Historical Saison Band 50 - Lyn Stone - E-Book
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Historical Saison Band 50 E-Book

Lyn Stone

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Beschreibung

STILLE NACHT, SINNLICHE NACHT … von ALLEN, LOUISE
Lady Julia fürchtet Mitgiftjäger und verschweigt Giles Markham ihr Vermögen. Aber je länger sie mit dem attraktiven Captain eingeschneit ist, desto sehnlicher wünscht sie, ihm nichts mehr zu verheimlichen …

EIN LORD, EIN KUSS, EIN MISTELZWEIG von RANSTROM, GAIL
Eigentlich wollte Lord Selwick das Christfest in aller Stille begehen. Doch unversehens findet er sich in einer großen Familie wieder - und trifft die verführerische Sophia Pettibone unterm Mistelzweig!

MEIN ENGEL NAMENS AMALIE von STONE, LYN
Skandal! Man sah, wie Alex seine Hand unter Amalies Röcke schob - niemand glaubt dem Medicus, dass er eine Verletzung untersuchen wollte! Ist eine Hochzeit noch vor Heiligabend die Lösung?

SÜßE ZEIT DER WUNDER von KELLY, CARLA
Ianthe hat es geahnt: Die glühenden Liebesbriefe ihres Verlobten hat in Wirklichkeit sein Freund Jeremiah Faulk verfasst. Nun ist sie Witwe, und kurz vor Weihnachten steht Jeremiah vor ihrer Tür …

ASCHENPUTTELS SCHÖNSTES WEIHNACHTSFEST von BURROWS, ANNIE
Ein Schneesturm tobt über Blackthorne Hall, als ein Gentleman mit zwei kleinen Kindern um Hilfe bittet. Die einsame Alice nimmt ihn auf - erlebt sie nun ein Winterwunder der Liebe?

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Seitenzahl: 649

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Louise Allen, Gail Ranstrom, Lyn Stone, Carla Kelly, Annie Burrows

HISTORICAL SAISON BAND 50

IMPRESSUM

HISTORICAL SAISON erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISONBand 50 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2016 by Melanie Hilton Originaltitel: „On A Winter’s Eve“ erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Barbara Kesper

© 2009 by Gail Ranstrom Originaltitel: „A Little Christmas“ erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Barbara Kesper

© 2009 by Lynda Stone Originaltitel: „Scarlet Ribbons“ erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Barbara Kesper

© JAHR by Carla Kelly Originaltitel: „Christmas Promise“ erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Barbara Kesper

© 2016 by Annie Burrows Originaltitel: „Cinderella’s Perfect Christmas“ erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Eleni Nikolina

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733768638

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, MYSTERY, TIFFANY

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LOUISE ALLEN

Stille Nacht, sinnliche Nacht …

Captain Markham muss unbedingt eine gute Partie machen – und reich ist Lady Chalcott, die ihn aus dem Schneesturm gerettet hat, sicher nicht. Aber dafür umso verführerischer!

GAIL RANSTROM

Ein Lord, ein Kuss, ein Mistelzweig

Den guten Geist der Weihnacht will Sophia mit festlichem Schmuck heraufbeschwören. Sie ahnt nicht, wie Lord Selwick reagieren wird, wenn sie den prächtigen Mistelzweig aufhängt …

LYN STONE

Mein Engel namens Amalie

Was für eine Bescherung: Kann die erzwungene Heirat zwischen Amalie und Alex ihnen jemals wahres Liebesglück bescheren? Wenn, dann zu Weihnachten, wo Wunder manchmal wahr werden.

CARLA KELLY

Süße Zeit der Wunder

Dass Captain Jeremiah Faulk die schöne Ianthe immer schon heimlich geliebt hat, ist sein größtes Geheimnis – das zu diesem Weihnachtsfest gelüftet wird. Mit weitreichenden Folgen …

ANNIE BURROWS

Aschenputtels schönstes Weihnachtsfest

Mit der entzückenden Hausmagd Alice mehr als eine Liebschaft haben? Niemals! Doch nach heißen Liebesstunden vor dem Kamin kann sich der Earl kein Leben mehr ohne sie vorstellen …

Stille Nacht, sinnliche Nacht …

1. KAPITEL

Wann hatte sie zum letzten Mal Schnee gesehen? Es musste mindestens neun Jahre her sein, seit sie aus England fortgegangen war. In der Hitze Bengalens hatte sie sich daran als hübsch und flockig-weich erinnert. Nicht wie das hier, massig und von einer unterschwellig bedrohlichen Schönheit. Die sich auftürmenden Schneewehen, Meereswogen gleich, drängten auf den Fahrweg, als wollten sie die Kutsche ganz und gar verschlingen. Oh, kein guter Gedanke!

Neben sich spürte sie ein krampfartiges Schaudern, verzerrt gespiegelt in dem beschlagenen Glas des Fensters, doch als Julia sich ihrer Stieftochter zuwandte, lächelte die ihrem heftigen Zittern zum Trotz.

„Miri, Liebes, es tut mir leid, dass es so kalt ist. Ich hatte nicht nachgedacht; ich wollte nur von dieser grässlichen Frau fort.“

„Die Tante ist seltsam, nicht wahr? Ich nehme an, sie war wütend, weil mein Vater sie in seinem Testament nicht bedacht hat.“ Miri zuckte die Achseln, ihre schlanken Schultern kämpften gegen die Last der vielen warmen Decken. „Und ich habe auch nicht erwartet, dass sie mich mag, aber immerhin hat sie uns ein Heim geboten, während du deine Angelegenheiten geklärt hast.“

Natürlich mochte Grace Watson ihre Nichte nicht. Miriam war ein uneheliches Kind, halb Inderin und sehr schön. Wie hätte eine bigotte Frau mit einer eigenen faden, noch unterzubringenden Tochter sie mögen können?

„Hast du es nicht gemerkt? Meine fromme Schwägerin wollte mich verkuppeln, weil natürlich die unanständig reiche Witwe eines Nabobs einen Mann braucht, der sie von ihrem Reichtum befreit.“

„Nein! Du meinst jene Gesellschaften und Empfänge waren gedacht, dich wie eine Ware auf dem Markt anzubieten? Kein Wunder, dass du so wütend bist.“

„Zu wütend, als dass ich es dir hätte vernünftig erklären können. Entschuldige, du musst gedacht haben, ich hätte den Verstand verloren, dich da gestern um fünf in der Frühe aus dem Haus zu zerren.“ Julia geriet nicht oft in Rage, aber wenn, dann war es wie ein Steppenbrand, der alles, was im Weg war, vernichtete.

Miri hielt zahm den Mund und überließ Julia ihrem wutkochenden Schweigen, das nur durch knappe Befehle an Lakaien, Kutscher und Gastwirte unterbrochen wurde.

Schließlich seufzte Julia. „Ich muss gestern eine abscheuliche Gefährtin gewesen sein. Ich hätte mit dir reden müssen. Weißt du, gestern hörte ich zufällig, wie deine Tante mit Sir James Walcott darüber verhandelte, was er ihr zahlen würde, falls ich ihn heirate.“ Sie atmete tief durch. „Die ganze Nacht habe ich dann darüber gebrütet, und die Vorstellung, ihr mürrisches Gesicht beim Frühstück zu sehen, war einfach zu viel.“

„Ich mochte Sir James durchaus.“

„Ich auch“, räumte Julia grimmig ein.

„Du bist wirklich sehr reich.“ Miri klang, als bisse sie die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten. Gegen das Wetter an einem späten Dezembertag in Norfolk konnten auch Pelzdecken und Wärmflaschen nicht allzu viel ausrichten.

„Ah, unanständig reich.“ Auch Julia biss die Zähne zusammen, doch nicht wegen der Kälte. „Und es ist eine wohlbekannte Tatsache des Lebens, dass unanständig reiche Witwen leichte Beute für jeden verarmten Gentleman sind, der Lust hat, seine Taschen zu füllen. Letztendlich ist Geld zu heiraten nicht das Gleiche, wie sich zu einer geschäftlichen Tätigkeit herabzuwürdigen und es wahrhaftig zu verdienen.“

Sie schwiegen, da die Kutsche durch eine neue Schneewehe pflügte, während Julia schon bereute, aufgrund ihres hitzigen Temperaments hier gelandet zu sein.

„Was willst du also nun tun?“

„Sehen, wie dieses Haus so ist, das dein Vater mir hinterließ. Große Hoffnung habe ich nicht, aber wenn es zumindest ein Dach hat, werden wir dort über Weihnachten bleiben, und bis zum neuen Jahr habe ich einen Plan.“ Sie hatte immer einen Plan, und normalerweise gingen diese auch auf – anders als ihr Geistesblitz, Indien zu verlassen und mit ihrer Stieftochter und ihrem Vermögen nach England zurückzukehren, damit rechnend, dort ganz leicht ein neues Leben zu beginnen.

Sie hatte Miri alles geben wollen, was eine gestrenge Erziehung ihrer Stieftochter verweigert hatte, hatte einen liebenden Gatten für sie finden wollen. Nun argwöhnte sie, dass Miri in Indien glücklicher gewesen wäre, wenn sie mit einer guten Mitgift versehen, ihre eigene Wahl hätte treffen können. Hatte sie sie aus ihrem eigenen Bedürfnis nach Gesellschaft heraus mit hierhergeschleppt? In ihrer Ehe war sie so einsam gewesen, dass sie den Verstand verloren hätte, wenn Miris herzliche Zuneigung nicht gewesen wäre, als deren Vater seine junge Braut heimführte.

Nichts ist hier in England leicht, dachte sie. Gar nichts. Hier schien Geld für eine unabhängige Frau ein Fluch zu sein. Oder war vielleicht der Wunsch nach Unabhängigkeit der eigentliche Fluch?

„Es ist bestimmt schön, ein richtiges ländliches englisches Weihnachtsfest zu feiern.“ Darauf wenigstens konnte man sich freuen. „Plumpudding, Glühwein, das Haus mit Immergrün zu schmücken, um ein großes loderndes Feuer zu sitzen … Wir geben dem Personal am Weihnachtstag frei und lauschen ihnen, wie sie Weihnachtslieder singen. Du wirst es großartig finden, Miri. Ich kann mich aus meiner Kindheit noch so gut daran erinnern. Für Kinder ist Weihnachten wunderschön.“ Entschieden verbannte sie das Bild und malte sich stattdessen einen väterlichen alten Butler aus, eine rotwangige Köchin und fröhlich werkelnde Hausmädchen und Lakaien … „Aber was wir auch sonst tun, vergiss nicht, dass wir beide Damen in bescheidenen Verhältnissen sind.“

„Gewiss.“ Miri nickte entschlossen. „Wir kleiden uns schlicht und warm und lassen unseren Schmuck in seinen Schatullen. Letztendlich suche ich ja nicht nach einem Ehemann, und du willst keinen, der dich nur wegen deines Geldes begehrt.“

Damit waren sämtliche Gentlemen Englands ausgeschlossen.

Wer würde schon eine Witwe von fünfundzwanzig mit fahlbraunem Teint haben wollen außer um ihres Geldes willen? Es war nur gut, dass sieben Jahre Ehe ihr jeden romantischen Wahn, den sie je über diese Institution gehegt haben mochte, ausgetrieben hatten. Was Miri anging, würde Julia alles in ihrer Macht Stehende tun, um deren Träume wahr werden zu lassen, wenn sie denn einen Mann fand, den sie haben wollte. Sofern dieser sagenhafte Liebste solch ein Juwel wie Miri es war verdiente. Und wenn das bedeutete, dass sie, Julia, sie verlieren würde, weil sie zurück nach Indien ging, musste sie Miri selbstverständlich ziehen lassen. Sie durfte sie nicht selbstsüchtig an sich binden.

Derweilen aber bibberten sie irgendwo in der Einöde. „Wie lange dauert das denn noch?“ Julia klopfte gegen das Wagendach und ließ das Fenster hinab. Eisig kalte Luft strömte herein, begleitet von einem Schwung Schneeflocken. „Thomas?“

„Mylady?“ Der Kutscher, das Gesicht rot vor Kälte, drehte sich um und beugte sich zu ihr hinab.

„Wie weit ist es noch?“

„Ungefähr eine Meile, denke ich. Durch den Schnee lässt sich bei der Geschwindigkeit die Entfernung schlecht schätzen.“

„Wir halten am nächsten Gasthaus. Miss Chalcott ist ziemlich durchgefroren.“

„Außer Chalcott Manor kommt nichts mehr. Das hier ist eine Sackgasse.“

„Na, wunderbar!“ Julia seufzte abermals, während Thomas sich wieder aufrichtete. Doch ehe sie das Fenster schließen konnte, beugte er sich erneut hinunter.

„Mylady, da ist jemand vor uns auf der Straße. Ein Mann zu Fuß.“

„In diesem Wetter? Wir nehmen ihn besser mit.“

Als sie sich näherten, wandte der Mann sich um; er wirkte größer und geradezu monströs massig, je näher sie kamen. Julia spähte durch das Schneetreiben und sah, dass die dicke Lage Schnee auf Kopf und Schultern des Mannes ihn noch gewaltiger erscheinen ließ, außerdem hielt er etwas Großes, Schwarzes an seine Brust gedrückt.

„Sie da!“, rief Thomas ihn an. „Sind Sie in Schwierigkeiten?“

„Schwierigkeiten? Aber nicht doch“, lautete die sarkastische Antwort, die mit tiefer, selbstbewusster Stimme gesprochen wurde. Unwillkürlich zuckten Julias Lippen amüsiert. „Ich habe kein Pferd, kenne den Weg nicht und spüre meine Glieder nicht mehr, aber ansonsten genieße ich diesen ländlichen Spaziergang.“

„Ihre Ladyschaft sagt, Sie möchten lieber in den Wagen steigen, Sir.“

Julia öffnete den Schlag, dann keuchte sie auf, als der Mann sich ihr zukehrte. „Was, bei Gott, ist das?“

„Ein Truthahn, Mylady.“ Er schob seine Last ein wenig höher, und ein hässlicher blau-roter Kopf auf nacktem faltigen Hals stieß jäh aus der Front des Mantels hervor und gab ein raues Kollern von sich.

„Der lebt ja!“

„Ja, Mylady, das ist mir auch aufgefallen. Darf ich einsteigen? Der Schnee weht schon auf Ihre Decken, und wenn ich noch länger hier stehe, friere ich am Boden fest.“

Miri, stets praktisch, reichte ihm eine Decke. „Wickeln Sie ihn da hinein, dann können Sie ihn in den Wagen heben.“

Der Mann schaute unter seinem schneebehäuften Hut hervor, und ihm klappte der Mund auf, wenn auch nur ein bisschen.

Den meisten Männern verschlug es minutenlang die Sprache, wenn sie Miri zum ersten Mal sahen. Es war ermüdend vorhersehbar, aber vermutlich konnte man es ihnen nicht übelnehmen. „Machen Sie rasch, ehe der Schnee uns begräbt.“

Der Truthahn ergab sich nach ein paar Sekunden wilden Flügelschlagens und Kollerns seinem Schicksal, der Mann hievte ihn derart eingeschnürt auf den Sitz, kletterte dann selbst hinein und schlug die Tür hinter sich zu.

„Weiter, Thomas!“ Julia zog das Fenster hoch und schüttelte den Schnee von ihren Röcken. „Voraus kommt kein Dorf mehr, Sir.“

„Zu dem Schluss kam ich auch langsam. Eine ganze Strecke zurück begann mein Pferd zu lahmen. Da war ein Stall mit Kühen drin und Futter, also ließ ich es da, verbarg den Sattel unter den Dachsparren und ging zu Fuß weiter, in der Hoffnung, einen besseren Unterschlupf zu finden.“

„An dieser Straße ist nichts mehr außer meinem Haus, Chalcott Manor. Ich bin Lady Julia Chalcott. Meine Stieftochter, Miss Chalcott.“

„Danke, Lady Julia. Miss Chalcott.“ Es gelang ihm tatsächlich, Miri anzusehen, ohne zu sabbern, was Julia sehr wohl zu honorieren wusste. „Ich bin Giles Markham, vormals Captain im Zwölften Dragonerregiment. Ist Lord Chalcott anwesend? Er muss sich Sorgen machen, dass Sie bei diesem unwirtlichen Wetter unterwegs sind.“

„Sir Humphrey Chalcott ist verstorben, Captain Markham.“ Sie sah die Frage in seinem Blick, die zu stellen er zu höflich war. „Er war ein Baron. Ich bin die Tochter eines Earls und habe entschieden, meinen Titel beizubehalten.“ Es war das Einzige, was von ihrem früheren Leben noch übrig war. „Warum haben Sie einen lebenden Truthahn bei sich?“

„Ich habe ihn in einer Schneewehe gefunden. Es ist eine sehr schöne Rasse, eine Norfolk Bronze. An seinem Bein hing ein Schild mit der Aufschrift ‚Bulstrode, Leadenhall Market‘. Ich nehme an, er wurde auf dem Dach der Postkutsche nach London transportiert und konnte seiner Gefangenschaft entkommen. Immerhin sind es nur noch sechs Tage bis Weihnachten.“ Er nahm seinen Hut ab, zog die Handschuhe aus und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das braun und glatt war und dringend eines Schnittes bedurfte.

Ohne den Hut hätte er kleiner wirken sollen. Aber nein. Und er erschien auch nicht weniger männlich und selbstbewusst. Das machte die Armee, nahm Julia an. Ein Offizier im Dienst würde kaum ein bescheidenes Veilchen sein. Obwohl ein solches bestimmt weniger Platz eingenommen hätte. Ihre Haut fühlte sich … merkwürdig an. Julia wollte erschauern, obwohl ihr plötzlich nicht mehr kalt war. Komisch. Vielleicht bekam sie ja eine Erkältung, was dieser unglückseligen Reise die Krone aufsetzen würde.

Worüber sprachen wir? Ah, ja. „Und an Weihnachten hat ein ordentlicher Truthahn tot zu sein. Tot, gerupft und gebraten. Und nicht in meiner Kutsche seine Federn zu verstreuen!“

„Ich habe eine gewisse Sympathie für seine verwegene Flucht, Lady Julia. Ich bin den Franzosen oft genug entwischt, um seine Gefühle zu teilen.“ Der Narbe auf seiner linken Wange nach zu urteilen, war er nicht immer ganz heil entwischt. Captain Markhams Stimme war tief, belustigt und sämig wie warmer Honig.

Ach, reiß dich zusammen, Julia. Es ist ein Mann. Ein großes, stattliches, maskulines Wesen, das deinen Wagen verstopft. Es gibt sie zwei für einen Penny, und sie sind alle gleich geldgierig.

„Das ist ein feiner Reisewagen, wenn ich das sagen darf.“ Selbst im Halbdunkel sprach das Innere mit seinem Mahagoniholz, den üppigen Polstern, den Messingbeschlägen und den vielen Felldecken von Luxus und von dem nötigen Reichtum, diesen auch zu unterhalten.

Der Wagen ist beinahe auch für ihn groß genug, dachte Julia, die verstohlen seine Bemühungen beobachtete, seine langen Beine bei sich zu behalten und mit seinen durchnässten Stiefeln nicht ihre Röcke und die Felldecken zu streifen. Männer benötigten aber auch so viel Platz! Der hier war ein Gentleman, das bewies die gebildete Stimme. Aber er war ein geschmeidiges, langbeiniges Exemplar mit gerader Nase, eigensinnigem Kinn und reichlich Bartstoppeln. Nach den glatten, geschniegelten Männern, die in Mayfair die Salons bevölkerten, war er gewissermaßen ein Schreck für den Organismus. Denn nur daher kam jenes Gefühl, ein wenig konfus zu sein – es war die Reaktion auf ein so viriles Geschöpf so nahebei.

„Man hat ihn uns geborgt“, sagte Miri zurückhaltend und log, ohne auch nur mit einer ihrer langen Wimpern zu zucken. „Er ist nicht mit den Wagen vergleichbar, an die wir in Indien gewöhnt sind.“ Wenigstens sie hielt das Gespräch in Gang und ließ sich nicht von einem Paar langer Beine den Verstand verwirren. Das hatte man davon, wenn man schamlosen und unwahrscheinlichen Fantasien frönte: Sie stiegen im unpassendsten Moment in deinen Wagen.

„Indien?“

„Wir trafen erst vor drei Wochen in England ein, Captain.“ So war es besser, kühl und höflich.

„Und kehren gerade für die Weihnachtstage zu Ihrer Familie heim.“

„Nein, wir haben in England keinerlei Familie, außer ein paar sehr entfernten Cousins.“ Julia war nicht bereit, die englische Sprache so weit zu verhunzen, dass sie ihre Schwägerin als Familie bezeichnet hätte. „Und Sie, Captain? Sind Sie auf dem Heimweg?“

„Heim.“ Er sagte das Wort, als wäre es ein ganz neuer Geschmack auf seiner Zunge, von dem er noch nicht genau wusste, ob er ihn mochte. „Bin ich wohl. Es ist lange her, seit ich das letzte Mal den Fuß auf englischen Boden gesetzt habe.“

„Sie waren auf der spanischen Halbinsel, Sir?“

„Für mehrere Jahre. Ich habe gerade meinen Abschied genommen.“

Warum das? Es herrscht immer noch Krieg, und er sieht nicht aus, als hätte er eine Verwundung erlitten, die ihn dienstuntauglich machte. Die Kutsche bog scharf nach links ab, und Julia erhaschte einen Blick auf einen Torpfosten. „Mir scheint, wir sind endlich angekommen.“

„Sie kennen das Haus nicht?“

„Nein. Es ist das Einzige, das mein Gatte mir hinterließ. Da ich ihn in Indien kennenlernte, habe ich es noch nie gesehen.“ Soweit ihr Anwalt Mr. Filbert ihr hatte sagen können, würde Chalcott Manor nicht den Eindruck erwecken, als ob sie in Geld schwömme.

Die Kutsche hielt, und alle betrachteten das rote Ziegelhaus, das undeutlich durch das Schneetreiben zu sehen war. Architektonisch erschien es keinerlei Verdienste zu haben, außer dass das Dach keine offensichtlichen Löcher und eine Anzahl an Schornsteinen besaß, beides Dinge, die ganz oben auf Julias Wunschliste für ein Haus standen – zumindest im Augenblick. In einem der Souterrainfenster schimmerte Licht, also waren wenigstens einige der versprochenen Dienstboten anwesend, doch niemand kam herbeigestürzt, um die Tür zu öffnen. Vielleicht hatte der Schnee die Wagengeräusche gedämpft.

Paul, der Pferdeknecht, öffnete den Schlag und klappte den Tritt aus. „Der Schnee ist sehr tief, Mylady.“

„Lassen Sie mich.“ Captain Markham sprang hinaus. „Wir machen einen Trampelpfad. Legen Sie einen Arm um meine Schultern.“ Die beiden Männer bewegten sich mit stampfendem Schritt vorwärts.

„Wie gut, dass wir den Captain aufgelesen haben“, stellte Miri fest, die ihnen zusah.

„Thomas und Paul hätten es auch allein hingekriegt.“

Wenigstens trug der Mann keine teure Kleidung, die Schaden hätte nehmen können. Sie hatte seine abgetragenen Stiefel bemerkt und auch die grob geflickten Ärmelränder seines Mantels. Wenn er sein Offizierspatent verkauft hatte, hätte er sich in dem Zuge ein paar respektable zivile Kleidungsstücke kaufen sollen, anstatt in dem Zustand im Land umherzuziehen.

Er kam zu ihnen zurück, während Paul kräftig an die Haustür klopfte. „Es ist sau… äh, höllisch kalt. Ich würde hier warten, bis jemand aufmacht.“

„Ich bleibe doch nicht vor meiner eigenen Schwelle zitternd in der Kutsche sitzen, Captain.“ Oder lasse mir von einem Mann Vorschriften machen. Sie stieg aus, ignorierte seine ausgestreckte Hand und schritt über den gebahnten Pfad. Hinter sich hörte sie, wie er Miri seinen Arm bot, die ihm leise dankte. Dann schoss Julias rechter Fuß in die Höhe, der linke glitt zur Seite, und sie stürzte rücklings um.

„Ohh …“ Das sehr ungehörige Wort in Urdu wurde übertönt von Miris Schreckensschrei, dann schloss sich ein Arm um ihre Taille, und sie wurde gehalten und auf Captain Markhams Arme gehoben. Der Mann hatte wirklich ein erstaunliches Reaktionsvermögen! Und so starke Arme! Julia wusste, sie war kein Federgewicht mit ihren fünf Fuß und sechs Zoll und verpackt in eine dicke Schicht Winterkleidung. „Vielen Dank, Captain, Sie dürfen mich nun absetzen.“

„Besser nicht.“ Er packte sie fester, hob sie höher an seine Brust und schob ihr einen Arm unter die Kniekehlen.

„Captain!“

„Nur keine Aufregung, bei mir sind Sie sicher.“

Das war eine ganz neue Definition von sicher. Ihr Puls hatte sich bestimmt gewaltig beschleunigt. „Ich bin kein Truthahn, den man herumschleppen kann.“

„Nein“, stimmte er zu, während er die Vortreppe erklomm. „Sie zappeln nicht so, und außerdem verlieren Sie keine Federn.“

Ehe Julia eine Entgegnung einfiel, öffnete sich knarrend die Tür. Ein dünnes Band goldenen Lichts fiel auf den Schnee.

„Ja?“ Die Stimme schwankte unheimlich.

Julia zitterte, und die Arme, die sie festhielten, schlossen sich als Antwort enger um sie. Oh, um Himmels willen, wir sind doch nicht in einem Schauerroman! „Ich bin Lady Julia Chalcott. Das Haus gehört mir. Mein Anwalt hat Ihnen meine Ankunft schriftlich mitgeteilt, und dass ich vorerst bleiben werde. Also öffnen Sie gütigst und führen Sie uns in den Salon.“

„Määh …“ Das war ein Blöken. Was durchaus passte, da es aus dem Mund eines Manns kam, der gründlicher einem Schaf ähnelte, als es sich gehörte. „Madam? Wir haben nix nich’ von ’nem Anwalt gehört.“

Sie fühlte sich entschieden im Nachteil und zappelte ungeduldig. Ein amüsiertes Schnauben, und sie spürte warmen Atem über ihre Schläfe wehen. „Sie sprechen mich mit ‚Mylady‘ an! Und wer sind Sie überhaupt?“

Der Mann wich rückwärts in die dunkle Halle, da der Captain voranschritt. „Kerzen bitte! Machen Sie Licht! Sofort!“

„Ja, määh… Sir. Mylady. Smithers, Mylady. Da ist der Salon, aber es ist kein Feuer an.“

Außerdem waren die Staubhüllen nicht von den Möbeln entfernt worden oder die Vorhänge geöffnet. Captain Markham stellte Julia auf die Füße und wartete, bis sie seinen Ärmel losgelassen hatte, dann nahm er Smithers die Kerze aus der unsicheren Hand und entzündete jede Kerze ringsum im Raum. Schließlich kniete er sich vor den Kamin und betastete das Anmachholz. „Trocken, aber ich würde nicht wetten wollen, dass der Schornstein nicht qualmt.“

„Ööhh …“ Gegenüber dem Blöken war das eine Verbesserung, doch da ging er hin, ihr Tagtraum von einem behaglichen Haus und ebenso freundlicher Dienerschaft. „Bestellen Sie der Köchin, dass wir Tee brauchen, Smithers. Und Sandwiches und Kuchen. Dann schicken Sie die Hausdiener, das Gepäck hereinzuholen. Ich benötige Zimmer für mich und Miss Chalcott, ein Hausmädchen als Zofe, einen Raum für Captain Markham und entsprechende Unterbringung für meinen Kutscher und den Pferdeknecht. Und heißes Wasser. Wir speisen um sieben.“

„Aber es gibt hier nur mich und Mrs. Smithers, Mylady. Und das Mädchen.“ Irgendwie gelang es ihm, das Wort mit Großbuchstaben zu sprechen. „Und ich weiß nicht so recht, ob wir Kuchen haben, und auch nicht großartig was zum Dinner, Mylady. Nur die Kaninchenpastete und Gerstensuppe.“ Smithers Miene war eine Mischung aus Verblüffung und schlimmsten Befürchtungen.

Die Schmetterlinge, die in Julias Magen flatterten, seit Captain Markham sie auf seinen Arme getragen hatte, verwandelten sich in ein bleiernes Gewicht, das gewaltig drückte. „Oh … Aber die Betten sind gelüftet?“ Dass das törichter Optimismus war, wusste sie, während sie noch sprach.

„Ööh …“

Nein, das war letztendlich doch keine Verbesserung gegenüber dem Blöken. „Ich spreche am besten mit Mrs. Smithers.“ Sie wartete, bis Smithers aus dem Zimmer geschlurft war, dann wandte sie sich an die anderen. „Captain, wollen Sie bitte das Feuer anzünden? Wir müssen riskieren, dass es erst einmal qualmt.“

„Mylady?“ Julia drehte sich um, wobei sie betete, dass sie nicht auf ein weiteres Schaf treffen würde, und wurde belohnt durch den Anblick von Mrs. Smithers, einer Frau wie ein Vögelchen. Sie trug eine große Schürze und in der Hand einen Schöpflöffel. Über ihre Schulter hinweg erspähte man ein sommersprossiges Ding von etwa zwölf Jahren. Vermutlich das Mädchen.

Wenigstens versprach der Löffel irgendetwas Essbares. „Mrs. Smithers, guten Tag. Wie ich schon Ihrem Ehemann erläuterte, benötigen wir Betten – gelüftete Betten – in drei Schlafzimmern. Heißes Wasser. Das Dinner um sieben Uhr und Unterbringung für Kutscher und Pferdeknecht.“

Die Frau stand da mit aufgerissenen Augen, ihr Mund bewegte sich stumm, dann ließ sie sich auf den nächsten Stuhl fallen, zog sich die Schürze über den Kopf und brach in Tränen aus.

Julia atmete tief ein und wandte sich an Captain Markham, während die letzten Schnipsel ihres Weihnachtstraums um sie zu Boden sanken wie welke Blätter im Herbst. „Können Sie Betten herrichten, Captain?“, fragte sie mit zuckersüßer Stimme.

2. KAPITEL

Betten herrichten?“, sagte Giles gedehnt. „Meine Stärke liegt eher darin, sie zu zerwühlen, fürchte ich.“

Er hatte die Bemerkung nicht so gewagt gefunden, doch Miss Chalcott erstickte ein Kichern hinter der Hand und Lady Julias Wangenknochen röteten sich jäh. Sie war müde und aus dem Gleichgewicht, und er bewunderte, dass sie nicht dem Beispiel der Köchin gefolgt war und sich einem Tränenstrom ergeben hatte.

„Ich gehe jetzt, um zu sehen, dass Ihre Leute alles Nötige haben, dann komme ich zurück und heize die Feuer an, lege die Staubhüllen zusammen, vertreibe Spinnen … was immer Sie wünschen, Mylady.“

Lady Julia betrachtete ihn nachdenklich, die Lippen angespannt, da sie ihre Gefühle zu beherrschen suchte, eine hochgewachsene Frau mit einem Teint, der von Jahren in heißem Klima ganz entgegen der Mode sonnengebräunt schimmerte. Ihre Nase war gerade, ihre Augen blau und ihr Haar, was er davon sehen konnte, war blond. Unter der Krempe ihrer Haube und bei dem schwachen Licht im Raum war es schwierig zu erkennen, doch er schätzte sie auf Anfang dreißig. Ihr gebieterisches, beherrschtes Auftreten und die Autorität, die sie ausstrahlte, waren zweifellos beeindruckend.

„Danke, Captain.“ Ihr Ton war immer noch süß, so, wie wenig gesüßte Limonade süß war. Dann kehrte sie sich den Dienern zu und erteilte eine Reihe so klarer, eindeutiger Befehle, dass Mrs. Smithers sich hastig die Augen trocknete und aus dem Salon floh, und Smithers die Staubhüllen von den Möbeln riss, als hinge sein Leben davon ab.

Möglich wäre es, dachte Giles, während er hinausging und um das Haus herum, auf der Suche nach den Stallungen. Vielleicht zauberte sie irgendein exotisches indisches Mordwerkzeug hervor und köpfte sie allesamt damit, wenn sie ihren Befehlen nicht gehorchten.

Er bekam schon schrullige Ideen vor Müdigkeit, aber der Tag war auch lang gewesen, und sein ganzes Leben war in der letzten Zeit so völlig auf den Kopf gestellt worden, daher war es nicht verwunderlich, dass er sich von dieser Frau so seltsam aufgewühlt fühlte. Höchst wahrscheinlich war es die Erinnerung an ihren hübsch gerundeten Körper in seinen Armen, ihr weiblicher Duft.

Kutscher und Pferdeknecht schoben gerade den Wagen in eine Scheune, und er ging und unterstützte sie tatkräftig, bis das Gefährt unter Dach und Fach war. „Haben Sie alles, was Sie brauchen?“

„Aye, haben wir. Danke, Sir.“ Der Kutscher nahm so etwas wie Haltung an. „Der Stall ist groß genug, und es ist reichlich Streu und Futter da, wenn auch schon etwas abgelagert. Sollen wir den Puter in die Küche bringen?“

„Nein.“ Giles schaute an der Reihe der Boxen entlang. Von den Kutschpferden waren nur vier braune Kruppen zu sehen. „Da hinten ist eine leere Box, stecken Sie ihn da hinein. Dieser Truthahn jedenfalls wird Weihnachten überleben.“ Er übersah die sorgsam ausdruckslosen Mienen der beiden Männer, hob das zappelnde Bündel aus dem Wagen und verfrachtete es in die Box. Dann verteilte er Stroh darin, füllte einen Napf mit Wasser und warf ein paar Handvoll Getreidekörner in eine Ecke. „So, fertig, fang ein paar Spinnen, wenn dir danach ist.“

Der große Vogel schüttelte seine Kehllappen, gab ein wütendes Kollern von sich und begann, sein Gefieder spreizend, auf und ab zu stolzieren.

„Hör auf damit und iss dein Abendbrot! Du hast hier keine Konkurrenz, und Truthennen gibt’s auch nicht, die du beeindrucken müsstest.“ Hinter ihm prustete jemand unterdrückt, als Giles sich jedoch umdrehte, hängten die beiden Männer geflissentlich Zügel, und Geschirr auf. „Haben Sie einen Schlafplatz gefunden?“

„Hier drüber ist ein Raum mit Betten und einem Ofen und Feuerholz. Wir werden’s ganz behaglich haben, Sir.“

„Wenn Sie hier fertig sind, gehen Sie hinüber in die Küche, da wird es etwas zu essen geben. Wie Lady Julia es gewöhnt ist, ist es hier alles nicht, stelle ich mir vor.“

„Wissen wir nicht genau, Sir. Wir sind erst ganz kurz in ihrem Dienst.“

Da war wohl nichts zu erfahren. Giles holte seine Satteltasche und ging durch die hintere Tür direkt in die Küche, wo er Mrs. Smithers zwischen Speisekammer, Tisch und Herd geschäftig hin- und herhuschend vorfand.

„Was gibt es für Vorräte?“, fragte er und hielt die aufgeregte Köchin auf, indem er sich ihr einfach in den Weg stellte. Das Erste, was man in der Armee lernte – direkt nach der Entdeckung, dass es nichts nützte, sich im Angesicht von Artilleriefeuer zu ducken – war Proviant zu beschaffen. „Die Straßen sind zugeschneit, und es schneit immer noch. Also wird es vor Weihnachten keinen Marktbetrieb mehr geben, außer es würde plötzlich tauen, und wir haben für geraume Zeit acht Mäuler zu füttern.“

„Da hatt’ ich noch gar nicht dran gedacht.“ Die Köchin setzte sich auf den nächsten Stuhl; es gelang ihr, sich zu fassen. „Dann will ich besser mal Inventur machen. Für heute Abend haben wir Hammeleintopf, den kann ich mit Kartoffeln verlängern – die sind säckeweise auf Vorrat. Außerdem Wurzelgemüse, das ist im Garten in der Miete. Dann sind da zwei große runde Käselaibe. Eingelagerte Äpfel und jede Menge Mehl. Die Butter reicht für mehrere Tage, und dann ist da noch Rinderfett. Eier sind auch reichlich da, und im Viehstall ist eine Milchkuh. Na, und dann könnte natürlich gejagt werden. Es wird Hausmannskost sein, aber wir werden nicht verhungern. Nur Ihrer Ladyschaft wird’s nicht gefallen. Aber da war kein Brief von ’nem Anwalt nich’.“ Sie schnüffelte, erneut kurz vor einem Tränenausbruch.

„Ihre Ladyschaft wird es schlucken müssen“, sagte Giles, was Mrs. Smithers zum Lachen brachte. „Tun Sie Ihr Bestes, Mrs. Smithers. Ich will sehen, was oben vor sich geht.“

Er folgte den Stimmen oder eher den diversen polternden und klatschenden Geräuschen und einer sehr klaren Stimme, die aus einem der Schlafzimmer drang. Der unglückliche Smithers kämpfte gerade mit einer Matratze, während das Mädchen Staubhüllen zusammenraffte und Lady Julia und ihre Stieftochter Leintücher sortierten.

„Captain.“ Als er eintrat, wandte Lady Julia sich um, immer noch energisch, doch er bemerkte die Müdigkeit darunter und vielleicht auch die Erleichterung, dass da jemand war, der half, die Lage zu bewältigen. „Wenn Sie sich um das Feuer kümmern wollen.“

Er hielt einen Fidibus daran, und ehe er wieder entwischen konnte, hatte Julia ihn dazu gebracht, die Laken auf der einen Seite des Bettes festzustecken. „Straffer, Captain. Mehr Spannung.“

Bei ihm sorgte sie eindeutig für Spannung, höchst unpassend. Giles kämpfte mit dem Oberbett, dann raffte er in dem strategischen Versuch, zu verbergen, wie viel Spannung sie bei ihm erzeugte, ein paar Kissen an sich.

Sie drückte ihm einen Packen Kissenbezüge in die Hand. „Wenn Sie damit fertig sind – wir sind nebenan.“

„Ja, Mylady.“ Sollte er salutieren? Er war versucht, sie damit zu necken. Stattdessen nahm er, als sie aus dem Zimmer schritt, den eleganten Schwung ihrer Hüften wahr. Während er die Kissen in die Hüllen stopfte, sagte er sich, dass das hier nicht ein Biwak in den Bergen Spaniens war und Lady Julia kein leichtes Armeeflittchen.

Das nächste Zimmer war kleiner. Er entzündete das Feuer, dann half er Miss Chalcott, einen schweren Vorhang vor ein Fenster zu ziehen, doch selbst dann noch war es so zugig, dass der Luftzug die klammen Bettvorhänge in sachte Bewegung versetzte. Das Feuer qualmte abscheulich. Giles murmelte einen Fluch. „Das Zimmer nehme ich. Ich bin an die Kälte gewöhnt. Ich werde nachsehen, ob irgendwo ein Kamin einen freien Abzug hat, sonst ziehen die Damen besser gemeinsam in das erste Zimmer.“

Das Leben in der Armee war für dieses Haus wirklich eine gute Vorbereitung gewesen. Bei Schnee war ich in Zelten schon komfortabler untergebracht, sinnierte er, während er Miss Chalcott in den Raum nebenan folgte. Hier tat der Schornstein ihnen den Gefallen, gleichmäßig zu ziehen. Der Raum war kleiner, damit aber auch schneller warm, wie er feststellte, während er ihr half, das Bett herzurichten.

„Danke, Captain.“ Ihr Lächeln ist bezaubernd, dachte er und erkannte, dass er sie bewunderte, wie er wohl ein erlesenes Kunstwerk, nicht aber eine lebende Frau, bewundern würde.

Eine solche war allerdings direkt nebenan, schloss er aus den Lauten, die durch die Wand drangen. „Smithers, gibt es noch andere Matratzen? Auf der hier kann Captain Markham nicht schlafen, da waren die Mäuse drin.“

„Lady Julia ist offensichtlich daran gewöhnt, mit Dienstboten umzugehen“, sagte er, während Miss Chalcott Bettzeug über einem Stuhl vor dem Feuer ausbreitete.

Sie lachte. „Das ist wohl zutreffend.“

„Sie hatten viele Diener?“, fragte er verwundert. Eine geborgte Kutsche, schlichte, nüchterne Kleider, dieses grässliche Haus als einziges Vermächtnis des Gatten … Irgendwie passte das nicht zusammen.

„Gut siebzig. Nun sehen Sie sich diesen Stoff an! Motten vermutlich! Obwohl ich denen nicht begegnen möchte, so groß wie die Löcher sind!“

„Siebzig?“

„Ach, in Indien hat man unzählige Diener, sofern man nur einen Haushalt hat. Diener fürs Haus, Diener für draußen, Pferdeknechte, Gärtner, Näherinnen, Wäscherinnen, mein Vater hatte Diener im Geschäft … das summiert sich, und es kostet nur einen Bruchteil dessen, was es in England kosten würde.“

„Dann war Ihr Vater Geschäftsmann?“

„Mein Gemahl war Kaufmann und handelte mit verschiedensten Waren.“

Giles hatte Lady Julia nicht kommen hören. „Aber trotz der allgemein verbreiteten Annahme in England ist in Indien nicht jeder, der Handel treibt, ein Krösus und unermesslich reich. Oder überhaupt reich.“

„Ich bitte um Verzeihung, Mylady. Ich ließ mich von der Ungezwungenheit der Umstände zu Neugier verleiten.“ Er war wirklich zu lange in der Wildnis und in der Armee gewesen, wenn er vergessen hatte, dass man über Geld und über Handelsgeschäfte nicht sprach. Als Tochter eines Earls mochte Lady Julias Heirat als akzeptabel angesehen worden sein, wenn sie durch großes Vermögen versüßt wurde, aber ein schlichter Kaufmann musste sie auf die falsche Seite der gesellschaftlichen Grenzlinie gebracht haben. Warum hatte ihre Familie das zugelassen?

„Es stört mich nicht. Indien macht alle neugierig, finde ich.“ Lady Julia kam weiter ins Zimmer, und er sah ihr an, wie erschöpft sie war, trotz der festen Stimme und der aufrechten Haltung. Dann lächelte sie, und er erkannte noch etwas. Er hatte ihr Alter völlig falsch geschätzt. Sie konnte bestimmt nicht älter als fünfundzwanzig, höchstens sechsundzwanzig sein. Und Miss Chalcott? Zwanzig, einundzwanzig? Was hieß, dass Lady Julias Gatte bei der Eheschließung schon Ende vierzig gewesen sein musste, außer er hätte sich schon in seiner frühesten Jünglingszeit gründlich ausgelebt.

Die Tochter eines Earls heiratete einen nicht sehr erfolgreichen indischen Kaufmann, der doppelt so alt war wie sie. Wie war es dazu gekommen? Seine Neugier regte sich abermals, wie sich ein Löwe im Käfig regte, wenn er jäh gereizt wurde, doch rasch verschluckte er die Frage, die ihm beinahe über die Lippen gekommen wäre.

Julia strich mit einer Hand über die Decken auf dem Stuhl und rümpfte die Nase. „Dieses Haus ist seit vielen Jahren im Besitz der Familie meines Gemahls. Ich wusste nicht, dass es so vernachlässigt ist.“

Bedachte man, dass Lady Julia Tausende Meilen gereist war, um zu entdecken, dass die erhoffte Sicherheit ein heruntergekommenes Haus in der Einöde war, zeigte sie bemerkenswerte Standhaftigkeit. Vielleicht plante sie, zu ihrer Familie zurückzukehren.

„Mrs. Smithers sollte inzwischen Wasser heiß gemacht haben, wenn ich auch bezweifle, dass es für ein Bad reicht. Ich werde Ihnen etwas hinauf in Ihr Zimmer schicken, Captain. Dann bis sieben Uhr beim Dinner.“

„Ich kümmere mich selbst um das Wasser.“ Beinahe hätte Giles ihr empfohlen, ein wenig auszuruhen, fand aber dann, es wäre wohl nicht taktvoll, einer Frau zu sagen, dass sie müde aussah. „Bis zum Dinner, Ladys.“

Captain Markham hatte sich rasiert, ein sauberes, wenn auch etwas knittriges Hemd samt Krawattentuch angelegt und seine Reithosen und Stiefel einer Reinigung unterzogen. Auch sah er aus, als hätte er ein wenig schlafen können. Anders als ich, dachte Julia ungehalten, als sie ihn über den großen Tisch hinweg betrachtete, der einmal gründlich hätte poliert werden müssen.

Sie hatte auf dem Bett in ihrem staubigen, zugigen Schlafgemach gelegen und mit aller Macht Schlaf gesucht, doch der hatte sich nicht eingestellt. Was sie wachhielt, war die ekelhafte Erkenntnis, dass sie sich von einer sentimentalen Erinnerung an die Weihnachtsfeste ihrer Kindheit hatte für die Realität blind machen lassen. Aus meiner Wut heraus habe ich mich hierhin aufgemacht und mich an den Glauben geklammert, dass am Ende ein bezauberndes Landhaus wartet mitsamt seinen bezaubernden dienstbaren Geistern, alles zwar bescheiden, aber bequem und warm und sicher.

Stattdessen war sie mit Miri in einem kalten, vernachlässigten Haus, Meilen von jeder anderen Behausung, gelandet, mit drei flattrigen Dienstboten. Und einem Truthahn, den sie nicht einmal essen konnten. Und einem abgerissenen Captain der Armee, der sie mit Blicken bedachte, die sie nicht deuten konnte, die sie aber irritierten und … erregten, zur Hölle mit ihm. Sie hatte ihn aus schwerem Schneefall gerettet. Er sollte ebenso erschöpft sein wie sie, und doch wirkte er einfach robust und kompetent und bereit, einen Kavallerieangriff anzuführen, wenn nötig. Sobald er damit fertig war, sie mit einem Blick in eine Schwachsinnige zu verwandeln.

Miri schaute er nicht so an. Sie behandelt er ganz respektvoll, als wäre sie nur ein durchschnittliches unverheiratetes Mädchen, und blieb, nach dem ersten Schreck, anscheinend von ihrer Schönheit völlig ungerührt.

„Noch ein paar Kartoffeln, Lady Julia?“ Nicht dass er sie nicht auch respektvoll behandelte. Sein Betragen war absolut korrekt, so korrekt, dass sie sich dauernd sagte, sie bilde sich die Wärme seiner Blicke, die gelegentliche Doppeldeutigkeit seiner Worte nur ein. Sie musste es sich einbilden! Sie hatte sich schon in der Kutsche sofort zu ihm hingezogen gefühlt, daher interpretierte sie vielleicht ein gleiches Interesse, wo keines war. Wie demütigend.

„Danke.“ Das Essen war passabel. Zwar einfach und langweilig, doch immerhin warm und sättigend. Miri aß mit zierlicher Vornehmheit und ließ sich nicht anmerken, wie wenig ihr die ungewohnte Speise schmecken musste.

„Nach der monatelangen Schiffskost kann das nur eine Verbesserung darstellen.“ Julia griff nach dem Pfeffer. „Aber falls wir bleiben, muss ich einige Gewürze ordern. Solch faden Geschmack ertrage ich nicht lange.“

„Sie sind sich noch nicht sicher, ob Sie bleiben werden?“ Captain Markham zwirbelte den Stiel seines Weinglases langsam zwischen den Fingern. Im Keller hatte sich eine Anzahl staubiger Flaschen zweifelhaften Jahrgangs gefunden, und eine davon kosteten sie gerade vorsichtig.

„Dieses Haus ist enttäuschend“, gab Julia zu. Und nicht nur das Haus, wenn sie ehrlich war. Nach sechs Jahren klaren Denkens und brutal realistischer Sicht auf die Dinge hatte sie zugelassen, dass die Freiheit ihr zu Kopf gestiegen war. Sie hatte sich zu träumen gestattet und war dem Traum gefolgt. Und sie war selbstsüchtig gewesen, wie sie sich mit einem Blick auf Miri gestand. Aus den besten Motiven heraus. „Ich werde es verkaufen.“

„Wenn Sie bis zum Frühling warten, werden Sie einen besseren Preis erzielen“, schlug Markham vor. „Ist es erst gründlich gesäubert und mit ein bisschen Farbe verschönert und die Sonne bescheint es, ist es vielleicht ganz verwandelt.“

„Und ein Maharadscha auf einem weißen Elefanten kommt die Auffahrt herauf und bietet mir eine Kiste Gold dafür“, entgegnete sie, was Miri ihr mit einem Lachen lohnte.

Sie aßen den Apfelkuchen, wobei sie den Wunsch nach fettem Rahm höflich verschwiegen. „Im Keller fand sich kein Portwein, nehme ich an“, sagte Julia, während sie und Miri vom Tisch aufstanden. „Wir überlassen Sie Ihrem Wein, Captain. Wenn Sie uns bitte entschuldigen wollen, ziehen wir uns zurück.“

„Natürlich.“ Der Captain erhob sich. „Gute Nacht, die Damen. Und vielen Dank, dass Sie mich aus dem Schnee errettet haben.“

Julia brachte Miri zu ihrer Zimmertür, dann kehrte sie um und ging zu ihrer eigenen Tür. Rastlos, unentschieden. Was war mit ihr los? Sie war nie unentschieden. Vielleicht würde ein wenig frische Luft sie wieder aufrichten. Und wenn schon sonst nichts, würde die Kälte sie in ihr Bett treiben und dann würde sie bestimmt schlafen können.

Sie schlüpfte in ihre Halbstiefel und legte sich einen Umhang um. Die Haustür öffnete sich mit grabesdumpfem Knarren, und dann tastete Julia sich mit behutsamen Schritten zu den Ställen, in der frostigen Dunkelheit das einzige Ziel für einen Spaziergang.

Es hatte aufgehört zu schneien, und sie sah Kerzenschein aus dem Raum über den Stallungen und Rauch, der aus dem Ofenrohr aufstieg. Darunter warf über den gestampften Schnee eine einzelne Laterne ihr Licht, dem sie bis zum Tor und in den Stall folgte.

Im Stall war es wärmer, und es roch nach staubigem Heu und Pferd. Vier Köpfe erschienen über den Halbtüren der Boxen, doch Julia ging nicht zu ihnen. Sie vermisste ihre kleine Stute, und diese stattlichen Tiere waren kein Ersatz für das tapfere kleine Pferd, das sich vor nichts fürchtete, nicht einmal vor Elefanten. Ein weiterer Fehler, es verkauft zu haben, doch damals hatte Julia gedacht, sie handele stark und entschlussfreudig.

Gereizte Töne zogen sie zu der Tür, hinter der kein Pferd stand. Der Puter scharrte dort im Stroh; nun der Decke ledig, hatte er seine aufgeblasene Würde wiedererlangt. Er plusterte die Brust auf und spreizte die Schwanzfedern, als er Julia sah.

„Lächerliches Geschöpf. Du hast keine Zweifel, nicht wahr? Du machst einen idiotischen Satz ins Schneetreiben und in den sicheren Tod, aber natürlich wirst du gerettet und umsorgt, und nun wirst du deinem angemessene Schicksal entkommen.“

Wohingegen sie eine kopflose Flucht angetreten hatte und hier gestrandet war. Und wenn sie sich nicht in Acht nahm und die richtigen Entscheidung traf, würde sie sich in der Falle wiederfinden oder in eine Ehe gelockt oder schlicht gedrängt sehen – das angemessene Schicksal für eine reiche Witwe. „Ach, was habe ich getan?“ Sie senkte die Stirn auf ihre verschränkten Arme, die auf dem Gatter der Box ruhten.

„Nun, was haben Sie denn getan?“, fragte jemand hinter ihr. Captain Markham.

„Mein Herz über meinen Verstand herrschen lassen“, sagte sie müde, ohne sich zu rühren. „Ich habe Indien aus nostalgischer Sehnsucht nach England verlassen und Miri mit mir hierhergeschleppt. Ich finde es schrecklich hier.“

„Was werden Sie tun?“ Er war ihr so nah, dass ihre Röcke seine Beine streiften. Ganz kurz dachte sie, er würde sie berühren, doch er stand reglos da. Sie war es wohl, die als Reaktion auf ihn zitterte. Nicht vor Kälte. Das nicht, da sie seine Wärme hinter sich spürte.

„Zurück nach Indien gehen. Da weiß ich, woran ich bin.“ Wer ich bin.

„Lieben Sie das Land so sehr?“, fragte Giles leise, die tiefe Stimme ganz vertraulich, als ob er sich nach ihren Gefühlen für einen Mann erkundigt hätte.

Julia richtete sich auf, hielt den Blick aber auf den Truthahn geheftet. Bildete sie es sich nur ein, oder konnte sie Markhams Atem warm auf ihrem Nacken spüren?

„Die meiste Zeit habe ich mich dagegen gewehrt, als wäre es ein Mensch, ein Feind. Aber manchmal war es wie ein exotisches Märchen. Mit seiner Schönheit, seiner Magie, so unwahrscheinlich gewaltig und üppig. Die Menschen, die Farben, ah, und manchmal am Morgen … wenn gerade die Sonne aufging und es kühl und klar war und der ganze unwahrscheinliche Ort zum Leben erwachte, und ich ritt auf meiner Stute und die Welt gehörte mir.“

„Für mich hört sich das wie Liebe an. Eine Anziehungskraft, die die Seele berührt, gegen die Sie aber ankämpften, noch während sie Sie verführte.“

„Sie sind ein Romantiker, Captain.“

Ein Zittern durchlief sie, und er trat näher, legte seine Hände rechts und links von ihr auf das Trenngatter, hielt sie gefangen in seiner Wärme, am muskulösen Wall seines Körpers. Dagegen konnte man etwas tun. Ein spitzer Ellenbogen in seine Rippen gebohrt. Ihr harter Absatz auf seine Zehen gerammt, ein Stoß mit dem Kopf nach hinten in sein Gesicht. Diese Mittel kannte sie und hatte sie auch schon eingesetzt.

Sie wandte sich zu ihm um und fixierte den obersten Knopf seiner Weste. Keineswegs verspürte sie den Wunsch, den Mann zu schlagen. „Ein Romantiker“, murmelte Julia.

Er stand einfach nur da, versuchte nicht, sie zu berühren oder näher an sie heranzurücken. „Nein, nur ein Mann, der bei Sonnenaufgang über weite Ebenen geritten ist, ehe die Schlacht begann, der den Nebel aufsteigen sah und die ersten Vögel singen hörte und der versuchte, den Augenblick festzuhalten. Und der vergeblich hoffte, dass die Sonne den Nebel nicht vertreiben möge und die Kanonen nicht feuern würden und die Erde sich nicht von Blut roten würde.“

„Aus dem Mund eines Soldaten klingt das seltsam.“

„Soldaten sind nicht immun gegen Schönheit. Nur wenige wollen um der Sache willen kämpfen und töten. Aber wenn der Nebel schwindet und die Kanonen lärmen, dann vergessen wir jene Augenblicke des Friedens und stürzen in die Hölle.“

„Für wen kämpfen Sie, Captain?“

3. KAPITEL

Sie hatte ihn überrascht. „Es ist meine Pflicht“, sagte Giles nach einem Moment.

„Kämpfen denn alle Soldaten immer dafür? Für König und Land? Oder wurden Sie Soldat, um Ihre Liebste zu beeindrucken?“ Sie hatte ihn necken wollen, und er lächelte kopfschüttelnd. „So waren Sie also frei und ledig, um als Herzensbrecher über den Kontinent zu ziehen.“

Sein Blick verdunkelte sich jäh, er spannte sich sichtlich an. Julia schaute erschrocken und schuldbewusst fort. In ihrer Befangenheit war sie über etwas Privates, etwas, das ihn offenkundig schmerzte, gestolpert.

Gleich darauf spürte sie, wie sich die Muskeln des kräftigen Körpers, der sie gefangen hielt, lockerten, und sie wagte aufzusehen und ihm in die Augen. Graue Augen mit von den Pupillen ausstrahlenden goldenen Lichtern, kleinen Flammen gleich. Der Moment war wie eine Seifenblase – eine falsche Bewegung und er wäre dahin wie jener Morgennebel. Sie hob die Hände und zog seinen Kopf zu sich herab, drückte ihre Lippen auf die seinen, und die schimmernde Blase hüllte sie beide ein.

Ein winziges Zögern, ein kaum merkbarer scharfer Atemzug, dann erwiderte er den Druck, seine Lippen fest und ein wenig kühl. Seine Zunge folgte tastend dem Umriss ihrer Lippen, erschreckend warm an ihrem kalten Mund, den sie ihm öffnete.

Merkte er, dass sie kaum je geküsst worden war? Julia hielt sich bewusst zurück, bezwang ihr Bedürfnis, einfach in seiner Umarmung zu ertrinken, ihn hinunter auf den Berg Stroh zu zerren und endlich herauszufinden, wie es wäre, sich einen virilen Mann in der vollen Blüte seines Lebens hinzugeben.

Übermäßiger Eifer würde ihre Unerfahrenheit verraten. Sie überließ ihm die Führung, erwiderte seine Glut, als er den Kuss vertiefte. Giles Markham weiß, was er tut, dachte sie leicht benebelt, versuchte, sich zu konzentrieren, zu lernen und sich nicht in diesem Angriff auf ihre Sinne zu verlieren. Bei den seltenen Gelegenheiten, da Humphrey sie tatsächlich geküsst hatte, hatte seine Wildheit ihr Angst gemacht, und sein Geschmack hatte sie abgestoßen – Zigarren, überwürztes Fleisch und starker Alkohol.

Dieser Mann schmeckte verlockend, was sie verwirrte, da die Aromen eine Mischung aus einem Hauch Zahnpulver, Wein und … Mann waren, wie sie fand. Dann sein heißer Mund und seine kühle Haut, der Duft einer einfachen Seife und des staubigen Heus im Stall, der tröstliche Geruch von Pferden. Und da war sein Körper unter ihren Händen. Muskulöse Schultern, die kurzen Haare in seinem Nacken, seine starken Arme, mit denen er sie umfangen hielt.

Als er sie losließ, taumelte sie gegen das Gatter, ihr war schwindelig, sie war bezaubert, ihre Hände lagen immer noch auf seinen Schultern. So ist das also. Jetzt weiß ich es. Endlich. Nach all den Jahren.

„Julia?“

Nur ihr Name. Er gefiel ihr aus seinem Munde.

„Giles.“ Den mochte sie auch. Ein guter, ehrlicher Name. Sie ließ ihre Fingerspitzen über die bloße Haut oberhalb seines Kragens wandern, und selbst im dämmrigen Licht sah sie, wie sich sein Blick verdunkelte. Du begehrst mich. Sag mir, du begehrst mich.

„Du bist aufgewühlt, müde und dir ist kalt“, sagte Giles, während er einen Schritt zurücktrat. Und sie stand frierend und allein da, die Hände immer noch erhoben. „Das ist nicht der beste Zeitpunkt, etwas zu beginnen.“

„Was beginnen?“ Seine Wahrnehmung ihres Zustands löschte ihre eigene – schwindelig, bezaubert – glatt aus.

„Eine Liebelei meinte ich.“

So nannte man also, was sie begehrte. Ihr wurde bewusst, dass sie keine Worte dafür hatte. Giles wusste vermutlich alles über Liebeleien, und er machte ihr taktvoll klar, dass er keine wünschte. Und mit großem Widerstreben hatte er sich auch nicht gerade aus ihren Armen losgerissen. Wie demütigend.

Julia setzte ein reserviertes Lächeln auf, die Maske, die sie trug, wenn sie mit Edelsteinhändlern oder Kamelzüchtern gefeilscht hatte. „Liebe Güte, wie ernst Sie sind. Eine Liebelei! Mir war einfach danach, Sie zu küssen, als Sie so dicht vor mir standen.“ Sie lachte, zielte auf weltgewandte Amüsiertheit ab, aus Furcht vor Mitleid. Geh auf den Scherz ein, bitte.

Er lächelte schief, fast als fände er nichts lustig daran, doch sein Blick war warm, die goldenen Flämmchen in seinen Augen funkelten. „Natürlich. Verzeihen Sie mir. Wenn Sie mir einen Moment geben, schaue ich noch mal nach den Tieren, dann geleite ich Sie zurück zum Haus. Der Weg ist glatt.“

„Gewiss.“ Wie kühl sie klang. Gar nicht wie eine Frau, die vor Verlangen bebte, beinahe in Flammen stand, fast sprachlos vor Verlegenheit über ihre Kühnheit. Als Giles, nachdem er Wassertröge und Futter kontrolliert hatte, zurückkam, war sie bereit, die Hand auf seinen dargebotenen Arm zu legen.

Absolut sicheren Schrittes überquerte er mit ihr den Hof, der vom Glanz des sich im Schnee spiegelnden Sternenlichts erhellt wurde. „Du meine Güte, ist mir kalt!“ Ein übertriebenes Erschauern würde doch bestimmt verbergen, wie sehr sie bebte?

Im Haus ging sie sofort zur Treppe – ging! Rannte nicht, floh nicht in ihr Zimmer, um ihren Kopf unter ein Kissen zu stecken. „Wenn Sie nachsehen würden, ob Türen und Fenster sicher verschlossen sind und alle Feuer nur noch glimmen. Ich weiß noch nicht, wie verlässlich Smithers ist.“

„Sicher. Gute Nacht, Lady Julia.“

„Gute Nacht, Captain. Schlafen Sie wohl.“ Er würde für Sicherheit sorgen, dessen war sie sich gewiss. Giles Markham gab ihr das Gefühl, beschützt, behütet zu sein. Und abgewiesen.

Schlafen Sie wohl. Lady Julia – Julia – verbarg unter ihrem verwirrenden Äußeren Sinn für Humor, denn gewiss konnte sie den Wunsch nicht ernst gemeint haben. Giles zog sich die Decken über die Ohren und fragte sich, warum ihn seine Erregung nicht wärmte. Oder warum umgekehrt die Kälte seine Erregung nicht abtötete. Das war das Schlimmste überhaupt. Ihm war eisig kalt, aber er war hart wie ein glühender Eiszapfen.

Du hättest sie nicht küssen sollen, sagte ihm seine Vernunft. Sie hat mich zuerst geküsst, kam die Antwort von ziemlich viel weiter südlich seines Hirns. Ja, aber du hättest sie sowieso geküsst, oder? Sagtest dir, sie brauche Trost, gabst vor, ihr nur eine Schulter zum Ausweinen bieten zu wollen. Hast du deine Lektion nicht gelernt? Du beginnst in einem Anfall von Ritterlichkeit oder Lust, und dann verstrickst du dich tief in die Netze, die sie spinnen, und am Ende wird dir das Herz gebrochen.

Ja, er war Soldat, und so handelte er auch. Bin gewesen, erinnerte er sich, und versetzte seinem Kissen einen heftigen Puff. Vorbei.

Ja, aber … Eben die Frage hielt ihn wach, mehr noch als seine eiskalten Füße und sein pochendes Verlangen. Sie hat mich geküsst, und sie hatte keine Ahnung, wie es geht.

Nicht dass es deswegen weniger köstlich gewesen wäre; ihre Lippen waren süß und freigiebig, ihr Körper, der sich an seinen geschmiegt hatte, hatte überreiche Weiblichkeit versprochen. Doch sie war Witwe und dem, was gesagt wurde, zufolge seit diversen Jahren in Indien verheiratet gewesen. Was war die Wahrheit? Eine Ehe nur dem Namen nach – oder war der Gemahl eine Erfindung? Und war sie in dem Fall überhaupt Lady Julia Chalcott, Tochter eines Earls?

Ein heftiger Windstoß traf auf die Fensterscheiben und fegte kalte Luft durch das Zimmer. Giles fluchte und stieg aus dem Bett, immer noch bekleidet, sah man von Krawattentuch und Stiefeln ab. Er hatte schon unter wesentlich unbequemeren Umständen wie ein Stein geschlafen, jedoch nur, wenn es keine Alternative gegeben hatte. Hier gab es eine. Er raffte das Bettzeug zusammen, ließ sein Zimmer hinter sich und ging hinunter in den Salon, wo wenigstens ein Feuer glomm.

Vor dem Kamin baute er sich auf den Polstern des Sofas ein kuscheliges Lager und bearbeitete dann die widerspenstigen Kohlen. Als das Feuer wieder munter brannte, war ihm schon wärmer, und er konnte langsam wieder klar denken. Er erklomm noch einmal die Treppe, kramte in seiner Reisetasche nach dem dicken roten Buch, das er zur Durchsicht erworben hatte und das zu teuer gewesen war, um es fortzuwerfen, als er knietief durch den Schnee gestapft war.

Dann richtete er sich in seinem provisorischen Bett ein, bevor er sich den Adelskalender vornahm.

Sir Humphrey Chalcott, zweiter Baron, geboren in London, 12. Mai 1752.

Der wäre nun sechzig gewesen, wenn er noch gelebt hätte.

Einziger Sohn …

Heirat 1804 in Kalkutta mit Julia Clarissa Anne,

Tochter von Frederic Falmore, vierter Earl of Gresham

Keine erste Frau, also musste Miss Chalcott die Tochter einer Mätresse sein.

Giles blätterte zu den Falmores. Julia war 1787 geboren, das einzige Kind des vierten Earls, der im Frühjahr 1803 gestorben war, fünf Jahre nach seiner Gattin. Der Titel war an den Sohn seines jüngsten Onkels übergegangen. Giles rechnete nach. Sie war erst siebzehn gewesen, als sie einen Mann geheiratet hatte, der fünfunddreißig Jahre älter gewesen war als sie.

Wer schickte ein trauerndes, verwaistes siebzehnjähriges Mädchen auf ein Schiff nach Indien? Mit der „Fangflotte“ reisten verzweifelte und arme, unansehnliche oder sonst schwer zu vermittelnde Frauen auf der Suche nach einem Gemahl, der unbedingt eine britische Frau adeliger Abstammung haben wollte, während er in Indien um Erfolg kämpfte.

Wenn Julia wirklich war, wer sie zu sein behauptete, war ihr Ehemann vielleicht durch Krankheit oder ein Gebrechen unfähig gewesen, die Ehe mit seiner jungen Braut zu vollziehen. Doch er musste einmal potent gewesen sein, dafür war Miss Chalcott der Beweis.

Giles warf noch ein Scheit aufs Feuer, blies die Kerze aus und legte sich zum Schlafen nieder, doch seine Neugier war gründlich geweckt. Was, wie er folgerte, während er endlich einzudösen begann, wesentlich angenehmer war als sein vorheriges Leiden.

Zweifellos gab es peinlichere gesellschaftliche Situationen, als den Mann am Frühstückstisch zu treffen, den man am Abend vorher unbeholfen geküsste hatte und der einen dann entschieden, aber freundlich abgewiesen hatte. Nur fiel Julia im Augenblick keine ein, und sie überlegte gerade verzweifelt, als Giles die Tür zum Speisesalon öffnete.

Wenn man während einer Dinnergesellschaft alle Kleider abwarf? Oder den Gouverneur in seinem Palast in Kalkutta dabei überraschte, wie er seine Mätresse auf dem Billardtisch beglückte?

„Guten Morgen.“

Ihr fiel die Zuckerdose aus der Hand, und die Stücke verteilten sich quer über den Tisch.

„Julia!“ Miri lachte fröhlich. „Wo bist du mit deinen Gedanken? Guten Morgen, Captain Markham.“

„Beim Billard“, brachte Julia so eben heraus.

„Und was könnte dich an Billard zum Erröten bringen?“ Miri war darauf aus, sie zu necken.

„Wenn du es denn wissen musst, dachte ich an den Marquess of Hastings. An seinen Billardtisch; im Gouverneurssitz.“ Gequält blickte sie zu Giles hinüber, der sich ans Ende der Tafel gesetzt hatte. „Guten Morgen, Captain. Es gibt Speck, Eier, Brot und Butter. Sie könnten nach Käse läuten. Ach, da sind auch ein paar Konfitüren. Tee? Kaffee oder Schokolade haben wir nicht.“

Und wenn ich lange genug rede, öffnet sich vielleicht der Boden und verschluckt mich.

„Danke.“ Giles nahm die Teetasse entgegen. „Was hat es mit dem Marquess und Billard auf sich, dass Sie erröten müssen? Spielt er so schlecht?“

„Nicht er, ich.“ Der Boden blieb enttäuschend heil und Giles’ – Captain Markhams – leichtes Lächeln war immer noch provozierend. „Es schneit nicht mehr. Vielleicht sind die Straßen bald wieder frei.“ Und du kannst abreisen. Bitte. Ehe ich mich endgültig zum Narren mache.

„Ich werde später nachsehen, obwohl ich es nicht recht glaube. Die Temperatur ist weiter gesunken, es wird also nicht tauen.“ Er strich Butter auf eine Scheibe Brot und widmete sich seinem Frühstück, während Julia nach einem harmlosen Gesprächsthema suchte.

„Ich komme mit Ihnen“, verkündete Miri. „Mrs. Smithers sagt, sie hat ein Paar dicke Stiefel, die sie mir leihen würde.“

„Hatten Sie schon einmal Schnee gesehen?“, fragte Giles.

„Gestern zum ersten Mal. Es ist sehr schön, macht mir aber ein wenig Angst.“

„Es ist nicht gefährlich, wenn wir nahe beim Haus bleiben, aber vermutlich wird es auch zu mehr nicht kommen. Man sollte mit Schnee besser nicht leichtfertig umgehen, obwohl ich in einem Notfall Truppen auch schon in tieferem Schnee bewegt habe. Aber er tötet schleichend, und man sollte besser nichts provozieren.“

Er sprach ganz sachlich und verständig über etwas, das ein wahrer Albtraum gewesen sein musste. Julia betrachtet unauffällig die feste Linie seines Kinns und die breiten Schultern und konnte sich gut vorstellen, wie Giles seine Männer sicher durch jede Art von Gefahr leitete. Er sprach immer noch mit Miri, als sie sich von ihren Vorstellungen losriss.

„Wir können einen Schneemann bauen, wenn Sie mögen. Wollen Sie sich uns nicht anschließen, Lady Julia?“

„Danke, nein. Bitte lassen Sie Miss Chalcott nicht frieren. Sie ist an so niedrige Temperaturen nicht gewöhnt, und schon gar nicht unter solchen Umständen.“

Seine ungewöhnlichen grauen Augen schauten spöttisch. „Das sind Sie beide nicht, weswegen es unklug wäre, überhaupt allein draußen umherzuwandern, gleich zu welcher Zeit.“

„Das hängt ganz davon ab, was einem begegnet, nicht wahr?“

Giles verengte die Augen und dann lächelte er, zu ihrer Verwirrung überhaupt nicht verlegen. Miri, offensichtlich in seliger Ignoranz der unterschwelligen Spannungen, strahlte sie an. „Bitte komm doch auch mit, Julia. Das wird lustig. Bestimmt gibt es hier noch mehr Stiefel.“

Natürlich wird es lustig. Miri würde begeistert sein, schließlich war es eine ganz neue Erfahrung, und sie wäre eine miserable Freundin, wenn sie nicht mitmachte, nur weil sie sich gestern Abend lächerlich gemacht hatte.

„Also gut. Amüsieren wir uns!“

Als sie, dick in Mäntel und Schals eingepackt, hinausgingen, schien die Sonne. Giles folgte den teils verschneiten Wagenspuren zum Tor. „Es ist nicht so schlimm, wie ich befürchte habe“, rief er den Frauen zu.

„Gott sei Dank.“ Julia stampfte mit ihren in dicken Socken und plumpen Stiefeln steckenden Füßen auf. „Ist die Straße frei?“

„Die Hecken haben verhindert, dass der Schnee von den Feldern getrieben wurde, soweit ich erkennen kann. Weiter hinten sieht es vielleicht anders aus, aber für die Kutsche liegt er trotzdem zu hoch, und auch auf mit dem Pferd sollte man es noch nicht versuchen. Möglicherweise wird es Weihnachten klappen, wenn das Wetter sich hält. Aber jetzt – Schneemänner!“

Er zeigte Miri, wie man einen Schneeball zu einer großen Kugel rollte. „Für den Körper brauchen wir eine ganz dicke und eine kleinere für den Kopf.“

„Lassen Sie mich!“ Miri stürzte sich auf den Ball und rollte ihn vorwärts, lachend vor Entzücken, sodass ihr Atem in kleinen Wölkchen in die Luft stieß.

Giles ließ sie gewähren und gesellte sich zu Julia. „Gehen wir an dem Buschwerk entlang und schauen, ob wir Immergrün für Girlanden finden?“

„Meinen Sie, es lohnt sich, das Haus weihnachtlich zu schmücken?“ Ein nettes, ungefährliches Thema.

„Bewegen Sie sich, ehe Ihre Zehen erfrieren.“ Ehe sie protestieren konnte, ergriff er ihre Hand, schob sie unter seinen Ellenbogen, und betrachtete Julia dabei von seiner überragenden Höhe aus. Sie war es nicht gewohnt, den Kopf heben zu müssen, um einem Mann in die Augen zu blicken. „Sie sind fest entschlossen, sich elend zu fühlen, nicht wahr?“, fragte er.

„Nein!“ Verärgert funkelte sie ihn an. „Ich bin entschlossen, fort von hier zu kommen, das ist alles. Die arme Miri, von ihrem Zuhause weggeschleppt! Ich war verrückt, überhaupt auf den Gedanken zu kommen.“

„Die arme Miri?“ Er deutete mit dem Kopf zu der Stelle, wo Julias Stieftochter schon den Bauch für einen zweiten Schneemann rollte. Jede Linie ihres warm verpackten Körpers strahlte Begeisterung aus.

„Schnee ist neu für sie. Aber neu ist ihr auch, zu frieren, brüskiert zu werden und Heimweh zu haben. Ich sagte mir damals, ich würde tun, was gut für sie ist; nun frage ich mich, ob ich nicht aus Selbstsucht nach ihrer Begleitung verlangte.“

„Wie haben Sie sich denn gefühlt, als Sie in Indien ankamen und die Hitze Ihnen zusetzte und Sie Heimweh hatten? Brüskiert wurden Sie nicht, denke ich. Nicht als Tochter eines Earls.“

Er war neugierig, aber das überraschte nicht. Sie hätte es seltsam gefunden, wenn er es nicht gewesen wäre. „Nein, das nicht.“ Die Versuchung, das alles einem mitfühlenden Ohr anzuvertrauen, überwältigte sie beinahe. Stattdessen sagte sie, was sie den ganzen Vormittag zurückgehalten hatte. „Ich muss mich für gestern Abend entschuldigen.“

„Für was denn nur?“

„Wenn Sie sich im Stall auf mich gestürzt und mir einen Kuss aufgezwungen hätten, würden Sie sich entschuldigen.“ Als er schwieg, wagte sie einen verstohlenen Blick zu ihm.

„Sie sind sehr erfrischend, Julia.“ Da sie ihn stirnrunzelnd ansah, hob er einen Mundwinkel, was die Narbe auf seiner Wange betonte. „Ja, dann wäre natürlich eine Entschuldigung angebracht, außer ein Kuss wäre sichtlich willkommen gewesen. Aber ich hätte mich ja jederzeit abwenden können, was Ihnen zeigen sollte, dass ich es genossen habe. Wenn ich nicht gewollt hätte, wäre ich schreiend davongelaufen, versichere ich Ihnen – die Tür war direkt hinter mir.“