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Kaum ein Volk hat die europäische Geschichte geprägt, wie das der Hunnen. Kaum ein Volk hat die deutschen Heldensagen geprägt, wie das der Hunen, oder Heunen, wie es auch genannt wird. Aber sowohl in der Geschichtsschreibung als auch in den Sagen wurden und werden beide Völker gleichgesetzt – mit einer Ausnahme: die Thidrekssaga. Dies wurde - und wird noch immer - verkannt. Nicht viel besser steht es mit Burgundern und Nibelungen. Nicht unwesentlich beigetragen zu den Verwirrungen in Geschichte und Sage haben Namensdoppelungen, sowie Namenswechsel und Namenstausch in den Sagen. Diese vorgenannten Probleme greifen die Autoren dieses Bandes auf, benennen sie und entwirren das Verwirrte aus ihrer Sicht und erarbeiten Lösungsvorschläge hierfür. Sie bearbeiten das breite Spektrum der Hunnen/Hunen und der Burgunder/Nibelungen in Sagen und in der Geschichte, sowie Aspekte zu ihrer Archäologie; sie bereiten tiefgründig die burgundische Frühgeschichte auf, wobei der elsässische Raum besonders betrachtet wird, und weisen Nibelungen im Rheinland und anderswo nach. Der vorliegende Band der ‚Forschungen zur Thidrekssaga‘ zeigt, dass es unumgänglich ist, asiatische Hunnen und westfälische Hunen/Heunen zu unterscheiden; ebenso Burgunder und Nibelungen. Weiterhin wird man sich von der Vorstellung eines Burgunderreiches bei Worms am Rhein verabschieden müssen.
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Seitenzahl: 550
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Karl Weinand
Vorwort zu diesem Band der Forschungen zur Thidrekssaga
Karl Weinand
Zur Einleitung dieses Bandes der Forschungen zur Thidrekssaga
Ulrich Steffens
Hunnenbezüge in Historien und Chroniken
Karl Weinand
Hunnen und Hunen, Burgunder und Nibelungen
Wilhelm Bleicher
Otto Klaus Schmich und das Hunenproblem
Wilhelm Bleicher
Das doppelte Hunaland
Ulrich Steffens
Die Hunnensage von Walther und Hildegund
Wilhelm Bleicher
Archäologische Aspekte im Kontext der Hunnen und der Hunen
Karl Weinand
Nachwort
Anhang
Karl Weinand
Zwei Völker aus der Historie, zwei Völker aus der Sage – dennoch sind es vier unterschiedliche Völker: Hunnen, Hunen, Burgunder und Nibelungen. Dies, auch Teilaspekte hierzu, ist Gegenstand der Diskussionen dieses Bandes der ‚Forschungen zur Thidrekssaga‘. Doch keines dieser Völker kann für sich alleine betrachtet werden. Es besteht ein Beziehungsgeflecht vielfältiger Art zwischen
Burgunder und Nibelungen
Nibelungen und Hunen
Hunen und Hunnen
Hunnen und Burgunder
Das ist verwirrend, und Verwirrung hat es bis heute gestiftet und wird es wohl weiterhin stiften. Nichts destotrotz soll in diesem Band der ‚Forschungen zur Thidrekssaga‘ der Versuch unternommen werden, das Verwirrte zu entwirren.
Wertvolle Vorarbeiten hierzu finden sich bei Heinz Ritter-Schamburg mit seinen epochalen Büchern zu den Nibelungen und zu Dietrich von Bern und in den ‚Forschungen zur Thidrekssaga‘, hier insbesondere der 4. Band ‚Das Geheimnis von Mündt/Mundiacum: Burgunder und Nibelungen in der Jülicher Börde?‘.
Das Thema Hunnen/Hunen/Burgunder/Nibelungen in Beziehung zur Thidrekssaga ist in verschiedenen Ausgaben der ‚Forschungen zur Thidrekssaga‘, des BERNERs und auf Fachtagungen des Vereins behandelt worden. Aber offensichtlich nicht ausgiebig genug. Denn auf der Herbsttagung des ‚Dietrich von Bern-Forum' im Jahres 2012, das unter dem Motto ‚Hunen‘ stand, entstand auch das vorliegende Buch-Projekt, zunächst noch lediglich Hunnen/Hunen betreffend, inzwischen aber unter der Erweiterung Burgunder/Nibelungen.
Nun, nachdem einige Jahre ins Land gegangen und einige Anlaufschwierigkeiten überwunden sind, legt das Dietrich von Bern-Forum das vorliegende Buch allen Sagen- und Geschichtsfreunden zur gefälligen Kenntnisnahme vor; aber auch der – unvermeidlichen – Kritik.
Dieser Band der ‚Forschungen‘ und seine Autoren zeigen: Das ‚Dietrich von Bern-Forum‘ ist nicht nur ein Verein für Heldensage, sondern auch für Geschichte.
Dr. Wilhelm Bleicher behandelt die Forschungen des Hünen- und Thidrekssaga-Forschers Klaus Otto Schmich († 2008); weiterhin das ‚doppelte Hunaland‘; sowie die archäologischen Zeugnisse und Hinterlassenschaften der Hunnen und Hunen in Relevanz zum westfälischen Raum.
Dr. Ulrich Steffens hat die ‚Chroniken und Historien‘ bzgl. der Hunnen/Hunen übersichtlich aufbereitet; sowie die Sagen um ‚Walther und Hildegund‘ unter den verschiedensten Aspekten – wie Attila, Hunnen, Burgunder, altenglische und altnordische Dichtung etc. – von Grund auf bearbeitet.
Karl Weinand ‚geht weite Wege‘ bis nach Altägypten, um die Spur von Hunnen aufzunehmen und folgt ihr, bis sie sich nach der Schlacht am Nedao verliert. Wechselt dann zu Hunen, Burgunder und Nibelungen, wobei er aufzeigt, auch anhand von Namensproblemen, warum von vielen lieb gewonnenen Vorstellungen, etwa dem Burgunderreich zu Worms am Rhein, Abschied zu nehmen ist.
Bei der Komplexität der behandelten Themen und Problemen ist es unvermeidlich, dass es in diesem Band Überschneidungen zu einzelnen behandelten Themen gibt und dass die Autoren hierzu auch verschiedene Thesen und Lösungsansätze herausarbeiten. Wir, das ‚Dietrich von Bern-Forum‘, sind, wie der Name sagt, ein Forum. Das bedeutet ‚Markt‘, ‚Marktplatz‘, ‚Platz der öffentlichen Reden‘, auf dem jeder seine Meinung und seine Forschungen zu den ‚Deutschen Heldensagen‘ kund tun kann – vorausgesetzt es hat Hand und Fuß und ist frei von Polemik.
München im Herbst 2015
Karl Weinand
Dietrich von Bern-Forum. Verein für Heldensage und Geschichte e. V.
Karl Weinand
Nicht Siegfried, nicht Kriemhild, nicht Gunther und auch nicht Etzel waren die beliebtesten Sagengestalten des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit, sondern Dietrich von Bern. Dieser wurde in mittelalterlichen Chroniken und Annalen mit dem Ostgotenkönig Theoderich dem Großen gleichgesetzt, mehr oder minder stark auch in der Dietrichs-Epik, am wenigsten ausgeprägt jedoch in der sogenannten Thidrekssaga. Diese Thematik ist, auch wenn Dietrich von Bern bezüglich Hunen und Nibelungen handelnde Person ist, jedoch nicht Gegenstand der Untersuchungen des vorliegenden Forschungsbandes, darüber wurde bereits an andere Stelle gehandelt1. Hier wird das Verhältnis von Hunnen und Hunen einerseits, Burgunder und Nibelungen andererseits, und deren Querbeziehungen untereinander thematisiert.
Es ist unerlässlich, hier einige Worte zur Thidrekssaga zu spendieren. Diese ist, etwa im Gegensatz zum Nibelungenlied, fast nur in Kreisen der Altgermanistik und der Nordistik bekannt. Ein Schattendasein, das sie nicht verdient hat. Es ist übrigens ein Verdienst von Heinz Ritter-Schaumburg, sie wenigstens ansatzweise der Öffentlichkeit bekannt gemacht zu haben. Der folgende Text ist aus unserer Website entnommen2:
Was sind die „Deutschen Heldensagen“ und was sagen sie uns?
Laut einem Lexikoneintrag handelt es sich dabei um „stilisierte Geschichtsüberlieferung“ oder „Vorzeitkunde“ aus einer Zeit, da die Menschen noch nicht schreiben konnten. Solche Sagen sind von verschiedenen Völkern überliefert.
Die „Deutschen Heldensagen“ berichten von einem König Dietrich von Bern, von zahlreichen Abenteuern, die er erlebt haben soll, aber auch von den berühmten Nibelungen und von Siegfried den Drachentöter.
Sollte darin tatsächlich eine „stilisierte Geschichtsüberlieferung“ stecken? Wenigstens also Andeutungen über reale Geschichte aus jener Vorzeit und betreffenden Gegend, oder vielleicht sogar mehr? Nach bisheriger Überzeugung kannte diese Zeit keinerlei schriftliche Quellen, wie können wir davon wissen?
Erstaunlicherweise gibt es umfangreiche schriftliche Text dazu, jedoch aus einer späteren Zeit, allerdings nur in Manuskripten in nordischer (altnorwegischer und altisländischer) sowie in altschwedischer Sprache aus dem 13. - 15. Jahrhundert, die sogenannte „Thidrekssaga“. Sie sind inzwischen durch mehrere Übersetzungen auch in deutscher Sprache zugänglich (siehe unter II, Übersetzungen der Thidrekssaga ins Deutsche).
Doch trotz des nordischen Sprachgewandes handelt es sich nicht um „Nordlandsagen“, sondern um Erzählungen aus dem noch nicht christianisierten Germanien, d. h. aus dem heutigen West- und Norddeutschland, ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. bis etwa zur Zeit Karls des Großen.
Alle früheren Manuskripte in niederdeutscher, dänischer und nordischer Sprache, die existiert haben müssen, sind offenbar unwiederbringlich verloren.
Die Texte, die erst ab der Mitte des 13. Jahrhunderts schriftlich festgehalten wurden, waren davor über viele Jahrhunderte mündlich von Generation zu Generation von zumeist germanischen Gefolgschaftssängern, den Skops, überliefert worden.
Seit dem frühen 19. Jahrhundert haben diese Texte großes Interesse bei den Skandinavisten und vor allem bei den deutschen Germanisten gefunden, allerdings haben diese fast ausschließlich „Dichtung“ oder „Literatur“ darin gesehen und die Möglichkeit historischer Spuren darin vernachlässigt oder falsch interpretiert. In den letzten Jahrzehnten ist an den Universitäten in Deutschland das Interesse an den historischen Inhalten dieses Stoffs, so gut wie erloschen. Historiker (Geschichtswissenschaftler) selbst haben diese Texte kaum je beachtet.
Dabei sind die Texte die einzige umfangreiche Überlieferung aus dem Frühmittelalter in Deutschland, die nicht durch Übersetzung ins Lateinische vom Christentum beeinflusst wurden. Sie erlauben daher einen unschätzbar wichtigen Blick in das Denken und Handeln von Menschen in Deutschland vor dem Einzug des Christentums. Das war die Zeit, in der sich allmählich das „deutsche Volk“ in Mitteleuropa bildete. Allein deshalb lohnt sich schon jede Mühe zu ihrer Erforschung.
Die Thidrekssaga, auch bekannt unter den Namen Wilkinensage und Dietrichs-Chronik, ist ein Sagen-Kompendium, oder wie andere meinen, eine Sagen-Kompilation3, die wohlgeordnet zusammengestellt ist und für sich ein Ganzes bildet. Sie bringt den Stoff des Nibelungenliedes, von Siegfried dem Drachentöter und den Nibelungen und deren Untergang, die Geschichten von Wieland dem Schmied, den Wilkinen und Rytzen und von Attala dem Hunenkönig; aber hauptsächlich von Dietrich von Bern, seinen Vorfahren und Verwandten, seinen Jugendabenteuern, seiner Vertreibung aus seinem Reich um die Stadt Bern, seinem Exil bei dem Hunenkönig Attala, seiner Rückkehr in sein Reich und schließlich von seinem Ende.
Verbunden damit sind viele Einzelgeschichten, wie von Drachen- und Riesenkämpfen, Brautwerbungen und Brautraub, dem Untergang der Harlunge, von Walter von Woskastein und Hildegunt und vieles mehr. Hunnen und Burgunder findet man, im Gegensatz zum Nibelungenlied, in der Thidrekssaga nicht, auch keine Ostgoten, wenn auch Aumlunge, dafür Hunen und Nibelungen.
Die Thidrekssaga spielt im Wesentlichen im Raum zwischen Maas und Westfalen, der Mosel und dem Raum um Xanten, jedoch nicht in Italien, Spanien, Griechenland, Konstantinopel etc.
Die Thidrekssaga liegt in mehreren überlieferten Schriftfassungen vor:
Im engeren Sinne entspricht ‚Thidrekssaga‘ (abgekürzt Ths) dem Text der sog. ‚Membrane‘ (abgekürzt Mb), eine Pergamentschrift aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die in Altnorwegisch gefasst ist, entstanden ist sie vermutlich in der norwegischen Stadt Bergen
Eine weitere Version liegt in der altschwedischen Handschrift aus dem 15. Jh. vor, die mit Sv abgekürzt ist und griffig ‚Svava‘ bezeichnet wird, auch wenn vermutlich Svensk (Schwedisch) damit gemeint ist
In Island entstanden im 17. Jahrhundert zwei Handschriften, deren Originale im Kopenhagener Stadtbrand 1728 vernichtet wurden; aber es gibt sehr gute Abschriften davon, die Papierhandschriften A und eine weitere Version B (abgekürzt: Is Hs A und Is Hs B)
Darüber hinaus gibt es noch die schwedisch/isländische Handschrift C und weitere Fragmente
Der Stoff dieser Handschriften wird hier in ihrer Gesamtheit ‚Thidrekssaga‘ genannt, ein Sprachgebrauch, der sich im ‚Dietrich von Bern-Forum‘ durchgesetzt hat. Die angeführten Handschriften erzählen den Stoff in etwa der gleichen Weise aber mit unterschiedlichem Umfang. Die wichtigen Handschriften Mb und Sv sind nicht vollständig erhalten, teilweise fehlen ganze Blätter oder sind beschädigt (sog. Lakunen), besonders Mb ist hiervon betroffen; ergänzt werden die Lücken in modernen Ausgaben der Ths, je nachdem, durch Texte aus Sv, Mb, oder aus Is Hs A bzw. B. Der sechste Band der ‚Forschungen zur Thidrekssaga‘: Zum Werdegang der Thidrekssaga. Neue Untersuchungen zur mündlichen und schriftlichen Überlieferung (2010) enthält hierzu detaillierte Informationen.
Übersetzungen der Thidrekssaga ins Deutsche
von der Hagen, Friedrich H.:
Die Thidrekssaga oder Didrik von Bern und die Niflungen
(1815/55); neu herausgegeben von Heinz Ritter-Schaumburg (St. Goar o. J. [1989]), im Wesentlichen Text der Membrane
Erichsen, Fine:
Die Geschichte Thidreks von Bern
(Thule Bd. 22, 1924), im Wesentlichen Text der Membrane
Ritter (Schaumburg) Heinz:
Die Didriks-Chronik, Didrik von Bern und die Niflungen
.(St. Goar 1989), Text der Svava
Hube, Hans Jürgen:
Thidreks Saga
(Neu-Übersetzung, 2009)
Im Vorgriff zu den nachstehenden Beiträgen werden folgend die verschiedenen in der Thidrekssaga genannten Völker aufgeführt.
Amelunge/Aumlunge, das Volk Dietrichs von Bern, am Mittelrhein und in der Bonner Umgebung ansässig
Svaverer, Beyerer, Ungerer, Torkerer, ein Völkerkoalition im Rheinland, kämpfte und verlor gegen die Amelungen unter Dietrichs Großvater Samson in der Schlacht bei Bern/Bonn
Friesen, bezeichnet das Volk des Hunenkönigs Attala, von dem er abstammte, Sitze unbekannt
Hunen, das Volk König Attalas, in Westfalen um Soest herum ansässig sowie teilweise im Sauerland und im Märkischen Land
Wilzen und Rytzen, Völker in Westfalen, benachbart den Hunen (keine slawischen, ostelbischen Wilzen bzw. osteuropäische Russen).
In der Thidrekssaga wird z.B. auch Poland genannt, das ist keineswegs das Land und das Volk an der Weichsel; oder Griechen, keineswegs Griechenland an der Ägäis. Diese Thematik ist von mir in verschieden Ausgaben des BERNERs besprochen worden4.
Das Thema Wilzen behandelt der dritte Band der ‚Forschungen zur Thidrekssaga‘: Die Wilkinensage (2006). Hier, in dieser Ausgabe der Forschungen zur Thidrekssaga, liegt der Schwerpunkt auf Hunnen, Hunen, Burgunder und Nibelungen.
1 Weinand, Karl: Kunstgeschichtliche Aspekte zur Thidrekssaga, in DER BERNER Nr. 58, Jg. 14 (2014) S. 15 ff; derselbe: Dietrich von Bern war nicht Theoderich der Große, in DER BERNER Nr. 58, Jg. 14 (2014) S. 34 ff.
2http://www.dietrich-von-bern-forum.de/was-sind-die-deutschen-heldensagen.html
3 Gerhard Reschreiter bezeichnet sie als montierter Text in: Die Þiðreks saga af Bern als montierter Text (Wien 2010).
4 Heft 17 (2004) S. 48-49: Waren die „Aumlungen“ Goten? Svaveren, Beyeren, Ungeren, Torkeren im Rheinland; Heft 26 (2006) S. 17-31: Fritila und benachbarte Orte der Thidrekssaga; Heft 34 (2008) S. 47-55: Historizität am Beispiel der Turkerer; Heft 37 (2009) S. 3-16: Sarmaten in Deutschland. Eine Bestandaufnahme der Ethnien in der Thidrekssaga; Heft 41 (2010) S. 21-28: Zum Thüringerproblem; Heft 50 (2012) S. 18-24: Über eine Zeit- und Ortsangabe in der Thidrekssaga (zu Griechenland in der Thidrekssaga).
Ulrich Steffens
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
Überblick zu den klassischen Historien
Sächsische Chroniken des 10./11. Jh.
Geoffreys Britanniengeschichte – 1136
Regensburger Kaiserchronik – 1150
Dänengeschichte des Saxo Grammaticus
Jakob Twingers »Teutsche Chronicke«
Die Baßler Bistumschronik – 1580
Geschichts-Literatur im 18./19. Jh.
Vorbemerkung
Die Hunnen5 der Zeitepoche ca. 370-540 waren ein schriftloses Volk, und sämtliche Belege, die wir über sie haben, stammen aus sekundären Quellen6. Die meisten der historischen Schriften findet man kommentiert im Online7 Portal „Monumenta Germaniae Historica“; digitalisiert bei www.dMGH.de.
Im folgenden Überblick zu Hunnenbezügen in geschichtlichen Schriften soll dargestellt werden, „was und in welcher Form“ – insbesondere in mittelalterlichen Chroniken – über »Hunnen« und ihre Zeit berichtet wird. So finden sich in den westlichen und nordischen Texten oft negative und in den südöstlichen Schriften häufig mehr positive Darstellungen der Hunnen.
Mit der Bezeichnung »Hunnen« sind – je nach Zeitepoche - Skythen, Awaren, Bulgaren, Ungarn oder gar Türken gemeint, und man findet z.B. bei Beda Venerabilis (731) auch den eindeutigen Hinweis auf die »westfälischen Hunnen«, die dort mit dem Volksstamm der Hattuarier zu identifizieren sind.
Diese Zusammenstellung kann nicht vollständig sein, sondern möchte nur einen allgemeinen Eindruck vermitteln, wie in den klassischen Historien und mittelalterlichen Chroniken die Thematik »Hunnen« behandelt ist.
Bei den frühen „Historien“ darf man keine – auf wertfreier Forschung beruhende - objektive Berichterstattung erwarten. Man muss berücksichtigen, dass die Autoren i.d.R. Kleriker waren und ihre Werke zweckbestimmt.
Die aus dem 7.-9. Jh. stammenden aengl. Heldenepen8 wie Widsith, Deor, Finnsburg, Beowulf, Waldere und das ahd. Hildebrandlied (~830) geben keine realen Informationen zum Hunnenbild.
In Cynewulfs „Elene“ (~800) findet sich der Anachronismus, dass Konstantin d. Gr. 312 gegen „Hunnen“ gekämpft haben soll. Wie J. Grimm9 (1840, S. 22) bereits ausführte, ist mit »Hunnen« der Inbegriff der „Barbaren“ verwendet worden: „Es scheint den Hunnen schon früh ein allgemeiner, halb mythischer Begriff anzuhaften“.
Die Grenze zwischen Sage / Legende und historischem Ereignis ist fließend, und fast immer ist eine mystisch-verklärte Stammes-Origo enthalten. Bei den nordischen Heldenliedern der Edda10 dürfte das Hunnenschlachtlied (→Hlöðskviða) von historischem Interesse sein. Mehrfach wird auch Sigurd als „hunnischer König“ (→an. Hunskr, Sigurðarkviða) benannt, und es wird von „hunnischer Kleidung“ – im Vergleich z. B. zu „welsch“ – gesprochen.
Neben den Hunnenbezügen in den allgemein bekannten Heldenliedern der Edda, der Thidrekssaga, dem Nibelungenlied und dem Waltharius gibt es auch viele christliche Legenden, die sich um Hunnen ranken. Eine solche ist die „Legende von S. Ursula11 und ihren 11.000 Gefährtinnen“, zu der sich in den betrachteten Schriften mehrere Bezüge finden lassen.
Die folgende Sammlung Hunnen-relevanter Bezüge in klassischen Welt- und Stammes-Historien (4.-10. Jh.), nationalen Volks-Chroniken (11.-13. Jh.) sowie regionalen Stadt-Chroniken (14.-18. Jh.) ist chronologisch geordnet:
I. Die klassischen Historien vom 4. bis zum 9. Jh.
a. Römische Geschichte des Ammianus Marcellinus (395)
b. Byzantinische Geschichte des Priskos v. Panion (474)
c. Gotengeschichte (Getica) des Jordanes (551)
d. Frankengeschichte von Gregor v. Tours (575) und Fredegar (642)
e. Englische Kirchengeschichte des Beda Venerabilis (731)
f. Langobardengeschichte des Paulus Diaconus (799)
II. Die Sächsischen Chroniken des 10./11. Jh.
g. Die Sachsengeschichte Widukinds v. Corvey (968)
h. Die Weltchronik der Quedlinburger Annalen (1025)
III. Geoffreys Geschichte der Britannischen Könige (1136)
IV. Die Regensburger Welt- und Kaiserchronik (1150)
V. Die Dänengeschichte des Saxo Grammaticus (1202)
VI. Die »Teutsche Chronicke« des Jakob Twinger (1386)
VII. Die oberdeutsche Baßler Bistumschronik (1580)
VIII. Allgemeine Geschichts-Literatur im 18./19. Jh.
Im Folgenden werden kurz die klassischen und zeitnahen Quellen des allgemeinen Hunnenbildes zusammengefasst. Auszüge mit Übersetzungen zu Ammian, Priskos und Jordanes finden sich bei Speyer12 (2007, S. 54ff.)..
A. Die Römische Geschichte des Ammianus
Ammianus13 Marcellinus († 395) war ein römischer Historiker. Seine „Römische Geschichte“ gilt als das letzte bedeutende lateinische Geschichtswerk der Antike. Die erhaltenen Teile umfassen die Jahre von 353 bis 378 und beschreiben die Zeit unmittelbar vor Beginn der großen Völkerwanderung.
Ammian ist Zeitzeuge des Hunnensturms um 375 und bezeichnet die Hunnen als die „schlimmsten aller Barbaren“. Seine Kenntnisse über die Hunnen beruhten wohl nicht auf eigener Erfahrung, sondern sind gotischen Ursprungs. Er schrieb die noch heute gültigen Vorurteile über die „Barbaren“, die bereits für Skythen14 galten, vgl. „Römische Geschichte“ (Lib. 31, 2):
Das
Volk der Hunnen
ist den alten Schriften nur wenig bekannt.
Es wohnt jenseits des Mäotischen Sees, nahe dem Eismeer (→Asowsches Meer), und lebt im
Zustand unbeschreiblicher Wildheit
.
Gleich nach der Geburt ritzen sie die Gesichtsbacken ihrer Knaben auf, damit Narben entstehen, um den Bartwuchs zu unterbinden.
Ihr gedrungener Leib mit festen Gliedern und einem großen Kopf gibt ihnen ein monströses Aussehen.
Sie kochen ihre gewürzlose Nahrung nicht, leben von Wurzelknollen und von - unter ihrem Sattel - mürbe gerittenem Fleisch.
Ihre Kleidung wechseln sie niemals. Sie besteht aus einem Leinenhemd, und einem Fellumhang. Um die Beine haben sie Ziegenfell gewickelt.
Das Schuhwerk ohne Maß und Form erlaubt ihnen nicht zu marschieren.
Auf dem Pferd verbringen sie ihr Leben
.
Sie lassen sich durch keine königliche Strenge führen, sondern begnügen sich mit improvisierter
Führung von Häuptlingen
.
Sie sind für schnelle berittene Bewegungen nur
leicht bewaffnet
.
Sie tauchen unerwartet auf und sind als die furchtbarsten aller Krieger zu nennen, weil sie im
Fernkampf mit Pfeilen
kämpfen (→Kompositbogen).
Im Falle eines Waffenstillstandes sind sie treulos, …, ständig leicht erregbar und geben sich ganz ihrer
triebhaften Raserei
hin.
Sie kennen
keine festen Wohnsitze
, sondern schweifen umher, ohne Haus, ohne Gesetz und ohne feste Lebensweise.
Wie Tiere kennen sie
keinen Begriff von Ehre
und Ehrlosigkeit, … und unterliegen
keinem Einfluss von Ehrerbietung vor einer Religion
.
Doch brennen sie von unmäßiger Begierde nach Gold.
Ammian beschreibt abschließend (Lib. 31, 12-16) noch zeitgenössisch die Schlacht von Adrianopel (378), bei der die Westgoten (→Theruingi) unter der Führung des Fritigern (†382) - im Verbund mit hunnischen Truppen - das oströmische Heer des Kaiser Valens (†378) vernichtend schlugen.
B. Reisebericht des Priskos von Panion
Der griechische Historiker Priskos (†474), geboren um 410 in Panion (Thrakien), verfasste in 8 Büchern eine Byzantinische Geschichte der Zeitepoche von 433-472. Mit einer oströmischen Delegation weilte er im Jahre 449 am Hunnenhof Attilas in Pannonien, und war somit direkter Augenzeuge Attilas und seiner Hunnen in deren Blütezeit.
Priskos‘ Bericht gilt als relativ authentisch. Sein Werk ist zwar nicht vollständig erhalten, wurde später jedoch vielfach erwähnt und z.B. als namentlich benannte Quelle von Jordanes (†552) in seiner Gotengeschichte zitiert. Das Bild, das Priskos in seinen Schriften zeichnete, war durchaus positiv, wobei er die Hunnen allerdings noch als Skythen (→Scythae) bezeichnete. Von Priskos haben wir eine Wegbeschreibung zu Attilas Residenz in der pannonischen Tiefebene, die nach archäologischen Erkenntnissen in der Nähe der ungarischen Stadt Szeged gelegen haben dürfte. vgl. Speyer (2007, S. 9).
Ausführlich berichtet Priskos von einem Gastmahl bei Attila sowie einem separaten Empfang bei dessen Frau Hereka (→Hercha/Helche), die selbständig repräsentierte und offensichtlich hohes Ansehen an Attilas Hof genoss.
Ferner erfahren wir von Attilas Beziehung zur oströmischen Kaisertochter Honoria, die ihm eine Ehe mit ihr angetragen hatte, sowie von Anlässen zu Attilas Zug nach Gallien mit der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern 451. Demnach lag erstens eine machtpolitische Rivalität mit dem römischen Heermeister Flavius Aëtius vor und zweitens ein Erbfolgekonflikt zweier Söhne des Frankenkönigs Chlodio (†447), in den Attila eingreifen wollte.
C. Die Gotengeschichte des Jordanes
Um das Jahr 520 hatte Theoderich d. Gr. den römischen Senator Cassiodor mit der Niederschrift einer Geschichte der Goten beauftragt. Dessen 12-bändiges Geschichtswerk ging allerdings verloren. In Kenntnis dieses Werkes verfasste der römisch-gotische Historiker Jordanes15 (auch: Jornandes, †552) um 551 eine eigene Gotengeschichte16 (→ Getica).
Die Bezeichnung »Getica« geht darauf zurück, dass Jordanes die Goten mit dem thrakischen Volksstamm der Geten identifizierte. Ferner ging Jordanes irrig auch davon aus, dass die Goten von den Skythen abstammten; eine Annahme, die in klassischer Zeit für alle östlichen „Barbaren-Völker“ galt.
Trotz vieler historischer Fehler gilt Jordanes‘ Getica immer noch als wesentliches Werk zur Geschichte der Goten. Auch stellt Jordanes wohl die ausführlichste Quelle zur Geschichte der Hunnen dar. Er übernahm zwar Ammians Negativbild der Hunnen, respektierte Attila jedoch als beherrschende Persönlichkeit seiner Zeit. Zu finden sind die ausführlichen Abschnitte:
[1] Herkunft der Hunnen (→Get. 24/121-128) – gemäß Ammian (†395) und Orosius17 (†418) – wonach die Hunnen von zauberkundigen gotischen Frauen abstammen, die in den Mäotischen Sümpfen ausgesetzt wurden und von dort nach Skythien gelangten (→ Hunnen-Origo).
[2] Beschreibung der Residenz und Hofhaltung Attilas in Pannonien (→Get. 34/178f.) gemäß Priskos (†474).
[3] Herkunft und Charakterisierung Attilas (→Get. 35/180-183), bei der z.B. die skythische Geschichte vom „Schwert des Mars“ erzählt wird.
[4] Attilas Zug nach Gallien und Schlacht auf den Katalaunischen Feldern (→Get. 36/187 und 41/218) gegen das Römerheer des Aëtius (†454).
[5] Attilas legendäre Begegnung mit Papst Leo I. (→Get. 42/219-224).
[6] Attilas Tod 453 (→Get. 48/252-258) in der Brautnacht mit der Germanin Ildico, den Jordanes als Folge eines Blutsturzes berichtet.
Schlacht am Fluss Nedao (→Get. 50/259-266), bei der Attilas Sohn Ellac starb, und die um 454 faktisch das Ende der Hunnenherrschaft bedeutete.
D. Die Frankengeschichte des Gregor von Tours
Die „Zehn Bücher Geschichte“ des Bischofs Gregor18 von Tours (*538; †594) ist eine Frankengeschichte19 und gehört zu den wichtigsten Geschichtsquellen des beginnenden Mittelalters und der frühen Merowinger-Zeit (5. - 6. Jh.).
Die ersten vier Bücher zur Frankengeschichte verfasste Gregor um 575. Insgesamt handelt es sich um eine Universalgeschichte von der Erschaffung der Welt bis zu den Merowinger-Königen des 6. Jh. Als Quellen dienten Gregor von Tours z.B. die Kirchengeschichte des Eusebius20 von Caesarea (†340), Paulus Orosius (†418) und Briefe des „Kirchenvaters“ Hieronymus (†420).
Im ersten Buch erfolgt die Schilderung der Zeit bis zum Tod des hl. Martin von Tours im Jahre 397, und im zweiten Buch wird die Zeit der ersten Merowinger-Könige bis zum Tod Chlodwigs im Jahr 511 beschrieben. Sehr ausführlich wird in den Kapiteln (II, 4-8) die Geschichte der Hunnen (→Chuni) mit Attilas Zug nach Gallien behandelt. Besonders erwähnt er die Belagerung und Zerstörung der Stadt Metz (II, 7) sowie Details zur Person Aëtius (II, 7).
Im Vierten Buch behandelt Gregor seine eigene Zeit bis zum Jahre 575. Hierbei schildert er in den Kapiteln (IV, 23) und (IV, 29) abermals „Hunnen“-einfälle, doch handelt es sich dabei um die Awaren.
Neben der Frankengeschichte Gregors von Tour (575) ist die sog. Fredegar-Chronik (658) als wichtige Quelle zur fränkischen Reichsgeschichte zu beachten. Sie berichtet vornehmlich bis zum Jahre 642 und verwendet als weitere wesentliche Quelle die Historia des Isidor21 von Sevilla (†624).
In der Fredegar-Chronik wird erstmals die fränkische Trojasage erwähnt, wonach die Franken von Trojanern abstammen. Berichtet wird ferner über fränkische Beziehungen zu Ländern Mittel- und Osteuropas, und als einzige unabhängige schriftliche Quelle überliefert Fredegar die Existenz des frühen Slawenreiches des Franken Samo (†658) im heutigen Mähren (CZ).
Fredegar (642; II,11) erzählt, dass der Frankenkönig Childerich (†482) einst, gemeinsam mit seiner Mutter, bei Hunnen gefangen gewesen und von seinem Gefährten Wiomad befreit worden sei. vgl. Gregor v. Tours (575; II, 9).
E. Die Altenglische Geschichte des Beda Venerabilis
Nach dem Rückzug der Römer aus Britannien um 406 begann dort eine „dunkle Zeit“, so dass aus dem 5.-7. Jh. kaum etwas Historisches überliefert ist. Erst der angelsächsische Theologe und Geschichtsschreiber Beda22 Venerabilis („der Ehrwürdige“, †735) behandelt in seiner „Kirchengeschichte des englischen Volkes“ von 731 die Altenglische Geschichte. Dieses Werk gilt als bedeutend, insbesondere da viele spätere Chronisten sich auf Beda beriefen. Neben klassischen Quellen benutzt Beda auch die Schrift „De Excidio Britonum“ (→Vom Untergang der Britannier) des Gildas23 Sapiens (†570). Hierbei handelt es sich allerdings weniger um Historie als um Predigten, in denen lediglich historische Ereignisse erwähnt sind. So liefert Gildas eine der ersten Beschreibungen des Hadrianwalls und erwähnt einen Brief der Britannier an den römischen Konsul Agitius (→Flavius Aëtius) mit der Bitte um Unterstützung gegen eindringende „Barbaren“, womit primär die Pikten gemeint sind.
1)Vermerk zu Attila, Blædla und Aëtius
Beda (731; Lib. I, Cap. 13) datiert den von Gildas genannten Hilfebrief an Aëtius auf das Jahr 446: "Die Barbaren treiben uns zum Meer, das Meer treibt uns zurück zu den Barbaren: zwischen diesen gibt es zwei Arten von Tod, wir werden entweder erschlagen oder müssen ertrinken". Beda erklärt Aëtius‘ Absage auf Unterstützung mit der Begründung:
„Weil er damals in gefährlichste Kriege mit Blædla und Attila, Könige der Hunnen (regibus Hunorum), verwickelt war. Und, obwohl im Jahr vor diesem, Blædla durch Verrat seines Bruders Attila ermordet worden war, blieb Attila selbst jedoch ein so gnadenloser Feind der Republik, dass er fast ganz Europa verwüstete, durch Invasion und Zerstörung von Städten und Burgen“.
Interessant ist, dass für Attila (→ae. Ætla, mhd. Etzel) die lateinische und für Bleda die altenglische Form Blædla (→mhd. Blôdlin) verwendet wird.
Bedas angelsächsische Geschichte (731) wird als Quelle insbesondere in den sächsischen Historien von Widukind v. Corvey (968) und in den Quedlinburger Annalen (1025) benutzt. König Alfred d. Gr. (†899) übersetzte Bedas Schrift ins Altenglische (→ „wið Blædlan ond Attilan Huna cyningum“).
2) »Hunnen« als Nachbarn der Friesen und Brukterer
Nachdem Beda über die von Papst Gregor d. Gr. (†604) ausgehende Christianisierung der Angelsachsen in Britannien berichtet hat, befasst er sich im 5. Buch mit der angelsächsischen Missionierung bei den Friesen und Alt-Sachsen. Zu den bekanntesten „Aposteln der Deutschen“ gehören: S. Suitbert (†713), S. Willibrod (†739) und S. Bonifatius (†755).
Beda (731; Lib. V, Cap. 9) berichtet für das Jahr 689 von einem Aufruf zur christlichen Missionierung „Germaniens“, da bekannt war, dass es im Herkunftsland der Angeln und Sachsen, „qui nunc Brittaniam incolunt“, noch viele Völker gebe, die noch niemals von der Verkündigung des Wortes Gottes gehört hatten: „Sunt autem Fresones, Rugini, Danai, Hunni, Antiqui Saxones, Boructuari“. Genannt sind damit die nordwest-germanischen Stämme:
„Das sind die Friesen, die Rugier, die Dänen, die Hunnen, die alte Sachsen und die Brukterer“.
Beda erwähnt somit den fränkischen Teilstamm der Brukterer zwischen Ruhr und Lippe sowie als Nachbarn einen Stamm der „Hunnen“. Im altenglischen Widsith24, das gleichfalls aus dem 7./8. Jh. stammen dürfte, wird neben Ætla Hunum (Z. 18) und þeodric Froncum (Z. 24) ein Hun Hætwerum (Z. 33) aufgelistet, wobei im Beowulf 25 die »Hetware« – und die Hūgas/Chauken – als Verbündete und Nachbarn der Friesen genannt werden.
Nach diesem Fürsten Hun könnte durchaus auch sein Volk der Hætwaren als Huninge, Hunen oder Hunnen benannt sein. vgl. die Dänengeschichte, Teil V.
Bei den »Hetware« handelt es sich um den westgerm. Stamm der Hattuaren (lat. Chattuarii) in der heutigen Region Westfalen an Ruhr, Lippe und im Münsterland. Sie waren direkte Nachbarn der Friesen und der Brukterer, die später gleichfalls zum Stammesbund der Rheinfranken gehörten. Nach ihnen sind der ostfränkische Hattuariergau und z.B. die Stadt Hattingen benannt.
Beda widmet dem angelsächsischen Missionar Suitbert (†713) einen eigenen Abschnitt. Suitbert gilt als Gründer des Klosters auf der Rheininsel Kaiserswerth und wird als Heiliger verehrt, um den sich mehrere Legenden ranken. S. Suitbert missionierte auch genau bei den Brukterern und Hattuaren, in deren Gebiet es im 7./8. Jh. immer wieder zu blutigen Übergriffen feindlicher Sachsen – bei deren Vorstößen in Richtung Rhein – kam.
F. Die Langobardengeschichte des Paulus Diaconus
Paulus Diaconus (→Paul Warnefried; *724, †799) war ein langobardischer Mönch, Gelehrter und Historiker26. Er verfasste eine 16-bändige Römische Geschichte (→Historia Romana)27 und gehörte von 782-787 zum direkten Beraterkreis Karls d. Gr. in Aachen. Ab 787 erarbeitete er im kulturell bedeutenden Kloster Monte Cassino eine Geschichte der Langobarden (→ Historia Langobardorum)28. Sein unvollendetes 6-bändiges Werk, das auch die römische und fränkische Geschichte berücksichtigte, reicht bis zum Jahr 744.
Neben anderen klassischen Werken benutzte Paulus Diakonus auch Beda Venerabilis, Gregor von Tours und Fredegar sowie weitgehend mündliche Überlieferungen der Langobarden, wie deren Herkunftsgeschichte29 (→Origo Gentis Langobardorum). Trotz der subjektiven Darstellung stellt Paulus Diaconus die wichtigste Quelle zur Langobardengeschichte dar. Die Historia Langobardorum wurde von späteren Geschichtsschreibern vielfach benutzt.
In der „Historia Romana“ – Besprechung bei Bauch30 (1873) – wird relativ ausführlich die Geschichte Attilas und der Hunnen berichtet. So stammt z.B. von Paulus Diaconus die Legende der Umkehr Attilas aus Italien 452 nach einem Treffen mit Papst Leo (HR: XIV, 12). Danach habe Attila seinen Beratern nach der Begegnung mit Papst Leo erzählt, dass er neben dem Papst einen anderen Mann im Priestergewand „von majestätischer Gestalt und ehrwürdigem Alter“ (→ hl. Petrus) gesehen habe, der ihn „mit gezücktem Schwert in Händen“ mit dem Tode bedroht habe, falls er nicht abzöge.
In der „Historia Langobardorum“ – deutscher Text bei Spruner31 (1838) und Abel32 (1849) - wird auch der Begriff »Hunnen« verwendet, doch sind die Awaren gemeint, die um 565 in Pannonien als Nachbarn der Langobarden auftauchten und letztlich um 568 deren Auszug nach Italien verursachten: „Alboin schloß ein festes Bündnis mit den Awaren, die anfangs Hunnen genannt worden sind“, vgl. (I, 27), und besiegte mit deren Hilfe die Gepiden. „Hierauf überließ Alboin Pannonien seinen Freunden, den Hunnen“ (II, 7).
Der Stamm der Sachsen stellte im 10. Jh. die deutschen Könige Heinrich I. und Otto I. d. Gr., der ab 962 Kaiser des römisch-deutschen Reiches war. Infolge der wachsenden Bedeutung der Sachsen als Volk bestand folglich die Notwendigkeit einer „Geschichte der Sachsen“.
Quedlinburg war zur Zeit der römisch-deutschen Kaiser aus dem sächsischen Herrschergeschlecht der Ottonen ein kulturelles Zentrum in Europa. Hier entstand bis 1025 eine sächsische Weltchronik (→ Quedlinburger Annalen).
G. Die Sachsengeschichte des Widukind v. Corvey
Der vermutlich aus sächsischem Hochadel stammende Widukind (†973) war Mönch, Gelehrter und Historiker im kulturell bedeutenden Kloster Corvey.
Widukind von Corvey ist der Verfasser der ersten Sachsengeschichte33 (→ Res gestae Saxonicae). Das Werk ist wegen seiner prosächsischen Tendenz und aufgrund zweifelhafter politischer Aussagen in seinem historischen Wert umstritten, stellt jedoch die zentrale Quelle für die frühottonische Zeit dar.
Seine Klosterfassung der „Sachsengeschichte in drei Büchern“ widmete Widukind 968 Mathilde, der Tochter Kaiser Ottos d. Gr. und Äbtissin des Quedlinburger Stifts. Als Chronik beschreibt die Sachsengeschichte die Ungarnzeit mit der großen Ungarnschlacht 955 und reicht bis zum Tod Ottos I. (†973).
Widukind beschreibt die Herkunftslegende der Sachsen, die als Nachkommen des Heeres von Alexander d. Gr. aus Makedonien stammen sollen. Detailliert erzählt er die Iringsage vom Feldzug des Frankenkönigs Thiadrich (→Theuderich, †533), Sohn des Huga (→Chlodwig, †511), gegen die Thüringer. Zur Zeit Karls d. Gr. (†814) spricht Widukind (968; I, 17) von den „Awaren, die wir nun Ungarn nennen“ (→ Avares, quos modo Ungarios vocamus), und erklärt: „Wie manche glauben, waren die Awaren Reste der Hunnen (→reliquiae erant Hunorum)“. Danach fährt Widukind (968; I, 18) fort:„Die Hunnen sind von den Goten, die Goten sind von der Insel Sulza (→ Scanzia), wie Jordanis erzählt, ausgegangen“. Anschließend erzählt Widukind die Hunnen-Origo gemäß Jordanes (551), vgl. Getica 24/121ff.
H. Die Weltchronik der Quedlinburger Annalen
Die Quedlinburger Annalen34 bieten neben einer Weltchronik eine aktuelle Darstellung der Jahre von 984 bis 1025. Die frühen Chronisten hatten das Problem, schriftlich vorliegende Historien mit (lokalen) mündlichen Überlieferungen zu kombinieren. In der Quedlinburg-Chronik finden sich viele Anachronismen, denn man hat offensichtlich „sagenhafte“ Bezüge als reale Geschehnisse betrachtet und entsprechende zeitliche Ungereimtheiten mit historischen Ungenauigkeiten kompensiert.
Der Quedlinburger Chronist folgt zunächst der altenglischen Geschichte Bedas bis zur angelsächsischen Besiedlung Britanniens (449) und nennt als zusätzliche Referenz das Konzil von Chalcedon (451). Danach datiert er den Tod von Attilas Bruder »Bleda« (gemäß Beda: Blædla, mhd. Blôdlin), der jedoch von Beda tatsächlich mit 445 angegeben wurde. vgl. Beda (731; I,13).
So ist in den Annalen (1025) für Attila (→†453) als Todesjahr 532 angegeben, wodurch er folglich Zeitgenosse des Ostgoten Theoderich (→†526) wird. Dasselbe Jahr 532 wird außerdem als Regierungsbeginn des Frankenkönigs Theuderich35 (→†533) genannt, der jedoch unmittelbar nach dem Tod seines Vaters Chlodwig (→†511) erfolgte.
In den Annalen wird deutlich eine Verbindung des historischen Ostgoten Theoderich zum Sagenhelden „Dietrich von Bern“ aufgezeigt. Es heißt dort in Bezug auf Theoderich, den König der Ostgoten, dass er »Amulung« (→Amulung Theoderic) genannt werde, weil sein Ahnherr »Amul« hieß. Als Anmerkung ist eingefügt, der genannte Theoderich sei »Thideric de Berne«, von dem einst das Volk gesungen habe (→de quo cantabant rustici olim). Dies ist die erste Bezeichnung als »Dietrich von Bern«, obwohl die Anmerkung selbst als spätere Einfügung gilt. Die Herkunft des Attributs »de Berne« bleibt unklar, insbesondere da im Text »Berne« steht und nicht »Verona«.
Die Annalen berichten für die Zeit nach 451 (Bledas Tod!): Ermanarich (→†375!), Herrscher aller Goten, habe - nach dem Tod seines einzigen Sohnes Friderich - seine Neffen Embrica und Fritla aufhängen lassen. vgl. die Harlungensage. Und dass er auch seinen Neffen Theoderich - auf Betreiben seines anderen Neffen Odoaker - aus Verona vertrieben und zu Attila ins Exil gezwungen habe (→de Verona pulsum apud Attilam exulare coegit).
Die Annalen versuchen ganz offensichtlich – aufgrund damals bekannter Dietrichlieder – eine historische Zeitgenossenschaft von Ermanarich mit Theoderich und mit Attila zu konstruieren. Dazu gehört die erkennbare Absicht, den Ostgoten Theoderich mit »Dietrich von Bern« zu identifizieren36.
Es heißt weiter in den Annalen: Theoderich habe mit König Attilas Hilfe (→Attilae regis auxilio) sein Gotenreich zurückerobert. Er habe seinen Vetter Odoaker in der Stadt Ravenna besiegt, ihn allerdings nicht getötet, sondern ihn - auf Intervention Attilas (→interveniente Attila) - ins Exil geschickt und ihn mit einigen Dörfern am Zusammenfluss von „Elbe und Saale“ belehnt.
Das klingt sehr seltsam und lässt sächsische Ortssagen vermuten, eventuell inspiriert durch die Nachbarschaft der Bernburg (Saale)!
Theoderichs Todesdatum geben die Annalen nun sehr detailliert an, dass er am 98. Tag nach dem Tod von Papst Johannes (†18.05.526) einen plötzlichen Tod starb. Diese Angaben entsprechen der Schulhistorie, nach der Theoderich am 30.08.526 starb.
Anachronistisch jedoch wird der Tod Attilas für das Jahr 532 (!) angegeben und es heißt: „Attila, rex Hunorum et totius Europae terror, a puella quadam, quam a patre occiso vi rapuit, cultello perfossus, interiit."
Attila, der König der Hunnen und der „Schrecken in ganz Europa“, sei von einem Mädchen, das er dem dabei ermordeten Vater mit Gewalt raubte, mit dem Dolch durchbohrt worden und daran gestorben. Jordanes (Get. 49/254) beschrieb Attilas Tod noch als Folge eines „Blutrauschs“; zwar in der Brautnacht mit dem Mädchen »Ildicó«, doch ausdrücklich ohne deren Schuld.
Die „Franken“ werden allerdings nicht gänzlich unterdrückt, denn mit Bezug auf o.g. angebliches Todesjahr Attilas 532 berichten die Annalen anschließend über den Regierungsbeginn des Frankenkönigs »Hugo Theodoricus« (→Hugdietrich) als Konkubinensohn Chlodwigs (→Chlodovei regis filius ex concubina natus). vgl. Gregor v. Tours (575; III, 1ff.): → Theuderich (†533).
Den Beiname »Hugo« deuten die Annalen als »Franke«, weil „einst“ alle Franken »Hugonen« geheißen hätten, nach ihrem einstigen Herzog Hugo: „quia olim omnes Franci Hugones vocabantur a suo quodam duce Hugone“. Dies ist wohl als Hinweis auf eine Abkunft von den „Chauken“ zu verstehen.
Die Annalen stimmen hier mit der Sachsengeschichte Widukinds von Corvey (968) überein und überliefern gleichfalls die »Iringsage«. vgl. GvT (III, 7f.).
Geoffrey von Monmouth (†1154), ein britischer Theologe und Historiker, schrieb seine Geschichte der Könige Britanniens 37 (→Historia Regum Britanniae) um 1136. Es handelt sich um eine Chronik der keltisch-britischen Könige, die mit Troja in Homers Ilias beginnt und bis ins 7. Jh. führt.
Geoffrey bezieht sich auf die Historia des Nennius38 (830) und führt die Legenden über Hengist und Horsa sowie über König Artus39 detaillierter aus.
Geoffreys „Geschichte“ ist historisch als unzuverlässig zu bewerten, gilt jedoch als wichtige Quelle englisch-walisischer Überlieferungen, zumal sich Geoffrey auf walisische Chroniken beruft, die selbst verloren gegangen sind.
Es ist historisch umstritten, ob in Britannien auch Hunnen auftraten. Möglich ist natürlich, dass hunnische Hilfstruppen dort im römischen Heer dienten. Bei Geoffrey (1136; II, 1-2 und V, 9 – VI, 3) wird von »Hunnen« berichtet:
Die Historia beginnt mit Brutus von Britannien, einem Trojaner, der als Ahnherr aller Briten bezeichnet wird. Nach seinem Tod teilten sich seine drei Söhne das Reich: Albanactus (Schottland/Albania), Kamber (Wales/Kambria) und Locrinus (Rest→Loegria). vgl. Geoffrey (1136; Lib. II, Cap. 1).
Zu dieser Zeit landete Humber, König der Hunnen (→Rex Hunnorum), in Albania / Schottland. Beim Eindringen der Hunnen in Schottland wird Albanactus getötet, und in einer folgenden Schlacht gegen Locrinus kommt Humber in dem Fluss um, der nach ihm benannt sei. vgl. (II, 1-2).
Anmerkung: der Name Humber erinnert an den Hunnenkönig Humli aus dem sog. Hunnenschlachtlied (→Hlöðskviða), vgl. Krause (2010, S. 243-256).
Im Hinblick auf Belege für das Auftreten von »Hunnen« sind die Abschnitte (V, 9–VI, 3) interessant. Berichtet wird von Hunnen im römischen Britannien des 4./5. Jh. und eine Begebenheit erzählt, die an die „Legende von der hl. Ursula“ erinnert. vgl. die Chroniken der Städte Basel und Köln in Teil VII. Berichtet wird die Zeit des weströmischen Usurpators Maximus (383-388), britischer Abstammung, der seinen gallischen Herrschersitz in Trier hatte:
Maximian (→ Magnus Maximus, ~385) will sich nicht mit der Herrschaft über Britannien begnügen, sondern seine Herrschaft auf ganz Gallien ausdehnen. Er besetzt mit seinem Heer die Bretagne, und lässt 100.000 Männer und Frauen aus Britannien kommen um dort zu siedeln. Außerdem lässt er eine Schutztruppe von 30.000 Soldaten zurück. Dieses Land übergibt er Conanus, dem Neffen des keltisch-britischen Königs und seinem Rivalen um den britannischen Thron. Um Blutmischung zu verhindern, bittet Conanus den Herzog von Cornwall Dionotus, ihm seine „außerordentlich schöne“ Tochter und weitere Frauen zu senden. vgl. Nennius (830, §27).
Unter Führung seiner – bei Geoffrey nicht benannten – Tochter reisen 11.000 adlige Jungfrauen und 60.000 Frauen niederer Herkunft von London über die Themse per Schiff auf See in Richtung Bretagne. Unterwegs gerät die Flotte in einen Sturm und wird an die gallisch-germanische Seeküste abgetrieben. Die überlebenden Frauen geraten dort in die Hände von Hunnen und Pikten. Wegen ihrer Schönheit werden die Frauen von diesen begehrt, aber getötet, wenn sie sich nicht gefügig zeigen. vgl. Ursula-Legende in Teil VII.
Die Hunnen, unter ihrem König Wanius (→Guanius), und die Pikten, unter deren König Melga, waren vom römischen Kaiser Gracian (†383) zur Bekämpfung Maximians angeworben worden. Da Britannien selbst von Heeresmacht entblößt ist, fahren Wanius und Melga mit ihren Mannen nach Schottland und stoßen von dort mordend und brandschatzend nach Süden vor. Maximian entsendet ein 2 Legionen starkes Heer, das die Hunnen und Pikten nach Irland vertreiben kann. Maximian selbst wird zwischenzeitlich in Rom von Anhängern des Kaisers Gracian getötet. vgl. Nennius (830, §29).
Die Hunnen und Pikten – sowie verbündete Schotten, Norweger und Dänen – dringen von Irland aus wieder in Britannien ein. Eine von den Briten zu Hilfe gerufene römische Legion verjagt die „Barbaren“ in Richtung Schottland. Da die Römer sich endgültig aus Britannien zurückziehen wollen, fordern sie die Briten zur Selbsthilfe auf und lassen von ihnen in Northumbrien einen (neuen?) Wall errichten. vgl. Gildas (570, §18) und Nennius (830, §30).
Nach Abzug der Römer stürmen die „Barbaren“ den Wall und dringen wieder in Britannien ein. Die Briten wenden sich mit einem verzweifelten Hilferuf vergeblich an den obersten römischen Feldherrn Agicius (→ Flavius Aëtius). vgl. Gildas (570, §20) und Beda (731; I, 13); siehe Abschnitt (I, E).
Anschließend wird die Geschichte des Britenführers Vortigern berichtet, der 449 die „Sachsen“ unter Hengist und Horsa zu Hilfe rief. Geoffrey (VI, 15) schildert dabei das Salisbury-Massaker (→„Nacht der langen Messer“, 450), bei dem britisch-keltische Adelige durch Hengists Sachsen niedergemetzelt wurden (→„Nimet oure saxes“). vgl. auch Nennius (830, §46).
Die „Kaiserchronik“ ist eine um 1150 in Regensburg verfasste Chronik, bestehend aus 17283 - in frühmittelhochdeutscher Sprache - gereimten Versen. Diese Kaiserchronik40 ist die erste bedeutende deutschsprachige Geschichtsquelle. Es wird angenommen, dass mehrere Verfasser an der Chronik mitgewirkt haben, evtl. auch der „Pfaffe“ Konrad, Verfasser des um 1170 ebenfalls in Regensburg entstandenen „Rolandliedes“, da es hierzu Bezüge gibt.
Es handelt sich um eine „Weltchronik“, in der mittels einzelner Episoden und Legenden die Geschichte der römischen und deutschen Kaiser erzählt wird. Obwohl historische Ereignisse oft sehr „frei“ behandelt sind, stellt die Kaiserchronik eine wichtige Quelle für spätere Geschichtswerke dar. vgl. die „Teutsche Chronicke“ (1386) des Jakob Twinger von Königshofen (Teil VI).
I. Ezzel und der »alte Dieterîch« von Mêrân
Im Kap. 34 der Kaiserchronik wird die Geschichte des oströmischen Kaisers Zenon dargestellt, der von 474 - 491 faktisch römischer Gesamtkaiser war. Die Hunnen-Epoche ist mit Attilas Tod (†453) bereits beendet; in Zenons Zeit fällt jedoch der Aufstieg des Gotenkönigs Theoderich d. Gr. (*454, †526).
Die Kaiserchronik berichtet, vgl. Herwig41 (2014; Kap. 34), V. 13825-13900:
Zênô von Criechen (→ Zenon v. Griechenland) ist römischer Kaiser geworden und ernennt Êcîus (→ Aëtius, †454!) zu seinem Stellvertreter in Rôme.
Damals soll ein Fürst in Mêrân42 gelebt haben, geheißen der »alte Dieterîch«, ein durch und durch ehrbarer Held, vgl. V. 13840ff.: „ain vurste was dô ze Mêrân, gehaizen was er der alte Dieterîch, ain helt bevollen erlich“.
Zeitlebens habe sich Dieterîch geweigert, „Ezzelen man“ (Etzels Vasall) zu werden. Deshalb überzog Etzel eines Tages das Land Mêrân mit Heeresmacht, nahm Dieterîch „liute unde lant“ und beraubte ihn folglich „sînes erbes“. Dieterîch entkam und floh „ze Lancparten“ (→ Lombardei). Dort „gewan der alte Dieterîch ainen sun hêrlîch, den kuonen Dietmâren“.
Nach Dieterîchs Tod fügte es sich, dass Ezzel „in sîn selbes plute“ erstickte.
Daraufhin zog Dietmâr gegen Mêrân und nahm es (wieder) in Besitz. Ezzels Söhne „Plôdel unde Frîtele“ sammelten ein großes Heer „von Ruizen unde von Pôlân“. Es kam zur Schlacht, vgl. V. 13899-13902:
„dâ wart der Hûne magen (Hunnenkrieger), aller maist gar reslagen. Ezzelen sune gelâgen dâ tôt bêde. die Hûne gevorderten den cins da niemer mere“.
Anmerkung: Vermutlich ist hier die letzte Hunnenschlacht 454 am Fluss Nedao (vgl. Get. 50/259ff.) gemeint, bei der Attilas Sohn Ellac starb. Die Lokalisierung dieses Flusses ist unklar, wird aber in Pannonien angenommen.
Kurz darauf wird Dietmâr ein „kebeseling“ (Bastardsohn) geboren, genannt der »junge Dieterîch«. Der Bezug zu »Berne« ist jedoch nirgendwo erwähnt!
J. Der »junge Dieterîch« und die Rabenschlacht
Die Kaiserchronik erzählt anschließend die Geschichte vom »jungen Dieterîch« als Geisel am Hofe Zenons in »Greken«, vgl. V. 13901-13940:
Nun zieht Kaiser Zenon gegen Dietmar, da ihm dieser zu mächtig wurde. Dietmar lenkt jedoch ein und „sînen sun gab er dar ze gîsel, den jungen Dieterîchen. man vuort in dô ze Criechen“. Dort am Hofe Zenons in Griechenland (→Oströmisches Reich!) wird Dieterîch fürstlich erzogen, und „der kaiser enphalch im sînen van“; er steigt also zu Zenons Bannerführer auf.
Anachronistisch ist die folgende Erzählung, in der Zenons Regent Aëtius die Rolle des Verräters spielt: „der rihtare Êtîus gespotte der chuniginne“. Er wird deshalb verfolgt und verbündet sich mit Ôtacher (→Odoaker, †493), dem Fürsten „ze Stîre“ (→Steiermark). Die beiden erobern Lancparten, und Ôtacher wird in Rôme zum „kunich“ erhoben. Dieterîch stellt ein Vielvölkerheer zusammen und zieht gegen Ôtacher und Êtîus. Es kommt zur Entscheidungsschlacht „vor der burch ze Rabene“ (→Stadt Ravenna), in dessen Verlauf Dieterîch erst Êtîus und am Ende auch Ôtacher erschlägt, weil der ihn öffentlich als „geborn von ainer kebese“ schmäht. vgl. V. 13943-14131.
K. Verschriftlichung gegen mündliche Tradition
Es scheint im 9.-12. Jh. sogar bei Kirchenfürsten eine gewisse Begeisterung für volkstümliche Heldensagen gegeben zu haben. Dazu zählen insbesondere Sagenelemente zu Amalung Theoderic, wie sie in den Quedlinburger Annalen ausgedrückt sind: „Thideric de Berne, de quo cantatant rustici olim“.
Die Geschichte der Hunnen – und insbesondere Attila selbst – wurde dabei stets unmittelbar mit den Dietrichsagen verknüpft (→Attala et Amalung).
Belegt sind mehrere Briefe des Bamberger Domscholasten Meinhard43, in denen er die „Höfischen Erzählungen“ (fabulae curiales) monierte, mit denen sich auch höhere Kleriker unter Vernachlässigung ihrer geistlichen Pflichten beschäftigten. So klagt Meinhard 1061 seinen Bischof Gunther von Bamberg an, dass dieser niemals an die Kirchenväter Augustinus und Gregorius denke, sondern sich „semper ille Attalam, semper Amalungum et cetera“ beschäftige. Interessant ist hier sicherlich die Benennung »Attala« statt der sonst gebräuchlichen Schreibweise »Attila«, und mit »Amalung« ist wohl der »Amulung Theoderic« der Quedlinburger Annalen gemeint (→ Thideric de Berne).
Ausgehend von den Quedlinburger Annalen (1025) entstanden im 11./12. Jh. mehrere bedeutende Chroniken wie die Würzburger Chronik (1055), die „Chronicon Universale“ des Frutolf »von Michelsberg« (†1103) sowie deren Überarbeitung und Fortsetzung durch Ekkehard von Aura (†1125).
Frutolf bezieht sich auf Jordanes‘ Gotenschichte (551) und weist darauf hin, dass die volkstümlichen Erzählungen44 (→vulgari fabulatione), die sogar in „gewissen“ Chroniken (→in quibusdam cronicis) enthalten seien, historisch nicht stimmten. Hierzu gehöre, dass Ermanarich (†375), Attila (†453) und Theoderich (†526) keinesfalls Zeitgenossen gewesen seien. Der einflussreiche Bischof Otto von Freising schreibt in seiner Weltchronik45 (1145), dass über Theoderich vieles „im Volke erzählt“ werde, das historisch falsch sei.
Die Kaiserchronik (1150) folgt dieser Tradition und straft dabei die Dietrichsage – nach der Dietrich direkter Zeitgenosse Attilas gewesen sei – sogar in
scharfer Form als „Lüge“ ab: „Swer nû welle bewaeren, das Dieterîch Ezzelen saehe, der haize daz buoch vur tragen“. vgl. V. 14176-14178.
Die Chronik vermerkt nämlich, dass Chunic Ezzel im Jahre 453 „ze Ovene wart begraben“ (→Ofen, Budapest) und Dieterîch erst „79?“ Jahre später „ze Vulkân wart begraben“ (526): „daz saget daz buoch vur wâr“ (Z. 14190).
Die vornehmlich klerikalen Chronisten bewerteten den „Wahrheitsgehalt“ einer Aussage folglich danach, ob sie in einem „Buch“ verzeichnet sei. Für die lateinisch Gebildeten gehörte die mündlich überlieferte Heldensage (→anstößiges Gesinge der Laien) einer „unteren“ Gesellschaftsschicht an.
Die von dem Theologen und Historiker Saxo Grammaticus (*1140; †1220) verfasste 16-bändige Dänengeschichte46 (1202) (→Gesta Danorum) verbindet nordische Mythen und Heldensagen der Edda als „Taten der Dänen“ mit historischen Ereignissen.
Saxo (1202; Lib. V) berichtet von den „Großtaten“ des Dänenkönigs Frodo (an. Frōði; ae. Frōda), dem Sohn des Frīdleif und Vater des Healfdene; vgl. die Ynglinga/Scyldinga Saga. Erzählt wird von Froðos Grenzkrieg mit Hún, dem König der „Húnen“ (→Hun, rex hic Hunorum erat; Lib. V, Cap. 7.03).
Das beschriebene Hun[n]enheer ist gewaltig, und die Erzählung ist nicht wirklich nachvollziehbar, weil teilweise Elemente des Hunnenschlachtliedes (→Hlöðskviða) erkennbar sind; doch es gibt eindeutige Bezüge zum niederdeutschen Raum. Den entscheidenden Sieg gegen das Hun[n]enheer erringt Froðo, indem er zur Unterbindung des húnischen Nachschubs eine Flotte zur Elbe (→classe in Albiam) sendet. Hún wird von Froðo besiegt und fällt in der Entscheidungsschlacht. Anschließend wird dessen (gleichnamigem) Bruder Hún das Reich der „Sachsen“ (→Saxonia; V, 7.13) als Lehen übertragen. Gemäß Saxo sind die Dänen damit unter Froðo zur „Großmacht“ aufgestiegen, deren Einfluss im Westen bis an den Rhein reichte (→ad occasum Rheno flumine limitatum erat).
Wie in Kap. (I, E) dargestellt, berichtete Beda (731; V, 9) für 689 vom Aufruf zur Missionierung im Herkunftsland der Angelsachsen. Er nannte die Völker: „Friesen, Rugier, Dänen, Hunnen (→Hunni), Alt-Sachsen und Brukterer“.
Im Widsith-Gedicht (7./8. Jh.) ist ein „Hun Hætwerum“ (Z. 33) aufgelistet, und im Beowulf sind die »Hetware« – wie die Hūgas/Chauken – als Verbündete und Nachbarn der Friesen genannt. Bei diesen Hætwaren handelt es sich um den germ. Stamm der Chattuaren (→Hattwaren) als unmittelbare Nachbarn der Friesen sowie der Brukterer und der Chauken47 (→Weser-Sachsen).
Die Húnen/Hunnen könnten einerseits nach ihrem Fürsten Hún benannt sein; da andererseits das Húnaland sowohl Gebiete der Hattwaren als auch der Hūgonen (→Chauken, lat. Chauci/Hauci, germ. *Hauhos: die »Hohen«48) umfasste, sind möglicherweise mit den »Húni« auch die „Hūgni“ gemeint.
Es ist nicht mehr rekonstruierbar, was „einst“ über „Dieterich und Ezzelen“ so alles „im Volke erzählt“ wurde und wer „Thideric de Berne“ eigentlich gewesen ist. Es gibt jedoch frühdeutsche Quellen, die versuchen, zwischen den Gegensätzen mündlicher Überlieferung (Sagen) und schriftlicher Fassung (Historie) zu vermitteln. Als solche „Interpolation“ gilt die sog. »Deutsche Chronik« von 1386 des Straßburger Kanonikers Jakob Twinger (†1420).
Twingers Chronik umfasst in drei Kapiteln die Weltgeschichte (1386) und in zwei weiteren Kapiteln (bis 1414) die Geschichte Straßburgs und des Elsass. Zahlreiche Handschriften bezeugen die Bekanntheit seines Werkes, siehe die Fassungen von Schilter49 (1698, S. 87ff.) und Hegel50 (1870, S. 374ff.). Als Quelle nutzt Twinger die Universalchronik51 des Ekkehard von Aura (†1125).
L. Von den Gothen und Hûnen
Nach dem Tode des römischen Kaysers Theodosius (†395) regierten seine beiden Söhne Archadius (→Ostreich, †408) und Honorius (→Westreich, †423). Rufinus (→oströmischer Feldherr, †395) intrigierte gegen Archadius
und rief die „Gothen und Hûnen“, wurde jedoch „enthoubet und sin houbet uf die mure gesteckt, das iederman möhte sehen“.
Also „koment die Gothen und Hûnen, das ist ein heidensch volg, gein Italia, das ist in welsche lant bi Rome, und gewunnent Rome und zerstörtent die stat Rome.“ … (→Eroberung Roms durch Westgoten, Alarich, †410) … „donoch fürent sü gein Pulle (→Apulien) und gein Calbria“ … „das noment sü do für sich und verwüstetent die lant. und do sü von Rome schiedent, do fürtent sü des keysers swester mit in enweg.“ und „der Gothen künig Archap (→Athaulf, †415) nam sü zu der e“.
Danach „noment die Gothen und Hûnen gros gut von den von Rome unde mahten mit in einen friden“ und „fürent durch dütsche und welsche lant und gewunnent vil bi alle stette an dem Ryne und an der Dunowe, Mentze, Kölle, Strosburg und andere stette, und gewunnent in Frangrich die houbestat Barys, Reuse (→Reims), Tungers und vil andere stette“. …
Beim nachfolgenden „gros strit“ (→Schlacht auf den Katalaunischen Feldern, 451) wird Aëtius nicht genannt: „Do noment die Römer zu helfe Dütschen, Walhen und Franzosen und meniger hande volg die vormols geschediget worent … geflohen in Lamparten oder zu andern herren“ und „strittent do mit den Gothen und Hûnen also grymekliche, das zu beiden siten erslagen wart uf hundertwerte und drittigwerte tusent man“ … „do fluhent die Gothen und Hûnen die do lebendig worent bliben, wider in Ungernlant mit irme künige Attila“. … → „Gothen und Hûnen“ werden als ein Volk betrachtet!
Es folgt Attilas Zug „in Lamparten und in Italiam“, … „und gewan die grossen stette Ageleye, Bicencie, Berne, Meygelon … Padouwe … und vil andere stette“ ... Auf dem Weg nach Rom kommt es zur Begegnung Attilas mit Papst Leo, und es wird die – wohl von Paulus Diaconus (787; HR: XIV, 12) stammende – Legende erzählt, wie der „heilge bobest Leo“ den „heideschen künig Attila“ durch Gebet zur Umkehr zwingt. Daraufhin „für Attila wider heim gein Ungern“. …
Zum Tode von Attila berichtet Twinger: „Attila … starp donoch zehant des gehen todes. des frowete sich der keyser zu Constantinopel und alle künige, wan sü von ime vil geschedigent wurdent“. Und da „künig Attila gestarp, do kriegetent sine süne und vil herren under sime volke umb das künigrich“.
M. Aufteilung des hunnischen Machtbereichs
Zur Aufteilung des Königreiches kommen Attilas Söhne und seine bisherigen Unter-Könige überein: „Also verhergetent sü sich selber, das sü sich deileten von einander in menige lant“: → Ungarn, Britannien, Spanien und Italien.
„ein teil bleip zu Ungern und mahtent einen künig under in, … ein teil für in Britanien do nu Engenlant ist … ein teil für in Spangenlant … ein teil in Italiam … und mahte iedes teil einen künig under in“. … „also ist manig künigrich von disen Gothen und Hûnen ufgestanden …“.
N. Die „Geschichte“ des Dieterich von Berne
Twinger schreibt weiter nach Attilas Tod: „Do wart Dietmar Diederichs von Berne vatter über ein teil disses volkes [Gothen und Hûnen] ein künig und mahte friden mit dem keyser zu Constantinopel“. Erwähnt sind blutige Auseinandersetzungen mit seinem Bruder Witmaro, „der ouch dis volkes ein künig was“ und schließt diesen Abschnitt mit „donoch hielt er friden mit den Römern und den andern künigen“.
Dietmars Nachfolger als König in Ungarn-Pannonien wird 484 „sin unelich sun“ Dieterîch, „wie doch er sin bastart was“.
Genannt ist auch »Odaker, Ottacker « (→ Odoaker), „der ouch ein künig was über ein teil des vorgenanten bösen volkes, der für durch Italiam gein Rome und gewan es“. Dieterich bekämpft ihn im Auftrage des oströmischen Kaisers Zenon, belagert ihn drei Jahre in dessen Hauptstadt Ravenna, erobert sie, erschlägt Odoaker und wird 493 „herre über Rome und über ganz Italiam“.
Mit offensichtlichem Bezug auf die Schrift-Sage-Diskussion unterscheidet Twinger einen „historischen“ Kern und „erlogene“ Sagenelemente:
„Doch sit Dieterich von Berne, von dem die geburen singent und sagent, ist ein künig ouch gewesen über ein teil dis volkes der Gothen und Hûnen, derumb will ich etwas von ime sagen, das do in den bewerten büchern von ime ist geschriben“; … und fährt bzgl. der „sagenhaften“ Elemente fort:
„Aber wie her Dieterich von Berne und sin meister Hiltebrant vil wurme und drachen erslŭgent und wie er mit Ecken dem rysen streit und mit den querchen und in dem rosegarten, do schribet kein meister in latyne von, dovon habe ich es für lügene“.
Nichts wird berichtet von Dietrichs Vertreibung durch Odoaker, auch keine Schlacht bei Verona erwähnt, sondern Berne nur als bevorzugter Wohnort genannt: „Dirre vorgenante Dieterich von Berne was 31 jor künig und herre zu Italia und zu Rome und wonete dicke zu Berne: dovon gewan er den nammen von Berne, wie doch er was us Ungern geborn us der Gothen geslehte.“
Die Auffassung, dass Theoderich d. Gr. und »Dieterich von Berne« identisch seien, hat sich allgemein seit dem 12. Jh. im süddeutschen Raum festgesetzt:
„Dise vorgeschriben rede von Dieterich von Berne schribet Eusebius von Cesaria in sinre Croniken und in historia Lombardorum“.
Gemeint sind wohl die „Universalchronik“ des Ekkehard von Aura (†1125), die sich ihrerseits auf die Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea (†340) berief, und die Langobardengeschichte des Paulus Diaconus (†799).
O. Vermerk zur Legende von der hl. Ursula
Im Kap. II, 48 (S. →) findet sich zur Zeit der beiden Kaiser Marcian (→Ostrom, 450-457) und Valentinian (→ III., Westrom, 425-455) eine kurze Anmerkung zur Ursula-Legende: „Bi iren ziten wurdent die elf tusent megede gemartert zu Kölle von den Gothen und Hûnen, von den dovor ist geseit“.
Weder Namen noch Umstände sind hier bei Twinger genannt, doch die Regierungsdaten der genannten Caesaren weisen auf das Jahr 451, während dieses Ereignis bei Geoffrey von Monmouth (1136) auf ca. 385 hindeutet.
Im Laufe des Mittelalters und der frühen Neuzeit (13.-17. Jh.) entstanden in den „teutschen Landen“ viele regionale Chroniken52. Insbesondere wird dabei die Weltchronik des Sigebert53 von Gembloux (†1112) als historische Quelle benutzt, die faktisch im Jahre 381 beginnt und eine Fortsetzung der Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea (†340) darstellt.
In den sächsischen und bayrischen Stadt-Chroniken wird meistens sehr ausführlich die Zeit der Ungarn-Einfälle (9./10. Jh.) beschrieben, wobei meistens der Begriff „Hunnen“ statt „Ungarn“ benutzt wird. In den rheinischen und alemannischen Chroniken steht mehr die Zeitepoche (4./5. Jh.) der Hunnen Attilas im Mittelpunkt. Berichtet wird jeweils von „barbarischen“ Belagerungen und Zerstörungen ihrer Städte, aber es finden sich auch lokale Legenden.
Exemplarisch seien die Stadtchroniken von Basel54 und Köln55 betrachtet, da sich hier eine interessante Hunnen-Erzählung findet, nämlich Hinweise auf die Kölner „Legende von der Hl. Ursula und ihren 11.000 Gefährtinnen“.
Die Ursula-Legende besagt in Kurzform, vgl. Melchers (1965, S. 685ff.):
Die christliche Königstochter Ursula soll einen heidnischen Fürsten heiraten. Ursula macht ihre Einwilligung vom Rat des Papstes abhängig. Begleitet von 11.000 Jungfrauen als Gefährtinnen begibt sie sich zu Schiff auf eine Wallfahrt nach Rom. Auf der Rückfahrt über den Rhein geraten die Pilgerinnen bei der Stadt Köln in die Hände hunnischer Belagerer der Stadt.
Der heidnische Fürst der Hunnen will die schöne Ursula verschonen, sofern sie ihn heiratet. Ursula lehnt jedoch aus Glaubensgründen ab und fordert ihre 11.000 Gefährtinnen auf, mit ihr für das christliche Köln zu sterben. Alle folgen Ursula in den Märtyrertod. Daraufhin wird Köln durch Gottes Fügung vor der Einnahme verschont. Zu den Gefährtinnen der hl. Ursula zählen auch die weiteren Kölner Stadtheiligen: hl. Cordula, hl. Aukta und hl. Odilia.
Es gibt verschiedene Varianten dieser Legende, und entsprechend soll dieses Ereignis in den Jahren 238, 308 oder 385 stattgefunden haben. Häufig wird sogar der Hunnenkönig Etzel selbst genannt, der Köln einnehmen will und die schöne Ursula begehrt. Dieses Ereignis wird auf das Jahr 451 datiert
P. Bericht über Attilas Kriegszug nach Gallien
Kap. V beschreibt die Zeit des Kaysers Honorius und des „fürnehmen Graf“ Stilico:„Umb das 400 iar nach Christi Geburt seind betrübte zeiten und schreckliche Läuffe gewesen“. Wobei „erstlich die Francken im jar 404 mit Pharamundo ihrem König auß Teutschlandt auffbrachen“ und sich „in der Trierischen gegne niderliessen“. … Um das Jahr 406 seien „Occidentische Völcker“, nämlich „Alanen, Wenden, Schwaben und Burgundier … in mechtiger anzal mit grosser beschedigung auß ihren Erblanden in Galliam zohen, dadurch die Francken auffgetrieben, widerumb in ihr alt heimwesen hinüber weichen mußten“. … „Von den erstgemelte Völckern zohen die drey vorderen, im 411 jar, in Hispanien, letstlich im jar 430, über Meer in Africam“.
Von den Burgunden, die ansonsten auch kaum genannt werden, wird für 430 berichtet, dass sie „um Autun, Mascon, Schalun und Bisantz“ ein eigenes Königreich errichteten. „Sigebertus setzet ihre Bekehrung in das 433 Jahr“. Berichtet wird weiter z.B. von "Alaricus, der Wisigothen König" und von den Francken, die um 431 das „Landt umb Tongren und die Some in Gallia“ einnahmen, sowie besonders von der Landnahme der Alemannier um 440.
Ausführlich wird „König Etzels wütiger Streit und Landsverhergung“ (451) berichtet, dass der „blutdurstige Tyrann Attila oder Etzel, der Hunnen König“ „mit fünf mal hundert tausend Wäpnern, von Scythen, Hunnen, Gepidis, Quadis, Marcomannis, und andern fremden Völckern, aus der Ungarischen Gegne durch heutig Schwaben heraufzoge“. Dieses „rauhe barbarische Kriegsvolck“ zog mit „Plünderung, Brand, Mord, Zerstörung“ „von Constantz bis für Straßburg hinab“, „gleich einem rasenden wilden Thier“ „weder Land noch Leute“ verschonend. … Es wird vermerkt:
Die „Könige Sigmund und Gundarich zu Burgund“ wurden „in der gegne, da jetzt Basel steht“ geschlagen und seien „geflüchtiget“. … „Da nun der bluttrieffende Landtfraß Attila wol in Franckreich hinein kommen, und alles was ihm am Wege gewesen, gleich einem strengen Waldtwasser darnider gestossen, die Statt Rheims geschleiffet, und auch schon Orleans belagert: hat sich Aetius, der Römische Statthalter, mit Dietrichen der Visigothen, Merouro der Francken, und Gundarich der Burgundiern Könige, verbunden" und „mit ihrer Hilf dem grausamen Feind dermassen entgegen gezogen, daß er von der Belegerung abweiche, und sich widerumb zuruck auf Schaluner Heid begabe". … „Alda erhube sich ein ernstliche und blütige Schlacht, darinn bey 180000 Mann todt blieben, und Attila“ … „den Sieg verlore, jedoch durch die einfallende Nacht etwas Schirms bekam“ … „demnach wider auß dem Land entweichen mochte: da er abermals am Heimzug, was er zuvor aufrecht gelassen, zorniger weise zu vollem in Grund richtet".
Q. Baßler Bezüge zur S. Ursula-Legende
Im Kap. VIII der „Bistums Historien“ diskutiert Wurstisen (1580) ausführlich die „S. Urseln Legend“, da sie „viel Zweifels, oder doch Zugeflickts“ habe:
1. Ein Begleiter S. Ursulas und ihrer „Gespielschaft von 11000 Mägden“ soll ein früher Bischof von Basel namens S. Pantalus, gebürtig aus Britannien, gewesen sein. „Die Colmarische Chronick weiset aus, daß er enthauptet worden seye, und nachgehender Zeit sein Haupt von einem Abt gen Basel … zugeschickt worden“. Der Chronist weist hierzu aus, dass dies keinesfalls um 238 – wie in dieser Version angegeben – gewesen sein kann.
2. Wahrscheinlicher sei die Version bzgl. 451: „Dieselbige setzen, Sigebertus, Otho Frisingensis, Bonfinius, und andere in die Zeit des wütigen Streits Attilä, der sich … im 451 Jahr zugetragen, dann allda seyen diese Bilgrinen von den Hunnen, deren Fürst Julius damals Cöln belagert, mit sammt Pabst Cyriaco, der sie von Rom heraus bis dahin begleitet, gemartert worden“.
3. Mit der Überschrift „S. Ursuln Historie etwas gründlicher und gläublicher“ und dem Hinweis auf englische Quellen führt der Chronist aus: „