Himmelsspitz - Christiane Tramitz - E-Book

Himmelsspitz E-Book

Christiane Tramitz

4,8

Beschreibung

Isabel macht sich Sorgen um ihre achtjährige Tochter Lea, die schlafwandelt und von heftigen Albträumen geplagt wird. Die Ärzte raten zu einem Urlaub in den Bergen. Gemeinsam reisen Mutter und Tochter nach Fuchsbichl, einem kleinen Dorf in den Ötztaler Alpen, das am Himmelsspitz gelegen ist. Diesen Berg hatte Lea bereits im Fotoalbum ihrer Mutter entdeckt. Doch die Reise wird für die Familie zu einer harten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Sie stoßen auf Missgunst, dunkle Geheimnisse, zerbrochene Beziehungen - und tödliche Gewalt.

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Christiane Tramitz

Himmelsspitz

 Personen und Handlung sind frei erfunden. 

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen 

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2011 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

Für einen kurzen Augenblick sah der Bub das schwarze Loch direkt vor sich. Aus der Tiefe roch es modrig. Noch einmal krachte der Deckel in seine Fugen zurück. Die Hand krallte sich in seinen Nacken und drückte ihn zu Boden. Er hörte Fluchen und schweres Atmen. Für einen kurzen Moment löste sich die Umklammerung. Schnell entwischen, dachte er, doch die Hand ergriff sein Bein und zog ihn zurück. Dabei bohrte sich ein Schiefer in seinen Schenkel. Weit offen stand der Deckel nun, das schwarze Loch lag vor ihm, gierig wie ein unendlicher Schlund.

Der Junge klammerte sich an die Jacke. Kurz fanden seine Finger Halt an einem Knopf. Dann riss der Faden. Ein starker Stoß in den Rücken ließ das Kind die steilen Stufen in die Tiefe stürzen.

Der schwere Deckel fiel zu Boden, Dunkelheit senkte sich über den Bub wie ein schwarzer Vorhang. Nur durch eine Ritze fiel, einem feinen Faden gleich, ein blasser Lichtstrahl. Auf allen vieren tastete sich der Junge die Stufen hinauf. Er hämmerte gegen das Holz des Deckels, von oben antwortete ihm schepperndes Lachen. »Verrat, wo’st den Zettel hast.«

Der Junge presste die Lippen zusammen. Er hörte den Mann die Treppe hinauf in den ersten Stock und dort auf und abgehen. Dann kehrte er zurück. »Hast’s dir überlegt?« Der Junge hielt sich die Ohren zu und schwieg.

Die Schritte wurden leiser. Eine Tür fiel ins Schloss.

Der Bub tastete sich die Wände entlang, spürte nichts als feuchte, glitschige Steine. Er ließ sich auf die kühle Erde nieder und rutschte von Ecke zu Ecke. Er fühlte den Lehm, ein paar Steine, und plötzlich: etwas Hartes, Rundes. Er kroch zurück zu den Stufen, um im fahlen Lichtstrahl zu betrachten, was er gefunden hatte.

Er lächelte. Ein letztes Mal.

Dann umklammerte er seine Knie und wartete.

Er wartete auf die Zeit, bis sie ihn finden mögen, und hoffte auf die Erinnerung, auf dass sie ihn nicht vergessen würden.

I.

Nicht die schwache Zunge darf's gestehen,

Nicht der Blick verstohlen zugesandt,

Was sich eigen hat das Herz ernannt,

Nicht im Seufzer darf's der Brust entwehen!

Hamburg, Sechzigerjahre

»So, mein kleines Fräulein Lea«, sagte Horst zu dem Kind, »wir packen jetzt mal was Schönes für die Ferien ein. Spiele wie Mensch ärgere Dich nicht, Malefiz oder ABC und Phantasie.« Er lachte. »Ja, ABC und Phantasie, das passt am besten zu Dir.«

Lea sah ihn kurz an, wie er ausgebreitet im Türrahmen stand. Sie musste sich bücken, als sie an ihm vorbeiging. Er roch nach Seife.

»Mensch ärgere Dich nicht«, sagte er und klopfte ihr auf den Hintern.

In ihrem Zimmer kroch Lea unter das Bett und zog einen bunten Spielzeugkoffer hervor. In diesen legte sie einen Malblock, in dem sich ein paar Zeichnungen befanden. Auf dem ersten Blatt sah man einen Mann mit Hut, auf dem zweiten war eine Kuh zu erkennen, auf dem dritten Blatt winkte ein lachender Junge vor einem großen Berg mit einem Tannenzweig. Lea sammelte ihre Stifte aus der Schublade und füllte sie in ein schwarzes Mäppchen. Dann holte sie ihr Tierlexikon aus dem Regal und blätterte darin herum. Unter vielen Tieren standen Namen. Sophie unter dem Zebra, Petra unter der Kuh, Mutter war der schöne Pfau, die Schlange hieß Luise.

»Hast du auch an deine Tabletten gedacht, meine Kleine?«, rief Isabel von unten. Lea nahm das Röhrchen und legte es zusammen mit dem Buch in den Koffer.

»Ja, Mama.«

»Isabel, pack doch bitte auch deine eleganteren Kleider ein, wir wohnen schließlich in einem schicken Hotel«, hörte Lea Horsts tiefe Stimme sagen.

Eine Stunde später hatten sie die Rollladen heruntergelassen, das Wasser abgedreht, die Türen abgesperrt.

»Einsteigen, meine Gnädigsten.« Horst öffnete die Türen seines blauen Opel Kapitän. »Los geht’s in die Sommerfrische. Keine Schweinerei in meinem Auto!«, sagte er zu Lea und nahm ihr den Lutscher aus der Hand. »Der klebt. Das ist schließlich ein Neuwagen.«

Lea saß auf dem Rücksitz und betrachtete Horsts Gesicht von der Seite. Es erinnerte sie an ein Tier. An einen Vogel. Eine Eule, ja, an eine Eule mit Federohren und stechenden Augen. Sie nähert sich dem Opfer geräuschlos. Nach einem kräftigen Tötungsbiss wird die Beute mit den kräftigen Fängen gewalkt, dabei werden die Flügel in der sogenannten Fangstellung weit über der Beute gespreizt, las Lea in ihrem Tierlexikon.

Sie kramte in ihrer Tasche nach einem Stift und schrieb unter die Waldohreule: Horst.

Das monotone Geräusch des Motors und die leisen Gespräche der Erwachsenen, deren Inhalt sie nicht verstand, wirkten einschläfernd, und irgendwann trug ein Traum das Mädchen fort. Als sich Isabel umdrehte, sah sie, wie Leas Nase leicht zuckte.

Schönes Kind, schön und geheimnisvoll.

Das schwarze Haar lag über ihren Augen wie ein Schleier. Sie hatte das Gesicht ihres Vaters geerbt, die dunklen Augen, die markanten Züge, trotz aller Kindlichkeit, der weiche, geschwungene Mund, der, wenn er geschlossen war, etwas Bestimmtes, Trotziges hatte. Isabel fuhr ihr über das Haar. Leas Augen zuckten bei der Berührung, und ihre Lippen bewegten sich.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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