Ich bin Tess (Buchvorlage zur Netflix-Serie Kiss Me First) - Lottie Moggach - E-Book

Ich bin Tess (Buchvorlage zur Netflix-Serie Kiss Me First) E-Book

Lottie Moggach

3,8

Beschreibung

***Die Verfilmung des Buches erscheint ab Sommer 2018 als Netflix-Serie unter dem Originaltitel "Kiss Me First".*** Lottie Moggachs Roman rund um das Social-Media-Zeitalter verdeutlicht, wie das Internet unsere Vorstellung von Realität und Identität verändert. Okay, nehmen wir uns einmal dieses hypothetische Dilemma vor: Eine Frau leidet an einer Krankheit, die an und für sich nicht lebensbedrohlich ist, aber ihre Lebensqualität stark einschränkt und auch nicht heilbar ist. Nach reiflicher Überlegung kommt sie zu dem Schluss, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Aber sie weiß, dass sie damit ihrer Familie und ihren Freunden großen Kummer bereiten würde und handelt daher nicht. Dennoch wünscht sie sich verzweifelt den Tod und an dieser Einstellung ändert sich auch über die Jahre nichts. Irgendwann kommt sie zu dir und sagt, ihr sei ein Weg eingefallen, wie sie ihren Plan in die Tat umsetzen kann, ohne ihre Familie und ihre Freunde unglücklich zu machen, aber dafür brauche sie deine Hilfe. Was würdest du tun? Würdest du ihr helfen? Lottie Moggach ist mit ihrem in Großbritannien unter dem Titel Kiss me first erschienen Debütroman für junge Erwachsene für zahlreiche Literaturpreise nominiert.

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Es war Freitagabend und das Projekt lief seit ungefähr neun Wochen. Tess’ Stimme klang ganz normal, aber ich konnte sehen, dass sie geweint hatte, und ihr schmales Gesicht war blass. In den ersten paar Minuten unseres Gesprächs hatte sie den Kopf an die Wand hinter ihrem Bett gelehnt und den Blick zur Decke gewandt. Dann aber richtete sie sich auf und starrte direkt in die Kamera. So hatte ich ihre Augen noch nie gesehen: ausdruckslos und zugleich voller Panik. Mum hatte manchmal auch so geguckt, ganz am Ende.

»Ich habe Angst.«

»Wovor?«, fragte ich begriffsstutzig.

»Ich hab so eine Scheißangst«, sagte sie und brach in Tränen aus. Sie hatte noch nie vor mir geweint; tatsächlich hatte sie mir erzählt, dass sie fast nie weinte. Das war eine der Sachen, die wir gemeinsam hatten.

Dann schniefte sie, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und fragte schließlich mit etwas festerer Stimme: »Verstehst du?«

»Klar«, antwortete ich, auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach.

Einen Augenblick lang blickte sie unverwandt in die Kamera, dann bat sie: »Kann ich dich sehen?«

Zuerst dachte ich, sie meinte: Können wir uns treffen?, und wollte sie schon daran erinnern, dass wir uns doch darauf geeinigt hatten, so etwas lieber sein zu lassen, aber sie schnitt mir das Wort ab.

»Schalt deine Kamera ein.«

Nach kurzem Zögern erwiderte ich: »Ich denke, es ist besser, wenn wir das nicht machen.«

»Ich will dich sehen«, beharrte Tess. »Du siehst mich schließlich auch.« Sie starrte noch immer in die Kamera, die Augen fast schon wieder trocken. Dann schenkte sie mir ein kleines Lächeln und ich spürte, wie ich weich wurde. Es war schwer, ihr zu widerstehen, und ich hatte schon ein Na schön auf der Zunge, aber stattdessen sagte ich: »Ich finde einfach, das ist keine gute Idee.«

Sie sah mich noch ein bisschen länger an, schließlich aber zuckte sie mit den Schultern und richtete den Blick wieder zur Decke.

Ich möchte ehrlich sein: Ich wollte nicht, dass Tess mich sah, weil ich fürchtete, ihren Erwartungen nicht zu entsprechen. Mir ist klar, dass diese Angst nicht rational war – wer weiß schon, wie sie sich mich vorgestellt hat? Und außerdem war es ja auch egal. Aber ich hatte ihr Gesicht so eingehend studiert, kannte alle Feinheiten eines jeden Ausdrucks darauf, und konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, nach dem Einschalten der Kamera einen Anflug von Enttäuschung darüberhuschen zu sehen, und sei er auch noch so flüchtig.

Den Blick immer noch zur Decke gewandt, sagte sie: »Ich kann das nicht.«

»Natürlich kannst du«, entgegnete ich.

Eine Minute lang schwieg sie, bevor sie schließlich untypisch kleinlaut fragte: »Wäre es in Ordnung, wenn wir für heute Schluss machen?« Dann beendete sie das Telefonat, ohne auf eine Antwort zu warten.

Ich muss gestehen, dass mir dieses Gespräch seit damals wiederholt durch den Kopf gegangen ist.

Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass ich so reagiert habe, wie es mir damals richtig erschien. Tess war verstört und ich habe sie getröstet. Es kam mir vollkommen natürlich vor, dass sie Angst hatte. Und als wir am nächsten Tag miteinander redeten, war sie wieder so, wie ich es zu diesem Zeitpunkt als normal bezeichnet hätte – gefasst, höflich, distanziert. Den Vorfall erwähnten wir nicht mehr.

Ein paar Tage später blickte sie in die Kamera und tippte auf die Linse – eine Angewohnheit von ihr. »Hast du alles, was du brauchst?«

Ich war davon ausgegangen, dass wir die Kommunikation ganz bis zum Ende aufrechterhalten würden. Aber ich hatte auch gewusst, dass dieses Ende irgendwann einmal kommen musste. Also antwortete ich: »Ja, ich glaube schon.«

Sie nickte, mehr vor sich hin als für mich, und wandte dann den Blick ab. In diesem Moment, als mir klar wurde, dass ich sie gerade zum letzten Mal sah, verspürte ich einen plötzlichen, heftigen Adrenalinstoß und zugleich etwas wie Traurigkeit.

Nach einer recht langen Pause sagte Tess: »Ich kann dir gar nicht genug danken.« Und dann: »Mach’s gut.« Sie sah in die Kamera und vollführte eine Geste, als würde sie salutieren.

»Du auch«, sagte ich. Und: »Danke.«

»Warum dankst du mir?«

»Ich weiß nicht.«

Sie sah hinunter, auf ihr Bein oder das Bett. Ich starrte auf ihre lange, flache Nase, die Wölbung ihrer Wangenknochen, die haarfeinen Fältchen um ihren Mund.

Dann hob sie den Kopf, beugte sich vor und schaltete die Kamera aus.

Und das war es. Unser letztes Gespräch.

Mittwoch,

17.August 2011

Es gibt kein Internet hier, noch nicht mal über ein Modem.

Damit, nicht online gehen zu können, hatte ich nicht gerechnet. Natürlich habe ich vorher recherchiert, aber die Kommune hat keine Website und außer einer Wegbeschreibung habe ich kaum praktische Informationen gefunden. Nur nutzlose Kommentare in irgendwelchen Foren, Sachen wie Oh, es ist toll da, so friedlich und wunderschön. Mir ist schon klar, dass Kommunen Orte sind, an denen die Leute »zurück zur Natur« gelangen wollen, aber soweit ich das verstanden habe, leben und arbeiten sie dort mehr oder weniger dauerhaft, daher hatte ich angenommen, dass man hier auch ins Internet kommt. Spanien ist schließlich kein Entwicklungsland.

Ich kann ja verstehen, dass Tess etwas Abgelegenes gesucht hat, aber im Gebirge, ohne auch nur einen Telefonmast in Sicht? Das scheint mir doch ein bisschen übertrieben. Warum hat sie von allen Orten auf der Welt, an denen sie ihre letzten Tage hätte verbringen können, ausgerechnet diesen ausgewählt?

Zugegeben, die Lage hat auch ihre Vorteile. Ich habe mein Zelt auf einer Lichtung mit Aussicht über das ganze Tal aufgeschlagen. Die umliegenden Berge sind riesig und schimmern, je nach Entfernung, in verschiedenen Schattierungen von Grün, Blau und Grau. Zu ihren Füßen fließt ein schmaler silbriger Fluss. Die höchsten Gipfel sind schneebedeckt: ein absurder Anblick bei dieser Hitze. Jetzt, als es auf den Abend zugeht, verdunkelt sich der Himmel zu einem diesigen Blau.

Hier oben wohnt eine Frau, die sich wie eine Elfe kleidet – mit einem Oberteil, das ihren Bauch frei lässt, und Sandalen, die sie bis zu den Knien schnürt. Eine andere hat leuchtend rotes Haar, das sie auf beiden Seiten des Kopfes wie Hörner aufdreht. Viele von den Männern haben lange Haare und Bärte und ein paar von ihnen tragen diese Gewänder, in denen sie wie Priester aussehen.

Die meisten allerdings erinnern eher an die Bettler vor den Geldautomaten in der Kentish Town Road, nur dass sie wesentlich sonnengebräunter sind. Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich hier gar nicht so sehr auffallen würde – Mum hat immer gesagt, ich hätte Haare wie ein Hippie: lang, bis fast zur Taille hinunter, und mit Mittelscheitel–, aber ich fühle mich, als käme ich von einem anderen Planeten.

Niemand hier scheint besonders viel zu tun. So wie ich das sehe, sitzen die meisten bloß herum, stochern im Feuer und kochen Tee in schmuddeligen Töpfen, trommeln oder basteln unidentifizierbare Gegenstände aus Federn und Schnur. Besonders gemeinschaftlich wirken sie auch nicht gerade – das Einzige, was sie miteinander verbindet, ist offenbar das Ziel, zu verwahrlosen und dabei keine Miete zu zahlen. Es gibt ein paar Zelte wie meins, die meisten Leute aber schlafen in schäbigen, grell bemalten Bussen oder in Behausungen unter den Bäumen, bestehend aus Plastikfolie und Bettdecken. Alle rauchen und der Besitz eines Hundes scheint obligatorisch, deren Dreck macht allerdings niemand weg. Mein halber Vorrat an Feuchttüchern ging schon allein dafür drauf, die Rollen meines Koffers wieder sauber zu bekommen.

Was die sanitären Einrichtungen angeht, hatte ich ja schon damit gerechnet, dass diese ziemlich rudimentär sein würden, aber ich war doch schockiert, als man mir eine Stelle hinter ein paar Bäumen zeigte, beschildert mit Scheißloch. Es ist wirklich nicht mehr als ein Loch im Boden, ohne Möglichkeit zum Hinsetzen und ohne Papier, und wenn man nach unten sieht, kann man die Hinterlassenschaften der anderen bewundern. Nach der Sache mit Mum habe ich mir jedoch geschworen, nie wieder etwas mit den Fäkalien anderer Leute zu tun haben zu müssen, also beschloss ich, mir in einem Gebüsch in der Nähe mein eigenes Loch zu graben.

Natürlich bleibt es jedem selbst überlassen, wie man sein Leben führt, solange man niemand anderen beeinträchtigt. Aber wirklich – so?

Zu Hause in London war ich mir noch absolut sicher, dass Tess hier gewesen sein muss. Alles schien zusammenzupassen. Aber jetzt kommen mir doch wieder Zweifel.

Nichtsdestotrotz habe ich mir ja das Ziel gesetzt, eine Woche hier durchzuhalten und Nachforschungen anzustellen, und genau das werde ich auch tun. Morgen fange ich an, den Leuten Tess’ Foto zu zeigen. Ich habe mir schon eine Geschichte zurechtgelegt, der zufolge sie eine Freundin ist, die letzten Sommer hier gewohnt hat und die ich danach aus den Augen verloren habe, von der ich aber vermute, dass sie sich immer noch irgendwo in der Gegend aufhält. Das ist nicht einmal gelogen. Ich werde bloß nicht erwähnen, dass ich nach einem Beweis für ihren Tod suche.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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