HINUNDHERKUNFT - Aidin Halimi - E-Book

HINUNDHERKUNFT E-Book

Aidin Halimi

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Beschreibung

In seinem ersten Best-of begibt sich der Comedian und Poetry-Slam-Liebling Aidin Halimi auf eine humorvolle Selbstsuche als doppelter Staatsbürger in der deutschen Gesellschaft. Unverblümt-komische Geschichten eines voll Durchintegrierten über Stereotypen, Vorurteile gegenüber Männern mit Bart und die Wärmflasche als neues Männlichkeitssymbol. Sophisticated, mit trockenem Witz, Scharf­sinn und stets im Dialog mit seinem Kaktus namens Larissa lotet Aidin Halimi die Grenzen der deutschen Sprache aus und experimentiert mit kuriosen Ideen: Wie sähe das Deutsche aus, wenn es nur einen Artikel gäbe oder einfach mehr persische Redewendungen? Und welche Rollen spielen das Fragezeichen im Sprechen, das E im Persischen, das Alphabet im Allgemeinen und der Bindestrich im eigenen Leben? Autobiografische Anekdoten sorgen für die passende Würze in dieser abwechslungsreichen und stets hintersinnigen Sammlung, die Aidin Halimis beste Texte zusammenführt, mit denen er als Poetry-Slammer und Lesebühnenautor auf den Bühnen des gesamten deutschspra-chigen Raums begeistert. »Aidin Halimi ist Literat und Fluchthelfer. Beides im besten Sinne. Er führt uns aus dem Alltag und den Zwängen einer starren Sprache. Mit ihr spielt er, dass einem auf wohlige Weise schwindelig wird.« Paul Bokowski »Ich kann Aidin Halimi nur empfehlen. Als Mensch und als Buch.« Sarah Bosetti

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Aidin Halimi

HINUNDHERKUNFT

Storys eines voll Durchintegrierten

Aidin Halimi

(Jahrgang 1981) ist im Iran geboren und aufgewachsen. Im Alter von 16 Jahren emigrierte er nach Deutschland und lebt in Berlin.

Er ist Poetry-Slammer, Lesebühnenautor und Comedian. 2021 gewann er die Berlin/Brandenburg-Meisterschaften im Poetry Slam, nachdem er 2019 schon Vizemeister geworden war.

Er war festes Mitglied von Sarah Bosettis Lesebühne Couchpoetos und ist seit 2023 bei der Lesebühne Fuchs & Söhne aktiv (zusammen mit Kirsten Fuchs, Paul Bokowski und Tilman Birr).

Seine Texte sind in zahlreichen Anthologien erschienen. Während seines Studiums der Literatur- und Geschichtswissenschaften veröffentlichte er Artikel in taz, Unsere Zeit und Berliner Gazette.

E-Book-Ausgabe März 2024

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2024

www.satyr-verlag.de

Cover: Karsten Lampe

Kaktus: Bruce Cormeillea/pixabay

Korrektorat: Matthias Höhne

Autorenfoto: aa-Fotografie.com

Audioaufnahmen: Sascha Tschorn

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

E-Book-ISBN: 978-3-910775-13-8

Inhalt

Vorwort

Der Bindestrich

Der Bindestrich. Zweiter Versuch

Der Adler mit der Kamera auf dem Rücken

Aidin Wieschreibtmandas (Man stelle sich vor, ich stelle mich vor!)

Ich brauch nicht Artikel

Der empathische Rettungsschwimmer

Das Fragezeichen. Eine Analyse?

Blamage

Das Ausruhamt

Berlin ballert brutal

Hinter der Erinnerung

Das Chinarestaurant, die Geburtsurkunde und ich

In Grund und Boden integriert

Mathe, eine absolute Herrscherin

Ich liebe dich, Alphabet!

Aller Anfang liegt in der Dunkelheit. Geschichten aus der Menschheitsgeschichte

¡Viva el estrés!

Der Lachmensch

Pheidippides. Eine griechische Tragödie

Schmiegen statt schmieden

Kleinkunst macht auch Mist

Das weiße Wunder

Frau, Leben, Freiheit. Aus der Sicht eines Mannes

Wir waren Samuel L. Jackson

Alphabetisch geordnete Danksagung und Grüße

Vorwort

»Manche schreiben Geschichte, Aidin schreibt Geschichten«, beginnt der Kaktus zu lesen und ruckelt seine Lesebrille zurecht. »Wie findest du den ersten Satz?«, fragt er mich.

»Gar nicht übel!«, denke ich und sage es auch.

Im Studium habe ich gelernt, dass du, wenn du eine Arbeit verfasst, die Einleitung am Ende schreibst, weil du sie dem Inhalt, den du fabriziert hast, anpassen kannst. Jetzt bin ich mit dem Buch durch und habe den Kaktus gebeten, ein Vorwort zu schreiben, weil ich die Fremdperspektive spannender finde als meine eigene. Außerdem hat mir der Kaktus während der gesamten Produktionsphase aktiv beigestanden. Nach meiner Bitte nickte er nur, bat mich um eine Feder, tunkte sie in die Tinte und kritzelte los. Als hätte er nur darauf gewartet. Nach einer Stunde stieß er einen für ihn untypischen Schrei aus und erschreckte mich zu Tode. »Fertig!«, rief er und ich meinte, den Ansatz eines triumphalen Lächelns an einem seiner Zweige zu erkennen. Nachdem er mich nach meiner Meinung zum ersten Satz gefragt hatte, nahm er einen tiefen Atemzug wie einen langen Anlauf und legte los:

»Manche schreiben Geschichte, Aidin schreibt Geschichten. Witzige, aberwitzige und irrwitzige. Mal erfolgreich, mal erfolgarm. Er schreibt nicht nur Geschichten, er trägt sie auch vor. Auf Bühnen jeglicher Art. Ob auf Poetry Slams, Lesebühnen, in Stand-up-Shows, auf Firmenfeiern oder gar privaten Hochzeiten und runden Geburtstagen. Hauptsache, das Rampenlicht brennt und die Argusaugen des kritischen Publikums begleiten jedes ausgesprochene Wort und jede eingesetzte Miene. Ich weiß nicht, wie es anderen künstlerisch tätigen Menschen geht, aber Aidin bringt einen gewissen Hang zur Kasteiung mit, denn Scheitern ist nicht auszuschließen, egal wie viel Erfahrung er sammelt. Schlussendlich aber lohnt sich das öffentliche Blankziehen seiner Gedanken trotzdem, denn wenn der Auftritt glückt, dann kickt der Applausrausch wie eine Droge, für die er nichts bezahlen muss, sondern selbst dafür bezahlt wird. Und wer will keinen Rausch, bei dem der unangenehme Kater ausbleibt?

Wenn jemand Aidin vor zehn Jahren gesagt hätte, er würde im Jahr 2024 als Künstler auf der Bühne stehen und auch noch ein Buch schreiben, hätte er wahrscheinlich geantwortet: ›Hast du nicht alle Tassen aus dem Schrank aussortiert?‹ Oder er hätte eingeworfen: ›Weißt du eigentlich, was das persische Pendant zu der Redewendung Jemand hat nicht alle Tassen im Schrank wörtlich übersetzt heißt? – ›Jemand hat die obere Etage seines Hauses vermietet.‹ Passend zu Berliner Mietverhältnissen!‹

Nun ist es so weit. Eine Auswahl seiner Texte geht in den Druck und feiert ihre Buchwerdung. Und horchet! Das Buch trägt sogar einen Titel, der wenig mit einem akademischen Titel gemein hat. Falls ihr ihn vergessen habt und keine Lust verspürt, das Buch an dieser Stelle zuzuklappen und auf das Cover zu schauen, dann sei er hier noch einmal erwähnt: Hinundherkunft.

Reden wir doch erst einmal über die Herkunft. Ob die Menschen das wahrhaben wollen oder nicht, ihre Herkunft sagt etwas darüber aus, wer sie sind. Jeder einzelne Mensch wird in seine Herkunft hineingeboren. In eine soziale Schicht, in eine geografische Lage, in eine politische Konstellation und in ein familiäres Verhältnis. Wie das bei euch aussieht, weiß ich natürlich nicht. Es würde mich aber interessieren. Schreibt doch ein Buch!

Die Eltern von Aidin waren nicht Elon Musk. Da bin ich mir mit 99,9-prozentiger Wahrscheinlichkeit sicher. Ich würde sogar das verbliebene 0,1 Prozent dazurechnen, um auftretende Irritationen aus dem Weg zu räumen. Das heißt, er ist nicht in Hundert-Dollar-Scheinen gewickelt und gewindelt worden. Zum Glück! Sie sind auch nicht bequem und saugfähig.

Seine Eltern lebten von der Hand in den Mund; der Vorrat an Liebe war aber immer prall gefüllt. Sie haben ihm zudem einen jüngeren Bruder geschenkt, der sein Leben bis heute versüßt wie Zucker den Schwarztee.

Geografisch gesehen wird Aidins Herkunft im Iran verortet. In einer gemäßigten Klimazone mit mehr Sonne und weniger Novemberwolken als hier, dafür aber mit einem minder angenehmen Regime, das dir die freundlichen Menschen und die Sonne ganz vermiest.

Hätte ihm jemand als Kind gesagt, er würde mit sechzehn nach Deutschland ziehen, hätte er geantwortet: ›Du hast wohl die obere Etage deines Hauses vermietet!‹ Der Zufall grätschte aber in seine Biografie und katapultierte ihn nach Mitteleuropa. Ein Sechser im Lotto aus der Sicht seiner Landsleute und zugegebenermaßen auch aus seiner Sicht. Anfänglich jedenfalls, denn ein Paradies hat auch seine Novembertage.

Der schicksalhafte Zufallsgenerator zeigte also auf Deutschland. Es hätte auch genauso gut Schweden, Kanada oder Australien werden können. Als Emigrant hast du nicht immer die Wahl, über deine neue Heimat zu bestimmen. Seiner ursprünglichen Herkunft entrissen, landete Aidin mehr oder weniger freiwillig in der neuen Hinkunft Deutschland. Das Land des Dativs und der angeblichen Funktionstüchtigkeit. Das Land der Linksabbiegerspur und des Mischbrots. Die Emigration war vollbracht, aber die innere Reise begann erst.

Anfänglich war Aidin voller Tatendrang. Er wollte so schnell wie möglich die deutsche Sprache lernen und so gut wie möglich in die deutsche Kultur eintauchen. Damals wusste er gar nicht, was das Wort ›Integration‹ überhaupt bedeutet. Die Sprache zu lernen und die Bräuche der neuen Hinkunft kennenzulernen und sich gegebenenfalls einzuverleiben, war für ihn selbstverständlich, weil er der neuen Kultur Respekt erweisen wollte. Er stellte seine Herkunft zurück und die Hinkunft in den Vordergrund. Vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen motiviert, kämpfte er sich durch das Dickicht der Wechselpräpositionen und rang das Wahrig-Wörterbuch nieder.

Er war sich sicher, wenn er die Sprache beherrschte und im Monat ein gewisses Pensum Bier und Schweinehaxe konsumierte, dann wäre er in absehbarer Zeit ein vollwertiges und vollbärtiges Mitglied der deutschen Gesellschaft, bis ihm sukzessive klar wurde, dass es mit der Vollwertigkeit wohl nie ganz hinhauen würde, egal wie viele Goethe-Verse er rezitieren kann. Ein Wo-kommen-Sie-eigentlich-her, ein Wollen-Sie-wieder-zurück-in-Ihr-Heimatland, ein Hey-Osama, ein abfälliger Blick oder ein ablehnendes Brummen sickerten hier und da durch und gaben ihm das unmissverständliche Zeichen, dass er sich das vollwertige Deutschsein abschminken konnte.

Er musste lernen, dass die integrative Aufgabe nicht zu einem Abschluss kam. Dass die Integration in absurde Richtlinien zur Anpassung ausfranste. Dass mit der Zeit die Integration sich wie ein Geschirr anfühlte, das ihm übergestülpt worden war. Dass ihm durch ungeschriebene Erwartungen und Forderungen vorgegeben wurde, wie er sich als Migrant zu verhalten und zu äußern hat. Er kam sich vor, als wollte man ihn wie ein Pferd dressieren. Aidin musste lernen, dass die Integration kein Konzept war, um ihn einzugliedern, sondern nur der Schein von einem Konzept, um ihn als Migrant in Zaum zu halten. Nur wenn er sich nicht erdreisten würde, den Rahmen zu verlassen, den man ihm gesetzt hatte, nur dann bestünde die Chance, als ein Gesellschaftsmitglied toleriert zu werden. Die Wortwahl ist bewusst getroffen: Wenn er Glück hat, wird er von vielen toleriert. Von Akzeptanz kann nicht wirklich die Rede sein. Brav lächeln, brav integrieren, Diskriminierung wegschlucken und schweigen. Das ist die Essenz der deutschen Integrationskultur. Klingt hart, ist es aber auch.

Und wenn er etwas äußern darf, dann bitte Dankbarkeit. Dankbar, dass er hier existieren darf. Dankbar, dass er nicht gleich abgeschoben wurde. Dankbar dafür, dass er einen Wisch unterschreiben durfte, keiner terroristischen Organisation anzugehören, bevor er den deutschen Pass bekam. Dankbar für die etlichen Abende, an denen ihm ein Clubbesuch verwehrt wurde, weil er sich anmaßte, äußerlich aus dem Raster zu fallen. Dankbar dafür, dass ihm der Nachbar einen Zettel vor seine Wohnungstür legte, auf dem stand: ›Gutschein für Auschwitz‹. Zutiefst dankbar, im Bus von einer Meute Fußballfans als ›dreckiger Jude‹ beschimpft und angegriffen worden zu sein. Dankbar für Solingen, Hanau und Rostock-Lichtenhagen. Dankbar für den NSU. Für die AfD.

Versteht mich nicht falsch: Ich will Deutschland nicht wie den Teufel an die Wand malen. Es gibt vieles, was Aidin an Deutschland schätzt. Euch zum Beispiel. Menschen, die ein offenes Ohr für ihn haben und jetzt auch noch sein Buch kaufen. Tiefe Freundschaften und eine Liebesbeziehung mit einem Ausmaß an Glück, das er sich nie zu erträumen wagte. Menschen, die ihn akzeptieren statt tolerieren.

Es gibt manchmal aus dem Publikum die Frage, ob es denn notwendig ist, dass ein Mensch mit Migrationshintergrund dieses Thema immer ansprechen muss. Die kurze Antwort darauf lautet: Ja. Ich weiß es, Aidin würde sehr gerne das Thema ganz aussparen und nur über so etwas nachdenken wie: Wann ist ein Schimmelkäse verschimmelt? Wann genau verwandelt sich der gute Schimmel in einen schlechten?

Die Realität sieht aber leider anders aus. Teile der deutschen Gesellschaft erinnern Aidin immer daran, wo seine Herkunft sein soll und welche Hinkunft ihm zusteht. Wenn der Iran seine Herkunft ist und Deutschland seine Hinkunft, dann liegt er dazwischen. Hin und her gerissen zwischen zwei Kulturen. Hin und her pendelnd zwischen zwei Sprachen. Hin und her schwingend zwischen zwei Identitäten. Aidin hat seine Heimat nie ganz verlassen und ist in Deutschland nie ganz angekommen. Seine Herkunft ist seine Hinkunft und umgekehrt. Er lebt in seinen Zwischenwelten. In seiner Hinundherkunft.«

Der Kaktus schweigt. Ich geselle mich kurz zu seinem Schweigen, um zwischenzeitlich ein Schlupfloch im Eis der Stille zu finden: »Für deine Verhältnisse ist das Vorwort ein Feuerwerk der Emotionen und Ausdrücke.«

Der Kaktus schweigt.

»Aber ganz schön süß, wie du mich in Schutz nimmst. Ich wusste gar nicht, dass du vom Fensterplatz aus so weit in die Gesellschaft und vor allem in meinen Kopf hineinschauen kannst.«

Der Kaktus schweigt.

»Ich liebe den Text. Ich glaube, ich werde ihn eins zu eins übernehmen.«

Der Kaktus schweigt.

»Ich finde das Ende richtig schön. Das bringt mich auf eine gute Idee. Ich glaube, wenn es ein Satzzeichen gibt, das meine Identität beschreibt, dann ist es der Bindestrich.«

Der Bindestrich

Man sagt mir nach, ich sei Deutsch-Iraner. Meine Identität wird von einem Bindestrich zusammengehalten. Wenn ihr mich sucht, ich sitze auf dem Bindestrich und baumle mit den Beinen.

Man sagt mir nach, ich sei Deutsch-Iraner. Meine Identität ist quasi verheiratet. Dementsprechend gibt es manchmal Konflikte. Zum Beispiel, wenn ich an der roten Ampel stehe und neben mir wartet ein Kind gespannt auf die grüne Farbe.

Den Auftakt macht die deutsche Stimme in meinem Kopf: »Du bleibst jetzt schön stehen. Du bist ein Vorbild!«

Danach spricht die iranische Stimme (ich hab das für euch übersetzt): »Alter! Du hast doch Augen im Kopf oder willst du das Denken einer Lampe überlassen? Eine Ampel ist da, um übersehen zu werden.«

Ich weiß, dass beide recht haben, aber sie sind kompromisslos.

Ich löse das Problem folgendermaßen: Ich schnappe mir das Kind und wir gehen zusammen über Rot. So kann ich dem Kindlein die iranische Denkweise nahelegen. Wer weiß, vielleicht reist das Kind eines Tages in den Iran. Und wenn es das erste Mal in Teheran eine Straße überqueren will, dann wird es sich an den gruseligen Onkel erinnern, der nichts Gruseliges wollte.

Man sagt mir nach, ich sei Deutsch-Iraner. Ich habe die doppelte Staatsbürgerschaft und mindestens eine doppelte Identität. Es klingt vielleicht holprig, aber für mich ist das normal wie der doppelte Espresso am Morgen.

Es gibt Menschen, die sich von diesem Umstand gestört fühlen. Ich kann ihnen versichern, dass ich mit beiden Identitäten gut klarkomme. Ich habe sogar meine Rituale, um die deutsch-iranische Ehe zu pflegen. Zum Beispiel esse ich abwechselnd an einem Tag Reis und am nächsten Kartoffeln. Es gibt übrigens ein iranisches Gericht, das Reis und Kartoffeln in einem Topf vereint. Die Menschen aus dem Iran sind also integriert, bevor sie nach Deutschland kommen.

Wofür soll ich mich entscheiden? Für die Leitkultur? Hand aufs Herz, wie langweilig und einfältig wären die Deutschen, wenn sie nur das wären, was die sogenannte Leitkultur vorgibt. Sie beleidigt nicht nur mich als Migrant, sondern uns alle, weil sie uns auf einige wenige Werte reduziert.

Ich habe sechzehn Jahre im Iran gelebt und, sagen wir mal, mindestens genauso lange in Deutschland. Das ist eins der größten Geschenke meines Lebens gewesen.* Zwei Kulturen zu erleben, hat mich unheimlich bereichert. Es hat mich gelehrt, dass diese angeblich verschiedenen Kulturen viel mehr Gemeinsamkeiten haben als Unterschiede. Ich habe gelernt, dass Unterschiede, warum auch immer, oft größer gemacht werden, als sie sind. Selbst das haben viele Kulturen gemeinsam.

Man sagt mir nach, ich sei Deutsch-Iraner. Ich bin froh, dass ich auf dem Bindestrich sitze, weil ich dadurch weder deutsch noch Iraner bin, weil der Bindestrich verbindet, weil er Nationen verschwinden lässt, weil er unsere Gemeinsamkeiten betont. Wie sagt man es so schön auf Deutsch? Wir kochen alle nur mit Wasser, ob ich da Kartoffeln reinschmeiße oder Reis, ist nicht so wichtig.

PS:

Halten Sie Ihr Kind von mir fern, falls Sie mir an einer roten Ampel begegnen!

Diesen Text anschauen:

https://youtu.be/ksGsvQgIsy8

* Ich habe hier einen korrekten Genitiv verwendet, denn wer den Genitiv beherrscht, kann auch Goethe. Ich würde dieser Person sofort ein Deutschzertifikat geben.