres Sonnensystems gibt es ein tödliches Plasma, erdacht von einer überlegenen Intelligenz, die droht, alles organische Leben zu vernichten. In einer ersten Konfrontation erhält Davidé Einblick in ein Geschehen, das sein naturwissenschaftliches Weltbild komplett auf den Kopf stellt. Infolge einer unerwarteten Begegnung auf Proxima entdecken die Überlebenden den Schlüssel für ein geheimnisvolles Portal auf Venus – dem Zwillingsplaneten der Erde – das den Lauf menschlicher Geschichte für immer verändern könnte: Das Tor zu den Sternen … Eine Reise durch Raum und Zeit beginnt, ihre Verstandesgrenzen sprengend: Nichts ist mehr, wie es war, und sogar die Realität selbst scheint zu verschwimmen, während sie die erstaunlichen Beziehungen zwischen Materie und Geist im Spannungsfeld von Relativitätstheorie und Quantenphysik entdecken.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Das Titelbild zeigt die künstlerische Vorstellung des Doppelsternsystems Cygnus X-1 in 7.200 Lichtjahren Entfernung. Das dargestellte kleine schwarze Loch (links) besitzt die 21-fache Sonnenmasse, der Durchmesser beträgt jedoch weniger als 50 Kilometer. Durch seine gewaltige Gravitationskraft ›saugt‹ es Masse von einem blauen Überriesen (rechts) mit der 50-fachen Sonnenmasse an.
Die wirbelnde rote Scheibe um das schwarze Loch ist die sogenannte Akkretionsscheibe aus heißem Gas und Materie mit einer Ausdehnung von etwa 20.000 Kilometer, das durch seine immense Rotationsgeschwindigkeit zu glühen beginnt. Der Strahl in der Mitte des schwarzen Loches ist ein stellarer Plasmajet, entstehend durch die Gravitationsenergie des Objekts, während es Materie akkretiert. Ein Jet besteht aus harter Gamma- und Röntgenstrahlung, und nur ein geringer Teil aus sichtbarer Strahlung. Dennoch beträgt bereits dieser Plasmajet die 1.000-fache Strahlungsenergie unserer Sonne.
Inhalt
Im 24. Jahrhundert hat der Mensch das innere Sonnensystem besiedelt. Doch Platz und Ressourcen werden knapp, und er ist gezwungen, den großen Sprung zu wagen und in den interstellaren Raum vorzudringen. Im Rahmen der geheimen Mission ›Projekt Eden‹, erhält das Flaggschiff der Expeditionsflotte der Vereinten Space Force den Auftrag, Lebensmöglichkeiten auf Proxima Centauri b, unserem nächsten Exoplaneten, zu erkunden und dort einen menschlichen Vorposten zu errichten.
Aber durch eine seltsame Katastrophe sieht es zunächst so aus, als habe Commander Davidé Pascal seine gesamte Besatzung verloren, und er entdeckt ein furchterregendes Geheimnis: Jenseits des Sonnensystems gibt es ein tödliches Plasma, erdacht von einer feindlichen Macht, die droht, alles organische Leben zu vernichten, und inmitten kriegerischer Auseinandersetzungen mit dieser Macht erhält Davidé Einblick in ein Geschehen, das sein naturwissenschaftliches Weltbild sprengt. Während er die erstaunlichen Beziehungen zwischen Materie und Geist im Spannungsfeld von Relativitätstheorie und Quantenphysik entdeckt, führt ihn ein geheimnisvolles Artefakt auf dem Planeten Venus zurück zum geheimnisvollen Beginn allen Lebens. Eine Reise durch Raum und Zeit beginnt, die Grenzen seines Verstandes sprengend, und nichts scheint mehr so, wie es war …
Die Tore der Sterne
VORWORT
Jene Leser, die meine früheren Bücher kennen, werden sich vielleicht fragen: Wozu, um Himmels willen, braucht es einen weiteren Science-Fiction-Roman? Haben wir denn nicht wahrlich genug Probleme auf diesem Planeten, mit dieser Erde? Wozu in die Zukunft, wozu in die Weite schweifen? Ist das nicht eine weitere Form von Realitätsflucht?
Meine Antwort darauf: Wenn wir die Größe des Ganzen betrachten, wird alles relativ. Dann erhielte alles seinen ihm entsprechenden Platz. Nicht mehr und nicht weniger. Dann würden wir vielleicht demütiger.
Wenn wir die Weite und Tiefe des Ganzen sähen, würden wir erkennen, dass sich ein Widerhall, ein Echo der Unendlichkeit in jedem menschlichen Herzen befindet, und wir würden staunend anerkennen müssen, dass wir trotz unserer vergleichsweisen Winzigkeit ein nicht unbedeutender Teil von etwas viel Größerem sind.
Das Universum hat mich schon als Junge fasziniert. Ich blickte oft mit offenem Mund in diese funkelnde Unendlichkeit und dachte mir, vielleicht sind meine Probleme in der Schule, mit Freunden, den Eltern, doch nicht so groß? Ich spürte Freude und Glück, die Ahnung von etwas Gewaltigem, wenn ich in einer klaren Nacht zum Himmel starrte und es waren beinahe religiöse Empfindungen. Denn dies waren ja nicht nur schöne Punkte, nicht nur ferne Lichter, dies waren wirkliche Welten, auf denen man theoretisch tatsächlich stehen könnte (natürlich meinte ich ihre unsichtbaren Planeten, denn auf Sternen konnte man nicht stehen, das wusste ich schon damals) …
Eine Frage, die sich mir dann stellte, war beispielsweise diese: Warum ist es so, dass ganz alltägliche physikalische oder chemische Vorgänge eine seltsame Analogie zu einer geistigen Wirklichkeit boten? Wenn Regen zur Erde fällt, und es wachsen aufgrund des einsetzenden Nährstoffkreislaufes Pflanzen, warum wachsen Früchte von Freundschaft und Verstehen, wenn ich in den Herzensboden einer Person investiere? Wenn ein Strahl Licht die Dunkelheit erhellt, und Konturen und Strukturen dadurch sichtbar werden, warum können wir behaupten, das das Licht des Verstandes Realitäten erhellt und wir damit ›sehen‹ können? Sehen im Sinne von Wissen?
Man könnte das beliebig erweitern. Warum gab es diese verblüffenden, wie beiläufigen Zusammenhänge zwischen materieller und immaterieller Welt? Haben wir unser Denken diesen Beobachtungen nur angepasst, und Zusammenhänge mit dem inneren Erleben als Metaphern bezeichnet, oder waren diese Zusammenhänge zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt schon vor dem menschlichen Bewusstsein existent? Ist das Materielle Grundlage der Wirklichkeit, oder ist es vielleicht umgekehrt? Was war zuerst? Hat unser Denken die Wirklichkeit geprägt oder die Wirklichkeit unser Denken?
Diese vielen Fragen stellte ich mir also – vielleicht nicht so schön ausformuliert – als Kind, während ich auf einem einsamen Parkplatz in einer klaren Winternacht zu diesen funkelnden Lichtern hinauf sah, und zu Staunen begann.
Dieses Staunen ist tiefer geworden, je älter ich wurde. Und ich weiß, dieses Staunen, diese Faszination, motivierte auch einen jungen Mann namens Albert Einstein, eine bahnbrechende neue Physik zu entwickeln, die die Welt für immer verändern würde.
Passenderweise nannte er sie ›Allgemeine‹ und ›Spezielle Relativitätstheorie‹, die Theorie der Relation, und zugleich der Absolutheit der Welt, letztere sich z.B. widerspiegelnd in der unveränderlichen Elementarkonstante der Lichtgeschwindigkeit.
Der vorliegende Roman beschäftigt sich aber auch mit einer der wohl verblüffendsten Konsequenz der Relativitätstheorie: Der theoretischen Möglichkeit von Zeitreisen durch bewegungs- und masseabhängige Zeitdilatation (Dehnung bzw. Komprimierung der Zeit), die in kleinem Maßstab bereits unzählige Male experimentell nachgewiesen und verifiziert wurde (z.B. arbeitet unsere GPS-Navigation nur deshalb so exakt, weil sie genau diesen relativistischen Effekt einberechnet).
Anders ausgedrückt: Physikalische Naturgesetze ermöglichen diese reale Zeitdehnung bei großer Geschwindigkeit oder großer Masse in viel größeren Umfang als z.B. innerhalb des GPS, man könnte sie sich nutzbar machen, und sie ist mathematisch berechenbar. Aber ob ein bedeutenderes immaterielles Gesetz, z.B. der Logik oder der Kausalität diese Möglichkeit einer Reise durch die Zeit generell ausschließt, ist noch nicht erforscht. Ernstzunehmende Naturwissenschaftler jedenfalls denken sehr viel darüber nach.
Mich persönlich würde es nicht wundern, wenn es solch eine verborgene Grenze gäbe, da ich glaube, dass Information, also Geist im weiteren Sinne, die Grundlage des materiellen Universums ist, so wie die Erbinformation Grundlage und Bauanleitung für jede einzelne Zelle und jedes Leben ist, und diese ›Intelligenz‹ es nicht zuließe. Aber, wer weiß?
Alle naturwissenschaftlichen Fakten, Zeiten und Zusammenhänge, die dieses Buch beschreibt, spiegeln, soweit dem Verfasser nach gewissenhafter Recherche bekannt, den Stand der aktuellen Forschung wider.
Doch in erster Linie ist dies natürlich ein Roman, und als dieser sollte er vor allem Eines tun: Den Leser gut unterhalten.
Ich habe mich beim Schreiben jedenfalls köstlich amüsiert.
Augsburg, im März 2022
Im unbegreiflichen Weltall offenbart sich eine grenzenlos überlegene Vernunft. Die gängige Vorstellung, ich sei Atheist, beruht auf einem großen Irrtum.
Wer sie aus meinen wissenschaftlichen Theorien herausliest, hat sie kaum begriffen.
Denn das Schönste, das wir erleben können, ist das Geheimnisvolle.
Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege wahrer Kunst und Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen kann, der ist tot und sein Auge erloschen.
Etwas passierte vor 700 Millionen Jahren auf Venus, wodurch gigantische Mengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangten, die nicht wieder im Gestein gebunden werden konnten.
Dieses Ereignis verwandelte den Planeten vollkommen.
Klima und Atmosphäre auf ihr waren noch bis vor rund 715 Millionen erdähnlich.
MICHAEL J. WAY, ASTROPHYSIKER
GODDARD INSTITUTEFOR SPACE STUDIES
PROLOG
Vor Beginn von Raum und Zeit
Das Nichts war erfüllt von leiser, doch majestätischer Melodie. Ab und zu hörte sie sich an wie fröhliches Kinderlachen, und dann raschelte es in Blättern von Bäumen, als spiele ein sanfter Wind mit ihnen.
Beides würde es später einmal geben.
Doch in Wirklichkeit vernahm niemand dieses seltsame Geräusch und niemand hörte das Lachen, denn es gab kein Leben, das wahrnehmen konnte, es existierte kein Raum, in dem sich Schall ausbreiten konnte, es gab keine Zeit, die einen Verlauf bestimmen konnte, und es gab niemanden, der irgendetwas empfangen konnte.
Und doch …
Und doch schien es, als läge eine gespannte Erwartung in der Unbelebtheit des Nichts, als vibriere es voller Kraft und kaum zu beherrschender Energie.
***
Stille breitete sich aus in dem Nichtsein.
***
Schließlich, völlig unerwartet, und keiner weiß genau wann, denn die Ewigkeit liegt jenseits menschlicher Vorstellungskraft, wurde diese Botschaft empfangen, und zwar von etwas ganz und gar Außergewöhnlichem …
***
Er, der Erstgeborene, meinte, ein Lachen zu hören.
Und er vernahm ein Wispern in der endlosen Leere, und er replizierte Worte, Informationen, in seinem Geist, während er verstand.
›Es sei Raum und Zeit‹, murmelte es.
›Es sei das All‹, flüsterte es von allen Seiten.
›Es sei die Welt!‹
Und er empfing die Worte mit offenem Herzen und jubelndem Geist, denn er verstand ihre ewige Bedeutung.
»Es sei der Kosmos«, schrie er triumphierend.
»Es sei das Universum«, rief er hinein in jegliche Unbelebtheit, in jede Erstarrung, in jede Leere hinein.
Es war ein unerhörter Befehl, ein Erlass, noch nie vernommen, noch nie gesprochen, und die Autorität, alles zu erschaffen, lag in dieser Stimme. Er sprach und er sang, und die Schallwellen seiner Worte breiteten sich aus in einem Raum, der ins Sein gerufen wurde.
Hörbare Worte vermittelten Information und eine getragene Melodie erklang. Doch die Stimme wand sich weit empor zu einem Jubeln und sie steigerte sich zu einem Brausen, das alles in Bewegung und Schwingung versetzte.
Hätte ein Sternenwanderer, ein Geschöpf der Urzeit, dies vernommen, so hätte diese Schönheit sein Herz erbeben lassen und er wäre verwandelt worden für alle Zeiten. In einem einzigen Augenblick. Und dann stimmten die Geistwesen ein in den Gesang, sie, die noch ungeformt waren und die gerufen wurden.
Und der Jubel verdichtete sich zu einem Punkt unvorstellbarer Energie und einer nie mehr erreichten Dichte an Information. Und während die Stimmen von der Freiheit und dem Leben und der Liebe sangen, empfing er das Wort der Unendlichkeit und sein Geist wurde gesättigt von Wahrheit und Liebe.
Und als er empfing, erkannte er, wer er war:
Ich bin, der das Universum befreit.
Ich bin, der es in Existenz ruft.
Dann war er still, und er lauschte hinein in die Tiefe der Zeit, die doch gerade erst begonnen hatte …
Und die ewige Macht sprach zu seinem Herzen und der Geist flüsterte in seine Seele; er solle das Neue hervorrufen, und die Begeisterung raubte ihm den Atem und er tanzte vor Freude wie ein Kind, und die Heere der Geistwesen und die Myriaden der Gewaltigen jauchzten ihm zu.
»Es werde Licht«, rief er mit starker Stimme.
»Es werde Licht.«
Und das Echo seiner Worte breitete sich aus im Vakuum, und es war ein singuläres, ein einzigartiges und nicht zu wiederholendes Ereignis. Die Menschen würden es später Anfangssingularität nennen. Ein Uratom unvorstellbarer Einheit und Dichte und Information, aus dem alles, was ist, entstand.
In diesem Bruchteil einer ersten Zeit zerspaltete ein Lichtblitz das tote Nichts, eine Explosion von Raum, Licht und Farben. Und in jenem Moment, dem Bruchteil der ersten Sekunde, entstanden die ersten Elementarteilchen, nach einigen Minuten die ersten Atome. Materie verband sich und durch die elektromagnetische Strahlung wurde alles sichtbarund er fühlte sich wie ein Dirigent vor seinem Orchester.
Damals, als die Sterne die ewige Nacht entflammten.
***
Doch was sein Herz weit mehr entzündete, war, was man nicht sehen konnte. Liebe ohne Maß erfüllte ihn und Zärtlichkeit für alles Erschaffene und er weinte lange und seine Tränen erreichten eine ferne Welt.
Tränen von Freude und Trauer zugleich. Denn er sah voraus, was in ferner Zeit geschehen würde, und er erkannte den Triumph, der sich ereignen würde, und er spürte die Einheit und Nähe, die das Universum verband wie unsichtbare Fäden, die Milliarden von Lichtjahren umspannten. Er sah sie leuchten wie rotglühende Drähte, unendlich kleine Strukturen, Quantenschleifen, durch die Energie floss und Leben. Ein unsichtbares Netz von Wahrheit und Wirklichkeit und Liebe, das diese gigantischen Räume, diese furchterregenden Welten, zusammenhielt und für immer miteinander verbinden würde. Und er schaute in der Tiefe seiner Selbst die Schönheit und die brillante Intelligenz der weißen Macht, die schon immer war, und die immer sein würde, und er spürte in sich den unbedingten Willen, das Leben, das so einzigartig war, weiterzugeben. Doch bevor der Triumph endgültig wäre, bevor das Ziel von Allem erreicht würde, würde es Krieg geben.
Es würde ihn geben müssen.
Denn wahre Liebe bedingte wahre Freiheit, sie bedurfte der Freiheit, ›nein‹ zu sagen zu allem, was ist.
Es würde ein Ringen sein über Äonen und Zeitalter: Es würde Krieg herrschen auf dem Planeten der Auserwählten, und Krieg zwischen den Sternen. Krieg im Übernatürlichen und Krieg in dem, was nun sichtbare Realität war. Und Krieg insbesondere um die Herzen und den Verstand seiner vernunftbegabten Geschöpfe.
Doch auch er war erwacht, Leviathan, der sich Windende. Er, der Verbogene im Denken und Herzen.
Er, der Vernichter.
Die Menschen würden ihm später viele Namen geben.
Äonen hindurch hatte er im dunkelsten Winkel des Universums verharrt, in todesähnlicher Erstarrung, denn seine Rebellion gegen die weiße Machtwar sein Fall gewesen.
Wie alle Wesen des Geistes hatte er Macht erhalten, sich in den zwei Formen des Seins zu bewegen. Im Geist oder in der Materie. Doch die Materie war schwach und begrenzt, und sie war anfällig für Täuschung, Betrug und Schmerz. Außerdem wurde er sichtbar und somit verletzlich. So wählte er meist den Geist für das Werk seiner Bosheit und das Spinnen seiner Intrigen. Sein Verstand war im Geist weit stärker und schärfer, er war eine heiße Flamme, die Vieles durchdringen konnte, und er konnte in dieser Form fast alle Grenzen überspringen, nicht nur die Grenzen von gewöhnlicher Materie, die er verachtete.
Deshalb hatte er Dunkelheit zu seinem Kleid gemacht, nachdem er mit seinen Geistwesen Krieg gegen seinen Ursprung geführt hatte. Ein Drittel der Sternensysteme wurde verbrannt, und seine Niederlage war voller Schmach und er wünschte, die Nacht würde ewig währen. Denn nichts hasste er so sehr wie das Licht, und doch musste er es mit seinen Sinnen wahrnehmen, um es bekämpfen zu können. Und so blickte er voller Abscheu und Hass auf das Sichtbare, das er nun schmerzend sah, und das seinen Geist und seine Augen blendete wie noch nie etwas zuvor.
Er erblickte Umrisse und Formen und Farben und es ekelte ihn. Er durchstreifte fremde Welten und Entsetzten bemächtigte sich seiner. Entsetzen, da etwas aus dem Schatten getreten war, weil er wusste, der Wille der weißen Macht hatte dessen Gedanken, dessen Worte zu Materie werden lassen, eine vergängliche und schwache Form des Seins, das dem Toten seines Herzens völlig widersprach. Doch er spürte seit seinem Erwachen auch den belebenden Hass, der durch sein schwarzes Herz rauschte wie dunkles Feuer, er spürte seine eigene Bosheit und er nährte sich von seiner Grausamkeit und war zufrieden mit sich selbst.
Das tiefe Loch in seinem Geist, den Neid auf die Auserwählten, über die er viele Gerüchte hörte, die aber noch nicht erschienen waren, der Neid auf die weiße Macht selbst, der alles Leben in ihm zerfressen hatte, diesen Abgrund in sich, hatte er tief abgespalten, so tief, dass es zu etwas Unwirklichem geworden war und Nichtigkeit und Zerstörung war die einzige Frucht die er jemals sah und jemals genießen könnte. Doch diese Wunde weckte in ihm nur ein wahnhaftes Verlangen, eine dunkle Leidenschaft, denn er würde auf immer derjenige sein, der als Einziger der weißen Macht getrotzt hatte, der sein eigener Herr war, er, der einzig Freie im jungen Universum.
Aber dann legte sich eine schwere Last und tiefe Benommenheit auf seinen Geist, und er spürte, es war die Gegenwart der Macht, die nun überall war, und die er nicht ertragen konnte. So fiel Leviathan abermals in eine tiefe Erstarrung und er wurde verbannt in einen namenlosen Abgrund.
***
Weitere Zeitalter vergingen und er öffnete seine Augen.
Wohin er blickte, sah er noch mehr Sterne und er sah noch mehr Galaxien und ihm wurde übel von der Flut an Licht, das ihn traf. Strahlung verschiedenster Art, Energie, die man sehen konnte, Energie, die man hören konnte, Energie, die Unsichtbares erhellte, Wellen, die jedes Leben töten konnten, weil ihre Kraft zu gewaltig war, Energie, die alles durchleuchten konnte. Und in seinem Hass auf das Licht vernichtete er Sterne und legte Galaxien in Asche.
Doch es gab Grenzen, die selbst er nicht überschreiten konnte, und das wusste er.
Nicht alles konnte er zerstören.
Dieses Wissen vermehrte seinen Hass, denn er, der Grenzenlose wurde begrenzt und das war eine unerhörte Demütigung für sein stolzes Wesen. Voller Zorn hob er so seine Augen und blickte in die lichtdurchflutete, glitzernde Weite vor ihm. Seine Augen brannten und tränten von dem schmerzenden Anblick, doch er hielt stand!
Seine Augen streiften ziellos umher, doch dann sah er eine Region am Rand eines silbernen Bandes, das wie verschüttete Milch aussah. Sie war sehr dunkel und seine schmerzenden Augen beruhigten und entspannten sich.
Am Rand seines Gesichtsfeldes nahm er ein leichtes Flackern wahr, einen unmerklichen Schimmer. Es wäre ihm nicht weiter aufgefallen, denn was sollte es in dieser dunklen Region geben, doch dann sah er, dass diesen Punkt eine blaue und hauchdünne Hülle aus Gas umkleidete. Er erblickte noch einen Punkt direkt daneben, der genau so aussah.
Ein Zwilling.
Der Anblick erinnerte ihn an blaue Saphirplatten, riesige Wasserflächen zwischen braun geschecktem Land. Wie die türkisfarbenen Edelsteine der jenseitigen Welten, über die er einst wandelte, und aus denen er verbannt wurde …
Sein lautes Brüllen stürzte die Milchstraße in Chaos.
Und in schnaubendem Zorn stürzte sich Leviathan auf diesen Planeten. Er war beseelt von einem Verlangen, einer einzigen Gier: Er würde zerstören, was die weiße Macht geschaffen hatte, er würde den Samen des Menschen verschlingen, träfe er ihn. Er würde diesen lächerlichen Planeten, dieses Staubkorn inmitten unendlicher Weiten zwischen seinen Gedanken zerquetschen wie eine Mikrobe und er würde sie mit sich in das namenlose Nichts reißen. Denn war er nicht der Glänzende? Diesen Glanz sollte niemand mit ihm teilen. Er war und blieb das Erste der geschaffenen Wesen! Doch ihm gebührte noch so viel mehr.
Er hörte nichts, sah nur sich selbst, als er wie ein Komet und gleich einem der Göttersöhne auf diese erwachende Welt stürzte. Sterne und Planeten jagten an ihm vorüber, während die sonnennächste der beiden Kugeln größer und größer wurde.
Und sie strahlte blau im Dunkel der Nacht, und Leviathans Flamme wurde weiter geschürt und das Feuer seiner Rache war bereit, alles zu verzehren.
So erschien er wie der Drache, der das jungfräuliche Kleid der Venus, des Planeten der Liebe, wie sie später genannt werden sollte – oh, wie sehr hasste er dieses Wort – zerfetzte, oder wie ein Sturmwind, der ihre blauen Meere peitschte und das grüne Land überflutete …
***
Denn Jahrmillionen später, als Venus längst verwüstet war, und sich in die glühende Hölle von heute verwandelt hatte, erdachten die Menschen, die nun auf der Erde lebten, Lieder und Mythen über dieses unheimliche Wesen, von dem die Ahnen geraunt hatten, und das sie doch nur schauten in wirren Visionen und dunklen Albträumen …
Und Leviathan erblickte auf Venus den Ort, den die weiße Macht für die Menschenkinder bereitet hatte, den paradiesischen Bezirk, den er ihnen zum Besitz überließ. Einen Ort der Gemeinschaft mit ihm selbst, an dem er sie groß zog, sie vorbereitete und reif werden ließ, um sie zu befähigen für das große Werk, nicht nur Venus zu bewahren und sie zu kultivieren, sondern, wie er selbst, über weit mehr zu regieren.
Und der Drache erhob seine Augen, und erblickte zwei Bäume in der Mitte dieses verborgenen Ortes zwischen den Sternen:
Der erste Baum war groß und mächtig und seine dichte Krone reichte bis in das All hinein, und leuchtendes Grün war sein Kleid und das Feuer ewigen Lebens pulsierte in seinen Adern, und erhellte den halben Planeten. Es war ein betäubender Anblick und die Hitze, die von ihm ausging, war so groß, dass er nicht näher treten konnte. Die Flamme des Lebens loderte weit in den Äther hinein.
Der andere Baum war nicht minder mächtig, doch nicht so farbenfroh, aber unbedingte Macht und Autorität und Eiseskälte strahlten von ihm, und es wurde so kalt, dass er auch hier nicht näher treten konnte. Die zwiespältige Fähigkeit, zu scheiden, Gutes von Bösem, Richtig von Falsch, war tief eingegraben in seine dicken Wurzeln.
Und Leviathan erkannte, dass nur die weiße Macht selbst von den Früchten dieses Baumes kosten konnte, ohne durch vollkommenes Wissen, vollkommene Erkenntnis und vollkommene Macht verdorben zu werden. Jedes andere Leben hingegen würde dieses Wissen in den Wahn treiben. Plötzlich durchzuckte ein Gedanke voller Wonne und Bosheit sein Wesen und er zitterte vor Begierde:
Wenn es ihm gelänge, die Menschen zu verführen, um nur einmal, nur ein einziges Mal, von den kalten und betörenden Früchten zu kosten, ihre Süßigkeit und berauschende Macht in sich aufzunehmen, so war der Mensch verdorben für alle Zeiten und der Plan der weißen Macht, die Menschen als Erben einzusetzen, wäre zunichte, und Leviathan würde für seine Schlauheit anerkannt und gefürchtet werden von allen Wesen der jenseitigen Welten.
So verbarg er sich im Kleid einer Schlange und er lauerte und wartete im Dickicht des üppigen Waldes. Und er wartete tausende und Abertausende von Jahren. So hatte er genügend Zeit, seinen Verrat zu planen. Zu seiner Bosheit gesellte sich Verschlagenheit. Und im Dickicht des Waldes studierte er das naive Wesen des Menschen und er lernte gut.
So näherte er sich ihm manchmal in Gestalt eines Tieres, und der Mensch sah ihn neugierig an, doch voller Vertrauen, denn er kannte noch keine Furcht, und so lernte Leviathan die Schwachheit des Menschen kennen und für seine Zwecke zu nutzen, und er entschied sich, nun endlich seinen Meisterplan umzusetzen: Den Menschen, das Siegel und den Ruhm des Mächtigen, für immer zu verderben und ihn zu einem Feind der weißen Machtzu dressieren.
Und so erschien ihnen Leviathan am Ende:
Glänzend und in vielen Farben schillernd, reich an uraltem Wissen und gesättigt von himmlischer Weisheit. Seine Stimme klang wie der Gesang der Sterne und wie das Rauschen der Brandung in den jungen Meeren, wenn sie auf felsiges Land trafen. Und der Mensch dachte bei sich:
Welch wunderbares Wesen, dies muss ein Gott sein.
Und der Mensch war schwach, und sein Widerstand brach schnell, und so gab er sich dem Drachen willig hin und er aß von der Eisesfrucht und der Plan Leviathans ward mit Erfolg gekrönt. Doch als der Mensch den letzten Bissen geschluckt hatte, legte sich ein Schatten über seine Augen, und er sah die Welt nur noch im Dämmerlicht. Angst erfasste ihn, etwas völlig Neues, denn die Dunkelheit nahm zu und wurde dichter. Zwar hörte er noch die Stimme des Mächtigen, doch ohne sehen zu können. Und der Mensch blickte verzweifelt zu den Sternen, doch er sah nur bleiernen Himmel über sich und er konnte keine nächtlichen Lichter mehr erkennen.
Als die weiße Macht den verwüsteten Ort betrat, erschrak Leviathan zutiefst, denn er war doch verbannt vom Thron des Himmels und er wagte nicht, in das verzehrende Feuer zu blicken, noch seine Augen zu erheben.
So flüchtete er in das Dickicht des grünen Waldes. Aber dann vernahm er einen ehernen Klang direkt hinter sich, und es schien, als befände sich die weiße Macht in seinem Kopf und die Autorität der Stimme war so gebietend, dass er sich nicht mehr bewegen konnte, und auf den Boden starrte.
In dieser demütigenden Haltung vernahm er das Urteil:
Drache, höre! Es wird sich ein Stern erheben aus dem Geschlecht der Menschen, und er wird hoch erhöht sein, und mit seiner Ferse wird er dein Haupt zertreten.Und ich setze Feindschaft und erbitterten Krieg zwischen deine Nachkommen und seine. Dieser Kriegwird währen, bis die Sterne vom Himmel fallen und die Elemente vor Hitze vergehen. Und du wirst in ewiger Furcht vor ihnen leben und sobald du Sieg erringst, werden viele Niederlagen folgen; und doch sollst du die Herrschaft erhalten über ihren Planeten, denn ihr Wille ist mir dennoch heilig, und sie haben es nicht anders gewollt.
Und der Mächtige vertrieb den Drachen aus dem verwüsteten Ort, zusammen mit dem Menschen, zu dem er sprach: »Du hast den Tod verdient dafür, dass du diese Welt dem Bösen preisgabst, und deinetwegen der Fluch auf ihr lastet. Doch ich bin barmherzig und du wirst nicht sterben. Ja, sogar mehr: Aus dir wird einer kommen, der den Tod besiegt.«
Und der Mensch fiel in den langen und tiefen Schlaf, so lange, dass er sich niemals daran erinnern würde und auch die Wonne vergaß, in der er einst lebte. Denn der Planet, auf dem sich der Garten einst befand, war nun verflucht und verdammt um des Menschen willen, und die weiße Macht bereitete einen anderen Ort vor, für einen neuen Anfang.
So vergingen die Zeiten und Äonen auf einem Planeten, der Erde oder Terra genannt wurde, und auf dem sich üppiges Leben entwickelte: Grüne, und herrliche Wälder. Mächtige und anmutige Tiere. Wilde und brausende Ozeane.
Und dann, eines Tages, öffnete der Mensch seine Augen in einer neuen Welt.
***
Aber auf Venus setzte die weiße Macht Wächter ein, um den verfluchten Ort zu bewachen, als Warnung, und damit sie nicht neuen Verrat erleide, durch die Chaosmächte des Himmels.
Und die weiße Macht übergab dem geweihten Engelswächter das flammende Schwert, in dem sie selbst lebt, ein Schwert, das scheidet Licht und Dunkel, Lüge und Wahrheit, ein Schwert, das alles Böse entlarvt, ein Schwert einzigartig und fähig, das Gefüge des Kosmos ins Wanken zu bringen. Und die weiße Macht überreichte es Dōr, dem Hüter der Lebensflamme, dem zweiten geschaffenen Leben nach Leviathan, dem Verfluchten.
Leviathan aber war den Menschen in unkenntlicher Gestalt gefolgt – manche sagen, er wäre wie ein Komet zur Erde gestürzt.
Doch als er den Menschen dort erblickte – er erinnerte sich mit Schrecken an den Fluch – floh er in hellem Entsetzen vor ihm in die tiefsten Schichten der Erde.
Hier endlich verbarg sich der Geist der Schlange in dem heißen und flüssigen Gestein und er wob sein Gift und erdachte einen neuen Plan zur Versklavung und Zerstörung des Menschen. Denn, was der Mensch in seiner Naivität nicht ahnte: Leviathan hatte die Flamme vom Baum des Lebens in jenem Garten auf Venus genau studiert. Die Flamme, die der Baum in das All spuckte, war ein Plasma aus Wasser, Feuer und Licht. Lebendiges Wasser strömte darin als eine kristalline Flüssigkeit, so wie Blut, doch nur schwach rötlich gefärbt, und das Feuer verbrannte jede Unreinheit und sein Licht erhellte jede Dunkelheit, materiell wie geistig.
Und obwohl Feuer und Wasser Antagonisten sind, löschten sie sich nicht aus, sondern verbanden sich zu atemberaubender Brillanz. Und die Flamme bildete zusammen mit dem Wasser die Atmosphäre von Venus, und es entstand zuerst ein Gas, eine Art Schutzhülle um Venus, so dass die Wärmestrahlung der Sonne nicht mehr in den Kosmos entwich, wie auf den meisten Planeten, sondern auf ihre Oberfläche zurückgestrahlt wurde. Denn Wasserdampf und Kohlendioxid, das in großer Menge im tiefen Gestein von Venus gespeichert war, wurde durch den Baum und den Vulkanismus in die Atmosphäre geschleudert. So wurde über Jahrmillionen die Temperatur auf dem Planeten so angenehm wie auf keinem anderen Ort im Sonnensystem, und es wurde ein wahres Paradies daraus und es wurde zu dem Ort, den die weiße Macht für den Menschen bereitet hatte. Er erinnerte sich gut.
Und hier, im flüssigen Gestein der Erde, blieb Leviathan nicht untätig, und wob sein Gift und erschuf in der Länge der Zeit ein eigenes Molekül, ähnlich dem des gefrorenen Baumes, das aber Tod und Vernichtung bedeutete für jedes biologische Leben. Er kopierte seine DNA, und vervielfältigte sie millionenfach, und sie sah aus wie das Echte, war es aber nicht. Denn was er schuf, war nicht lebendig, und besaß nur die äußere Struktur einer Zelle, doch aus anorganischem Material. So wie falscher Weizen, der als Unkraut in ein Feld gesät wird, und mit ihm wächst.
Und dies Plasma war erschaffen, um die Erbinformation jedes lebendigen Wesens zu zerstören, und es mutierte und wuchs heran, bis es die Zellen in ihm verschlungen hatte. Außerdem konnte Leviathan es zu einer vernichtenden Explosion bringen, wenn er wollte, denn es reagierte aufgrund chemischer Reaktion vernichtend mit jeder positiven Materie, und in seinen atomaren Eigenschaften war es reine Antimaterie.
Und er nannte das Molekül ›Tod‹, gemäß seinem eigenen Herzen. Aber er wusste dennoch, dass ein Tropfen vom Plasma des Lebens ganze Meere von Tod auslöschen konnte. Denn Leben ist stärker als Tod. Das war das Gesetz des Universums, das er zwar hasste, gegen das er rebellierte, wo er nur konnte, doch es war existent.
Aber er wusste um die Neigung zum Bösen im Herzen des Menschen. Denn er, Leviathan, hatte ihm dieses Böse gebracht, und darauf war er stolz bis alle Ewigkeit. Dieses Böse, dieser unscheinbare Same, der wachsen würde, wie eine unscheinbare Mutation, er würde den Menschen schließlich zu Fall bringen. Die Urinfektion geschah durch die Frucht des Verstehens auf Venus, und dem Verlangen nach Wissen um des Wissens willen, wofür der Mensch nie erdacht war. Seit dieser Infektion war er anfällig und schwach, denn er war verdorben und leicht empfänglich für das Protoplasma, und wenn er es einnähme, würde es ihn in seiner Beziehungsfähigkeit vollends töten und es würde keine Erlösung mehr für ihn geben und er würde für immer in die Schatten sinken.
Ja, das gefiel ihm!
Und das Gift seines Hasses wurde dem Menschen seit dieser Zeit in geringsten Mengen eingeflößt, die Dosis wurde nur langsam erhöht, damit der Mensch nicht zu sehr über sich erschrak, doch sein Herz veränderte sich, und der Mensch wurde schwer fähig, Gutes zu erkennen und zu tun.
Und der Mensch erwählte den Krieg gegen die Unschuldigen und er erwählte bloße Macht ohne Liebe, und Schrecken ging vom Menschen aus, und selbst die Tiere begannen, vor ihren Meistern zu fliehen.
Und zur Fülle der Zeit, als der Schlangentöter geboren wurde, jener, der der Auserwählte genannt wird, wurde Leviathan durch ihn eine tödliche Wunde zugefügt, doch vernichtet war er nicht, ja, seine Wut loderte noch heller und sein Hass wurde zu einer verzehrenden Flamme.
Und die Großen der Erde verführte er durch seinen Wahn, so dass sie ihre eigenen Völker abschlachteten, und das Blut Geborener und Ungeborener floss zur Boden wie unreines Wasser.
Zu dieser späten Zeit entschied der sich Windende erneut, seine Heere zu sammeln, zu einem vernichtenden Schlag und er beschloss, seine tödlichste Waffe einzusetzen, das Molekül des Todes, nun entfesselt, das jedes Leben vernichten sollte.
Und Leviathan beschloss, den Kampfplatz auszuweiten auf den Raum zwischen den Sternen. Doch die Grenze seiner physischen Macht war die Grenze des irdischen Sonnensystems. So war es ihm von der weißen Macht bestimmt, und er konnte sich nicht darüber hinweg setzen.
Und so platzierte er das Plasma des Todes auf einem Planeten, dem ersten außerhalb des irdischen Sonnensystems, einem Planeten, den die Menschen in ferner Zeit gerade noch würden erreichen können …
Sobald wir unsere Grenzen akzeptieren,
können wir sie durchbrechen.
ALBERT E
Zwischen Mars und Erde, 2344
Davidé Pascal beugte sich über ein uraltes Dokument. Es stammte aus dem Erbbesitz seiner Familie, und der Verfasser war sein Urahn in achter Generation. Es handelte sich um ein echtes, abgenutztes Notizbuch aus Papier, und jener entfernte Vorfahr, ein Mann namens Dennis Meyer, hatte es in Jerusalem auf der Erde im Jahr 2060 verfasst, kurz vor seinem Tod.
Verträumt roch Davidé an den schon speckigen Seiten und strich liebevoll mit seinem Finger über die feinen Buchstaben. Natürlich war der Text längst digitalisiert, aber er liebte diesen muffigen Geruch und die ehrwürdige Aura, die alte, handgeschriebene Texte umgaben.
Es hatte etwas Magisches.
So wie die Welten, die ihn umgaben.
Davidé betrachtete die unzähligen Lichtpunkte, Sterne und Nebel, die in majestätischer Ruhe an seinem Kabinenfenster vorüber glitten, doch seine Gedanken begaben sich auf eine andere Reise, eine entferntere, und vielleicht lenkten sie ihn ab von der unterschwelligen Furcht, den diese grenzenlose und tödliche Umgebung immer noch auf ihn ausübte. Sie wanderten zurück in die Vergangenheit, und zur Wahlheimat jenes Menschen, der sein Schicksal mehr bestimmen würde als jeder andere …
Das aufrührerische Israel war das einzige Land auf seinem Heimatplaneten, das noch als souveräner Staat existierte, sonst gab es nur noch die Einheitsstaaten, die in Nord-, Süd-, Ost- und West-Hemisphären unterteilt waren, natürlich mit allerlei Unterdistrikten und größeren Verwaltungseinheiten.
Das immer totalitärer agierende Regime der Welteinheitsregierung hatte diese Hemisphären fest in ihrem Griff, und sie herrschte mit starker Hand.
Es herrschte zwar überall weitgehender Wohlstand, der Hunger und damit die Verteilungskämpfe, waren dank der überlegenen Technologie des genetischen Anbaus von Nahrungsmitteln kein politisches Problem mehr, dafür waren die Menschen träge und antriebslos geworden und sie waren meist willenlose Gefolgsleute ihrer regionalen Machthaber und waren meist arbeitslos, denn die humanoiden künstlichen Intelligenzen erledigten alles schneller und besser.
Israel war als Relikt eines Nationalstaates des 20. Jahrhunderts in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Die Ursache dieses Alleinstellungsmerkmals lag in der langandauernden und emotionalisierten Feindschaft der meisten Regionen dieser Welt gegen Israel. Diese rassistische Abneigung gegen ein spezielles Volk wurde in früheren Jahrhunderten Antisemitismus genannt.
Heute gab es diese Bezeichnung offiziell nicht mehr.
Insbesondere die arabischen Staaten, die Israel an Landfläche in etwa 300:1 überlegen gewesen waren, hatten diesen Staat im 20. und 21. Jahrhundert wie eine Feuerwand umschlossen und in langen und blutigen Kriegen versucht, der ›zionistischen Entität‹, wie sie es nannten, ein Ende zu bereiten. Doch wie durch ein Wunder war ihnen dies nie gelungen, obwohl ihre Militärmacht an Menschenmasse und Material weit überlegen war. Dies verstärkte zwar ihre Wut, doch Anfang des 22. Jahrhunderts zogen sie sich aufgrund des Druckes ihrer Bevölkerungen, denen die siegestrunkenen Parolen ihrer religiösen Führer zum Hals heraushingen, zurück, und schlossen sogar Militärbündnisse mit einem Staat, den sie Jahrhunderte lang nicht anerkannt hatten.
Durch diesen dauerhaften Kriegszustand war Israels Militärmacht mit der Zeit ungewöhnlich schlagkräftig und innovativ geworden, und selbst die vereinten Regierungstruppen hatten in den letzten Jahrhunderten schwere Niederlagen erlitten, von denen sie sich noch nicht vollkommen erholt hatten. Denn einige westliche Führer hatten den Parolen von islamistischen Hardlinern Glauben geschenkt, und sich an den Kriegen gegen Israel beteiligt.
Doch zu seinen militärischen Erfolgen gesellte sich die technologische Spitzenstellung Israels in fast allen naturwissenschaftlichen Bereichen und machte den winzigen Staat, der an einer strategischen Schnittstelle zwischen westlicher und östlicher Welt lag, zu einem unglaublich erfolgreichen und wohlhabenden Land.
Denn die fortschrittlichsten Methoden zur Aufzucht von genetisch veränderten Pflanzen und somit Nahrungsmitteln in fast beliebiger Menge, die auf den kärgsten Böden der Welt gediehen, waren in den 2050er Jahren in Israel entwickelt worden, und diese Spitzenforschung, die es vielen ärmeren Ländern in den zurückliegenden Hungersnöten, Dürren und Verteilungskämpfen der letzten zweihundert Jahre erst ermöglichte, zu überleben, machte es zunehmend unmöglich, die großen und überwiegend armen Menschenmassen – denn der Ölreichtum der Golfstaaten war mit dem Versiegen der fossilen Brennstoffe Makulatur – der arabischen Welt gegen Israel zu mobilisieren.
Es war also eine Hass-Liebe, die weite Teile der Bevölkerungen der vier Welt-Hemisphären mit Israel verband: Sie wussten, dass sie ohne die innovative Kraft Israels in viel schlechteren Verhältnissen leben müssten – sofern sie die Wirren der letzten Jahrhunderte überlebt hatten –, aber sie hassten Israel aufgrund seiner Unabhängigkeit, seiner militärischen Stärke, seines Einflusses und seiner Ausnahmestellung in vielen Bereichen.
Ja, es ist der blanke Neid, der schon immer das Verhängnis Israels war, dachte Davidé, der die Geschichte seines Volkes gut kannte, und dessen Vorfahren – was mit dem außergewöhnlichem Erbe des Verfassers dieser Zeilen zu tun hatte – viele Gelehrte und berühmte Geisteswissenschaftler hervorgebracht hatten. Dennis Meyer, der sowohl deutscher wie auch israelischer Staatsbürger gewesen war, was eine sehr ungewöhnliche Kombination darstellte, galt als ein Prophet seiner Zeit, ein Abenteurer und Politiker, der Israel mit ganzer Hingabe unterstützte und sein ganzes Herzblut in die Sicherheit dieses bedrohten Landes investiert hatte. Dennis hatte damals vor der Vorläuferorganisation der Welteinheitsregierung, der UN oder den Vereinten Nationen, eine richtungsweisende Rede gehalten und mit scharfen Worten die damals schon sich abzeichnenden totalitären Tendenzen einer erzwungenen Welteinheit angeprangert.
Damals kam es zu einer großangelegten Verschwörung der UN und der OIC, der Organisation islamischer Staaten, Israel wirtschaftlich und dann im Idealfall militärisch zu vernichten. Dennis hatte diese inoffizielle Konspiration einiger sehr mächtiger Männer und Frauen mit Hilfe einer geheimen transzendenten Kraft, die bis heute Rätsel aufwarf, verhindert, und das UN-Gebäude in New-York wurde wohl von dieser Macht in einer Art Explosion oder Beben komplett vernichtet. Dieses rätselhafte historische Ereignis, dessen Folgen sehr handfest und politisch sichtbar waren, wurde im Lauf der Jahrhunderte zu einer Art Mythos, und es ließ sich heute nicht mehr feststellen, was daran wahr oder falsch war und unzählige Schriften und Verschwörungstheorien waren darüber publiziert worden.
Doch nach Jahrzehnten der Untersuchungen zu diesem welterschütternden Vorfall, der die UNO nachhaltig schwächte, kam zumindest heraus, dass es militante Islamisten im Auftrag hoher UN-Funktionäre gewesen waren, die diesen vermeintlichen Terrorakt Israel in die Schuhe schieben wollten, um dieses im wahrsten Sinne welterschütternde Ereignis zu nutzen, einen Krieg der vereinten Nationen gegen Israel zu provozieren. Einige der arabischen Initiatoren der Kriegsgelüste gegen Israel, sagten damals aus, ›ein schwarzer, großer Schatten in Form eines riesigen Adlers‹ habe ihnen geholfen, ›das Werk zu vollenden‹, aber die Welt und auch Davidé fanden das nicht sehr glaubhaft. Jedenfalls ging dieser Plan gründlich schief, ja, er half sogar dabei, den politischen Islam, der im 20. und 21. Jahrhundert durch seinen inhärenten Terrorismus gegen Zivilisten nicht geringes Entsetzen unter den Nationen der Welt hervorrief, zu entlarven, was dazu führte, dass die Weltreligion des Islam heute zu einer religiösen Minderheitssekte geworden war, der nur noch etwa ein Prozent der Bevölkerung von anhingen.
Welch Glück, dachte Davidé, der sich traurig daran erinnerte, wie viele Mitglieder seiner Familie in den letzten Jahrhunderten durch islamistische Fanatiker zu Tode gekommen waren. Aber die Nazis hatten es ja auch lediglich geschafft, das halbe Volk zu vernichten und nicht alle …
Er spürte, wie Bitterkeit in ihm aufstieg.
Er starrte wieder auf Seite 25 des Notizbuches, und las zum wohl hundertsten Mal eine Botschaft, eine Art Vermächtnis, das Dennis Meyer kurz vor seinem Tod geschrieben hatte, und das in seiner ganzen internationalen Verwandtschaft bekannt war.
(…) Ihr Menschen seid für die Weite erschaffen worden, und zum Licht wirst du fliegen. Nicht du selbst, einer derer, die von dir abstammen. Deine Nachfahren werden fortführen, was du begonnen hast.
So stand es da, in der geschwungenen, ausdrucksstarken Handschrift seines Vorfahren. Es war eine Prophezeiung, ein Blick in die Zukunft, im Namender weißen Macht, wie sie heute von der Bruderschaft genannt wurde, die sich nun, hunderte Jahre nach der Niederschrift,mit ihm selbst,Davidé Pascal, einem französisch sprechenden Offizier aus der westlichen Hemisphäre, der französischen Region Groß-Paris, erfüllen sollte.
Davidé war jüdischer Abstammung, liberal, nicht fromm, wie er immer betonte, denn seine Vorfahren stammten nur deshalb aus Israel, weil Dennis damals eine Jüdin geheiratet hatte. Ein Erbe, das eine Last bedeutete – und zugleich auch ein Privileg war. Er erinnerte sich an den Juden Albert Dreyfuss, der vor fast fünfhundert Jahren auch Offizier im damaligen Frankreich war, und in Paris wegen Spionage und Hochverrat verurteilt worden war. Zu Unrecht, denn die Beweise waren fingiert, und er wurde nur angeklagt, weil er Jude war. Diese Affäre, die die alte jüdisch kosmopolitische Welt erschütterte und direkter Auslöser für das Betreiben Theodor Herzls war, einen Staat Israel gründen zu wollen, eine Zuflucht für das ewig verfolgte jüdische Volk, war schon immer rätselhaft und faszinierend zugleich für Davidé gewesen. Dieser Polit-Skandal war zum Weckruf für die jüdische Welt geworden, denn sie zeigte mit erschreckender Klarheit: Ein Jude konnte nirgends sicher sein. Außer in seinem eigenen Land.
Ja, es gab Parallelen zu seinem eigenen Leben, dachte er traurig.
***
Lächelnd, aber mit Tränen in den Augenwinkeln blickte Davidé in die fast grenzenlose Schwärze jenseits seines Fensters. Er war der erste Kommandant einer kleinen Flotte von Raumschiffen, die bis zu den Grenzen des Sonnensystems vordringen sollten, und er war wohl das Echo jener Worte.
Seit im Jahr 2050 Mars kolonisiert wurde, und dem Jahr 2083, als dauerhaft Menschen dort leben konnten, hatte die Menschheit zum großen Sprung angesetzt, um einen Blick über die Grenzen des Sonnensystems zu wagen.
Der Planet Mars war durch Terraforming, das Produzieren einer künstlichen Atmosphäre, in Teilen bereits ein grüner Planet. Die chemische Umwandlung von reichlich vorhandenem Kohlendioxid in Sauerstoff war die Grundlage all dieser Bemühungen gewesen. Sauerstoff zum Atmen und auch für die notwendige Verbrennung jeder Art von Treibstoff. Dadurch konnten die ersten Bäume gepflanzt werden, die dann durch ihre Photosynthese die Atmosphäre mit natürlichem Sauerstoff anreicherten. Allerdings existierte diese Atmosphäre zum jetzigen Zeitpunkt nur in einem gigantischen Treibhaus, 10.000 Quadratkilometer groß, und lediglich drei Millionen Menschen konnten dort leben, meist sehr reiche Nachfahren von Akademikern und Wissenschaftlern, die sich in den hundert Jahren der ersten Besiedelung des Planeten immensen Reichtum erworben hatten. Erst in einigen hundert Jahren würde man von einer zweiten Erde sprechen können. Es waren die Nachfahren der Mars-Pioniere, vergleichbar den Westmännern zur Erschließung des amerikanischen Kontinents im 18. und 19. Jahrhundert. Riesige Vorkommen von Methangas waren tief im Gestein von Mars entdeckt worden, und in Verbindung mit hunderten Quadratkilometern großen Parabolspiegeln in der Hochatmosphäre, die die Sonnenenergie absorbieren konnten, war die Gemeinschaft dort mittlerweile energetisch autark.
Natürlich wäre ohne Wasser nichts davon möglich gewesen, und es war in einer riesigen Gemeinschaftsanstrengung aller terrestrischen Energiekonzerne gelungen, die gewaltigen Eispanzer an den Polen des Planeten zum Schmelzen zu bringen und in Kanäle zu leiten, die das Gebiet des 10.000 Quadratkilometer großen Habitats durchzog wie die Kanäle im alten Mesopotamien. Davidé musste zugeben, dass diese gewaltige Leistung ohne die einende Kraft einer gemeinschaftlichen Vision unter Federführung der Einheitsregierung der vier Weltsektoren nicht möglich gewesen wäre. Doch nun, und vielleicht siegestrunken durch diese bahnbrechenden Erfolge, konnte sich diese Regierung und ihre Funktionäre beinahe alles erlauben und fast jeder Bewohner der Erde, manipulierbar, wie Menschen waren, machte mit. Die Bewohner der Kolonien im inneren Sonnensystem waren etwas unabhängiger, da weit entfernt von der Zentralregierung, und das barg in sich den Keim von Unabhängigkeitsbestrebungen, die durchaus in kriegerische Auseinandersetzungen münden könnten, und die Zentralregierung war sehr besorgt deswegen.
***
Doch auch auf der Erde gab es jene, die das Heilige bewahrten, es gab jene, die das Schwert besaßen. Diese Bruderschaft, der er selbst angehörte, galt den Behörden als suspekt, da unabhängiger und weniger kontrollierbar als die meisten Einwohner.
Das zweischneidige Schwert war nur eine symbolische Waffe, es schmückte die Insignien der Bruderschaft und stand für die klare Scheidung zwischen Licht und Dunkel, Wahrheit und Lüge, Liebe und Hass; dies war nach Meinung der Gläubigen notwendig in einer Gesellschaft, in der nichts mehr als wahr galt, aber alles als beliebig. Einer Gesellschaft, in der es kaum mehr echte Gefühle gab, weil man keinen Grund mehr sah, irgend ein Ziel zu erreichen, da ja sowieso alles gleich war, und und somit nur subjektiv bedeutend. Es war wohl dieser morbide und erstickende Relativismus und Nihilismus, die Verneinung absoluter Wahrheit und Wirklichkeit, der die Gründer dieser Gemeinschaft dazu trieb, Dinge klar benennen zu wollen.
Früher nannten sie sich Christen, durch zwei Jahrtausende hindurch, doch als die neue Welteinheitsregierung die vormals größte Weltreligion verboten hatte, da sie sie als Bedrohung betrachtete, musste sie sich neu formieren, in den Untergrund gehen, und nannte sich seitdem Bruderschaft des Schwertes.
Es war eine zweifache Spitze: Sie nannten sich ›Bruderschaft‹ und verstießen damit gegen das Gleichheitsgesetz der Regierung, das zum Beispiel besagte, das sexuelle Geschlecht wäre ein rein soziales Konstrukt, und man dürfe wählen, wer man sein wolle und wechseln so oft man wolle. Zweitens verstieß diese Selbstbezeichnung, die das Wort ›Schwert‹ im Namen trug gegen das Gesetz des ›Friedens und Toleranz‹, das besagte, alles sei erlaubt, solange es zu keinen kriegerischen oder schweren kriminellen Handlungen, wie Mord, Gewalt oder Raub komme. Die Einheitsregierung hätte die Bruderschaft liebend gern verbieten und vernichten wollen – doch mittlerweile gehörte ihr ein Fünftel der Weltbevölkerung an, und es wäre auch damals nicht möglich gewesen, das innerplanetarische System ohne ihre Hilfe und ihre Stimmen zu kolonisieren.
Denn es hatte seit zweihundert Jahren immer wieder große Wellen von Erneuerung gegeben, und ganze Großregionen hatte sich dem neuen und doch alten Glauben mit großer Hingabe und Entschlossenheit geweiht. Auch Tod und Folter hatten sie nicht abgeschreckt. Es schien, je mehr die Weltregierung den Glauben verfolgte, je stärker wurde er. Schließlich hatte die Regierung aufgehört, die Bruderschaft offiziell zu verfolgen und verlagerten ihre Strategie: Diese internationale Gemeinschaft, die sich als Familie verstand, und in der Scharen Entwurzelter, Entrechteter und Armer eine Heimat fanden, wurde von nun an diskriminiert und schikaniert, wo es nur ging.
Aber es gab noch ein Geheimnis: Jeder Bewohner der Erde, ja, jeder Mensch im gesamten System, konnte erkennen, dass eine geheimnisvolle Kraft durch diese Gemeinschaft wirkte, und einige ihrer Mitglieder waren in der Lage, Menschen zu heilen durch Berührung ihres Körpers, einige konnten Wunder wirken und sich an andere Orte versetzen, ja, es gab Gerüchte, dass es Einzelnen möglich war, Totes aufzuwecken, was selbstverständlich von der Regierungspropaganda als Aberglaube betrachtet wurde. Doch jeder aufrichtige Bürger konnte diese Dinge sehen und es geschah nicht in einem Winkel und nicht in Abgeschiedenheit. Das rief Furcht, aber auch Bewunderung in der Bevölkerung hervor.
Vor dieser Bruderschaft des Schwertes also hatte die Regierung Angst.
Warum Davidé als eines ihrer aktiven Mitglieder ein Raumschiff der Einheitsregierung kommandieren konnte, war von ebenso seltsamer Bewandtnis, und er staunte immer wieder darüber, weil er es rational nicht verstehen konnte: Er war Kommandant einer Pionierraumflotte geworden, obwohl er dieser Bruderschaft angehörte. Normalerweise achtete die globale Einheitsregierung strengstens darauf, dass niemand aus der Bruderschaft jemals die Möglichkeit erhielt, in den Weltraum zu fliegen, geschweige denn Kommandant einer militärischen Pioniereinheit zu werden. Soviel er wusste, war er der Einzige, der diesen prestigeträchtigen Status je erreicht hatte. Die meisten seiner Crewmitglieder hatten ihn anfangs gehasst, so wie die Mehrheit der Menschen die ›Brüder‹ verachten, doch seine starke und kraftvolle Persönlichkeit, verbunden mit übernatürlichen Fähigkeiten, wie der Seelenschau, der Fähigkeit, bedingt die Zukunft zu deuten, und einer Gabe der Heilung durch Körperkontakt, hatten ihm zuerst Bewunderung verschafft. Durch seinen Humor gewann er ihre Sympathien und durch seine Demut ihre Freundschaft. Aufgrund seines unerschütterlichen Vertrauens schließlich, dass Unmögliches doch möglich sein könne, gewann er ihr Vertrauen.
Nun akzeptierten sie ihn als ihren Anführer, auch wenn es keiner wagte, sich selbst der Bruderschaft anzuschließen, denn sie fürchteten die Sanktionen der Regierung und sie wollten unbedingt weiter der geachteten Sternenflotte angehören.
Es war eine komische Geschichte.
Er wandte sich wieder dem Buch zu. Der zweite Absatz erschreckte ihn, die Worte machten ihm Angst und er wusste nicht, was sie bedeuteten, doch sie hatten sich tief in sein Herz eingegraben. Sie waren geschrieben in Versform, ganz anders als die anderen Botschaften, vielleicht, um ihre Bedeutung zu unterstreichen.
Für den Auserwählten
Finde das Tor zu den Sternen. Ein Schwert verborgen, zwischen Planeten, an einem uralt Ort. Umjubelt, der sucht und glücklich, der findet. Verletzen wird es, doch endlich zur Heilung. Geschmiedet, zu scheiden: Licht und Dunkel, Wahrheit und Lüge, Gut und Böse. Der, der es führt: Der Krone ist er würdig und ew`ges Leben ihm gewiss.
Seltsame Gedanken bemächtigten sich des jungen Kommandanten. Er spürte die große Schwere hinter den Worten, sooft er sie las. Ein Schatten, den er nicht erklären konnte. Auch, wenn er sie auswendig vor sich hin murmelte.
War er jener Auserwählte?
War sein Schiff, die Genesis vielleicht das ›Schwert, verborgen zwischen Planeten‹?
***
»Ja, du bist ein Schwert des Mächtigen für diese Zeit«, antwortete ein Wesen, das Raum und Zeit nicht unterworfen war, auf die Gedanken des jungen Kommandeurs.
»Doch anders, als du dir je vorstellen kannst«, fügte er leise hinzu.
Denn Dōr selbst war in der Dunkelheit erschienen.
Er, dem das Schwert überreicht worden war.
Er, der Wächter des Gartens.
Dōr war es einst gewesen, der die große Leere durchschritt, seinen Fuß gesetzt hatte auf ein Staubkorn im All, ein funkelndes Juwel in der Nacht. Und Venus erschien ihm damals wie ein flammendes Zeichen der Hoffnung gegen die große Dunkelheit, die sich ausbreitete wie ein unaufhaltsamer Nebel, als eine ewige Mahnung der weißen Macht, das Universum nicht dieser Dunkelheit preiszugeben.
Und so nahm Dōr willig und voller Freude und in hellem Glanz seinen Platz ein Cherub des Mächtigen, als das erste erschaffene Wesen nach , dem Verfluchten und Abtrünnigen, der den Willen des Erschaffers verriet und seine Schöpfung verdarb, wohin er sich auch wandte.
›Der Kosmos ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße‹, sprach damals die weiße Macht zu ihm und Ehrfurcht ergriff Dōr, während er über diese Worte nachdachte. Die weiße Macht hatte gewusst, dass nicht Venus die Heimat der Menschen werden würde. Mit Wohlwollen betrachtete er, ein Mächtiger in Raum und Zeit, nun die Genesis. Er hatte Auftrag, Kommandant Davidé Pascal zu beschützen und ihm den Weg zu bahnen. Er war es gewesen, der es Davidé erst ermöglicht hatte, als Kommandant eine Pioniereinheit zu führen. Ja, er hatte der Einheitsregierung eine gehörige Angst vor dem Unbekannten eingejagt, und ein zufriedenes Lächeln umspielte sein erhabenes Antlitz. Denn er hatte Autorität vom Thron der Macht erhalten, in die Träume der Menschen hinein zu sprechen, und so hatte er die Gedanken der Politiker verwirrt mit der abergläubischen Furcht vor einem gewaltigen Feuer, dass von Davidé ausgehen würde, bekäme dieser nicht die gewünschte Position.
Er lächelte.