HUNT – Kein Weg zurück - Jochen Frech - E-Book

HUNT – Kein Weg zurück E-Book

Jochen Frech

5,0

Beschreibung

EIN AUTO. EINE FRAU. DATEN, DIE DEN SICHEREN TOD BEDEUTEN. "Als ich mich umdrehte, stand sie plötzlich vor mir. Wie ein Geist, aber doch ganz aus Fleisch und Blut. Unversehrt und mit ihrem süßesten Lächeln im Gesicht." Alexander 'Lex' Caviazel lebt nach einem Motto: Alles oder nichts! Der mittelmäßig erfolgreiche Surf-Profi träumt seit Jahren davon, sich in der Weltspitze zu etablieren. Auf der Rückfahrt nach einem Weltcuprennen vom Gardasee nach Köln streikt der Motor seines gelben Bullis. Notdürftig repariert, aber unter der Bedingung, dass der Motor nicht mehr abgestellt werden dürfe, fährt er los. Bei einem Tankstopp mit laufendem Motor wird plötzlich die Beifahrertür aufgerissen. Die wortgewandte und attraktive Liechtensteinerin Marie bittet ihn darum, sie ein Stück mitzunehmen. Gemeinsam setzen sie ihre Fahrt fort. Doch schon bald lässt Marie die Maske fallen und klärt Lex über ihre wahre Identität und ihren Daten-Diebstahl in einer Liechtensteiner Bank auf. Sie hat einen USB-Stick entwendet, auf dem sich die Daten von über dreißigtausend Steuersündern befinden, mit dem sie einen groß angelegten Coup geplant hat. Es beginnt eine scheinbar ausweglose Odyssee kreuz und quer durch Europa, immer auf der Flucht vor einer Meute internationaler Polizisten und brutalen Gangstern. Die beiden kommen sich näher und nach einer waghalsigen Überfahrt auf einem Containerschiff nach Montevideo beginnen Marie und Lex gemeinsam, die betroffenen Steuersünder um hohe Geldbeträge zu erpressen. Auf vermeintlich sicherem Boden agierend wächst ihr Vermögen in astronomische Höhe. Aber dann geschieht das Unaussprechliche und Lex verliert sich in einer ambivalenten Mischung aus Wut und Trauer … "Ein rasanter, atemloser Thriller der Extraklasse!" - Bestsellerautor Alexander Hartung. 

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Jochen Frech

HUNT – Kein Weg zurück

Thriller

 

Über das Buch

Als ich mich umdrehte, stand sie plötzlich vor mir.

Wie ein Geist, aber doch ganz aus Fleisch und Blut.

Unversehrt und mit ihrem süßesten Lächeln im Gesicht.

Alexander ‚Lex‘ Caviazel lebt nach einem Motto: Alles oder nichts! Der mittelmäßig erfolgreiche Surf-Profi träumt seit Jahren davon, sich in der Weltspitze zu etablieren. Auf der Rückfahrt nach einem Weltcuprennen vom Gardasee nach Köln streikt der Motor seines gelben Bullis. Notdürftig repariert, aber unter der Bedingung, dass der Motor nicht mehr abgestellt werden dürfe, fährt er los.

Bei einem Tankstopp mit laufendem Motor wird plötzlich die Beifahrertür aufgerissen. Die wortgewandte und attraktive Liechtensteinerin Marie bittet ihn darum, sie ein Stück mitzunehmen. Gemeinsam setzen sie ihre Fahrt fort.

Doch schon bald lässt Marie die Maske fallen und klärt Lex über ihre wahre Identität und ihren Daten-Diebstahl in einer Liechtensteiner Bank auf. Sie hat einen USB-Stick entwendet, auf dem sich die Daten von über dreißigtausend Steuersündern befinden, mit dem sie einen groß angelegten Coup geplant hat.

Es beginnt eine scheinbar ausweglose Odyssee kreuz und quer durch Europa, immer auf der Flucht vor einer Meute internationaler Polizisten und brutalen Gangstern. Die beiden kommen sich näher und nach einer waghalsigen Überfahrt auf einem Containerschiff nach Montevideo beginnen Marie und Lex gemeinsam, die betroffenen Steuersünder um hohe Geldbeträge zu erpressen. Auf vermeintlich sicherem Boden agierend wächst ihr Vermögen in astronomische Höhe. Aber dann geschieht das Unaussprechliche und Lex verliert sich in einer ambivalenten Mischung aus Wut und Trauer …

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

 

Copyright © 2022 by Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

 

1. Auflage 2022

 

Lektorat: Dr. Rainer Schöttle

Korrektorat: Herwig Frenzel

Satz/Layout: Alin Mattfeldt

Umschlaggestaltung: Alin Mattfeldt

Umschlagmotiv: © Volkswagen Aktiengesellschaft, Aleix.G.U. / Shutterstock

E-Book: Mirjam Hecht

 

Druck: Booksfactory

Made in Germany

ISBN: 978-3-948346-59-1

 

 

Widmung

Für L.M.

Zitat

„Jedes Spiel sieht fair aus, wenn alle Teilnehmer gleichermaßen betrogen werden.“

Stephen King

Inhalt

Über das Buch

Impressum

Widmung

Zitat

Song

Intro

Song

Illusions

Song

Today

Song

The Other Day

Song

Before

Song

The Other Day

Song

Before

Song

The Other Day

Song

Before

Song

The Other Day

Song

Before

Song

The Other Day

Song

Today

Song

The Other Day

Song

Before

Song

The Other Day

Song

Before

Song

The Other Day

Song

Before

Song

The Other Day

Song

The Other Day

Song

Yesterday

Song

Before

Song

Today

Song

The Other Day

Song

Illusions

Der Autor Jochen Frech

Neun Fragen an … Jochen Frech

Das Hörbuch: „HUNT – Kein Weg zurück“

Song

I wish I, gave a fuck

Livin’ like I got nine lives but I ain’t (Ain’t)

I’m sorry if I did you wrong

’Cause I don’t know where I’m going

 

Ramzoid – 9 Lives

Intro

Man sagt, Katzen hätten sieben Leben. Die Engländer behaupten sogar, es wären neun, weshalb ich die britische Version bevorzuge. Ich heiße Alexander Caviazel. Nicht wie James, der berühmte Schauspieler, der sich in der Mitte mit einem e schreibt. Meine Schwester prahlte beharrlich damit, dass wir und dieser Schönling gemeinsame rätoromanische Vorfahren hätten.

Unter uns gesagt, auf so einen Scheiß gab ich nie etwas.

Meine Kumpel und eine Handvoll Journalisten nannten mich Lex. Ich bin Surf-Profi, oder war es. Ganz wie man es betrachtet. Ansonsten gibt es nicht allzu viel über mich zu erzählen. Vielleicht noch dies: In den zweiunddreißig Jahren meines bisherigen Lebens habe ich mehr als die Hälfte meiner Resets bereits verbraucht. Die der englischen Redensart, versteht sich.

Vielleicht auch nur vier.

Aber das ist eine andere Geschichte.

Song

I stood at the bottom of some walls

I thought I couldn’t climb

I felt like Cinderella at the ball

just running out of time

So I know how it feels to be afraid

And think that it’s all gonna slip away

Hold on, hold on

 

SMASH – Crazy Dreams

Illusions

In dem Traum, der sich beinahe jede Nacht in meinen Schädel schleicht, brettere ich nach einem gestandenen No-Hand-Backloop auf die Tribünen am Strand zu. Ich sehe, wie die Zuschauer mit weit aufgerissenen Augen von ihren Plätzen aufspringen, als ob eine brennende Boeing 747 im Sturzflug auf sie zuhalten würde. Ich stelle mir die Gesichter der Kampfrichter vor, wie sie die Köpfe schütteln über die Dummheit, einen sicheren Weltcupsieg mit einem entbehrlichen Manöver so leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Warum nehme ich nicht die Hände vom Rigg und beende den Contest mit einem simplen, aber halbwegs spektakulären Flaka Diabolo?

Mein Vorhaben ist der reinste Wahnsinn.

Größenwahn. Raserei.

Oder eine Mischung aus allem.

Mittlerweile schätze ich meine Geschwindigkeit auf knapp siebzig Stundenkilometer, und mich trennen nur noch etwa hundert Meter von den Zuschauern, von denen die ersten panisch die Tribünen verlassen, weil sie glauben, ich würde tatsächlich wie ein Selbstmordattentäter in die Menge rasen. Ich presse meine salzigen Lippen aufeinander und hoffe verbissen auf das Wunder.

Eine Welle. Einen Brecher.

Nichts Gewöhnliches.

Eine Big Wave, die in der Lage ist, mich in den Himmel zu schießen, in eine Höhe, die es mir ermöglicht, etwas zu tun, was noch keinem zuvor gelungen ist. Mein Trainer würde mir jetzt zurufen, dass ich atmen und die Schulterblätter replatzieren sollte.

Aber ich kann nicht.

Weder atmen.

Noch entspannen.

Stattdessen verkrampft sich mein Körper, wird zu einer Einheit mit dem Hundert-Liter-Board und dem Sieben-Quadratmeter-Segel.

Alles oder nichts.

Noch sechzig Meter.

Die Wasseroberfläche ist jetzt hart wie Beton. Der auflandige Wind bläst wie ein Berserker und drängt mich unerbittlich auf das Ende aller Hoffnungen zu.

Das Brett unter meinen Füßen stöhnt wie ein Stier, dem der Matador im letzten Akt der Corrida mit dem Degen den Todesstoß verpasst.

Lange wird das Material dieser ungeheuren Belastung nicht mehr standhalten.

Noch dreißig Meter.

Plötzlich passiert es. Ohne jedes Zutun.

Der ohrenbetäubende Schlag einer Welle katapultiert das Brett senkrecht in die Höhe. Eine horrende Energie schleudert mich der Sonne entgegen.

Aller Lärm weicht augenblicklich einer beängstigenden Stille.

Alles geschieht von selbst.

Der Triple-Loop. Der dreifache Salto.

Ich habe keine Angst.

Ich spüre gar nichts mehr und weiß, dass dies der großartigste Moment in meinem Leben sein wird.

Peng!

An dieser Stelle reißt der Film.

So abrupt, als hätte jemand den Stecker des Projektors aus der Wand gerissen. Die grellen Bilder weichen einer bleischweren Dunkelheit, in der ich schweißgebadet nach einem Ausgang taste, den schalen Geschmack von warmem Champagner im Mund und das Gefühl, auf der Stelle kotzen zu müssen.

Eines Tages werde ich den Traum zu Ende träumen.

Eines Tages werde ich herausfinden, ob ich es geschafft habe.

 

Song

Yesterday

All my troubles seemed so far away

Now it looks as though they’re here to stay.

 

The Beatles – Yesterday

Today

Halleluja!

Jedes Mal, wenn ich so einem gottverdammten Pfaffen begegne (und davon gibt es in Südamerika eine ganze Menge), kommen mir unweigerlich die Bilder meiner Beerdigung in den Sinn. Der wolkenverhangene, asbestgraue Himmel über dem Gräberfeld des Kölner Südfriedhofs. Die düster dreinblickenden Menschen, wie sie sich vornübergebeugt im Halbkreis um den Sarg versammelt haben, die Hände unbeholfen zum Gebet gefaltet, den Kopf mit diesem Hundeblick zur Seite geneigt. Einige haben tatsächlich geflennt. Verlogenes Pack.

Der Pfaffe fing mit dem üblichen Schönreden an, das nicht im Entferntesten etwas mit meinem Leben zu tun hatte. Hinzu kam die abgeschmackte Beschreibung meines plötzlichen und unbegreiflichen Dahinscheidens. Warum glauben diese Gottesmenschen immer, alles erklären zu müssen? Ich finde, das Bodenpersonal des Allmächtigen wird von Tag zu Tag miserabler. Egal. Zugegeben, meine Eltern und ein paar meiner besten Kumpel, Lenny, Chris, Rob und Marty (eigentlich Martin, aber wir fanden, dass er Michael J. Fox in Zurück in die Zukunft verblüffend ähnlich sah), mit denen ich Wochen zuvor noch auf Achse gewesen war, taten mir leid. Wenn ich es richtig gesehen hatte, musste Robert – dem gewöhnlich die Sonne aus dem Hintern schien – von einem Rettungssanitäter betreut werden.

Armer Rob, tut mir echt leid.

Ist ja auch blöd, wenn einer in diesem Alter einfach so von der Bildfläche verschwindet. Aber schließlich konnte (oder wollte) ich nichts mehr daran ändern, und zwischenzeitlich habe ich mich weitestgehend damit abgefunden, nicht mehr unter den Lebenden zu weilen. Jedenfalls nicht mehr derjenige zu sein, der ich einmal war. Ach so – Valentina, meine Ex-Verlobte, hätte mir natürlich auch leidgetan, aber sie hat die Trauerfeier boykottiert, war ja klar. Hätte ich nicht anders gemacht. Blöd nur, dass ich ihr und meinen Kumpel die ganze Misere nicht mehr erklären konnte.

Verdammt! Ich will einfach nicht mehr daran denken. Funktioniert aber leider nicht. Wenn nur der Pfaffe endlich aus meinem Blickfeld verschwinden würde. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass das menschliche Gehirn diametral auf das Wort „nicht“ reagiert: Schließen Sie die Augen, und denken Sie nicht an einen rosafarbenen Elefanten. Und? Klappt nicht, stimmt’s?

Fuck!

 

Song

Seven stars, seven days

Seven sins, seven gates

Seven angels, seven skies

Seven sins, seven lives

Seven towers, seven lives

Seven wonders, seven lives

Traces, many faces,

lost in the maze of time …

 

Enigma – Encounters

 

The Other Day

Der Regen schlug derart wütend gegen die Windschutzscheibe, dass ich jeden Augenblick damit rechnete, sie würde in tausend Stücke zerbersten. Als ob eine aufgebrachte Menge Demonstranten mich ohne Unterlass mit faustgroßen Steinen bewerfen würde. Ein Mob jenes Elements, das ich für gewöhnlich allen anderen um Längen vorzog: Wasser.

Aber in diesen Augenblicken brachte mich der monsunartige Niederschlag beinahe um den Verstand. Ich war müde und hatte Kopfschmerzen. Seit Stunden kämpfte ich gegen den Schlaf und den zähen Drift der Blechlawine, aus der es kein Entrinnen gab. Warum führte ein Unwetter mittlerer Größenordnung (denn mehr war es in Wirklichkeit nicht) stets zu einem solchen Chaos auf den Straßen Europas? Jedes Jahr die gleiche Verwirrung beim ersten Wintereinbruch. Im Ernst, der Wettersturz war bei Weitem nicht so dramatisch, als dass man nicht wenigstens hätte sechzig fahren können. Aber die Tachonadel meines alten VW-Busses tänzelte seit Stunden zwischen null und zwanzig hin und her. Hinzu kam seit dem Anstieg zum San-Bernardino-Pass das hässliche Warnlicht der Reservelampe. Ich beschloss, mein Glück nicht länger zu strapazieren und vor der nächsten Raststätte den Blinker zu setzen. Fünf Stunden Stop-and-go waren definitiv genug. Ich musste dringend etwas essen, ein paar Liter Sprit in den Tank füllen und wenigstens drei Koffeintabletten einwerfen. Der Gedanke an den Halt und den Umstand, dass eine längere Pause nicht infrage kam, verschlechterte meine Laune auf Schulnote fünf bis sechs.

Am Vormittag war die verdammte Karre nicht angesprungen. Der Mechaniker in der Werkstatt in Torbole brachte den Motor zwar von lauten Flüchen begleitet zum Schnurren, ermahnte mich aber väterlich, ihn auf keinen Fall mehr abzustellen. Keine leichte Übung, wenn man die Nacht zuvor mit seinen Surfschülern durchgefeiert und schlappe neunhundert Kilometer vor sich hatte. Aber ich musste zurück nach Köln, Valentina würde sonst vollends durchdrehen. Bestimmt lag zur Begrüßung wieder eine ihrer To-do-Listen auf dem Küchentisch. Bei der Vorstellung, dass ich ihr dieses Mal die Hälfte des Preisgelds auf den Tisch knallen würde, musste ich grinsen: zwölfeinhalbtausend Euro! Dafür konnte ich mir eine Menge freie Zeit kaufen.

Komisch, jedes Mal, wenn sie bei einem meiner Weltcuprennen zu Hause blieb, schaffte ich eine gute Platzierung. Grund genug, die Beziehung zum hundertsten Mal infrage zu stellen. Eigentlich war es offensichtlich: Valentina und ich passten null Komma null zusammen. Ihrer Meinung nach war ich ein hoffnungsloser Draufgänger und würde mit meinem Sport nie eine Familie ernähren können. Wenn es nach ihr ginge, sollte ich meine Surfbretter (und damit mein Leben) an den Nagel hängen, einem ordentlichen Beruf nachgehen und zu guter Letzt um ihre Hand anhalten, damit wir endlich so eine spießbürgerliche Hochzeit veranstalten könnten wie der Rest unseres Freundeskreises. Und nicht zu vergessen: Kinder in die Welt setzen. Weil es seit geraumer Zeit kein anderes Thema mehr gab, weder im Kreis der Familien noch bei Treffen mit Bekannten, ja nicht einmal mehr am Stammtisch.

Verdammter Scheiß!

Ganz anders war es auf dem Wasser. Die Nase im Wind und die Hände am Rigg, am liebsten bei Windstärken über fünfzig Knoten, wenn die meisten Greenhorns ihr Zeug längst zusammengepackt hatten.

Manchmal fragte ich mich, was mich damals geritten hatte, Valentina ein zweites Date vorzuschlagen.

So wie jetzt, während dieses dämlichen Unwetters auf dieser beschissenen Schweizer Autobahn zwischen Chur und wer weiß wie weit ich mittlerweile gekommen war. Am liebsten hätte ich auf der Stelle kehrtgemacht und wäre so lange in Richtung Süden gebrettert, bis ich es vor lauter Hitze nicht mehr hinterm Steuer ausgehalten hätte. Irgendwohin, wo es genügend Wind gab und ein endloses Meer zu meinen Füßen. Dabei kamen mir die Kapverden in den Sinn, wo ich vorhatte, mich nach meiner Karriere häuslich niederzulassen. Hauptsache weit genug weg von all den Spießern in meinem Leben, meiner pedantischen Verlobten und dem ganzen damit zusammenhängenden Ärger, der vermutlich jenes Quäntchen ausmachte, das mir den Durchbruch in die absolute Weltspitze versperrte. Ich wollte die Sache mit Valentina so rasch es ging beenden, hatte aber nicht die geringste Ahnung, wie ich das anstellen sollte.

In dem Moment, als ich den Bulli auf die Ausfahrt einer Raststätte lenkte, wurde ich von einer so mächtigen Windböe erfasst, dass das Fahrzeug, wie von einer unsichtbaren Faust getroffen, wieder auf die Autobahn zurückgeschleudert wurde. Irritiert trat ich auf die Bremse und schaffte es gerade noch, den Wagen wieder auf die Abbiegespur zu schaukeln. Der Nordwind war jetzt so stark, dass ich, nachdem ich vor der Zapfsäule geparkt hatte, nicht in der Lage war, die Fahrertür mehr als einen Spaltbreit zu öffnen. Ich kletterte auf der anderen Seite aus dem Bus, füllte den Tank bei laufendem Motor und marschierte mit einem unguten Gefühl in die Verkaufsräume, wo ich von einer Geräuschkulisse empfangen wurde, die mich an das Chaos auf dem Indira-Gandhi-Flughafen in Neu-Delhi erinnerte. Kinder stopften sich auf dem Boden sitzend ihre Pommes in rot-weiß-verschmierte Mäuler. Es roch nach Schweiß und ranzigem Fett, und das gesamte Restaurant war bis auf den letzten Stuhl mit übellaunigen Gestalten gefüllt. Ich sah zu, diese Arche Noah der Sturmgeschädigten so schnell wie möglich zu verlassen, nahm mir eine Handvoll Essbares und zwei Flaschen Cola aus dem Regal und drängte zum Ausgang.

„Wollen Sie etwa bei dem Wetter weiterfahren?“, fragte mich die Kassiererin.

„Muss“, entgegnete ich, ohne die geringste Lust, mich auf einen Small Talk einzulassen. Ich schnappte mein Wechselgeld und machte mich auf den Weg nach draußen.

„Na dann, gute Fahrt“, rief sie mir hinterher. „Und passen Sie auf!“

Manchmal hege ich den Verdacht, dass mich die Leute aufgrund meiner langen Haare mit einem Sozialarbeiter vom Typ Retter der gebrochenen Herzen verwechseln. Vielleicht sollte ich mir ein fieses Tattoo auf die Stirn stechen lassen.

Der Wind schlug mir hart ins Gesicht. Auf den Betonplatten der Rastanlage tanzten Getränkedosen Boogie-Woogie. Ich beeilte mich, zurück in den Bus zu kommen, und ärgerte mich sogleich darüber, dass ich meine Fotoausrüstung auf dem Beifahrersitz zurückgelassen hatte. Die Nikon bedeutete mir viel, nicht zuletzt, da ich hin und wieder ein paar Bilder an Surfmagazine verkaufte und die Kamera mir damit einen lukrativen Nebenverdienst bescherte. Valentina wusste davon nichts und würde es auch nie erfahren.

Ich stellte die Heizung auf volle Pulle und lenkte den Wagen auf eine Sperrfläche vor ein Zufahrtstor für Beschäftigte, an dem zwei überdimensionale Halteverbotsschilder prangten. Ich kümmerte mich im Allgemeinen nicht besonders um derartige Vorschriften, und schon gar nicht an diesem Abend und noch viel weniger auf dieser Raststätte, auf der sämtliche Stellflächen mit Falschparkern belegt waren. Ich wollte in Ruhe meine Stullen essen und danach die elende Heimreise fortsetzen.

Durch den dichten Regen und die schwarzen Wolkentürme hindurch zeichneten sich schemenhaft die Lichter von Vaduz ab, die sich in der Peripherie der Liechtensteiner Residenzstadt wie Lampions über die endlose Hügelkette verteilten. Ich warf einen Blick auf mein Mobiltelefon. Halb acht. Valentina hatte sich kein einziges Mal gemeldet. Natürlich wusste sie von meinem zweiten Platz am Neusiedler See. Am Abend war in der Tagesschau ein Dreißig-Sekunden-Spot gezeigt worden, und die Süddeutsche hatte mir tags darauf eine halbe Seite gewidmet. Dieses Miststück!

Wütend biss ich in eine Tomate-Mozzarella-Baguette und würgte den Happen im nächsten Moment wieder aus. Wer immer dieses Sandwich zubereitet hatte, musste ein Faible für Pesto alla Genovesehaben und hatte gleich ein ganzes Glas darauf geschüttet. Ich griff nach dem Salamibrötchen und beschloss, sobald ich die deutsche Grenze passiert hätte, eine ordentliche Mahlzeit einzunehmen.

Im nächsten Augenblick wurde die Beifahrertür aufgerissen.

 

Song

Listen up everyone there’s something wrong

We got the answers in our sights now

But somehow still we struggle along

Looking for solutions in a threatening sky

But we never get an answer

Just a chorus of voices wondering why

We’re stuck here without a peaceful day.

 

Pennywise – Peaceful Day

Before

Als Kind träumte ich den großen Traum vom Fliegen – wie vermutlich die meisten Jungs. Ich wollte Kunstflugpilot werden und mit waghalsigen Manövern die Welt begeistern (und natürlich reich werden). Als ich den Wunsch zu Hause das erste Mal äußerte (ich muss in der dritten oder vierten Klasse gewesen sein), brachen meine Mutter und meine fünfzehn Jahre ältere Schwester in Tränen aus. Mein Vater verließ mit versteinerter Miene gar das Zimmer. Ich verstand die Welt nicht mehr. Erst ein paar Tage später nahm er mich mit auf den Friedhof und führte mich zu einem Grab, auf dem der Name Johannes Caviazel stand: 1980 bis 1988. Ich kapierte immer noch nichts, bis mir mein Dad auf seine umständliche Art erklärte, dass ich einen Bruder gehabt hatte, der ein Jahr vor meiner Geburt bei der Flugkatastrophe in Ramstein ums Leben gekommen war. Zusammen mit meinem Onkel, meiner Tante und meinen beiden Cousinen, von denen ich bis dahin auch noch nie etwas gehört hatte. In der Familie wurde nie über diese Tragödie gesprochen.

Fakt war, das Thema Flugzeuge war mit meinem Bruder und meiner Verwandtschaft ein für alle Mal gestorben. Stattdessen spielte ich ein paar Jahre leidenschaftslos Fußball und übte mich bis zum blauen Gürtel in Karate. Mit fünfzehn fuhr ich zum letzten Mal mit den Eltern in die Ferien und durfte am Lac de Morat, in der Westschweiz, einen Surfkurs für Anfänger besuchen. Nach dem Theoriegeplapper stand ich endlich auf dem Brett, richtete das Segel auf, spürte den Wind in meinem Rücken und nahm Fahrt auf. Intuitiv tat ich, was ich tun musste, um bei einer schnellen Wende nach Luv Höhe zu gewinnen, und auf Anhieb gelang mir ein Shift. Später, als der Wind und die Wellen zunahmen und die anderen Kursteilnehmer längst an den Strand zurückgeschickt worden waren, fuhr ich meinem Surflehrer einen astreinen Cut-Back nach. – Ich war für diesen Sport geboren.

Im Jahr darauf gewann ich die deutschen Jugendmeisterschaften in der Kategorie Raceboard, und kurz danach wurde ich als jüngster Rider in die Bundesligamannschaft des Segelklubs Bayer Uerdingen aufgenommen. Ich fuhr acht Jahre lang Weltcuprennen in der Königsdisziplin Waveriding, und ab und an stellte ich mein Können in einem Freestyle-Contest auf die Probe. Beides mit den unterschiedlichsten Resultaten und zu meinem Bedauern ohne jedwede Kontinuität. Manchmal gelang mir einfach alles, so wie bei meinem letzten Rennen, und an anderen Tagen hatte ich das Gefühl, das erste Mal auf dem Brett zu stehen. Irgendwie spiegelten sich in meinen sportlichen Leistungen mein gesamter Werdegang und das einzige Motto, nach dem ich bislang gelebt hatte, wider: Alles oder nichts!

 

Song

So don’t expect the best

You won’t be disappointed when you take a bite and watch

The worm crawl back inside

Don’t believe the fairy tales of

Million dollar happiness

Los Angelesistic lifestyles

{Drinking} Chardonnay {over a lobster salad brunch}

 

NOFX – Bleeding Heart Disease

The Other Day

Als die Tür aufflog, vermutete ich schon eine Streife der berüchtigten Schweizer Autobahnpolizei, die mir wegen des Falschparkens ein ordentliches Bußgeld aus der Tasche ziehen und obendrein meinen Bus auf den Kopf stellen würde. Stattdessen blickte ich in das verängstigte Gesicht einer jungen Frau.

„Kann ich mitfahren?“ Irgendwie passte ihre raue Stimme nicht zu ihrem mädchenhaften Äußeren. Ohne eine Antwort abzuwarten, zwängte sie sich neben meiner Sporttasche und Spiegelreflexkamera auf den Beifahrersitz. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie völlig durchnässt war. Sie fror, und ihre Lippen waren blau angelaufen. Außerdem keuchte sie vor Anstrengung, als hätte sie einen Marathon absolviert. Ihr einziges Gepäckstück war ein triefend nasser Lederrucksack. Eine blonde Meerjungfrau, die ins Netz meines Trawlers geraten ist, dachte ich schmunzelnd. Eine ziemlich hübsche überdies. Fehlte nur noch, dass ihr ein Clownfisch aus der Jackentasche hüpfte. Der Geruch ihrer feuchten Kleidung breitete sich im Wagen aus, und die Scheiben beschlugen, während sie mich vor Kälte zitternd wie ein begossener Pudel anstarrte, bis mir einfiel, dass sie mir eine Frage gestellt hatte. Ich zögerte. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass irgendetwas an dieser Situation faul war, aber dann überwogen Neugierde und Mitleid, und ich antwortete ihr mit einem gezwungenen Nicken.

„Wohin willst du?“, fragte ich und reichte ihr ein Päckchen Taschentücher.

„Fahr einfach los“, erwiderte sie. „Vielleicht erwischen wir das Schwein noch.“

„Wie bitte?“

„Mein Freund ist einfach weitergefahren. Wir haben uns gezofft.“

„Ziemlich uncool“, sagte ich, biss von meinem Brötchen ab und legte den Gang ein. „Was für ein Auto fährt er denn?“

„Nun mach schon!“

Für gewöhnlich hätte sich jetzt meine natürliche Reaktanz eingeschaltet (der Fachbegriff für körpereigenen Blindwiderstand gehörte zu den wenigen Dingen, die mir von meinem abgebrochenen Sportpsychologie-Studium noch geblieben waren), aber irgendwie gelang es dem Mädchen, diesen Schutzmechanismus zu umgehen.

Vielleicht lag es daran, dass ihre Stimme trotz des Befehls jetzt wie eine Oper von Verdi klang. Vielleicht auch wie ein klarer Gebirgsbach. Jedenfalls so außergewöhnlich, dass ich im Traum nicht auf die Idee gekommen wäre, ihrem Wunsch nicht zu entsprechen. Ein anderer Grund könnte ihr Parfum gewesen sein, das allmählich alles andere im Bus überlagerte und mich an einen Strauß duftender Norita-Rosen erinnerte. Ich reihte mich, ohne besonderen Ehrgeiz, ihren wütenden Macker einzuholen, in die Fahrzeugkarawane ein. Dabei fiel mir auf, dass sie ständig in den Rückspiegel starrte.

„Ich bin Alexander“, sagte ich.

„Marie“, entgegnete sie geistesabwesend.

„Wie lange standest du im Regen, Marie?“, fragte ich, als ich erneut bremsen musste. Zunächst reagierte sie nicht auf meine Frage.

„Ich meine, wie lange ist dein Freund schon auf und davon?“, hakte ich nach.

Da beugte sie sich zu mir herüber und drückte mir einen feuchten Schmatz auf die Wange. „Ich bin so froh, dass ich dich getroffen habe“, hauchte sie mir ins Ohr.

Ich war völlig perplex. Dieser Kuss war der erotischste Knutscher auf die Backe, den ich jemals bekommen hatte. Erklären kann ich diesen Eindruck nicht. Was für ein Teufelsweib war denn da in meinen Wagen gestiegen?

„Grün.“

Ich riss die Augen auf. „Was?“

Marie deutete mit einem Kopfnicken auf die Lücke vor uns. Ich schloss auf und bot ihr die Handtücher und Klamotten von Valentina an, die immer auf Vorrat in einem Regalfach vor sich hingammelten. Für die wenigen Fälle, bei denen sie mich auf meinen Reisen in der „heruntergekommenen Sardinenbüchse“, wie sie meinen geliebten Bus nannte, begleitete, um am Ende des Tages doch im Hotel übernachten zu wollen.

„Reist du immer ohne deine Freundin?“, wollte Marie wissen, während sie nach hinten kletterte.

„Ich bin verlobt“, antwortete ich und fügte hinzu: „Aber wie es scheint, nicht mehr lange.“

Marie ging nicht darauf ein und begann sich am Boden sitzend die nassen Kleider vom Leib zu zerren. Ich beobachtete sie im Innenspiegel, wie sie sich splitternackt die Haare trocken rubbelte. Ihr Körper wirkte im Halbdunkel grazil, wohingegen Beine und Po darauf hindeuteten, dass sie viel Sport trieb. Radfahren oder Stepper, tippte ich. Oder beides.

„Wie weit ist es bis zur Grenze?“, tönte es von hinten.

„Vielleicht fünfzig Kilometer“, sagte ich. „Warum?“

Marie zwängte sich wieder auf den Beifahrersitz. „Nur so.“

Sie hatte sich den grauen Jogginganzug ausgesucht, den ich Valentina voriges Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte.

„Slip habe ich keinen gefunden“, sagte Marie und starrte aus dem Seitenfenster.

Mir war klar, dass sie mich damit provozieren wollte. Allein deswegen ging ich nicht auf die Bemerkung ein, aber ich muss zugeben, dass mich die Vorstellung ein wenig erregte. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf den schleppenden Verkehr. Der Starkregen hatte nachgelassen. Stattdessen zuckte am Horizont eine ganze Serie von Blitzen aus dem Nachthimmel und tauchte die Umgebung in ein surreales Blau, gefolgt von einem düsteren Donnergrollen, das mich an eine Staffel Kampfjets erinnerte, die früher im Tiefflug über die Rhein-Main Air Base schossen. Wie immer wühlte dieser Eindruck auch den hässlichen Bodensatz meiner Nachforschungen zum Tod meines Bruders und zu den Ursachen auf, die zu der Katastrophe von Ramstein geführt hatten. Der dumpfe Schlag der Kollision des Unglückspiloten Ivo Nutarelli mit den beiden Maschinen seiner Kameraden der Kunstflugstaffel Frecce Tricolori. Das brennende Wrack des Jets, wie es nach Explosion und Absturz immer weiter in die Zuschauermenge hineingeschlittert war und ein Feuersturm aus Kerosin die schreienden Menschen erfasst hatte …

„Hat dir gefallen, was du vorhin gesehen hast?“

Maries Frage riss mich aus meinem Albtraum. Ich verstand zuerst nicht, dann nickte ich selbstbewusst. „Du treibst regelmäßig Sport?“

„Männer stehen doch für gewöhnlich auf Titten.“

„So genau habe ich nicht hingeschaut“, erwiderte ich und starrte auf den Tiertransporter vor uns.

In regelmäßigen Abständen zwängten sich einige Schweinerüssel durch einen Spalt des Bretterverschlags und verschwanden wieder in der Dunkelheit.

„Marc fährt einen weißen Ferrari California, Münchner Kennzeichen“, sagte Marie.

„Wäre es nicht besser gewesen, an der Raststätte zu warten?“, entgegnete ich. „Er wird es sich bestimmt anders überlegen und sich auf die Suche nach dir machen.“

Im Fußraum ertönte die Melodie von Nothing Else Matters. Marie bückte sich, nahm ihr Mobiltelefon aus dem Rucksack, drückte den Anruf weg und schaltete das Gerät aus. „Dann steht er eben jetzt im Regen.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Marc ist ein arrogantes Arschloch.“

Ich dachte spontan an den Ferrari, hielt aber den Mund.

„Falls du denkst, ich hätte mich in sein Auto verliebt, irrst du dich gewaltig.“

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Versteh das nicht falsch, aber dort, wo ich herkomme, spielt Geld keine Rolle.“

„Na, dann.“

„Was?“

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte ich.

„Wovon redest du, verdammt noch mal?“

„Dort, wo ich herkomme, leben wir quasi von der Hand in den Mund. Vielleicht hättest du an eine andere Autotür klopfen sollen.“

„Was für ein Blödsinn“, sagte Marie und fing an zu schluchzen.

Ich runzelte die Stirn und reichte ihr eine Packung Taschentücher.

„D-a-n-k-e“, stammelte sie. Marie löste den Gurt, beugte sich zu mir und klammerte sich schließlich wie ein Äffchen an mich. „Weißt du“, flüsterte sie, „ich bin noch nie in so einer beschissenen Situation gewesen. Für deine Hilfe bin ich dir unendlich dankbar.“ Wieder küsste sie mich auf die Wange. Ihr rechter Arm raubte mir die Sicht, und ich war gezwungen, meinen Kopf von ihr wegzudrehen. Im letzten Moment sah ich die viel zu nahe Silhouette des Viehtransporters und trat mit voller Wucht auf die Bremse. Postwendend brach das Heck aus, und der Bulli schlitterte mit der Breitseite dem mächtigen Hindernis entgegen. Wenige Zentimeter davor kam der Wagen zum Stehen.

„Bist du übergeschnappt?“, brüllte Marie hysterisch.

„Ich konnte nichts sehen!“, rief ich zu meiner Verteidigung.

„Idiot!“

„Hast du sie eigentlich noch alle?“

Hinter uns betätigte jemand die Hupe. Am liebsten wäre ich aus dem Fahrzeug gesprungen und hätte den Typen verdroschen. Stattdessen lenkte ich den VW-Bus auf den Seitenstreifen und reihte mich von dort wieder in den Verkehr ein. Hoffentlich war keines der Schweine vor Schreck gestorben.

„Du hast mir mit deinem Getue die Sicht versperrt“, fügte ich erklärend hinzu.

„Wird nie wieder vorkommen“, erwiderte Marie trotzig.

Irgendwie hatte ich von diesem Intermezzo die Schnauze voll und machte mir Gedanken, wie ich Marie am schnellsten wieder loswerden könnte. So anregend die Begegnung zu Beginn auch gewesen war, ich gewann zunehmend den Eindruck, dass etwas mit dieser Frau nicht stimmte. Und derartige Himmelhoch-jauchzend-zu-Tode-betrübt-Stimmungen hatte ich von Valentina weiß Gott schon genug abbekommen.

„Möchtest du deinen Freund nicht anrufen?“

„Wozu?“

„Ihr macht einen Treffpunkt aus, und ich bringe dich hin.“

„Du willst mich loswerden?“

Ich erwiderte nichts.

„Gut, dann halt an.“

„Was soll das?“

„Du sollst anhalten! Ich steige aus, dann bist du mich los. Genügen fünfhundert Euro für die paar Kilometer und die Fetzen deiner Tussi?“

Marie zückte ihre Geldbörse und warf mir einen Schein vor die Füße.

„Das ist doch Quatsch“, sagte ich. „Wo willst du denn hin bei diesem Wetter?“

„Meine Sache.“

„Warum rufst du ihn nicht einfach an?“

„Er kann mich mal.“ Sie deutete mit ihrer Geldbörse in meine Richtung. „Und du – du kannst mich auch mal.“

„Wie soll es jetzt weitergehen, wenn ich fragen darf?“

Marie hob den lilafarbenen Schein auf und hielt ihn mir unter die Nase. „Du bekommst den hier und nimmst mich mit bis nach Deutschland. Dann verschwinde ich, basta.“

Ich nickte und ärgerte mich, dass ich ihren ersten Vorschlag nicht einfach akzeptiert hatte. Andererseits zweifelte ich daran, dass ich es übers Herz gebracht hätte, sie unter diesen Bedingungen mitten im Nirgendwo abzusetzen.

Wir fuhren schweigend weiter. Marie hatte die Knie angewinkelt und den Kopf seitlich darauf abgelegt. Ich trank einen Schluck Cola und drückte meine letzte Koffeintablette aus dem Blister. Mir würde nichts anderes übrig bleiben, als die Nacht durchzufahren. In Köln würde ich den Bus gleich auf den Schrottplatz bringen und dort zum letzten Mal abstellen. Zu Hause angekommen, würde ich Valentina einen Infekt vortäuschen und zwei Tage durchschlafen. Ich erinnerte mich nicht daran, wann ich mich zuletzt so kaputt gefühlt hatte. Die Frau auf dem Beifahrersitz trug ihren Teil dazu bei. Ich verspürte nicht die geringste Lust mehr, mich mit ihr zu unterhalten. Während ich Maries blonde Kurzhaarfrisur betrachtete, kam mir Paris Hilton in den Sinn. So musste es sein: Marie war eines dieser verzogenen Kinder reicher Eltern, die nach Lust und Laune den Jetset genießen konnten, ohne einen Finger dafür krumm zu machen, und die gelernt hatten, Männer mit ihren Reizen und Launen nach Belieben zu manipulieren. Mit so einer Frau würde ich nicht für viel Geld ins Bett steigen, und natürlich war mir aufgefallen, dass sie flach wie ein Brett war.

Der Regen hatte weiter nachgelassen, und wir kamen zügiger voran. Ich musste gähnen und schaltete den CD-Spieler ein. Pennywise – der geschmeidige Punkrock war jetzt genau das Richtige. Ich warf einen Blick zur Seite. Marie kauerte noch immer in ihrer Embryonalhaltung. Es war mir egal, ob sie die Musik mochte oder sich daran störte. Bis zur Schweizer Grenze waren es noch vierzig Kilometer und bis nach Deutschland noch mal etwas mehr als die Hälfte. Wenn der Verkehr so weiterlief, wäre ich sie in einer Stunde los. Die Vorstellung stimmte mich heiter. Ich wippte mit dem Kopf im Rhythmus von Byron McMackins harten Schlägen auf die Drums mit.

It’s a promise in the night I’ll be okay.

The superlative is telling me that help is on the way.

Gegen Ende des Songs gab Marie ihre Trotzhaltung auf und kramte in ihrem Rucksack. Ich drehte die Musik leiser. „Suchst du was Bestimmtes?“

„Was geht dich das an?“

Blöde Kuh, dachte ich, drehte kopfschüttelnd wieder am Lautstärkeregler und konzentrierte mich auf die Fahrbahn. Komisch, dass mir kurz der Gedanke kam, sie könnte eine Waffe in ihrem Rucksack versteckt haben und sie mir im nächsten Moment an den Kopf halten. Wenig später schaltete Marie die Musik aus. Ich warf ihr einen bösen Blick zu. „Was soll das?“

„Würdest du bitte am nächsten Rastplatz anhalten?“

„Falls du vorhast auszusteigen – sehr gerne.“

Marie starrte mich entsetzt an und brach erneut in Tränen aus. Ich verkniff mir eine Bemerkung. Ich warf den Player wieder an und fuhr schweigend weiter. Ich war so wütend, dass ich mir nichts sehnlicher herbeiwünschte als einen Parkplatz, eine Haltebucht oder irgendeine gottverfluchte Möglichkeit, endlich diese launische Megäre loszuwerden.

Wider Erwarten hatte ich doppeltes Glück: Ein Hinweisschild tauchte im Scheinwerferlicht auf, und überdies beruhigte sich Marie schneller als gedacht, was mich in meinem Verdacht bestätigte, dass ihr Geflenne doch nur eine Masche war.

„Ich muss pinkeln“, sagte sie, nachdem ich den Wagen in eine Parkbucht gelenkt hatte. „Wartest du?“

Ich nickte, obwohl mir der Gedanke gefiel, einfach weiterzufahren, während sie hinter einem Busch kauerte. Sie griff nach den Papiertaschentüchern und verschwand in der Dunkelheit. Ich kämpfte gegen meine Neugierde, einen Blick in ihren Rucksack zu werfen. Wenig später kehrte sie zurück. „Sorry.“

„Wegen?“

„Vorhin. Ich hatte einfach Angst.“

„Schon gut.“

„Alexander?“

„Was?“

„Ich habe keinen Pass.“

Ich runzelte ungläubig die Stirn. „Und jetzt?“

„Ich weiß es nicht. Er muss bei Marc im Auto liegen.“

„Dann haben wir ein Problem. Mit dem Bulli werde ich an der Schweizer Grenze immer angehalten.“

„Du könntest mich irgendwo rauslassen und auf der anderen Seite wieder abholen.“

„Vergiss es.“

„Bitte!“

Ich schüttelte den Kopf. Marie griff in ihre Tasche und zauberte einen weiteren Fünfhunderter hervor. „Ich leg den obendrauf. Komm schon!“

Ich raufte mir die Haare. Einerseits hatte ich nicht die geringste Lust auf so eine gequirlte Scheiße, andererseits gefiel mir die Vorstellung, so einfach in den Besitz der beiden Scheine zu kommen. Marie hatte wieder ihren Hundeblick aufgesetzt.

„Kein Geflenne mehr?“

Sie lächelte mich an wie ein Kind zur Weihnacht. „Versprochen.“

„Wie stellst du dir das vor?“

„Hast du eine Straßenkarte?“

„Nein.“

Vorsorglich ließ ich die tausend Euro in meinen Shorts verschwinden. „Aber das hier.“

Dann steckten wir die Köpfe über dem Display meines Mobiltelefons zusammen.

Ich muss zugeben, dass es mir Spaß machte, einen Schlachtplan auszubaldowern, um Marie über die grüne Grenze zu schmuggeln. Ich war beinahe enttäuscht, wie einfach sich die Situation, zumindest in der Theorie, darstellte. Am Rand des Grenzstädtchens St. Margrethen gab es ein Strandbad, das unmittelbar an den Rhein grenzte. Von dort waren es etwa fünfhundert Meter Fußweg am Fluss entlang bis zur österreichischen Grenze. Wir vereinbarten einen Treffpunkt, und keine zehn Minuten später machte sich Marie auf den Weg. Zum Abschied küsste sie mich ungeniert auf den Mund. Ich meinte sogar ihre Zungenspitze zu spüren. Jedenfalls etwas, das nach mehr schmeckte. Verdammt.