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Diesmal bedroht ein Pilz, der zu seiner Vermehrung nur Männer befällt und sie anschließend vertrocknen lässt, die Menschheit. Gibt es Hoffnung, werden die Menschen überleben? Ein vergnüglicher Ritt von Evolution zu Tod und Auferstehung, von Sex zu Unsterblichkeitsproblemen und vom Entstehen neuer Arten.
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Seitenzahl: 212
Veröffentlichungsjahr: 2024
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XII. Prolog
1. Eine Tür öffnet sich
2. Patient Null
3. Der Medizinmann
XI. Tot – oder nicht?
4. Homifung
5. Das Board
6. Was schief gehen kann, geht auch schief
7. Sneakingly extinction
8. Was gut beginnt, das endet schlecht, was schlecht beginnt, das endet schrecklich
X. Also doch lebendig
9. How to decease
10. Sudden Death
11. Depression
12. Sudden Resurrektion
IX. Pferd, Sumpf und Schopf
VIII. Nichts ist jemals wirklich vorbei
VII. Zwei Arsch in einer Hose
VI. Wandlungen
V. Multiplikation und Division
IV. Bäumchen wechsle Dich
III. Das Erbe
II. Eine Tür schließt sich
I. Epilog
Danksagung
Momente können Schlüssel sein zu Türen, die entweder auf- oder zugehen und uns in Korridore führen, die unserem Leben eine völlig neue Richtung geben können.
Harald Lesch, März 2023, Wissenschaftsjahr 2023 LMU/BMBF aus der Vortragsreihe Urknall, Weltall und das Leben.
Niemand weiß, woher wir kommen
Niemand weiß, wohin wir gehen
Vielleicht ist es wirklich wahr,
Dass wir nur ein Tropfen sind
Der aus einem Meer gekommen ist
Und in dieses Meer zurückkommt.
Und der Versuch, diesen Tropfen einzufrieren Wäre ein Verstoß gegen die größte Geschichte aller Zeiten.
Es begann mit einem Jucken. Erich dachte zuerst eine der zahlreichen Gelsen dieses Frühsommers habe ihn auf der linken Schulter gepikst und sich ein wenig Blut zur Aufzucht ihrer Brut entnommen. Na ja, streng genommen war ja von Aufzucht keine Rede, das Heranreifen der Eier im filigranen weiblichen Gelsenkörper, aus denen die Larven schlüpfen sollten war weit weg von Brutpflege. Allerdings, wenn er es genauer bedachte, war die Auswahl des geeigneten Tümpels eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. Die Gelsen kompensieren diese Unwägbarkeiten der passenden Kinderstube durch eine enorme Anzahl potentieller Nachfahren. – Einige, bei weitem nicht alle kommen durch. Von hungrigen Fischmäulern verschont, von räuberischen Libellenlarven übersehen, rechtzeitig vor Austrocknung des Tümpels fertig geworden, wie auch immer, die nächste Runde des generationenübergreifenden Staffellaufes der Ontogenese konnte beginnen.
Er hatte nichts persönlich gegen die Gelsen, solange sie nicht in seiner Nähe waren, natürlich. Wenn er das feine Sirren in der Nähe seines Ohres, vorzüglich des Abends beim Einschlafen hörte, war es allerdings vorbei mit der Gelassenheit, ein Klatschen, eine selbstauferlegte Ohrfeige, nicht zu schwach, um das lästige Insekt sicher zu Brei zu verwandeln, war seine fast automatisch ablaufende Reaktion.
Fast sicher kam der Grimm dazu, der sich ebenso fast automatisch einstellte, wenn erneut das feine Sirren sein Ohr erreichte. Anstatt sich im behaglichen Bett zu räkeln, fand er sich in einer duellartigen Situation wieder, das bedeutete natürlich er oder sie – oder waren es vielleicht mehrere Quälgeister?
This town ain’t big enough for a both of us – er ging dann gerne seine Optionen durch, klassische Einzelwaffen wie diverse Klatschen oder doch massive chemische Keulen oder vielleicht diese Plättchen, die erwärmt scheinbar einen für Gelsen wenig angenehmen Duft verströmen. Er dachte mit gewisser Wehmut an die guten alten Spraydosen zurück, leider sind deren Wirkstoffe soweit domestiziert, dass deren Wirkung nicht diese befriedigende Tödlichkeit der Wundermittel der 70-er Jahre zeigten.
Einmal, er erinnerte sich noch ganz gut, fand er seinen neuen Golf GTI, seinen damaligen Stolz, absolut herzeigbar in der Community, innen von zahllosen Fliegen besiedelt. Es war Herbst, ein Fenster war einen Spalt geöffnet, die Sonne schien vom tiefblauen Himmel, draußen war es ziemlich kalt, trotz Sonnenschein eine niedrige einstellige Temperatur. Und doch war es im Inneren seines neuen Stolzes geradezu sommerlich warm, die Fliegen mussten das irgendwie spitzgekriegt haben und trafen sich zur großen Herbstparty. Wenn er nur daran dachte wie diese hunderte Fliegenleiber seinen strahlend neuen, noch ganz nach Neuwagen duftenden Innenraum mit fein gesprenkeltem Fliegenschiss überzogen, auf Stellen, die nicht so ohne weiters zum Putzen waren, oder die zahllosen vertrockneten Fliegenleichen am Boden und in unzugänglichen Ritzen, manche von ihnen von einem weißen oder gräulichem Schimmel überzogen, wie er es im Frühling am Dachboden seiner Eltern gesehen hatte, da packte ihn grimmige Wut.
Er setzte ich hinter das Steuer, öffnete die Fenster, selbstverständlich mit den elektrischen Fensterhebern, auch elektrisch auf den Rücksitzen und begann, heftig mit den Händen um sich zu schlagen, die Fliegen sollten gefälligst das Weite suchen. Einige flogen tatsächlich raus, aber wie von Zauberhand gezogen, kehrten sie im Fluge um, zurück in die kuschelige Wärme eines Sommertages. Es schien ihm überhaupt, als ob die Fliegen immer mehr würden, also beschloss er zur Chemiekeule zu greifen. Die Fenster geschlossen, elektrisch, versteht sich, das satte Schmatzen der in die Dichtung gleitenden Scheibe als Nachhall im Ohr, fuhr er beim neuen Supermarkt vorbei, stieg rasch aus, verschloss sofort wieder die Fahrertür, keines der Biester sollte entkommen, er hatte ihnen großzügig den Ausgang gezeigt, aber die Herrschaften wussten es ja viel besser und schissen buchstäblich auf sein Angebot, am kurzen Weg zum Markt hatte er schon einige braune und schwarze Sprenklungen auf den tadellos glänzenden Oberflächen seines Stolzes entdeckt. 2 Dosen TUS und 2 Dosen VANDAL waren rasch gekauft, hurtig zurück hinter das Steuer und gleich zur Exekution, zur Vergasung geschritten.
Die 4 Dosen restlos versprühen, abwechselnd, in jeder Hand eine, John Wayne schießt ja auch beidseitig, es sollen ja verschiedene Giftstoffe wirksam sein, hielt er imaginierte 44-er Magnum und Colt Peacemaker in der Hand.
Das war erledigt, also jetzt kann Ruhe einkehren. Gemütlich den Motor starten, es war immer wieder ein besonderes Hörerlebnis, er hatte ja nicht umsonst in eine sündteure Sebring-Anlage investiert.
Das Gesumme wurde, er konnte es nicht anders beschreiben, panisch, die Frequenz des Gesummes wurde immer höher, und schließlich verschwand es fast gänzlich, obwohl vor seinen Augen ein flirrender Vorhang waberte. Schließlich waren alle tot, und der Abend brach herein, es wurde dunkel obwohl heller sonnendurchfluteter Herbstnachmittag war.
Glücklicherweise fuhr er auf seiner Hausstrecke, deren Unebenheiten über das straffe Sportfahrwerk laufend Streckeninformationen in sein Rückenmark morste, es wurde so rasch dunkel, dass er mitten auf der Fahrbahn stehenblieb, ohne auf den Verkehr zu achten.
Es war keine Durchzugstraße, sie wurde fast ausschließlich von Einheimischen benutzt. Er öffnete die Fahrertür, wollte aussteigen, wunderte sich noch, dass etwas fehlt, er wusste nicht genau, was es war, aber es musste etwas Wichtiges sein.
Seinem verdämmernden Bewusstsein eröffnete sich mit glasklarer Gewissheit, dass das Fehlende der Atem war. Er atmete einfach nicht mehr, seltsamerweise verspürte er keine Atemnot, er verlor sich einfach. Das seitliche Hinausgleiten, den Aufprall auf der Fahrbahn spürte er nicht mehr.
So wurde er gefunden, es war der Nachbar. Die Fahrertür geöffnet, der Motor lief, er lag mitten auf der Straße, kein Puls, keine Atmung. Das kam dem Nachbarn aber erst recht, wozu war er ausgebildeter Sanitäter, Mitglied bei der Feuerwehr, zusätzlich jede zweite Woche ein 24 Stunden- Einsatz im Sanitätswagen des Roten Kreuzes. Da hätte er sich doch bis in den Boden geniert, wenn ihm der Erich so mir nix, Dir nix unter der Hand verstorben wäre. Die Rettungskette aktivieren, Seitenlage, Mund zu Mund- Beatmung, Herzmassage, das volle Programm, ohne nachzulassen, 30 mal und 2 mal, immer wieder, wie aus dem Lehrbuch, er brauchte nicht mitzuzählen, die Abläufe, die Handgriffe, das Freiräumen der Atemwege, das Dirigieren der langsam mehr werdenden Zuschauer zur Absicherung des Geländes, die Vorinformationen an den mit Blaulicht heraneilenden Sancar, das alles hat sicherlich dazu beigetragen, dass Erich überlebt hat, obwohl er als Flatliner mit dem kürzlich neu angeschafften Rettungshubschrauber eine kurze Reise angetreten hatte.
Erich erholte sich bemerkenswert schnell, kaum nachweisbare neurologische Ausfälle, natürlich konnte er sich an alles ganz genau erinnern, aber er schämte sich zu sehr, um den behandelnden Ärzten die Vorgeschichte zu erzählen.
Es war einer jener rätselhaften Fälle, die nicht so recht einzuordnen waren, wichtig war, dass der Patient ohne Dauerschäden überlebt hatte, das System und die Beteiligten waren stolz auf ihre jeweiligen Leistungen, der Nachbar erhielt sogar einen Ehrenpreis des Landes, und auch das erstbehandelnde Spital wurde lobend erwähnt.
In der allgemeinen Euphorie fielen die vier Aluminium- Behälter, die am Boden unter dem Beifahrersitz verkeilt waren, überhaupt nicht auf. Und Erich ließ die vier Dosen schleunigst verschwinden. Was er allerdings nicht verstehen konnte, und er konnte ja auch nicht gut jemand in dieser Angelegenheit fragen, war der Umstand, dass keine einzige Fliege am und im GTI war bis auf die paar, die außen an der Karosserie und Windschutzscheibe pickten. Und was mit dem vielen Fliegenschiss passiert war, konnte er sich auch nicht erklären.
Mit der Zeit wuchs Gras über die komplette Angelegenheit, die Jahre zogen ins Land und die Autos wurden immer größer und komfortabler. Mittlerweile zog Erich Produkte einer Stuttgarter Firma vor, obwohl er gelegentlich mit einer anderen, sportlicheren Stuttgarter Firma liebäugelte. Da ihm häuslicher Frieden eine Herzensangelegenheit war, entschied letztlich die Erika, die Mutter seiner beiden Kinder gegen die Zuffenhausener und für die Untertürkheimer.
Seit fünf Tagen also, sagen Sie haben sie dieses Ding, dieses Schwammerl oder sagen wir besser diesen prächtigen Herrenpilz da auf sich sitzen und lassen es zu, dass er Ihnen Tag und Nacht über die Schulter schaut?
Hilflos mit beiden Händen rudernd saß der Dr. Tormanek, seines Zeichens ein beliebter Hausarzt, auch beim Erich, vor eben diesem, wie er da mit entblößtem Oberkörper und hängenden Hosen auf dem ein wenig unbequemen Patientenstuhl saß. Es war übrigens gar nicht so selbstverständlich, mit dem Doktor eine Patient – Hausarzt Beziehung einzugehen, wegen Überforderung und Ausgebucht-seins und so. Wenn man nicht schon einen Verwandten in der Kartei hatte, oder noch besser, man war gleich direkt mit dem Herrn Doktor verwandt, ging gar nichts. Na ja, die Verwandtschaft konnte auch über einige Ecken gehen, so wie eben beim Erich, aber erwies sich dann doch als Türöffner ins Hausarztparadies.
Dies alles ging dem Erich so durch den Sinn, als er mit seiner Schande, ja er schämte sich in Grund und Boden, so halbnackt vor dem Doktor saß. Gleich am Montagmorgen hatte er kommen dürfen, war ohne viel Warterei gleich in eines der neuen Behandlungszimmer gekommen, der Doktor hatte neu gebaut und die Ordination war, Erich musste es wenn auch widerwillig zugeben, durchaus gelungen. Helle Räume, großzügige Warte- und Behandlungsräume, gedämpfte Akustik nach den neuesten Erkenntnissen der Bauphysik – er hätte es selber wahrscheinlich auch nicht viel besser planen können. Vielleicht die eine oder andere Änderung des Teeküchenbereiches, der nach seinem Geschmack einen Tick zu integriert mit den Patientenbereichen war …
- Herr Diplomingenieur, Herr Loidl, sind Sie noch da – Hallo.
Erich schreckte auf, er war ziemlich weit weggeglitten aus der Realität, die ihm in den letzten Tagen sehr unangenehm gewesen war. Was soll man denn sagen, wenn einem ein prächtiger Herrenpilz, ein Röhrling wie aus dem Pilzbuch auf Seite eins aus dem Spiegel entgegengrinst. Im Griff angenehm und fest, wenn man fester drückte war es Erich, als ob er den Druck tatsächlich spüren konnte – er war sich nicht sicher.
Er schlief schlecht und kaum, eher ein Erschöpfungsdösen, es endete jedes Mal mit der enttäuschen Hoffnung, dass es so sei wie früher, als dieses Ding nicht auf ihm wucherte.
Und es wucherte, wuchs, nahm zu an Größe, Umfang und Gewicht. Seine Frau behauptete, dieses Ding, das Schwammerl röche wie ein köstlicher Steinpilz, leicht nach Erde und vor allem nach Wald. Der Pilz war rasch gewachsen, er konnte am Pilzhut schnüffeln ohne den Kopf zu verrenken, er brauchte bloß den Kopf nach links zu schwenken und er konnte intensiven Pilzgeruch erfassen.
Mittlerweile verspürte er beim Gehen ein Schwingen an der linken Schulter, überhaupt war an ein Ausgehen ohne weites Cape nicht zu denken, er trug an der rechten Schulter verdeckt ein Balsaholzgestell, um zumindest eine einigermaßen symmetrische Silhouette darzustellen.
Er hatte ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, mit seinem Miaby 7000 MC 66, Mittellage aus hochreinem Weißpapierstahl, aus japanischem eisenreichem Flusssand gewonnen, dann beidseitig mit nickel- und manganreichem Damast handgeschmiedet feuerverschweißt, 90 BESS auf der Schärfeskala eine rabiate Intervention zu tätigen, war aber dann doch ob der zu erwartenden mindestens 2-Euro münzgroßen Wunde und deren unabschätzbaren Folgen zurückgeschreckt. Außerdem bestand seine Frau darauf, die Finger von diesem Blödsinn zu lassen und ehebaldigst nach dem Wochenende den Arzt aufzusuchen.
Seine beiden heranwachsenden Kinder, Eva an der Schwelle zur Frau und der Erstgeborene Egon, der gerade so wunderschön mit dem Stimmbruch kämpfte und sich von ihm das Rasieren zeigen hat lassen, sie waren schon lange jenseits des Alters, dass sie mit dem Hinweis, der Pappi sei krank und brauche etwas Ruhe abspeisbar waren.
Die Sache begann, ihm über den Kopf zu wachsen, so hatte er dem Drängen seiner Frau nachgegeben und war zum Doktor gepilgert, unwillig und mit der Vorstellung, mit einem kleinen operativen Eingriff, vielleicht sogar ambulant, diesen schrecklichen Mitbewohner loszuwerden.
Er hatte einen bitteren Geschmack im Mund, wenn man ihn gefragt hätte, ob ihm schlecht wäre, hätte er es gestanden.
Und prompt drang durch seine wirbelnden Gedanken die Frage des Doktors, ob ihm übel sei, er sähe gar nicht gut aus, ob er sich vielleicht hinlegen möge oder ein Glas Wasser brauche.
Nein, er brauche kein Wasser, hinlegen möge er sich auch nicht, es gehe ihm ganz gut, lediglich dieses blöde Schwammerl solle verschwinden. Übrigens könne er schon überhaupt nichts dafür, dass einige Tage vergangen seien, irgendwie sei dafür ja auch der Doktor verantwortlich. Am Mittwochabend sei die Haut aufgeplatzt, da habe kein Mensch wissen können, was da alles kommt. Am Donnerstag habe es eben nicht gepasst, am Freitag habe der Herr Doktor ja frei, am Wochenende sei ja bekanntlich nichts, und heute am Montag, sei er ja ohnehin da, früher ist es eben nicht gegangen.
Dr. Tormanek verzog keine Miene, nickte wie eher zur Bestätigung und nahm Erichs rechte Hand, nicht ohne vorher gefragt zu haben, ob ihm das recht sei. Erich war es egal, er fühlte des Doktors Wärme, die Bewegung seiner Arme im Rhythmus des Sprechens. Und ja, ab da konnte er dem Geschehen folgen, der Doktor hielt Augenkontakt, sprach klar und deutlich. Und was er sprach, gefiel Erich überhaupt nicht.
Im Wesentlichen konnte der Arzt rein gar nichts machen, außer, dass er sich darum kümmern würde, dass Erich sofort und zwar unmittelbar ohne weitere Verzögerung in eine Spezialklinik mit den besten Experten käme. Er, Dr. Tormanek würde sich um alles kümmern. Und nein, er könne nicht mit seinem Privatwagen in die Klinik fahren, und nein, er könne nicht nach Hause um das Notwendigste einzupacken, und nein, die Fahrer des Rettungswagens würden angewiesen, das von seiner Frau Vorbereitete im Vorbeifahren mitzunehmen, und nein, er dürfe den Rettungswagen nicht verlassen, und nein, der Rettungswagen würde nicht bei ihm im Büro vorbeifahren um dringende Arbeitsunterlagen mitzunehmen. Er, Dr.
Tormanek würde sich um buchstäblich alles kümmern, wie gesagt, und ob er noch was Besonderes zusätzlich benötige.
Der Arzt löste die Handberührung, den Augenkontakt und widmete sich einer Serie von Telefonaten.
Erich hatte den Eindruck in einem Fahrstuhl zu sitzen, bei dem das Tragseil gerade abgerissen war. Kein Zweifel, er fiel, es rauschte, vielleicht wäre ein Niederlegen doch nicht so schlecht, aber nein, nein, wie liege ich denn dann da, das hat es noch nie gegeben und wird es auch nicht geben.
Und was soll aus der Schlussabrechnung zur Metrobaustelle in Paris werden? Was mit der Ausschreibung der Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Leeds, die Briten ändern laufend die Vertragsbedingungen mit dem Brexithinweis, obwohl der gültige Vertrag schon lange vor dem Brexitblödsinn abgeschlossen worden war, die belgische Wertstoffzentrale ist unterschriftsreif, die Umsetzung des Sanierungskonzept der Deutschen Bahn läuft in diesen Wochen an. Zum Glück hatte er ein gut eingespieltes Team, es war aber so, dass ohne ihm gefühlt nichts ging, oder nur zur Not, das war eben der Vorteil der geteilten Geschäftsführung.
Die beiden Sanitäter, die wie aus dem Nichts auftauchten und ihn links und rechts mit sanftem Druck hinaus begleiteten fragten ihn glücklicherweise, ob er im Sitzen oder Liegen mitfahren möchte. Natürlich im Sitzen, er sei ja nicht krank, er bräuchte ja nur einen kleinen Eingriff. Im Übrigen ersuche er den Fahrer, das Blaulicht und Horn nicht zu verwenden, das mache ihn nervös und er sei ohnehin nicht so gut drauf.
Seine Frau stand schon mit kleinem Handgepäck an der Auffahrt zum Haus und im Vorbeifahren, ohne wirklich stehen zu bleiben wurde die Reisetasche in das Fahrzeug gereicht.
Ein Winken, ein in die Luft gehauchter Kuss war das Letzte, das Erich von seiner Frau zu sehen kriegte. Er würde sie nie mehr wiedersehen, aber das wusste er damals natürlich nicht.
Dr. Kriegleder – Oberarzt. So stand es auf seinem Namensschild.
Nicht alle Mitarbeiter und innen trugen Namensschilder, seit Datenschutzbestimmungen, Drohungen gegen medizinisches Personal, juristische Spitzfindigkeiten und das Buhlen der politischen Parteien um jede einzelne Wählerstimme, - und sei deren Geist noch so verwirrt, immerhin zählt ja jede Stimme gleich viel – immer neue Varianten der Gefälligkeitsseltsamkeiten ausgesponnen hatten und so ordentlich die Verwirrung der Verwirrten in deren Echokammern befeuerte.
Jedenfalls hatte der Dr. Kriegleder für sich beschlossen, nicht in der verordneten Anonymität das trügerische Gefühl des Geschütztseins als zusätzliche Arbeitskleidung überzuziehen, sondern als Person der Welt entgegenzutreten, im tiefen zuunterst liegenden Sinne des Durchtönens, des Schwingens in nachvollziehbaren Frequenzen beim Gegenüber ins Sein zu treten, dekodierbar, auf gleicher Ebene, eben im Austausch von Seienden. Kein Verstecken hinter Anonymitätsschranken, was er zu sagen hatte, das hatte er eben zu sagen, er war einer, der nach einem etwas überholtem Ausdruck einer war, der aus seinem Herzen keine Mördergrube machte – und er stand dazu.
Der Dr. Kriegleder war mit seiner Berufswahl nicht unzufrieden, was man ja nicht so ohne Weiteres von seinen Kollegen und -innen behaupten konnte, manche haderten mit den Umständen, die ein Massenbetrieb wie eine Landes-Universitätsklinik so mit sich brachte, manche haderten mit den Kollegen, mit den Ungereimtheiten der Diensteinteilungen, manche wiederum haderten mit dem Beruf als Neurologe und manche wieder haderten mit dem Leben an sich, denen war gar nichts recht und zählten in ihrer inneren Emigration nur mehr die Tage bis zur Pensionierung.
Das waren die Schlimmsten, von denen kam nichts, aber rein gar nichts zurück, keinerlei Interesse an beruflicher Weiterbildung, keine Fachliteratur, keine Kongresse, nichts was irgendwie mit Beruflichem zu tun haben könnte.
Der Dr. Kriegleder war da aus anderem Holz geschnitzt, alles an neuesten Erkenntnissen und auch Spekulationen, die natürlich noch der Verifizierung bedurften, wollte er nicht versäumen, er war immer wieder fasziniert von den unglaublich trickreichen Umwegen und Lösungen, die sich die Evolution einfallen ließ, um ein koordinierten Zusammenspiel so unzählig vieler Beteiligten, wie es Zellen im menschlichen und natürlich auch im tierischen Körper gab zu ermöglichen. Nicht zum Selbstzweck, sondern einzig der Aufgabe geschuldet, Nachkommen zu zeugen. Sollte die Evolution noch nicht erfunden worden sein, die Gene würden sie sicherlich erfinden, denn das war das effektivste Vehikel um Entwicklungen abzusichern.
Das war natürlich ein ausgemachter Blödsinn, was er sich da ausdachte, was war zuerst, die Henne oder das Ei? Auch diese Frage ist ein ausgemachter Blödsinn, verständlich und vielleicht auch entschuldbar aus einer stark homozentrischen Sichtweise, aber nicht desto Trotz ein Blödsinn, und zwar ein ausgemachter.
Kein Blödsinn war das Spiel von challenge and response, von blinden Mutationen und ebenso blinder Auslese, diese doppelte Blindheit des Nichtgerichtet - Seins zeigte erstaunliche Ergebnisse, aber eben nur im Rückblick.
Kurzum, der gute Herr Dr. Kriegleder war im Grunde seines Herzens ein Wissenschafter, und er hatte großes Glück. Sein Chef, der Institutsvorstand hatte vielerlei Studien laufen, einige in enger Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie, die eher großzügige Ausstattung garantierte, einige wiederum vollkommen unabhängig, alles vom Ethikrat genehmigt mit Randomisierung, Doppelblindsiegel und was das Herz sonst noch alles begehrt. Und er, der Dr. Kriegleder, war derjenige, bei dem die Fäden zusammenliefen, der rapportierte, sodass der Chef ein in weltweiten Kongressen vielgeschätzter Speaker war. Der Chef war übrigens die meiste Zeit nicht da, der Dr. Kriegleder war in der Zwischenzeit als sein Stellvertreter der wahre Leiter. Die Zahlen stimmten, die Veröffentlichungen in den Fachzeitschriften passten, lediglich im Lancet fehlte noch die eine oder andere Publikation.
Es musste der Geruch sein. Nachträglich, oder genauer genommen, mitten drinnen war es dem Dr. Kriegleder klar, dass es vom Geruch kommen musste, es war gar nicht anders möglich. Es überrollte ihn, jeder Widerstand war zwecklos, ja nicht einmal daran zu denken, es war die klassische Force Majeure, die ihn staunend zu Boden zwang.
Mitten in der monatlichen Morgenbesprechung zu allen die Studien und ISO-Audits betreffenden Themen in welche alle involvierten Abteilungen ihre Vertreter entsandt hatten, war es passiert, aus heiterem Himmel, dem buchstäblichem Blitz aus diesem wie aus dem Lehrbuch folgend, mit sowohl höchst überraschenden wie unvermeidlichen Konsequenzen.
Er wandte sich gerade zur Stirnseite des geräumigen Besprechungsraumes, im Rücken die U-förmig angeordneten Tische mit den ca. zwanzig Teilnehmer und innen, über sich den großen Beamer-Bildschirm, vor sich zwei Flipcharts, auf denen er Organogramme mit Filzstiften entwickelte.
Von einer Sekunde auf die andere wurde er unaussprechlich und unbeschreibbar geil, ihm schoss eine Erektion ein, ach was, ein Ständer von atemberaubender Härte und Dringlichkeit.
Als junger Student hatte er einmal beim Umbau seiner Studentenbude in einem Gründerzeithaus einen Stromunfall gehabt, eine jugendliche Blödsinnigkeit, er hatte mit einem kaum an den Griffen isolierten Seitenschneider ein Kabel durchtrennt, bei dem er sich nicht ganz sicher war, ob dieses nicht doch spannungsführend war. Der Seitenschneider war ein billiges Lagerhausteil, zwar mit einer Plastikhaut überzogen, aber eben kein geprüftes Elektrowerkzeug mit den entsprechenden Widerständen und so kam es, wie es eben kommen musste, wenn 230 Volt relativ ungehindert vollflächig mit Druck, - das Kabel zu trennen erfordert eben eine gewisse Druckkraft – gegen die menschliche, in diesem Falle noch dazu schweißnasse Hand anliegen und der Strom, von Spannung gepulst, sich auf den Weg macht.
Glücklicherweise war er gerade von der Leiter herabgestiegen und er stand in seinen neuen Laufschuhen mit der Supergelenksdämpfung, beide Umstände hatten den Stromfluss von seinem Herzen ferngehalten und es vor Taktverlust und Herzflimmerei bewahrt, aber das unangenehm prickelnde Gefühl bei Daumen und Handballen sollte ihn noch wochenlang begleiten.
Genau dieses elektrisch induzierte Prickeln war wieder da, dieses Mal aber zwischen Eiersack und Schwanzspitze, dazu das unangenehme Spannungsgefühl im Schritt, er blickte kurz nieder und eine unübersehbare Ausbuchtung im Schritt ließ ihn zögern, sich umzudrehen um seinen Platz an der Stirnseite des Tisch-Arrangements wieder einzunehmen.
Geistesgegenwärtig verkündete er, dabei nur den Kopf drehend, eine Kaffeepause, er musste dieses ein paar Mal wiederholen, wohl weil seine Stimme im Gegensatz zur sonstigen Usance etwas dünn und zittrig war und wahrscheinlich auch, weil die Zwischendrin- Kaffeepause so gar nicht zu seinen sonstigen Gepflogenheiten passte.
Sobald sich der Geräuschpegel gesenkt hatte und der Raum fast geleert war, eilte er gekrümmt, den Blick fest am Boden, auf den Gang und von dort sofort ins Freie, auf eine der Freiluftloggien, wie sie auf jeder Station wohl für jedermann und frau aber doch hauptsächlich für Raucher jederzeit zugänglich waren.
Die frische Luft tat gut, er wünschte, er könne sich mit kaltem Wasser duschen, zumindest die Hände im eiskalten Wasser kühlen. Im Haus gab es richtig kaltes Wasser nur in einigen Räumen, üblicherweise floss eine raumtemperierte Flüssigkeit aus den Ventilen, das war es nicht was er jetzt brauchte.
Der vertraute Blick in den Spitalswald konnte ihn auch nicht stabilisieren, jüngste Herbststürme hatten einige der markanten Fichten umgelegt und die Silhouette unwiderrufbar verändert, die langen Stämme lagen, dem Diktat der Luftströmung folgend, in eher ordentlichen Reihen, den beliebten Spazierweg versperrend. Die meterhohen senkrechten Wurzelteller entblößten den Waldboden, was jahrzehntelang bedeckt war den neugierigen Blicken der Welt offenbart.
Es war keine klassische Geilheit, es war ein auf Eiersack und Ständer konzentriertes Geschehen mit der Mächtigkeit eines jähen Sturmes, er konnte nur kapitulieren, versuchen sich abzulenken und abwarten.
Langsam kam er mental wieder zurück auf die kleine Loggia, das Ziehen an der Penisspitze hatte leicht nachgelassen.
Eine Zigarette wäre jetzt gut, es war schon eine Weile her, als er seine letzte geraucht hatte, aber er beruhigte sich, indem er seine beiden Hände auf das verzinkte Metall des Schutzgeländers legte, die Kühle auf der Haut genoss und dann, als das Metall sich etwas erwärmt hatte, er mit seinen Händen ein Stück weiter rückte, auf noch kühle Stellen.
Mit gekühlten Händen, leicht verschmutzt durch eine klebrige Staubschicht, ging er wieder zurück, seine Schwellung war etwas abgeklungen, es musste irgendwie weitergehen.
Gleich beim Türöffnen fiel sie ihm auf, die angekündigte neue Assistenzärztin mit den hervorragenden Qualifikationen, er hatte ihren Namen vergessen, es war ja bis jetzt überhaupt nicht wichtig gewesen, routiniert ging er zu ihr hin, stellte sich vor, sie trug ein Namensschild, was sie ihm noch sympathischer machte, Doktora Vera Sovarova, Assistenzärztin, so stand es auf ihrem Schildchen.
Er würde sich nie erinnern, was er mit ihr gesprochen hatte, er war lediglich verzaubert von dem Glanz, der von ihrer Erscheinung ausging, alles schien ins Unnatürliche überhöht, das Lächeln, die hohen Backenknochen, die mandelförmigen Augen, der bezaubernde Brustansatz, alleine die Art, wie der weiße Arztkittel sich an ihren Körper schmiegte erinnerte ihn an sehr gut sitzende einteilige Badetrikots von Synchronschwimmerinnen. Er erinnerte sich lediglich, dass er von ihrer Stimme verzaubert war, und genau das war es, er war verzaubert.
Und inmitten dieses Verzaubert-Seins war er sich bewusst, dass er wie unter Drogen stand und eine verzerrte idealisierte Wahrnehmung hatte, er hatte schon einiges über Pheromone und deren Wirkung gelesen, aber das war etwas ganz anderes, alles das an sich selbst zu erleben. Eine flüchtige Welle nach Maiglöckchen oder Veilchen oder sonstigem Frühlingsgeblüm strömte durch ihn hindurch, benetzte seine Sinne und, er konnte es direkt fühlen, sie fuhr ohne weiteren Umweg über Hypothalamus, Mandelkern und sonstigen Kontrollen direkt ins Limbische und verbreitete dort Wohlgefühle jedweder Art.