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Homöopathie E-Book

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Beschreibung

Das Interesse an homöopathischen Heilverfahren ist groß. Doch was genau versteht man darunter eigentlich? Homöopathie spricht oft vor allem Menschen an, die auf der Suche nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten sind und die sich nicht auf chemisch hergestellte Arzneimittel verlassen möchten. Ein großer Anreiz liegt darin, dass die Homöopathie eine sanfte, ganzheitliche Heilmethode ist. Zur Heilung ist es wichtig, den Menschen als Ganzes wahrzunehmen, nicht nur als Summe seiner Einzelteile. Daher nehmen sich Homöopathen bei der Anamnese Zeit, um den Patienten, seine Symptome, aber auch seine Lebensumstände und Neigungen kennen zu lernen. Erst aus dem so gewonnenen Gesamtbild können Schlüsse zur erfolgreichen Behandlung gezogen werden. Dabei lernt der Patient bald, auch die kleinen Signale seines Körpers besser und präziser zu deuten. Durch die genaue Betrachtung des Patienten kann dann der genau passende Wirkstoff ausgewählt werden, der in Form von Kügelchen, Tropfen oder Tabletten eingenommen werden kann. Wenn man einige Regeln beachtet, ist eine Selbstmedikation auf der Basis homöopathischer Regeln in sehr vielen Fällen gut machbar. Dieses Buch soll Ihnen ermöglichen, sich einen ersten Überblick über die Grundlagen der Homöopathie und ihre Möglichkeiten zu verschaffen.

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Dr. Maria Langwasser

Homöopathie

Edition Lempertz

Impressum

Math. Lempertz GmbH Hauptstr. 354 53639 Königswinter Tel.: 02223 / 90 00 36 Fax: 02223 / 90 00 38 [email protected] www.edition-lempertz.de

Vorwort: Homöopathie – ihre Grundlagen und Möglichkeiten

Das Interesse an homöopathischen Heilverfahren ist groß. Doch was genau versteht man darunter eigentlich?

Bereits seit dem 18. Jahrhundert hat sich die Anwendung homöopathischer Lehren bei der Heilung bewährt. 1796 entwickelte Samuel Hahnemann seine alternativen Behandlungsmethoden, die auf dem Ähnlichkeitsprinzip beruhen: Similia similibus curentur –  Ähnliches soll mit Ähnlichem geheilt werden. Entscheidend bei dieser Behandlungsmethode ist die Wahl einer Arznei, die unverdünnt ähnliche Symptome hervorruft wie die, an denen der Patient bereits leidet. Hahnemann verwendete damals die bekannten pflanzlichen, tierischen oder mineralischen Arzneistoffe seiner Zeit. Durch die Verdünnung der Wirkstoffe und anschließendes Schütteln oder Verreiben wird deren Wirksamkeit gesteigert. Die so entstehenden „Potenzen“ haben oftmals eine weitaus höhere Wirksamkeit als in ihrer Ursprungskonzentration.

Homöopathie spricht oft vor allem Menschen an, die auf der Suche nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten sind und die sich nicht auf chemisch hergestellte Arzneimittel verlassen möchten. Ein großer Anreiz liegt darin, dass die Homöopathie eine sanfte, ganzheitliche Heilmethode ist. Zur Heilung ist es wichtig, den Menschen als Ganzes wahrzunehmen, nicht nur als Summe seiner Einzelteile. Daher nehmen sich Homöopathen bei der Anamnese Zeit, um den Patienten, seine Symptome, aber auch seine Lebensumstände und Neigungen kennen zu lernen. Erst aus dem so gewonnenen Gesamtbild können Schlüsse zur erfolgreichen Behandlung gezogen werden. Dabei lernt der Patient bald, auch die kleinen Signale seines Körpers besser und präziser zu deuten. Durch die genaue Betrachtung des Patienten kann dann der genau passende Wirkstoff ausgewählt werden, der in Form von Kügelchen, Tropfen oder Tabletten eingenommen werden kann. Wenn man einige Regeln beachtet, ist eine Selbstmedikation auf der Basis homöopathischer Regeln in sehr vielen Fällen gut machbar. 

Dieses Buch soll Ihnen ermöglichen, sich einen ersten Überblick über die Grundlagen der Homöopathie und ihre Möglichkeiten zu verschaffen. Erfahrene Homöopathen stehen Ihnen bei Fragen in jedem Fall mit Rat und Tat zur Seite. 

Dr. Maria Langwasser

Teil 1: Die Klassische Homöopathie

1. Homöopathie im Volksmund

Ja, beim Homöopathen war ich auch schon, der hat mir eine Spritze gegeben und sechs verschiedene Flaschen Medizin."

Wo diese Dame auch immer war, jedenfalls nicht beim Homöopathen. Im Volksmund zählt so ziemlich alles unter Homöopathie, was irgendwie mit Naturheilkunde zu tun hat und vom Heilpraktiker ausgeübt wird. Ob das nun ein Tee ist, der verschrieben wurde, eine Massage oder ein Badezusatz oder ob eine Akupunkturnadel gesetzt wurde, alles ist irgendwie Homöopathie.

Das ist nicht im Sinne des Erfinders. Obwohl auch Pflanzen in der Homöopathie benutzt werden, ist sie keine Pflanzenheilkunde. Diese hat sich im Wesentlichen aus der Volksheilkun¬de und der Medizin von Paracelsus und seinen Nachfolgern entwickelt. Zur Heilung werden Heiltees verabreicht, die sich aus verschiedenen Heilkräutern zusammensetzen.

(Manchmal hört man sogar, jemand war beim Homöopathen. Zu einem Bluterkranken (=Homöopathen) sollten Sie wirklich nicht gehen, um gesund zu werden.)

Die Homöopathie ist eine eigenständige Heilweise mit ganz eigenen Grundsätzen, sehr verschieden von allen mir bekannten Heilmethoden. Samuel Hahnemann, ein Arzt des letzten Jahr¬hunderts, hat sie entdeckt und zu einem Heilsystem ausgefeilt.

In Deutschland gibt es nur zwei Berufsstände, die grundsätzlich eine Erlaubnis haben, kranke Menschen eigenständig zu behandeln, d. h. eine Diagnose zu erstellen und eine Behandlung vorzuschlagen: Das sind der Arzt und eingeschränkt der Heilpraktiker. Der Berufsstand sagt nichts darüber aus, welche Heilweise benutzt wird. In der Regel bedienen sich die Ärzte der universitär erlernten Schulmedizin und die Heilpraktiker der Methoden der Naturheilkunde. Es gibt aber auch Ärzte, die naturheilkundliche Anwendungen in ihrem Programm haben und sowohl Ärzte als auch Heilpraktiker wenden die klassische Homöopathie an. Homöopathie ist als Methode jedoch nicht auf einen Berufsstand begrenzt.

2. Samuel Hahnemann

Er ist der Begründer der Homöopathie. Er war nicht nur Arzt, sondern ein klassischer Universalgelehrter. Er sprach mehrere Sprachen, übersetzte und korrigierte wesentliche Chemiebücher und Arzneimittellehren. So geht zum Beispiel das Gesetz zur Schwefelung des Weines auf Hahnemann zurück. Er beschäftigte sich mit der bestmöglichen Kohlefeuerung, worüber er ein Buch veröffentlichte, usw.

Christian Friedrich Samuel Hahnemann wurde am 10. April 1755 als Sohn eines Porzellanmalers geboren. Aufgrund seiner herausragenden Fähigkeiten konnte er 1770 eine höhere Schule besuchen. Ein Magister hatte sich seiner angenommen, denn seine Eltern hätten diese Schule niemals finanzieren können. Wegen seines ungewöhnlichen Interesses und seiner Bildung erhielt er sogar die Erlaubnis, nur denjenigen. Unterricht zu besuchen, der ihm Neues böte. 1775 trat er dann in die Universität Leipzig ein, was ihm ein Arzt ermöglichte, der sich dafür einsetzte, ihm die Studiengelder wegen seiner Fähigkeiten zu erlassen. Durch Sprachunterricht verdiente sich Hahnemann seinen Unterhalt. Leipzig war seinerzeit die berühmteste Hochschule Deutschlands, doch Hahnemann war nicht zufrieden. Nach eigenen Worten absolvierte er sie nur aus "Liebe zur praktischen Arzneikunde, wofür in Leipzig keine Anstalt ist". Zwei Jahre später wechselte er nach Wien und fand dort wieder einen Gönner. Dieses Mal traf er den berühmtesten Arzt Wiens, Dr. Joseph von Quarin, den kaiserlicher Leibarzt der Maria Theresia, der ein Wiener Spital leitete und Hahnemann als einzigen Schüler auch an das Bett seiner Privatpatienten mitnahm. Von ihm schreibt Hahnemann: "Dem großen praktischen Genie, dem Leibarzt von Quarin, verdanke ich, was Arzt an mir genannt werden kann." Er eröffnete eine Praxis in 1777 in Hermannstadt und begann seine Tätigkeit als Arzt, war aber damit nicht so glücklich. Warum?

Was er an der Universität gelernt hatte, funktionierte in der Praxis leider nicht. Und zudem musste er noch feststellen, dass sich die Lehrmeinungen sich ständig änderten, ja sich in kurzer Zeit völlig widersprachen. Insgesamt kam ihm die damalige Medizin vor wie ein Tasten im Dunkeln. Er wollte ein Heilsystem, das auf der Grundlage von Naturgesetzen heilt und nicht nach dieser und jener Meinung heute so und morgen so verfährt. Aber ein Naturgesetz war nicht in Sicht. Er wanderte mit seiner immer größer werdenden Familie von Ort zu Ort. Rund dreißig Mal zog er um. Seine vorerst letzten Versuche, als Arzt tätig zu werden, machte er in der Gerichtsmedizin, in der es nicht ums Heilen ging. Als er aber auch in dieser Sparte nicht sesshaft werden konnte, widmete er sich ganz dem Übersetzen und der Chemie.

Seine ärztliche Tätigkeit stellte er ein und schrieb an einen Kollegen diesbezüglich die sehr klaren Worte:

„Auf diese Art ein Mörder oder Verschlimmerer des Lebens meiner Menschenbrüder zu werden, war mir der fürchterlichste Gedanke, so fürchterlich und ruhestörend für mich, dass ich in den ersten Jahren meines Ehelebens die Praxis ganz aufgab und fast keinen Menschen ärztlich behandelte, um nicht noch mehr zu schaden und bloß - wie Sie wissen - mich mit Chemie und Schriftstellerei beschäftigte."

Es ist wohl sehr deutlich, dass er ein Mensch war, der sich mit Halbheiten nicht zufriedengeben konnte. Nachdem er seinen Beruf kurzerhand aufgegeben hatte, brachte er seine Familie und sich mehr schlecht als recht mit Übersetzungen durch.

(Wer sich tiefergehend über das abwechslungsreiche Leben des Begründers der Homöopathie informieren möchte, dem sei folgendes Buch empfohlen: „Samuel Hahnemann, Idee und Wirklichkeit der Homöopathie" von Herbert Fritsche; Burgdorf-Verlag für homöopathische Literatur, Göttingen 1979.)

3. Die Geburt der Homöopathie

Samuel Hahnemann übersetzte gerade eine Arzneimittellehre des schottischen Arztes Cullen (Es ist wohl dieselbe Ärztefamilie, die im „Medicus" von Noah Gordon beschrieben wurde.). Er war bei den Ausführungen über die Chinarinde, als ihn seine alte Unzufriedenheit über die damalige Medizin wieder überkam. Schrieb doch Cullen, die positive Wirkung der Chinarinde bei Wechselfiebern hinge mit der magenstärkenden Wirkung dieser Droge zusammen (Heute noch wird Chinin bei dem Wechselfieber Malaria benutzt.). Er dachte wohl, das verstehe, wer will, aber was hat um alles in der Welt die magenstärkende Wirkung mit Wechselfiebern zu tun?

Wahrscheinlich regte er sich wieder auf und schimpfte, was er wirklich gut beherrschte (Man lese nur einmal die ersten 30 Seiten seines Organons der Heilkunst, eine pausenlose Erregung über die damalige Medizin und seine Mediziner, die nicht von nobler Zurückhaltung geprägt war.).

Der alte Wunsch in ihm wurde wieder stark: Es musste doch ein Naturgesetz geben, nach welchem man die Wirkung einer Arznei genau festlegen konnte. In die Medizin musste Eindeutigkeit hinein.

Sie sollte geprägt sein von Naturgesetzen und nicht von windigen Meinungen. Es musste doch einen Versuch geben, der einem deutlich und wiederholbar zeigte, welche Heilkraft zum Beispiel in der Chinarinde steckt, wann sie zu helfen vermag und wann nicht. Hahnemann hatte viele Erfahrungen mit Wechselfiebern gemacht und wusste nur allzu gut, dass die Chinarinde mal hilft und mal nicht, je nachdem, wie das Fieber im Einzelnen aussieht.

Wie er genau auf den entscheidenden Versuch kam, wissen wir nicht, aber er stellte sich wohl die Frage, was eigentlich passiert, wenn ein gesunder Mensch wie er die Chinarinde zu sich nimmt. Dass es einen kranken Menschen gesund machen kann, wusste er aus Erfahrung, aber was macht die Arznei mit einem Gesunden?

Durchdrungen vom Forschergeist, war Hahnemann sehr experimentierfreudig und begann sich einen Aufguss der Chinarinde einzuverleiben. Schluck für Schluck über Tage hinweg vergiftete er sich kontrolliert im wissenschaftlichen Selbstversuch. Was passierte? Er wurde krank, aber nicht irgendwie krank. Er entwickelte Fieber, eine Art Wechselfieber, wie er es kannte und mit Chinarinde erfolgreich behandelt hatte. Natürlich misstraute er sich zunächst selbst. Vielleicht waren es nur seine Wunschgedanken, die dieses Ergebnis hervorbrachten, also mussten Familie und Bekannte herhalten und alle hatten ähnliche Vergiftungserscheinung. Setzte man den Aufguss ab, so verschwanden die Krankheitszeichen wieder.

Dass Arzneien bestimmte Krankheiten heilen können, war bekannt, aber dass sie beim gesunden Menschen ganz bestimmte Krankheiten erzeugen können, nämlich genau diese Art von Krankheit, die sie auch heilen können, das ist Hahnemanns Entdeckung. Durch seinen Selbstversuch mit der Chinarinde formulierte Hahnemann ein Naturgesetz:

Ähnliches heilt Ähnliches.

4. Das Ähnlichkeitsprinzip - Die erste Säule der Homöopathie

Eine Arznei heilt nur Krankheiten, die sie in ähnlicher Art in einem gesunden Menschen auch erzeugen kann. Es klingt so einfach wie beinahe alle genialen Entdeckungen.

Dieses Prinzip ist uns gar nicht so unbekannt, wie es auf den ersten Blick scheint. Ein paar Beispiele: Wenn die Hände im Winter zu kalt geworden sind, ist es geschickter, sie mit Schnee als mit heißem Wasser zu behandeln. Obwohl es erstmal logischer wäre, das zu Kalte einfach heiß zu machen, tut es mehr weh und hilft nicht so schnell.

Eine Köchin weiß, wenn sie sich die Hand verbrüht, so hilft es schnell und gut, sich noch einmal mit der Hand einer anderen Hitzequelle wie der Gasflamme zu nähern, und zwar so nahe und lange, bis es gerade beginnt, weh zu tun. Dann zieht sie die Hand wieder weg und wiederholt den Vorgang, wenn der Schmerz wiederkehrt. Oder wer kennt nicht das gute alte Katermittel, das Bier danach am nächsten Morgen und den dazugehörigen Spruch, dass man mit dem weitermachen soll, womit man in der vorausgegangenen Nacht aufgehört hat.

Auch die Idee der Selbsthilfegruppe ist ein sehr homöopathischer Gedanke (Homöopathie heißt „Ähnliches Leiden"). Eine ähnliche Geschichte vom Verlust eines Kindes zu hören, das fast gleiche Schicksal vor sich zu sehen, hilft weitaus mehr, als der gut gemeinte Satz, sie könne doch noch einmal schwanger werden. Genauso steht es mit dem Liebeskummer, was hilft es schon zu erfahren, dass - rein theoretisch - auch andere Mütter schöne Töchter oder Söhne haben? Aber jemanden zu treffen, dem dasselbe passiert ist oder ein guter Kinofilm über eine ähnliche Tragödie muntern oft viel mehr auf.

Ein beliebtes Krimimotiv sei noch genannt: Unter Schock stehend verliert die Hauptdarstellerin ihre Sprache oder das Augenlicht. Als der Bösewicht ein zweites Mal auftaucht, stellt der ähnliche Schock das Sehvermögen wieder her und der Verbrecher wird überführt.

Auch die vielen Gleichnisse im Neuen Testament sind ein Ausdruck der heilsamen Wirkung des Ähnlichkeitsgesetzes.

Beim Einsatz der Arzneien ist das Ähnlichkeitsprinzip erst einmal befremdend. Nehmen wir an, ein Patient ist sehr gesprächig, ja wirkt fast überdreht, klagt über Herzklopfen und Schlaflosigkeit und dass ständig neue Gedanken auf ihn einströmen. Sein Zustand würde uns nicht wundern, wenn wir erfahren würden, dass er täglich zwei Kannen Kaffee trinkt. Tut er das aber nicht, dann denkt die Homöopathin oder der Homöopath automatisch an die Arznei Coffea, also Kaffee, da Kaffee solch einen Zustand hervorrufen kann und demnach eben auch heilt. Und genau so ist es eben auch, Coffea bringt den Schlaf zurück.

5. Der Arzneimittelversuch - Die zweite Säule der Homöopathie

Der Selbstversuch mit der Chinarinde war der Beginn der Homöopathie. Hahnemann wurde angespornt durch seine lange ersehnte Entdeckung des Heilgesetzes. Er erstellte in der Folge viele Vergiftungsprotokolle, die man in der Homöopathie „Arzneimittelprüfungen" nennt. Bis zu seinem Lebensende hat er um die hundert Arzneimittelprüfungen durchgeführt. Diese Prüfungsprotokolle sind heute noch wichtige Grundlagen in der täglichen homöopathischen Praxis. Später wurden die Arzneiversuche nur noch mit Arzneipotenzen durchgeführt, um jede Gefahr von den Prüfern abzuwenden.

Die Homöopathie ist also in erster Linie keine Erfahrungsheilkunde! Die Arzneien werden nicht verordnet, weil dieser und jener einmal eine Erfahrung gemacht, sondern weil der Zustand des Patienten den Symptomen einer Arzneiprüfung ähnelt. In der Homöopathie werden Arzneien aufgrund eines Versuches am gesunden Menschen verordnet. Damit steht die Homöopathie der Wissenschaft wesentlich näher als der Erfahrungsheilkunde.

Der Patient fühlt sich zum Beispiel so panisch im Fieber, dass er voraussagt, den Nachmittag nicht zu überleben. Dieses Gefühl ist bekannt von der Vergiftungswirkung des Sturmhutes: „Angst und ruhelos im Fieber, sagt die Todesstunde voraus", heißt es in der Arzneimittelprüfung von Aconitum, dem Sturmhut. Also bekommt dieser Kranke Sturmhut homöopathisch verabreicht.

Diese Vorgehensweise, nämlich die Verordnung von Arzneien anhand eines Arzneimittelversuchs durchgeführt am gesunden Menschen, ist einzigartig in der medizinischen Welt. Auch die Arzneiversuche der modernen Schulmedizin unterscheiden sich wesentlich von homöopathischen Prüfungen. Bei Ersteren möchte man herausfinden, welche Nebenwirkungen eine Arznei haben kann, was wir später auf der Verpackungsbeilage lesen können. Der Haupteffekt der schulmedizinischen Arznei ist jedoch die chemische Einwirkung auf den Organismus.

Bei der homöopathischen Prüfung geht es um alle Wirkungen der Arznei auf jeder Ebene des Menschen. Es wird nicht unterschieden, ob die Wirkung wünschenswert ist oder nicht. Jede Nebenwirkung ist eine Hauptwirkung der Arznei.

Ich möchte einmal ein Beispiel einer solchen Arzneiprüfung aufführen. Es ist ein Bericht von Constantin Hering, einem Schüler Hahnemanns. Constantin Hering zählt zu den Begründern der Homöopathie in Amerika. Er hat eine richtiggehende Saulus-Paulus-Verwandlung hinter sich gebracht. Er war nämlich 1820 von seinem Lehrmeister, dem Chirurgen Jakob Heinrich Robbi, angeregt worden, doch einmal etwas zu verfassen, das diese Irrlehre Homöopathie widerlegen würde. Daraufhin schrieb er ein Buch und in diesem u.a. einen Sketch. Er hatte jedoch Schwierigkeiten, Schauspieler in Leipzig zu finden, da sie alle bei Hahnemann in Behandlung waren. Also beschäftigte er sich näher mit der Sache, stellte ebenfalls den Chinarindenversuch an und fand, dass es sich genauso verhielt, wie Hahnemann es beschrieb. Gänzlich überzeugt wurde er, als er sich hei der Sektion eines Leichnams in den rechten Zeigefinger schnitt und dieser sich so bösartig entzündete, dass er abgenommen werden sollte. Ein Freund gab ihm den Rat, Arsenicum Album C 30 einzunehmen.

„Ungläubig nahm ich den Tropfen abends, war davon den anderen Tag viel besser und nach einer Woche hergestellt. Auch frei für immer von Unglauben."

Diese Hinwendung zur Homöopathie kostet ihn sein Stipendium. Seine Doktorarbeit schrieb er bereits über ein homöopathisches Thema.

Dr. Herings Brief aus Surinam:

„Endlich hatte ich das Vergnügen, den 28. Juli 1828 des Mittags eine, durch den kühnen Jäger zwar halb erschlagene, aber doch noch brauchbare, große, wirklich grässliche Giftschlange zu erhalten. Es war Trigonocephalus Lachesis, deren Biss noch weit heftiger wirkt, als der der Klapperschlange. Die war zehn Fuß lang, wie diese Art hierzulande nie anders als von derselben Größe gesehen worden ist, indem sie wahrscheinlich nur zur Begattungszeit, oder doch nur in einem gewissen Alter sich bis in die hiesigen Waldungen verbreitet...Ich machte sogleich Anstalt ihr das Gift zu entnehmen, und hatte Mühe, mein verscheuchtes Hausgesinde zu einiger Handreichung zu bewegen.... So wie ich nun bei meiner Schlange das Drücken [auf die Giftdrüse] verstärkte, vermehrte sich das hervortretende Gift und sammelte sich an der Spitze [des Giftzahns] als ein Tröpfchen. Ich hielt nun ein Papier mit einem hohlen Häufchen Milchzucker zum Empfange bereit und fing so endlich das Tröpfchen auf... Beim Verreiben konnte ich bemerken, dass ich den Staub davon einathmete.

Es entstand davon hinten am Gaumen ein ganz besonderes fast kratzendes Gefühl. Nach einer Stunde entstand ein Halsschmerz, den klemmender Schmerz an einer kleinen Stelle, tief innen rechts, wie auf der Seite des Schlundes, beim Schlingen nicht vermehrt, ärger bei Druck.

Nach einigen Stunden, beim Fahren im Freien eine solche Bangigkeit, als geschähe entfernt etwas sehr Übles, wie schwere, böse Ahnung. Sie quälte mich aufs Äußerste über eine Stunde lang. Gegen Abend, ganz ungewöhnliche Eifersucht, ebenso thöricht, als unbezwinglich.

Abends, größte Erschlaffung und Müdigkeit, ohne jedoch in Schlaf kommen zu können. In dieser Schläfrigkeit, ja halb schlafend, eine besondere Redseligkeit. Ich spreche viel, will erzählen, ohne mich aufzurichten; dies wird nun immer ein verkehrtes Schwatzen, wobei ich mich jedoch wieder besinne und ich es bald weiß, wenn ich etwas ganz Verkehrtes hineingemengt habe, welches ich dann verbessere und so fort. Ich wollte zum Beispiel erzählen von dem Bauer, der den Tod zu Gevatter bittet; als ich nun kam zu sagen, er ging aus, um den Tod zu suchen, sagte ich, er ging aus, er erfand um Porzellan von allen Sorten zu machen, und kam in die Geschichte von Böttiger, merkte aber endlich den Abweg und kehrte zurück. So plagte ich mich den halben Abend hin.

Denselben Abend, höchste Appetitlosigkeit durch ein unangenehmes Gefühl im Leib verursacht. Durst auf Bier. Von Zeit zu Zeit wieder der obige Halsschmerz.

Endlich schläfrig zu Bette gegangen, kann ich nicht einschlafen, sondern werde recht munter, kann nicht schlafen, weil keine Lage mir recht ist, alles einen Druck auf Nacken und Hals zu machen scheint.

Trifft mich etwas an den Kehlkopf so ist dies nicht nur sehr empfindlich, sondern es wollte mich ersticken; auch vermehrt es den Halsschmerz hinten. Am zweiten Morgen breiiger Durchfall.

Nach spätem Einschlafen sehr frühes Erwachen. Den zweiten Nachmittag im Schlafe ganz ungewöhnlich heitere, humoristische Träume."

(aus: „Herings Medizinische Schriften"; Dr. K. Gypser; Burgdorf-Verlag für homöopathische Literatur)

6. Die Wirkung auf den ganzen Menschen

Die Genauigkeit von Dr. Herings Beschreibung seines Zustandes ist üblich in der Homöopathie. Er begnügt sich nicht mit allgemeinen Ausdrücken wie „Halsweh", sondern gibt auch den genauen Ort dieses Schmerzes, die Scherzempfindung und auch die Ausstrahlung an. Er bemüht sich herauszufinden, unter welchen Umständen der Schmerz stärker wird, nämlich durch den leichtesten Druck am Hals, und ob er durch irgend etwas Besserung erfährt (Ebenso genau werden natürlich die Patienten befragt.).

Dr. Hering gerät hier durch das Gift in eine Art Delirium, wie es von vielen bösartigen Fiebern bekannt ist, bei denen die homöopathische Arznei Lachesis einige gute Dienste geleistet hat.

Aber sehr auffällig sind doch bei diesem Bericht die Veränderungen des Gemüts. Dr. Hering spricht von Eifersucht, nicht irgendeine, sondern eine fast wahnsinnige, ebenso töricht wie unbezwinglich. Also eine Eifersucht mit innerem Zwiespalt, er möchte sie bezwingen, weil er sie als töricht erkennt, aber kann es nicht. Da nicht anzunehmen ist, dass die Gattin von Dr. Hering die Gunst der Stunde nutzte und sich ein wenig umschaute, kann die Eifersucht ja wohl nur durch die Vergiftung entstanden sein. Ist das möglich? Offensichtlich.

Wenden wir jetzt Hahnemanns Gesetz der Ähnlichkeit an - nämlich eine Arznei kann beim Kranken heilen, was sie am Gesunden auslöst - so kann das nur bedeuten, dass man mit der Arznei Lachesis Eifersucht heilen kann. Genau so steht es mit der erwähnten Angst beim Fahren im Wagen, dass entfernt etwas Übles geschehen würde, eine schwere böse Ahnung, die ihn aufs Äußerste quälte.

Ja, können denn böse Ahnungen oder Eifersucht eine Krankheit sein? Eifersucht kann sehr wohl über das übliche Maß hinaus krankhaft auftreten, ein Erkrankung des Gemüts eben. Und eine sehr unangenehme dazu, da den betroffenen Patienten meiner Erfahrung nach fast immer bewusst ist, dass ihre Empfindung nicht der Realität entspricht. Solche Eifersucht kann die sonderbarsten Formen annehmen. So berichtete eine Patientin, dass sie nur eifersüchtig auf die verflossenen Freundinnen ihres Mannes war und alle alten Bilder und Zettelchen entfernt werden mussten, da sie sonst einen Eifersuchtsanfall bekam. Die aktuellen Flirts machten ihr gar nichts aus. Eine homöopathische Arznei befreite sie von diesem Zwang.

Dieses Gift, an welchem Dr. Hering schnupperte, machte also nicht nur seinen Körper krank, sondern auch sein Gemüt und es verwirrte sogar seinen Geist. Der ganze Mensch erkrankte.

Wie ist das denn, wenn ein Kind eine Erkältung bekommt? Da läuft nicht nur die Nase und die Kleinen husten nachts, oft ändert sich auch das Gesamtbefinden. Sie möchten nicht mehr alleine spielen, hängen nur noch am Rockzipfel der Mutter und jammern den ganzen Tag, weinen bei jeder Kleinigkeit und möchten nicht alleine schlafen. Oder sie werden gereizt, kommandieren plötzlich und möchten gar nicht folgen, wenn man auch noch so einsichtig erklärt. Oder sie liegen im Bett, ganz matt, fast betäubt und möchten nicht spielen, obwohl gar nicht viel zu sehen ist, weder viel Husten noch hohes Fieber. Und alle sind erkältet, sagt man. Wie viele Mütter wissen nicht schon bevor man irgendwas am Kiefer ertasten kann, dass ihr Kind wieder am Zahnen ist? Eine spezielle Stimmung stellt sich ein, die mit dem Zahnungsschmerz in Kombination auftritt. Und wie deutlich ist es erst bei chronischen Erkrankungen, dass sich auch das Wesen der Betroffenen ändert und nicht nur der körperliche Zustand? Der ganze Mensch in all seinen Dimensionen wird durch Krankheit verändert.

In der homöopathischen Arzneimittelprüfung ist das nicht anders als in den Beispielen verdeutlicht. Diese Vergiftung ist nichts anderes als eine künstlich herbeigeführte Krankheit, von einer echten nicht zu unterscheiden. Solche Prüfungsberichte gibt es inzwischen zu Tausenden und natürlich kann niemand diese alle im Kopf behalten. Sie sind alphabetisch geordnet in den „Homöopathischen Arzneimittellehren" zusammengefasst. Diese nennt man auch manchmal „Materia Medica".

Dort steht also jede geprüfte Arznei beschrieben in ihrer Wirkung auf den Menschen. Damit man sich in diesen vielen Prüfungsberichten zurechtfindet, die auch „Arzneimittelbilder" genannt werden, haben die Homöopathen ein weiteres Werkzeug entwickelt, eine penibel ausgearbeitete Inhaltsangabe all dieser Berichte: das „Symptomverzeichnis", das sehr häufig auch „Repertorium" genannt wird. Im Symptomverzeichnis bzw. im Repertorium stehen geordnet nach einem Schema alle Symptome aufgelistet, die je in irgendeiner Arzneimittelprüfung vorgekommen sind.

Hinter einem Symptom sind die Arzneimittelnamen eingetragen, die dieses Symptom einmal während der Arzneimittelprüfung verursacht haben, z.B. Brennen in der Harnröhre, nach dem Wasserlassen, wie Feuer: Cantharis, Garbo vegetabilis, ... usw.

Dieses Symptom mit der nachfolgenden Arzneimittelauflistung nennt man auch „Rubrik". Diese Repertoriumsrubrik gibt also das Symptom und die Arzneien, die es heilen können, an. 

Repertorium und Arzneimittellehren sind das Handwerkszeug der Homöopathie.

7. Die Lebenskraft - Die dritte Säule der Homöopathie - Der Sitz der Krankheit

Auch Hahnemann stellte schon fest, dass immer der ganze Mensch von Krankheit ergriffen ist, egal oh er natürlich oder künstlich durch die homöopathische Arzneimittelprüfung erkrankt. Also fragte er sich, wo ist denn der Sitz der Krankheit ist und was Krankheit überhaupt sei.

Bei Magenkrämpfen, die durch Ärger oder Aufregung entstehen, zu sagen, die Krankheit säße im Magen und diesen müsste man behandeln, so einfach konnte er es sich nicht mehr machen. Man kann aber auch nicht sagen, dass die Krankheit allein im allzu erregbaren Gemüt zu suchen ist, denn der Magen schmerzt unüberhörbar. Und genauer betrachtet hat der ganze Mensch gleichzeitig noch diese und jene Beschwerden über den ganzen Körper und das ganze Gemüt verteilt, so dass es mit der Diagnose „nervöser Magen" genau genommen nicht getan ist. Was ist nun erkrankt, der Körper oder das Gemüt oder beides?

Hahnemanns Antwort ist zunächst sehr verblüffend, aber auf den zweiten. Blick sehr einleuchtend: Weder noch! An dieser Stelle möchte ich Hahnemann selbst sprechen lassen:

„Im gesunden Zustande des Menschen waltet die geistartige, als Dynamis den materiellen Körper belebende Lebenskraft unumschränkt und hält alle seine Theile in bewundernswürdig harmonischem Lebensgange in Gefühlen und Thätigkeiten, so dass unser inwohnende, vernünftige Geist sich dieses lebendigen, gesunden Werkzeugs frei zu dem höhern Zwecke unseres Daseins bedienen kann. Der materielle Organism, ohne Lebenskraft gedacht, ist keiner Empfindung, keiner Thätigkeit, keiner Selbsterhaltung fähig; nur das immaterielle, den materiellen Organism im gesunden und kranken Zustande belebende Wesen (das Lebensprincip, die Lebenskraft) verleiht ihm alle Empfindung und bewirkt seine Lebensverrichtungen. Ist er todt und, nun bloß der Macht der physischen Außenwelt unterworfen, fault er und wird wieder in seine chemischen Bestandtheile aufgelöst.

Wenn der Mensch erkrankt, so ist ursprünglich nur diese geist-artige, in seinem Organism überall anwesende, selbstthätige Lebenskraft (Lebensprincip) durch den, dem Leben feindlichen, dynamischen Einfluss eines krankmachenden Agens verstimmt. Nur das zu einer solchen Innormalität verstimmte Lebensprincip, kann dem Organism die widrigen Empfindungen verleihen und ihn so zu regelwidrigen Thätigkeiten bestimmen, die wir Krankheit nennen."

(aus: „Organon der Heilkunst", 6. Ausgabe, S. 9-11)

Hahnemann sagt also, es muss ein Prinzip im Organismus existieren, welches alles am Laufen hält, wenn wir gesund sind, sonst würde der Körper einfach verfaulen wie ein toter Körper. Diese immaterielle Lebenskraft ist so etwas wie unser Betriebssystem, um es mal modern auszudrücken. Ist es in Ordnung, arbeiten alle Teile im Organismus zusammen und schädliche Einflüsse, wie der Besuch der Schwiegereltern oder ein Grippevirus, werden mühelos abgewehrt. Ist es aber nicht in Ordnung, werden schädliche Einflüsse nicht abgewehrt und die Folge ist Disharmonie in Körper und Gemüt und letztlich Krankheit. Die Magenkrämpfe aber und selbst das Magengeschwür und der Ärger sind nur eine Folge dieser gestörten Lebenskraft. Sie sind nicht Ursache oder Sitz der Krankheit, sondern die geistigartige, nicht fassbare Lebenskraft ist gestört. Heute würde man sagen, das energetische Feld ist gestört und infolge kommt es zu Fehlfunktionen in Körper und Gemüt.

Diese Vorstellung von Krankheit als gestörtes geistiges Prinzip ist nur in den Jahrtausende alten Heilweisen bekannt, wie in der Chinesischen Medizin, im indischen Ayurveda und in der schamanistischen indianischen Medizin. Vom Grundgedanken ist die Homöopathie diesen Heilmethoden verwandt, von der Verfahrensweise her, ihr Wissen über den kontrollierten wissenschaftlichen Versuch am Menschen zu bekommen (und nicht über den mystischen Einblick in die Natur), ist sie der modernen Naturwissenschaft sehr nahe.

Ist die Homöopathie der Psychosomatik verwandt? Keineswegs. Sehen wir den psychosomatischen Ansatz in der Medizin, nämlich dass körperliche Beschwerden die Psyche beeinflussen und psychische Beschwerden den Körper erfassen können, dann ist der Sitz der Krankheit immer noch im Körper bzw. der Psyche. Hahnemann setzt eine neue Instanz ein, eine immaterielle Lebenskraft, von der Gesundheit und Krankheit ausgeht. Dies scheint ein kleiner Unterschied zu sein, aber er ist bedeutend.

Ich möchte darauf hinweisen, dass Hahnemann das Konzept der Lebenskraft als Sitz der Krankheit vor über 160 Jahren entwickelte, noch bevor es die Psychoanalyse gab oder gar die Psychosomatik. Und seit dieser Zeit befassen sich die Homöopathinnen und Homöopathen immer auch mit dem psychischen Befinden ihrer Patienten. Ich werde oft gefragt, ob man in der Homöopathie auch psychosomatisch denkt, ich weiß nie so recht ein kurze, präzise Antwort. Es ist ein bisschen so, als würde man einen Engländer fragen, ob er die schwierige englische Grammatik beherrscht. Er hat sie im Blut und fragt sich, was man da beherrschen kann.

8. Der Mensch hat eine Krankheit und braucht eine Arznei

Für Hahnemann sind die Körper wie auch die Gemütssymptome nur Ausdruck der erkrankten Lebenskraft und zwar nur verschiedene Ausdrücke ein- und derselben Erkrankung. Durch genaue Beobachtung (hier ins Detail zu gehen würde den Rahmen sprengen) stellte er fest, dass diese Lebenskraft nur eine Erkrankung zur gleichen Zeit zulässt, die sich an verschiedenen Körperteilen oder eben auch im Gemüt gleichzeitig zeigt. Diese eine Krankheit macht gleichzeitig z.B. Knieschmerzen, die besser werden, sobald man das Knie nur tüchtig genug bewegt. Dieselbe Krankheit erzeugt depressive Gefühle, die verschwinden, sobald es gelingt, sich genug abzulenken. Sie erzeugt Zahnfleischbluten, welches sich sonderbarerweise durch häufiges Putzen verbessert, und Durchfall jeden Morgen beim Erwachen.

All diese Symptome sind Ausdruck derselben Verstimmung der Lebensenergie, welche sich an diesem Organ so und an einem anderen Organ ganz anders äußert. Häufig gehorchen die vielen Symptome doch einer gewissen Grundidee wie in unserem Beispiel. Genauso wie die Kunstkrankheit den ganzen Menschen durch eine einzige Substanz ergreift, wie in unserem Beispiel durch Schlangengift, genauso heilt eine Arznei alleine die verstimmte Lebenskraft und in der Folge verschwinden die Symptome, sowohl körperlich als auch psychisch.

Was der Homöopath oder die Homöopathin mit der langwierigen Anamnese also bezweckt, ist die möglichst vollständige Aufzeichnung aller Krankheitszeichen des Patienten, um herauszufinden welche eine Störung der Lebenskraft all diese Symptome und Verstimmungen des Patienten hervorruft. Für diese eine Störung suchen wir die Arznei, wohlgemerkt eine Arznei. Es ist also eine sehr andere Sicht als wir es gewohnt sind. Ich werde oft gefragt: „ Warum wollen Sie das alles wissen, ich habe doch nur einen Hautausschlag?" Es ist nicht Neugierde oder Zeitschinderei, damit ich mehr berechnen kann. Ich muss sehr viel wissen und all diese Fragen stellen, damit ich eine gute homöopathische Verordnung machen kann. Ohne Einblick auch in das Gemütsleben des Patienten kann ich nicht gut verordnen. Das ist heute so und war auch schon vor 150 Jahren so in der Homöopathie.

Wir sind es gewohnt, bei unseren Kniebeschwerden zum Orthopäden zu gehen, der Depressionen wegen gehen wir zum Psychologen und wegen der Rückenverspannungen lassen wir uns eine Massage verschreiben. In der Homöopathie geht es ums Ganze (Später werde ich die übliche homöopathische Anamnese genauer beschreiben.).

9. Die Arznei - das zweischneidige Schwert

Ich habe dargestellt, wie Hahnemann wohl auf den Selbstversuch kam und dabei das Ähnlichkeitsgesetz entdeckte. Durch diese Versuche erkannte er, dass der ganze Mensch erkrankt und nicht nur ein Teil, und er sah, dass die Arzneien am besten wirkten, wenn sie auf die Symptomatik des ganzen Menschen passten. Daraus schloss er, dass nicht der Körper wirklich primär erkrankt, sondern die Lebenskraft, die im gesunden Zustand alles regelt und in Krankheit Symptome in Körper und Gemüt erzeugt. Er schlussfolgerte, dass es eine immaterielle Kraft geben muss, auf deren Grundlage Psyche und Körper funktionieren und nannte sie eben Lebenskraft oder Dynamis. Sie ist der Ort der Krankheit und muss zur Gesundheit umgestimmt werden. Dann könnte es ja eigentlich losgehen mit der Heilung, aber es gab noch Probleme. Hahnemann suchte unter seinen Arzneien, die er bereits geprüft hatte, die am besten passenden heraus und gab sie.

Zum Beispiel hatte ein Bauer beim Arbeiten auf dem Feld einen Hitzschlag bekommen und litt nun unter heftigsten Kopfschmerzen, als würde ihm der Kopf auseinanderfliegen, das ganze Blut schien sich im Kopf zu konzentrieren, während die Hände und Füße eiskalt waren. Diese Art von Kopfschmerzen kann man auch beobachten, wenn man die Tollkirsche zu sich nimmt, Belladonna athropina. Also gab Hahnemann dem Patienten einige Tropfen der alkoholischen Lösung von der Tollkirsche. Aber so wenige Tropfen er auch benutzte, immer wieder überreagierte der Patient heftigst auf die Arznei, die zwar dann auch heilte, aber den Patienten zuweilen in Lebensgefahr brachte. Das war nicht gerade sanft und Sinn der Sache.

Es ist auch gar nicht verwunderlich, dass es so kommen musste, denn Hahnemann hatte ja selbst festgestellt, dass eine Arznei nicht nur gesund machen kann, sondern auch immer krank macht. Eine Arznei ist also ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite heilt die Arznei, auf der anderen vergiftet sie. Um es auf den Punkt zu bringen, sie ist ein Heilgift, ein Paradoxon.

Dieses Problem ist uns nicht unbekannt, es ist vielleicht sogar das Problem der modernen Medizin schlechthin. In den Schmerzstationen im Krankenhaus wird oft nichts anderes gemacht, als eine andere Zusammensetzung von Arzneien zu suchen, die der Patient besser verträgt. Das meint nichts anderes, als dass die Nebenwirkungen der Arzneien den Vorteil zu überwiegen beginnen. Also die Vergiftung durch die Arznei, insbesondere im Dauergebrauch ist eines der ungelösten Probleme in der modernen Medizin. Es ist das Problem vom Waschzettel. Setzt man diese wirklichen Wundermittel wie Kortison nur kurz ein, so kann man die Nebenwirkungen vernachlässigen, aber der Dauergebrauch ist das Problem, da stimmt die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht mehr.

Genauso ging es Hahnemann und er begann wie heute auch üblich, die Dosis erstmal zu reduzieren, damit es keine allzu heftigen Reaktionen mehr gab. Er verdünnte die Tropfen einfach. Aber dann passierte ihm das, was man bereits vorausahnt: nicht nur die Überreaktionen verschwanden, sondern damit gleich auch die Heilwirkung.

Auch hier wissen wir nicht, wie er auf die geniale Entdeckung kam, dieses Paradoxon zu lösen. Er hatte wohl die Vermutung, dass die Überreaktion des Kranken durch die Giftwirkung der Arznei entstand und dadurch der Körper geschädigt wurde. Was ihn jedoch an der Arznei interessierte, war nicht die chemische Wirkung bzw. die chemischen Wirkstoffe, sondern die dynamische Wirkung, das geistige Prinzip in der Tollkirsche. Nur diese immaterielle Kraft konnte wirklich heilsam sein, da die Krankheit für ihn ja ein Versagen auf immaterieller Ebene war, auf der Ebene der Lebenskraft nämlich. Um diese nicht greifbare Lebenskraft zu beeinflussen, braucht man immaterielle Energien, Materie stört da höchstens. Was er also von der Heilpflanze wollte, war nicht ihr Gift, sondern ihr geistiges Prinzip, ihre Dynamis oder Lebenskraft.

10. Das Potenzieren oder Dynamisieren der Arznei - Die vierte Säule der Homöopathie

Er hatte das Problem des Paradoxons Heilgift klar vor Augen und wollte die Heilwirkung von der Giftwirkung trennen, mit anderen Worten: die Materie vom geistartigen Prinzip in ihr. Genau das geschieht beim Vorgang des Potenzierens oder Dynamisierens, wie er es später nannte:

Im ersten Schritt verdünnte er die Arznei.

Also er nahm einen Tropfen der alkoholischen Lösung von beispielsweise der Tollkirsche Belladonna und gab ihn in ein 5 ml-Fläschchen zur Hälfte gefüllt mit Alkohol (entspricht ca. 100 Tropfen Alkohol). Dabei nimmt die chemische Konzentration ab.

Im zweiten Schritt dynamisierte er die Arzneiverdünnung.

Dies geschieht, indem er das Fläschchen auf ein ledergebundenes Buch aufklopft und zwar zehnmal. In seiner Vorstellung und eben auch in Realität wird dadurch die Heilkraft verstärkt, während sich die Substanz und damit die Giftwirkung verringert.