How to Make Friends with the Dark - Kathleen Glasgow - E-Book
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How to Make Friends with the Dark E-Book

Kathleen Glasgow

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Beschreibung

Von der »New York Times«- und »SPIEGEL«-Bestsellerautorin der TikTok-Sensation »Girl in Pieces« Du musst weitermachen. Ich kann nicht weitermachen. Du musst weitermachen. Denn was bleibt einem anderes übrig? Man muss sich mit der Dunkelheit anfreunden. Sie waren immer zwei gegen den Rest der Welt: Tiger und ihre Mutter. Dann, an einem Tag wie jedem anderen, stirbt Tigers Mutter. Jetzt ist Tiger allein auf der Welt ... und gegen diese Art von Dunkelheit kann sie nicht gewinnen. Sie muss lernen, sich mit ihr anzufreunden. Leseempfehlungen und Pressestimmen: »Atemberaubend und herzzerreißend, und ich habe es von ganzem Herzen geliebt.« Jennifer Niven, »New York Times«-Bestsellerautorin von »All die verdammt perfekten Tage« »Ein seltener und kraftvoller Roman ... (Kathleen Glasgow) taucht mit Ehrlichkeit, Einfühlungsvermögen und Anmut tief ein in das Herz der Trauer und der Heilung.« Karen M. McManus, »New York Times«-Bestsellerautorin von »One of us is lying« »Großartig. Ein schönes, herzzerreißendes Halleluja auf das Überleben.« Brendan Kiely, preisgekrönter  »New York Times«-Bestsellerautor »Eine kraftvolle Erinnerung daran, dass Depressionen und Einsamkeit überwunden werden können.« Forbes Magazine »Eine ehrliche und extrem erschütternde Lektüre.« BookPage »Eindringlich und traumatisch und pulsierend vor Schmerz ... [Dies ist] ein düsterer, roher Bericht über das Weiterleben nach einer Tragödie, Minute für Minute.« Kirkus Reviews  »[Ein] herausragendes Buch ... Tigers unverwechselbare, eindringliche Stimme klingt lange nach.« Booklist

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Seitenzahl: 530

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Kathleen Glasgow

How to Make Friends with the Dark

 

Aus dem amerikanischen Englisch von Maren Illinger

 

Über dieses Buch

 

 

Was dir durch den Kopf geht, wenn deine Mutter stirbt: Ihr habt euch am Telefon wegen eines Kleids gestritten, du hast furchtbare Dinge gesagt, du hast ihre Nachrichten ignoriert, du hast mit einem Jungen geknutscht, anstatt nach Hause zu gehen, und irgendwann in diesen Stunden, diesen Minuten, diesen Sekunden war deine Mutter gerade noch da, und dann nicht mehr.

Sie waren immer zwei gegen den Rest der Welt: Tiger und ihre Mutter. Dann, an einem Tag wie jedem anderen, stirbt Tigers Mutter. Tiger ist allein auf der Welt ... und gegen diese Art von Dunkelheit kann sie nicht gewinnen. Sie muss lernen, sich mit ihr anzufreunden.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch

Biografie

 

 

Kathleen Glasgow lebt und schreibt in Tucson, Arizona. »Girl in Pieces« ist ihr erstes Jugendbuch und wurde direkt ein »New York Times«-Bestseller. Inzwischen hat sie mehrere Jugendbücher veröffentlicht, die vielfach ausgezeichnet und in 24 Sprachen übersetzt worden sind.

Inhalt

[Widmung]

DAVOR

Ich finde die [...]

Kai Henderson hat [...]

Der späte Nachmittag [...]

Kai Henderson zu [...]

DANACH

21.21 Uhr

23.04 Uhr

Eines Morgens wachst [...]

16 Stunden, 1 Minute

22 Stunden, 4 Minuten

22 Stunden, 5 Minuten

Am liebsten würde [...]

47 Stunden, 15 Minuten

2 Tage, 6 Stunden, 9 Minuten

3 Tage, 10 Stunden, 9 Minuten

Was dir durch [...]

4 Tage, 10 Stunden

5 Tage, 22 Stunden, 22 Minuten

6 Tage

6 Tage, 12 Stunden

7 Tage, Teil zwei

Was dir durch [...]

7 Tage, 10 Stunden

7 Tage, 11 Stunden

7 Tage, 11 Stunden, 50 Minuten

7 Tage, 21 Stunden

Was dir durch [...]

8 Tage, 4 Stunden, 35 Minuten

8 Tage, 10 Stunden

Was passiert, wenn [...]

8 Tage, 16 Stunden

8 Tage, 17 Stunden

10 Tage, 12 Stunden

10 Tage, 13 Stunden, 19 Minuten

11 Tage, 12 Stunden

12 Tage, 16 Stunden

Wie es sich [...]

13 Tage, 10 Stunden

13 Tage, 11 Stunden, 39 Minuten

13 Tage, 12 Stunden, 9 Minuten

17 Tage, 13 Stunden, 9 Minuten

17 Tage, 19 Stunden, 40 Minuten

Was passiert, wenn [...]

23 Tage

24 Tage, 10 Stunden

27 Tage

27 Tage, 16 Stunden

29 Tage, 18 Stunden, 39 Minuten

30 Tage, 16 Stunden

30 Tage, 23 Stunden, 17 Minuten

31 Tage, 12 Stunden, 39 Minuten

32 Tage, 2 Stunden

32 Tage, 5 Stunden

Was passiert, wenn [...]

32 Tage, 15 Stunden

34 Tage, 10 Stunden

34 Tage, 12 Stunden

40 Tage

41 Tage, 22 Stunden

51 Tage, 15 Stunden

53 Tage, 12 Stunden

53 Tage, 14 Stunden

60 Tage, 14 Stunden

Wie es ist, [...]

64 Tage, 16 Stunden

65 Tage, 17 Stunden

JETZT

Eines Abends sprechen [...]

Nachwort

WOHIN DU DICH WENDEN KANNST, WENN DU HILFE BRAUCHST

Danksagung

dieses Buch

ist für die Trauernden

dieses Buch

ist für die Zurückgelassenen

dieses Buch

ist für jedes gebrochene Herz

auf der Suche nach Heimat

DAVOR

Ich finde die Rechnungen rein zufällig, versteckt unter einem Stapel Unterwäsche in der Kommode, die meine Mutter und ich uns teilen. Statt sauberer Socken ziehe ich ein Bündel Briefe mit Aufschriften wie Dringend, Letzte Mahnung, Wir bitten um sofortige Rückmeldung hervor.

Mein Herz klopft. Wir haben nicht viel, hatten wir noch nie, aber wir sind mit dem über die Runden gekommen, was Mom als Fahrerin des Bücherbusses und als Aushilfe in Bonitas Kindertagesstätte verdient. Im Sommer haben wir außerdem das Marmeladenmobil, aber das ist eine andere Geschichte.

Man versteckt keine Briefe in Schubladen, wenn man nicht ziemlich besorgt ist.

Mom liegt seit gestern Morgen auf dem Sofa, in eine schwarz-rote Wolldecke gewickelt, und schläft ihre Kopfschmerzen aus.

»Mom«, sage ich laut. »Mommy.«

Keine Antwort. Ich schaue auf die schiefhängende Uhr an der Wand. Noch vierzig Minuten bis zur ersten Stunde.

Wir beide sind das, was Mom gerne »eine gut geölte, gut aussehende und gut riechende Maschine« nennt. Aber ich bin darauf angewiesen, dass die andere Hälfte dieser Maschine piept und surrt und all die anderen Dinge tut, die Mütter eben so tun. Außer ihr habe ich niemanden. Es ist nicht so wie bei meiner Freundin Cake, die mit ihren Eltern und ihrem Onkel zusammenlebt. Wenn Mom krank ist, oder deprimiert, habe ich Pech gehabt, was Hilfe und Gesellschaft angeht.

Und Mitfahrgelegenheiten zur Schule.

»Mom!« Ich schreie, so laut ich kann, und zerreiße mir dabei fast die Kehle. Ich stopfe die Rechnungen zurück unter die Wäsche und gehe ins Wohnzimmer.

Der Schrei hat gewirkt. Sie sitzt aufrecht, die Wolldecke liegt am Boden.

»Dir auch einen guten Morgen«, murmelt sie verschlafen.

Ihr kurzes Haar ist auf der einen Seite platt gedrückt und auf der anderen Seite stachelig. Sie schaut sich um, als wäre ihr alles hier fremd, als wäre sie eine Außerirdische, die versehentlich in unsere seltsame, irdische Atmosphäre geraten ist.

Sie blinzelt einmal, zweimal, dreimal, dann sagt sie: »Tiger, Süße, mach mir einen Kaffee, ja?«

»Es gibt keinen Kaffee.« Das sage ich so vorwurfsvoll wie nur möglich. Ich muss ein bisschen fies sein. Es sieht ganz danach aus, als steckten wir in echten Schwierigkeiten, und außerdem brennen mir gerade noch ein paar andere Dinge ein Loch ins Hirn, zum Beispiel Kai. Ich brauche eine Mom, die funktioniert.

»Es gibt gar nichts«, füge ich hinzu. »Okay, Erdnussbutter. Du kannst eine schöne große Tasse heiße Erdnussbutter haben.«

Mom lächelt, und ich werde weich. Alles, was ich über das Bündel unbezahlter Rechnungen sagen wollte, fliegt aus dem Fenster. Es wird schon wieder in Ordnung kommen. Alles kommt wieder in Ordnung, so wie immer.

Wir werden wieder piepen und surren.

Mom steht auf und wankt zu der roten Kaffeemaschine. Kaffee ist Moms Droge. Und Zigaretten, da können Bonita, Cake und ich ihr noch so oft sagen, dass die Dinger widerlich und tödlich sind. Als ich klein war, bin ich immer in aller Herrgottsfrühe aufgewacht und wollte mit ihr spielen, nur mit ihr, bevor sie mich in die Kita geschleppt hat, und ich musste immer warten, bis sie ihren ersten Kaffee getrunken und ihre erste Zigarette geraucht hatte. Es war eine Qual, darauf zu warten, dass diese blöde Maschine endlich eine Tasse Kaffee ausgespuckt hatte, während ich schon die Legosteine oder Mikadostäbchen in der Hand hielt.

Sie stößt einen tiefen Seufzer aus. »Oh, Shit«, murmelt sie. »Süße! Ich setze mich wohl besser mal in Bewegung, hm?« Sie steht am Waschbecken und dreht den Hahn auf, aber es kommt nichts raus. »Geht das Wasser immer noch nicht? Ich hatte gehofft, das war nur ein böser Traum.« Sie deutet mit dem Kinn auf den Wasserhahn.

»Pacheco geht nicht ans Telefon«, sage ich. Mr. Pacheco ist unser Vermieter, und er ist kein Ausbund an Freundlichkeit.

Sie murmelt: »Dann muss ich mich darum heute auch noch kümmern.« Ich schweige. Redet sie von den Rechnungen? Vielleicht sollte ich …

Mom streckt die Arme aus. »Komm her, Süße. Komm her. Komm zu mir.«

Da laufe ich, so schnell, dass ich fast auf dem zerschlissenen Wollteppich ausrutsche, zu ihr, und mein Gesicht landet direkt unter ihrem Schlüsselbein. Ihre Lippen drücken einen Kuss auf meinen Scheitel.

Mom zittert. Ihr Hemd ist feucht, als hätte sie geschwitzt. Wahrscheinlich braucht sie eine Zigarette. »Es tut mir leid«, flüstert sie in mein Haar. »Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Diese Kopfschmerzen. Dass Bonita weg ist, dass die Kita schließen musste. Ich … das war alles sehr viel auf einmal, ich habe wohl einfach Panik bekommen. Hast du gestern Abend überhaupt was gegessen?«

Nur einen Becher Wackelpudding, und mein Magen brüllt vor Hunger, aber das sage ich nicht. Ich kuschle mich nur an sie.

Meine Mutter zieht den Kopf zurück und lacht. »Grace«, sagt sie. Wenn ich meinen richtigen Namen höre, muss ich immer das Gesicht verziehen. »Gracie, das Pyjamaoberteil ist ein bisschen klein, Püppchen.«

Ich ziehe das T-Shirt nach unten und verschränke die Arme vor der Brust.

Mom seufzt. Ich weiß, was jetzt kommt, also setze ich mein Langweilig!-Gesicht auf.

»Tiger«, sagt sie fest. »Du bist ein wunderschönes Mädchen. Das war nur ein blöder Witz, tut mir leid. Du sollst dich niemals verstecken. Du entwickelst dich zu etwas Wundervollem. Du brauchst dich nicht zu schämen.«

Wundervoll. Bonita und sie übertreiben es manchmal mit ihrem Zuspruch. Cake meint, die Lebensaufgabe meiner Mom und ihrer besten Freundin sei »Starke-Mädchen-Erziehung« – stärker, als sie selbst waren. »Weißt du«, sagte sie einmal, »vermutlich haben ihre eigenen Mütter sie vor dem Abschlussball auf Magerquark-Diät gesetzt und zu ihnen gesagt, dass sie in der Nähe von Jungs schön die Beine geschlossen halten sollen.«

Ich verdrehe die Augen und stöhne. »Das musst du sagen«, erwidere ich. »Du bist meine Mom. Das steht in deiner Stellenbeschreibung.«

Ihr Gesicht wird sanft, und ich kriege ein schlechtes Gewissen. Einmal habe ich gehört, wie sie Bonita erklärt hat: »Ich versuche, Tiger all die Dinge zu sagen, die ich selbst nie gehört habe, weißt du?«

Ich wüsste gerne, was sie alles nicht zu hören bekommen hat. Denn sie ist ziemlich wortkarg, wenn es um die Zeit geht, in der sie noch keine Mom war. Ihre Eltern sind gestorben, als sie auf dem College war, und sie redet nicht gerne von früher.

Meine Mutter kramt in den Schränken und findet irgendwie, irgendwo, eine Dose Cola, obwohl ich gestern Abend jeden Winkel nach Essbarem durchforstet habe. Sie trinkt einen großen, dankbaren Schluck und wischt sich den Mund ab. Dann fischt sie eine Zigarette aus ihrer Handtasche.

»Zieh dich an, Tiger. Ich setze dich an der Schule ab, und dann habe ich eine Menge zu tun. Heute wird ein Höllentag, das steht fest. Einkaufen, Pacheco, das volle Programm. Ich mache es wieder gut, dass ich so k.o. war, okay?«

»Okay.«

Mom geht in den Garten, um zu rauchen, und ich gehe in mein Zimmer, wo ich verzweifelt versuche, in meinem Kleiderschrank voll unpassender Klamotten etwas halbwegs Passendes zu finden. Mom tut so, als wäre es kreativ und witzig und individuell und umweltbewusst, Kleidung aus Verschenkekisten am Straßenrand mitzunehmen (»Des einen Müll ist des anderen Schatz!«) und nicht nur ein Nebeneffekt unserer knappen Finanzen, aber manchmal wünschte ich, ich könnte zur Schule gehen wie jedes andere Mädchen auch, in Leggings und T-Shirt und hübschen Riemchensandalen, aus denen meine rosa lackierten Zehennägel herausschauen. Stattdessen wirke ich meistens wie ein Geschöpf aus der Vergangenheit, in alten Klamotten, die so aussehen wie, tja, wie alte Klamotten.

Ich ziehe einen Rock und ein verblichenes T-Shirt an und setze ein Basecap auf, denn das Wasser im Bad sieht auch schon verdächtig aus, so dass Duschen nicht in Frage kommt. Ich putze mir die Zähne wie ein Derwisch und spritze mir Wasser ins Gesicht.

Dann gönne ich mir, wie immer, mindestens drei Sekunden, um mich zu fragen: Wer zum Teufel ist das? Und wo, bitte, kommt sie her?

Denn meine dunklen, glatten Haare sind ganz anders als der kurze helle Wuschelkopf meiner Mutter. Und meine Sommersprossen sehen neben ihrem makellosen Teint wie Schlammspritzer aus.

So vieles an mir stammt von der Person, die nicht genannt werden soll. So vieles von mir ist unbekannt.

Trotzdem bin ich hier, und ich muss meine Mutter auf Trab bringen, pünktlich in die Schule kommen, die erste Stunde überstehen und die kleine tägliche Shit-Show, die ich gerne »Die Grausamkeiten der Lupe Hidalgo« nenne, und danach, wenn ich bis dahin überlebe, Bio, und Kai Henderson, der mein Herz wie eine liebeskranke Trommel schlagen lässt, wenn ich nur an ihn denke, und der zu den Dingen gehört, über die ich dringend mit meiner Mutter reden muss.

Im Auto fummelt sie am Radioregler herum. Mein leerer Magen röhrt wie eine Sirene auf Alarmstufe fünf, also klaube ich ein paar Pfefferminzbonbons vom Boden meines Rucksacks. Vielleicht haben Fusseln und Staub auch ihr Gutes, und ich halte bis zum Mittagessen durch.

Ich lutsche vor mich hin, als mein Telefon klingelt. Cake.

Ist sie wach?

Ja! Im Auto.

Gott sei Dank! Hast du es ihr schon gesagt?

Ich schaue zu Mom. Sie murmelt vor sich hin und versucht, das Radio in unserem alten Honda einzustellen, einem Auto, das hauptsächlich von Klebeband und Hoffnung zusammengehalten wird.

Sie sieht müde aus. Vielleicht hat sie ja doch noch Kopfschmerzen. Vielleicht sind es auch die Rechnungen. Vielleicht sollte ich mir einen Job suchen und etwas dazuverdienen. Ich könnte im Supermarkt Lebensmittel eintüten. Oder Tische im Cucaracha abräumen.

Noch nicht, tippe ich.

Mach’s einfach. Augen zu und durch, Tiger. Dann springst du aus dem Auto und musst dich erst heute Abend wieder mit ihr befassen.

Ich antworte nicht. Das wird kompliziert werden, diese Sache mit Kai.

Meine Mutter ist ein bisschen überfürsorglich.

Sie wird es überhaupt nicht gut finden, dass ich mit Kai Henderson zum Memorial-Ball der High School gehe. Nicht, weil sie ihn nicht leiden kann – sie mag ihn. Sie kennt ihn, seit er ein rauflustiges Bürschchen bei Bonita mit aufgeschürften Knien und einer Vorliebe für Butterkekse war. Sie mag es nur nicht, wenn ich … na ja, nicht bei ihr bin.

»Ah!« Sie grinst. »Sehr gut!«

Sie dreht die Lautstärke auf. Wieder so ein Uralt-Song, nichts Neues, nichts, was ich aussuchen würde. Sie rümpft die Nase über die Musik, die Cake und ich in unserer Band Broken Cradle spielen, und bezeichnet sie als experimentellen Krawall. Könnte sein, dass ich der Grund für den »experimentellen« Sound bin, denn ich dresche meistens auf das Schlagzeug ein, ohne eine Ahnung zu haben, was ich tue. Ich bin nur da, um Cake zu unterstützen, die so was wie ein musikalisches Wunderkind ist. Und Kai, der süß und verträumt an seinem Bass zupft.

Vielleicht liegt es daran, dass es mir plötzlich so vorkommt, als würde meine Mutter mich ständig übertönen, dass ich damit herausplatze: »Ich gehe mit Kai Henderson zum Ball.«

Sobald es raus ist, bereue ich es und freue mich zugleich. Was soll sie schon tun? Ich bin sechzehn. Ich kann wenigstens einmal auf einen Ball gehen wie alle anderen auch.

Sie dreht die Musik leiser. »Was?« Sie spricht langsam. »Seit wann? Wann ist das denn … passiert?«

Ich atme tief ein. »Vor ein paar Wochen. Er hat mich gefragt. Und ich habe ja gesagt. Das wird lustig. Cake kommt auch mit. Alle gehen hin.«

»Moment«, sagt sie. »Kai? Der Kai? Unser Kai, dessen Kopf permanent in einem medizinischen Lehrbuch vergraben ist?«

Ich seufze. »Ja.«

Stille. Mir rutscht das Herz in die Hose. Ich hab’s gewusst. Ich kann regelrecht die Sekunden zählen, also tue ich es: zehn … neun … acht …

»Ich weiß nicht, Tiger. Das kommt so plötzlich, und wir haben noch nicht darüber gesprochen. Da gibt es bestimmt Alkohol und hinterher noch eine Party …«

Ich unterbreche sie. »Ich trinke keinen Alkohol, ich gehe nicht auf Partys, ich rauche nicht. Es hat noch nie jemand meine Brüste angefasst, außer diesem ekligen Arzt, und ich möchte einfach nur auf einen Ball gehen und tanzen wie alle anderen auch. Nur einmal.«

»Seid ihr … Ist das … Ist er jetzt dein Freund? Läuft das schon länger?«

Ich kann ihren Blick auf meinem Gesicht spüren. Die Röte steigt mir in den Nacken.

»Nein.«

Also, noch nicht. Vielleicht. Irgendwann. Zum Beispiel nach dem Ball. Läuft das nicht so? Man rutscht da irgendwie rein? Alles, was ich darüber weiß, stammt aus Büchern und Filmen und aus Beobachtungen, wie es bei den anderen auf der Schule war oder wie es bei Cake und dem Typen aus Sierra Vista lief. Was, bitte, mache ich denn je ohne meine Mom? Nichts. Ich gehe zur Schule, manchmal schaue ich den Skatern am Skateplatz zu, ich komme nach Hause, ich lese, ich …

Ich sitze in unserem kleinen Leben. Und schaue den anderen zu. Wie ein Käfer im Glas.

In der Ferne fluten Schüler den Parkplatz und den Schulhof der Eugene Field High School. Wenn ich durchhalte, bis wir da sind, habe ich sieben Stunden mutterfrei. Mein Magen knurrt unwahrscheinlich laut. Ich fühle mich schwach und bedrückt.

Warum muss eine blöde, normale Sache so schwer sein?

»Es ist doch nur ein Ball«, flüstere ich. Tränen stauen sich hinter meinen Augen. Meine Nase kribbelt. Ich knicke ein, so wie immer. Ich habe nachgegeben, als sie behauptet hat, der Turnverein wäre zu teuer, obwohl es nur ein paar Stunden auf abgewetzten Matten in dem kleinen Gemeindezentrum waren. Ich habe nachgegeben, als Cake mit mir Tanzunterricht nehmen wollte, als ich die Einladung zur Schach-AG bekommen habe, einfach immer. Das Einzige, was ich je hatte, war das Skateboarden vor vier Jahren, bis sie es mir weggenommen hat.

»Ich gehe mit Kai Henderson zum Ball«, sage ich, und meine Stimme ist plötzlich stahlhart. »Du kannst mich nicht daran hindern. Und außerdem wäre es falsch.«

Meine Mutter fährt auf den Parkplatz und weicht nur knapp Mae-Lynn Carpenter aus, die mit ihrem riesigen Rucksack beladen ist. Sie starrt uns an, bevor sie weitergeht. Ich glaube, ich habe Mae-Lynn noch nie lächeln sehen.

»Grace«, sagt meine Mutter. »Lass uns später darüber reden. Das ist eine große Sache. Das ist nicht so klein, wie du glaubst.« Sie legt ihre Hand auf meinen Arm.

»Doch«, sage ich, und dann passiert es. Tränen schießen mir in die Augen. »Es ist genau so klein, wie ich glaube. Ein paar Luftschlangen und Bowle und schnulzige Musik und hinterher eine Party. So was machen Teenager seit Anbeginn der Zeit, nur ich nicht. Bis jetzt.«

»Tiger, bitte«, sagt sie, aber ich bin schon zur Tür raus, werfe mir meinen Rucksack über die Schulter und halte den Kopf gesenkt, damit niemand mich weinen sieht.

Sobald ich in der ersten Stunde sitze, kommen die Nachrichten, mein Handy summt unaufhörlich in meinem Rucksack und vibriert gegen das Knurren an, das aus meinem ungefütterten Magen kommt. Die Fusseln waren wohl doch nicht so nahrhaft.

Das Geräusch alarmiert Lupe Hidalgo, so wie der Geruch von kleinen, verängstigten Menschen schlafende Riesen in Märchen alarmiert.

Lupe Hidalgo seufzt. Lupe Hidalgo bohrt die Spitze ihres Bleistifts in den Tisch. Lupe Hidalgos Beine wackeln, die Sohlen ihrer Stiefel pumpen gegen den schwarz-weiß gekachelten Boden.

Kalt mustert sie erst mich, dann meinen Rucksack. Sie runzelt die Stirn.

Es gibt einen kurzen Blickwechsel zwischen mir und den drei anderen an unserem Tisch. Tina Carillo sieht mich an, ich wende den Blick zu Rodrigo, Rodrigo verschränkt die Hände hinterm Kopf und verdreht die Augen zu Kelsey Cameron, die niemanden anschaut, weil sie zu sehr damit beschäftigt ist, sich selbst auf ihrem Handy zu bewundern und den Kopf für ein Selfie schiefzulegen.

Lupe klopft mit ihrem Bleistift. Sie neigt den Kopf nach rechts. Sie neigt den Kopf nach links. Ihr glatter schwarzer Pferdeschwanz federt auf ihrem Rücken.

Das ist das Signal, dass sie gleich auf jemanden losgehen wird. Der einzige Ort, an dem Lupe sich konzentrieren kann, ist auf dem Softballfeld. Sie ist in der Abschlussklasse und wird im Herbst mit einem Vollstipendium an die University of Arizona gehen. Sie besitzt die Fähigkeit, einen Ball so schnell und hart zu werfen, dass man munkelt, ihre Fängerin Mercy Quintero müsste sich nach dem Spiel stundenlang die Hände kühlen. Und die Fähigkeit, einen Line Drive in den weichen Magen eines ahnungslosen Mädchens aus Flagstaff zu schleudern.

Lupe Hidalgo spielt so gut Softball, dass es einem so vorkommt, als wäre sie die Einzige im Team. Klar, ich habe schon andere Mädchen gesehen, die am Spieltag mit hohen Pferdeschwänzen und gestreiften Kniestrümpfen durch die Gänge der Eugene Field schlendern, in den fließenden schwarz-grauen Trikots mit dem niedlichen weißen Fuchsmaskottchen, das sich um die Aufschrift Zorros windet, aber ich habe beim besten Willen keine Ahnung, wer sie sind.

Lupe Hidalgo ist eine Sonnenfinsternis. Sie schiebt sich wie ein glamouröser Schatten vor alles, und obwohl man weiß, dass es weh tun wird, schaut man trotzdem hin.

Genau wie ich, versehentlich.

Im nächsten Augenblick ist mein Herz in meinen Schuhen. Meinen blöden, dreckigen weißen Vans, die ich mit Sternen und Monden und, zu Ehren unserer Band, mit einer kleinen, in zwei Hälften gebrochenen Wiege versehen habe.

Lupe lässt ihre glitzernden Augen an meinem Körper auf und ab wandern. Instinktiv verschränke ich die Arme vor der Brust. Man kann nie wissen, wann jemand, meistens ein Typ, aber manchmal auch ein Mädchen, sich über meine Brüste lustig macht.

Du hast einen schönen Körper, sagt Mom immer. Halt dich gerade.

Sie hat gut reden. Ihre Brüste sind wie winzige umgedrehte Teetassen, klein und zart.

Ich verbanne meine Mutter aus meinem Gehirn. Aus unserem Streit im Auto bin ich nicht so triumphierend oder heldinnenhaft hervorgegangen, wie ich es mir gewünscht hätte.

In erster Linie fühle ich mich krank, hungrig und irgendwie verstört. Ich nehme mir fest vor, heute nicht mehr an sie zu denken.

Wie aufs Stichwort summt mein Telefon. Es ist, als wüsste meine Mutter, dass ich versuche, sie mit dem Präzisionsmesser aus meinem Tag zu schneiden.

Unfassbar, dass sechzehn Millionen nervenaufreibende, runterziehende Dinge auf einmal vor mir liegen.

Im Stillen wünsche ich mir, dass Ms. Perez aufhört, ihren Kram zu sortieren, und endlich anfängt, aber sie hat keinen Schimmer von der Hölle, die auf mich zukommt, und schiebt weiter Papiere auf ihrem Schreibtisch herum.

Tina Carillo murmelt »Los geht’s« und zuckt mit den Schultern.

Lupe beendet ihren Ganzkörperscan und zischt: »Scheiße, was hast du denn wieder an?«

Mein Körper versteift sich. Herkunft und Aussehen meiner Kleidung beschäftigen Lupe, seit sie in der dritten Klasse der Grundschule Kartoffelbrei auf mein Hello-Kitty-Shirt geschmiert hat. »Blöde Kitty«, hatte sie gesagt. »Blödes Shirt.«

Rodrigo neben mir schnaubt und zückt sein Handy.

»Für wen hältst du dich eigentlich? Für die beschissene Stevie Nicks?«

Okay, vielleicht kennt nicht jeder die goldene Göttin der Seventies, die Muse einer seltsamen Band namens Fleetwood Mac, eine der seltsamsten und ätherischsten Sängerinnen, die je in Zehnzentimeter-Absätzen und Unmengen von Samt, Lipgloss und Feenstaub über eine Bühne geschwebt sind, aber hier im heißen Arizona, dem Geburtsort unseres Goldmädchens, wissen alle, wer Stevie ist.

Lupe nimmt den Saum meines Einhorn-Shirts zwischen Daumen und Zeigefinger und beugt sich dicht vor mein Gesicht. Ihr Make-up ist makellos, der Eyeliner breitet sich wie schwarze Flügel zu ihren Schläfen aus.

»Scheiße«, haucht sie. Ich höre das leichte Knacken des Kaugummis weit hinten in ihrem Mund. »Das geht gar nicht.«

Die Leute um uns herum kichern. Ein Mädchen, dessen Namen ich mir nie merken kann, dessen Gesicht aber immer so aussieht, als hätte es gerade eine Zitrone gelutscht, macht ein Foto von mir.

Super, jetzt werde ich weltweit zur Lachnummer: #Freak #Spinner #Geek #Einhornloser.

Mein Gesicht brennt, eine sofortige Hitze, von der ich weiß, dass jeder sie sehen kann. Ich schaffe es einfach nicht, nicht rot zu werden oder verlegen zu sein und nicht zu zeigen, dass ich wütend oder frustriert bin. Meine Mutter nennt das »eine Leidenschaft fürs Leben«, aber sie ist ja überhaupt der Grund, warum ich um 7.25 Uhr in Raum 29 der Eugene Field High School in Mesa Luna, Arizona, zum allgemeinen Gespött werde.

Jeden Tag gehe ich in die Schule, gekleidet wie eine Gratisticket-Anwärterin für ein Grateful-Dead-Konzert, und wer nicht weiß, wer das ist, kann im Internet nachschauen und wird jede Menge verpeilte Leute in bunten Krawatten und Samtröcken mit Glöckchen am Saum sehen, die verrückt nach einer Band sind, die hauptsächlich aus bekifften Typen in schmutzigen T-Shirts und löchrigen Jeans besteht, die sich seit den Sechzigern nicht mehr die Haare gewaschen haben, als dieser ganze Unsinn losging. Meine Garderobe besteht aus alten Band-T-Shirts, den bereits erwähnten Hippie-Röcken, Männerhosen, alten Anzugjacken und manchmal einem handgestrickten Schal, für das »Flair«, wie Mom sagt.

Ich wende den Blick von Lupe ab und schaue auf meine Kleidung hinunter. Nicht mal meine verdammten Klamotten kann ich mir selbst aussuchen.

Mein Handy vibriert. Unwillkürlich trete ich gegen meinen Rucksack, als ob ich so das Summen und meine Mutter ausschalten könnte.

Lupe sieht mich an und schüttelt den Kopf. »Deine Mami kontrolliert dich wieder?«

Sie gibt ein Geräusch von sich, das wie »Mm-mn-mm-nuuuu« klingt, und hält ihre Hand hoch, wobei sie mit dem Handgelenk zuckt. Kelsey Cameron lacht. Ich werfe ihr einen finsteren Blick zu. Wir sind keine Freundinnen – ich habe nur Cake –, aber trotzdem! Wir teilen diesen Tisch mit dem Teufel Lupe Hidalgo. Das sollte doch wohl etwas bedeuten.

Sorry, murmelt Kelsey.

Lupe seufzt und gestikuliert in meine Richtung. »Neben so was kann ich nicht sitzen. Was, wenn die auf mich abfärbt? Auf das hier?« Sie lässt ihre Hände über ihren Körper gleiten, als wäre sie die Moderatorin einer Gameshow. Lupe Hidalgo ist fies und schön, und obwohl sie nur ein weißes Shirt, schwarze Jeans und Stiefel trägt, ist sie eine schimmernde, gefährliche Göttin.

Ich verstehe einfach nicht, wie zwei Mädchen im gleichen Alter so unterschiedlich sein können – das eine erwachsen und wissend und sexy, und das andere, ich, wie ein Klumpen Teig.

Es ist, als wäre eine geheime Info rausgegangen, aber nur an manche Mädchen.

Ich hebe den Blick. Mae-Lynn Carpenter sitzt am Nebentisch, tief über ihr Heft gebeugt, das Ende eines Bleistifts in den Mund geklemmt. Der Spalt zwischen ihrem Shirt und Hosenbund enthüllt einen flaumigen Fleck Haut. Neben ihr kichern zwei Mädchen über die strahlend weiße Unterwäsche, die über den elastischen Bund von Mae-Lynns Hose lugt.

Mädchen wie ich und Mae-Lynn haben diese Info definitiv nicht bekommen.

Ich spüre, dass mir die Tränen kommen, denn Lupe hat jetzt die Aufmerksamkeit aller – nur nicht die von Ms. Perez, die gerade etwas an die Tafel schreibt.

Wenn Cake hier wäre, würde sie einen schlagfertigen Spruch bringen, aber sie ist nicht hier, und tausendmal am Tag denke ich in Situationen wie dieser: Was würde Cake tun? Ich scherze gerne, dass ich mir eins dieser Armbänder mit der Aufschrift WWJD besorgen sollte – What would Jesus do?, nur dass bei mir WWCD draufstehen würde, aber Cake lacht nur darüber. »Du musst einfach mehr schreien«, sagt sie. »Den Mund aufmachen. Mach deinem Namen alle Ehre.«

Alle lieben Cake. Alle bewundern Cake. Sie ist 1,80 Meter groß, mutig und hat schwarz-lila Haare, die zu einem perfekten Prinzessin-Leia-Dutt gebunden sind. Sie ist ein echter werdender Rockstar und der einzige Grund, warum ich noch nicht im untersten Kellergeschoss auf der sozialen Abstiegsleiter dieser Schule gelandet bin.

Ich schaue noch einmal zu Mae-Lynn Carpenter rüber. Die ist im untersten Stockwerk der High-School-Abstiegsleiter. Vielleicht sollte man sie einfach nach ihr benennen.

Mae-Lynn trägt ein rosa Sweatshirt mit einem Kätzchen drauf. Ein Kätzchen mit echtem Fell und einer geprägten Perlenkette. Ich schlucke mühsam. So tief unten bin ich nicht. Mein Einhorn hat zwar Strasssteinchen, aber wenigstens kein Fell.

Ich ziehe mein T-Shirt nach unten, damit nicht der halbe Bauch herausguckt. Lupe schnalzt mit der Zunge.

Mein Handy summt wieder. Mein Magen röhrt. Lupe schaut neugierig auf meinen Rucksack. »Was ist denn so wichtig? Hm. Hat Mamis kleiner Schatz etwa …«

»Lupe Hidalgo und Tiger Tolliver, fangt ihr heute noch mal an zu lernen, oder muss ich euch beide zu Direktor Ortiz schicken?«

Na endlich. Ms. Perez’ Stimme schallt aus dem vorderen Teil des Klassenzimmers. Sofort hört man, wie Handys unter Tische geschoben, Kosmetiktäschchen zugezippt und Kehlen geräuspert werden. Wenn Ms. Perez einmal in Fahrt ist, ist sie nicht zu bremsen, auch wenn das Schuljahr nur noch einen Monat dauert.

Lupe wirft den Kopf in den Nacken, ihr Pferdeschwanz schwingt und dreht sich nach vorne, so dass sie mir jetzt den Rücken zuwendet. Ihre Schulterblätter drücken sich durch ihr T-Shirt und spannen sich unter dem Stoff wie Flügel.

Lupe Hidalgo ist so schön, dass es weh tut, sie anzusehen, also schaue ich weg, auf die Uhr oben an der Wand, und beginne meinen Countdown bis zu Bio und Kai Henderson.

Kai Henderson hat die Nase in dem Lehrbuch Deine Welt und du, als ich mich in Bio auf den wackeligen Hocker neben ihm sinken lasse. Seine »Stirn ist gefurcht«, wie es in einem der Romane hieß, die wir letzten Herbst im Literaturkurs gelesen haben. In dem Kurs habe ich eine Menge coole Wörter gelernt, zum Beispiel Provenienz, Niedertracht und Beize.

Allerdings habe ich das ganze Jahr über kaum das Biobuch aufgeschlagen. Ich schreibe keine Sechsen und schwänze nicht, aber ich bin auch keine Eins-mit-Sternchen-Kandidatin. Ich kenne Kai Henderson, seit wir acht waren, und alles war in Ordnung, bis zu jenem Tag letzten November, als er mir in genau diesem Raum, auf demselben wackligen Hocker irgendwas in demselben blöden Lehrbuch zeigte, irgendwo zwischen Epikard und Myokardin plötzlich den Kopf hob und sich unsere Blicke trafen – und Es passierte.

Und wenn ich Es sage, dann meine ich ES. Das, was man in Filmen sieht oder in Büchern liest. Ich dachte immer, es würde irgendwas Kitschiges dazugehören, wie Mondschein oder Finger, die sich versehentlich in einer Popcorntüte in einem dunklen Kinosaal berühren, Butterhaut an Butterhaut.

Ich hätte nicht gedacht, dass es in einem Biolabor passieren könnte, das immer noch nach den Augäpfeln der Kühe stank, die wir ein paar Tage zuvor seziert hatten. Augäpfel von Kühen sind erstaunlich elastisch und voller Flüssigkeit, die überall hin spritzt. Für alle, die das nicht wussten.

Aber es passierte. Etwas passierte, als ich ihm in die Augen sah. Plötzlich waren sie nicht mehr einfach braun, sie hatten einen edelsteinartigen, fesselnden Farbton jenseits von Braun mit schillernden gelben Sprenkeln. Plötzlich waren die kleinen Pickel an seinem Kinn nicht mehr peinlich, sondern etwas, das mich mit Zärtlichkeit erfüllte und das ich sogar anfassen wollte. Klar, es war mir nicht entgangen, dass er im Laufe des letzten Jahres kräftiger geworden war, nicht viel, nur ein bisschen, so dass er nicht mehr ganz so sehr wie ein Strohhalm im Wind aussah.

Er sagte: »Das Herz ist schon ganz schön cool, was? Eine wunderschöne, sonderbare Maschine«, sein Atem roch ganz leicht nach Zahnpasta, und er lächelte dieses glückliche Lächeln. Bildung ist Kais Wohlfühlort.

Sein warmer Atem flatterte über meine Wange, und, Himmel, plötzlich wollte ich ihn schmecken. Ich kam gar nicht mehr los von diesen Lippen, und meine ganze Welt explodierte innerhalb von drei Sekunden.

Aber das eigentliche Krasse, das, was mich ganz kribbelig macht, ist, dass er es auch gefühlt haben muss, denn von da an war etwas zwischen uns anders. Zum Beispiel wurde er plötzlich schweigsam, wenn Cake bei den Bandproben kurz die Garage verließ. Mit einem Mal war er sehr damit beschäftigt, seinen Verstärker einzustellen, als wüsste er, wie das geht, dabei kann er sich kaum die Akkorde merken, die Cake ihm aufschreibt, und ich saß hinter dem Schlagzeug, trommelte mit den Sticks auf die Felle und versuchte, nicht rot zu werden, während Kai überall hinschaute, nur nicht zu mir.

Und wenn er mich vom Skateplatz nach Hause begleitet, zu der Zeit am Abend, die ihre eigene Art von Stille hat, und nur irgendwo ein paar Kojoten heulen … Und wenn sich unsere Hände ab und zu berühren … Ich glaube, ich weiß, dass er denkt, was ich denke, aber wir sind beide, wie Cake mir regelmäßig bescheinigt, »totale Hasenfüße«.

Cake sagte: »Mit wem könnte man besser seinen ersten Kuss erleben als mit seinem besten Freund? Du weißt, dass er ein Hauptgewinn ist, du weißt, dass es in Kai – der Film, nichts Dunkles oder Gruseliges gibt, also warum machst du dich nicht einfach locker und genießt es?«

Letzte Woche hat Cake uns sogar allein auf dem Sofa sitzen lassen, weil sie angeblich für ihre Mom die Blumen gießen musste, und da saßen wir plötzlich auf dem Sofa der Panik. Es war wahnsinnig heiß, und wir waren verschwitzt, weil wir am Nachmittag am Skateplatz gewesen waren und den Skateboardern zugeschaut hatten. Wir hatten kalte Gläser mit Traubenlimo in den Händen, und es fühlte sich wie Stunden an, bis er sich nach vorne beugte, sein Glas vorsichtig auf den Boden stellte, sich zurücklehnte und sagte: »Also, äh …«

Sein Atem roch zuckrig von der Limo. Es erschien mir richtig, dass mein erster Kuss süß schmecken sollte. Ich konnte mich selbst kaum denken hören, so laut hämmerte mein Herz.

Und dann platzte Cakes Onkel Connor ins Zimmer, stieß Kais Glas um und sackte im Grasdunst neben ihm aufs Sofa, wobei seine Füße – nur Socken, keine Schuhe – in der lila Limopfütze zu stehen kamen.

Er blinzelte den Fernseher an, dann uns und sagte: »Scooby Doo läuft immer noch, verdammt? Das ist verrückt, Leute. Das Zeug läuft seit vierzig Jahren.«

Den Rest des Nachmittags verbrachten wir damit, Velma and the Gang beim Lösen von Rätseln zuzuschauen, zusammen mit Cake und ihrem Onkel, der seinen Fuß keine Sekunde aus der Limopfütze nahm.

Und jetzt ist alles noch komplizierter, denn Kai hat vor ein paar Wochen erfahren, dass er nach den Sommerferien für ein Jahr nach Frankreich geht, wo er ein völlig anderer Mensch werden und sich in ein hübsches und selbstbewusstes französisches Mädchen mit rotbraunen Haaren und roten Lippen und noch größeren Brüsten als meinen verlieben wird, das ihn einfach küsst, als wäre nichts dabei. Oui.

No!

Mein Gesicht glüht wie ein Buschfeuer.

Kai blickt auf. »Oh, wow, du bist ja rot.«

Und dann: »Bitte sag nicht, dass Broken Cradle heute probt. Ihr macht mich fertig. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte.«

Ich atme tief ein und zwinge meine Stimme, normal zu klingen und nicht nach einem schmachtenden Lieb mich!

»Sorry, aber wir brauchen dich. Wenn wir keinen Typen in der Band haben, denken alle, dass wir sozialistische, feministische Lesben sind – nicht, dass daran was schlecht wäre –, aber wir verlieren einen wichtigen demographischen Faktor für unser Streben nach Weltherrschaft.«

»Ihr braucht mich nicht für die Weltherrschaft. Ihr habt Cake.«

»Wir brauchen deinen gefühlvollen Hintergrundgesang und deine süße Verlegenheit. Dein Schuheanstarren und deine gefurchte Stirn verschaffen uns den richtigen Cute-Nerd-Girl-Anteil.«

Kai spielt mit seinem Bleistift herum, ohne mich anzusehen. »Ich glaube nicht, dass die Band ein Problem mit dem Cute-Nerd-Girl-Anteil hat.«

»Ihr zwei.« Das Dröhnen stammt von Taran Parker, der sich auf seinem Hocker umgedreht hat und uns einen Hauch von Grasrauch entgegenweht.

Auf Tarans Kinn befindet sich eine seltsame dreieckige Haarpracht, als wäre er bestrebt, wie die Ausgeburt des Satans auszusehen. Ich hasse Taran und seinen Zwillingsbruder, seit sie vor drei Jahren von Phoenix hierhergezogen sind. Sie bildeten eine Ansammlung schlaksiger Glieder vor dem Englischunterricht in der siebten Klasse, als die Lehrerin sie vorstellte, und Tarans Augen richteten sich sofort auf mich, und er platzte heraus: »Boah, krasse Titten!« Daraufhin begannen alle Jungs zu johlen, und ich rutschte so weit wie möglich auf meinem Stuhl nach unten.

Hätte der Boden mich verschluckt, wäre ich ihm ewig dankbar gewesen. So dankbar, dass ich wahrscheinlich sogar zugestimmt hätte, mich einfach in Boden umzubenennen. Boden Tolliver.

Klingt gar nicht so übel.

»Du und du.« Er zeigt mit seinem angekauten Bleistift auf uns. »Kai-Kai und Tiger. Nehmt euch ein Zimmer, verdammt! Ihr habt noch einen ganzen sweet sweet Summer vor euch, bevor der Klugscheißer nach Frankreich abreist.«

Ich schnappe mir seinen Bleistift und werfe ihn nach ihm, aber er segelt über seinen Kopf und trifft Mr. Laizure, unseren Bio-Lehrer, direkt gegen die blau gekleidete Brust, gerade als er zur Tür reinkommt, vollbepackt mit seinem riesigen Kaffeebecher, seiner Aktentasche und seinen siebzehntausend Bleistiften in der Hemdtasche. Er wirft Taran einen genervten Blick zu.

»Ding-dang-dong!«, macht Mr. Laizure und schlendert nach vorne. Seit die Schulglocke im letzten Herbst den Geist aufgegeben hat, übernimmt er das Ding-dang-dong selbst, um den Beginn der Stunde anzukündigen. »Wisst ihr, was ich schrecklich gerne mag, wenn nur noch vier Wochen Schule vor uns liegen und am Wochenende ein Ball ansteht? Überraschungstests! Auf geht’s, meine kleinen Diploiden! Ich möchte euch etwas Schönes schenken, das euch den ganzen Sommer an mich erinnert.«

Kai flüstert: »Geht das klar mit dem Ball? Du wolltest es ihr doch sagen.«

Unsere Gesichter sind ganz nah beieinander. Wenn ich mich nur ein bisschen weiter vorbeugen würde … Mein Magen lässt ein abschreckendes Knurren vernehmen.

Ich zucke zurück. Mein Magen ist ganz aufgeregt, ein kleiner heißer Ball aus Hunger und Hitze. »Geht klar«, flüstere ich Kai zu und versuche, nicht Mr. Laizures Zorn auf mich zu ziehen. Er denkt jetzt schon, ich wäre lernfaul, was gar nicht stimmt.

»Ich bin überfordert«, habe ich mal zu ihm gesagt.

»Nö«, erwiderte er und gab mir einen weiteren Test mit einer großen roten Fünf zurück. »Du bist faul, Tolliver. Das merke ich. Ich bin schon lange in diesem Geschäft. Mir kannst du nichts vormachen.«

»Geht klar«, wiederhole ich. Okay, eigentlich geht gar nichts klar, nach dem Streit heute Morgen, aber das braucht er nicht zu wissen. Noch nicht. Und vielleicht auch nie. Ich werde mit Kai zu diesem Ball gehen, ob es meiner Mutter gefällt oder nicht.

Ich will, dass dieser Sommer anders wird, der Beginn von etwas Neuem, auch wenn Kai im Herbst ins Ausland geht. Er ist meine Chance, meine winzige, strasssteinchenglitzernde Chance, jemand anders zu sein. Mich von meiner Mutter abzunabeln. Und sei es nur auf einem blöden Ball mit zerdrückten Luftschlangen und Lichterketten, die von den Dachsparren einer stinkenden alten Turnhalle hängen.

Ich konzentriere mich auf das Testblatt vor mir, froh über die Ablenkung.

»Hey«, flüstert Kai und stößt mich mit dem Ellbogen an. »Wollen wir später zum Pit? Oder zum Thunder?«

Ich weiß, es ist dumm und klischeehaft, aber mein Herz schlägt höher, als er das sagt. Ich nicke. Ja, ja, ja.

Ich schaue wieder auf den Test, der hauptsächlich aus anatomischen Abbildungen besteht, überall Klappen und Arterien und Schläuche und Knäuel, die irgendwie eklig aussehen, und es ist mir egal, dass ich durchfallen werde.

Ich verstehe den Körper und seine Funktionsweise absolut nicht, aber in diesem Moment weiß ich, dass mein Herz wie ein riesiger bunter Vogel ist, der direkt aus meiner Brust in die Welt hinausfliegt.

Cake erwartet mich an unserem Tisch in der Cafeteria und nickt mit dem Kopf zur Musik aus ihren Kopfhörern, während sie ihr Mittagessen vor sich auf dem Tisch ausbreitet.

Kaum setze ich mich, nimmt sie auch schon die Kopfhörer ab und beugt sich vor. »Hast du es ihr gesagt? Ist sie ausgeflippt?«

Ich halte mein Handy hoch. Vier verpasste Anrufe und neun Nachrichten.

Cake pfeift. »Krass. Rekordverdächtig.«

Sie schiebt mir ein Sandwich zu. Dann eine Dose mit Apfelspalten. Und eine Tüte mit harten Cheetos, weil sie die weichen hasst.

Cake bringt mir immer was zu essen mit. Wir sprechen nicht mal mehr darüber.

Manchmal bin ich so dankbar für Cake, dass ich platzen könnte. Ich beiße in das Sandwich. Frischkäse und Erdbeeren. Nicht schlecht. Ihre Mutter ist eine super Sandwichmacherin.

Cake sagt: »Du hast geweint.«

Ich schlucke den Bissen hinunter. »Wir haben uns im Auto wegen des Balls gestritten. Und dann kam Lupe, also war mein Morgen nicht gerade berauschend.«

»Wenigstens hast du es jetzt hinter dir und kannst dich auf andere Dinge konzentrieren.« Cake hat viele Ziele. Sie hat Zeitpläne für alles – Bandproben, Sport, wann sie sich über Musikhochschulen informiert und wann sie Hausaufgaben macht.

Auf dem Tisch brummt mein Handy. Cake und ich werfen einen Blick darauf und sehen uns an.

Sie sagt: »Wirf ihr einen Knochen hin und geh ran.«

Ich fühle eine Welle der Ohnmacht. »Eigentlich wollte ich den ganzen Tag durchhalten.«

Bsst-bsst, macht mein Handy.

Cake schüttelt den Kopf. »Nein, kleine Schritte. Es sind schon vier Stunden. Du musst rangehen.«

Bsst-bsst.

Ich seufze. Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen, weil ich das Essen vor mir habe. Es ist, als könnte Mom mich nicht mal essen lassen.

»Geh du ran. Geh ran und sag mir, was sie will.«

Cake runzelt die Stirn und starrt auf das Handy. Ihr Gesichtsausdruck wechselt von resigniert über neugierig zu … entsetzt. Ihr klappt der Mund auf.

»Oh mein Gott, was ist los?«, frage ich. »Ist es so schlimm?« Mein Magen zieht sich zusammen.

Cake holt tief Luft. »Tiger. Es … sie …«

Sie schnippt das Handy in meine Richtung. »Sie hat dir ein Kleid gekauft. Für den Ball.«

Meine Mutter hat mir ein Kleid gekauft.

Ich starre das Foto an. Das Kleid, das über die Rückenlehne unseres Sofas drapiert ist.

Es ist scheußlich. Eine Mischung aus Laura Ingalls in Unsere kleine Farm und Isabel Archer in Porträt einer jungen Dame. Elfenbein und Spitze, hochgeschlossener Ausschnitt und Schärpe.

Eine gottverdammte Schärpe.

Und in der Nachricht meiner Mutter steht: Es ist so schön! Ich konnte nicht widerstehen! Bitte sei mir nicht böse!

Cake sagt: »Wenn wir dich und das Kleid mit roter Lebensmittelfarbe bespritzen und zermatschte Wassermelone drüberkippen, könntest du an Halloween als Zombie aus dem neunzehnten Jahrhundert gehen. Aber zum Schulball? Ähm, eher nicht.«

Die Mädchen neben uns beugen sich vor. »Oh mein Gott, was ist das?«

Die eine sagt: »Igitt! Willst du das echt an deinen Körper lassen? Das ist ungefähr tausend Jahre alt.«

»Nein!« Ich ziehe das Handy weg.

Sie hat nicht mal gefragt. Wir haben nicht mal darüber geredet. Mir ist völlig schleierhaft, wie es von einem Streit über den Ball zu dem Punkt gekommen ist, dass sie mir ein Kleid für den Ball kauft.

Das Handy klingelt. Ich bin so wütend, dass es mir vorkommt, als würde ich nichts fühlen, als würde ich in einem brennenden Fluss schwimmen, ohne die Flammen zu spüren. Mein Magen schmerzt vor Hunger so sehr, dass mir schwindelig ist.

Ich drücke auf den grünen Hörer.

Die Stimme meiner Mutter ist sehr, sehr laut, und doch klingt es in meinen Ohren, als würde sie von weit her anrufen, so wütend bin ich. Ich bin allein auf einer kleinen Insel und versinke vor Scham.

Die Leute um uns herum beobachten mich neugierig.

Atemlos sagt meine Mutter: »Danke, dass du endlich mal rangehst! Hör zu, es tut mir leid, aber es ist so schön, Tiger! Es hat richtig zu mir gesprochen. Du wirst auf dem Ball so hübsch und echt aussehen, nicht so hochglanzpoliert und plastikartig. Und wenn wir deine Haare hochstecken …«

»Ich kann nicht glauben, dass du mir das antust.« Meine Stimme zittert vor Wut. Ich kann nicht anders.

Cake schüttelt den Kopf, also wollte sie sagen: Nein, nicht jetzt.

»Was? Moment, wie bitte? Liebling. Ich wollte doch nur …«

»Du kannst mich nicht einmal etwas allein machen lassen. Ich kann nichts tun, ohne dass du dich einmischst. Nicht mal ein blödes Kleid für einen blöden Ball aussuchen.«

Stille. Dann wieder ihre Stimme, immer noch laut, aber ein bisschen heiser. »Süße, hör zu, das war nur meine Art zu sagen, dass es mir leid-«

»Warum kannst du mich nicht endlich in Ruhe lassen, verdammt?«

Das war laut. Vielleicht sogar lauter als laut, denn es tut in meinen Ohren weh, und irgendwo tief in mir tut es auch weh. Ich glaube fast, ich habe geschrien.

Die Stimme meiner Mutter sagt leise: »Grace.«

Ich lasse das Telefon aus meinen zitternden Händen fallen. Die Leute in der Cafeteria sind unheimlich still geworden und starren mich an.

Cake beißt sich auf die Lippe. »Tiger. Das war … nicht so gut.«

Ich stopfe das Handy in meinen Rucksack und springe auf, wobei ich mir die Hüfte am Tisch stoße. Ich halte den Blick gesenkt. Ich will niemanden sehen. Ich will einfach nur weg.

»Warte«, sagt Cake. »Ich komme mit.« Sie sammelt unsere Lunchpakete ein.

»Ich muss raus«, sage ich. »Ich muss einfach hier weg. Wir sehen uns später.«

Ich stürme aus der Cafeteria, mit gesenktem Kopf, so wie immer, in der Hoffnung, dass niemand die seltsame Tochter der seltsamen June Tolliver bemerkt.

Ich schließe mich auf der Toilette ein und heule, bis die fünfte Stunde losgeht.

Mein Handy klingelt nicht mehr.

Nach der Schule arbeite ich in der Bibliothek, das ist Teil meines Schülervertrags, zu dem manche Schüler auf der Eugene Field gezwungen werden, wenn sie nicht die besten Noten haben. Ich glaube, es soll einem das Gefühl geben, dass man in seine Ausbildung investiert oder so was, wenn man im Büro arbeitet und Anrufe entgegennimmt oder im Werkraum Holzspäne auffegt und aufpasst, dass sich die Mitschüler nicht den Arm absägen.

Ich würde nichts lieber tun, als das hier schnell hinter mich zu bringen und zum Pit zu gehen, um Kai zu sehen, trotzdem mache ich meine Arbeit, weil es mir im Grunde gefällt, die Bücher zu sortieren und den quietschenden Wagen durch die Regale zu schieben. Manche Bücher hier sind so alt, dass immer noch diese kleinen Kärtchen drinstecken, auf denen der Bibliothekar den Namen der Ausleihenden handschriftlich vermerkt und das Rückgabedatum aufgestempelt hat. Die Bücher haben sogar eine Lasche für die Kärtchen, was ich sehr cool finde. Ich ziehe die Kärtchen gerne heraus, sehe mir die Namen und Daten an und denke: Wer auch immer Tammy Frimpong war, sie hatte Die Insel der blauen Delphine anscheinend richtig gern. Sie hat das Buch ganze dreizehn Mal ausgeliehen.

In der Schule bin ich sicher nicht die Hellste, aber ich mag Bücher und lese gerne, vielleicht habe ich das von meiner Mutter, die Bibliothekarin war, bevor sie mich bekommen hat. Sie war eine ganz besondere Bibliothekarin: eine Archivarin, also eine Person, die die Vergangenheit anhand von Dingen aus alten Kisten rekonstruiert. Sie arbeitete sechs Stockwerke unter der Erde an der Universität von Albuquerque und fügte Einzelteile zu Geschichten zusammen. »Vielleicht hat man nur eine Postkarte, ein Foto und ein Streichholzbriefchen aus einer Bar«, hat sie mal zu mir gesagt. »Aber wenn man diese Teilchen zusammensetzt und ein bisschen recherchiert, entdeckt man vielleicht eine Liebesbeziehung zwischen zwei berühmten Schriftstellern oder eine politische Intrige.«

Meine Mutter war gut darin, die Geschichten von Fremden zusammenzupuzzeln, obwohl sie sich weigerte, irgendwelche Details über ihre eigene Vergangenheit preiszugeben. Zum Beispiel über die Identität meines Vaters: die Person, die nicht genannt werden soll. Die Person, an die ich immerzu denken muss.

Etwa wenn ich mich morgens fertig mache und sie ins Bad kommt und hinter mir steht, ihr Kinn auf meinen Kopf stützt und ihr kurzer blonder Wuschelkopf im Spiegel leuchtet, während ich mit der Bürste durch mein langweiliges, glattes Haar fahre, das so ganz anders ist als ihrs. Oder die Sommersprossen, die sich über mein Gesicht ziehen, während ihr Gesicht eine glatte makellose Fläche ist. Hat mein Vater auch ein Planetensystem von Sommersprossen im Gesicht? Habe ich von ihm die dunklen Haare und die breiten Schultern?

Ich liebe Monty Python und alte Comedy-Shows aus den Siebzigern, meine Mutter dagegen findet beides langweilig und frauenfeindlich, und klar, sie hat recht, aber witzig ist es trotzdem.

Wenn man der Person, die nicht genannt werden soll, einen Ausschnitt aus Confuse-A-Cat oder George Carlins Seven Dirty Words-Monolog vorspielen würde, würde sie lachen? Ist der Sinn für Humor ein vererbbarer Bestandteil der DNA? Und was ist mit Avocados und Kiwis? Die einen mag ich, die anderen verabscheue ich.

Das sind die Dinge, die mich so beschäftigen, wenn ich durch die Regale der Bibliothek schlendere.

Das und Kai Henderson küssen, versteht sich.

Cake schickt mir eine Nachricht: Alles okay?

Nicht wirklich. Ja. Nein.

Verstehe. Ich habe dich gesucht!

War auf dem Klo.

Ah, die Heulzelle. Wo still und heimlich die Tränen fließen.

Genau die. Erzähl mir noch mal vom Küssen. Lenk mich ab. Ich glaube, es könnte nachher so weit sein.

NEIN.

DOCH. Was habe ich noch zu verlieren?

Stimmt, sagt Cakes Handy. Warte mal. Ich geh kurz raus. Cake hat nachmittags Orchesterprobe. Ich kann sie hören, weit, weit über die Schule hinaus, eine unheimliche Kakophonie aus stolpernden Hörnern und Posaunen, durchsetzt vom gelegentlichen Pling einer Triangel.

Ich schreibe: Wir treffen uns im Pit. Danach noch zur Thunder. Da wird es passieren, glaube ich.

Plüsch. Das Wort hat sie gebraucht, als sie sich vor ein paar Wochen in die samtigen Kissen auf ihrem Futon zurücklehnte und ihr rosa Stoff-Einhorn an sich drückte. Sie hatte dem Einhorn ein schwarzes Stachelhalsband umgelegt und ein Herz auf seine flauschige weiße Brust gemalt.

Cakes Augen wurden verträumt, als sie darüber nachdachte, und ein bisschen traurig, weil sie immer noch nicht über diesen Typen hinweg war, Troy, aus Sierra Vista. Troy war nicht gerade das, was Cakes Mutter Rhonda »ein Juwel« zu nennen pflegte.

Ich weiß nicht, was ich mit den Händen machen soll, tippe ich.

Es wird schon gutgehen, antwortet sie. Vergiss nicht zu atmen und entspann dich, denn Küssen ist ein schöner und wichtiger Teil deiner pubertären Entwicklung!

Ha ha.

Danach wirst du ein völlig neuer Mensch sein. Du wirst jeden küssen wollen. Sogar Laizure!

Das ist widerlich und außerdem illegal.

Es ist halt wie Plüsch. Du sinkst da irgendwie rein. Es ist warm und fühlt sich an, als würdest du fallen, aber auf die gute Art. Dein Körper kriegt das schon irgendwie raus. Mach dir keine Sorgen.

Letztes Jahr hat Mom Cake und mich nach Tucson ins Kino mitgenommen, wo wir einen Film über ein Mädchen und einen Jungen gesehen haben, die beide Krebs haben. Sie fahren nach Amsterdam, um einen berühmten Schriftsteller zu treffen, aber in Wahrheit fahren sie nach Amsterdam, um Sex zu haben. Danach nahm meine Mutter uns mit zu Bookmans, einem riesigen, großartigen Antiquariat, und ich kaufte drei Bücher für weniger als zehn Dollar, was für uns sehr viel ist, und eins davon war das Buch, auf dem der Film basiert. Hinterher spendierte Mom uns Kaffee und Karottenkuchen und sagte: »Mädels, ihr müsst nicht in ein anderes Land fahren, um Sex zu haben. Macht es einfach auf dem Sofa, wenn eure Eltern beim Einkaufen sind, okay? Und schützt euch.«

Ich wurde rot, und ich glaube, Cake auch, obwohl sie schon Sex hatte, ich bin mir nicht sicher, ob meine Mutter davon wusste, und ich wollte es ihr nicht sagen, denn dann hätte sie sofort gefragt »Und was ist mit dir?« und überhaupt nicht mehr aufgehört, mich zu löchern.

Ich habe das ganze Buch gelesen, als wir nach Hause kamen, in drei Stunden, in einem Rutsch. Und ich habe geweint. Obwohl sie beide krank und versehrt waren, auf die gleiche und gleichzeitig auch auf unterschiedliche Weise, waren der Junge und das Mädchen unglaublich nett und zärtlich zueinander, und das gefiel mir.

Bis heute witzeln wir, wenn wir einen süßen Typen sehen: »Mit dem würde ich nach Amsterdam fahren.«

Okay, tippe ich. Ich bin definitiv nicht bereit für Amsterdam mit Kai, aber Plüsch wäre vielleicht ein guter Start.

Okay. Ich muss zurück. Wir sind gerade dabei, ›Rolling in the Deep‹ abzuschlachten. Kannst du uns hören?

Ich lächle. Ein bisschen. Klingt aber cool.

Schreib mir, wenn du zu Hause bist!

Ich schiebe ein paar Bücher ins Regal, und mein Herz hämmert so laut wie die Pauken des Orchesters, die sich durch Adeles Song hämmern.

Mom wird es nicht toll finden, dass ich so gemein zu ihr war, oder dass ich ihre Nachrichten ignoriere, oder dass ich vorhabe, spät nach Hause zu kommen, ohne Bescheid zu sagen, aber ich brauche einfach mal Zeit zum Durchatmen. Und zum Küssen. Hoffe ich.

Der späte Nachmittag ist meine Lieblingszeit in Mesa Luna. Dann wechselt der Himmel ganz sanft die Farben und verwandelt sich in das Schönste, was ich je auf Erden sehen werde. Die Welt um mich herum ist unheimlich lebendig. Wer noch nie unseren Mond gesehen hat, der hat noch nie den Himmel gesehen. Daher hat der Ort auch seinen Namen. Ein paar Meilen außerhalb der Stadt liegt ein flacher Tafelberg, und wenn man in der richtigen Nacht dorthin fährt oder einfach nur spazieren geht, sieht es so aus, als würde der Mond am Rand des Tafelbergs ruhen, wie ein weißer Teller am Rand eines Tischs. Unser großer, weißer, schöner Mond steht so tief am Himmel, dass man ihn beinahe mit Händen greifen kann.

Aber noch ist es nicht Nacht. Der Tag ist noch hell und heiß und staubig, als ich zum Pit komme. So nennen wir Grunyons alten Pool und die drei selbstgebauten Halfpipes auf dem Grundstück hinter seinem Haus. Seine Mütter, Louise und Mary, betreiben eine Kombination aus Café, Restaurant und Buchladen in mehreren miteinander verbundenen Wohnwagen, was wahrscheinlich höchst illegal ist, aber das interessiert hier niemanden, denn schließlich geht es um Kaffee.

Auf dem Grundstück steht auch ein altes Motel mit acht Zimmern, das Louise und Mary eines Tages wieder herrichten wollen, obwohl ich keine Ahnung habe, wer auf die Idee kommen soll, in Mesa Luna Urlaub zu machen. Tucson ist spannender und nicht allzu weit entfernt, und in Sierra Vista gibt es die besseren Fast-Food-Ketten. Aber immerhin haben wir den Mond und das Pit, wo ich gerne abhänge und den Skatern zusehe.

Grunyon, Boots und Chunk sind nicht mehr auf der Schule. Boots und Chunk haben keinen Abschluss gemacht, Grunyon aber schon. Sie versuchen, eine Umzugsfirma namens Wir wuppen das zu gründen. Bis der Laden läuft, skaten sie und rauchen Gras.

Ich vergrabe mein Handy in meinem Rucksack. Auf dem Weg hierher habe ich einen Blick darauf riskiert: zwei verpasste Anrufe und zwei Nachrichten, aber ich bin fest entschlossen, ein paar Stunden lang nicht zu antworten.

Grunyon lugt über den Rand des Pools, blonde Locken quellen unter seinem Helm hervor. »Ist es heute so weit, Tiger T? Kommst du rein? Oder vergräbst du dich mal wieder in einem Buch?«

Ich setze mich auf einen Felsen und schaue zu, wie die Skater hinter ihm auf- und absteigen, eine sanfte, schöne Welle aus Körpern. Sogar das Geräusch der Räder auf den alten Poolfliesen ist cool: holprig und verheißungsvoll. Grunyon lässt sich zurücksinken, verschwindet und taucht wieder auf.

»Und?«, fragt er und grinst.

»Heute nicht«, erwidere ich mit einem Achselzucken, so wie immer.

Grunyon seufzt. Er wippt auf dem Rand, um nicht wieder abzurutschen. »Es ist Jahre her, T. Der gute alte Arm ist längst wieder heil.«

Vor vier Jahren hatte Mom einen Freund namens Andy. Andy war drahtig und lustig, und ich dachte Dinge, die ich nie hätte denken sollen, wie eine richtige Familie und Dad. Er schenkte mir ein Skateboard und nahm mich mit hierher, und eine Zeitlang war Mom seltsamerweise damit einverstanden. Vielleicht hat auch sie eine Zeitlang Familie und Dad gespielt.

Ich denke nicht gerne an Andy und daran, was dann passiert ist und wie er gegangen ist.

Ich habe nie vergessen, wie frei ich mich gefühlt habe, in diesen Momenten hoch oben in der Luft, bevor mein Brett wieder auf dem Boden aufschlug. Bis zum letzten Mal, als ich landete und mir den Arm brach.

Leichthin sage ich zu Grunyon: »Bücher sind gut. Da kann man sicher und gefahrlos in einem fiktiven Universum leben.«

»Ich glaube, dein Freund ist da.« Grunyon legt den Kopf schief. »Irgendwann hole ich dich zurück in diesen Pool, Tiger Tolliver.«

Mein Herz macht einen kleinen Sprung, als Kai sich neben mich setzt. »Hey«, sagt er und schirmt die Augen gegen die Sonne ab. »Ich hab Bizcochitos. Willst du zur Thunder gehen und da abhängen?«

Ich glaube, ich sehe einen winzigen Anflug von Röte in seinem Nacken aufsteigen.

Ich glaube, ich spüre einen winzigen Anflug von Röte in meinem Nacken aufsteigen.

Ich stecke mein Buch in den Rucksack. »Für Kekse gehe ich überall hin. Kennst mich doch.«

Kai Henderson zu küssen ist genauso, wie Cake gesagt hat.

Wie Plüsch.

Kai und ich küssen uns seit mindestens einer Milliarde Stunden unter den weißen, perfekten Sternen von Mesa Luna, an das tentakelige Ungetüm gelehnt, das wir alle das Kontrollzentrum nennen. Es befindet sich mitten auf dem Schulhof der Thunder-Park-Grundschule, verfügt über Röhrenrutschen, die in acht verschiedene Richtungen gehen, und eine Art Pavillon in der Mitte, in dem man sich super verstecken kann. Cake und ich haben uns früher gerne dort oben zusammengekuschelt und uns Geschichten erzählt, während die anderen Kinder auf dem Hof herumtobten.

Es hat ein bisschen gedauert, und er war unbeholfener und schüchterner, als mir lieb war, aber schließlich habe ich es einfach selbst in die Hand genommen. Mir war eingefallen, wie ein paar Mädchen auf der Schultoilette vor dem Waschbecken standen, sich die Augen schminkten und darüber redeten, warum Mädels eigentlich immer darauf warten, dass die Jungs den ersten Schritt machen. Ein Mädchen, ich glaube, sie hieß Bettina, lachte und sagte: »Weil ein Mädchen, das sich ranschmeißt, ’ne geile Schlampe ist!«, und die Art, wie sie das sagte, brachte die anderen zum Lachen. Ein Mädchen seufzte: »Ja, aber wenn der Kerl den ersten Schritt macht, ist er ein toller Hecht, stimmt’s?«

Vielleicht war an diesem Abend irgendein Ball oder eine Party, denn ein anderes Mädchen sagte: »Scheiß drauf. Heute Abend krall ich ihn mir.« Und ihre Freundinnen klatschten sie ab und stießen sie mit den Hüften an. Sie waren kaum älter als ich, aber sie schienen sich in ihren Körpern sehr viel wohler zu fühlen.

An diese Mädchen dachte ich, als Kai vor mir herumzappelte, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, und ich wurde ein bisschen wütend auf ihn und auch auf mich selbst, weil ich immer darauf warte, dass andere tun, was ich will, als müsste ich erst um Erlaubnis bitten, also übernahm ich selber die Führung.

Ich platzte heraus: »Darf ich dich küssen?«, um auf Nummer sicher zu gehen, und als ich sah, wie sein Gesicht vor Erleichterung aufleuchtete und er sich zu mir runterbeugte … tja, willkommen im Plüsch.

Ich hab ihn mir also gekrallt.

Seine Lippen waren zuckrig von den Keksen, einfach perfekt, genau wie ein erster Kuss und alle Küsse danach schmecken sollten. Und ich habe selbst herausgefunden, was ich mit meinen Händen machen muss, wie ich ihn an mich ziehen muss, wie ich atmen muss, einfach alles.

Ich will nie wieder die Augen aufmachen oder Luft holen. Ich will den ganzen Sommer damit verbringen, ihn zu küssen. Hier, auf dem Schulhof der Thunder-Park-Grundschule.

In mir gehen Dinge vor, für die ich keine Worte habe, und normalerweise habe ich für alles Worte, auch wenn ich sie nicht laut ausspreche.

Ein plötzlicher Schauer reißt uns auseinander. Ein scharfes, kaltes Gefühl durchzuckt mich, wo mir doch noch vor einer Sekunde so heiß war wie noch nie. Meine Zähne beginnen zu klappern.

Kai atmet schwer, sein Blick ist glasig. »Was ist los?«, fragt er. »Alles okay?«

»Alles in Ordnung. Mir ist nur … kalt. Komisch.« Ich schlinge die Arme um den Oberkörper, aber es fühlt sich seltsam an, nicht wirklich kalt, sondern … na ja, seltsam eben.

Der nächste Schauer schüttelt mich so stark, dass es mir den Atem raubt.

Ich keuche. »He«, sagt Kai. Er stützt meine Schultern, seine Augen sind besorgt. »Was war das?«

Ich versuche, wieder zu Atem zu kommen. »Ich weiß es nicht«, schnaufe ich. »Vielleicht sollte ich besser nach Hause gehen.«

Vielleicht ist es an der Zeit, nach Hause zu gehen und mich mit meiner Mutter zu versöhnen. Schließlich ist es schon den ganzen Tag und fast die ganze Nacht her. Also, ich werde dieses Kleid auf keinen Fall tragen, niemals, aber trotzdem.

Ich bücke mich und krame in meinem Rucksack nach meinem Handy. Vier verpasste Anrufe von Mom, der letzte kam, als wir uns gerade auf den Weg vom Pit hierher gemacht haben. Zwei Anrufe von Cake, was merkwürdig ist, da sie normalerweise schreibt. Sie hat keine Nachrichten hinterlassen, auch merkwürdig.

Ich höre zu, wie das Handy meiner Mutter klingelt und klingelt. Schließlich geht die Mailbox dran. »June hier! Sag was Schönes oder sag gar nichts.«

»Hi, Mom.« Ich atme tief durch. »Es tut mir leid. Ehrlich. Ich bin bald zu Hause, und dann kannst du mich anschreien, so viel du willst, okay?« Ich stecke mein Handy in den Rucksack. Erledigt. Ich hatte meine Freiheit. Jetzt können wir wieder zu unserer piependen, surrenden Maschine zurückkehren.

Kais Handy vibriert. Seit wir hier sind, hat es immer wieder geklingelt, aber er hat es ignoriert. Er zieht das Flanellhemd aus, das er über dem Shirt trägt, und wickelt es um mich. »Hier. Nur für den Fall.«

Er küsst mich, dann zieht er das Handy aus der Hosentasche.

Ich wende mich ab und berühre meine Lippen mit den Fingerspitzen. Ich spüre noch immer die Hitze seiner Lippen auf meinen. Ich fühle mich wie eine Heldin in alten Büchern, wenn es heißt: »Sie war von ihm bezaubert« oder etwas in der Art.

Ich bin von Kai Henderson bezaubert. Plüsch und Zauber. Das klingt wie der Name einer Dessous-Linie oder so. Ich mache mir eine gedankliche Notiz, Cake davon zu erzählen, sie wird es lustig finden.