Hintergangen - Dieter A. Freitag - E-Book

Hintergangen E-Book

Dieter A. Freitag

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Beschreibung

Botschafter Dr. R. zur Mühlenburg lebt mit seiner Familie in Peru. Schwägerin Carola kommt zu Besuch. Sie ermittelt Undercover im Drogenmilieu. Mit einer Affäre hintergeht sie ihre Schwester. Drogen im Diplomatengepäck führen zur Suspendierung des Botschafters und die Familie muss nach Deutschland zurückkehren, auch Carola, denn sie ist schwanger. Bei einem späteren Unfall nach der Entbindung sterben Carola und ihr Ehemann. War es Mord? Ihr Kind Thomas wird von der Familie zur Mühlenburg adoptiert. Er sucht später nach dem Erbe seiner Eltern. Die Nachricht, die er bei der Suche findet, ist für ihn unfassbar.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Ähnliche


Wie immer für meine über alles geliebte Silke.

Jeder Augenblick an deiner Seite ist wie ein Privileg.

Mit dir hat sich mein Glück im Leben nicht nur verdoppelt, sondern natürlich mit unseren drei Kindern vervielfacht.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Die Familie zur Mühlenburg

Die Geburtstagsfeier

Rückkehr nach Deutschland

Im Hause zur Mühlenburg in Deutschland

Die Studentin Julia Steinbeck

Der 50. Geburtstag von Margarete zur Mühlenburg

Die Familie Schneider

Ein Rechtsanwalt in Erklärungsnot

Der Besuch in der Kanzlei

Die Hiobsbotschaft

Trauer im Hause zur Mühlenburg

Berlin, Präsidium LKA 1, 6. Mordkommission Die Vernehmung des Dr. Driesbach

Am Tag der Trauerfeier

Die halbe Wahrheit

Die Zwillingsbrüder sehen sich das erste Mal

Thomas Partnerin Sandra

Der Zwillingsbruder ist die letzte Hoffnung

Der Besuch am Wochenende

Benjamins Dienstfahrt nach Kiel

Die Reiseplanung

Eine Nachricht vom Detektivbüro

Einladung zu einer Bootstour

Die Reise nach Peru

Eine Reise an die Ostsee

Ein Strandspaziergang an der Ostseeküste

Der Segeltörn

Kriminalpolizeiinspektion Rostock, Ulmenweg

Die Nachricht vom Nachlassgericht

Vorzeitige Rückkehr von der Reise nach Peru

Kriminalinspektion Rostock, Ulmenweg Dienstbesprechung Sonderdezernat K1

Kriminalinspektion, Sonderdezernat K1

Ein Verdacht

Der Verdacht führt nach Kiel

Die Vernehmung von Andreas Schneider in Kiel

Die Hausdurchsuchung

Kriminalpolizeiinspektion Rostock, Ulmenweg

Die Geburtstagsfeier mit alten Freunden

Prolog

Mein Name ist Dirk Krämer. Ich arbeite inzwischen nach meiner Beförderung zum Kriminalhauptkommissar bei der Direktion im Polizeipräsidium LKA1, 6. Mordkommission in Berlin. Zu unserem Bereich gehören die Bezirke Tempelhof, Schöneberg, Steglitz und Zehlendorf. Mit einem dafür vorgesehenen Studium erwarb ich vor acht Jahren zusammen mit Werner Lammert, einem meiner Freunde, die Qualifikation für den gehobenen Polizeivollzugsdienst. Außer ihm gehören zu meinem weiteren Freundeskreis noch Werner Lammerts zwei Jahre älterer Bruder Peter sowie mein engster Freund Thomas Wiedmeyer. Wir vier kennen uns seit unserer Kindheit und sind zusammen in Berlin-Zehlendorf aufgewachsen und dort zur Schule gegangen. Peter und Werner Lammert wohnten in der Hohenzollern-Straße und wir anderen zwei sozusagen um die nächste Ecke. Deshalb nannten wir uns das ‚Kleeblatt der Hohenzollern‘. Mein Gott, was haben wir alles gespielt und sind in der Gegend herumgetollt. Am liebsten spielten wir mit anderen Kindern oft Räuber und Gendarm. Wir vier waren natürlich die Gendarmen, die die Bösen fangen mussten. Vielleicht wurde dabei zu dieser Zeit schon unser Berufswunsch geboren, Polizist zu werden. Peter Lammert, Werners älterer Bruder, beendete zwei Jahre vor uns sein Studium mit sehr gutem Abschluss. Ihn zog es etwas später an die Ostseeküste nach Kiel. Wir anderen drei waren leider nur während des ersten Studienjahres zusammen. Thomas war bei einer Wanderung in den Bergen gestürzt und hatte sich dabei eine schwere Verletzung zugezogen. Dadurch musste er nach dem ersten Jahr aus gesundheitlichen Gründen sein Studium abbrechen. Es war ein dummer Unfall, bei dem er sich einen komplizierten Beinbruch zuzog. Dadurch war er für den Polizeidienst nicht mehr tauglich, wurde Bankkaufmann und leitet heute eine Filiale. Wir sind aber immer noch die besten Freunde. Ich bin inzwischen Kriminalhauptkommissar und leite wie schon erwähnt seit über zwei Jahre in unserem Präsidium die 6. Mordkommission, ein Team von insgesamt zehn Beamten, drei Oberkommissare und sechs Kommissare und ich als Hauptkommissar. Die Ermittlung bei den einzelnen Straftaten zur Überführung eines Täters ist nie die Arbeit eines Einzelnen. Unsere Tätigkeit ist in jedem Fall eine Teamarbeit und gestaltet sich manchmal sehr schwierig und ist mitunter fast aussichtslos. Manchmal hilft erst nach Jahren ein Zufall oder ein DNA-Abgleich zur Aufklärung eines Falles.

Seit geraumer Zeit beschäftigt mich nebenbei ein ganz besonderer Fall, der mir sehr am Herzen liegt. Ich hatte wieder nach ein paar Tagen mit meinem besten Freund, Thomas Wiedmeyer, telefoniert, das heißt er mit mir und das überraschend zu einer sehr ungewöhnlichen Zeit. Weil wir meistens arbeitsmäßig keine Zeit hatten, um uns wenigstens mal kurz auf ein Bier zu treffen oder zusammen mit unseren Partnerinnen etwas zu unternehmen, telefonierten wir öfter. Mit einem anderen Freund, Werner Lammert, besuchte ich zusammen die Polizeischule. Wir zwei sind heute im Polizeidienst tätig. Zu Werner Lammert besteht leider nur selten Kontakt, da er mit seiner Familie, wie schon vor ihm sein Bruder Peter, von Berlin in den Norden an die Ostseeküste zog, allerdings nach Rostock. Schon in Berlin war er ein fanatischer Wassersportler und liebte das Segeln. Werner war häufig auf den Havelgewässern zu finden. Meistens segelte er auf dem Wannsee oder dem Müggelsee. Er leitet jetzt ebenfalls in Rostock ein Kommissariat. Dass Thomas nicht Polizist werden konnte, hat unserer Freundschaft keinen Abbruch getan. In der Sportart Karate hatten wir für uns ein gemeinsames Hobby entdeckt. Thomas hatte es bis zum blauen Gürtel geschafft und ich besitze sogar den schwarzen Gürtel, hatte den 1. Dan erreicht. Das gibt einem im Beruf manchmal doch ein wenig mehr Sicherheit.

Als Kriminalhauptkommissar muss ich praktisch immer erreichbar sein. Deshalb bin ich es gewohnt, zu unmöglichen Zeiten angerufen zu werden. So war die Situation wieder einmal kurz vor meinem Urlaub Mitte Juli, als eines Abends kurz vor Mitternacht mein Telefon klingelte. Ich war nach langem Dienst auf der Couch schon fast eingeschlafen, suchte mit einer Hand das Telefon und meldete mich mit verschlafener Stimme:

„Ja, Krämer.“

„Hallo Dirk, hier ist Thomas!“ hörte ich eine mir bekannte Stimme. „Thomas Wiedmeyer? Bist du es, so spät?“ fragte ich nach.

„Ja, ich bin es wirklich. Allerdings heiße ich ja seit meiner Adoption mit Nachnamen zur Mühlenburg. Aber das betrachte ich als nebensächlich. Ich bin immer noch der alte geblieben.“

„Ach ja, richtig. Da habe ich im Moment gar nicht mehr dran gedacht. Mann, Thommy, mit dir hab‘ ich jetzt zu nachtschlafender Zeit am wenigsten gerechnet. Ich war schon fast am Einschlafen. Was gibt’s denn so Wichtiges, dass du um diese Zeit anrufst? Ist was passiert?“

„Ja und nein. Ich habe so ein Bauchgefühl, dass ich von meinem jetzigen Vater oder Onkel bisher ganz toll betrogen wurde. Und darüber muss ich unbedingt mit dir sprechen. Hast du morgen einen Augenblick Zeit für mich? Könnten wir uns morgen treffen?“

„Am besten du kommst morgen zu mir ins Präsidium. Du weißt, dass ich kein Detektiv bin. Du kannst aber bei uns im Betrugsfall eine Anzeige erstatten und dann sehen wir weiter. Komm am besten zwischen zehn und elf Uhr. So, jetzt gehe ich aber schlafen. Ich bin hundemüde.“

„Entschuldigung, dass ich so spät angerufen habe. Was ich in meiner Familie darüber hinaus rausgefunden habe, ließ mir einfach keine Ruhe. Also bis Morgen.“

Dann legte er auf. Und ich konnte nicht einschlafen, weil ich darüber nachdachte, was ihm wohl passiert sein könnte. Mir fiel in dem Zusammenhang der tragische Tod seiner Eltern ein. Seine Mutter war seiner Zeit eine Kollegin von uns und war damals als Undercover in der Drogenfahndung in Peru tätig. Und wir waren uns eigentlich sehr sicher, dass der Verkehrsunfall mit der Drogenmafia im Zusammenhang stand und von ihr absichtlich herbeigeführt wurde. Uns fehlten jedoch bisher die Beweise, zumal die Ermittlungen jeweils vor den Toren der peruanischen Botschaft in Berlin endeten und zu keinem Ergebnis führten.

Thomas hieß jetzt nach seiner Adoption mit Nachnamen zur Mühlenburg. Das interessierte mich im Moment nur sekundär. Ich freute mich auf ein Treffen mit ihm am nächsten Tag und schlief darüber ein. Ich fand es immer interessant mit meinem Freund zu reden und Gedanken auszutauschen, denn wir hatten uns ja eine Weile nicht mehr gesehen. Wir kennen uns schon seit unserer Schulzeit und verbrachten zusammen viel unserer Freizeit. Später sahen wir uns aus beruflichen Gründen nicht so häufig.

Mein Freund war pünktlich und die Begrüßung zwischen uns wie immer herzlich. Unser Treffen war für mich aus beruflichen Gründen sehr interessant. Bei einem Kaffee schüttete er mir dann sein Herz über die Familie aus, die ihn adoptiert hatte. Sie waren gleichzeitig seine Verwandten. Dabei berichtete Thomas mir gegenüber über seine Vermutung, von der Verwandtschaft, bei der er jetzt lebte, um das Erbe seiner Eltern betrogen worden zu sein. Thomas bat mich, sich seiner Sache anzunehmen und ihm zu helfen und Klarheit in diese dunkle Angelegenheit zu bringen. Für mich war eigentlich klar, dass mein Freund innerhalb seiner neuen Familie einem großen Betrug zum Opfer gefallen war, der sich bestimmt schnell aufklären ließ.

„Ich werde dir natürlich versuchen zu helfen, gar keine Frage. Aber zunächst müssen wir erst einmal eine Anzeige aufnehmen. Das macht mein Kollege, Oberkommissar Klaus Brunnack. Wir können gleich mal zu ihm rübergehen“, machte ich den Vorschlag. Aber Thomas machte gleich einen Rückzieher, als er meinte:

„Dirk, Augenblick noch, nicht so hastig. Eigentlich wollte ich erst doch noch einmal einen Versuch starten und mit meinem Adoptivvater sprechen. Er ist ja schließlich Rechtsanwalt und müsste mir alles doch plausibel erklären können, wo mein Erbe geblieben ist und was mit unserem Haus in Zehlendorf passiert ist.“

„Wie du meinst. Das kannst du natürlich machen. Wir können die Anzeige ja aufnehmen und wenn du dir bei deinem Vater Klarheit verschafft hast, kannst du deine Anzeige auch wieder zurückziehen.“

„Nein, nein, lass mal. Ich hoffe, ohne eine Anzeige klar zu kommen.“

Thomas war sich zu diesem Zeitpunkt noch unsicher und ging eigentlich unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Er wollte nicht wahrhaben, dass er von seinen jetzigen Stiefeltern, die gleichzeitig Verwandte waren, so hintergangen und betrogen wurde. Außerdem gab es noch die Brüder Walter und Benjamin in der Familie. Spielten sie in Thomas Erbschaftsangelegenheit überhaupt eine Rolle? Mir ließ diese ganze Geschichte keine Ruhe mehr. Vor allem die ungeklärte Frage, ob der Verkehrsunfall damals, bei dem Thomas Eltern ums Leben kamen, vorsätzlich herbeigeführt wurde. Ich ließ mir noch einmal den Unfallbericht und auch die alte Akte von dem Team der Drogenfahndung, in dem ich nach dem Studium meinen Dienst begann, bringen. Der Bericht beinhaltete den damaligen Stand über die Ermittlungen gegen einen internationalen Schmugglerring der scheinbar seinen Hauptsitz in Peru, in Lima, mit deutscher Beteiligung hatte. Es wurde sogar vermutet, dass der Kopf dieses Schmugglerringes ein Deutscher war. Um das herauszufinden, wurde die Bundespolizei in die Ermittlungen einbezogen. Zu den Fahndern gehörte zu dieser Zeit unsere frühere nette Kollegin Carola Wiedmeyer. Sie war fast 34 Jahre alt, als sie seinerzeit in dem Fall als verdeckte Ermittlerin nach Peru geschickt wurde und dort in Lima tätig war. Gleichzeitig durfte sie die Dienstreise nutzen, um ihre sechs Jahre ältere Schwester Margarete und ihren Schwager, Dr. Rudolf zur Mühlenburg zu besuchen. Ihr Schwager war zu dieser Zeit an der Deutschen Botschaft in Lima tätig. Nebenher holte ich mir an anderer Stelle ein paar Auskünfte über einen Rechtsanwalt Dr. Rudolf zur Mühlenburg ein und war überrascht, was ich herausfand. Trotzdem konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, worauf ich mich einließ, als ich mich intensiver mit der Geschichte der Familie zur Mühlenburg befasste, denn es wurde mehr daraus als nur ein Erbschaftsstreit.

Die vorliegende Akte enthielt auch einen langen Bericht von Carola Wiedmeyer über ihren damaligen Einsatz. Die Akte las sich beinahe wie ein schlechter Kriminalroman. Demnach hatte sie unter anderem zufällig durch ihren Besuch einen Überfall auf das Anwesen der Familie ihrer Schwester Margarete zur Mühlenburg live miterlebt und konnte ihre Schwester retten und dabei Schlimmeres verhindern. Bei dem Einsatz ihrer Dienstwaffe hatte sie sich zwangsläufig als Polizistin zu erkennen geben müssen. Ihre Schwester Margarete fühlte sich trotz der gefährlichen Situation von Carola hintergangen, weil sie nicht wusste, dass sie sich in Lima als Polizistin aufhielt und der Besuch bei ihr zu ihrem runden Geburtstag ein Vorwand war. Der Bericht umfasste noch weitere Details über den damaligen suspendierten Botschafter Dr. Rudolf zur Mühlenburg, die aber nichts Wesentliches brachten. Ich wusste, dass er der Schwager unserer Kollegin war. Was ich allerdings nicht wusste und erst von meinem Freund erfuhr, dass seine Mutter während ihres Aufenthalts in Peru mit ihrem Schwager Dr. Rudolf zur Mühlenburg eine heftige Affäre hatte und ihre Schwester Margarete hintergangen hatte. Ein paar Jahre später, nachdem die Familie zur Mühlenburg wieder nach Deutschland zurückgekehrt war, gab es kurz darauf diesen mysteriösen Verkehrsunfall, bei dem das Ehepaar Wiedmeyer tödlich verunglückte. Es konnte nie geklärt werden, ob es sich dabei um einen Mordanschlag handelte, der im Zusammenhang mit den polizeilichen Ermittlungen der Carola Wiedmeyer als Undercover in der Drogenkriminalität handelte. Mein Freund Thomas wurde von den Mühlenburgs daraufhin adoptiert. Aber was war mit der Erbschaft meines Freundes passiert? Plötzlich ergaben sich Fragen über Fragen, die noch zu klären waren. Dass dann im Laufe der Zeit daraus ein Kriminalfall wurde, in den die Familie zur Mühlenburg involviert war und uns vier Freunde vom damaligen Kleeblatt der Hohenzollern beschäftigte und geklärt wurde, konnte niemand vorhersagen.

Die Familie zur Mühlenburg

Peru, Lima, Juni 1974

Dr. Rudolf zur Mühlenburg war ein Rechtsanwalt. Er hatte außerdem zu seinem Jurastudium seinerzeit eine Ausbildung für den diplomatischen Dienst erfolgreich abgeschlossen und war dann von der Bundesregierung nach Lima in Peru an die deutsche Botschaft berufen worden. Seine Familie sollte ihm etwas später folgen. Seine Frau hatte sehr gemischte Gefühle und war ängstlich, ihre Heimat und das schöne Haus und Grundstück in Berlin-Zehlendorf ins Ungewisse zu verlassen. Damals unterlief ihm als Rechtsanwalt ein gravierender Fehler, als er im Amt in seiner neuen Tätigkeit als Botschafter in Lima unbedarft eine Gratifikation entgegennahm, die ihn erpressbar machte. Innerhalb kurzer Zeit geriet Dr. Rudolf zur Mühlenburg in die Fänge der Drogenmafia und war bald voll in den Schmuggel mit Kokain nach Europa integriert. Damit begann für ihn ein Doppelleben, auf der einen Seite als biederer Vertreter der Deutschen Botschaft und zum anderen als Geschäftsmann im illegalen Drogenschmuggel. Er wurde in diesem Geschäft sogar zu einer Schlüsselfigur. Welchen Rang oder welche Stellung er dabei in dieser Zeit innerhalb eines Kartells hatte, konnte nicht vor Ort ermittelt, sondern nur vermutet werden. Jedenfalls war er seitdem nicht nur wegen der Tätigkeit in der Botschaft ständig von ein bis drei Bodyguards umgeben. Sie wurden von ihm selbst finanziert, wie im Laufe der Ermittlungen festgestellt wurde. Die vielen Namen seiner Bodyguards sowie die von Zoll- und sogar Polizeibeamten standen bei ihm auf einer Gehaltsliste, ganz oben stand auch ein Drogenhändler aus Andahuaylas. Zuletzt reichte die lange Namensliste bis hin zu einigen Mochileros. So wurden junge Peruaner bezeichnet, die als Rucksackkuriere das Kokain, meist als Paste, zu Fuß viele kilometerweit lange Wege zu seinem Drogenhändler in die fast 3000 m hoch gelegene Stadt Andahuaylas lieferten. Von dort transportierten die Händler mit sehr einfallsreichen Methoden die begehrte Droge meist bis zum Hafen von Callao direkt am Pazifik. Während die Mochileros, die in der meist dünnen Höhenluft weite und lebensgefährliche schmale Pfade, vorbei an tiefen Schluchten und reißenden Flüssen aus den versteckt entfernt liegenden Anbaugebieten über die Anden zurücklegen mussten und mit ein paar lumpigen Dollar abgespeist wurden, verbesserte sich die finanzielle Situation von Dr. Rudolf zur Mühlenburg mit seinen lukrativen Schmuggelgeschäften innerhalb kurzer Zeit auf ein traumhaftes Vielfaches. Das auf diese Art und Weise leicht verdiente Geld wurde von ihm sicherheitshalber auf Konten nach Europa transferiert. Durch seine Immunität, die er an der Botschaft genoss, fühlte er sich mit seinen illegalen Geschäften sicher, zu sicher, wie sich später herausstellte.

Es war Anfang Juni, als der Botschaftsangehörige Dr. Rudolf zur Mühlenburg wie jeden Morgen bei einer Tasse Kaffee einen Blick in die Tageszeitung warf. Als er einen Bericht über eine Schießerei in unmittelbarer Nähe der Stadt Andahuaylas las, erschrak er sehr. Es wurde von einem bewaffneten Überfall auf drei Mochileros berichtet, die ihre mitgeführte Kokapaste einem Drogenhändler liefern wollten. Es gab bei dem Schusswechsel auf beiden Seiten insgesamt zwei Tote und drei Verletzte. Weiter las er in dem Bericht, dass die Verletzten zusammen mit einem gewissen Romero Carilla, einem Drogenhändler, von der Polizei festgenommen wurden. Rudolf zur Mühlenburg wusste sofort, dass es sich um seine Leute handelte. Die Verletzten waren zwei seiner Kuriere. Es waren verlässliche Leute von dem Volk der Quechua, den indigenen Ureinwohnern, ebenso Romero Carilla, der immer den besten Einfall für den sicheren Weitertransport des Kokains oder der beigefarbenen Kokapaste hatte und organisierte. Die Ware traf jedenfalls bisher immer pünktlich auf dem Hafengelände von Callao ein oder wurde bestens verpackt in einem Dienstwagen direkt zu ihm in die Botschaft gebracht.

„Verdammt“, kam es leise zischend über seine Lippen und er schlug dabei mit der Faust auf den Tisch, als er den Artikel zu Ende gelesen hatte. Im nächsten Augenblick rief er Pedro Hernandez zu sich herein. Er war sein enger Vertrauter, Sekretär, Bodyguard und Fahrer und gab ihm Anweisungen. Pedro sollte sich sofort um diese Angelegenheit kümmern und ihn unterrichten, wieviel von der Ware gestohlen wurde und in welchen Händen sie sich inzwischen befand. Das musste jetzt schnell gehen, um zu erfahren, welche bewaffnete Gang oder Guerillagruppe hinter dem Überfall steckte oder ob es andere Mochileros waren, die das Kokain von seinen Leuten gestohlen hatten.

Ein paar Wochen später war es endlich soweit. Margarete zur Mühlenburg hatte in Deutschland alle Formalitäten erledigt. Die letzten Habseligkeiten waren in dem bereits vollen Container schon acht Tage vorher verstaut worden und die Koffer waren gepackt. Sie fürchtete sich vor dem nicht enden wollenden langen Flug nach Lima. Margarete sehnte sich aber danach, wieder von ihrem Rudolf in die Arme genommen zu werden. Walter und Benjamin waren vor der langen Reise schon ganz aufgeregt und auf die neue Heimat und auf die Schule gespannt, in die ihre beiden Kinder künftig gehen sollten. Am Abend vor der Abreise griff Margarete noch einmal zum Telefon. Wie immer dauerte es einen Augenblick, bis die Verbindung klappte.

„Zur Mühlenburg“, hörte sie endlich Rudolfs vertraute sonore Stimme.

„Hallo Rudi, wollte mich nur noch von hier ein letztes Mal per Telefon melden. Morgen hast du uns wieder oder besser gesagt, wir dich. Benjamin und Walter können es kaum erwarten, dass uns ein Taxi abholt und hier zum Flughafen bringt.“

„Und ich kann es kaum erwarten, euch hier zu empfangen. Wann müsst ihr denn morgen los?“

„Das Taxi habe ich für uns zu 6:00 Uhr bestellt. Da haben wir dann genügend Zeit mit dem Einchecken. Aber was ich dir noch sagen wollte, der Container mit unserem Hab- und Gut ist vor vier Tagen abgeholt worden. Hoffentlich kommt auch alles gut an. Und die Kinder habe ich gestern im Kindergarten und in der Schule abgemeldet. Benjamin wird sowieso seinen Schulbeginn dort in Lima erleben. Also, alles ist für die Abreise perfekt. Übrigens, hast du denn nun inzwischen für uns eine passende und ansprechende Wohnung finden können?“ Es war wieder wie jedes Mal Margaretes nächste bange Frage.

„Ich habe mich schon darum gekümmert. Es bleibt aber eine Überraschung. Wir haben hier jedenfalls eine schöne Wohnung. Und die Kinder, das heißt zunächst Walter, werden hier sogar in eine deutsche Schule Alexander von Humboldt eingeschult und zwar in Miraflores. Das ist ein Stadtteil von Lima. Ich habe mich bereits schlau gemacht. Ein Kindergarten ist dort ebenfalls vorhanden.“

„Hört sich ja alles gut an. Ich hoffe, dass du mit allem Recht hast.“

„Ich denke, es wird euch bestimmt gefallen. Also dann guten Flug und bis übermorgen. Ich freue mich. Ich nehme euch gleich hier am Terminal vom Flughafen Jorge Chávez in Empfang“, konnte er schnell noch sagen. Dann war das Gespräch plötzlich abgebrochen. Hin und wieder gab es eine Störung mit der Telefonverbindung. Dr. Rudolf zur Mühlenburg hatte ein paar Wochen vor der Ankunft eine Luxus-Villa kaufen können und bereits mit entsprechenden Möbeln ausstatten lassen, bis auf ein paar persönliche Dinge, die noch mit dem Container unterwegs waren. Die Villa hielt er für seine Familie sehr geeignet. Aus Sicherheitsgründen hatte er in der Villa und auch außen einiges verändern und umbauen lassen. Das Anwesen, als Teil der Botschaft, wurde auch von einem Sicherheitsdienst ständig bewacht.

Nach einem sechzehnstündigen Flug traf seine Familie ein. Er wartete im Terminal am Ausgang, seine Bodyguards immer in unmittelbarer Nähe. Die beiden Jungen rannten so schnell sie konnten zu ihrem Vater, als sie ihn unter den vielen Leuten entdeckten. Margarete folgte mit dem Gepäck auf dem Rolli einen Augenblick später. „Da seid ihr ja endlich!“ rief Rudolf freudig. Dann konnte er Margarete nach langer Zeit endlich in seine Arme schließen und es gab einen langen Kuss zur Begrüßung, bevor sie die Blumen in Empfang nahm. Als sie sich wieder voneinander lösten, erschrak sie aber und schrie laut und energisch in spanischer Sprache: „Stop! Mi maletas!“ Zwei für Margarete fremde Männer griffen gerade nach ihren Koffern, um diese zu stehlen, wie sie meinte. Sie wollte auf sie zueilen, aber Rudolf hielt sie zurück.

„Brauchst in dem Fall keine Angst haben. Meine Leute bringen das Gepäck zum Parkplatz“, beruhigte er sie.

„Wieso gehören die Männer, die ich gar nicht kenne, auch zum Begrüßungskomitee?“

„Nein, nein, von der Botschaft kommen halt immer ein paar Sicherheitsleute mit. Sie fahren uns jetzt zu unserem Haus.“

„Gleich mit zwei Autos? Ist es denn hier so gefährlich? Sieht doch alles so friedlich aus“, erwiderte Margarete.

„Der Schein kann auch manchmal trügen. Aber das zweite Auto ist für euer Gepäck. Komm, meine Leute haben schon die Koffer und Taschen verstaut. Wir fahren jetzt zu unseren neuen zu Hause. Ich kann es schon gar nicht mehr erwarten, dir endlich alles zu zeigen“, meinte Rudolf und konnte ein leichtes Grinsen nicht verbergen.

Sie stiegen in die erste bereitgestellte Limousine mit einem der Bodyguards als Fahrer, während die anderen drei mit dem Gepäck im zweiten Wagen folgten.

Die Fahrt vom Flughafen in der Nähe des Hafens von Callao dauerte bis zum Viertel nach San Pedro in der Gegend Pachacamac südlich von Lima etwa 30 Minuten. Hohe Gebäude mit modernen Fassaden und ein bisschen Grün dazwischen wechselten sich mit einfachen sehr ärmlichen Behausungen innerhalb der Stadt ab. Zunächst fuhren sie über die Avenida Tomás Valle entlang und bogen dann am Plaza Norte nach rechts auf die vom Norden her durch die Stadt Lima führende Carretera Panamericana weiter in Richtung Süden.

„Ich glaube, dass manches gegenüber Deutschland sicher sehr gewöhnungsbedürftig sein wird, wenn ich das alles hier so im Vorbeifahren sehe. Das wird wohl eine Weile dauern, mich hier einzuleben“, äußerte sich Margarete etwas besorgt und erstaunt über die fremde Umgebung, als sie mal rechts oder links aus dem Wagen schaute.

„Das ist aber nicht in jedem Stadtteil so. Natürlich ist hier nicht Europa oder Deutschland“, entgegnete Rudolf.

Walter und Benjamin fanden es dagegen cool, dass der Wagen mit ihrem Gepäck vor ihnen mit Blaulicht fuhr.

„Papa, haben wir auch Blaulicht auf dem Auto?“

„Ja, ja, wir auch“, erwiderte Pedro, der Fahrer. Er sprach etwas deutsch mit Akzent.

In schneller Fahrt gelangten sie aus der Stadt heraus. Sie fuhren noch ein Stück entlang der Pazifikküste und bogen etwas später unmittelbar hinter der Ölraffinerie nach links in die Antigua Panamericana Sur ab.

Der kleine Konvoi war nicht unbeobachtet geblieben. Es war den Fahrern der Limousinen bei dem dichten Verkehr nicht gleich aufgefallen, dass sie abwechselnd von verschiedenen Fahrzeugen verfolgt wurden.

Bis zum Stadtviertel von San Fernando, wo sich das neue Anwesen der Mühlenburgs befand, waren nur noch wenige Kilometer zu fahren. Sie mussten nur noch den Fluss Lurin überqueren. Zuvor war ein Stück Straße zu passieren, wo beidseitig scheinbar erst mit dem Bau von Häusern begonnen wurde. Letztendlich waren es mehr Behausungen, von denen nur rötliche ungeputzte Ziegelwände wahrzunehmen waren.

„Einladend ist diese eher trostlose Gegend hier ja nicht gerade. Ich dachte, dass du für uns in der Stadt eine schöne Wohnung gemietet hast, wo unsere Kinder in der Nähe zur Schule gehen können. Aber das du uns hier in der Pampa aussetzen willst …. Weiter konnte sie ihre Bedenken nach den ersten Eindrücken in dieser fremden Gegend nicht äußern, denn gerade in diesem Augenblick gab es einen ohrenbetäubenden Knall. Aus ihrem Mund hörte man fast zu gleicher Zeit nur noch einen markerschütternden gellenden Aufschrei vor Schreck. Eine Explosion am Straßenrand erschütterte nämlich in diesem Moment die Gegend. Dabei wurde eine riesige dichte Staubwolke trockener ausgedörrter Erde zusammen mit dem Dreck von der Straße aufgewirbelt, die die Sicht auf der Straße zunächst unmöglich machte und beide Limousinen wurden für kurze Zeit unsichtbar. Die Explosion hatte sogar die halbe Fahrbahn aufgerissen. Kleine Steine, Metallsplitter und Erde flogen zusammen mit etwas größere Gesteinsbrocken umher und prasselten dabei gegen die beiden Fahrzeuge. Durch die Druckwelle wurde die vordere Limousine etwas zur Seite auf die andere Fahrbahn geschleudert. Pedro hatte in der Schrecksekunde trotzdem gut reagieren können. Er brachte den Wagen mit einem leichten Schlingern bei einer Vollbremsung zum Stehen. An der Karosse konnte man doch einige Blessuren erkennen, nachdem Pedro die Limousine vom gröbsten Dreck freigelegt hatte. Auch der Fahrer des hinteren Wagens konnte schnell genug reagieren. Die Windschutzscheiben hielten bei beiden Wagen den aufprallenden kleineren Steinen stand.

Auch Benjamin und Walter schrien vor Angst und weinten. Sie klammerten sich dabei ängstlich an ihre Mutter.

Während Margarete und die Kinder erschrocken laut aufschrien und vor Angst weinten, hatte sich Dr. Rudolf zur Mühlenburg bereits nach einigen Schrecksekunden wieder beruhigt. Er wusste, dass der Anschlag im Zusammenhang mit dem Überfall auf seine Drogenkuriere ihm galt und eine ernstzunehmende Warnung war.

Jetzt weiß ich aber, dass es meinen Leuten gelungen ist, das gestohlene Kokain nach dem Überfall wiederzuholen. Dieser Anschlag hier war bestimmt die Rache dafür, dachte Rudolf. Dann kann ich wenigstens pünktlich den nächsten präparierten Koffer mit der Ware als ein Stück meines Diplomatengepäcks nach Deutschland schicken. Zwei präparierte Koffer haben wir ja noch bei Carillo.

Pedro und auch der Fahrer des zweiten Wagens hatten sehr gut reagiert und die Limousinen mit quietschenden Reifen beim Bremsen zum Stehen gebracht. Die Männer aus dem zweiten Wagen waren rausgesprungen und zwei von ihnen nach vorn geeilt, um eventuell Hilfe zu leisten. Gott sei Dank blieben alle unversehrt. Margarete starrte wie abwesend vor sich hin und sprach zunächst kein Wort. Nachdem der erste Schock nachließ, sprach sie immer wieder leise vor sich hin:

„Wären wir nur in Deutschland geblieben.“

Ihr standen noch immer der Schrecken im Gesicht. Sie hielt im Fond der Limousine ihre Jungen in den Armen. Die schmiegten sich immer noch voller Angst an ihre Mutter. Aber sie weinten nicht mehr.

Inzwischen hatte sich der aufgewirbelte Straßenstaub langsam wieder gelegt. Dann konnte man bereits in der Nähe das Sondersignal von zwei vom nahen Comissario Panchacamac kommenden Polizeiwagen hören und kurz darauf auch das Blaulicht sehen. Auch ein Rettungswagen der Ambulanz kam angefahren. Er kam schnell näher und wirbelte beim starken Bremsen weiteren Staub auf. Die Rettungssanitäter kümmerten sich zuerst um die Kinder und Margarete. Alle drei waren nicht verletzt. Sie standen aber immer noch unter Schock. Die verängstigten Jungen kuschelten sich auf dem Rücksitz gleich wieder an ihre Mutter. Die Polizisten sorgten gleich für entsprechende Absperrungen im Umkreis der Explosionsstelle. Sie begannen mit einigen Befragungen und nahmen Protokolle auf. Wie die weiteren Ermittlungen der Polizei dann ergaben, erfolgte die Explosion durch einen ferngezündeten Sprengsatz.

In der Zeitung wurde am nächsten Tag in einem großen Artikel von dem versuchten Attentat auf den Vertreter der Deutschen Botschaft mit seiner Familie berichtet und dass alle unverletzt blieben.

Die Familie zur Mühlenburg konnte etwa eine Stunde nach dem Vorfall ihre Fahrt fortsetzen. Margarete hatte sich wieder gefangen und langsam von dem Schock erholt. Es war ja Gott sei Dank niemand verletzt worden. Nachdem sie die Brücke über den Lurin überquert hatten, bogen sie einen Augenblick später in die Avenida Manuel Valle und von dieser nach rechts in die Avenida Fernando Reusche.

„Jetzt haben wir es gleich geschafft und sind zu Hause.“ Mit diesen Worten versuchte Rudi seine Greta und die Kinder aufzumuntern, die immer noch die fremde Gegend rechts und links der Straße ängstlich und argwöhnisch musterten. Dann bogen sie in die Avenida Casa Hacienda ab. Die Straße stieg an dieser Stelle etwas an und führte über eine Anhöhe an dem Villengrundstück der Mühlenburgs vorbei. Oben angekommen, hielten die beiden Limousinen zunächst kurz vor der Zufahrt. Walter und Benjamin hatten die Türen bereits geöffnet und wollten aussteigen. Sie wurden aber von ihrem Vater zurückgehalten.

„Bleibt noch sitzen. Wir fahren erst auf das Grundstück“, forderte er seine Familie auf.

Sie mussten einen Augenblick warten, bis sich das schwere zweiflüglige schmiedeeiserne Tor automatisch weit geöffnet hatte. Daneben stand ein Sicherheitsbeamter, der den Knopf für die elektrisch betriebene Türöffnung betätigt hatte und nun die Ankömmlinge musterte. Beidseitig des Tores war an Stelle des Zaunes auf einer Länge von jeweils 50 m eine Sichtschutzmauer errichtet worden. Derartige Mauern aus Ziegelsteinen prägten oft das Straßenbild. Meistens blieben diese unverputzt. Hier waren die Sichtschutzmauern mit Bougainvillea überwachsen. Die Fülle der pinkfarbenen Blüten, die in der Sonne weithin leuchteten, verdeckten die tristen weißen Betonwände fast vollständig. Über die Mauer hinweg konnte man bereits die höher gelegene Villa von weitem sehen, denn der größte Teil des unüberschaubaren Grundstücks wurde von einem Felsplateau als höchste Erhebung von dieser rundum hügligen Landschaft geprägt. Trotzdem gab es einen üppigen Bestand landestypischer Bäume und Sträucher neben dem dunklen Felsplateau. Auf diesem Plateau war die Villa halb in den Felsen hineingebaut worden und wirkte aus einiger Entfernung wie eine Bastion. Von dort oben hatte man in die weitläufige Landschaft einen herrlichen Blick bis zu den Ausläufern der Anden als auch bis zur Küste des Pazifiks. Die weißen Fassaden und Säulen der Balustraden erstrahlten weithin in der langsam untergehenden Abendsonne.

Vor der Einfahrt zur Tiefgarage, die in den Felsen wie ein Tunnel getrieben war, hielten sie an und stiegen ziemlich mitgenommen und von der langen Reise sehr müde aus dem leicht demolierten Wagen. Erwartungsvoll blickte Rudolf in Margaretes erstauntes Gesicht, um eventuell aufkommende Freude zu erkennen. Dann nahm er sie in den Arm und zog sie an sich.

„Na, was sagst du? Gefällt dir unser neues zu Hause?“ wollte Rudolf wissen.

„Na, von hier unten sieht alles gewaltig und beeindruckend aus. Aber ich habe das Haus und alles drum herum ja noch nicht näher sehen können. Im ersten Augenblick habe ich eher den Eindruck, vor einer bewachten Festung zu stehen. Die dauernde Anwesenheit der Bodyguards und auch des Wachschutzes empfinde ich eher als unangenehm. Daran werde ich mich erst noch gewöhnen müssen“, gab ihm seine Frau zu verstehen.

„Für mich war es anfangs auch ungewohnt. Aber lass uns jetzt erst einmal innen einen Rundgang durch unser Haus machen.“ Dann wandte sich an seine Jungen. „Los Kinder, wir gehen die Treppe hoch ins Haus. Ich will euch eure Zimmer zeigen.“

Die Jungen stürmten die Treppenanlage in einem Wettlauf hoch. Jeder wollte zuerst am Hauseingang sein. Ihre Mutter und ihr Vater kamen langsam hinterher. Seine Greta ließ sich etwas mehr Zeit und ging langsam die Stufen hinauf. Sie musste zunächst die in bunter Vielfalt vorhandenen fremden Pflanzen rechts und links des Zugangs nach oben zur Villa bestaunen. Zwischendurch verharrten sie auch mal einen Augenblick, um auch einen Blick von der Treppe in die Landschaft zu werfen. Margarete war inzwischen von dem Grundstück doch sehr angetan, auch wenn sie es noch nicht zugeben wollte. „Die vielen Pflanzen muss ich mir in den nächsten Tagen noch mal genauer ansehen. Die sind ja wunderschön“, sagte sie zu Rudolf beim Weitergehen.

Dann hatten sie beide das Eingangsportal der Villa mit der Tür aus Zedernholz erreicht. Rudolf zeigte ihr beim Rundgang ein Zimmer nach dem anderen und Margarete staunte noch mehr, was sie alles zu sehen bekam. Die neue Villa war zweigeschossig, wobei die untere Etage ein Stück in den felsigen Untergrund hineingebaut wurde. Die luxuriöse Villa befand sich im Stadtviertel San Fernando in unmittelbarer Nähe südlich der Hauptstadt Lima. Es war eine begehrte Gegend von Pachacámac. Die Villa befand sich auf einem 6000 m2 großem Grundstück, das einem Felsplateau ähnelte und auf einer Anhöhe lag. Etwa ein Drittel der Fläche waren meist felsige Böschungsflächen, die nach zwei Seiten einige Meter teilweise schroff abfielen.

„Es ist ja alles wunderschön, Rudi. Aber warum hast du denn für uns so eine prunkvolle Villa mit diesem riesigen Gelände von Grundstück gekauft?“

„Das ist ganz einfach zu erklären. Ich habe bei meinen Überlegungen zum Kauf dieser Villa an eine Wertanlage und dabei an dich, Walter und Benjamin gedacht. Wir werden ein Testament machen. Ich möchte, dass nach meinem Tod einmal eine möglichst große Erbmasse vorhanden ist, die dann unter euch aufgeteilt wird. Und diese Immobilie, die jetzt in unserem Besitz ist, wird später einmal immer noch gewinnbringend verkauft werden können. Der Distrikt Pachacámac hier ist eine bevorzugte Gegend. Beim Vorbeifahren hast du ja heute sehen können, dass hier noch sehr viel gebaut wird. Unsere Villa mit dieser exponierten Lage lässt sich bestimmt einmal zu einem guten Preis verkaufen.“

„Das ist ja sehr lobenswert von dir“, erwiderte Greta, „aber ich denke, dass wir in unserem Alter doch noch kein Testament machen müssen. Denkst du jetzt schon an den Tod, wo wir gerade erst in die Villa einziehen und unser Leben hier einrichten?“

„Man kann ein Testament gar nicht früh genug machen. Ändern lässt sich darin jederzeit etwas. Du hast ja heute gesehen, wie schnell etwas passieren kann.“

„Na, dann setz in Gottes Namen ein Testament für uns auf. Du bist ja der Rechtsanwalt und kennst dich damit aus. Wo sind eigentlich unsere Kinder geblieben?“

„Vielleicht draußen …“. Weiter konnte er nicht sprechen, denn plötzlich klingelte sein Mobiltelefon. Er schaute auf das Display und nahm auch gleich das Gespräch entgegen, während Margarete den Raum verlassen hatte, um nach den Jungen im Garten oder besser weitläufigem Gelände zu suchen.

„Digame!“ meldete sich Rudolf und sprach dann gleich in der spanischen Sprache weiter. Am anderen Ende der Leitung war sein Sekretär, der Vollzug meldete und dass sein Händler Romero Carilla von der Polizei wieder frei gelassen wurde. Bei ihm wurde bei einer durchgeführten Razzia weder Kokain noch Kokapaste gefunden. Carilla kannte derartige Maßnahmen und hatte Vorsorge getroffen. Es gab viele Polizisten. Die bestechlich waren und so bei einer Razzia nichts fanden. Die gelieferte Kokapaste sowie das fertige Kokain gelangten bei Carilla sowieso sofort in ein sicheres, für die Polizei unauffindbares Zwischenlager. Von dort wurde es in etwas ruhigeren Zeiten umgepackt und weitertransportiert. So konnte ihm letztendlich kein Drogenhandel nachgewiesen werden.

Gott sei Dank ist Carilla wieder frei. Dann kommen meine Warenlieferungen weiterhin pünktlich zum Hafen. Auf Carillo ist eben Verlass. Auch die zunächst durch den Überfall in Gefahr geratene Lieferung gelangt nun pünktlich zum Hafen, dachte Rudolf zur Mühlenburg. Er hatte das Gespräch erleichtert aufgenommen.

„Ist was passiert?“ wollte Greta wissen, als sie mit den Kindern hereinkam und Rudolf das Telefonat gerade beendet hatte.

„Nein, nein, es war nur mein Sekretär, der mich über einen wichtigen Vorgang informieren sollte. Es ist alles geregelt“, antwortete er erleichtert und wurde sogleich von seinen Jungs in Beschlag genommen, die meinten: „Papa, das ist hier so richtig cool.“ „Na das freut mich. Dann habe ich doch das richtige Haus gekauft.“

Greta, wie Rudolf seine Margarete meistens nannte, war beinahe sprachlos, als sie den Rundgang durch die großzügig und luxuriös eingerichteten Zimmer beendet hatten und konnte nur staunen. Sie fragte nicht danach, wie er in kurzer Zeit so viel Geld verdienen konnte. Die Kinder Walter und Benjamin hatten schnell von ihren geräumigen Zimmern und nachmittags noch von dem großen nierenförmigen Pool mit dem künstlichen Wasserfall im Garten Besitz ergriffen. Sie planschten darin wild herum oder sie tollten auf dem weitläufigen Grundstück umher. Ein paar Monate später wurden Walter und Benjamin in der deutschen Schule in Lima, im Stadtteil Miraflores eingeschult.

Jeden Morgen wurden die beiden von einem der Bodyguards zur Schule gefahren und von dort auch wieder abgeholt. Die anfänglichen Schwierigkeiten an der Schule waren bald überwunden und sie hatten schnell Freunde gefunden.

Die Einfriedung des weitläufigen Grundstücks am Fuß der Böschung bestand aus einem 2,0 m hohen Sicherheitszaun mit Übersteigschutz und ausgestattet mit Alarmanlage. Der Hauptzugang war durch ein zweiflügliges schmiedeeisernes Tor mit 2,0 m Höhe und Elektroantrieb gesichert. Hinter dem schweren Tor führte im Außenbereich von der breiten Zufahrt zur Tiefgarage eine ebenso breite Treppenanlage zum Eingang der Villa. Die Tiefgarage selbst war wie beim Tunnelbau in den Felsen getrieben worden. Von dort gelangte man über eine Wendeltreppe oder mit einem Lift, der eigentlich mehr als Lastenaufzug gedacht war, dann aber doch als Personenlift etwas umgebaut wurde, in die Eingangshalle der unteren Etage der Villa. Rudolf hatte noch eine weitere bauliche Veränderung vornehmen lassen, so dass man im Notfall über eine geheime Zahlenkombination sogar in die zweite Etage gelangen konnte. Der geheim gehaltene Ein- und Ausstieg des Lifts befand sich dort hinter einer Stellwand eines begehbaren Kleiderschrankes in einem der größeren vier Schlafzimmer. Die Wand ließ sich auf Knopfdruck zur Seite schieben. Es handelte sich hier um die Master-Suite mit einem eleganten Luxus-Badezimmer mit viel Marmor sowie verglaster Dusche und Jacuzzi.

Darüber hinaus wurde das Grundstück mit der luxuriösen Villa ständig von Mitarbeitern vom Security bewacht. Sie hatten unmittelbar hinter der Sichtschutzmauer neben der Grundstückszufahrt in einem kleineren Gebäude des Servicebereiches ihre Diensträume. Von dort wurde das Gelände des Anwesens über Monitore überwacht. An die ständige Bewachung, die eine gewisse Sicherheit bieten sollte, konnte sich Magarete zur Mühlenburg nie gewöhnen. Sie fühlte sich ständig wie in einem offenen Gefängnis oder in einer Festung.

Mit einem Blick vom Haus in den wunderschön angelegten weitläufigen Garten mit einer Poollandschaft mit einem künstlichen Wasserfall, der aus einem Tiefbrunnen gespeist wurde, sowie auf die blühenden exotischen Pflanzen, tröstete sich Margarete zur Mühlenburg jedes Mal. Es machte das ständig bewachte und überwachte Leben in dieser Villa mit dem riesigen Grundstück vergessen.

Das Anwesen beherbergte außerdem ein ansehnliches rustikales Gästehaus mit einem Kamin im Wohnraum. Vom Haupthaus führte ein gepflasterter Weg dorthin, vorbei an der sehr großen überdachten Terrasse mit rundem Steinofen, Edelstahlgrill und Kochbereich. Im Gästehaus gab es neben dem modern eingerichteten Wohnraum noch weitere drei Schlafzimmer und zwei Bäder.

Während der Zeit seiner Auslandstätigkeit in Lima an der Botschaft hatte Rudolf zur Mühlenburg seine Schwägerin Carola, die sechs Jahre jüngere Schwester seiner Frau, leider aus den Augen verloren. Von den sehr wenigen familiären Begegnungen hin und wieder in Deutschland waren manche Dinge in Vergessenheit geraten. Mit seinem Schwager hatte er sowieso selten Kontakt. Die beiden hatten einen Monat vor seiner Abreise geheiratet. Er erinnerte sich, dass er seinen Schwager Richard bei der Hochzeit mit der schönen Frau an seiner Seite beneidet hatte. Er fand seine Schwägerin sehr sexy und begehrenswert. Am liebsten hätte er mit ihr eine Affäre gehabt. Alles andere interessierte ihn nicht, denn er war selbst mit seiner Karriere beschäftigt. Für die Berufsausbildung seiner sehr attraktiven Schwägerin Carola hatte er sich nie interessiert. Er war mit seiner eigenen Karriere viel zu sehr beschäftigt und wusste nur, dass er seine junge Schwägerin damals schon sehr attraktiv und anziehend fand. Verschiedene vorangegangene familiäre Begegnungen bei irgendwelchen Festivitäten ließen sein Herz jedes Mal höher schlagen, wenn er sie sah. Aber das lag einige Jahre zurück.

Und so wusste Rudolf zur Mühlenburg auch nicht, dass sich seine Schwägerin damals bei der Polizei beworben hatte und inzwischen bei der Kriminalpolizei arbeitete. In wenigen Jahren war sie bis zur Hauptkommissarin befördert worden. Nun war sie in der Drogenfahndung beim BKA tätig.

Und Dr. Rudolf zur Mühlenburg ahnte auch nicht, dass er mit seinen dubiosen Geschäften selbst bereits ins Visier der Ermittlungen geraten war.

Margarete zur Mühlenburg hatte nach der Ankündigung des Besuchs ihrer Schwester alle Vorkehrungen treffen lassen, um im Gästehaus Carola zu beherbergen. Ihre Haushälterin Rosa hatte entsprechend ihrer Anweisung eines der Schlafzimmer im Gästehaus für den langersehnten Besuch nett hergerichtet. Margarete wusste nicht, dass ihre Schwester als verdeckte Ermittlerin im Einsatz war. Carola hatte ihr Kommen zu diesem Event auf Grund der von ihrer Schwester erhaltenen Einladung ein paar Wochen zuvor angekündigt, allerdings allein. Carolas Mann Richard musste zu dieser Zeit zu einem wichtigen Kongress nach Kanada. Margarete freute sich trotzdem riesig auf den Besuch ihrer Schwester, denn fünf Jahre lebte sie bereits mit ihrer Familie in Peru und hatte bisher immer nur telefonischen Kontakt nach Deutschland.

Sie wusste auch nicht, dass ihre drei Jahre jüngere Schwester damals wie heute immer noch sehr für ihren Mann Rudolf schwärmte, zu sehr, wie sich herausstellen sollte. Deshalb konnte sie auch nicht ahnen, dass sich mit der Einladung zu ihrem Geburtstag hinter ihrem Rücken nach Jahren zwischen den beiden doch noch eine heftige Affäre anbahnte. Margarete konnte sehr eifersüchtig und dabei blind vor Wut werden. Bisher waren zwischen den zwei Schwestern derartige Streitereien ausgeblieben. Carola Wiedmeyer dachte später bei ihrer Reise nach Südamerika nur noch ihren Schwager und hatte beinahe vergessen, mit welchem Auftrag sie seitens ihrer Dienststelle nach Lima geschickt wurde. Nachdem sie von ihrem Schwager den Anruf erhielt, ob sie nicht schon wenigstens eine Woche früher als geplant kommen könnte, fieberte sie dem Tag ihrer Reise regelrecht entgegen. Ihr Schwager wollte ihr ein bisschen vom Land und den Leuten Perus zeigen, aber allein, weil ihre Schwester angeblich keine Zeit hatte, wie er meinte. Margarete hatte angeblich viel zu tun, um für ihre Geburtstagsfeier alles zu organisieren. Es sollte ein großes Event mit vielen Freunden, Bekannten und geladenen Gästen werden. Carola freute sich im Stillen sehr, ihren Schwager allein zu treffen. Sie hatte nach dem Telefonat ihren Urlaub ändern lassen und auch die Genehmigung erhalten, mit ihrer Reise gleichzeitig private Dinge zu verbinden.

Rudolf zur Mühlenburg gab sich alle Mühe, seine Freude zu verbergen, dass seine Schwägerin seinem Vorschlag sofort zugestimmt hatte und nun fünf Tage früher als ursprünglich geplant, anreisen würde. Auch er fieberte diesem Tag voller Unruhe entgegen. Für die Auszeit, die er mit Carola plante, hatte er im Hotel Hilton Lima Miraflores eine Suite gebucht. Ein fast perfekter und zugleich perfider Plan, wie Margarete zur Mühlenburg hintergangen werden sollte.

Dann war es endlich soweit. Rudolf hatte sich ein paar Stunden freigenommen, um seine Schwägerin selbst im Terminal des Flughafens in Empfang zu nehmen. Er ließ sich von Pedro rechtzeitig dorthin fahren und wartete mit einem Strauß roter Rosen sehnsüchtig auf die Landung der aus Deutschland ankommenden Maschine mit Carola an Bord. Immer wieder starrte er auf die elektronische Anzeigentafel und dann auf die Uhr. Immer wieder war hoffnungsvoll darauf im Landeanflug zu lesen. Die Zeit verging ihm viel zu langsam. Wie ein eingesperrtes wildes Tier, ging er nervös auf und ab. Nach weiteren 15 Minuten wurde endlich gelandet angezeigt, ein Hoffnungsschimmer. Und es dauerte noch einmal einige Minuten bis Carola endlich mit ihrem großen Koffer und einer Tasche erschien. Sie eilte ihm mit einem strahlenden Lächeln zum Ausgang entgegen. Carolas Gedanken waren in dem Moment bei ihren Dienstauftrag. Ob Rudolf noch nicht gemerkt hat, dass einer seiner Mittelsmänner in Deutschland verhaftet wurde und er durch diesen Typen ins Visier unserer Ermittlungen geraten ist? Weiter konnte sie an ihren Fall nicht denken. Dann stand sie bereits vor ihrem Schwager, von dem sie immer noch insgeheim schwärmte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als Rudolf sie zur Begrüßung in die Arme nahm. Carola hatte seiner Einladung einfach nicht widerstehen können, obwohl sie zwischendurch immer wieder von ihrem schlechten Gewissen geplagt wurde. Die Versuchung, mit diesem Mann eine Woche allein vor dem geplanten Besuch bei ihrer Schwester zu verbringen, hatte über die Vernunft gesiegt. Und wenn sie zu Hause nur daran dachte, konnte sie sich ausmalen, wie sie sich ihm in dieser Woche hingab. Eine Woche voller Lust und Leidenschaft. Jetzt stand sie ihm endlich nach langer Zeit gegenüber und fiel ihm gleich in die Arme. Ihre herzliche Begrüßung am Flughafen dauerte länger als nur einen kurzen Augenblick, denn konnten sich kaum voneinander trennen.

„Komm wir fahren jetzt zum Hotel, sonst schlagen wir hier noch Wurzeln. Ich habe für uns eine schöne Suite gebucht. Wird dir bestimmt gefallen“, flüsterte Rudolf ihr leise ins Ohr. „Einverstanden, ich bin nämlich von dem langen Flug ganz schön müde und frisch machen möchte ich mich auch erst einmal“, meinte Carola ein wenig erschöpft.

„Ich begleite dich noch in unsere Suite und fahre erst noch mal zur Botschaft ins Büro. Muss da noch ein paar Dinge erledigen. Dann bin ich…“, er schaute auf seine Armbanduhr und überlegte, „…sagen wir mal in drei Stunden wieder bei dir.“

„Da habe ich ja noch genügend Zeit, meine Sachen auszupacken und mich etwas auszuruhen und zu duschen.“

Vom Flughafen war es nicht weit bis zum Hilton Hotel. Pedro hielt direkt vor dem Hauptportal des Hotels, öffnete die Türen und Rudolf und Carola stiegen aus. Pedro hatte den großen Koffer schnell ausgeladen und Rudolf übernahm das Gepäckstück. Er ging mit Carola die letzten Meter bis zum Eingang des Hotels zu Fuß, während Pedro 20 m weiter mit der Limousine parken konnte. Carola meldete sich kurz noch an der Rezeption an. Während ihr Koffer vom Personal zu ihrer Suite gebracht wurde. Mit dem nächsten zur Verfügung stehenden Lift fuhren beide gleich nach oben zu ihrer in der 10. Etage gelegenen Suite. Rudolf hatte die Schlüsselkarte an der Rezeption in Empfang genommen, als er die Suite 1003 für eine Woche im Voraus bezahlte. Der Hotelpage wartete oben schon ungeduldig vor der Suite mit dem Koffer auf eine Entlohnung, die er von Rudolf erhielt und verschwand mit einem „Gracias“ lautlos.

„Das ist wunderschön hier oben“, staunte Carola, als sie die Suite betrat und bis zum Fenster ging und hinaussah. Rudolf hatte den Koffer neben dem Schrank abgestellt und war hinter sie getreten. Er legte seine Arme um sie und zog sie zärtlich zu sich heran. Wieder nahm er ihr betörendes Parfum war, als er ihr ins Ohr flüsterte: „Mit dir zusammen ist es hier noch viel schöner.“ Carola drehte sich zu ihm um, ohne sich aus seinen Armen zu lösen. Und dann gab es den ersten langen innigen Kuss und zärtliche Streicheleinheiten.

Einen Augenblick später wurden sie durch das Klingeln seines Handys aufgeschreckt. Es war sein Sekretär, der ihn erwartete und daran erinnerte, noch einmal ins Büro der Botschaft zurückzukehren. Rudolf verabschiedete sich mit einem weiteren Kuss und dem Hinweis, dass er sich beeilen würde. „Bleib nicht zu lange. Ich warte hier auf dich“, konnte sie noch sagen, dann fiel auch schon die Tür ins Schloss und sie war allein in der Suite. Carola nutzte die Zeit, um sich in der Dienststelle in Berlin bei ihrem Vorgesetzten wie vereinbart zu melden und nahm noch ein paar Anweisungen und gute Ratschläge entgegen. Danach packte sie erst einmal ihren Koffer nur zum Teil aus, weil sie ja auf der Durchreise zu ihrer Schwester war. Ihre mitgebrachte Dienstwaffe lud sie durch und schloss sie geladen zusammen mit dem Halfter in den vorhandenen Schranktresor ein. Die Zahlen der von ihr gewählten Kombination schrieb sie zur Sicherheit auf die Unterseite der Einlegesohle ihres rechten Joggingschuhs. Ein paar von ihren Kleidungsstücken brachte sie in den Schrank und räumte ein paar Utensilien ins Bad. Nachdem sie noch den Rosenstrauß in eine vorhandene Vase gestellt und auf dem Tisch platziert hatte, konnte Carola endlich unter die ersehnte Dusche gehen. Als sie sich anschließend auf dem herrlichen breiten Bett ausstreckte, schlief sie nach dem langen Flug sofort ein.

Carola wurde erst wieder zwei Stunden später nach einem mehrmaligen Klopfen an ihrer Tür wach. Es war Rudolf, der Mann ihrer heimlichen Begierde. Gleichzeitig war er aber auch das Zielobjekt ihrer Dienstaufgabe. Sie sollte hier in Lima herausfinden, wie der Schmuggel von Kokain nach Europa und speziell nach Deutschland organisiert wurde. Von besonderem Interesse ihrer Dienststelle war dabei, ob oder inwieweit Mitarbeiter der Deutschen Botschaft in diese illegalen dubiosen Geschäfte und Schmuggel mit Kokain involviert waren. Zwischendurch wurde sie gedanklich an ihren polizeilichen Einsatz erinnert, schob aber die Aufgabe zunächst beiseite: Ich werde in den nächsten Tagen bestimmt noch Gelegenheit haben, um etwas herauszufinden.

Jetzt bot sich ihr erst einmal eine andere Gelegenheit, von der sie lange geträumt hatte. Höchstwahrscheinlich würde sich eine derartige Situation nie wieder ergeben. Kaum, dass sie Rudolf hereingelassen hatte und sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, fühlte sie sich wie im siebenten Himmel, als sie sich umarmten und küssten. Rudolf hob sie hoch und trug sie in ihrem Negligé zum Bett. Die nächsten Stunden waren von Lust und Leidenschaft geprägt, die sich scheinbar über die Jahre angestaut hatten, auch in den Tagen darauf. Carola empfand alles noch viel schöner, als sie geträumt hatte.

Am nächsten Tag machte Rudolf einen entscheidenden Fehler. Weil er nochmals sein Büro in der Botschaft aufsuchen musste, um etwas Dienstliches zu erledigen, schlug er Carola vor, ihr bei dieser Gelegenheit sein Büro zu zeigen. Von dem Vorschlag machte sie gern Gebrauch. Und so ergab sich dann auch eine Situation, die Carola in ihren Ermittlungen wesentlich weiterbrachte. Rudolf wurde von seinem Sekretär in ein anderes Büro gerufen. Sie nutzte den Augenblick, um einen näheren Blick auf seinen Schreibtisch zu werfen. Sie fand aber nur einen kleinen Zettel mit einer Telefonnummer und der Bitte um einen schnellstmöglichen Rückruf. Mit ihrer versteckten Minikamera fotografierte sie diesen Zettel sofort. Und dann hatte Carola bei ihren Ermittlungen besonderes Glück. Gleich in der obersten verschlossenen Schublade von dem sehr großen monströsen Schreibtisch, die sie blitzschnell mit einem unauffälligen speziellen Werkzeug öffnen konnte, fiel ihr Blick zunächst auf zwei kleine Päckchen gebündelter Geldscheine. Darunter fand sie unter eine wichtige Kladde, die ein Namensverzeichnis enthielt. Ohne zu wissen, um welche Namen es sich dabei handelt, gelang es ihr, auch noch davon eine Aufnahme mit ihrer Minikamera am Handgelenk zu machen. Als sie vor der Tür Schritte vernahm, fuhr Carola erschrocken zusammen. Sie konnte gerade noch die Schublade wieder verschließen und hatte sich schnell an das Fenster gestellt und schaute scheinbar etwas gelangweilt hinaus.

„Da bist du ja endlich“, bemerkte sie, als Rudolf sein Büro betrat.

Du hättest ruhig noch länger wegbleiben sollen. Dann hätte ich es geschafft, die anderen Schubfächer auch zu kontrollieren. Und bestimmt hätte ich noch weitere Beweise gefunden. Ich muss aber vorsichtiger sein, damit er keinen Verdacht schöpft, dachte sie insgeheim.

„Entschuldige meine Liebe, dass ich dich habe warten lassen. Es war aber noch etwas sehr wichtiges zu klären“, antwortete er sichtlich nervös. „Dafür habe ich aber jetzt endlich wieder den restlichen Tag Zeit für dich. Ich habe nämlich für uns beide ein Boot, eine schnittige Motorjacht zu einer Fahrt zur Palomino-Insel bestellt. Das wird dir bestimmt gefallen. Danach können wir noch irgendwo Essen und anschließend wieder zum Hotel zurückfahren, um ein wenig auszuruhen.“

„Ja, sehr gern. Das ist ein toller Vorschlag von dir. Aber hinterher könnte ich mir in unserer Suite etwas Schöneres vorstellen, als nur auszuruhen. Dafür ist die Zeit viel zu schade. Das können wir später immer noch machen“, meinte sie und lächelte dabei süffisant. „Wie du meinst, mein Schatz“, war seine kurze Antwort und auch er lächelte dabei.

Etwa eine halbe Stunde später machten sie sich auf den Weg, das heißt, sie ließen sich von Rudolfs Fahrer Pedro zum Marina Club im Süden der Hauptstadt fahren. Nachdem sie beide ausgestiegen waren, gab Rudolf seinem Fahrer noch schnell eine Anweisung in spanischer Sprache. Er wusste allerdings nicht, dass seine Schwägerin die Sprache beherrschte und alles verstanden hatte. So konnte sie verstehen, dass Pedro in der Zeit ihrer Bootstour von Carilla einen Koffer abholen und zum Versandort schaffen und dort in dem tiefen Schrank wie immer bis zum weiteren Transport stellen sollte.

„Du sprichst aber sehr gut spanisch“, lobte Carola ihn und tat so, als wenn sie nichts verstanden hatte. „Das möchte wohl sein, wenn man hier arbeitet und lebt“, bekam sie von Rudolf nur zur Antwort. Carola war mit ihren Gedanken bereits bei dem erwähnten Koffer.

Was hat es mit dem Koffer auf sich? Bestimmt handelt es sich wieder um einen präparierten Koffer voller Kokain, der von hier aus als Diplomatengepäck deklariert nach Deutschland befördert werden soll. Den eben erwähnten Namen Carillo habe ich auf der fotografierten Liste gesehen. Ich muss zusehen, dass ich wieder eine Meldung nach Berlin absetzen kann.

„Du bist auf einmal so ruhig und beinahe abwesend. Gefällt dir hier irgendetwas nicht?“, fragte Rudolf plötzlich nach seiner Feststellung und riss Carola aus ihren Gedanken.

„Doch es ist alles super. Ich bin stark beeindruckt, genieße bereits die frische Seeluft und bewundere dabei die Luxus-Motoryachten. Von denen ist ja eine schöner als die andere“, staunte Carola und reagierte gut mit ihrer Antwort. Sie fühlte sich beinahe ertappt und war darüber sehr erschrocken.

„Ja, mit einer von denen stechen wir gleich in See. Da vorn wartet schon der Schiffseigner auf uns“, deutete er mit seinem Arm auf einen Mann in weißer Uniform ein Stück vor ihnen.

In etwa 50 m Entfernung sahen sie einen Mann stehen, der in Reichweite seiner Yacht gelangweilt an einem Geländer lehnte und eine Zigarette rauchte. Er wartete auf seine zwei Passagiere, Rudolf und Carola.

„Rudolf, du musst mich einen Augenblick entschuldigen. Ich gehe nur schnell noch mal hier in dem Klubhaus zur Toilette“, meinte Carola und war zufrieden, dass sie auf diese Weise endlich eine Möglichkeit fand, schnell noch eine Nachricht per SMS an ihre Dienststelle zu senden. Sie konnte dadurch den Hinweis geben, dass in den nächsten Tagen wieder ein Koffer mit Kokain oder Kokapaste als Diplomatengepäck getarnt in Deutschland eintreffen wird.

„Typisch Frau, beeil dich aber. Ich gehe schon zu unserem Bootsführer. Sonst denkt er noch, dass wir gar nicht mehr zu der Insel Palomino fahren wollen“, gab Rudolf zu bedenken.

„Bin gleich wieder zur Stelle. Ohne mich willst du doch bestimmt nicht fahren wollen, hoffe ich jedenfalls“, beruhigte Carola ihn mit einem bezaubernden Lächeln bei ihrer Antwort und verschwand im Clubgebäude.

Etwa zehn Minuten später waren sie beide an Bord und auf Rudolfs Zeichen startete der Bootsführer den Motor seiner Yacht und fuhr zunächst mit langsamer Fahrt aus dem Hafen.

„Schau dir nur einmal die herrliche Skyline von Lima an“, meinte Rudolf, als er mit Carola an der Reling stand. Er hatte den Arm um sie gelegt und zog sie sanft zu sich heran.

„Oh ja, da hast du recht. Die Stadt sieht von der Seeseite wirklich wunderschön aus“, musste sie Rudolf beipflichten und schmiegte sich an ihn.