Horror-Western 11: Wurmfutter - Lee - E-Book

Horror-Western 11: Wurmfutter E-Book

Lee

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Beschreibung

Im Jahr 1906 verwüstet ein gewaltiges Erdbeben die Stadt San Francisco, doch die Folgen sind noch viel verheerender, als zunächst geglaubt. Als Arthur Bingham mit seiner Bande eine abgelegene Siedlung überfällt, erlebt er eine böse Überraschung. Die Bewohner der Siedlung sind nicht so harmlos, wie sie erscheinen, denn sie hüten ein dunkles Geheimnis. Als Marshal Tade Lansdale mit seinen beiden Deputys die Siedlung erreicht, fehlt von den Banditen jede Spur. Doch die Gesetzeshüter kommen einer Bedrohung ganz anderer Art auf die Spur.

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Seitenzahl: 163

Veröffentlichungsjahr: 2025

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3802 Earl Warren Manitous Fluch

3803 Ralph G. Kretschmann Im Sattel saß der Tod

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3806 U. H. Wilken Die Nacht der Bestien

3807 Anton Serkalow Die Fährte des Wendigo

3808 Earl Warren Kane jagt den Ghul-King

3809 Earl Warren Kane und der Hexenjäger

3810 Michael Tillmann Westwärts auch die Ängste ziehen

3811 Lee Quentin Wurmfutter

Wurmfutter

Horror Western

Buch 11

Lee Quentin

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

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* * *

Copyright © 2025 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier

Redaktion: Danny Winter

Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten.

www.blitz-verlag.de

ISBN: 978-3-68984-357-1

3811 vom 02.03.2025

Inhalt

Wurmfutter

Lee C. J. Quentin

Am 18. April 1906 verwüstete ein gewaltiges Erdbeben die Stadt San Francisco. Das Beben erstreckte sich von San Juan Bautista bis nach Eureka und kostete rund dreitausend Menschen das Leben. Die San-Andreas-Verwerfung galt schon immer als großes Risiko für Kalifornien, deshalb hielten die meisten Menschen dieses verheerende Ereignis für eine reine Naturgewalt. Einige wenige glaubten sogar an den Willen Gottes, aber nur zwei Männer zogen eine andere Ursache in Betracht. Der eine von ihnen lebte in einem abgelegenen Goldgräber-Camp südwestlich des Epizentrums, der andere in einem Kleinstaat innerhalb der Stadtgrenzen von Rom.

* * *

Das Camp lag in einem Canyon, der sich stark von der Umgebung unterschied. Es war eine staubige Einöde ohne Vegetation, obwohl sich ringsum die grünen Hügel Südkaliforniens erhoben und man zu Fuß die nächsten Orangenhaine erreichen konnte. Im Canyon gab es nur Dreck, Steine und vertrocknete Sträucher, als habe jemand mit Absicht den Boden vergiftet.

„Fang an zu erzählen!“, befahl Arthur Bingham.

Einzahn schwenkte das Fernrohr von links nach rechts. „Ich schätze, da unten leben etwa zwei Dutzend Leute, höchstens dreißig.“

„Nur Männer, nehme ich an.“

„Hab auf der Straße weder Frauen noch Kinder gesehen. Ist wie gesagt ein Camp und keine Stadt.“ Einzahn senkte das Fernrohr. „Wir hätten die Farmerfrau mitnehmen sollen. Zur Unterhaltung. Die war doch noch gut.“

„Oh ja“, höhnte Bingham. „Nach dem, was ihr mit ihrer Familie angestellt habt, dürfte sie in romantischer Stimmung sein.“

„Ist doch egal, in welcher Stimmung die ist.“

Bingham dachte nach. „Zwei Dutzend sind ziemlich viele, um sie alle im Auge zu behalten.“

„Nur Alte und Krüppel, mit denen werden wir fertig.“ Einzahn beschrieb weiter, was er zu sehen bekam: „Mehrere einfache Hütten und zwei massive Häuser. Eines sieht tatsächlich aus wie ein Saloon. Und dann sind da noch fünf zweistöckige Hütten, die im Halbkreis um den Mineneingang gebaut sind. Wahrscheinlich für Arbeiter.“

„Wie sieht es mit der Mine aus?“

„Da tut sich gar nichts. Vielleicht, weil heute Sonntag ist.“

Arthur Bingham verdrehte die Augen. „Heute ist nicht Sonntag. Es ist Mittwoch oder Donnerstag, aber nicht Sonntag. Warum lassen die ihre Mine ruhen?“

„Sollen wir lieber noch abwarten, bis wir zuschlagen?“

„Sind die Kerle bewaffnet?“

Einzahn schüttelte seinen kahlen Schädel. „Hab nicht viele Waffen geseh’n, wird wohl wenig Widerstand geben. Sind alle ziemlich alt, und der jüngste Bursche hat nur einen Arm. Da kann uns keiner gefährlich werden. Überhaupt scheinen die ’ne Menge Krüppel da unten zu haben. Einer ist entweder blind oder stockbesoffen, jedenfalls läuft er komisch durch die Gegend.“

„Wir sind zu siebt und können uns gegenseitig den Rücken decken. Wozu also warten?“, drängte Sanchez. Er kratzte sich durch das schmutzige Unterhemd und entblößte dadurch einen haarigen Halbmond über seiner Gürtelschnalle. Sanchez war ihr Führer nach Mexiko und würde dort für einen ruhigen Unterschlupf sorgen. Jenseits der Grenze konnten sie in Ruhe ihre Beute verprassen, die für ein gutes halbes Jahr reichen sollte.

Alle warteten auf Arthur Binghams Entscheidung. Er war der Anführer ihrer Bande aus Halsabschneidern und hatte darin seine wahre Berufung gefunden. Als Goldsucher war er zuvor legendär gescheitert. Er musste der schlechteste Schürfer in der langen Tradition dieser Tätigkeit sein. Selbst der zweitschlechteste hatte wenigstens ein paar Krümel Gold gefunden, aber nicht Bingham. Zwei Jahre lang schuftete er sich unter Spott und Gelächter der anderen Schürfer den Rücken krumm, bis ihm eines Nachts die Erleuchtung gekommen war. Mit einem Mal wusste er, wie er an Gold gelangen konnte. Kurz vor Morgengrauen schlich er von Zelt zu Zelt, schnitt allen anderen Goldgräbern die Kehle durch und stahl ihre Ausbeute. Als er das Camp verließ, ärgerte ihn nur, dass er nicht früher auf diese Idee gekommen war. Er beabsichtigte, fortan nur noch auf diese Weise zu arbeiten, und tat sich mit ein paar Kumpanen zusammen, da es gefährlich war, alleine ein ganzes Camp anzugreifen. Je öfter sie zuschlugen, umso vorsichtiger mussten sie vorgehen. Sie achteten beispielsweise darauf, dass viel Abstand zwischen den Orten lag, die sie plünderten.

Doch der große Goldrausch lag schon lange zurück. Die Camps waren immer weniger geworden und die Beute immer kleiner. In den letzten Jahren waren die Goldsucher alle in Alaska, hatten sich entlang des Klondike Rivers breitgemacht und gruben die Gegend um Fairbanks um. Aber Bingham war es dort zu kalt. Also dehnten sie ihre Überfälle auf Farmen und kleine Siedlungen aus. Die Beute reichte jeweils nur für ein paar Tage oder höchstens einmal wenige Wochen aus, außerdem mussten sie immer öfter vor dem Aufgebot des örtlichen Sheriffs fliehen.

Seit annähernd zwanzig Jahren schlug er sich nun schon mit wechselnden Komplizen auf diese Weise durch.

Das Ende des lohnenden Banditendaseins hatte Binghams Meinung nach mit den Telegrafenleitungen begonnen. Man konnte Tag und Nacht unterwegs sein, ein Pferd nach dem anderen zu Schanden reiten, doch dank dieser verdammten Leitungen erwartete ihn am Ziel schon ein Sheriff mit seinen Männern. Bingham hätte am liebsten alle Masten gefällt oder in Brand gesetzt, aber dazu waren es einfach zu viele. Einmal jagten sie ihn sogar mit einem Automobil, aber in den Bergen hatte er es leicht abgehängt.

Arthur Bingham trauerte den alten Zeiten hinterher, auch wenn sie nicht immer leicht gewesen waren. Eigentlich niemals. In diesem Camp dagegen schien die Zeit seit dreißig Jahren stillzustehen und das gefiel ihm. Vielleicht war dieses Camp sogar ein unverhoffter Glückstreffer. Wenn die Bewohner es sich leisten konnten, die Arbeit an einem normalen Wochentag auszusetzen, musste das doch bedeuten, dass sie zuvor gut verdient hatten.

„Irgendwas ist komisch an diesem Ort“, murmelte Einzahn. „Aber ich kann nicht sagen, was es ist. Nur so ein Gefühl.“

Ein Gefühl war es auch gewesen, dass sie hierhergebracht hatte. Genauer gesagt Binghams Bauchgefühl. Etwas hatte ihn veranlasst, dem unscheinbaren Pfad zu folgen. Ansonsten wären sie niemals auf dieses abgelegene Camp gestoßen. Seine Begleiter mussten es ebenfalls gespürt haben, denn keiner von ihnen hatte über den Umweg gemurrt. Dass dies nicht der schnellste Weg nach Mexiko war, dürfte allen klar sein. Andererseits hatte er gelernt, die dunklen Vorahnungen von Einzahn nicht einfach abzutun. Sie ritten seit vielen Jahren zusammen, damals hieß er sogar noch Dreizahn.

Bingham blickte zur anderen Seite, wo ihre fünf Komplizen ungeduldig auf ihren Pferden warteten. Die Brüder Buster und Joe Harris hielten bereits ihre Revolver in den Händen. Sie waren schon ziemlich unruhig, und eine andere Entscheidung als Angriff würden sie wohl nicht akzeptieren.

„Die haben keine Pferde da unten“, stellte Horse Douglas fest, der auf derlei Details achtete. „Die kommen wohl nicht viel rum.“

„Dann haben sie auch nicht viel zu transportieren“, sagte Oswald Ozzie MacDonald, ein Deutsch-Schotte, der immer ihre Finanzen im Blick hatte und selten falschlag, wenn es um die Einschätzung lohnender Ziele ging. Er hielt die Zügel mit der linken Hand und presste seine Rechte auf den durchgebluteten Verband an seiner Hüfte. Er brauchte dringend etwas Ruhe und einen frischen Verband. Noch besser wäre ein Arzt, aber das würden ihre Verfolger wohl kaum zulassen.

„Überzeugen wir uns, ob es etwas zu holen gibt“, drängte Buster, der vor Mordgier förmlich vibrierte. Ihm war die Beute eigentlich egal, er wollte nur die Bewohner dort unten auf möglichst originelle Art quälen. Bevor er sie tötete.

„Auf geht’s, Jungs“, entschied Arthur Bingham schließlich. „Aber wir bleiben wachsam und halten die Augen offen.“

* * *

Die Gesetzeshüter waren den Geiern gefolgt, die über einem Punkt vor ihnen am Himmel kreisten. Marshal Thaddeus J. Lansdale entdeckte den Wagen zuerst und trieb sein Pferd mit den Fersen an. Während des Reitens zog er sein Gewehr aus dem Sattelholster und feuerte auf die Aasfresser am Boden. Aufgeregt flatterten sie zu ihren Artgenossen empor.

Die erste Leiche lag einige Meter von dem Wagen entfernt. Dem Alter nach das Familienoberhaupt, das den Banditen entgegengetreten war. Sie hatten ihn erschossen, bevor er sich wehren konnte. Die zweite Leiche war der Sohn. Er war auf dem Weg zu seinem Vater gewesen. Entweder um ihm zu helfen oder um sich sein Gewehr zu greifen, damit er den Rest der Familie verteidigen konnte. Ihn hatten Kugeln aus mehreren Revolvern erwischt, das verriet schon die Anzahl der Treffer.

Tade zügelte sein Pferd neben dem Wagen der Farmerfamilie. Die beiden Pferde des Wagens hingen tot im Geschirr. Grundlos hingerichtet aus reiner Lust am Töten.

„Das war Bingham“, erklärte Tade, als seine Begleiter ihn einholten.

„Es trägt eindeutig seine Handschrift“, bestätigte Suffert. „Dadurch dürfte die Prämie noch steigen.“

„Dein Mitgefühl ist wirklich rührend“, knurrte Vaughan.

Tade Lansdale war noch recht jung für das verantwortungsvolle Amt eines Marshals. Der Stoff des Hemdes spannte über den Muskeln seines Oberkörpers und sein gutaussehendes Gesicht war nach Meinung vieler Frauen viel zu schade, um Sonne und Staub ausgesetzt zu sein. Er war eine Zierde für die amerikanischen Gesetzeshüter und sein ganzes Bestreben galt der Jagd nach Banditen. Obwohl fast allen von ihnen der Strick drohte, wollte Tade sie stets lebendig fassen, um sie vor Gericht zu stellen. Bei Arthur Bingham war er zum ersten Mal versucht, eine Ausnahme zu machen.

Für die Ergreifung stand ihm ein erfahrener Deputy zur Seite. Elliott Vaughan war ein schlaksiger Kerl mit eisgrauem Schnauzbart. Darüber hinaus schien er nur mit einem einzigen Gesichtsausdruck ausgestattet zu sein, doch er beherrschte sein Metier wie kein Zweiter. Trotz seines Alters und seiner Erfahrung war Vaughan nie über den Rang eines Deputy hinausgekommen. Einzig, weil er nicht weiter aufsteigen wollte. Er tat seit vier Jahrzehnten genau die Arbeit, die er immer tun wollte, war ein verlässlicher Kampfgefährte und einer der tapfersten Männer, die Tade je kennengelernt hatte.

Ganz im Gegensatz zu dem zweiten Deputy. Butch Suffert war ein unangenehmer Bursche, bei den Vorgesetzten genauso unbeliebt wie bei den Gleichgestellten. Er war älter als Lansdales Vater, was die Frage aufwarf, was so viele Jahre seine Beförderung verhindert hatte. Angesichts des miesen Charakters des Mannes kamen dafür eine Menge Möglichkeiten in Betracht. Gerade nahm Suffert wieder einen großen Schluck aus seinem Flachmann und glaubte, niemand bemerkte es. Oder es war ihm schlicht egal.

„Mistkerle“, knurrte Vaughan und spuckte aus.

Hinter dichtem Strauchwerk ertönte ein Geräusch. Sofort richteten sich die Mündungen der drei Gesetzeshüter auf die Stelle.

„Wer ist da?“, rief Tade. „Mein Name ist Marshal Lansdale, kommen Sie heraus!“

Zwei Frauenhände hoben sich über die vertrockneten Äste. „Sind Sie wirklich ein Marshal?“

„Und zwei Deputys, Ma’am. Sie sind in guten Händen“, versicherte Vaughan und senkte seine Waffe.

Eine Frau kam zögerlich hinter den Sträuchern hervor. Ihr Gesicht war schmutzig und verweint, die robuste Kleidung dreckig und zerrissen. Sie war noch jung, aber vom harten Farmleben gezeichnet. Und dem, was ihr und ihrer Familie zugestoßen war.

„Mein Sohn“, flehte sie. „Bitte helfen Sie ihm!“

Zuerst fürchtete Tade, sie würde von dem erschossenen Jungen sprechen, doch dann begriff er, dass sie zwei Kinder hatte.

Sie winkte die Gesetzeshüter mit sich und führte sie zu einem tiefen Spalt in der Erde. Er verlief mehrere Yards in jede Richtung und war direkt vor ihnen etwa zwei Yards breit.

„Die Banditen ... sie ...“ Die Frau schaffte es kaum, das Grauen auszusprechen. „Sie haben meinen Jungen da reingeworfen.“

Tade versuchte, etwas in dem Spalt zu erkennen, doch er konnte nichts dort unten ausmachen.

„Das wird uns lange aufhalten. Bingham könnte entkommen“, gab Vaughan zu bedenken. „Und in der Zwischenzeit noch mehr Menschen töten.“

„Einen Mistkerl wie Bingham würde ich sogar zutrauen, dass er dies hier mit Absicht hinterlassen hat, um uns aufzuhalten.“

Butch Suffert wurde ungeduldig. „Ich bin hier, um böse Jungs zu schnappen, nicht um kleine Jungs aus Löchern zu ziehen.“

„Ist auch ein ziemlich schmaler Spalt“, sagte Vaughan und machte eine Kopfbewegung hin zu Sufferts gewaltigem Bauch.

„Macht doch, was ihr wollt.“

Vaughan trat zu Tade an den Spalt. Er war nicht einfach nur ein Riss im Boden, sondern befand sich in Bewegung. Außerdem konnten sie dessen Grund nicht ausmachen, von dem Jungen ganz zu schweigen. Die Ränder bewegten sich nicht nur voneinander weg, sondern auch wieder einander an. Es ähnelte einem atmenden Mund. Deshalb war nicht auszuschließen, dass der Spalt sich jederzeit wieder schloss.

„Du kannst da nicht runter“, warnte Vaughan. „Entweder wirst du zerquetscht oder der Spalt verbreitert sich noch mehr und du stürzt ins Bodenlose.“

Tade sah seinen Deputy nur an.

Vaughan seufzte. „Ich wollte es wenigstens erwähnt haben.“

Der Marshal zog seine Jacke aus und legte sie über den Sattel. Dann öffnete er die Schnalle des Revolvergurts und hängte ihn über den Knauf. Zuletzt nahm er den Hut ab. Vaughan warf ihm das Ende des Lassos zu.

„Diese Erdspalte sieht frisch aus“, stellte der Deputy fest. „Meinst du, das hat mit dem Erdbeben in San Francisco zu tun?“

„Du glaubst, es hatte Auswirkungen bis hierher?“

Vaughan zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich schon?“

„Behalt Suffert im Auge. Die Mutter hat schon Sorgen genug“, bat Tade, dann stieg er in den Spalt hinein.

Er hielt sich am Lasso fest, während er mit seinen Stiefeln Halt an der Wand suchte. Doch der Untergrund war sandig und nachgiebig. Immer wieder brachen große Stücke unter seinen Sohlen ab oder zerbröselten einfach. Tade hangelte sich am Seil hinab und hielt dabei nach dem Jungen Ausschau.

Er sah eine ausgestreckte Hand emporragen und rutschte schneller am Seil herab. Mit gespreizten Beinen fand er einen festen Stand über dem Farmersohn.

„Wie heißt du, Junge?“

„Samuel. Sam“, kam eine klägliche Stimme aus dem Spalt, der an dieser Stelle kaum noch breiter sein konnte als ein kleiner Junge. Sam steckte fest und war zum größten Teil mit Sand und Erde bedeckt. Tade konnte gerade noch einen semmelblonden Schopf und eine Schulter erkennen.

„Sam, ich bin Tade. Ich bin Marshal Tade, du musst keine Angst mehr haben.“

„Ist ein Marshal so etwas wie ein Sheriff?“

„So ähnlich, richtig.“ Tade streckte seine Hand nach unten. „Ich bin hier, um dich zu retten. Kommst du mit mir?“

„Ich kann nicht.“

„Ich werde jetzt deine Hand greifen und dann ziehe ich dich hoch. Hilf so gut mit, wie du kannst.“

„Ich bin nicht allein hier unten“, flüsterte Sam.

Tade zögerte. „Wie meinst du das?“

Sam schluchzte leise.

„Wer ist bei dir?“ Tade hatte ebenfalls die Stimme gesenkt.

„Ich weiß es nicht. Aber es bewegt sich.“

Die Wände des Spaltes erzitterten. Ein neues Beben?

„Was ist das, Tade?“, fragte Sam besorgt.

„Wir müssen uns nur beeilen, dann wird uns nichts geschehen.“

Sam sagte nichts, aber er war nicht überzeugt. Er fühlte sich sicherer, wenn er sich weiterhin nicht bewegte. Doch darauf konnte Tade keine Rücksicht nehmen. Sie schwebten beide in Gefahr. Er griff nach unten, packte Sams Handgelenk und zog ihn empor. Der Junge klammerte sich ängstlich an ihm fest, wodurch Tade aus dem Gleichgewicht geriet. Sein rechter Fuß rutschte ein Stück hinab, aber er konnte sich mit der linken Hand am Lasso halten.

„Ich habe ihn“, rief er nach oben. Die Wände des Spalts erzitterten und Tade hatte den Eindruck, als würden sie sich einander annähern. „Elliott, zieh den Jungen hoch!“

Vaughan packte das Seil mit beiden Händen. „Häng dich mit dran!“

„Erst den Jungen. Ich komme beim zweiten Mal.“

„Verdammt, es wird kein zweites Mal geben“, brüllte Vaughan zurück.

Der Deputy verlor praktisch nie die Ruhe und das war ein deutlicher Hinweis auf die Gefahr, in der sie schwebten.

Etwas bewegte sich unter Tades Stiefeln. Es war nachgiebig, wie eine sehr zähe Flüssigkeit. Der Marshal schlang einen Arm um das Seil und mit dem anderen packte er Sam, als der Boden unter ihnen wegbrach. Sofort wurden sie nach oben gerissen, mit einer Kraft, die nicht von dem alten Deputy stammen konnte. Vaughan hatte das Seil an sein Pferd gebunden und Suffert führte es von dem Spalt weg.

Schmerzhaft wurden sie über den Rand des Spaltes hinweggezogen und noch ein paar Yards über den rauen Untergrund, dann blieben sie keuchend liegen. Die Farmersfrau eilte herbei und warf sich über ihren Sohn, umarmte ihn verzweifelt. Sam umschlang ihren Nacken. Sie waren alles, was von ihrer Familie übriggeblieben war.

„Was war da unten?“, fragte Vaughan.

„Ich kann es nicht sagen, es war seltsam.“ Tade überlegte. „Aber vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet.“

Die Ränder des Spaltes brachen an mehreren Stellen ab und schütteten den Riss in der Landschaft zu. Vorsichtshalber entfernten sie sich alle noch ein Stück.

Vaughan schob sich seinen Hut in den Nacken. „Wenn da unten etwas war, werden wir es wohl nicht mehr erfahren.“

Tade sah zu Mutter und Sohn. „Was machen wir jetzt mit ihnen? Wir können sie nicht allein lassen. Wir müssen sie in Sicherheit bringen.“

„Aber wir haben keine Zeit, sie irgendwohin zu bringen“, protestierte Suffert. „Wahrscheinlich haben wir Bingham längst verloren.“

„Was ist mit unserem Jungspund?“, schlug Vaughan vor.

Sie sahen zu dem nahen Hügel, auf dem ein einsamer Reiter wartete. Es handelte sich um einen jungen Hilfssheriff, der aus einem kleinen Ort stammte, den Bingham und seine Bande heimgesucht hatten. Der Mexikaner unter den Banditen hatte den Sheriff erschossen, und nun brannte dessen junger Gehilfe auf Rache. Tade wollte ihn nicht dabeihaben, weil er keinen Hitzkopf brauchte, der im entscheidenden Moment seine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte. Doch der Hilfssheriff namens Jim hatte sich bisher nicht abwimmeln lassen und folgte ihnen mit einer halben Meile Abstand. Doch die Distanz schwand immer mehr, und inzwischen stellte er praktisch den Nachzügler ihres Trupps dar.

Damit war Butch Suffert überhaupt nicht einverstanden. „Wenn du ihn mitschickst, stehen wir Binghams Bande nur noch zu dritt gegenüber“, beschwerte er sich. „Das grenzt ja schon an Selbstmord.“

„Ich schicke die beiden auf keinen Fall allein zurück. Willst du mit ihnen gehen?“

Suffert wusste genau, dass ihm dann die Prämie durch die Lappen ging, die Angehörige der Opfer in Aussicht gestellt hatten. Suffert musste sich zwischen Dollars und seiner persönlichen Sicherheit entscheiden. Alle wussten, welche Wahl er treffen würde.

Tade hob die Hand und winkte Jim zu ihnen heran.

* * *

Die Bande ritt den Hang hinab und in das Camp hinein. Es bereitete ihnen keine Mühe, bedrohlich auszusehen, als sie den großen Platz in der Mitte durchquerten. Sie hielten direkt auf das steinerne Hauptgebäude zu, auf dessen Veranda ein großer Mann getreten war. Sechseinhalb Fuß groß, breitschultrig und mit einem weißen, sorgfältig gestutzten Vollbart. So hatte sich Bingham als kleiner Junge Gott vorgestellt. Den wütenden Gott aus dem Alten Testament.

Bingham zügelte sein Pferd vor der ersten Stufe zur Veranda und befand sich fast auf Augenhöhe mit dem Mann. Er tippte sich grüßend an seinen Hut. „Einen wunderschönen guten Tag, mein Freund. Arthur Bingham der Name. Meine Begleiter und ich sind auf der Durchreise und dachten, wir könnten hier etwas ausruhen.“