Hunger, Frust und Schokolade - Michael Macht - E-Book

Hunger, Frust und Schokolade E-Book

Michael Macht

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Beschreibung

Psychologie und Essen - Essen und Gefühle: Das ist das Spezialgebiet des Würzburger Psychologen Prof. Dr. Michael Macht. In seinem populären Sachbuch beschreibt er anschaulich und unterhaltsam, warum wir essen und wie das Essen mit unseren Gefühlen verknüpft ist – Psychologie zum Genießen! - Warum essen wir bei Frust und Stress? - Warum scheitern wir so oft daran, unsere Ess-Gewohnheiten zu ändern? - Warum gehorchen wir beim Essen so selten der Vernunft?Es liegt an den Gefühlen! Sie sind für die Nahrungsaufnahme so wichtig wie Nährstoffe, Hormone und Neuro-Transmitter. Gefühls-Prozesse sind für die Steuerung der Nahrungsaufnahme unentbehrlich – nicht von ungefähr können wir kaum etwas Essbares sehen, riechen oder schmecken, ohne wenigstens den Anflug von Gefühlen zu verspüren: Gefühle steuern unser Ess-Verhalten - und mit unserem Ess-Verhalten können wir umgekehrt unsere Gefühle steuern. Der Psychologe Michael Macht arbeitet seit Jahren auf diesem Gebiet und gibt in seinem Buch einen umfassenden Einblick in die geheimnisvolle Beziehung zwischen unserem Ess-Verhalten und unseren Gefühlen. Aus dem Inhalt: - Lust auf Salz - Lob des Widerwillens - Wie wir lernen, Pizza, Schokolade und Gemüsesuppe zu lieben - Der Einfluss der anderen - Warum wir uns ekeln - Wie intensive Gefühle den Appetit verändern - Diät-Zusammenbrüche - Wirkt Schokolade wie eine Droge? - Wie die Lust am Essen Sorgen vertreibt - Die Macht der Erinnerung - Trost durch Kalorien - Zucker und Selbstkontrolle - Machen Gene und Hormone zu Gefühls-Essern? - Kann man seiner Hunger-Empfindung trauen? - Trauma, Gier und Sucht - Der Fasten-Fress-Zyklus - Die Hunger-Krankheit - Das Schlankheitsideal - Wie Magersucht und Bulimie entstehen - Etwas Ordnung ins Essen bringen - Ein Training für Stress- und Frust-Esser - Ein Richter, der das Essen liebte - Warum man beim Genießen denken muss

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Michael Macht

Hunger, Frust und Schokolade

Die Psychologie des Essens

Knaur e-books

Über dieses Buch

Warum essen wir bei Frust und Stress? Warum scheitern wir so oft daran, unsere Essgewohnheiten zu ändern? Warum gehorchen wir beim Essen so selten der Vernunft? Es liegt an den Gefühlen, weiß der Psychologe Michael Macht: Sie steuern unser Essverhalten. Denn wir können kaum etwas Essbares sehen, riechen oder schmecken, ohne wenigstens den Anflug von Gefühlen zu verspüren! »Hunger, Frust und Schokolade« beschreibt diese schwierige Beziehung ebenso anschaulich wie unterhaltsam – beim Lesen spürt, riecht und schmeckt man, wovon der Autor mitreißend erzählt: vom Besänftigungseffekt des Essens, dem Rätsel des Gefühlessens, den Emotionen bei gestörtem Essverhalten und der Überwindung problematischer Essmuster - und natürlich vom Geheimnis des Genießens.

Inhaltsübersicht

WidmungDas Gefühl isst mitDie Suche nach dem HungersignalDas verborgene Wissen der HungerempfindungEin Luftballon im BauchDas Ende eines DenkfehlersEin Orchester von SignalenDie zwei Gesichter des EssverhaltensDie Suche nach der steuernden StrukturDas Gehirn des EssverhaltensJenseits des GleichgewichtsInnenwelt und Außenwelt des EssensDie Essgefühle und ihre steuernde FunktionDas Problem der NahrungswahlLust auf SalzLob des WiderwillensWie wir lernen, Pizza, Schokolade und Gemüsesuppe zu liebenDer Einfluss der anderenDie Erfindung der EssgefühleDie EmotionsfamilieWas sind Emotionen?Warum erleben wir Emotionen?Welche Gefühle gibt es?Warum wir uns ekelnStimmungen und ErlebnistönungenDie Wege der Gefühle zum EssenWie intensive Gefühle den Appetit verändernWie Diäten scheiternFünf Wege, wie Gefühle das Essverhalten verändernÜber den Umgang mit EmotionenDen eigenen Gefühlen fremdDer Besänftigungseffekt des EssensDas SchokoladenrätselWirkt Schokolade wie eine Droge?Wie die Lust am Essen Sorgen vertreibtDie Macht der ErinnerungTrost durch KalorienZucker und SelbstkontrolleDie Rätsel des GefühlsessensZwei Fälle aus der PraxisMachen uns Gene und Hormone zu Gefühlsessern?Eine KindheitserfahrungKönnen wir unserer Hungerempfindung trauen?Die Entstehung des GefühlsessensDas Problem der AdipositasTrauma, Gier und SuchtDie Emotionen des gestörten EssverhaltensDer Fasten-fress-ZyklusDie HungerkrankheitDas SchlankheitsidealWie Magersucht und Bulimie entstehenDie Gefühlswelt der EssstörungenDie Überwindung problematischer EssmusterEtwas Ordnung ins Essen bringenDie Selbststeuerung des EssverhaltensEin Training für Stress- und FrustesserDas Geheimnis des GenießensDie Anatomie der GenusserfahrungEin Richter, der das Essen liebteWarum wir beim Genießen denken müssenGenießen lässt sich lernenZum Schluss: Eine kurze Anleitung zum Umgang mit EssgefühlenDer erste Schritt: Achten Sie auf Ihre Essgefühle …Der zweite Schritt: … aber handeln Sie seltener danachDer dritte Schritt: Erlernen Sie neue Formen der EmotionsbewältigungDankBildnachweis
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Unserer Mutter,

die uns lehrte, gut zu essen

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Das Gefühl isst mit

»Die Menschen haben ja auch das Essen zu etwas anderem gemacht: Not auf der einen, Überfluss auf der anderen Seite haben die Klarheit dieses Bedürfnisses getrübt.«

Rainer Maria Rilke[1]

 

 

Es war das Paradies. In der Kindheit, am Weihnachtsmorgen, erwachte ich vom Duft des Bratens, schnupperte ein wenig und ließ meinen Kopf wieder aufs Kissen sinken. Der Braten briet vor sich hin, und ich schlief ihm entgegen …

Nachdem ich ausgeschlafen hatte, ging ich hinunter in die Küche, die von der Hitze des Ofens aufgeheizt war wie eine Sauna. Meine Mutter stand am Herd, und auf einem Hocker daneben saß meine Großmutter und prüfte aus einer Untertasse schlürfend den Geschmack der Bratensoße, die sie schon zubereitet hatte, damals als meine Mutter noch ein Kind war. Durch das geöffnete Fenster wehte dampfend vor Kälte Winterluft herein. Auf dem Tisch stand die Schüssel mit Knödelteig, auf dem Herd köchelte das Blaukraut, und im Ofen zischte der Braten. Ich konnte das Essen kaum erwarten. Noch heute sehe ich das Feiertagsgeschirr auf der gestärkten Tischdecke und schmecke die Knödel, den Braten und das Blaukraut. Das Weihnachtsessen war eine einzige Freude, und so entstand meine Leidenschaft fürs Essen.

Meine Arbeit als Essforscher begann Jahre später als Hilfskraft in einem Forschungslabor der Universität. Ich war stolz, an wissenschaftlichen Studien mitzuwirken und eingeweiht zu werden in die Methodik des Experiments, bei dem alle Einflüsse und Störgrößen kontrolliert werden, damit es aussagekräftig und wiederholbar ist – denn nur dann ist es von Nutzen. Warum mir das so wichtig war?

Das Experiment ist die klassische Methode des Essforschers. Mit seiner Hilfe hat er ein beeindruckendes Wissen über die körperlichen Grundlagen der Nahrungsaufnahme angehäuft, kennt eine Vielfalt von Hormonen und Stoffwechselvorgängen, die das Essverhalten fördern oder hemmen. Er hat chemische Stoffe im Fettgewebe und der Dünndarmwand entdeckt, die die Größe der Mahlzeiten steuern, er weiß, welche Gehirnstrukturen die Nahrungsaufnahme kontrollieren. Und doch bleibt die Frage: Was kann er uns über die Freude des Weihnachtsessens in der Kindheit sagen oder über die Lust, die sich in uns regt, wenn ein Stück Schokolade im Mund zergeht?

In der Nähe des Labors, in dem ich damals tätig war, befand sich in einem Barockbau aus rotem Sandstein die Bibliothek der Universität und darin, im obersten Stock, der Lesesaal, ein kleiner Raum mit eng aneinanderstehenden Tischen. Im warmen Licht der Leselampen herrschte konzentrierte, fast andächtige Stille. Sprechen war strengstens verboten. Dort bereitete ich mich auf die Statistikprüfung vor – und ließ mich ständig ablenken, nicht nur weil der Stoff so trocken war und man durch die kleinen Fenster über die Stadt und den Fluss blickte.

Am frühen Nachmittag erschien Tag für Tag ein Mann mit Hornbrille und grauen Schläfen und brütete stundenlang über Gesetzestexten. Mit seiner korrekten Kleidung, der scharf geschnittenen Nase, dem ernsten Gesicht und den streng nach hinten gekämmten Haaren umgab ihn eine Aura von Bedeutung. Er las konzentriert die Texte und machte Notizen. Und ich wartete auf sein Ritual.

Denn irgendwann im Verlauf des Nachmittags griff er geistesabwesend in die Sakkotasche, legte eine Tafel Schokolade auf den Tisch und öffnete vorsichtig die Verpackung. Er brach die Tafel in Stücke und wandte sich wieder seinen Texten zu. Und während er las und notierte, ließ er Stück um Stück der Schokolade in den Mund wandern, um sich die Arbeit zu versüßen. Ich sah ihm dabei zu – was oft darin endete, dass ich mir auf dem Weg nach Hause selbst eine Tafel Schokolade kaufte.

Der elementare Zusammenhang zwischen Essen und Gefühl zeigt sich darin, dass wir auf Nahrung emotional reagieren – eine biologisch tief verankerte Reaktion. Im Tierlabor wurden die Ratten mit »Standardfutter« versorgt, braune Pellets, die alle Nährstoffe enthielten und nach Fisch rochen. Ich fragte mich, ob sie nicht Lust auf Abwechslung hatten, und legte eine Handvoll Kuchenkrümel in den Futternapf, Reste der letzten Kaffeepause. Die Tiere schnupperten daran und gerieten sofort in Erregung. Sie fraßen, so schnell sie konnten, sie fraßen alles, auch den letzten Krümel. Ich war mir sicher, auch sie erlebten Lust beim Essen. Wer einen Hund oder eine Katze hat, weiß, dass auch Tiere nach Leckereien gieren.

Es ist kaum möglich, etwas Essbares zu sehen, zu riechen oder zu schmecken, ohne wenigstens den Anflug eines Gefühls zu verspüren. Diese Gefühlsreaktion hat sich über die Jahrtausende der Evolution so entwickelt und lässt sich deshalb auch bei Tieren beobachten. Sie hilft, die Probleme der Nahrungsaufnahme zu lösen. Aber uns modernen Menschen bereitet sie zunehmend Schwierigkeiten. Wir reagieren emotional, wenn wir an der Kasse im Supermarkt vor dem Regal mit Süßigkeiten stehen, wenn uns in der Fußgängerzone der Duft von Bratwurst, Pommes und Pfannkuchen in die Nase steigt, und dann können wir nicht widerstehen. Oder wir essen, um belastende Gefühle erträglicher zu machen. Nach einer langwierigen Besprechung greifen wir nach einem Schokoriegel, um uns aufzumuntern. Wir versüßen uns einsame Abende vor dem Fernseher und naschen, um die gedrückte Stimmung zu heben.

Wodurch genau besänftigt Nahrung, und wie entsteht die Gewohnheit des Gefühlsessens? Fragen wie diese haben mich schon immer fasziniert: Wann bringt emotionaler Stress das Essverhalten zum Entgleisen und führt zu Problemen wie Übergewicht und Essstörungen?

In der Wissenschaft war die Gefühlswelt des Essens lange ein blinder Fleck. Den Physiologen waren Gefühle nicht greifbar genug. Sie glaubten, sie seien einer objektiven Analyse nicht zugänglich. Die Emotionsforscher wiederum waren nicht am Essverhalten interessiert. Das Interesse daran wuchs erst mit den Schwierigkeiten, der Epidemie des Übergewichts entgegenzuwirken.[2]

Jahre nach meiner Zeit im Labor arbeitete ich als Psychotherapeut und behandelte eine Frau, die 150 Kilo wog. Sie hatte schon in der Kindheit Süßigkeiten unter der Bettdecke gegessen. Als sie zunahm, musste sie den Spott der Klassenkameraden und die Missbilligung der Eltern ertragen. Doch je mehr sie unter Frustrationen und Hänseleien litt, desto mehr aß sie. Und Essen blieb ihr Fluchtpunkt, im Studium, im Beruf. Ein unbezwingbares Verlangen nach Schokolade und Fast Food suchte sie heim, sobald sie unter Stress geriet. Sie aß, um mit den belastenden Gefühlen besser zurechtzukommen. Als der Arzt bei ihr Diabetes feststellte, riet er ihr abzunehmen. Aber sie war schon so oft daran gescheitert, dass sie sagte: »Ich bleibe lieber dick und sterbe früher.«

Die Häufigkeit des Übergewichts hat sich in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdoppelt. Fettleibigkeit, auch Adipositas genannt, ist eines der größten Gesundheitsprobleme der Menschheit. Und wir tun einiges dagegen. So werden in aufwendigen Kampagnen neueste Ernährungsempfehlungen in Schulen und anderen Einrichtungen verbreitet. Eine große Zahl von Wissenschaftlern arbeitet an der Entwicklung von Medikamenten zur Gewichtsreduktion und ebenso an Abnehmprogrammen. Aber Menschen mit starkem Übergewicht leiden weiterhin unter körperlichen Einschränkungen, einem erhöhten Krankheitsrisiko, an der Abwertung durch andere und an psychischen Belastungen wie Angst und Depressionen. Ich wähle das Wort »leiden« hier bewusst, denn sie leiden unter ihrem Übergewicht und können sich gleichzeitig nicht davon befreien.

Während die einen zu viel essen, denken andere zu viel über Essen nach. Die Frage, welche Nahrung in welchen Mengen und mit welcher Häufigkeit zu essen sei, hat die Menschen wahrscheinlich nie so ausgiebig beschäftigt wie heute. Empfehlungen zur »richtigen« Ernährung gibt es zuhauf. Der Zuwachs an Ernährungswissen hat jedoch auch Nachteile, zumal wenn die ständige gedankliche Auseinandersetzung mit Ernährungsfragen letztlich die normalen Essgefühle in den Hintergrund drängt und den natürlichen Fluss der Nahrungsaufnahme hemmt, was sogar zu Essstörungen führen kann.[3]

Probleme, die wir Psychologen bei der modernen Ernährungssituation sehen – übermäßige Nahrungsaufnahme und gedankliche Überfrachtung des Essens –, lassen sich nur mit Strategien lösen, die auch die Gefühlswelt des Essens einbeziehen. Denn Gefühle sind für das Essverhalten mindestens so wichtig wie Hormone und Neurotransmitter. Daher erkläre ich in diesem Buch die Zusammenhänge von Essen und Emotion: wie das Essverhalten durch Emotionen gesteuert wird und wie umgekehrt Emotionen durch Essen beeinflusst werden. Wie sich unser Essverhalten unter dem Einfluss von Angst, Ärger und Traurigkeit verändert.

Entscheidend dabei ist: Wann bringen unsere Emotionen das Essverhalten zum Entgleisen? Und wie können Gefühle helfen, das Essverhalten wieder zu normalisieren, sodass wir freien Herzens genießen können? Genau darum geht es mir.

Unser aller Ausgangspunkt ist die Erfahrung des Hungers, sie steht am Anfang des Essens, ist sein Dreh- und Angelpunkt. Mit ihr beginnt auch die moderne Essforschung.

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Die Suche nach dem Hungersignal

»Der Körper, diese komplizierte Maschinerie, stände bald still, hätte die Vorsehung nicht ein gewisses Signal darin befestigt, das ihn sofort anruft, wenn Kräfte und Bedürfnisse sich nicht mehr das Gleichgewicht halten.«

Jean Anthelme Brillat-Savarin[4]

 

 

Kündigt sich im Körper ein Nährstoffmangel an, werden wir hungrig. Der Magen knurrt, Hände und Füße werden kalt, wir sind müde und gereizt und erleben ein unwiderstehliches Verlangen nach Nahrung. Aber woher weiß unsere Hungerempfindung, dass der Körper Nährstoffe braucht? Was genau dahintersteckte, war lange nicht bekannt. Erst im 20. Jahrhundert wurde diese Frage von der Wissenschaft tiefer gehend erforscht.

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges untersuchte der Physiologe Ancel Keys an der Universität von Minnesota im Auftrag der amerikanischen Regierung die körperlichen und psychischen Auswirkungen des Hungers. Sechs Monate lang gab er einer Gruppe von Männern nur die Hälfte der gewohnten Nahrungsmenge und beobachtete, welche Auswirkungen dies hatte.

Die Reaktionen waren dramatisch: »Was tue ich den Männern nur an? Ich hatte keine Ahnung, dass es so hart wird«, sagte er eines Abends zu seiner Frau. Die Männer waren müde, depressiv und apathisch. Sie litten unter Muskelschmerzen, Schwindel, Kälteschauer und Haarausfall. Dazu reagierten sie überempfindlich auf Geräusche und konnten sich nicht konzentrieren. Während ihr Fettgewebe dahinschmolz und ihre Muskeln schrumpften, kreisten ihre Gedanken wieder und wieder ums Essen.

»Es scheint, als hätten sich meine Knochen, meine Muskeln, mein Magen und mein Verstand in ihrer Sehnsucht nach ESSEN vereint«, schrieb einer von ihnen in sein Tagebuch. Ein anderer sammelte Kochbücher und ging zur Ablenkung ins Kino, nur um sich dabei zu ertappen, voller Ungeduld auf Filmszenen zu warten, in denen gegessen wurde. Die Hungernden verdünnten ihre kargen Mahlzeiten mit Wasser, damit sie größer erschienen, oder sie kauten endlos Kaugummi, in der Illusion, dass es sich wenigstens anfühlte, als würden sie essen. Sie verloren das Interesse an Sex. Ihre Gespräche drehten sich nur noch um ein Thema: Essen. In Tagträumen fantasierten sie über Mahlzeiten, die sie nach dem Ende der Studie essen würden. Noch fünfzig Jahre später hatten die inzwischen über Achtzigjährigen lebhafte Erinnerungen an die verzweifelten Versuche, mit ihrem Hunger damals an der Universität von Minnesota fertigzuwerden.[5]

Hunger suchte die Menschen schon immer heim, trieb sie durch Wälder und Steppen, ließ sie Flüsse überqueren, Berge besteigen und Täler durchwandern. Und vielen brachte er den Tod. Über Jahrtausende hinweg war beinahe jede Generation von einer Hungersnot bedroht. Noch im 20. Jahrhundert verhungerten allein in Russland mehr als fünfzehn Millionen Menschen. Die letzte Hungersnot in Deutschland liegt erst fünfundsiebzig Jahre zurück. In den Jahren nach Kriegsende wurde die Nahrung für die deutsche Bevölkerung rationiert. Für die Bewohner Hamburgs gab es beispielsweise 770 Kalorien täglich, weniger als die Hälfte der Kalorienzufuhr in der Minnesota-Studie – und dort hatte die Nahrungsmenge gestandene Männer zur Verzweiflung gebracht. Im Hungerwinter 1946/47 starben mehrere Hunderttausend Menschen, und den Überlebenden blieb die Erfahrung der Not für immer im Gedächtnis. Als man sie sechzig Jahre später befragte, schilderten sie eindringlich ihre Erlebnisse. Einer der Befragten, damals zwölf Jahre alt, beschrieb es so:

Ich habe erfahren, dass Hunger und Kälte Schmerzen verursacht. Innere Schmerzen. Seelische, körperliche Schmerzen. Von der Haarspitze bis in den kleinen Zeh, durchdringend, nicht nur einmal einen kurzen Moment, sondern ständig ist man vom Hunger gequält, von der Kälte gelähmt. Man fühlt … du bist an einem Punkt angelangt, leben oder sterben. So ein Gefühl habe ich gehabt.[6]

Hungersnöte gibt es bis heute. Weltweit hungern mehr als 800 Millionen Menschen, und selbst im Überfluss der Wohlstandsgesellschaft leiden Teile der Bevölkerung unter Nahrungsmangel.[7]

So war und blieb der Hunger die gesamte Evolution des Menschen über eine prägende Kraft. Unser Körper hat sich auf den fortwährend drohenden Mangel eingerichtet und reagiert sehr schnell auf eine verminderte Energiezufuhr. Schon nach wenigen Stunden ohne Nahrung sinken Puls, Blutdruck, Temperatur und Grundumsatz. Die Aktivität der meisten Organsysteme wird herabgesetzt, um Energie zu sparen. Der menschliche Körper hält den Mangel recht lange aus. Die Psyche aber will ihn gar nicht erst entstehen lassen.

Das verborgene Wissen der Hungerempfindung

Der große Hunger hat einen kleinen Bruder, den wir täglich erleben. Er meldet sich, lange bevor es zu einem Nährstoffmangel kommt. Vierzig Jahre nach der Minnesota-Studie servierte die britische Psychologin Jane Wardle in einem kleinen Experiment einer Gruppe von Frauen ein Frühstück, das viel oder wenig Energie enthielt. Der Unterschied zwischen den Frühstücksvarianten entsprach etwa dem Kaloriengehalt eines Marmeladenbrötchens. Hatten die Frauen beim Frühstück weniger Energie erhalten, waren sie gegen Mittag hungriger, ein Befund, der unserer Alltagserfahrung entspricht: Je karger das Frühstück, desto hungriger sind wir zur Mittagszeit.[8]

Aber das Experiment macht auch zwei bemerkenswerte Eigenschaften der Hungerempfindung deutlich, die nicht so offensichtlich sind. Im Körper eines normalgewichtigen Menschen ist genug Energie gespeichert, um mehrere Wochen ohne Nahrung zu überleben. Das Hungergefühl der Frauen sprach jedoch bereits auf ein Viertausendstel dieser Energiemenge an. Das heißt, sie wurden unglaublich schnell hungrig. Wäre die Technik eines Autos ähnlich empfindlich, es würde den Fahrer schon wenige Kilometer nach dem Volltanken drängen, wieder nach einer Tankstelle zu suchen. Die Hungerempfindung ist ein äußerst sensitives Frühwarnsystem – und hat noch eine weitere erstaunliche Eigenschaft.

 

Abbildung 1: Schon eine kleine Schwankung der Energiezufuhr steigert die Hungerempfindung, etwa ein Viertausendstel der im Körper eines normalgewichtigen Menschen gespeicherten Energiemenge.

 

Die Frauen wussten nicht, dass das Frühstück mal mehr, mal weniger Energie enthielt, denn beide Varianten waren in Aussehen, Volumen und Geschmack identisch. Die zusätzlichen Kalorien waren in einem Glas Orangensaft durch Zugabe einer geschmacksneutralen Kohlenhydratmischung versteckt. Allein ihre Hungerempfindung hatte den Unterschied bemerkt. Sie ist in Tiefen des Körpers verankert, die weit außerhalb des Bewusstseins liegen. Irgendwo im Körper muss es ein Signal geben, das uns hungrig macht. Die Suche danach beschäftigte mehrere Generationen von Wissenschaftlern.

Ein Luftballon im Bauch

Vor etwa hundert Jahren, in den Mittagsstunden eines gewöhnlichen Tages, nahm in einem Labor der Harvard-Universität ein Mann mit Nickelbrille und exakt gezogenem Scheitel einen Notizblock und eine Stoppuhr zur Hand: Walter Bradford Cannon war einer der bedeutendsten Physiologen des 20. Jahrhunderts. Am Ende seines Forscherlebens hatte er, um nur einige seiner Entdeckungen zu nennen, die Bewegungen des Magen-Darm-Systems mithilfe von Röntgenstrahlen beschrieben, die chemische Übertragung von Nervenimpulsen untersucht, die Wundversorgung von Kriegsverletzten verbessert, das körperliche Erregungsmuster bei Stress entdeckt und den Begriff der Homöostase geprägt für das Gleichgewicht im menschlichen Körper. (Auf dieses Gleichgewicht gehe ich nachher noch näher ein.)

An jenem Tag aber war er auf der Suche nach dem körperlichen Prozess, der die Hungerempfindung verursacht. Er konzentrierte sich auf seinen Hunger und bemerkte, dass er plötzlich da war und dann wieder verschwand, nur um nach einiger Zeit wieder aufzutauchen. In etwa zehn Minuten notierte er sechs Hungerphasen, die zwischen fünfzehn und fünfundsiebzig Sekunden andauerten:

 

Dass er das Kommen und Gehen seines Hungers auf die Sekunde genau wahrnahm, lag vielleicht an seiner Akribie. Oder er achtete mehr als andere auf die Reaktionen seines Körpers, schließlich war er Physiologe. Denn als er mit einem Stethoskop seinen Bauchgeräuschen lauschte, bemerkte er, dass mit dem Auftauchen der Hungerempfindung auch sein Magen rumorte. Und so zog er den Schluss, die Hungerempfindung werde durch Magenkontraktionen verursacht.

Diese Idee war allerdings nicht neu. Bereits Galen, der berühmte Arzt der Antike, hatte die Ursache des Hungers in den Bewegungen des leeren Magens vermutet. Später behauptete der Naturforscher Albrecht von Haller, Hungerempfindungen würden immer dann auftreten, wenn die Wände des Magens aneinander rieben. Erasmus Darwin, der Großvater Charles Darwins, glaubte hingegen, das Hungersignal in der Inaktivität des leeren Magens zu erkennen. Sie alle vermuteten die Ursache des Hungers im Magen. Cannon war jedoch der Erste, der seine Theorie tatsächlich in einem Experiment am Menschen überprüfte.

Er ließ einen seiner Studenten einen Luftballon schlucken, blies den Ballon auf und registrierte mithilfe eines druckempfindlichen Messfühlers im Ballon die Magenbewegungen des Studenten. Dann bat er ihn, eine Taste zu drücken, sobald er sich hungrig fühlte. Wie die Aufzeichnung auf einem Papierschreiber zeigte, drückte der Student die Taste tatsächlich immer dann, wenn sich kurz zuvor sein Magen bewegt hatte – und damit sah Cannon seine Theorie bestätigt.[9]

Einige Zeit danach wiederholte ein junger Wissenschaftler an der Universität Chicago, Frederick Hoelzel, das Experiment an sich selbst. Er bemerkte zuerst, dass allein schon der aufgeblasene Ballon den Magen in Bewegung versetzte. Zudem fiel ihm auf, dass er sich zeitweise hungrig fühlte, ohne auch nur die geringste Magenbewegung zu verspüren. Diese Beobachtungen stellten Cannons Theorie infrage, doch als Hoelzel dem Forscherkollegen von seinem Versuch berichtete, fand er kein Gehör. Stattdessen beschwerte sich Cannon bei Hoelzels Vorgesetztem, weil dieser die Veröffentlichung der Beobachtungen »erlaubt« hatte.[10]

Cannon aber hatte Glück. Kaum jemand nahm von Hoelzels Arbeit Notiz. Die Theorie der Magenbewegungen fand Eingang in die Lehrbücher und wurde Generationen von Studenten als unstrittige Tatsache gelehrt.

Erst fünfzig Jahre später wurde das Luftballon-Experiment wiederholt – und diesmal mit verbesserter Methodik. Jetzt erfasste man die Magenbewegungen mit einem kleinen Messaufnehmer, der diese nicht beeinflusste, und führte die Messungen über längere Zeit und an einer größeren Anzahl von Personen durch. Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Hungerempfindung trat unabhängig von den Magenbewegungen auf.[11]

Wahrscheinlich hatte sich Cannon schon mit seiner ersten Beobachtung getäuscht, als er seine Aufmerksamkeit allein auf seine Magenbewegungen richtete. Die körperlichen Empfindungen im Hungerzustand sind facettenreicher. Wir erleben nicht nur Veränderungen im Magen, sondern auch in anderen Körperregionen: im Kopf- und Brustbereich, auch in den Armen und Beinen. Zudem sind diese körperlichen Empfindungen individuell sehr unterschiedlich. Einige hören eher den Magen knurren, andere verspüren ein Spannungsgefühl im Brustkorb oder neigen zu Kopfschmerzen, und wieder andere bemerken, dass ihre Hände kalt werden.[12] Heute weiß man: Das körperliche Befinden im Hungerzustand setzt sich aus verschiedenen körperlichen Empfindungen zusammen. Schon darin deutet sich an, dass die Hungerempfindung nicht allein im Magen ausgelöst wird.

Doch wenn sie nicht im Magen entsteht, wo dann? Welcher körperliche Prozess löst die Hungerempfindung aus? Einige Forscher glaubten, die Verfügbarkeit von Glucose, also Zucker im Blut, sei die entscheidende Größe. Auch diese Theorie war einleuchtend und gewann schnell an Einfluss. Senkte man bei Ratten den Blutzuckerspiegel, begannen sie sofort zu fressen. Das Problem war nur, dass Hungerempfindungen auch dann auftraten, wenn sich der Blutzucker im Normalbereich bewegte oder sogar, wie es bei Diabetikern vorkommen kann, sehr hohe Werte erreichte. Man vermutete das Hungersignal daher auch in der Konzentration von Fett- oder Aminosäuren im Blut oder dachte an Hormone, die im Magen, im Darm und im Fettgewebe produziert werden, ja sogar an die Körpertemperatur.[13]

Die Suche sollte sich noch lange hinziehen und erwies sich als schwierig. Die Forscher drangen in die entlegensten Winkel des Körpers vor und führten zahllose Experimente durch, aber keiner der untersuchten körperlichen Vorgänge erfüllte das Kriterium des Hungersignals: dass Hunger immer und nur dann entsteht, wenn der betreffende Prozess einen bestimmten, messbaren Wert erreicht.

Das Ende eines Denkfehlers

In den 1970ern befasste sich auch David A. Booth, ein junger Psychologe an der Universität Sussex, England, mit der Physiologie des Hungers. In einem seiner frühen Experimente injizierte er Glucose-Lösungen in den Blutkreislauf von Laborratten und beobachtete, wie viel Nahrung sie in den folgenden Stunden zu sich nahmen. Die Tiere passten die Nahrungsaufnahme der Glucose-Zufuhr an: Je mehr Glucose in den Blutkreislauf gebracht wurde, desto weniger fraßen sie.

Der Befund bestätigte die Theorie, dass der Glucose-Pegel im Blut der Hungerauslöser war. Doch Booth gab sich damit nicht zufrieden. Er wiederholte den Versuch mit zahlreichen anderen Nährstoffen, mit verschiedenen Fetten und Proteinen, und immer zeigte sich das Gleiche: Die Tiere passten ihre Nahrungsaufnahme an die zuvor erhaltene Energiemenge an.

Diese Beobachtungen ließen Booth zutiefst am Konzept des einen Hungersignals zweifeln, denn nicht ein bestimmter Stoff beeinflusste die Nahrungsaufnahme, sondern viele.[14]

Statt nach einem weiteren Kandidaten für das Hungersignal zu suchen, kamen ihm die Vorlesungen in den Sinn, die er Jahre zuvor während seines Biochemiestudiums in Oxford bei Hans Krebs gehört hatte. Sir Hans Adolf Krebs hatte 1953 den Nobelpreis für die Entdeckung des Zitronensäurezyklus erhalten, eines Schlüsselvorgangs des Lebens. Dabei wird in einer komplizierten Abfolge biochemischer Reaktionen der Energiefluss im Körper gesichert, der wie die Versorgung mit Sauerstoff nicht unterbrochen werden darf. Booth hatte ein entscheidendes Merkmal des Zitronensäurezyklus vor Augen: Die für den Körper nutzbare Energie wird in einem chemischen Stoff verpackt, der sich an verschiedenen Orten des Körpers und zu allen möglichen Zwecken nutzen lässt – ein Energieträger, der wie eine gemeinsame Währung vielseitig eingesetzt werden kann: das Adenosintriphosphat (ATP). Funktionierte die Physiologie des Hungers nach einem ähnlichen Prinzip?

David Booth entwickelte ein Hungermodell, das sich aus zahlreichen körperlichen Signalen zusammensetzte. Und sie alle gingen in eine Größe ein, hatten einen gemeinsamen Nenner: den Energiefluss zu den Zellen.[15] Booths Modell beschrieb exakt, welche Prozesse zum Energiefluss beitragen und wie sie die Bereitschaft zur Nahrungsaufnahme anregen oder hemmen. Ob nun der momentane Energieverbrauch, Merkmale des Fettstoffwechsels oder die im Magen und Darm vorhandene Energiemenge – letztlich mündet jeder dieser körperlichen Prozesse in denselben Energiefluss.

Zuvor waren die Wissenschaftler einem Denkfehler aufgesessen, der an die Geschichte vom Elefanten und den blinden Männern erinnert. Die Blinden wollten herausfinden, welches Wesen sie vor sich hatten, kamen aber zu verschiedenen Schlüssen, weil jeder einen anderen Körperteil betastete – den Rüssel, einen Stoßzahn, ein Hinterbein, den Schwanz. Ganz ähnlich hatten sich die Essforscher in Einzelheiten der Hungerphysiologie verstrickt. Sie waren durch den Dschungel des Stoffwechsels und des Hormonsystems geirrt auf der Suche nach einem Prozess, den es nicht gab. Erst das Energiefluss-Modell ließ das komplexe System erkennen, das die Nahrungsaufnahme steuert.[16]

Das Modell war schließlich so gut, dass es mithilfe einer Computersimulation gelang, das Fressverhalten von Laborratten zuverlässig vorherzusagen. Keine der bisherigen Hungertheorien hatte dies vermocht.

Ein Orchester von Signalen

Achten Sie auf Ihre körperlichen Empfindungen, wenn Sie hungrig sind. Vielleicht bemerken Sie wie Cannon ein Magenknurren, vielleicht fühlt sich Ihr Magen einfach nur leer an, vielleicht sind Ihre Hände kalt oder Sie spüren Verspannungen der Muskulatur und Kopfschmerzen. Wahrscheinlich sind Sie müde, reizbar und ein wenig ungeduldig. Beobachten Sie, was während des Essens geschieht: Sie sehen und riechen die Nahrung, spüren, wie warm oder kalt, trocken oder feucht, hart oder weich sie ist; Sie nehmen ihren salzigen, sauren, würzigen, fruchtigen oder süßen Geschmack wahr. Je mehr Nahrung in den Körper gelangt, desto stärker gerät er in Aufruhr. Das Herz schlägt schneller, Blutdruck und Körpertemperatur steigen, im Magen werden Enzyme ausgeschieden, in der Magen- und Darmwand Nervenzellen erregt. Hormone wie Insulin und Glukagon kommen ins Spiel. Zuckermoleküle, Aminosäuren und Fettsäuren werden ins Blut aufgenommen und zu den Organen transportiert, wo sie verbrannt werden. Überschüssige Energie wird im Körper gespeichert: in der Leber, in der Muskulatur und im Fettgewebe. Das Fettgewebe produziert Hormone, die wieder in den Blutkreislauf gelangen. Wenn die Mahlzeit verdaut ist, werden aus diesen Speichern die lebensnotwendigen Brennstoffe entnommen und auf den verschlungenen Pfaden des Stoffwechsels abgebaut.[17] Warum sollte angesichts dieser Vielfalt nur ein einziger körperlicher Prozess die Hungerempfindung auslösen? Heute begreift man kaum noch, warum die Forschung nicht eher zu dem Schluss gelangte, dass die Nahrungsaufnahme ein komplexes System körperlicher Prozesse voraussetzt.

 

Abbildung 2: Das Gehirn muss, um die Nahrungsaufnahme zu steuern, eine Vielfalt von Signalen verarbeiten. Aus der Leber gelangen Glucose und Fettsäuren in den Blutkreislauf. Im Magen-Darm-System, in der Bauchspeicheldrüse und im Fettgewebe werden Hormone produziert. Nerven in der Magenwand signalisieren den Füllungsgrad des Magens (nach Langhans & Geary, 2010).

 

Im Körper erklingt ein ganzes Orchester von Signalen: in der Leber, im Magen-Darm-System, in der Bauchspeicheldrüse, im Fettgewebe, im Hormonsystem. Das Gehirn lauscht den Klängen und entscheidet auf der Grundlage ganz verschiedener Prozesse, ob es uns hungrig macht oder nicht.

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Die zwei Gesichter des Essverhaltens

»Man wurde sehr hungrig, wenn man in Paris nicht genug aß, weil alle Bäckereien so gute Sachen in der Auslage hatten und die Leute im Freien an Tischen auf dem Bürgersteig aßen, sodass man das Essen sah und roch.«

Ernest Hemingway[18]

 

 

Wie verarbeitet das Gehirn die vielfältigen Signale aus dem Verdauungssystem und dem Blutkreislauf? Wie entscheidet es, wann, was und wie viel wir essen? Wann macht es uns hungrig? Es orientiert sich in seinen Entscheidungen nicht nur an körperlichen Signalen.

Im November 1962 wurde eine zwanzigjährige Buchhalterin in ein New Yorker Krankenhaus eingewiesen, weil sie unter Kopfschmerzen, übermäßigem Harndrang und starkem Durst litt. Die Ärzte untersuchten ihre inneren Organe, machten Röntgenaufnahmen des Kopfes und prüften ihre Gehirnfunktionen. Sie fanden nichts, was die Beschwerden erklärt hätte.